Alien - Jenseits der Sterne - James A. Moore - E-Book

Alien - Jenseits der Sterne E-Book

James A. Moore

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Beschreibung

Das Grauen ist zurück!

Dreihundert Jahre nachdem Ellen Ripley ihren schwersten Kampf gegen die Aliens ausgetragen hat, lebt ihr Nachfahre Alan Decker auf New Galveston, wo er für die Sicherheit der Siedler auf dem fremden Planeten sorgen soll. Doch dann wird eines Tages bei Ausgrabungen der Weyland Yutani Corporation eine eigenartige Kreatur gefunden, und plötzlich findet sich Decker mitten in dem Kampf wieder, den Ripley einst begonnen hat. Denn das Gedächtnis der Aliens ist gut, und sie wollen Rache für das, was Ripley ihnen einst angetan hat ...

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Seitenzahl: 397

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DAS BUCH

Dreihundert Jahre nachdem Ellen Ripley ihren schwersten Kampf gegen die Aliens ausgefochten hat, ist die Besiedelung des Planeten New Galveston durch die Menschen – gesteuert vom Weyland-Yutani-Konzern – in vollem Gange. Alles verläuft planmäßig, bis die Arbeiter bei Grabungen auf ein riesiges Areal aus weichem, schwarzem Sand stoßen, das sämtliche Gebäude zum Einsturz bringt. Doch damit nicht genug: Alan Decker, Ripleys Nachfahre und Vertreter der Interstellaren Handelskommission auf New Galveston, versinkt bei der Besichtigung des Areals ein Stück im schwarzen Sand und wird fortan von Visionen fremder Kreaturen geplagt. Spätestens als Weyland-Yutani dann auch noch in einer Höhle ein außerirdisches Raumschiff entdeckt, ist klar, dass die Menschen nicht alleine auf dem Planeten sind. Als Decker sich zu fragen beginnt, was wirklich hinter Weyland-Yutanis Engagement auf New Galveston steckt ist es schon zu spät: Heerscharen von Aliens greifen die wehrlosen Menschen an, und der Albtraum zwischen den Sternen beginnt. Ehe er sichs versieht muss Decker den Kampf zu Ende führen, den seine Vorfahrin Ripley einst begonnen hat …

Ein atemberaubendes, packendes Abenteuer aus dem Alien-Universum.

DER AUTOR

James A. Moore wurde 1965 in Atlanta, Georgia, geboren. Er schreibt seit über zwanzig Jahren Science-Fiction-, Fantasy- und Horrorromane und war bereits mehrmals für den Bram Stoker Award nominiert.

www.twitter.com/HeyneFantasySF@HeyneFantasySF

www.diezukunft.de

JAMESA.MOORE

ALIEN

JENSEITS DER STERNE

ROMAN

Deutsche Erstausgabe

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

AlienTM – Sea of Sorrows

Deutsche Übersetzung von Kristof Kurz

Deutsche Erstausgabe 10/2015

Redaktion: Werner Bauer

Copyright © 2014 by James A. Moore

AlienTM & © 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation.

All rights reserved.

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN 978-3-641-16261-0

www.diezukunft.de

PROLOG

Allmählich begriff er, was er da sah.

Die Gestalten wirkten fremdartig, aufgedunsen bis zur Unkenntlichkeit und von absurden Sinneseindrücken verzerrt, doch er erkannte die altmodischen EVA-Schutzanzüge ganz deutlich.

Seht, wie sie laufen.

Sie fliehen, wenn wir uns nähern, eingehüllt in ihre künstliche Haut.

Die Tunnel sind dunkel für sie. Sie können nicht gut sehen. Sie spüren weder den Luftzug noch den Geschmack der Furcht an ihrer Beute. Sie verstehen die einfachsten Dinge nicht – zum Beispiel, wie wichtig es ist, die richtigen Wirte zum Fortbestand der Spezies zu finden.

Sie fliehen, einzig und allein auf das individuelle Überleben bedacht. Sie haben keinen Gemeinschaftssinn. Sie sind schwach. Sie lassen sich leicht in die richtige Richtung lenken.

Aber diese hier!

Sie atmet hektisch und keuchend. Ihr Herzschlag ist ein wildes Klopfen aus Verzweiflung und Überlebenswillen. Angst, ja, aber auch Kraft und eine starke Aggression.

Die Bilder drangen ungebeten und unwillkürlich in seinen Kopf.

Er wollte die Augen öffnen, doch seine Lider gehorchten ihm nicht. Er wollte den Kopf schütteln, doch nichts geschah.

Er spürte, wie sich der Körper unter ihm wand, fühlte seinen eigenen Abscheu vor diesen Bewegungen, dem Gestank, dem harten Panzer. Es war falsch. Diese Empfindungen ergaben nicht den geringsten Sinn.

Es waren nicht seine Empfindungen.

Es versucht zu fliehen. Es stößt einen Artgenossen beiseite, schubst ihn zu Boden, steigt darüber hinweg. Staub rieselt von seinem Körper, als es sich aus den zusammenbrechenden Tunneln befreit. Es ist stark. Es ist schnell. Es will leben.

Und das wird es auch.

Schreiend wird es zu Boden gezerrt. Es zappelt, schlägt mit seinen Händen gegen den harten Panzer, sodass ein warnendes Zähnefletschen nötig wird … doch dann zappelt es nur noch stärker. Hinter einem Panzer aus hartem Kunststoff rollt ein weiteres Gesicht wild mit den Augen. Der Mund ist zu einem stummen Schrei geöffnet. Wenn es den Panzer mit seinen bloßen Händen aufbrechen könnte, würde es tatsächlich eine Gefahr darstellen. Doch stattdessen schreit es nur, als sich die Zähne in die weiche Haut bohren und sie ihm vom Körper reißen.

Das warme Blut stinkt nach Schwäche, aber es wird seinen Zweck erfüllen. Wir zerbrechen die Scheibe vor seinem weichen Gesicht. Es keucht, kann nicht mehr atmen.

Der Brüter nähert sich, um seine Saat einzupflanzen. Starke Finger umklammern das weiche Gesicht, das würgt und verzweifelt nach Luft ringt.

Es wird …

Alan Decker schreckte aus dem Schlaf hoch und erblickte sein verzerrtes Spiegelbild, das mit irren Augen zurückstarrte.

Ein Spiegelbild?

Nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht befand sich eine durchsichtige Glasscheibe. Lichter blinkten. Sein Atem kondensierte an der Wand der engen Kapsel.

In Anbetracht der Tatsache, dass er schon viele Male zwischen verschiedenen Welten gereist war, hätte er eigentlich so langsam an das Aufwachen in einer Hyperschlafkapsel gewöhnt sein müssen. Aber diese Träume – diese verdammten Träume – versetzten ihn in Panik. Er konnte nichts dagegen tun, denn sie waren viel zu lebhaft, zu animalisch.

Inzwischen war es so schlimm, dass er sich ein Leben ohne diese Träume schon gar nicht mehr vorstellen konnte.

Seine Hände tasteten die Innenseite der Kapsel ab, suchten nach dem manuellen Öffnungsmechanismus. Er spürte noch immer die Tunnel um sich herum, ein Gewicht, das wie ein ganzer Berg auf ihm lastete, ihn niederdrückte, als er seine Beute verfolgte …

Nein. Ich habe überhaupt niemanden verfolgt. Ich jage nicht, um zu …

Ja, um was zu tun?

Er verdrängte diese Gedanken. Die verdammten Träume waren so lebensecht, so allgegenwärtig, dass er gelegentlich durchaus nachvollziehen konnte, warum die Seelenklempner auf der Erde so viel Freude an ihm gehabt hatten.

1

SCHWARZER SAND

Das Wetter war nahezu perfekt. Die Temperatur betrug mittlerweile über 23°C bei mäßiger Luftfeuchtigkeit und einer leichten Brise aus Südwest. Vor ihm erstreckte sich fruchtbares Land mit üppigen grünen Wiesen. Wasser plätscherte funkelnd in einem Bach, der für die Ewigkeit gemacht zu sein schien. Der Wind duftete nach neuem Leben.

Diejenigen, die dieses Terraforming-Projekt finanziert hatten, hatten keine Kosten und Mühen gescheut, um eine perfekte Kolonie aus dem Boden zu stampfen. Doch wenn man den Blick von der idyllischen Landschaft abwandte und nach Norden sah, war es mit der Perfektion schnell vorbei.

Über eine Fläche von nur wenigen Hektar verdorrte das Gras allmählich und färbte sich gelb; danach folgten beinahe sechzig Meilen schwarzer Sand, und der üble Gestank dort war Gift für die Grundstückspreise. Die Gegend roch und sah so aus, als würde man sie nur im Schutzanzug betreten können, obwohl ein solcher nicht unbedingt erforderlich war.

Immerhin hatte es in der letzten Nacht geregnet, sodass der weiche Sand schwer vor Nässe war. Normalerweise sank man bei jedem Schritt sofort mehrere Zentimeter tief ein. Der Regen hatte dafür gesorgt, dass man in nächster Zeit einigermaßen ungehindert darauf laufen konnte, ohne den Eindruck zu bekommen, gleich auf Nimmerwiedersehen darin zu versinken.

Decker studierte die jüngsten Berichte über die in dieser Gegend entnommenen Bodenproben auf dem Bildschirm seines Palmtops und runzelte die Stirn. Was hier geschah, hatte allem Anschein nach keine natürlichen Ursachen. Und meistens deutete in einer solchen Situation jedes Phänomen, das nicht natürlichen Ursprungs war, auf Schlamperei und Pfusch hin. Die Interstellare Handelskommission, kurz ICC, war dafür zuständig, bestimmte Richtlinien in Bezug auf Sicherheit und Wettbewerbsgerechtigkeit sowohl auf der Erde als auch in den immer zahlreicheren Kolonien im Weltraum durchzusetzen. Als Deputy Commissioner der ICC war es Deckers Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle Bestimmungen ordnungsgemäß eingehalten wurden. Was mit einer gewaltigen Menge von Papierkram einherging, der ihm sowohl seinen Posten garantierte als auch gewaltige Kopfschmerzen bereitete – und zwar immer dann, wenn die verantwortliche Firma eine lange Liste mit Widersprüchen zu seinen Beanstandungen einlegte.

Lucas Rand stand neben ihm und betrachtete dieselben Informationen. Doch Rand grinste, was selten genug vorkam. Er begriff genauso gut wie Decker die Konsequenzen der vorliegenden Resultate, aber er war nicht derjenige, der deshalb endlose Formulare ausfüllen musste. Rand war Mechaniker in Diensten des ICC und wurde dafür bezahlt, die Probleme aus der Welt zu schaffen, die Decker aufspürte. Und dann war Gott weiß wer dafür zuständig, den Firmen die Reparaturkosten in Rechnung zu stellen. Die Mühlen der Bürokratie.

Aber man konnte davon leben.

Decker blickte ihn finster an.

»Ich will nichts davon hören, wie einfach du es hast«, sagte er. »Klar, ich muss mich um den Papierkram kümmern, aber du wirst rausfinden, wie wir diesen Schlamassel wieder beseitigen.«

Daraufhin war Rands Grinsen nicht mehr ganz so breit.

»Ich weiß nicht, ob wir das überhaupt wieder hinbekommen«, knurrte er und blickte auf den Sand. Wenn er nicht gerade grinste, nahm sein Gesicht für gewöhnlich einen mürrischen Ausdruck an. Dennoch war Luke Rand einer der nettesten Menschen, die Decker je kennengelernt hatte. Er sah nur so aus, als würde er Bären zum Frühstück verspeisen. Außerdem bestand sein massiger Körper nicht ausschließlich aus Muskelmasse.

»Schon möglich. Aber ich werde nicht den Kopf hinhalten, wenn du es verbockst«, erwiderte Decker. Jetzt war er es, der grinste. »Sondern du.«

Rand kratzte sich das haarige Genick und starrte auf das Meer der Tränen hinaus. Als »Meer der Tränen« bezeichneten die Terraformer seit Jahrhunderten diejenigen Orte, an denen die Siedler ihr Blut, ihren Schweiß und ihr Geld ließen, ohne nennenswerte Fortschritte zu machen. Es war, als hätte sich der Erdboden selbst dazu entschlossen, keine Eindringlinge zu dulden und die Kolonisten wieder zu verjagen.

Dieses Meer der Tränen hätte eigentlich gar nicht existieren dürfen. Das Terraforming des Planeten LV178 – auch unter dem Namen New Galveston bekannt – war durch Leute erfolgt, die ihre Arbeit verstanden. Man musste nur in eine beliebige andere Richtung schauen, um sich davon zu überzeugen, wie gut sie ihre Aufgabe erledigt hatten. Es war ein albtraumhafter Planet mit tobenden Stürmen, einer lebensfeindlichen Atmosphäre und nicht einem Tropfen Trinkwasser gewesen. Vor Beginn des Terraformingprojekts waren alle Investitionen buchstäblich in den Sand gesetzt worden.

Dann hatte Weyland-Yutani die Sache in die Hand genommen.

Vor dreißig Jahren waren die ersten Siedler gelandet. Inzwischen diente New Galveston im Großen und Ganzen als Musterbeispiel für ein geglücktes Kolonisationsprojekt. Um drei größere Städte, die durch ein Netzwerk aus High-Speed-Zügen miteinander verbunden waren, erstreckte sich genug fruchtbares Land, damit sich die Kolonisten selbst versorgen konnten und nicht auf Konserven oder andere teuer importierte Güter angewiesen waren.

Alles im grünen Bereich, wie Rick Pierce gerne sagte. Pierce hatte die Kolonie gegründet. New Galveston war sein ganzer Stolz gewesen – bis dieses Meer der Tränen aufgetaucht war.

Als Weyland-Yutani das Terraforming beendet hatte, war davon noch nichts zu sehen gewesen. Die Atmosphärenwandler hatten ihre Aufgabe zu aller Zufriedenheit erfüllt. Auf LV178 war alles in Butter – bis man das Fundament für die geplante vierte Stadt gelegt und mitten auf der Baustelle ein paar Hektar weichen schwarzen Sand entdeckt hatte.

Der Sand hatte sich weiter ausgebreitet, erst langsam, dann immer schneller. Anfangs stellte er ein Hindernis dar, später eine Bedrohung. Wo der Sand auftauchte, wuchs kein Gras mehr, denn er enthielt Giftstoffe, die den Aufbau einer lebensfähigen Kolonie unmöglich machten.

Schließlich hatte ein fast organisches Wachstum von Siliziumröhren stattgefunden. Die glänzenden schwarzen Gebilde aus geschmolzenem Sand waren wie die Pilze aus dem Boden geschossen. Sie stellten eine weitere Gefahr dar, da man sie nur schwer aufspüren konnte. Vier im Bau befindliche Fertiggebäude waren eingestürzt, weil das Silizium ihre Last nicht hatte tragen können.

Dies stellte ein ernstes Problem dar, da die Fertigbauweise die einzige Möglichkeit für das New-Galveston-Kollektiv darstellte, eine neue Stadt zu errichten.

Solange Decker und sein Team nicht herausfanden, was hier schiefgelaufen war, würde es keine neue Stadt geben. Wenn sie versagten und die Sandwüste sich weiter ausbreitete – und womöglich eines der bestehenden Siedlungsgebiete erreichte – war ganz LV178 in Gefahr.

Die ICC verabscheute Risikosituationen. Weyland-Yutani dagegen – ein Konzern, der keine Mühe scheute, den Anschein einer makellosen Bilanz zu wahren – verabscheute Fehlschläge, insbesondere bei einer so gewaltigen Investition.

Decker und Rand standen also gewaltig unter Druck. Decker würde jeden Schritt der Operation genau beobachten und dem Konzern jeden noch so kleinen Missstand berichten.

Während Rand und sein Team den Schaden reparierten.

In der Nähe mühten sich zwei Männer aus Deckers Team mit einem Hohlkernbohrer ab, der sich nicht richtig auf dem weichen Boden aufstellen lassen wollte. Etwas weiter entfernt lungerten mehrere Arbeiter herum – anscheinend machten sie gerade Pause.

Momentan versuchte ein siebenunddreißigköpfiges Team mithilfe der neuesten Technik auf dem Gebiet der Spektralanalyse und der chemischen Geoforensik herauszufinden, was hier vor sich ging. Ihre Apparate waren zwar nicht ganz so eindrucksvoll wie die Atmosphärenwandler, die diese Welt völlig umgekrempelt hatten, aber fast.

Das Gewicht der Ausrüstung stellte allerdings ein Problem dar, da selbst der feuchte Sand alles andere als einen stabilen Untergrund bildete. Die Plattform, auf der sie den Hohlkernbohrer aufstellen wollten, war viel zu klein – sie hätten sie erweitern müssen. Doch er verzichtete darauf, sich einzumischen. Die Typen waren Sturköpfe, die ihn nicht als ihren Chef akzeptierten und für die Teamwork ein Fremdwort war. Wenn er ihnen sagen wollte, wie sie ihre Arbeit zu tun hatten, würde er schnell Schwierigkeiten bekommen. Diese Männer dachten in erster Linie mit ihren Fäusten.

Obwohl Decker keinem Kampf aus dem Weg ging, konnte er auf solche Probleme gut verzichten. Trotzdem brauchten sie diese Bodenproben, wenn sie sich einen Reim auf das seltsame Phänomen machen wollten.

Erneut blickte er auf den Palmtop und biss die Zähne zusammen. Irgendetwas an der ganzen Sache schrie förmlich nach einer Katastrophe. Er hatte auf Dutzenden verschiedener Welten haarige Situationen erlebt. Man konnte die Biosphäre eines ganzen Planeten nicht völlig ummodeln, ohne ein gewisses Risiko einzugehen. Meistens waren die Probleme jedoch schnell behoben, wenn man sie auf die richtige Weise anging.

Aber hier?

Ihm schwante, dass sich dieses Problem nicht so einfach lösen lassen würde.

Der Boden war verseucht, und seiner Erfahrung nach deutete das auf menschliches Einwirken hin. Wenn man nur tief genug nachforschte und die Akten aufmerksam studierte, würde die Wahrheit früher oder später ans Licht kommen. Irgendjemand hatte hier so richtig Scheiße gebaut, doch es gab keine Aufzeichnungen darüber.

Das roch nach Vertuschen.

Allein bei der Vorstellung wurde Decker ganz anders. Wie man es auch drehte und wendete – irgendwann würde er nicht darum herumkommen, einem der größten Megakonzerne überhaupt die Schuld dafür zu geben.

Es wäre allerdings nicht das erste Mal. So professionell Weyland-Yutani auch arbeitete, eine weiße Weste hatte das Unternehmen bei Weitem nicht. Hier deutete sich der dritte Zusammenstoß zwischen ihm und dem Unternehmen an, und den beiden vorhergehenden nach zu schließen standen ihm »interessante Zeiten« im Sinne des alten chinesischen Sprichworts bevor. Der Konzern reagierte allergisch, wenn man ihn mit Schmutz bewarf, und seine Anwälte würden alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Unternehmen reinzuwaschen.

Feiges Pack.

Rand deutete auf den Bildschirm.

»Trimonit? Echt?« Er sah auf. »Das erklärt so einiges.« Jetzt blickte er noch finsterer drein als sonst.

»Ja«, sagte Decker. »Könnte sein.« Trimonit war ein erstaunlich dichtes Material, das zur Fertigung schwerer Maschinen benötigt wurde. Seine Förderung war kompliziert und sein Wert entsprechend hoch.

Doch das Trimonit allein konnte dieses Problem nicht verursacht haben. Es musste erst raffiniert werden, bevor es industriell weiterverarbeitet werden konnte, und erst dieser Prozess war häufig mit einem hohen Schadstoffausstoß verbunden. Selbst wenn sich unter dem Meer der Tränen unraffiniertes Trimoniterz befand, war das kaum der Grund für die Giftkonzentration im Boden. Und wie passte das Silizium ins Bild?

Wieder konsultierte er den Bildschirm. Dann nickte er.

»Wir müssen tiefer graben. Im wahrsten Sinne des Wortes«, sagte er. »Glaubst du, dass hier mal ein Bergwerk war?«

Rand schüttelte den Kopf. »Das würde zwar die Giftstoffe erklären«, antwortete er, »aber ich hab die Aufzeichnungen der ICC gründlich durchgeackert. Nichts. Außerdem würde ja wohl niemand eine Stadt auf einer alten Mine bauen, oder? Das wäre Wahnsinn – eine Kolonie auf einer Giftmülldeponie. Da müsste man entweder bescheuert oder völlig skrupellos sein.«

Wohl wahr, dachte Decker. Und im Falle von Weyland-Yutani wusste er auch ganz genau, welche dieser beiden Möglichkeiten zutraf. »Das müssen wir uns genauer ansehen«, sagte er. »Ich will nicht behaupten, dass ein altes Bergwerk des Rätsels Lösung ist, aber es wäre zumindest ein Anfang.«

Rand schnaubte, verzog das Gesicht und spuckte in den schwarzen Sand. »Selbst wenn da eine Mine war, würde das diese Scheiße hier nicht erklären.« Er schob den Sand mit dem Fuß beiseite, sodass ein Glasklumpen zum Vorschein kam. »So was hab ich noch nie gesehen.« Er stellte den Stiefel so fest auf den Klumpen, dass das Glas zerbrach. Diese Dinger wucherten wie wahnsinnig – hohle Gebilde, die von unten an die Oberfläche drängten. Die Röhren waren äußerst zerbrechlich und reichten offenbar bis in unergründliche Tiefen.

»Diese Dinger könnten ein viel größeres Problem als das Trimonit darstellen.« Decker schüttelte den Kopf. »Welcher industrielle Giftmüll soll denn bitte schön dafür verantwortlich sein, dass praktisch über Nacht alles voller Siliziumröhren ist?« Er starrte den Glasklumpen an, als könnte der ihn jeden Augenblick beißen.

»Na ja, wie du schon sagst …« Rands Grinsen war zurück. »Ich muss das ja nicht erklären. Sondern du, Kumpel. Ich muss das Ganze nur wieder in Ordnung bringen.«

Deckers Antwort bestand aus einer obszönen Geste und einem Lächeln. Er hatte schon eine schlagfertige Antwort auf den Lippen, als ihn ein plötzlicher Übelkeitsanfall beinahe in die Knie zwang.

2

UNSICHERES TERRAIN

In etwa hundert Metern Entfernung fingen zwei Mechaniker an zu streiten. Das wusste Decker genau, obwohl er sie nicht hören konnte.

Er spürte es.

Den Grund der Auseinandersetzung kannte er nicht. So funktionierte das nicht, doch immerhin wusste er, dass sich ihre Wut mit jeder Sekunde steigerte. Sobald er sich wieder einigermaßen in der Gewalt hatte, warf er ihnen einen finsteren Blick zu.

Bronson und Badejo. Die beiden konnten sich nicht leiden, arbeiteten normalerweise jedoch ohne größere Probleme zusammen. Anscheinend war das hier die Ausnahme von der Regel. Bronson deutete wütend auf Badejo. Der dunkelhäutige Mechaniker starrte mit verächtlicher Miene auf den Finger seines Gegenübers, als wäre er eine Giftschlange.

Der mutmaßliche Auslöser des Streits stand neben ihnen: Der Hohlkernbohrer ragte in einem aberwitzigen Winkel vom Boden auf, viel zu steil, um damit eine Probe heraufzuholen. Wenn sie die Plattform nicht im Sand verankerten, würde es der Bohrkopf kaum weiter als ein paar Hundert Meter schaffen. Aber dazu brauchte es Feingefühl.

Und Feingefühl war im Moment wohl Mangelware. Die Auseinandersetzung wurde immer lautstärker.

Decker riss sich zusammen und bereitete sich auf die unvermeidliche Eskalation der Auseinandersetzung vor. Trotz der Entfernung spürte er die aufgewühlten Emotionen der beiden Männer ganz deutlich. Eine Gabe, mit der er sich schon viele Jahre herumschlug. Als Jugendlicher hatte sie ihm Angst gemacht, bis ihn sein Vater mit folgenden Worten beruhigt hatte: »Es ist nichts Falsches daran, die Gefühle der anderen zu kennen«, sagte er. »Aber nicht alle werden das verstehen. Sie werden denken, dass du in ihre Privatsphäre eindringst, und das macht sie wütend. Sie werden alles Mögliche versuchen, um dir zu schaden. Am besten erzählst du niemandem davon. Behalt es einfach für dich.«

Dad hatte immer recht. Das war eine der ersten Lektionen, die Decker in seinem Leben gelernt hatte. Und so war sein »Talent«, wie sie es untereinander nannten, sein Geheimnis geblieben.

»Hey, Decker, alles klar?«, fragte Rand. »Lass sie doch. Die sind nur …« Bevor er weitersprechen konnte, steigerte sich das Streitgespräch zu wütendem Gebrüll, und nun wandte auch er sich Badejo und Bronson zu.

»Nimm den Finger aus meinem Gesicht, wenn du ihn nicht verlieren willst, du Winzling«, knurrte Badejo, der seinen Kollegen weit überragte.

»Wen nennst du hier einen Winzling?« Bronson war zwar ein Sturkopf, aber nicht besonders aggressiv. Jetzt allerdings trat er mit hochrotem Kopf einen Schritt auf den größeren Mann zu.

Decker lief mit einer unguten Vorahnung über den Sand auf die beiden Männer zu. Mit einer Rauferei war niemandem geholfen. Am Ende hätte er nur noch mehr Papierkram zu erledigen, schließlich war er derjenige, der einen Bericht über den Vorfall schreiben musste. Als er näher kam, fing sein Kopf an zu pochen.

»Jungs, beruhigt euch, und arbeitet weiter, ja?«, rief er ihnen zu. Er zwang sich zu einem besänftigenden Ton, doch sie schienen ihn ganz offensichtlich nicht zu hören. Je näher er kam, desto schlimmer wurden die Kopfschmerzen. Ihre Wut war nun wie ein gefährliches Raubtier. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu Handgreiflichkeiten kam.

Rand folgte Decker. Er musste nicht nachfragen, was passiert war. Er sah es mit eigenen Augen. Die anderen waren ebenfalls auf den Streit aufmerksam geworden und kamen näher, um den sich anbahnenden Kampf besser beobachten zu können.

Und tatsächlich holte Bronson aus. Decker hätte darauf gewettet, dass Badejo den Anfang machen würde, doch überraschenderweise landete der kleinere Mann zuerst einen linken Haken gegen Badejos Kiefer.

Dieser dachte jedoch nicht daran, zu Boden zu gehen. Mit einem teuflischen Grinsen packte er Bronsons Arme und zog ihn zu sich heran, um ihm eine ordentliche Abreibung zu verpassen.

Hinter den Männern schwankte die Plattform im Sand. Es war nur eine leichte Erschütterung, doch wenn die beiden Männer nicht aufhörten, konnte noch ein Unglück geschehen.

»Hey! Vorsicht!«, brüllte Rand und lief schneller. Auch Decker rannte auf sie zu. Die Situation geriet zusehends außer Kontrolle.

Sie erreichten die Streithähne ungefähr zur gleichen Zeit. Rand packte Badejos Arm. Dieser riss sich los und vergrub seine Faust in Bronsons Gesicht. Der kleinere Mann taumelte zurück. Hätte Badejo auch nur ein bisschen mehr Kraft in den Schlag gelegt, hätte er Bronsons Schädel zertrümmert. Doch auch so hätte die Wucht eigentlich ausreichen müssen, um den Kampf zu beenden – nur dass Bronson den Hieb einfach so wegsteckte und erneut zum Angriff überging. Er stemmte den Fuß gegen die Bohrerplattform und stieß sich davon ab.

Die Maschine rutschte noch etwas tiefer.

»Hört auf damit!« Decker fing Bronson ab, bevor dieser zurückschlagen konnte. Der kleine, drahtige Mann war völlig außer sich. Seine blinde Wut gellte wie ein Schrei durch Deckers Kopf. Am liebsten wäre er vor dieser mächtigen Emotion geflohen, doch diesem Drang durfte er nicht nachgeben – nicht, wenn er die Situation entschärfen wollte, bevor sie vollends eskalierte.

Er stellte sich breitbeinig hin und schubste Bronson von sich weg. Decker hatte auf Welten mit der eineinhalbfachen Schwerkraft der Erde gearbeitet und war dementsprechend kräftig. New Galveston war für einen Planeten zwar nicht gerade klein, doch seine Dichte entsprach ungefähr der der Erde, sodass ihm seine überentwickelten Muskeln einen klaren Vorteil verschafften.

Der kleine Mann trat noch einmal gegen die Plattform, woraufhin sich diese um ein paar weitere Grad senkte.

»Aufhören, hab ich gesagt!«, knurrte Decker.

Badejo schubste Rand, sodass dieser zurückwich und gegen Decker prallte – nicht stark, aber stark genug. Unter Deckers Füßen gab etwas nach.

Scheiße!

Und dann sank er ein.

Ich bin in einer Siliziumröhre gelandet, erkannte er.

»Verflucht, Luke! Hol Hilfe!«, brachte er noch heraus, dann zerbrach die Röhre unter seinem Gewicht. Sein Bein rutschte mehrere Zentimeter ab, und instinktiv griff er nach der Plattform.

Ein Fehler, wie er sofort bemerkte. Verflucht, was für ein bescheuerter Fehler.

Der Schwerpunkt der Plattform verlagerte sich, und die ganze Apparatur rutschte auf ihn zu. Er spürte, wie der Sand unter ihm wegsackte, wie das Gewicht der Plattform immer stärker auf ihn drückte, und dann war es verdammt noch mal zu spät.

3

DER GERUCH

Decker schrie, als die Plattform auf ihn niedersank. Ihr Gewicht trieb ihn immer tiefer in den weichen Sand.

Zum einen hatte er natürlich Angst – immerhin bestand die erschreckende Möglichkeit, von der Maschine zerquetscht zu werden. Hinzu kam der völlig unerwartete Schmerz. Irgendetwas bohrte sich von unten in sein Bein, wahrscheinlich ein Stück der verdammten Siliziumröhre. Als das Gewicht auf ihn drückte, spürte er einen höllischen Stich.

Unmittelbar darauf lief warme Flüssigkeit in seinen Stiefel. Und eingenässt hatte er sich ganz sicher nicht.

Ich blute. Die Umstehenden riefen seinen Namen, und er zwang sich zur Ruhe. Panik würde ihm hier auch nicht weiterhelfen, sondern eine kritische Situation womöglich nur noch weiter verschlimmern. »Badejo, geh auf die andere Seite der Plattform«, sagte er, »und sieh zu, dass du das Ding irgendwie verankert bekommst. Sonst erdrückt es mich.«

Badejo verlor keine Zeit. Er nickte und rannte los, wobei er den anderen etwas zurief. Sie alle waren sich des Risikos bewusst. Mit dem Bohrer darauf wog die Plattform beinahe eine halbe Tonne. Sollte sie sich noch weiter neigen, konnte er von Glück reden, wenn er nur sein Bein verlor. Wahrscheinlicher war es jedoch, dass sie ihn zermalmte.

Sie mussten das gottverdammte Ding stabilisieren!

Bronson lief zu den Sanitätern im Basislager hinüber. Seine Wut war völlig verraucht. Rand beugte sich zu Decker hinunter.

»Was ist da unten los?«, fragte er.

»Ich blute ziemlich stark«, sagte Decker, verzog das Gesicht und atmete ein paarmal tief durch. »Bist du immer noch der Meinung, dass mich das nichts angeht?«

»Nein.« Rand schüttelte den Kopf und starrte auf ihn herab. »Soll ich versuchen, dich rauszuziehen?«

»Auf keinen Fall!« Allein bei der Vorstellung bekam Decker Gänsehaut. »Ich stecke fest. Wenn ich mich zu ruckartig bewege, könnte was auseinanderreißen.«

»Also gut.« Luke wurde etwas bleich um die Nasenspitze. »Dann lassen wir’s bleiben.« Er sah sich um. »Na los! Verankert die Plattform endlich!«, rief er.

Badejo und ein anderer Mann brüllten eine Antwort, die Decker wegen des Rauschens in seinen Ohren nicht hören konnte. Genauso wenig wie er den Boden unter seinem Stiefel spürte. Eigentlich spürte er gar nichts, was bedeutete, dass sein Fuß entweder in der Luft hing oder taub geworden war. Beide Möglichkeiten sagten ihm nicht besonders zu. Wenn er sein Körpergewicht nicht irgendwo abstützen konnte, war die Situation noch heikler als gedacht. Sollte die Siliziumröhre noch weiter auseinanderbrechen, würde die Plattform auf ihn fallen und ihn erdrücken.

Wenn sein Fuß dagegen taub geworden war, deutete das auf einen bleibenden Nervenschaden hin – oder, schlimmer noch, dass das Bein bereits abgetrennt war.

Aber das bezweifelte er. Er spürte zwar keinen Boden unter dem Fuß, aber die Schmerzen darin waren so stark, dass er ihn unmöglich verloren haben konnte. Zum ersten Mal in seinem Leben freute er sich, dass ihm etwas wehtat.

Die Plattform knarrte und erzitterte über ihm. Der Hohlkernbohrer wackelte heftiger, als gut für ihn war.

»Scheiße«, krächzte er. »Was für eine idiotische Art zu sterben, Luke.«

»Du stirbst schon nicht. Dafür schuldest du mir zu viel Geld.« Rand stand auf und sah zur gegenüberliegenden Kante der Plattform hinüber. »Sie sind schon dabei, das Ding zu verankern.«

Da verliert man einmal beim Pokern, und schon ist er rührend um meine Gesundheit besorgt.

Die Plattform wurde erneut durchgeschüttelt, doch diesmal hob sie sich tatsächlich. Decker atmete tief und erleichtert aus und hoffte das Beste. Das Rauschen in seinen Ohren war leiser geworden. Dann bemerkte er eine plötzliche Bewegung zu seiner Linken.

Markowitz und Herschel kamen auf ihn zu. Markowitz trug eine Sanitätstasche und stellte – wie auch sonst fast immer – eine besorgte Miene zur Schau. Herschel dagegen schien ruhig und gefasst – wie auch sonst fast immer. Er war sogar eiskalt, doch Deckers Erfahrung nach war das ein Wesenszug vieler Mediziner.

Herschel rief Rand zu sich.

»Kannst du ihn auf mein Kommando hochheben?«

Rand nickte und kniete sich hin.

»Alles gesichert?«, rief Herschel Badejo zu.

»Ja«, antwortete dieser. »Bombenfest.«

Das klang wie eine Lüge. Wahrscheinlich sorgte der Stress für diesen Eindruck, doch Decker bezweifelte es. Sie alle waren ziemlich nervös. Wahrscheinlich, weil er leichenblass war. Zumindest seine Hände waren bleicher als zuvor, fast grauweiß. Wie viel Blut habe ich verloren? Das war schwer zu sagen – jedenfalls schwirrte ihm der Kopf.

Allmählich breitete sich die Taubheit von seinem Fuß auf den restlichen Körper aus.

»Leute, ich glaube, der Schock setzt ein«, sagte er mit dünner Stimme. Markowitz nickte und kramte in ihrer Sanitätstasche, Herschel kniete sich neben Rand. Sein Gesicht war nur noch Zentimeter von Deckers entfernt. Decker wäre es lieber gewesen, Markowitz so dicht vor sich zu haben, aber in einer solchen Situation konnte man eben nicht wählerisch sein.

Herschel strahlte Nervosität in starken Wellen aus. Mit ruhiger Miene verkündete er die nächste Lüge. »Das wird schon wieder, Decker. Hör auf zu jammern. Wir haben dich.«

Decker nickte nur. Er konnte nicht mehr sprechen.

Die Luft war stickig und abgestanden. Was ihnen in der Finsternis nichts ausmachte. Sie schliefen, und nur gelegentlich erwachten einer oder zwei, um sich umzusehen, bevor sie wieder in den Schlummer sanken.

Im Schlaf verbrauchten sie weniger Energie. Sie waren schwach, aber am Leben. Und nur das zählte. Das Leben. Das Leben des Schwarms.

Hin und wieder spürten sie Erschütterungen von oben. Späher wurden ausgeschickt. Sie sahen die Stürme, die auf der Oberfläche wüteten, diese Welt in immer neue Formen zwangen. Die Naturgewalten waren einer der Gründe, weshalb sie schliefen.

Was die Späher wussten, wussten sie alle.

Sie hatten ihre Nester erbaut und warteten auf den richtigen Zeitpunkt. Warteten auf neue Quellen der Nahrung und des Lebens.

Mit einem Mal wehte ein frischer Hauch durch die abgestandene Luft. Nur ein Hauch, nicht genug, um sie aufzuwecken. Doch das, was darauf folgte, reichte sehr wohl.

Blut.

Der vielversprechende, aromatische Duft von Blut. Doch selbst dieser Hauch von Blut war nicht genug, um sie aus ihrem Schlummer zu wecken. Nein, da war noch etwas anderes. Aus der Siliziumröhre, die ihnen diesen Duft brachte, drang etwas, dem sie unter keinen Umständen widerstehen konnten: der Geruch des Feindes.

Sein Gestank waberte durch die geheimen Kammern und Tunnel, die sie im Laufe von Jahrzehnten gegraben hatten. Er riss sie aus dem Schlaf. Sie mussten sich verteidigen.

Sie regten sich, kehrten zur Bewusstheit zurück.

Und mit dem Bewusstsein spürten sie seine Präsenz.

Ihr Hass wuchs.

Hätte das Feuer ihres Zorns tatsächliche Hitze verströmt, so hätten sie den ganzen Planeten in Asche verwandelt.

Mit geschickten Bewegungen schnitt Herschel Deckers Hose auf, sodass die blutige, klaffende Wunde im Oberschenkel zum Vorschein kam. Kurzzeitig überkam Decker ein Anflug irrationaler Scham, als er sich vorstellte, dass Markowitz ihn in diesem Zustand sah. Es gab nichts Unattraktiveres als einen bloßgestellten, verwundbaren Mann, und in diesem Moment war Decker in mehr als nur einer Hinsicht exponiert.

Doch daran ließ sich nichts ändern. Markowitz betastete die Wunde und betäubte sie mit einem Lokalanästhetikum und drei schnell hintereinander verabreichten Injektionen. Seine Haut fühlte sich erst kalt an, dann spürte er gar nichts mehr. Was nach der Besorgnis zu urteilen, mit der die beiden Helfer sein lädiertes Bein betrachteten, wohl das Beste war. Er rechnete mit dem Schlimmsten, und die Sanitäter schienen ganz seiner Meinung zu sein.

Dennoch arbeiteten die beiden schnell und mit einer Effizienz, wie sie nur langjährige Kollegen zustande bringen. Sie verständigten sich allein mit knappen Worten und Gesten, und jedes Mal, wenn er ihre Hände zu Gesicht bekam, schien mehr Blut an ihren Handschuhen zu kleben.

Rand war ebenfalls an seiner Seite und flüsterte ihm Blödsinn zu: dass er bald wieder gesund und »alles senkrecht« sein würde – was auch immer das bedeuten sollte. Decker spürte, dass er log.

Nach und nach jedoch veränderten sich die Emotionen der Anwesenden. Was auch immer sie mit ihm anstellten, während er in den Himmel starrte, allmählich setzte allgemeine Erleichterung ein. Das war ein gutes Zeichen, oder? Vielleicht konnten sie ihn ja tatsächlich wieder zusammenflicken. Er befand sich noch immer in jenem seltsamen Dämmerzustand. Als er sich über die Lippen leckte, fühlte sich seine Zunge an, als würde sie an seinen Zähnen und dem Gaumen festkleben.

Dann rutschte sein Kopf nach links, und statt des Himmels hatte er nun Markowitz direkt vor Augen. Sie streckte die Hände nach ihm aus. Dabei beugte sie sich über ihn, und er erhaschte einen wunderschönen Blick in ihren Ausschnitt. Allerdings waren ihre Arme bis zu den Ellenbogen rot gefärbt, und neben ihr lag ein beunruhigend großer Haufen blutdurchtränkter Mullbinden. Er hatte sie noch nie so ernst dreinblicken sehen.

»Ich hab’s. Endlich!« Herschel klang aufgeregt – und so, als wäre er unendlich weit weg, dabei stand er doch direkt neben ihm. Nach Deckers Dafürhalten hätte er sich jedoch genauso gut im hundert Meilen entfernten Rutledge befinden können.

»Gott sei Dank«, bemerkte Rand aus derselben gewaltigen Distanz.

Markowitz schwieg, atmete jedoch auf dramatische Weise aus. Am liebsten hätte er jetzt eine anzügliche Bemerkung gemacht – sie hätte es ihm bestimmt nicht übel genommen –, doch sein Mund wollte ihm nicht gehorchen, und ihm fiel auch nichts halbwegs Geistreiches ein.

Sie richtete sich auf und sah ihn mitleidig aus ihren dunkelbraunen Augen an. Ihre Erleichterung war mit Händen zu greifen, und er spürte ihre Zuneigung. Aber keine Liebe und erst recht kein körperliches Begehren. Nur Zuneigung. Schade aber auch. Sie lächelte und sagte etwas, das er nicht verstehen konnte.

Aber es gefiel ihm, wie sich ihre Lippen bewegten.

Er entspannte sich und glitt in die Finsternis hinüber. Hin und wieder war es ganz schön, sich einfach mal treiben zu lassen.

Bis ihm der Hass wie eine Sturmflut entgegenschlug.

Der Feind!

Das widerwärtige Ding, das uns verbrannt und getötet und geplündert hat. Das personifizierte Böse. Der Tod.

Das Gesicht war so blass und schwach wie das all der anderen Wirte, jener Neuankömmlinge, die geopfert werden mussten, um das Überleben des Schwarms zu garantieren.

Aber dieses hier war anders. Dieses hier war gezeichnet.

Dieses hier …

Was zum Teufel? Decker riss den Kopf herum und zitterte. Irgendetwas ging hier vor sich, und es klang wie eine Explosion tief in seinem Kopf. Er spürte es, sah es und schmeckte es – aber nicht mit seinen Sinnen.

Das Dröhnen kam auf ihn zu, eine Welle aus Empfindungen, die ihm völlig fremdartig waren und seinen Verstand über die Maßen verwirrten. Nur eine Botschaft verstand er sehr deutlich.

Dieses hier muss sterben.

Ein überwältigendes Gefühl der Niedertracht. Es war schlimmer als Ertrinken – er konnte nicht atmen, sich nicht bewegen und die anderen auch nicht warnen. Da war nichts außer dem Schlangennest, das sich in seinem Gehirn wand, ein Durcheinander aus Angst und Schrecken und … etwas anderem.

Etwas, das sich wie Öl über seinen Verstand legte und einen üblen Nachgeschmack in seiner Seele hinterließ. Der Hass zerrte an ihm, drohte ihn zu zerschmettern. Decker zitterte, wollte schreien, doch nichts geschah. Sein Körper war wie gelähmt. Seine Augen rollten unter den Lidern, die er einfach nicht aufbekam. Etwas summte in seinen Ohren, wie ein Finger, der über den Rand eines Weinglases fährt. Es übertönte alles andere – bis auf Markowitz’ alarmierten Schrei.

Der Hass drang immer weiter in ihn ein, traf ihn wie ein Blitz und bohrte sich in seinen Verstand und seinen Körper.

Decker wollte etwas sagen, brachte aber die Zähne nicht auseinander.

Wieder schnappte er vergeblich nach Luft. Er konnte weder ein- noch ausatmen. Seine Brust bebte und zuckte nur.

Dann strampelte er mit den Beinen, und der Schmerz – der gerade noch so weit entfernt gewesen war wie ein Donnergrollen am anderen Ende eines Tals – erwachte erneut zum Leben. Wieder Geräusche, Hilferufe, und dann wurde sein Bein von mehreren Händen gepackt. Er spürte den Druck, konnte aber beim besten Willen nicht erkennen, wem sie gehörten.

Seine Finger gruben sich in den Sand. Er suchte verzweifelt nach Halt, um nicht von dem gewaltigen, stetig wachsenden Loch aus Hass und Wut verschlungen zu werden, das alles andere mit sich riss. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine so starke Feindseligkeit gespürt zu haben. Er hatte sich so etwas bis gerade eben nicht einmal vorstellen können.

Wieder versuchte er zu schreien. Diesmal wurde sein Körper durchgerüttelt und verkrampfte sich, sodass er den Rücken durchdrückte und seine Augen in den Kopf rollten. Sein Kiefer klappte auf, dann schloss er sich wieder. Seine Zähne bohrten sich in seine Zunge. Heißes Blut schoss in seinen Mund, und er würgte vor Furcht.

Immerhin gelang es ihm, durch die blutigen Lippen zu stöhnen. Seine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt. Er zappelte und zuckte, während sich der Hass in seine Seele brannte.

Endlich verschlang ihn die Dunkelheit, auf die er die ganze Zeit zugetrieben war. Dann herrschte Stille, erfüllt allein von diesem intensiven Hass – und der Gewissheit, dass irgendetwas dort draußen seinen Tod wollte.

4

IM UNGEWISSEN

Er wachte am falschen Ort auf.

Eigentlich hätte er erwartet, nach dem Öffnen seiner Augen die vertraute Decke seines engen Quartiers zu erblicken. Stattdessen sah er eine polierte Edelstahloberfläche über einem kleinen und ausgesprochen unbequemen Bett. Eine solche Umgebung war ihm selbstverständlich vertraut: Er war auf einem Schiff. Und da hatte er überhaupt nichts verloren.

»Guten Morgen.«

Er schreckte auf, als er die leise Stimme zu seiner Linken hörte.

Einen Augenblick lang kamen ihm die Wörter wie unsinniges Gebrabbel vor – unverständliche Laute unbekannter Herkunft. Wo waren die anderen …

»Wie fühlen Sie sich?«

Er drehte den Kopf und blickte einer stämmigen Frau um die vierzig direkt in die Augen. Sie saß auf einem Stuhl, wodurch er ihre Größe nur schwer abschätzen konnte, trug einen weißen Arztkittel und hatte das ergrauende braune Haar zu einem Dutt zurückgebunden.

»Bin ich auf einem Schiff?«, krächzte er. Sein Mund fühlte sich angeschwollen an, und seine Kehle tat höllisch weh.

Die Frau nickte. Die blauen Augen hinter den dicken Brillengläsern beobachteten aufmerksam sein Gesicht.

»Sie sind an Bord der CARLYLE auf dem Weg zur Erde.«

Allmählich erinnerte er sich wieder.

»Wie bin ich hierhergekommen?« Da er mit größeren Schmerzen gerechnet hatte, sah er an sich hinunter. Unter dem unvermeidlichen Flügelhemd konnte er sein Bein und das dicke, frische Narbengewebe erkennen, das es nun zierte. Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, seinen Oberschenkel zu rasieren, sodass dieser im Vergleich zum Schienbein wie ein gerodeter Wald wirkte.

»Erinnern Sie sich an Ihren Unfall?«, fragte sie, vergeblich um einen nüchternen Tonfall bemüht. Er spürte ihre Besorgnis. Dann dachte Decker an das Letzte, woran er sich erinnern konnte, und begriff, was sie meinte. Der Unfall. Das Blut. Die Krämpfe.

Der Hass.

Noch war alles verschwommen, doch deutlicher als an die Schmerzen konnte er sich an die Feindseligkeit erinnern, die über ihn gekommen war.

Er atmete tief und langsam aus.

»Ja. Ich glaube schon«, sagte er. »Mein Bein hat’s ziemlich übel erwischt. Und dann habe ich Krämpfe bekommen.«

Die Frau lächelte ein steriles und leicht herablassendes Lächeln.

»Sie hatten einen Anfall.« Sie blickte auf die Patientenakte in ihrem üppigen Schoß. »Genauer gesagt, mehrere. Den Daten nach zu urteilen waren die ersten die schlimmsten.« Ihre Blicke trafen sich. Dann sah sie zur Seite, als wäre ihr sein ungläubiges Starren unangenehm. »Sie haben um sich geschlagen und sich beinahe die Zunge abgebissen. Seitdem stehen Sie unter Beobachtung. Und natürlich tun wir unser Bestes, um Sie wieder zusammenzuflicken.«

Beinahe die Zunge abgebissen. Kein Wunder, dass sie so angeschwollen ist. »Wenn ich auf dem Weg der Besserung bin, weshalb schicken Sie mich dann zur Erde zurück?« Es dauerte viel zu lange, die Worte zu artikulieren.

»Die Anfälle sind … ungewöhnlich«, antwortete sie. »Bis jetzt haben wir noch keinen Auslöser dafür gefunden.«

Finsternis. Kreaturen, die ihn anstarren. Und dieser plötzliche Ausbruch roher, explosiver Emotion.

»Hätten Sie mich nicht auch in New Galveston behandeln können?«

»Natürlich, aber die medizinischen Einrichtungen zu Hause sind um einiges besser.« Sie log. Das erkannte er selbst ohne die Hilfe seines außergewöhnlichen Talents. Ihr Gesicht war nicht fürs Lügen geschaffen. Aber darauf konnte er sie ja schlecht ansprechen.

»Hat irgendjemand meine Sachen gepackt?«, fragte er stattdessen.

»Ja, ein Mann namens …« Sie studierte die Papiere auf ihrem Klemmbrett. »Lucas Rand. Er hat Ihre persönlichen Habseligkeiten zusammengepackt. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er Ihnen die neuesten Informationen geschickt hat, damit Sie Ihre Berichte schreiben können.«

Decker nickte. Sehr gut. Er hatte weiß Gott so einiges zu berichten.

Ohne Vorwarnung fing er am ganzen Körper an zu zittern. Er schloss einen Moment lang die Augen und atmete hektisch. Es war, als würde ihn etwas gerade jenseits seiner Wahrnehmung beobachten. Bis jetzt hatte er noch nie an Verfolgungswahn gelitten – fühlte sich das etwa so an? Immerhin spürte er ganz deutlich, dass irgendetwas hinter ihm her war.

Was man ihm wohl ansehen musste.

»Alles in Ordnung?« Er schlug die Augen auf. Die Frau sah ihn argwöhnisch an.

Ohne zu antworten, betrachtete er die Gänsehaut, die sich auf seinem Arm ausgebreitet hatte. Wieso zum Teufel war ihm so kalt? Weshalb hatte er solche Angst?

»Nein«, entgegnete er. »Ich glaube nicht.«

Sie nickte, als würde das alles erklären.

»Nun ja, das werden wir schon wieder hinkriegen.« Sie stand auf und sah mit einem mitleidigen Lächeln auf ihn herab, das nicht ganz ihre Augen erreichte. »Es ist eine weite Reise bis zur Erde. Wir werden bald den Hyperschlaf antreten.«

Bei dieser Vorstellung fühlte er sich nicht unbedingt besser. Er war kein Freund des erzwungenen Schlummers in den Hyperschlafkapseln. Natürlich verstand er, weshalb sie unumgänglich waren, aber er fühlte sich darin einfach nicht wohl. Anstatt sich zu beruhigen, wurde er nur noch aufgewühlter. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen.

»Sie schwitzen«, sagte die Frau besorgt.

»Ich glaube, ich habe eine Panikattacke.« Sein Herz klopfte wie wild. Er schwitzte tatsächlich. Dann zitterte er wieder.

»Ist das ein bekanntes Problem bei Ihnen?«, fragte sie und legte ihm eine Hand auf die Stirn.

»Nein.« Er bebte förmlich und kam sich wie ein Idiot dabei vor.

»Ich werde Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel verabreichen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich muss meine Berichte schreiben«, sagte er. Eine bessere Ausrede fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. »Dazu muss ich mich konzentrieren können.«

»Deshalb ja ein leichtes Beruhigungsmittel«, gab sie zurück. »Damit Sie sich etwas entspannen. Wir werden erst in ein paar Stunden in die Kapseln steigen, also bleibt Ihnen noch genug Zeit, alles zu erledigen. Aber nicht schwer heben.«

Er lächelte, und zu seiner Überraschung lächelte sie aufrichtig zurück.

Trotzdem nahm die Panik zu. Er versuchte vergeblich, dagegen anzukämpfen. Er keuchte. Sein Mund war so trocken, dass er nur mit Mühe schlucken konnte. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und seinen bebenden Lippen.

Wortlos drehte sich die Frau um, ging davon und kehrte wenig später mit einem Plastikbecher voll Wasser und einem kleineren Behältnis mit zwei winzigen weißen Tabletten darin zurück.

»Runter damit«, befahl sie streng. »Die werden Ihnen helfen.«

Decker nickte und gehorchte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Tabletten wirkten. Dann legte sich das Zittern, das Schwitzen ließ nach, und endlich war auch das Gefühl, verfolgt zu werden, nicht mehr so stark. Es verschwand nicht völlig, doch so konnte er wenigstens damit zurechtkommen.

Nach etwa einer halben Stunde kam die Frau zurück. Sie durchwühlte seine Sachen und zog den Palmtop hervor, auf dem er die Messungsergebnisse gecheckt hatte. Sie fuhr das Bett hoch, damit er aufrecht sitzen und vernünftig arbeiten konnte.

Der ständige Papierkram. Schon die Bezeichnung war blödsinnig, da es ja kein Papier mehr gab. Das erste Papier, das er seit sehr langer Zeit zu Gesicht bekommen hatte, war auf dem Klemmbrett der Ärztin befestigt gewesen – wenn sie denn überhaupt eine war.

Sind manche Tatsachen leichter zu verbergen, wenn man sie schwarz auf weiß vorliegen hat?, überlegte er. Oder schwerer?Dann kicherte er in sich hinein. Vielleicht werde ich ja wirklich paranoid.

Manchmal war seine Arbeit nervtötend eintönig, doch momentan freute er sich richtig darauf, alle Details zu untersuchen und die Fakten zu überprüfen. Je weiter er vordrang, desto weniger Zweifel hatte er, dass Weyland-Yutani für die Umweltkatastrophe auf New Galveston verantwortlich war. Er fand heraus, dass der Konzern vor langer Zeit tatsächlich eine Mine dort betrieben hatte. Nun, eigentlich hatte sie nicht direkt dem Konzern gehört, aber er war entweder bei ihrem Aufbau beteiligt gewesen oder hatte zumindest einen Großteil der Ausrüstung bereitgestellt. Der Name der Bergbaufirma lautete »Kelland Mining«, doch er vermutete, dass W-Y entweder Anteile an Kelland gehalten oder die Firma irgendwann einfach geschluckt hatte.

Wie auch immer – man hätte sie über diese Aktivitäten unterrichten müssen. Doch das war nicht geschehen, weshalb seiner Meinung nach Weyland-Yutani die Schuld traf.

Und genau das würde er auch in seinem Bericht an die Interstellare Handelskommission schreiben.

Als er den Bericht fertiggestellt und abgeschickt hatte, blieb ihm noch etwa eine Stunde Zeit. Das Dokument würde die Erde lange vor ihm erreichen. Dann führte ihn die Ärztin in die Hyperschlafkammer, wo er die Standardprozedur durchlief: Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus – was angesichts der Umstände nicht lange dauerte – und kroch in den runden Glaszylinder, der unangenehm an einen Sarg erinnerte.

Wieder stieg Panik in ihm auf, doch er konnte sie unterdrücken. Und in wenigen Augenblicken würde ihn der Schlaf übermannen.

Und mit dem Schlaf kamen die Albträume.

Ein siebenundvierzig Tage dauernder Albtraum – so lange, wie die Reise von New Galveston zur Erde dauerte.

Im Schlaf hört dich niemand schreien.

5

ZUHAUSE

Im Nachhinein betrachtet war sein Bericht wohl ein Fehler gewesen.

Seine Wunden verheilten auf dem Raumflug nach Hause. Sobald sie in Chicago gelandet waren, erhielt er eine Vid-Nachricht von seinem Abteilungsleiter Walter Harriman. Das Gesicht seines Chefs erschien auf dem Bildschirm. Er teilte ihm mit, dass er so schnell wie möglich ins Büro kommen und von seinen Nachforschungen berichten sollte.

Zwei Stunden später saß er auf einem Stuhl und hörte sich an, wie ein Mann, den er eigentlich gut zu kennen glaubte, ihm durch die Blume mitteilte, dass sein Bericht doch sehr zu wünschen übrig ließ. Wäre Decker kein Empath gewesen, hätte er ihm geglaubt. Immerhin war Walt ein äußerst begabter Lügner und besaß das fast unheimliche Talent, niemals eine Miene zu verziehen. Andererseits hatte er eine gewisse Abneigung dagegen, seine Leute anzulügen, was Decker eher spüren als sehen konnte.

Er wurde gebeten, die Schlussfolgerungen in seinem Bericht zu »überdenken«.

Decker schluckte eine bissige Bemerkung hinunter, erklärte sich einverstanden und nahm Walts Notizen an sich.

Er versuchte es. Er versuchte es wirklich.

Wieder und wieder beleuchtete er jedes Beweisstück von allen Seiten, und jedes Mal kam er zu demselben Schluss. Entweder hatte Weyland-Yutani von der Mine und der möglichen Schadstoffbelastung gewusst, oder das Unternehmen hatte sich grober Fahrlässigkeit schuldig gemacht. Er formulierte den Bericht um, damit er sich etwas weniger anklagend anhörte, doch er weigerte sich, seine Pflichten völlig zu vernachlässigen.

Walt gab vor, mit den Änderungen zufrieden zu sein, obwohl auch das nicht der Wahrheit entsprach. Mit frostiger Stimme schlug er Decker vor, ein paar Tage freizunehmen, um sich »von den Strapazen zu erholen«. Das war Walts Art zu sagen, dass er sich verdammt noch mal vom Acker machen sollte, während er darüber nachdachte, wie er diese Situation am besten entschärfen konnte.

Und offenbar will Walt sie entschärfen, indem er einknickt.

Nein. Decker verwarf diesen Gedanken wieder. Wie er sehr wohl wusste, war es in Wirklichkeit viel komplizierter. Es ging um Politik, und schlimmer noch: Es ging um Weyland-Yutani. Der Konzern war ein wahrer Leviathan. Decker wollte sich nicht einmal vorstellen, wie weit sein Einfluss reichte. Außerdem besaß W-Y sehr tiefe Taschen, war fest entschlossen, seinen guten Ruf zu wahren, und reagierte höchst allergisch auf jegliche Form von Kritik.

Bei den wenigen Malen, bei denen er in der Vergangenheit mit dem Konzern aneinandergeraten war, hatte er seine Anschuldigungen durch eine Vielzahl von Beweisen untermauern können. Weyland-Yutani hatte es stets vorgezogen, sich zu einigen, anstatt eine verlorene Schlacht auszufechten. Und wie immer würde er auch jetzt abwarten, bis sich die Wogen geglättet hatten.

Doch diesmal war es anders.

Deckers Job brachte diejenige Macht und Autorität mit sich, nach der sich die Bürokraten auf allen Welten die Finger leckten. Wenn man die richtigen Formulare aufs i-Tüpfelchen genau ausfüllte, war alles in bester Ordnung. Im Status quo lag durchaus ein gewisser Trost.

Aber das war vor den Anfällen gewesen. Er erzählte niemandem davon, damit sie auch niemand als Druckmittel gegen ihn verwenden konnte. Er zog es vor, in der behaglichen Anonymität zu verweilen.

Nur dass er schon lange nicht mehr anonym war.

Er war rechtzeitig nach Hause gekommen, um den Jahreswechsel zu feiern. Die Jahrhundertwende näherte sich, und er hoffte, dass 2497 etwas ruhiger als das vorhergehende Jahr werden würde.