Alpengold 197 - Carolin Thanner - E-Book

Alpengold 197 E-Book

Carolin Thanner

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Beschreibung

Mit dick geschwollenen Lidern und geröteten Wangen liegt die kleine Nicki im Bett, ihren grünen Plüschfrosch ganz fest an sich gedrückt. Nachdem sie den ganzen Tag geweint hat, ist sie nun vor Erschöpfung eingeschlafen. Ihrem Onkel, dem jungen Lukas, zieht sich vor Mitleid das Herz zusammen.

Du armes Hascherl, was mach ich nur mit dir? Bei einem tragischen Autounfall sind sein Bruder und dessen Frau ums Leben gekommen - und Nicki steht plötzlich ganz allein auf der Welt! Doch dass das Madel künftig hier bei ihm auf dem einsamen Berghof bleibt, ist ganz und gar ausgeschlossen! In seinem kargen Leben ist kein Platz für ein Kind - für gar keinen anderen Menschen mehr!

Doch ganz gegen seinen Willen schleicht sich der kleine Wirbelwind in Lukas' bitter gewordenes Herz. Nicki wird für ihn der warme Sonnenstrahl, der endlich wieder Licht in sein Leben bringt - Licht und Lachen und die Liebe ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Stadtkind auf dem Lande …

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / Oksana Trautwein Verlag

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1670-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Ein Stadtkind auf dem Lande …

Endlich trocknen Nickis Tränen

Von Carolin Thanner

Mit dick geschwollenen Lidern und geröteten Wangen liegt die kleine Nicki im Bett, ihren grünen Plüschfrosch ganz fest an sich gedrückt. Nachdem sie den ganzen Tag geweint hat, ist sie nun vor Erschöpfung eingeschlafen. Ihrem Onkel, dem jungen Lukas, zieht sich vor Mitleid das Herz zusammen.

Du armes Hascherl, was mach ich nur mit dir? Bei einem tragischen Autounfall sind sein Bruder und dessen Frau ums Leben gekommen – und Nicki steht plötzlich ganz allein auf der Welt! Doch dass das Madel künftig hier bei ihm auf dem einsamen Berghof bleibt, ist ganz und gar ausgeschlossen! In seinem kargen Leben ist kein Platz für ein Kind – für gar keinen anderen Menschen mehr!

Doch ganz gegen seinen Willen schleicht sich der kleine Wirbelwind in Lukas’ bitter gewordenes Herz. Nicki wird für ihn der warme Sonnenstrahl, der endlich wieder Licht in sein Leben bringt – Licht und Lachen und die Liebe …

»Hoppla, meine Schürze steht net auf dem Speiseplan!« Lächelnd wich Daniela Meindl dem Schaf aus, das neugierig an dem weißen Stoff zupfte. Sie hielt ihm eine Handvoll Hafer hin, den es hungrig nahm. Während es den Leckerbissen verzehrte, bimmelte die Glocke um seinen Hals.

Daniela hatte Feigl mit der Hand aufgezogen, weil seine Mutter die Geburt nicht überlebt hatte. Seitdem wich ihr das Schaf nicht von der Seite. Auch jetzt blieb es bei ihr, während sie über die Weide lief und Haselzweige neben der Tränke platzierte. Das zarte Grün der Blätter und die Rinde boten eine willkommene Abwechslung im Speiseplan der Herde.

Auf dem Meindl-Hof wurden Tiroler Bergschafe gezüchtet. Wolle und Milch sicherten Daniela und ihrem Großvater das Einkommen. Aus der Wolle, die sie nicht verkauften, fertigte die junge Bäuerin Filz an, aus dem sie Pantoffel, Hüte und Taschen machte und die sie im Hofladen verkaufte.

An diesem Morgen brannte die Sonne auf das Chiemgau herab. Es war noch früh am Tag, aber schon jetzt versprach der wolkenlose Himmel über den Bergen wieder einen schönen Frühsommertag.

Der Meindl-Hof lag im Luftkurort Rimsting. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die grüne Landschaft. Der Flickenteppich aus blühenden Wiesen und Weizenfeldern wurde von Wäldern unterbrochen. Rimsting erstreckte sich terrassenförmig vom Westufer des Chiemsees aus bis hinauf zur Ratzinger Höhe. Die helle Kirche mit dem grauen Schieferdach ragte zwischen den blitzsauberen Bauernhäusern auf.

Daniela liebte ihre Heimat und hätte sich nicht vorstellen können, irgendwo anders zu leben. Während ihre Eltern beide als Lehrer in München arbeiteten, hatte es Daniela nach ihrem Studium der Agrarwissenschaften zurück in die Berge gezogen. Der Bauernhof ihres Großvaters war ihr Zuhause geworden. An der westlichen Hauswand war eine Lüftlmalerei angebracht, wie sie typisch für ihr Heimatdorf war. Die aufwendige Fassadenmalerei zeigte eine Familie bei der Heumahd.

»Griaß di, Dani!« Toni Steindl stoppte sein gelbes Postauto vor dem Haus und stieg aus. Er holte einen Stapel Briefe und ein Päckchen aus dem Fond und kam zu ihr herüber.

Toni war ein sportlicher Mann in Danielas Alter, mit sommerlich gebräunter Haut und hellblonden Haaren. In seiner Freizeit arbeitete er als Wanderführer und zeigte Touristen seine Heimat. Er konnte stundenlang über die Geschichte von Rimsting erzählen. Da er bei seiner Arbeit als Postbote weit herumkam, war er auch über aktuelle Ereignisse stets bestens informiert. Er reichte Daniela die Post und zwinkerte ihr zu.

»Hast du wieder Bücher bestellt?«

»Diesmal net.« Daniela warf einen Blick auf den Absender. »Das ist eine Auswahl schöner Knöpfe. Sie sind als Verzierung für meine Filztaschen gedacht.«

»Hört sich gut an. Meiner Mutter hat das Tascherl von dir gefallen, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt habe. Sie trägt es nur sonntags, wenn sie in die Kirche geht. Für den Alltag ist es ihr zu schade.«

»Das freut mich sehr. Grüß sie bitte von mir, wenn du sie das nächste Mal siehst, ja?«

»Das mache ich gern. Hast du heute wieder Pakete hier, die ich mitnehmen soll?«

»Freilich.« Daniela deutete auf den Stapel neben der Haustür. Sie verkaufte ihre Filzprodukte und die selbst gemachte Schafsmilchseife nicht nur im Hofladen, sondern auch auf Bestellung. Abends verpackte sie die Waren, und morgens nahm Toni sie mit. Auch an diesem Morgen lud er die Pakete für sie ein.

»Am Wochenende richtet die Freiwillige Feuerwehr einen Tanzabend aus«, erzählte er. »Die ›Kampenwandler‹ spielen auf. Wollen wir zusammen hingehen?«

»Wir beide?« Überrascht sah Daniela den Postboten an. Toni und sie hielten gern einen Plausch, wenn er kam. Eingeladen hatte er sie noch nie. »Warum net?«, willigte sie ein.

»Du kommst also mit?« Seine blauen Augen leuchteten auf. »Du, ich freu mich!«

»Ja, ich mich auch.«

»Dann hole ich dich am Samstagabend ab. Die Zeit können wir noch ausmachen. Bis dahin sehen wir uns ja noch.«

»Ist gut.« Daniela kam nicht dazu, noch etwas zu sagen, weil ihr Nachbar die Auffahrt heraufkam.

Lukas Kofler bewohnte das Haus am Waldrand. Mit seinen dunklen Haaren, dem markanten Gesicht und der sportlichen Statur war er ein attraktiver Mann. Schon so manche Urlauberin hatte ihn mit einem Filmschauspieler verwechselt. Sein finsterer Blick verbot jedoch jeden Versuch, ihm näherzukommen.

»Daniela?«, rief er grimmig. »Ich muss mit dir reden!«

Es kam nicht oft vor, dass sich Lukas Kofler im Dorf sehen ließ. Er lebte allein und ging seinen Mitmenschen aus dem Weg. Man traf ihn weder im Laden noch in der Kirche an. Natürlich kursierten Gerüchte über ihn in Rimsting. Spekulationen darüber, ob er etwas zu verbergen hatte – und wenn ja, was das wohl war. Etwas Genaues wusste jedoch niemand.

»Na, der schaut aber geladen aus«, stellte Toni halblaut fest und warf Daniela einen Blick zu. »Was hat er denn?«

»Das weiß ich noch net.«

»Soll ich hierbleiben und dir Schützenhilfe leisten?«

»Das musst du net. Er wird mich schon net beißen – und wenn doch, dann beiße ich auf jeden Fall zurück.« Sie zwinkerte dem Postboten zu.

Toni lachte leise. »Wenigstens hast du einen Plan. Bis morgen also.«

»Ja, bis morgen, Toni.« Daniela sah ihm kurz nach, als er wieder in sein Auto stieg und davonfuhr. Dann wandte sie sich ihrem Nachbarn zu. Sein Blick war noch finsterer geworden, aber davon ließ sie sich nicht abschrecken. Stattdessen lächelte sie ihm zu. »Guten Morgen, Lukas.«

»Gut ist an diesem Morgen leider gar nix«, grollte er. »Euer Hund hat einen Hasen in meinem Wald gewildert. Einfach totgebissen. So geht das net, Daniela.«

»Die Rika soll einen Hasen getötet haben?« Verwundert schüttelte Daniela den Kopf. »Das kann net sein.«

»Leider doch. Ich habe sie erkannt. So viele Setter gibt es in der Gegend net. Ihr wisst genau, dass es net gestattet ist, Hunde im Wald frei laufen zu lassen. Wenn so etwas noch mal vorkommt, werde ich es dem Förster melden. Dann wird er mit seinem Gewehr einschreiten.« Er funkelte sie finster an.

»Bloß das net! Großvater hängt sehr an Rika.« Daniela stieß ein Seufzen aus. »Hör zu, wenn unser Hund wirklich gewildert hat, tut es mir sehr leid. Ich werde der Sache auf den Grund gehen. So etwas wird nimmer vorkommen, das verspreche ich dir.«

»Das will ich hoffen.« Der Besucher nickte, ehe er sich auf dem Absatz umdrehte und davonstapfte.

Daniela beschloss, gleich mit ihrem Großvater zu sprechen, und ging ins Haus. Das Rattern der Kaffeemaschine führte sie durch den Flur in die gemütlich eingerichtete Bauernküche. Mit den karierten Vorhängen, dem Herrgottswinkel und der rustikalen Eckbank war der Raum Danielas liebstes Zimmer. Auf der Fensterbank zog sie Kräuter in Keramiktöpfen.

Ihr Großvater saß auf der Bank und schnitzte. Geschickt arbeitete Josef Meindl mit seinem Messer eine Schachfigur aus dem Holzstück heraus. Das Pferd war schon gut zu erkennen. Seine Hündin hatte sich zu seinen Füßen zusammengerollt und den Kopf auf den Vorderpfoten abgelegt. Sie döste und wirkte in diesem Augenblick völlig harmlos. Allerdings lag ihr die Jagd im Blut. Hatte sie womöglich doch den Hasen gewildert?

Daniela legte die Post auf dem Holztisch ab.

»Der Lukas war eben hier«, erzählte sie. »Er sagt, Rika hat sich einen Hasen aus seinem Wald geholt. Das kann net wahr sein, oder?«

Ihr Großvater ließ sein Messer sinken und schob die buschigen weißen Augenbrauen zusammen. »Na ja«, erwiderte er gedehnt. »Genau genommen könnt es schon sein.«

»Was sagst du da?«

»Rika läuft halt gern frei, das weißt du doch. Mit der Leine ist sie net glücklich. Und der Wald gehört Lukas net.«

»Doch, Großvater. Lukas hat ihn gekauft.«

»Der Forst sollte aber uns gehören. So war es mit dem Obermayer-Ferdl abgemacht. Lukas hat schamlos ausgenutzt, dass Ferdl allmählich vergesslich wird und nimmer daran gedacht hat, dass er den Wald schon vor Jahren mir versprochen hatte.«

»Das konnte Lukas net wissen, als er sein Angebot gemacht hat. Ferdl war einverstanden, ihm seinen Wald zu verkaufen. Woher hätte Lukas ahnen sollen, dass ihr schon eine mündliche Vereinbarung hattet?«

»Das hätte er sich denken können. Immerhin schließen meine Wiesen den Wald ein. Es war klar, dass ich ihn haben will, nun, da wo Ferdl endlich bereit war, ihn zu verkaufen.«

»Vielleicht weiß Lukas net, dass die Wiesen dir gehören.«

»Verteidigst du ihn etwa, Daniela?«

»Ich möchte nur net, dass du ihm unrecht tust.«

»Das mache ich bestimmt net. Dieser Bursche ist mir suspekt. Er nimmt sich, was er haben will, und lässt sich nie im Dorf sehen. Wer weiß, was er auf dem Kerbholz hat. Wovon lebt er eigentlich?«

»Er ist Fotograf, glaube ich. Jedenfalls sehe ich ihn manchmal mit einer Kamera.«

»Wer weiß. Vom Knipsen allein kann man net leben.«

»Das weiß ich net.« Daniela hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Bitte, lass Rika nimmer frei in seinem Wald laufen. Er hat gedroht, es zu melden, und du weißt, dass der Förster kurzen Prozess mit net angeleinten Hunden macht.«

»Ja, das weiß ich.« Die Miene ihres Großvaters umwölkte sich wie der Himmel vor einem Unwetter. Josef hielt seinen Nachbarn wie die meisten Dorfbewohner für unausstehlich. Tatsächlich schien Lukas mit niemandem gut auszukommen.

Was mochte ihn so verbittert haben?

***

Diese Ohrenschmerzen treiben mich noch in den Wahnsinn! Unbehaglich rieb sich Lukas das rechte Ohr. Das Ziehen war unerträglich. Es fühlte sich an, als würde ihm eine Stricknadel ins Trommelfell getrieben. Dazu hatte er ständig ein Klingeln im Ohr, das ihm mittlerweile gehörig auf die Nerven ging – und zwar nicht erst seit der Auseinandersetzung mit seiner Nachbarin am vergangenen Morgen. Nein, die Beschwerden hielten schon drei Tage an. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren!

Lukas schlug sich die Nacht auf der Kampenwand um die Ohren. Der Berg trug das größte Gipfelkreuz der Bayerischen Alpen. An der Südseite gab es zahlreiche beliebte Klettersteige, und von Norden aus bot sich ein traumhafter Ausblick auf den Chiemsee mit seinen drei Inseln. Die Schmerzen hielten den Fotografen jedoch davon ab, die Aussicht zu genießen. Er wollte nur seine Arbeit hinter sich bringen und dann heimfahren.

Ein Münchner Verlag wollte einen Naturführer für das Chiemgau herausbringen, und Lukas sollte Fotos von Steinböcken beisteuern. Seine Beobachtungsgänge hatten ihm Hoffnung gemacht, die scheuen Tiere an der Kampenwand vor die Kamera zu bekommen. Während die ersten Strahlen der Morgensonne den Himmel in sanftes Rosa tauchten und die Konturen der Berge und der Natur allmählich schärfer wurden, lag der Fotograf im Schutz rot blühender Alpenrosen-Büsche und wartete auf seine Chance – seinen Fotoapparat in den Händen und bereit für die Aufnahmen.

Lukas hatte auf dem Berg übernachtet, weil er im Dunkeln nicht aufsteigen konnte und unbedingt vor Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein wollte. Sein Zelt stand in der Nähe. Er trug mehrere Kleidungsschichten übereinander. Trotzdem fror er. Die Juni-Nächte konnten hier oben verflixt kalt sein!

Ein Hase hoppelte über die Felsen. Sofort wurde Lukas an das arme Langohr erinnert, das der Hund seiner Nachbarn am vergangenen Tag in seinem Wald geholt hatte. Er hatte den Wald gekauft, um ein Stück Natur zu erhalten. In seinem Forst gab es keine Jagd und nur so viel Holzwirtschaft, um die Wege frei zu halten. Ansonsten sollte die Natur ungehindert gedeihen. Ein räubernder Hund war da nicht vorgesehen!

»Sakra«, murmelte er und ließ seinen Fotoapparat sinken, um die Ohrentropfen aus seiner Jackentasche zu holen.

Er hatte sie sich am vergangenen Abend in der Apotheke besorgt. Fünf Tropfen sollte er in sein Ohr träufeln, hatte die Apothekerin gesagt. Wie er das allein hinbekommen sollte, hatte sie nicht erwähnt. Er hatte an der Seite schließlich keine Augen!

So schob er die Öffnung in sein schmerzendes Ohr, presste die Flasche zwischen den Fingern zusammen und hoffte, dass er eine halbwegs vertretbare Dosis erwischte. Es gab niemanden, der ihm die Tropfen ins Ohr träufeln konnte. Solche Unannehmlichkeiten waren der Preis für seine Unabhängigkeit, und Lukas war bereit, ihn zu bezahlen.

Niemand von seinen Nachbarn wusste, dass er seit einer herben Enttäuschung nur noch für seine Arbeit als Naturfotograf lebte. Er ging allen Menschen aus dem Weg. Vor allem seinem Bruder.

Andreas hatte ihm vor sieben Jahren die Verlobte ausgespannt. Das hatte er nie verwunden. Inzwischen lebte das Paar in München. Sein Bruder war ein erfolgreicher Maler, und Gabriele leitete eine Galerie. Sie hatten eine Tochter zusammen. Die Kleine musste inzwischen fünf oder sechs Jahre alt sein.

Genau wusste Lukas es nicht, denn er hatte das Madel noch nie gesehen. Früher hatte sein Bruder ihm noch hin und wieder geschrieben und versucht, eine Versöhnung herbeizuführen, aber Lukas hatte es nicht über sich gebracht, das Eheglück seines Bruders vor Augen zu haben und an das erinnert zu werden, was er verloren hatte.

Sie hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr.

Manchmal fragte sich Lukas, ob Gabriele mit seinem Bruder glücklicher geworden war, als sie es je mit ihm gewesen war. Doch solche Grübeleien führten nur dazu, dass seine Tage noch einsamer waren, deshalb vermied er sie, so gut er konnte.

Sein Nacken schmerzte vom langen Ausharren. In seinem Beruf brauchte man Geduld. Lukas ließ den Blick über die felsige Landschaft schweifen. Dabei entdeckte er endlich eine kleine Herde. Steinböcke! Sie kletterten im Morgenlicht über die Felsen und blieben hin und wieder stehen, um Gras oder Moos zu fressen. Perfekt!

Mit einem Mal breitete sich Ruhe in Lukas aus. Er hob seine Kamera und schoss konzentriert Foto um Foto. Links stand eine Mutter mit ihrem Jungen und säugte es. Ihr rotbraunes Fell schimmerte im Morgenlicht. Weiter rechts sprang eine junge Geiß über die Felsen. In der Ferne zeichneten sich die Umrisse eines Bocks ab, der der Herde zu folgen schien. Sein mächtiges Gehörn war imposant.

Nach einer Weile ließ Lukas seine Kamera sinken und nickte zufrieden vor sich hin. Ihm waren einige reizvolle Aufnahmen gelungen, daran zweifelte er nicht.