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Brutalste Gewaltdarstellungen, abgrundtiefer Rassismus, Pädophile auf Kinderjagd, Sexting mit katastrophalen Folgen, Glücksspiel-Abzocke in vermeintlich harmlosen Spielen – unglaublich, was Kinder an ihrem Smartphone erleben. Allerdings sagen die allermeisten ihren Eltern davon nichts. Auch deshalb unterschätzen Eltern nach wie vor massiv, wie mächtig die Wirkung digitaler Medien – allen voran Smartphones – auf ihre Kinder ist.
Eine ganze Elterngeneration gibt ihren Kindern schon in der Grundschule ein eigenes Smartphone, ohne sich selbst und die Kinder darauf vorzubereiten, und ohne sie am Anfang intensiv zu begleiten. Daniel Wolff, Digitaltrainer an Schulen in ganz Deutschland, weiß, was die Kinder im Internet wirklich erleben, und zeigt, wie sie geschützt werden können – und wie sie die großen Chancen der digitalen Welt souverän nutzen können.
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Seitenzahl: 347
Brutalste Gewaltdarstellungen, abgrundtiefer Rassismus, Pädokriminelle auf Kinderjagd, Sexting und Glücksspiel-Abzocke — unglaublich, was Kinder an ihrem Smartphone erleben. Allerdings sagen die meisten ihren Eltern davon lieber nichts. Auch deshalb unterschätzen Eltern nach wie vor massiv, wie mächtig die Wirkung digitaler Medien — allen voran Smartphones — auf Kinder und Jugendliche wirklich ist. Sie werden unweigerlich davon überrumpelt, mit welchen Menschen und Inhalten ihre Kinder auf dem eigenen Handy konfrontiert werden.
Daniel Wolff, Digitaltrainer an Schulen in ganz Deutschland, weiß, was Kinder im Internet wirklich erwartet, und zeigt jetzt konkret, wie Eltern sie wirksam auf die digitale Welt vorbereiten, sie schützen und begleiten können.
»Anschnallen und willkommen auf einer Reise in die digitale Lebenswirklichkeit unserer Kinder! Dieses Buch soll Ihnen helfen zu verstehen, warum Kinder so fasziniert sind von digitalen Geräten — allen voran von ihren Smartphones — und warum die Aushändigung dieses nahezu magischen Tools ein absolut lebensverändernder Moment für Ihr Kind wird (oder war), der gut vorbereitet sein will (oder hätte sein sollen)!
Sie bekommen einen kondensierten, ungeschönten und professionellen ›Frontbericht‹ über all das, was in Sachen ›Kinder & Smartphones‹ derzeit wirklich abgeht: Als Digitaltrainer habe ich in den letzten sieben Jahren über 400 Schulen besucht, um dort mit Kindern/Jugendlichen, Lehrkräften und Eltern intensiv und ohne Scheuklappen darüber zu sprechen, wie wir das mit den Smartphones und dem Internet alle zusammen besser hinbekommen.
Hier erfahren Eltern und Lehrkräfte alles, was sie heute über die enormen Risiken, aber auch Chancen der Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen wissen müssen — und natürlich auch, wann bei ihrem Kind der richtige Zeitpunkt für ein eigenes Smartphone gekommen sein könnte. Es ist daher ausdrücklich empfohlen und lesenswert auch für diejenigen, deren Kinder erst noch ins Smartphone-Zeitalter starten!«
Daniel Wolff
Allein mit dem Handy
So schützen wir unsere Kinder
Klassenchat, Mobbing, Pornos, Gewaltvideos – was Kinder online wirklich erleben
Wilhelm Heyne VerlagMünchen
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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In diesem Buch geht es um die Lebenswelt, der Kinder im Internet ausgesetzt sind. Um diese adäquat zu vermitteln und zu veranschaulichen, werden die Realitäten im Internet wie Gewalt, Missbrauch, sexuelle Belästigung, rassistische und sexistische Äußerungen und Diskriminierung klar benannt und, wo nötig, zitiert.
Originalausgabe 10/2024
Copyright © 2024 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Caroline Kaum
Umschlaggestaltung: Nele Schütz unter Verwendung eines Fotos von: istockphoto/NitaYuko
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-32471-1V001
www.heyne.de
Inhalt
Einführung: Irgendwas läuft sichtbar schief
1. Kinderwünsche: Her mit der omnipotenten Spaßmaschine!
2. Kinder & Smartphones: Reality Check
3. Horror: Da saß ein Clown im Gully!
4. Handysucht: Ich kann einfach nicht mehr aufhören!
5. Cybermobbing: Keiner liebt dich – geh sterben!
6. Klassenchats: Du bist lustig, dich vergas ich zuletzt!
7. Cybergrooming: Ich bin schon etwas älter – schlimm?
8. Mobile Games: Wie viele Trophäen haben Sie?
9. Künstliche Intelligenz: Mein Handy wird schlauer als ich!
10. Lösungen: Was können wir besser machen?
Ausblick: Für unsere Kinder schaffen wir das!
Literaturempfehlungen
Online-Ressourcen
Musterbeispiel: Mediennutzungsvertrag
Widmung
Danksagung
Informationen zum Autor
Aktuelle Referenzen
Quellenverzeichnis
Einführung: Irgendwas läuft sichtbar schief
Anschnallen und willkommen zu einer Reise in die digitale Lebenswirklichkeit unserer Kinder! Dieses Buch soll Ihnen helfen zu verstehen, warum Kinder so fasziniert sind von digitalen Geräten – allen voran von ihren Smartphones – und warum die Aushändigung dieses nahezu magischen Tools ein absolut lebensverändernder Moment für Ihr Kind wird (oder war), der gut vorbereitet sein will (oder hätte sein sollen)!
Sie werden schnell feststellen: Ich bin kein Wissenschaftler, sondern Pragmatiker. Ich denke ohnehin, dass wir in Sachen digitale Medienerziehung nicht mehr auf die Wissenschaft warten können: Je jünger die Kinder werden, die ein eigenes Smartphone bekommen, desto weniger Forschung gibt es ganz einfach dazu – und desto länger werden wir brauchen, um evidenzbasiert zu evaluieren, was jetzt gerade mit den teilweise bereits sechsjährigen Digitaleinsteigern passiert. Ich nehme an, wir werden frühestens in fünf oder zehn Jahren hieb- und stichfest belegbar wissen, was derzeit Fakt in Millionen Kinderzimmern ist – und vor allem, was für Folgen das hat.
Was dieses Buch Ihnen jetzt gleich und ohne Einschränkung bieten kann, ist ein kondensierter, ungeschönter und professioneller »Frontbericht« über all das, was in Sachen »Kinder & Smartphones« derzeit wirklich abgeht: Als Digitaltrainer habe ich in den letzten sieben Jahren über 400 Schulen besucht (manche bis zu sieben Mal!), um dort mit Kindern/Jugendlichen, Lehrkräften und Eltern intensiv und ohne Scheuklappen darüber zu sprechen, wie wir das mit den Smartphones und dem Internet alle zusammen besser hinbekommen.
Ich durfte dabei inzwischen Schüler*innen-Workshops mit etwa 120000 Kindern, Fortbildungen mit über 5000 Lehrkräften und Elternabende mit über 50000 Eltern abhalten, und überall bekam ich ein ähnliches Bild gespiegelt: Egal ob an Grundschulen, Förderzentren, ganz normalen Mittel- und Realschulen oder an eliteträchtigen Gymnasien, egal ob in Städten oder auf dem Land, egal ob in wohlhabenderen oder weniger betuchten Gegenden – Lehrkräfte und Eltern berichten landauf, landab von zunehmend unausgeschlafenen, fahrigen und/oder aggressiven Kindern, die sich nur noch schlecht konzentrieren können und es kaum noch schaffen, eine ganze Seite Text zu lesen oder gar zu verstehen. Gleichzeitig sind bereits Grundschüler*innen auffallend apathisch, selbst bei Anreizen, die Kinder in diesem Alter normalerweise in große Aufregung oder Vorfreude versetzen.
Wenn man dann ein bisschen nachhakt, deutet viel darauf hin, dass das mit der massiven Internetnutzung in ihrer Freizeit zu tun haben könnte: Nicht nur die extensiven Bildschirmzeiten scheinen ein Problem zu sein, sondern vor allem – und auch das wird immer klarer – die Inhalte. Beides zusammen führt bei vielen Kindern in Kombination mit noch unausgereifter Medienkompetenz häufig zu folgenden Symptomen:
Internet-, Handy-, Spiel- oder Social-Media-SuchtBewegungsmangel und MüdigkeitKonzentrationsschwäche (mit schlechten Schulnoten in Folge)Ausgrenzung durch Cybermobbing (Belästigung bis Nötigung via digitale Medien)Angst und DepressionenVerletzung der kindlichen PrivatsphäreCybergrooming (Nachstellung durch Pädokriminelle)… und weiteren eklatant negativen Effekten, von denen viele Eltern (und Lehrkräfte) nicht die geringste Ahnung haben.Dieses Buch möchte helfen, das zu ändern! Und zwar mit einem ebenso kritischen wie undogmatischen Blick auf das Ganze. Auf 320 Seiten erfahren Eltern und Lehrkräfte hier alles, was sie heute über die enormen Risiken, aber auch Chancen der Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen wissen müssen – und natürlich auch, wann bei ihrem Kind der richtige Zeitpunkt für ein eigenes Smartphone gekommen sein könnte. Es ist daher ausdrücklich empfohlen und lesenswert auch für diejenigen, deren Kinder erst noch ins Smartphone-Zeitalter starten!
Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir mit unseren Kindern in Kontakt bleiben können, wenn eines Tages ein Smartphone – und damit das Internet – ihr Leben grundlegend verändert und mitbestimmt (ob wir das wollen oder nicht). Denn nur im regelmäßigen intensiven Austausch können wir als Eltern es unseren Kindern leichter machen, mit den mannigfaltigen Möglichkeiten des Internets souveräner, verantwortungsvoller und sicherheitsbewusster umzugehen. Und nur so haben wir eine Chance, in Zeiten des sich überschlagenden technischen Fortschritts und der Künstlichen Intelligenz in den Familien daheim einigermaßen den Überblick darüber zu behalten, was wirklich »abgeht« bei den Kids!
Ab Kapitel 3 werde ich Ihnen themenbezogen zahlreiche Praxis-Tipps und konkrete Vorschläge an die Hand geben, die Sie mit Ihrer Familie sofort im Alltag umsetzen können. Ich stütze mich dabei auf das Feedback von Tausenden Kindern, Jugendlichen, Fach- und Lehrkräften sowie natürlich von Eltern, und damit auf einen belastbaren Querschnitt-Input, der uns im Laufe der letzten sieben Jahre erreicht hat. Vorschreiben möchte ich Ihnen nichts – aber vielleicht finden Sie den einen oder anderen Vorschlag ja ausprobierenswert?
Ich verspreche Ihnen in jedem Fall, dass Sie nach der Lektüre dieses Buches mit Ihren Kindern auf Augenhöhe über Smartphone und Internet, die wichtigsten Apps und sogar KI sprechen können – ein wesentlicher Faktor, um überhaupt ernst genommen zu werden, das dürfen Sie mir glauben. Außerdem werden Sie ein viel besseres Urteil darüber fällen können, wann Ihr Sohn oder Ihre Tochter überhaupt sein/ihr eigenes Gerät bekommen soll, so das noch nicht der Fall ist. Und wie Sie sich gemeinsam darauf vorbereiten können.
Nun wünsche ich Ihnen spannende Aha-Erlebnisse und hilfreiche Impulse beim Lesen – und Ihrer ganzen Familie viel Spaß und Erfolg beim Umsetzen in die Praxis!
1. Kinderwünsche: Her mit der omnipotenten Spaßmaschine!
Kennen Sie das auch? Eines Tages schauen Sie auf Ihr Smartphone – und in der Bildergalerie finden sich plötzlich ein paar Fotos, die Sie sich nicht erklären können: Ein Foto von einem Katzenschwanz im Garten vielleicht, ein Keks in Nahaufnahme oder ein kleines Video, auf dem der Nachbar schimpft, weil irgendjemand Senf an seine Türklinke geschmiert hat, dazu leichtes Schnaufen und Kichern ganz nah am Mikrofon? Mir ist vor ein paar Jahren Ähnliches passiert, denn eines Tages entdeckte ich dieses Foto meines jüngsten Sohnes (zu diesem Zeitpunkt ein stolzer Erstklässler!) in meiner Bildergalerie:
Ich gebe gern zu: Ich habe beim Anblick dieses Bildes erst einmal gerätselt, wie es wohl entstanden ist: Man sieht wegen des überbelichteten Hintergrunds ja nicht, wo es aufgenommen wurde – außerdem hatte ich immer aufgepasst wie ein Luchs, dass mein Sohn die PIN-Nummer meines Smartphones auch wirklich nicht in die Finger bekommt.
Zeige ich dieses Bild aber in einem Vortrag, wissen alle Kinder schon ab den 3. Klassen selbstverständlich sofort, wie es gemacht wurde: »Herr Wolff, man muss ja nur das Kamera-Symbol über den Sperrbildschirm ziehen, dann kann man auch mit einem gesperrten Smarthone fotografieren!« Natürlich. Und genau so war es: Mein Sohn hatte sich während meines Mittagsschlafs tatsächlich das Smartphone kurz gemopst, ein bisschen experimentiert – und dabei sein erstes Selfie fabriziert. So wie es heute sehr viele Kinder tun, bevor sie ein eigenes Smartphone bekommen. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Kinder wollen Spaß: Das war bei uns Eltern früher aber auch so!
Was dieses Bild aber auch zeigt: Der junge Mann erlebt gerade ein Gefühl, das alle Kinder extrem lieben: Spaß! Alle Kinder wollen Spaß – so oft es geht, am besten immer und überall! Erinnern Sie sich noch, wie das in Ihrer eigenen Kindheit war?
Dass man mit einem Smartphone viel Spaß haben kann, begreifen Kinder heute schon sehr früh. Und das liegt nicht zuletzt an uns, den Eltern. Seit sie denken können, sehen sie uns oft genug auf unser Smartphone schauen und dabei ab und zu vergnügt auflachen; und auch sonst scheinen viele Menschen überall und dauernd etwas Interessantes auf den kleinen Bildschirmen zu entdecken: »Guck mal, ein lustiges Video!« Schon von klein auf lernen Kinder dadurch (ob wir das wollen oder nicht), dass Smartphones aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken sind. Und das – seien wir mal ehrlich – ganz offensichtlich auch, weil sie tatsächlich immer wieder viel Spaß machen können!
Ich beschreibe das so ausführlich, weil ich in den letzten Jahren folgende Beobachtung gemacht habe: Wenn Sie mit Kindern und/oder Jugendlichen über Smartphones und das Internet sprechen und dabei nicht auch über Spaß reden, hören sie Ihnen schon nach kürzester Zeit überhaupt nicht mehr zu! Sie schalten schneller ab, als Sie gucken können, denn mit dem langweiligen Gerede eines älteren Menschen (egal ob Elternteil oder Lehrkraft), der ihre eigene Perspektive gar nicht kennt, geschweige denn wertschätzt, wollen sie sich sicher nicht beschäftigen. Zumal wenn er in Sachen Internet keinen Spaß versteht. Langweilig!
Ich eröffne dieses Buch also bewusst mit der Perspektive unserer Kinder, mit ihrer Sicht auf das Thema Smartphone – den moralinsauren Zeigefinger können wir ja später noch rausholen, keine Sorge. Als Ü50-Mensch werde ich dafür viele Erfahrungen aus meiner langjährigen Arbeit als Digitaltrainer miteinfließen lassen. Ich hoffe, dass wir Erwachsene so etwas besser verstehen lernen, warum Kinder von Smartphones manchmal derart begeistert sind, dass sie am liebsten schon in der 1. Klasse selbst eins haben wollen, um es – im Idealfall – völlig uneingeschränkt Tag und Nacht zu nutzen.
Ein Smartphone zum Telefonieren? Die Kinder prusten vor Lachen!
Bevor wir ins Detail gehen, ein sehr wichtiger und grundlegender technischer Hinweis: Ein Smartphone ist – zur Überraschung vieler Eltern – seinem Wesen nach tatsächlich keinMobiltelefon! Natürlich kann man mit einem Smartphone auch telefonieren – genau das aber tun Kinder in der Praxis zu 99 Prozent ihrer Nutzungszeit (Tendenz weiter steigend) eben nicht! Trotzdem übergibt etwas mehr als die Hälfte der Eltern ihrem Nachwuchs das Smartphone immer noch mit den Worten »Damit du mich anrufen kannst!« – eine Begründung, über die sich viele Kinder in den Workshops übrigens kringeln vor Lachen. Tatsächlich freuen sich die meisten Kinder bei Erhalt eines eigenen Smartphones am allerwenigsten darüber, dass sie »endlich« ihre Eltern anrufen können …
… stattdessen wollen sie es vor allem deshalb, weil es in Wirklichkeit ein vollwertiger Computer ist! Und zwar ein Hochleistungscomputer mit Hochgeschwindigkeits-Internetzugriff und Hochleistungskamera! Und diesen sehr handlichen Computer wollen Kinder, weil auf diesem Gerät Apps laufen, wie man Computer-Programme auf Mobilgeräten heute nennt. Und weil es Millionen von Apps gibt, kann jedes Smartphone auch millionenfach mehr Spaß machen als ein »Mobiltelefon«!
Da wiederum jede einzelne dieser Apps allein schon den starken Wunsch nach einem eigenen Smartphone auslösen kann, möchte ich Ihnen im Folgenden die wichtigsten Angebote kurz vorstellen – und zwar aus Sicht der Kinder! Kleine Vorwarnung: Besonders für fundamental digitalkritische Eltern werden die nächsten Seiten nur schwer zu ertragen sein – aber glauben Sie mir: Für die in den nächsten Jahren unweigerlich bevorstehenden Diskussionen mit Ihren Kids wollen Sie da durch!
An dieser Stelle ein Lese-Tipp: Wenn Sie denken, dass Ihnen die meisten Apps auch aus Kindersicht schon vertraut sind, können Sie gerne gleich hier fortfahren – ich möchte aber unbedingt sichergehen, dass alle Eltern die Chance haben, sich mit den Basics vertraut zu machen, bevor wir uns später in die Gefahren stürzen …
Whatsapp: Mit den besten Freunden unendlich Spaß haben!
Allen voran ist Whatsapp für die meisten Kinder die allererste App, die sie ganz selbstverständlich auf ihrem nagelneuen Smartphone installieren – wenn die Eltern es erlauben (und manchmal auch, wenn sie es nicht tun). Schließlich benutzen die allermeisten Eltern ebenfalls Whatsapp, und man möchte gerne schnell in den Familien-Chat mit Eltern und, falls vorhanden, größeren Geschwistern.
Oft schon in den Grundschulen, spätestens aber ein paar Monate nach Start in den weiterführenden Schulen, ist Whatsapp dann für fast alle Kinder ab den 5. Klassen die am häufigsten genutzte App: Denn spätestens dann haben die meisten ihre Eltern überzeugt, sie bräuchten dieses Tool unbedingt für den Klassenchat, denn da gehe es ja »um die Hausaufgaben«! Ohne Whatsapp verlöre man also schulisch den Anschluss – und wäre sicherlich auch noch sozial ganz schlimm isoliert: Sätze wie »Mama, ohne Whatsapp wäre ich die Einzige, die nicht weiß, was Hausaufgabe ist – und bekomme außerdem nie mit, wann die anderen sich treffen!« lassen auch kritisch eingestellte Erziehungsberechtigte schnell schwach werden. Dass Whatsapp laut Nutzungsbedingungen erst ab 13 ist (seit April 2024), interessiert ohnehin weder Eltern noch Kinder.
Natürlich gibt es auch hin und wieder Kinder und Jugendliche, die meist auf Wunsch ihrer Eltern alternative und eigentlich bessere Messenger wie zum Beispiel Signal oder Threema nutzen – aber die Klassenchats in unserem Land sind derzeit fest in der Hand von Whatsapp: Manchmal betreibt zwar die Schule eine eigene Kommunikations-Plattform – doch sobald die Kinder mitbekommen, dass die Lehrkräfte da alles mitlesen können, wandern viele Kinder auch hier irgendwann ab. Ich habe noch keine Schule kennengelernt, bei der die Klassenchats am Ende nicht doch im Wesentlichen über Whatsapp gelaufen sind.
So fair müssen wir allerdings schon sein: Hätten wir in unserer eigenen Kindheit ein kleines Kästchen gehabt, mit dem wir jederzeit und gratis mit allen besten Freundinnen und Freunden superwichtige Nachrichten, lustige Bilder oder sogar coole Videos hätten austauschen können – hätten wir das sicher auch getan, nicht wahr? Und zwar, wenn wir einmal ehrlich sind, ziemlich oft, richtig? Und solange es eben geht, stimmt’s?
Wie viele Nachrichten heute in Klassenchats wirklich ausgetauscht werden, ist vielen Erwachsenen nicht bekannt: Denn während die ältere Generation Whatsapp aus eigener kindlicher Erfahrung gar nicht kennt und – als Nachfolger der SMS – vor allem zumAustausch von Informationen einsetzt (man hält sich im Vergleich eher kurz und klärt alles in möglichst wenig Nachrichten), benutzen Kinder die App in aller Regel – wer hätte das gedacht – zum Spaß! Und dass der oft kein Ende findet, zeigt sich in den Workshops schnell: Wenn ich die jungen Teilnehmer*innen dort frage »Wie viele Nachrichten habt ihr schon einmal auf Whatsapp in einer Nacht bekommen?«, antworten sie typischerweise:
… in Klasse 3/4: »20«, »100«, »gar keine«, »60« …… in Klasse 5/6: »600«, »1200«, »2000«, »300« …… in Klasse 7/8: »6000«, »2000«, »4000«, »12000« …… bevor es sich in den 9. und 10. Klassen dann langsam wieder auf einige Hundert Nachrichten pro Nacht beruhigt. Glauben Sie nicht? Fragen Sie mal Ihre pubertierenden Familienmitglieder!
Spätestens bei diesen enorm hohen Zahlen schütteln die Lehrkräfte hinten im Saal oft aus Ungläubigkeit oder Widerwillen den Kopf – von solch einer massiven nächtlichen Whatsapp-Nutzung hatten sie in der Regel vorher noch nie gehört. Aber es ist wahr: Auch wenn es sich bei den meisten Nachrichten um Sticker (also »lustige« Bilder, siehe S. 149 ff.) und/oder Emojis (Piktogramme, Smileys, etc.) handelt – Klassenchats mit Tausenden von Nachrichten pro Nacht gibt es tatsächlich an jeder Schule. Selbst wenn wir Erwachsenen eine solche Nachrichtenflut innerhalb weniger Stunden nicht kennen – tut es so gut wie jeder Siebtklässler!
Grundsätzlich bietet Whatsapp Kindern und Jugendlichen erst einmal Gratis-Kommunikation mit ihren besten Freunden – und damit vor allem sehr viel Spaß! Zudem hat es Whatsapp als aktuell dominanter Messenger auch noch geschafft, den analogen Schultag, der früher lediglich einige Stunden pro Tag dauerte, digital zu einem nie endenden 24-Stunden-Schultag zu erweitern. Spätestens mit dem ersten Klassenchat wird deshalb schon allein diese eine App gefühlt sozial so unverzichtbar, dass nahezu alle Kinder unbedingt ein Smartphone haben wollen. Aus ihrer Sicht: müssen.
Youtube: Immer sofort was Lustiges – und unendlich viel davon!
Während Whatsapp bei vielen Kindern die am häufigsten genutzte App ist, ist Youtube sicher eine ihrer am längsten genutzten – stellen Sie sich aus Kindersicht einen Bildschirm mit einer Million Programmen vor, auf dem ganz einfach immer was Spannendes und Lustiges läuft! Und das Beste: Man kann diesen Bildschirm auch noch in die Hose stecken und dann heimlich auf dem Klo oder im Bett weitergucken! Auch bei Youtube zeigt sich der schon bekannte Generationsunterschied in der Benutzung: Viele Erwachsene schauen zwar auch gerne mal auf der Plattform vorbei – meist aber, um eine Information zu recherchieren – und wenn sie die gefunden haben, sind sie wieder weg.
Bei jüngeren Kindern geht es aber fast immer um (wer hätte das gedacht) … Spaß! Und wenn sie auf Youtube etwas gefunden haben, das ihnen Spaß macht, dann wollen sie noch mehr – und abonnieren zum Beispiel einen neuen Youtube-Lieblingskanal. Auf einem typischen Elternabend haben von 100 Eltern maximal 10 schon einmal einen Youtube-Kanal abonniert; die allermeisten Kinder aber haben das bereits mehrfach getan. Abonnenten können nämlich »die Glocke setzen« – dann wird man sofort informiert, wenn der oder die Lieblings-Youtuber*in ein neues Video hochgeladen hat. Auch das eine Funktion, die den meisten Eltern völlig unbekannt ist.
Ebenso wenig sind die meisten Eltern damit vertraut, wer die beliebtesten Youtuber überhaupt sind und was die genau machen – während bei den Kindern schon ein einziges Foto von Youtube-Stars wie Julien Bam oder Julia Beautx für großes Aufsehen sorgt. Auch Letsplayer erfreuen sich größter Beliebtheit – meist zumindest eher jüngere Menschen, die Computerspiele spielen, sich dabei miteinblenden, dazu kommentieren, was sie gerade tun und warum – und währenddessen ganz viele Witze dazu machen, denn lustig ist wichtig! Wenn besonders die Jungs in meiner Präsentation ihre Lieblings-Letsplayer wie Paluten, iCrimax oder MontanaBlack erspähen, sind sie ganz aus dem Häuschen – und fragen sofort, wen ich sonst noch so auf Youtube kenne. Kein Wunder: Viele Kinder und Jugendliche können sich problemlos in spannende virtuelle Welten hineinversetzen, begleitet von coolen, lustigen Menschen, von denen man nebenher ein paar Tricks für das jeweilige Game lernt. Und außerdem ist anderen beim Zocken zuzusehen »nicht so anstrengend wie selber spielen«.
Die Letsplayer verkörpern ein typisches Genre, das es im »echten« Fernsehen nie schaffen konnte, weil immer irgendeinem Erwachsenen die teure Sendezeit dafür zu schade war. Auf Youtube funktionieren solche Formate aber hervorragend: Weil die Plattform nie etwas löschen muss und ständig Neues hinzukommt, wird sie laufend noch interessanter! Denn hat man einen neuen Lieb-lings-Youtuber oder eine neue Lieblings-Youtuberin ausgemacht, kann man oft erst einmal Hunderte Stunden rückwärts gucken. Und genau deshalb hat für fast alle Kinder Youtube den Wettbewerb mit dem »normalen Fernseher« inzwischen haushoch gewonnen: Es läuft einfach immer sofort was Lustiges – auf ARD, ZDF, RTL und Co. dagegen fast nie! Manche Kinder würden, wenn sie dürften, sofort mehr Zeit mit ihren Lieblings-Youtubern verbringen als mit ihren Eltern. Ich bin mir aber sicher, liebe Eltern: Wir hätten Youtube als Kinder auch geliebt. Sehr sogar.
Tiktok: Feuerwerk der Sensationen!
Auf welcher App können Kinder einen Cybertruck sehen, der sich auf einer Sanddüne überschlägt, eine sexy Bauchtanz-Challenge, eine Bowling-Kugel, die in Zeitlupe von einer Hydraulik-Presse zerquetscht wird, einen supercoolen Fußball-Trick UND einen Polizisten, der volle Kanne eine Sahnetorte ins Gesicht bekommt – das Ganze auch noch innerhalb einer Minute? Tiktok hat mit seinem Trommelfeuer der Sensationen in den letzten Jahren einen beispiellosen Run bei der Jugend der Welt hingelegt und inzwischen über eine Milliarde Nutzer gewonnen (außerhalb von China!) – davon in Deutschland etwa 20 Millionen. Und natürlich hat sich inzwischen auch in unseren Grundschulen herumgesprochen, dass auf Tiktok wirklich viel geboten ist.
Bei Elternabenden frage ich gerne: »Kennen Sie Tiktok?« – woraufhin sich über 90 Prozent der anwesenden Erwachsenen melden. Natürlich. Wenn ich dann aber frage: »Aha. Und wer von Ihnen hat schon einmal drei Stunden am Stück Tiktok geschaut?«, gibt es erst Gelächter, dann allgemeines Abwinken; am Ende melden sich noch maximal 5 von 100. Woraufhin ich entgegne: »Dann, befürchte ich, gibt es hier tatsächlich nur fünf Eltern, die Tiktok wirklich kennen!«
Denn tatsächlich wird der eigentliche Appeal der App erst nach mehrstündiger Nutzung erfahrbar: Schließlich kann man als User hier nicht nicht reagieren: Schaut man ein Kurzvideo bis zum Ende (oder lässt es gar mehrfach durchlaufen), notiert der Empfehlungs-Algorithmus von Tiktok das als Interesse; wischt man ein Video weg, als Desinteresse. Weil unsere Kinder medial seit jeher »aus dem Feuerwehrschlauch trinken«, können sie uninteressanten Content viel schneller als wir Erwachsene erkennen und wegwischen – und tun das auch. Die Folge: Schon nach wenigen Stunden hat der Empfehlungs-Algorithmus so viele Informationen über ihre persönlichen Interessen gesammelt, dass er ihnen nahezu nur noch das anzeigt, was sie brennend interessiert! Tiktok wird bei intensiver Nutzung also immer noch spannender, lustiger und cooler!
Ein offenes Geheimnis ist auch: Die beste Musik aller Social-Media-Plattformen läuft ganz klar auf Tiktok. Hier hören Kinder und Jugendliche schon heute die wichtigsten Songs aus den Charts von in sechs Monaten. Der Hintergrund: Auf einer Plattform, die einer Firma in China gehört (die Konzernmutter ByteDance sitzt in Peking) lassen sich Urheberrechtsansprüche nun einmal schwerer durchsetzen – also nehmen auf Tiktok viele Video-Ersteller (auch Creators genannt) als Begleitmusik einfach die Songs her, die ihnen gerade gefallen. Und Musik ist für junge Menschen enorm wichtig – erinnern Sie sich?
Spannend auch: Wenn ich in Grundschulen frage: »Wer von euch nutzt denn schon Tiktok?«, gibt es zunächst oft unsichere Blicke, und nur recht wenige Kinder melden sich. Wenn ich dann aber sage: »Hört zu, ich möchte noch mal kurz betonen, dass in diesem Workshop niemand für irgendetwas bestraft wird. Auch die Lehrkräfte werden alles für sich behalten, was hier passiert (die Lehrkräfte nicken beruhigend dazu). Wir können jetzt über alles reden, okay? Also, wie sieht’s aus mit Tiktok?«, dann melden sich plötzlich doppelt so viele!
Das hat vor allem mit der (natürlich) nicht wasserdichten Altersverifikation zu tun, die es dort seit einigen Jahren gibt: Wenn man die App installiert, muss man sein Geburtsdatum eingeben. Ist man in der Grundschule oder in den 5./6. Klassen noch nicht 13 Jahre alt und tippt sein echtes Geburtsdatum ein (so erziehen wir unsere Kinder schließlich), erscheint folgende Meldung (O-Ton): »Du bist leider nicht berechtigt, Tiktok zu nutzen. Aber schön, dass du es probierst!«
Weil unsere Kinder durchaus in der Lage sind, diesen Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, löschen sie die App nun – und probieren es gleich noch mal! Bei der nächsten Eingabe machen sie dann reihenweise einen bedauerlichen »Fehler« ihr Geburtsjahr betreffend. Das Ergebnis: Wenn ich Grundschul-Kids frage: »Wie alt seid ihr bei Tiktok?«, löst das normalerweise erst einmal Gelächter aus, gefolgt von wirklich erstaunlichen Altersangeben. Reihum heißt es dann: »24« (»Das Geburtsjahr 2000 wird irgendwie schon passen …«), »18«, »16«, »49 – ich nehme immer das Geburtsdatum meiner Mama!« bis hin zu »106 – ich habe die Jahreszahl einfach mit Schwung runtergewischt und dann auf OK gedrückt. Hat funktioniert, sehen Sie mal!« Die Lehrkräfte glauben kaum, was sie da hören. Und wenn man die Kinder dann fragt: »Ist das eigentlich lügen?«, strahlen sie einen an und antworten: »Nein, Herr Wolff, das muss man so machen – sonst geht’s ja nicht!«
Und bitte seien Sie ehrlich zu sich selbst: Hätten wir gekonnt, hätten wir das als Kinder ganz genauso gemacht, nicht wahr?
Snapchat & Instagram: Orientierung im Anerkennungs-Dschungel
Für Außenstehende und Lehrkräfte ist meist auch überraschend, wenn die Kinder rückmelden, dass in Grundschulen bereits auf manchen Smartphones »klassische« Social-Media-Apps wie Snapchat und Instagram im Einsatz sind – in der Regel legen die Mädchen hier noch etwas früher los als die Jungs.
Beginnen wir mit Snapchat – einer App, die Eltern von heutigen (Grund)Schulkindern so gut wie nie aus eigener Erfahrung kennen. Snapchat bietet ganz einfach tolle »Filter« an: Bärennasen und Hasenohren, die man jeder Person passgenau »aufsetzen« kann, die man fotografiert und filmt (also auch sich selbst), oder einen umkreisende Herzchen und Sternchen. Zudem lassen sich Personen per Schieberegler uralt machen – oder jung wie ein Baby, ein Feature, das wegen seiner technischen Finesse und Glaubwürdigkeit selbst für Erwachsene faszinierend sein kann … und vieles andere Lustige mehr. Allein das schon macht Kindern einen Riesenspaß und lädt zu stundenlangem Experimentieren ein!
Allen voran aber hat Snapchat die Jugend der Welt mit einem Feature erobert, das viele Erwachsene zumindest auf Anhieb nicht wirklich verstehen: Wenn man einer Person ein Snap (also einen Schnappschuss) aus seinem Leben zusendet und an den Voreinstellungen nichts weiter ändert, kann sich die Betrachterin oder der Betrachter das Bild oder Kurzvideo ein paar Sekunden ansehen – dann ist es »weg«: Es verschwindet tatsächlich auf Nimmerwiedersehen im digitalen Nirwana und ist auch nicht wiederherzustellen. Unsere Generation reagiert darauf üblicherweise verwirrt – ich selbst habe bei meinen ersten Snapchat-Gehversuchen immer wieder hilflos meine Kinder fragen müssen: »Wo ist es denn hin?« oder »Kriege ich das nicht wieder her?« Alle unter 15, 10 oder auch 8 dagegen haben es sofort kapiert: Fünf Sekunden reichen völlig, ein Snap zu sehen und darauf mit einem Herzchen oder Daumenhoch zu reagieren – später sieht man es sich sowieso nie wieder an. Und das Tollste daran: Weil es dann weg ist, können es auch die Eltern auf gar keinen Fall mehr sehen. Hurra! Privatsphäre de luxe!
Ansonsten dreht sich natürlich alles um ein Thema, das derzeit nur sehr junge Eltern wirklich aus eigener Kindheitserfahrung kennen: digitale Anerkennung. Als soziale Wesen streben wir Menschen grundsätzlich nach Anerkennung: Sie, ich, die Lehrkräfte – und natürlich auch unsere Kinder! Die Anerkennung aber, die man in der Kindheit – und erst recht in der Pubertät – erfährt, ist für junge Menschen viel wichtiger als für uns Erwachsene, weil sie ihre Entwicklung entscheidend beeinflusst und damit letztlich, was für ein Mensch sie werden (!).
Weil das mit der Anerkennung aber sehr kompliziert sein kann im sozialen Miteinander, ist für Kinder und noch mehr für Jugendliche besonders ein Feature sozialer Medien unschlagbar attraktiv: die Like-Zahl! Endlich bekomme ich einen (scheinbar) objektiven Maßstab an die Hand, der mir hilft, eine der wichtigsten Fragen meines jungen Lebens zu beantworten: Wie komme ich am besten rüber? Eher lustig? Eher cool? Oder eher attraktiv? Ich poste einfach ein paar Bilder in jede Richtung, und die Like-Zahl weist mir den Weg!
Weil spätestens in der Pubertät die Meinung bzw. das Urteil der gleichaltrigen Peer Group hundertmal schwerer wiegt als die Einschätzung der Eltern, können wir unseren Kindern tausendmal vermitteln, dass die Like-Zahl nichts darüber aussagt, ob ein Mensch nett ist oder schlau oder ob er anderen gerne hilft – in der Realität sagen Likes nur aus, wie fotogen eine Person ist, nicht viel mehr. Aber diese Diskussion wird wenig bringen: Versuchen Sie mal, einem 12-jährigen Mädchen zu erklären, dass Aussehen nicht so wichtig ist. Viel Spaß!
Bei Instagram stehen der Look und das körperliche Erscheinungsbild dann definitiv im Vordergrund: Hier kann man sich nicht nur dem Freundeskreis, sondern der ganzen Welt präsentieren – und, zumindest wenn man ansehnlich genug ist, so viel Anerkennung einfahren wie noch nie! Hunderte Likes, Tausende Likes, Hunderttausende Likes, Millionen Likes! Wer attraktiv rüberkommt, kann heute so viel (digitale) Bestätigung und Bewunderung einheimsen wie nie zuvor.
Die meisten Kinder testen auf jeden Fall irgendwann gerne die Möglichkeit, sich auf diese Weise selbst darzustellen und mit dem Social-Media-Feedback zu experimentieren. Meiner Erfahrung nach nutzen etwa 70 bis 80 Prozent der Kinder bzw. Jugendlichen in den 7. und 8. Klassen Snapchat und/oder Instagram, meistens beides (und posten auf beiden Plattformen auch oft das Gleiche). Manchmal wollen sie zwar gar nicht wirklich, sind aber trotzdem mit im Boot, weil sie sonst das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Sehen es als lästige Hausaufgabe, machen aber aus Sozialdruck mit.
Ungefähr 20 bis 25 Prozent der Jugendlichen dagegen nutzt weder Snapchat noch Instagram. Das hat unterschiedliche Gründe: Ungefähr die Hälfte von ihnen sagt (vereinfacht) sehr selbstbewusst, sie bräuchte das nicht, das lenke sie nur ab; sie mache lieber Sport. Die andere Hälfte wiederum meldet sich gar nicht erst an, weil sie sich nicht für attraktiv oder fotogen genug hält und sich (leider zu Recht) im härtesten und gnadenlosesten Schönheitswettbewerb der Welt vor vernichtenden Kommentaren oder zu wenig Likes fürchtet.
Ich denke, wir Eltern tun uns trotzdem einen Gefallen, wenn wir in der heutigen digitalen Realität zumindest nicht leugnen, dass die Anerkennung in sozialen Medien die Biografie vieler junger Menschen oft stark mitbestimmt – das Ganze einfach als Narzissmus abzutun, wird der Komplexität der Thematik nicht gerecht. Stellen Sie sich bitte für einen Moment kurz vor, Sie wären heute noch mal jung: Würden Sie nicht auch versucht sein, unendlich viel Spaß und Anerkennung auf Social-Media-Plattformen zu suchen (und zu finden), die drei Viertel Ihrer Freunde täglich und nächtlich permanent nutzen?
Mobile Games: Deine Freunde wissen, wie gut du zocken kannst!
Brawl Stars, Fortnite, Minecraft, Roblox, Stumble Guys, Clash of Clans, Subway Surfers, Candy Crush, PUBG Mobile – wenn die Namen dieser Mobile Games fallen oder, noch besser, ihre bunten Logos per Beamer auf der Leinwand meiner Schülerworkshops erscheinen, herrscht sofort allgemeine und lautstarke Begeisterung. Viele Kinder fangen innerhalb weniger Sekunden an, aufzuspringen und durcheinanderzuschreien: am lautesten derzeit »Brawl Stars!« und »Fortnite!« Damit entsteht sofort eine Situation, die sich die meisten Grundschul-Lehrkräfte in der Regel nicht erklären können, weil sie weder die Logos kennen noch die Spiele selbst – und erst recht nicht die Spielzeiten der Kinder. Aber ich weiß je nach Lautstärke dann, ob ich neben allen anderen wichtigen Dingen am Ende des Workshops auch noch unbedingt über Mobile Games sprechen muss.
Diese totale Begeisterung hat sehr gute Gründe: Kinder lieben Spiele ganz einfach – und jedes Smartphone ist heute eben auch eine äußerst attraktive mobile Spielekonsole! Im App-Store auf iPhones gibt es inzwischen, ebenso wie im Play-Store auf Android-Geräten, mehrere Hunderttausend Spiele gratis – mehr als je ein Kind überhaupt installieren kann: Viele davon programmiert mit Millionenaufwand, mit umwerfender Grafik, attraktiven Spielfiguren, ausgetüftelten Spielmechaniken – und packenden Soundeffekten!
Die erfolgreichsten Spiele wie Brawl Stars oder Fortnite haben aber noch etwas zu bieten, das die meisten Erwachsenen aus der eigenen Kindheit nicht kennen: Sie sind auch deshalb so attraktiv, weil man sie nachmittags und/oder abends (sowie manchmal auch nachts) gemeinsam mit den anderen aus der Schule spielen kann! Besonders die Jungs messen sich gerne miteinander – und wissen am nächsten Morgen ganz genau, wer am Vortag welches Level erreicht, welche Skin (digitale Klamotten) gekauft oder wie viele Tore geschossen hat. Viele Kinder lernen schnell: Je mehr Zeit und Geld ich investiere, desto mehr Anerkennung bekomme ich am nächsten Tag in der Schule!
Es sind also nicht nur die Spiele selbst, sondern vor allem der soziale Kontext, der aktuelle Smartphone-Games heute so attraktiv macht. Den meisten Eltern bleibt mangels eigener Erfahrung dieser heute sehr wichtige Zusammenhang verborgen. Sie unterschätzen deshalb auch, wie kompetitiv das Ganze sehr schnell werden kann: Manche Kinder machen, wenn sie dürfen/können, ihr Lieblings-Smartphone-Spiel sehr schnell zum absoluten Lebensmittelpunkt: Es gibt dann nichts anderes mehr auf der Welt als BrawlStars (sehr beliebt in den Klassen 3 bis 7) oder Fortnite (meist ab den 5. Klassen aufwärts). Wenn sie dürfen, ist das Zocken mit dem aktuellen Lieblings-Handyspiel das Erste, das viele Kinder machen, wenn sie von der Schule heimkommen – und das Letzte, das sie vor dem Einschlafen noch mitbekommen.
Haben Sie als Kind, Jugendliche/r oder auch später mit Leidenschaft schon mal ein digitales Spiel gespielt? Wenn ja, erinnern Sie sich bitte daran, wie intensiv diese Erfahrung für Sie war. Nun stellen Sie sich vor, Sie kommen in ihre Schulklasse, und es gibt dort unter Ihren besten Freunden jeden Tag wieder nur ein einziges wichtiges Thema: Genau dieses eine tolle Spiel, das gerade angesagt ist – und alle wissen schon, wie lange und erfolgreich Sie gestern gespielt haben! Überlegen Sie bitte mal: Wie weit würden Sie gehen, um in diesem Spiel so gut zu sein, dass Ihnen Ihre Freunde eines Tages sogar auf die Schulter klopfen oder Sie vielleicht sogar ein bisschen bewundern?
Fazit: Kinder wollen Spaß, also wollen sie Smartphones!
Sie sehen also: Smartphone-Apps bieten Kindern und Jugendlichen unendliche Möglichkeiten für Spaß und Unterhaltung, Kommunikation, Selbstdarstellung und Anerkennung – und dann auch noch in einem Formfaktor, den man immer und überall dabeihaben und deshalb auch so nutzen kann, dass es die Eltern eben nicht immer mitbekommen. Damit sind Smartphones ohne Zweifel die mächtigsten Geräte, die Kinder und Jugendliche je zur Verfügung gestellt bekommen haben. Natürlich kann man sich mit modernen Handys auch wunderbar informieren oder orientieren. Ja, und man kann auch damit lernen oder seine Eltern anrufen, aber für die meisten Kinder ist das alles im Alltag nur eine Nebensache. Je jünger sie sind, desto wichtiger ist und bleibt: Spaß!
Wie wir in Kapitel 9 noch genauer sehen werden, werden sich diese Möglichkeiten obendrein sehr bald sogar noch drastisch erweitern, denn Künstliche Intelligenz wird unsere Smartphones schon in Kürze (also bereits in den nächsten Monaten und Jahren) noch viel unterhaltsamer, praktischer, vielseitiger und unverzichtbarer machen – für uns selbst sowieso, aber auch unsere Kinder!
Kein Wunder also, dass so gut wie alle von ihnen heute eher früher als später bei ihren Eltern auf der Matte stehen und manchmal schon im Kindergarten, spätestens aber in der Grundschule beginnen, an ihnen zu »graben«, um den Zeitpunkt für die Übergabe eines eigenen Smartphones (oder wenigstens Tablets) möglichst früh auszuhandeln. Das wäre bei uns damals übrigens nicht viel anders gewesen: Hätten wir als Kinder Zugriff auf eine solch omnipotente Spaßmaschine haben können – wir hätten sie ganz bestimmt auch besitzen und genauso nutzen wollen wie die Kinder heute, stimmt’s?
2. Kinder & Smartphones: Reality Check
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass unser Nachwuchs mit seinen Überredungskünsten in den letzten Jahren sehr erfolgreich war, denn eindeutig bekommen immer mehr Kinder ihre eigenen Smartphones immer früher. Leider hinken bei dieser Entwicklung offizielle Zahlen der Realität meist weit hinter. Als jemand, der inzwischen mehr als die Hälfte seiner Zeit beruflich an Hunderten Grundschulen verbracht hat, wage ich aktuell folgende Einschätzung: Quer über alle Schularten und Regionen hinweg hat heute an den meisten Grundschulen in Deutschland am Ende des 3. Schuljahres bereits mehr als die Hälfte der Kinder ein eigenes Smartphone. In den 4. Klassen steigt der Anteil der Smartphone-Nutzer*innen bereits auf etwa zwei Drittel bis drei Viertel. Ab der 5. Klasse spätestens haben dann – außer ein paar Kindern pro Jahrgangsstufe – so gut wie alle eins.
Offizielle Zahlen aus Studien und inoffizielle Zahlen aus der Praxis
»Wirklich so viele so früh? Das kann doch gar nicht sein!« – so reagieren viele Lehrkräfte und Schulleitungen vor den Digitaltrainings. Danach heißt es dann regelmäßig: »Hätte ich nie gedacht!« Zum Glück gibt es dazu auch verbindliche Zahlen, wissenschaftlich erhoben. Um Sie nicht mit zu vielen Diagrammen zu langweiligen, möchte ich mich im Folgenden auf die meiner Meinung nach besten offiziellen Auswertungen für Deutschland konzentrieren: die KIM- und JIM-Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbands Südwest, die schon seit Jahrzehnten durchgeführt werden und deshalb besonders gut Trends erkennen lassen.
Die KIM-Studie 2022 weist für 6- bis 13-Jährige in Deutschland eine Smartphone-Besitzquote von 51 Prozent aus.1 Bei älteren Kindern und Jugendlichen stellt sich der Sachverhalt dann mehr als eindeutig dar: Laut JIM-Studie 2023 (für 12- bis 19-Jährige) besitzen 96 Prozent der Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone,2 also im Schnitt pro Klasse – mit Ausnahme eines einzigen Kindes – alle.
Nun kann es natürlich immer sein, dass es genau an der Schule Ihres Kindes (oder Ihrer Kinder) anders ist – und das in beide Richtungen. Manchmal unterscheiden sich an Grundschulen sogar einzelne Klassen wesentlich: In der 3a gibt es dann »erst« drei Smartphones; in der 3b aber schon 17. Unterm Strich aber kann ich Ihnen versichern, dass heute in Deutschland das Einstiegsalter für ein Smartphone für die Mehrzahl der Kinder nicht mehr »erst« die 5. Klasse ist. Vor ein paar Jahren stimmte das vielleicht noch, weil viele zu diesem Zeitpunkt auf eine weiterführende Schule wechseln.
Dann jedoch kam Corona, und in den unendlich langweiligen Lockdown-Wochen daheim konnten offensichtlich viele Kinder durch unendliches Anflehen ihre (unendlich genervten) Eltern davon überzeugen, ihnen jetzt – nur umständehalber, natürlich – doch schon früher ein eigenes Smartphone zu überantworten. Oder wenigstens ein eigenes Tablet (das in der Regel mit Ausnahme von Telefonie und Gut-versteckt-Werden alles kann, was ein Smartphone auch draufhat). Als Corona dann vorbei war, hat man es oft gleich dabei belassen – denn die älteren Geschwister hatten eben auch schon früher eins bekommen, und man will ja fair bleiben. Als ich 2022 und 2023 in Grundschulklassen herumgefragt habe, wer »wegen Corona« schon früher ein eigenes Smartphone bekommen hatte, meldete sich im Schnitt etwa ein Viertel der Kinder.
Wo die Reise weiter hinzugehen scheint, deutet aber die MiniKIM-Studie 2023 an, die sich mit der Mediennutzung von Klein- und Vorschulkindern befasst und im April 2024 erstmals vorgestellt wurde: Jedes fünfte Kleinkind (2 bis 3 Jahre) hat demnach bereits ein eigenes Tablet – und laut Angaben der Eltern hat jedes zehnte Kind bereits im Alter von 2 bis 5 Jahren ein eigenes Handy oder Smartphone.3 Die Eltern dieser Kinder sollten dieses Buch lesen!
Nutzungsdauer: Länger am Smartphone als im Schulunterricht
Wie lange nutzen Kinder und Jugendliche ihre Smartphones täglich? Die KIM-Studie 2022 hat dazu Folgendes erhoben: »Nach Einschätzung der Eltern sind Kinder an einem Wochentag durchschnittlich 43 Minuten online, Jungen (46 Min.) nur unwesentlich länger als Mädchen (41 Min.). Mit zunehmendem Alter steigt die geschätzte Nutzungsdauer deutlich an (6 – 7 Jahre: 17 Min., 8 – 9 Jahre: 30 Min., 10 – 11 Jahre: 49 Min., 12 – 13 Jahre: 74 Min.).«4
Schön wär’s – der methodische Fehler ist meiner Meinung nach bereits in den ersten vier Worten zu finden: Die »Einschätzung der Eltern« liegt fast immer drastisch unter der Realität. Rufen Sie mal auf Ihrem Smartphone Ihre eigenen Nutzungszeiten auf (Ihr Kind hilft Ihnen): Die meisten Erwachsenen sind völlig überrascht, wie hoch diese wirklich ausfallen. Ich glaube, man sollte die Nutzungszeiten jeder einzelnen App direkt aus dem Systemspeicher der Handys auslesen, dann hätten wir realere, weit höhere Werte.
Bei den Jugendlichen wird es schon realistischer: Die JIM-Studie 2023 hat für die 12- bis 19-Jährigen eine durchschnittliche Smartphone-Nutzung von täglich 213 Minuten ermittelt, also etwas über dreieinhalb Stunden. Auch wenn die Reaktion vieler Siebt- und Achtklässler auf diese Zahlen fast unisono ein überraschtes »Sooo wenig!?« ist – lassen Sie uns mal damit ein wenig rechnen: 3,5 Stunden am Tag wären nach Adam Riese 24,5 Stunden pro Woche.
Zum Vergleich: In der Schule haben die meisten Kinder pro Woche 30 Schulstunden à 45 Minuten. Das wären dann summa summarum genau 1350 Minuten – oder 22,5 Stunden! Selbst wenn wir also noch eine Doppelstunde Nachmittagsunterricht draufgeben: Man kann festhalten, dass Jugendliche in Deutschland inzwischen im Durchschnitt mehr Zeit am Smartphone verbringen als im Schulunterricht! Schwant Ihnen auch, wie wichtig die Thematik »Kinder und Smartphones« für unsere Gesellschaft noch werden könnte?
Über die Hälfte unserer Kinder schläft mit Smartphone am/im Bett!
Forscht man noch genauer nach, könnten in der Realität sogar weitere Nutzungszeiten dazukommen. Denken Sie an die O-Töne der Kinder und Jugendlichen, wie viele Tausend Whatsapp-Nachrichten sie pro Nacht bekommen. Sie fragen sich, ob es überhaupt sein kann, dass tatsächlich so viele ihr Smartphone nachts nutzen?
Die Antwort ist eindeutig. Ja, das tun sie – und zwar bereits in sehr jungem Alter: Die KIM-Studie 2022 stellte ganz offiziell fest, dass über 40 Prozent der 8- bis 9-Jährigen (die schon ein eigenes Smartphone haben), über die Hälfte der 10- und 11-Jährigen sowie zwei Drittel der 12- und 13-Jährigen in Deutschland ihr Smartphone mit ins Bett nehmen – macht im Durchschnitt 54 Prozent.5
Noch mal ausgeschrieben: Vierundfünfzig Prozent der deutschen Kinder von 6 bis 13 Jahren nehmen ein Smartphone mit ins Bett. Bei Jugendlichen ist der Anteil noch höher:
Natürlich dürfen Sie sich an der Stelle gerne auch darüber wundern, dass im Schnitt etwa 40 Prozent das Smartphone mit ins Bad oder aufs Klo nehmen (und warum) – ich möchte den Fokus aber auf die Sache mit den Smartphones am und im Bett legen, denn diese Tatsache wird im weiteren Verlauf des Buches noch sehr wichtig werden.