Velleda - Ein Zauberroman - Benedikte Naubert - E-Book

Velleda - Ein Zauberroman E-Book

Benedikte Naubert

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Beschreibung

Klassiker der Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Während der langwierigen römischen Eroberung Britanniens bringt der ikanische König seine neun Töchter bei der alten Zauberin Velleda in Sicherheit. Taucht ein in die fantastische Reise von Velleda.

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Benedikte Naubert

 Velleda - Ein Zauberroman 

Impressum

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Public Domain

Inhaltsverzeichnis
I. Voadicea und Velleda.
II. Riesentanz.
III. Sam und Siuph — oder die Kinder des heiligen Stiers.
Impressum

I. Voadicea und Velleda.

Ein alter König der Icanier hatte neun Töchter, und dieser König war vielleicht einer von den Weisesten, aber keinesweges von den Mächtigsten, die jemals Kronen getragen haben.

Euch wird bekannt seyn, meine Leser, das zu den Zeiten, da die Römer Brittannien zu erst besuchten, dieses Land von einer Menge kleiner Prinzen beherrscht wurde, und die fast vergessenen Völkernamen von Briganten, Britonen, Pikten, Siluren, Icaniern, Trinobanten, bezeichneten ein Volk, das wir jetzt mit einem Namen nennen, und das unter demselben eine Macht erlangte, deren es sich damals, in getheilten Zweigen, nicht rühmen konnte.

Widersprechende Vortheile, Uneinigkeit und Eifersucht machten die mannichfaltigen Völkerschaften Albions ihren furchtbaren Feinden zur leichten Beute, und unser König mit seinen neun Töchtern fühlte die Ohnmacht eines Scepters zu sehr, um zu hoffen, da alles der siegenden Allgewalt der Römer unterlag, sich als allein gegen dieselben aufrecht zu erhalten.

Was seine Besorgnisse vermehrte, das war die eigenthümliche Lage seiner Sachen, war die Beschaffenheit seiner Grenzen und das schlechte Vernehmen, in welchem er mit seinen Nachbarn lebte. Wenige der benachbarten Fürsten waren seine Freunde, und er war zu stolz, zu tapfer und zu weise, um ganz der ihrige zu sein. Er haßte die Zagheit und den Sklavensinn, mit welchem einige sich zu leicht unter das Joch der Römer beugten, und trauerte über die Ohnmacht oder die verrathene Redlichkeit der andern. Wäre der König von Icanien so groß und mächtig gewesen, als er tapfer und weise war, Cäsar hätte Albion nicht so leicht besiegt; aber selbst der große Caractacus hatte schon längst den Triumph eines römischen Feldherrn geziert, Cadallanus und Vellocatus trugen daheim römische Fesseln, und andere hatten das Liebste, was sie besaßen, ihre Kinder, hingeben müssen, um in Rom für die Treue der Länder zu bürgen, in welchen sie geboren waren.

Dieses letzte war es, was der gute König, den die Sage, welche oft den Namen der Besten und Weisesten unter den Menschen vergißt, nur den König mit der eisernen Krone nennt, weil er keine goldne zu tragen pflegte, dieses letzte war es, was er am meisten fürchtete. Vor dem Schwerd der Römer schützte ihn sein Heldenmuth, vor ihrem Sklavenjoch allenfalls ein ehrlicher Tod; aber welch ein Gedanke für ihn, seine Kinder, die Töchter der Unschuld, dereinst vielleicht nach Rom geschleppt, und in der Unsitte des Neronischen Hofs erzogen zu sehen! Welch ein Gedanke für einen Prinzen, der noch ganz das war, was die ersten Könige oder Väter der Urwelt gewesen seyn mögen, und der mit seinem glanzlosen Diadem größer und glücklicher war, als die Tibere und Neronen unter der Last ihrer aus allen Welttheilen geplünderten Edelsteine, und den bluttriefenden Lorbeern, die ihre Schläfe umschlossen.

Der König mit der eisernen Krone hatte zwar noch eine Königin, welche die Sorge um sein Haus mit ihm theilte, und wir müssen Euch nur gestehen, daß ihr Name eben derjenige war, den ihr an der Spitze dieser Blätter sehet; doch Voadicea war damals noch nicht die Heldin, von welcher Freund und Feind zu sagen wußte; erst das Unglück machte sie groß. Damals lebte sie noch das stiller Leben der Königinnen der Vorwelt, welches nicht viel von dem Leben guter gemeiner häuslichen Frauen verschieden war, und Dinge von Wichtigkeit mit ihr in Rath zu stellen, das fiel dem Könige der Icanier gar nicht ein.

In der Sache, welche diesem guten Prinzen jetzt im Sinne schwebte, hätte er dennoch eine Ausnahme machen sollen, sie lag zu sehr in dem Gebiet der Königin, die auch Mutter war, als daß nach Recht und Billigkeit ihre Stimme hätte übergangen werden dürfen. Voadiceens Gemahl, der bei den hereinbrechenden schweren Zeiten besonders um seine Töchter sorgte, dachte darauf, gewisse Verfügungen ihretwegen zu treffen, und daß er dieses ohne Rücksprache mit der besten Frau ihrer Zeit, mit der zärtlichsten Mutter ihrer Kinder that, das war allerdings ein Fehler.

Die Icanischen Prinzessinnen waren zu einem blinden Gehorsam gegen älterliche Befehle gewöhnt, und daher geschahe es, daß sie gegen denjenigen, welchen sie eines Tages von ihren Vater erhielten, und den wir Euch gleich mittheilen wollen, keine Einwendungen zu machen pflegten, obgleich die ältesten von den jungen Damen, welche schon zu verständigen Jahren gekommen waren, allerdings bei dem strengen Gebot Gedanken haben mochten, welche ihnen Unruhe verursachten.

Der geheime Befehl des Königs ging auf nichts anders, als sich, ohne genommenen Abschied von ihrer Mutter zu einer großen Reise bereit zu machen, welche des andern Morgens vor Aufgang der Sonne angetreten werden sollte.

Wird Voadicea nicht mit uns reisen? fragte Bunduica, die Aelteste, und eine Thräne stand in ihren schönen Augen.

Nein! war die kurze Antwort des ernsten Königs.

Und wenn sehen wir unsere gute Mutter wieder?

Das steht bei den Göttern.

Bleibt nicht eine von uns, bleibt nicht wenigstens unsere jüngste Schwester, ihr Liebling, bei ihr?

Keine!

Vater. Guter Vater! Wo reisen wir hin?

Wohin Vaterliebe und Vatergewalt euch leiten.

Auf solche Antworten, meine Leser, ihr werdet es selbst begreifen, läßt sich nichts weiter sagen. Als der erste Strahl des Morgens einer unruhig verbrachten Nacht den Himmel röthete, schlichen die Töchter des Königs mit der eisernen Krone, dessen Wink Eile gebot, noch einmal zu dem Lager ihrer guten Mutter, küßten ihr Gewand und ihre Fingerspitzen, bestreuten das Lager der Schlummernden mit Blumen, und stracks ergriff Bunduica die kleine Zelleda, die jüngste ihrer Schwestern, deren kindischer Schmerz in lautes Weinen ausbrechen wollte, und trug sie, indem sie ihren Mund mit ihren Küssen verschloß, eilig dahin, wo der Vater zum Abschied winkte.

Ihr müßt Euch, lieben Leser, die Reise eines Königs der damaligen Zeiten und so vieler Prinzessinnen nicht auf die Art vorstellen, wie sie heut zu Tage beschaffen seyn würde. Hier waren weder Staats- noch Kammerwagen, hier gab es weder Zofen noch zahlreiche Bedienten, die Sage berichtet nicht einmal, ob die Reise zu Roß oder zu Fuß gemacht wurde, und ihr mögt es nun für glaublich halten oder nicht, so ists gewiß, daß die ganze Reisegesellschaft aus nicht mehr als zehn Personen bestand, und daß das Gepäck auf eine so leichte und bequeme Art eingerichtet war, daß Wagen und Rosse ganz unnöthig gewesen seyn würden. Roms Luxus war unter den Völkern Brittanniens, die sich des Jochs der Römer schämten, noch nicht angenommen, und die wenigen Bedürfnisse, welche die einfältigen Kinder der Natur hatten, brauchten sie nicht aus einer Gegend in die andere zu führen, sie waren sicher, sie überall zu finden.

Nachdem man, sie sich, wie viel Tage und wie viel Meilen, gilt gleich, ob immer mit der nämlichen Laune, zu Lande gereist war, da ergab es sich, daß des Königs Wille den gehorsamen Töchtern auch die Seereise anmuthete. Willig wie duldende Lämmer stiegen die neun Schwestern in das Fahrzeug, und der König, welcher es nach ihnen betrat, ergriff das Ruder mit eigner Hand, um die Fahrt, auf welcher sie kein Fremder begleitete, zu steuern.

Sie war kurz, aber gefahrvoll. Ungewitter schwärzten den Himmel, Wellen umstürmten das Schiff, das Wasser drehte sich in tausend Wirbeln und drohte die kleine Reisegesellschaft in den Abgrund zu begraben. Die jüngsten der Prinzessinnen weinten und rangen die kleinen Hände zum Himmel, die älteren verbissen ihren Schmerz, und sahn mit hoffendem Blick auf ihren Vater, dessen Miene ruhig blieb, und der mit kalter Entschlossenheit alle Geschäfte des erfahrenen Seemanns verrichtete, um das Schiff an die nahe Küste zu steuern.

Getrost, meine Kinder! Getrost! rief er uns ablässig. Bald haben wir überwunden. Um großen Gefahren zu entgehen muß man kleinere nicht scheuen, und weise ist die Verfügung des Schicksals, welches die Wohnung der Sicherheit mit Schrecken umlagert, „nicht daß niemand sie finde, nein, damit nur der Verzagte nicht in dieselbe eingehen möge.“

So vernünftig das seyn mochte, was gute König sagte, so wurde es doch von den Zuhörerinnen kaum halb verstanden. Den größten Theil dessen, was er sagte, verschlang das Toben des Sturms, und das übrige gleitete an den Herzen ab, welche nun fast für alle Hoffnung verloren waren. Konnten die jungen Seefahrerinnen noch aus etwas Trost nehmen, so war es das muthige Betragen ihres Steuermanns und nicht seine Worte. Sie wußten nicht, von was für Gefahren, er sprach, kannten den Sicherheitsort nicht, dahin er sie führte, und wußten nicht, warum sie, außer dem väterlichen Hause einen solchen nöthig haben sollten.

Die Prinzessin Bunduica, welche bereits, das reife Alter von funfzehn Jahren erreicht hatte, und die eins und das andere von Welthändeln zu sagen wußte, sie allein wars, welche aus einigen Reden ihres Vaters schon längst auf die Gedanken gekommen war, er zittere vor der wachsenden Macht der Römer. Sie zitterte nicht vor diesen glänzenden Fremdlingen, von welchen ihr das Gerücht so viel gesagt hatte; sie wünschte vielmehr sie näher zu kennen. Sie wußte, daß viele der Britischen Könige, die sich ohne Widerstand ihrer Macht ergaben, Freunde in ihnen gefunden hatten. Alles was die Welt von den gefürchteten Herren der Welt zu sagen wußte, verrieth Größe und Edelmuth. Selbst das Loos ihrer Ueberwundenen war schimmernd. In goldenen Ketten war Caractacus dem Wagen seines Ueberwinders gefolgt, man ehrte in Rom die Tugenden dieses großen Gefangenen, seine Kinder waren Gespielen der jungen Cäsaren, und war auch Bundulica zu vernünftig, sich und den Ihrigen ein ähnliches Schicksal zu wünschen, so konnte sie doch nichts Widriges in der Phantasie finden, welcher sie sehr gern nachhing, einst als Tochter eines Freundes der Römer die Hauptstadt der Welt zu sehn, und daselbst höhern Lebensgenuß zu lernen, als ihr rauhes Vaterland gewährte.

Bunduica äußerte nichts von Gedanken, welche nicht ohne väterlichen Verweis geblieben seyn würden, auch wissen wir nicht, ob sie die selben gerade in dem nämlichen Augenblick hegte, dahin wir unsere Geschichte gebracht haben, denn siehe, eben waren die Gefahren der Reise überwunden, das Schiff stieß ans Land, und die Seefahrer fühlten wahrscheinlich nichts als das Entzücken, das jeden durchströmt, welcher tobende Wellen hinter sich, vor sich das sichere, Land erblickt, in dessen Schoos er sich wirft, wie das Kind in die Arme der schützenden Mutter.

Es war die Insel Mona, welche der König und seine Töchter betraten, ein von rauhen Klippen umgebenes Eyland, von der Natur, wie es schien, zur Wohnung des Geheimnisses und der Sicherheit gebildet; Ebenen voll lachenden Grüns ruhten hier in dem weiten Schooße himmelhoher Felsen, und Tempel der Gottheit versprachen der Tugend in diesen Thälern Schutz, wenn sie sonst aus der ganzen Welt vertrieben sein sollte.

Hier wars, wo seit undenklichen Zeiten die heiligsten Geheimnisse des Britischen Gottesdienstes wohnten, Geheimnisse, der Wahrheit vielleicht näher verwandt, als die heutige Welt meynt, vielleicht auch nichts als dichte Hüllen von Schrecknissen, welche die Menschheit empören.

Der gute König mit der eisernen Krone, welcher so fromm und andächtig als tugendhaft war, wußte von dem letzten nichts, und ihm zu gefallen wollen wir es denn glauben, daß hier nie die Druiden zu Aussöhnung einer grausamen Gottheit Menschenopfer schlachteten, wie unschuldige Knaben und Jungfrauen von blendender Schönheit, bei ihren geheimnißvollen Weihen, durchs Feuer gehen ließen.

Obgleich dieser fromme Prinz von solchen Gräueln nichts wußte, welche, wenn die Sage nicht trügt, hier von abergläubigen Priestern, verübt wurden, so hielt er es doch für gut, den großen Tempel, welcher in der Mitte eines Eichenwaldes das Herz der Insel ausmachte, nicht zu betreten; Sicherheit wohnt bei Einsamkeit, und Stille, und am besten ist der Schatz geborgen, welcher nur einem einzigen Paar treuer Hände anvertraut wird.

Die Nacht war eingebrochen, als sich der Vater mit seinen Kindern seitwärts nach der Felsenreihe wandte, welche der Küste von Irrland am nächsten liegt. Die Gegend ward schauerlicher, so wie der Mond höher über ihr heraufstieg; die kleinen Prinzessinnen bebten und selbst ihre ältern Schwestern konnten ihr innerliches Zagen nicht ganz verbergen.

Vater! Guter Vater! wo reisen wir hin? wiederholte Bunduica noch einmal mit wehmüthigerer Stimme die Frage, welche sie schon daheim unbeantwortet gethan hatte.

Ich muß, antwortete der König mit schmeichelnderm Tone, als er sonst anzunehmen pflegte, ich muß meine holden milchweisen Lämmer hier in den Armen einer treuen Hirtin bergen, daß kein Wolf sie zerreiße, daß kein unreiner Hauch ihre Schönheit entstelle. Hier wohnt die weise Velleda, nach deren Namen ich die Jüngste von euch nannte. Sie ist aus der Zahl der Aurinien, und kam aus Germanien herüber, zum Heil dieses Landes. Auch mir zum Heil, und euch, meine Kinder! Durch sie erfuhr ich zuerst den nahen Untergang meines Hauses, dessen Vorzeichen mein Tod seyn wird. Bald werdet ihr verlaßne Waisen werden, meine Kinder.

Eure Mutter kann euch nicht schützen, denn sie ist ein Weib. Voadicea wird mit mir sterben, wie sie mit mir gelebt hat. — Trauert darüber nicht, ihr Lieben! Kinder, denen das Schicksal die Aeltern entriß, sind Kinder der Gottheit, auch gab sie euch die weite Velleda zur sichtbaren Mutter. Schlummert in ihren Armen! Verschlummert die böse Zeit, bis die gute herandämmert. Wir sind der glücklichen Weissagungen von euch aus ihrem Munde gar viel geworden. Blinde Folgsamkeit gegen ihre Befehle, so wie ihr sie gegen die meinigen gewohnt waret, und Treue bis zum Tode gegen die strenge Tugend, die man euch kennen lehrte, dieses sichert euch das Glück, welches das Schicksal mir und eurer Mutter entzog, um es auf euren Antheil zu legen.

Der König von Icanien hätte noch länger sprechen können, als er sprach, ohne von seinen Töchtern unterbrochen zu werden. Lange vor her, ehe er geendet hatte, lagen alle schon weinend zu seinen Füßen, von der Gewalt einer Worte zu Boden geworfen. Einige hatten sich seiner Hände bemächtigt, die sie unablässig küßten, die andern umfaßten seine Knie, als wollten sie ihn nöthigen, sie nicht zu verlassen. Die kleine Velleda, welche sich in einen Zipfel des königlichen Mantels gewickelt hatte, rief aus ihrer Verborgenheit hervor: Hier sei sie sicher, zu ihrer Mutter zurückgebracht zu werden, um mit ihr zu sterben.

Dem Könige brach sein Herz, er küßte seine Töchter und weinte mit ihnen. Es war hier an keine Trennung zu denken, und wer weis, wie lange dieser Auftritt gedauert hätte, wäre nicht aus dem Dunkel der Felsen eine Person hervorgetreten, welche ihm auf einmal ein Ende machte.

Was machst du, König von Icanien, was machst du hier? rief eine Frau von übermenschlicher Größe, die jetzt im hellen Mondschein, dem Vater und den Töchtern gegenüber stand, und durch ihre Erscheinung die jungen Mädchen in ein Schrecken setzte, welches nur von ihrem Kummer übertroffen wurde.

Hast du Muth zu sterben, fuhr die Erscheinung fort, so mußt du auch Muth haben, dich von diesen Kindern zu trennen; und fehlt es dir nicht an Zutrauen zu mir, sie meinen Händen zu überlassen, wo ist denn das Zutrauen zu dem, in dessen Hand mein Schicksal sowohl ruht, als das ihrige?

Der Verweis in dem Munde der Unbekannten war so sanft, die Miene, mit welcher sie am Ende ihrer Rede ihr Auge gen Himmel erhob, so schön, so ausdrucksvoll, daß man halb und halb mit ihrer außerordentlichen Figur ausgesöhnt wurde, und daß die Prinzessinnen es sich mit weniger Grauen, als sie anfangs gefühlt haben mochten, von ihrem Vater sagen ließen: Dieß sey die weise Velleda, dieses die Hirtin, welche die unschuldigen Lämmer vor dem Wolfe und dem unreinen Hauche der Welt verwahren sollte.

Die Aurinie küßte die jungen Mädchen nach einander; die kleine Velleda, ihre Namensschwester, machte sie eigenhändig aus den Falten des königlichen Mantels los, in welchem sie sich zu verbergen suchte, und hüllte sie in den ihrigen. Du sollst mein seyn, rief sie, indem sie das Kind an ihre Brust drückte, ganz mein, o du Liebe! du Werthe! mir schon durch deinen Namen so theuer! — Und ob alle deine Schwestern für mich und das Glück verloren gingen, so wirst doch Du fest stehen, späten Zeiten ein Denkmal übermenschlicher Kenntnisse und unverwelklichen Ruhms.

Die Worte dieser wunderbaren Frau gingen einem ans Herz, man mußte ihr gewonnen geben, wenn man sie reden hörte. Sie sprach noch viel mit dem Könige und den Prinzessinnen, ihnen den Abschied zu erleichtern, doch dünkt uns, das Klügste, daß sie mit dem Ton ihrer Rede einen sanften Schlummer über die trostloßen Mädchen ausgoß und dadurch ihrem Vater Raum gab, sich mit guter Art zu entfernen.

Sie schlummern nun alle, sagte sie, indem sie dem guten Könige zum Abschied die Hand bot, und getröstet sollen sie erwachen. Trage keine Sorge um sie, sie werden sich bald an, mich gewöhnen, sie werden mich wie eine Mutter lieben, und schwer werden sie von mir zu trennen seyn. Ehe wir zur Trennung schreiten, so laß mich an dich noch einige Fragen thun. Sprich: Warum bargst du diese Kinder in meinen Armen?

Ich glaubte sie im die Arme der Tugend zu legen.

Und wählst du lieber für sie den Tod, als die Gefahr, ihr entrissen zu werden?

Lieber den Tod!

Vergönne mir der Fragen noch eine: Meine Macht ist groß, aber nicht unumschränkt, meines Wissens ist viel, aber ich bin nicht untrüglich, nicht allwissend, auch habe ich lange gelebt, und kann noch länger leben, aber unsterblich bin ich nicht. Sprich, was wird aus den Armen, die hier zu unsern Füßen so ruhig schlafen, was wird aus ihnen werden, wenn über mich das Schicksal gebeut?

Gebiete dann Du über sie, und überlaß sie so treuen Händen, wie die deinigen sind.

Und wenn ich keine finde?

Dann lieber den Tod für sie, als die Gefahr, welcher ich sie jetzt entrissen zu haben glaube.

Wohl! Und so gehe denn, da jetzt alles berichtigt ist, was du diesseit deines Grabes zu besorgen hattest, gehe denn hin, wo das Schicksal dir winkt. Du wirst hinfort des Kummers wenig haben, und kurz wird deine Reise seyn, nach dem Vaterlande.

So schieden sie, und ach, die weise Velleda hatte Recht. Kurz war die Reise des Königs von Icanien, und wenig seines Kummers, oder vielmehr er sollte, da er jetzt sein Liebstes gesichert zu haben glaubte, und mit beruhigten Blick in die Zukunft sah, hinfort gar keinen mehr empfinden.

Auf seiner Rückreise von Mona tobten die Stürme und braußten die Wellen noch ungestümer um das Schiff, als bei der Anfahrt. Er war entweder saumseliger, sein Leben zu retten, als das Leben seiner Kinder, oder eine Gedanken waren zu sehr mit einer Zukunft beschäftigt, die er nicht erreichen sollte, als daß er der Gegenwart gehörig hätte wahrnehmen sollen; genug, der Seefahrer kam aus dem Vortheil, die Winde siegten, das Segel zerriß, das Ruder ging verloren, der Abgrund that sich auf, die Beute zu verschlingen, die ihm das Schicksal preis gab, und nie sah Icanien seinen guten König wieder.

Voadiceens Zustand treffend zu schildern, den Zustand der Gattin, der Mutter, als ihr gewiß ward, sie habe auf einmal den Gemahl und die Kinder verloren, dieses würde unmöglich sein. Auch Gattinnen, auch Mütter werden vielleicht diese Blätter lesen, von ihnen, ihr andern, laßt euch erklären, was ich verschweigen muß.

Wenn Voadicea mit allen Frauen in ihrer Lage, eins, die fast rettungsloße Verzweiflung, gemein hatte, so hatte sie ein anderes vor Tausenden ihres Geschlechts voraus: sie sank nicht, da tausend andere gesunken wären: Das Unglück vernichtete sie nicht, es entwickelte vielmehr neue Kräfte in ihr. Sie hatte sich nie für eine außerordentliche Frau gehalten, nie Anlage zur Heldin oder zur Herrscherin in sich gefühlt, auch pflegte damals noch kein Schmeichler Königinnen solche Dinge in den Kopf zu setzen; aber die Folge sollte lehren, was die Gottheit für Schätze von Muth und Entschlossenheit in ihre Seele gelegt hatte.

An dem nemlichen Tage, da man ihr die eiserne Krone ihres Gemahls, durch ein Wunderwerk von den Wellen ans Land getragen, und in ihr die Gewißheit seines Todes brachte, da erhielt sie auch die schreckliche Post: die Römer, welchen Icanien bisher noch ein unantastbares Heiligthum gewesen war, näherten sich den Grenzen, und entweder schneller Entschluß zu tapferer Gegenwehr, oder das Sklavenjoch, das schon viele andere Brittische Könige ohne Schwerdschlag über sich genommen hatten, müsse gewählt werden.

Ha! sagte Voadicea, die die Krone ihres Gemahls einige Minuten in der ausgestreckten Hand hielt, und sie mit festem Blicke ansahe; du konntest nicht sinken, da der beste der Könige sank, du sollst nicht sinken, ob auch ich sinken müßte. Auf, Völker! Ich bin eure Königin. Die Icanische Krone ziert meine Stirn! Auf! In den mörderischen Feind! Dieses Diadem bringt Sieg, und ob es auch Schläfe umfaßt, die bisher nichts als Blumenkränze trugen.

Voadicea hatte sich mit des Königs eisernen Krone bedeckt, und niemand war, der ihr diesen Schmuck streitig machte; sie war ja von Eisen, solche Diademe drücken wohl, aber sie werden nicht beneidet; doch schrecken sie auch, und das Schrecken ging vor der neuen Heldin her, und besiegte den Feind, ehe ihn noch die Icanischen Waffen erreichten, das Schrecken, ein Weib habe sich ermannt, den Herrn der Welt, vor welchen alles sich beugte, muthig entgegen zu treten. Hier war es, wo Voadicea, so klug als tapfer, den Aberglauben ihres Volks auf ihre Seite zu ziehen, wußte, und sich durch denselben einen der herrlichsten Siege errang. Als es zur Schlacht kam, so erforderte es die Sitte, den Ausgang der Sache durch ein Zeichen zu erforschen. Das furchtsamste Thier, welches die Wälder bewohnt, sollte entscheiden, auf wessen Seite der Sieg, auf welche die Muthloßigkeit fallen würde, die allemal der Niederlage vorhergeht, und siehe, der zwischen beiden Heeren losgelassene Haase, der sich in die geschlossenen Reihen der Römer drängte, brachte in der That diesen Niebesiegten Verderben und Tod, den Icaniern, vermittelt des Muths, den dieses günstige Zeichen ihnen einflößte, einen Triumph, den selbst die Geschichtschreiber des Feindes nicht ableugnen können.

Man hat sich oft die Möglichkeit gedacht, daß menschliche Kräfte durch verdoppelte Last, nicht zu Boden gedrückt, nein, zu raschern Gange gleichsam wieder aufgewunden werden könnten; bei der Königin der Icanier war dieses der Fall; der Verlust des Gemahls und der Kinder, die Gefahr des Vaterlandes, eins von diesen Uebeln allein hätte sie vielleicht zur Trauer einer gemeinen Seele, zur Verzweiflung herabgestimmt, alle zusammen genommen machten sie zur Heldin, zur Siegerin.

Ach, zur unglücklichen, freudenloßen Siegerin. Mit wem sollte sie das Glück und die Ehre des Triumphs theilen? Der Rausch der Gefahr war vorüber. Der laute Beifall des Volks und der Ruhm, der ihr selbst aus dem Munde der Feinde ertönte, folgte ihr nicht in ihr verödetes Haus. Hier herrschte tödliches Schweigen, und der Name Königin, Siegerin, war für sie ein schlechter Ersatz für den süßen Zuruf Gattin und Mutter; ach alle waren dahin, aus deren Munde er ihr einst ertönte!

Im Nachdenken über ihr Schicksal, über den zehnfachen Verlust an einem Tage, mußte indessen ein so heller Verstand, als der ihrige, bald hier und da auf Umstände stoßen, welche Unwahrscheinlichkeiten mit sich führten, und diese Unwahrscheinlichkeiten brachten ihr Trost.

Durch genaues, immer genaueres Nachforschen ward die Königin endlich gewiß, sie sei, wenn auch gleich Wittwe, doch vielleicht nicht ganz kinderloße Mutter. Welchen Weg Voadicea zu dieser Muthmaßung zu gehen hatte, ist unbekannt, genug, sie fand sie, und trunken vor Entzücken, wagte sie Versuche, sich noch glücklicher zu machen.

Sie kam der Wahrheit bald so weit auf die Spur, daß sie jetzt zuverlässig wußte, die Insel Mona sei der Aufenthalt ihrer Kinder, und da sie die weise Velleda kannte, da ihr nicht verborgen war, in welchem Ansehen sie bei dem verstorbenen Könige gestanden hatte, so konnte sie wohl nicht mehr zweifelhaft seyn, in wessen Schutze sich die Prinzessinnen befinden möchten.

Die Königin der Icanier, eine große Dame sie auch war, hatte doch verschiedene Schwächen mit der geringsten ihres Geschlechts gemein, unter andern auch diese, über der Zuneigung eines geliebten Gemahls mit argwöhnischer Eifersucht zu wachen, und mit keinem Geschöpf eine Theilung derselben einzugehen.

Die ungemeine Achtung, mit welcher der König die fremde Velleda beehrte, die Andacht, welcher er auf jeden ihrer Aussprüche horchte, hatten sie ihr von jeher widrig gemacht; sie liebte sie nicht, sie konnte sie nicht lieben. Eintrag in die Rechte ihrer glücklichen Liebe konnte die schöne Voadicea von der bejahrten Aurinie zwar nicht besorgen, die nie schön gewesen war, und deren Riesengestalt allenfalls nur in den wilden Bructerischen Gebürgen, aus welchen sie entsprossen war, nichts schreckendes haben mochte, aber auch die Hochachtung des Königs wollte die zärtliche Gemahlin mit niemand theilen; Velleda diese zu entreißen, war so unmöglich, als Voadicea unfähig war, sich zu diesem Endzweck niedriger Mittel zu bedienen, so duldete sie denn, was sich nicht ändern ließ, aber sie duldete nur so lange, als sie die untergeordnete Rolle der Frau des Königs spielte, selbst Königin, dachte sie anders handeln zu müssen, als ehedem. Ach, ob es ihr nicht beifallen mochte, daß ihr Eigensinn sie um einen Theil des Zutrauens ihres Gemahls gebracht habe, und daß sie ohne denselben Mitwisserin des Geheimnisses geworden seyn könnte, das sie jetzt so unglücklich machte, wenn es nicht vielleicht gar in ihrer Gewalt gestanden haben würde, den raschen Schritt zu hindern, der sie um Gemahl und Töchter brachte.

Voadicea wußte jetzt mit Gewißheit, daß sich die Prinzessinnen in der Gewalt der gehaßten Aurinie befanden. Sie ihr zu entreißen, war der Hauptgedanke der zärtlichen Mutter, aber wie war dies möglich zu machen? Zu Bitten sich gegen diejenige herabzulassen, die sie haßte, und die ihr in dem Raube ihrer Töchter, welchen sie ihr beimas, einen überzeugenden Beweis ihrer Bosheit gegeben zu haben schien, dies war der Siegerin der Römer unmöglich. Vorstellungen würden Aufklärung nach sich gezogen haben, aber auch diese wurden verworfen; nichts blieb also übrig, als Gewalt, welche Voadicea an der heiligen Insel zu verüben zu religiös war, oder List, zu welcher sie, eine biedere nordische Frau, wenig Talent hatte.

Voadicea hatte bei ihrem letzten Siege unter anderer Beute eine junge Römerin in ihre Gewalt bekommen, welche durch tausend Annehmlichkeiten sich derjenigen, deren Fesseln sie trug, zu sehr zu empfehlen wußte, als daß sie dieselben länger als einen Tag hätte tragen sollen. Du bist frei, sagte die Königin der Icanier zu der reizenden Flavia, nimm von dem, was meine Krieger raubten, alles was dein ist, nimm dessen noch mehr, nimm, wenn du willst, alle Gefangene deines Geschlechts die dir lieb sind, und gehe zurück zu den Deinigen, aber gehe eilend, ehe mein Herz sich an dich hänge, und die Götter an mir die Partheilichkeit für eine der Feindinnen meines Vaterlands rächen.