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Das Böse ist näher, als du glaubst Sie leben in völliger Isolation tief in den Wäldern einer kleinen Insel: Mutter, Vater und zwei heranwachsende Kinder in einer Blockhütte, das Festland ist in der Ferne kaum sichtbar. Die 16-jährige Juno und ihr Bruder verbringen die Zeit mit Fischfang, Kuchenbacken und sonntäglichen Gesellschaftsspielen. Und in ständiger Angst. Denn schon auf der anderen Uferseite lauert das Böse. Fremde können jederzeit auftauchen. Und die wollen Rache nehmen für etwas, das der Vater ihnen vor langer Zeit angetan haben soll. Die Fremden werden kommen, um die ganze Familie auszulöschen. Aus diesem Grund hat der Vater einen geheimen Schutzraum gegraben. Dort können sie sich sicher fühlen. Noch …
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Seitenzahl: 33
Ivar Leon Menger
Als das Böse kam
Kostenlose XXL-Leseprobe
Thriller
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Und als sie sah, wo sie war,
da fing sie so bitter an zu weinen,
denn von allen Seiten war Wasser,
sie konnte gar nicht an Land kommen.
Hans Christian Andersen
Mutter steht in der Küche und backt Blaubeerkuchen. Das Haus duftet nach warmem Karamell, obwohl alle Fenster und Türen weit offen stehen. Ein Sommerwind zieht durch die Räume, eine angenehme Abwechslung zur Nachmittagshitze, die sich in unserem Gefängnis breitmacht.
Ich habe mir eine Kochschürze umgebunden und helfe Mutter beim Abspülen, während Boy unseren Kaffeetisch im Esszimmer deckt.
»Was spielen wir heute?«, frage ich und stelle die saubere Teigschüssel zurück in den Küchenschrank.
»Monopoly?«, antwortet Mutter, sie wirft mir einen verschmitzten Blick zu. Wir wissen, dass Vater regelmäßig einen Tobsuchtsanfall kriegt, wenn seine Figur auf einem unserer Hotels landet. Dann schießt das Spielbrett durch die Luft und es regnet Geldscheine. Ein Vergnügen für uns Kinder.
Doch heute müssen wir etwas anderes spielen.
Damit mein Plan funktioniert.
»Wir könnten doch Risiko rausholen«, sage ich so beiläufig wie möglich.
Mutter zieht die Augenbrauen zusammen. Ich weiß, dass sie das Spiel nicht mag. Nicht ohne Grund versteckt sie die Pappschachtel in ihrem Schlafzimmer, in der untersten Schublade ihrer Kommode. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass mein Bruder und ich es einfach vergessen.
»Das ist ein sehr dummes Spiel.« Mutter legt das Geschirrtuch zur Seite und verschränkt die Arme. »Haben wir euch nicht beigebracht, dass man mit Gewalt keine Konflikte löst?« Sie blickt mich ernst an. »Frieden und Freiheit sind kostbar, Juno. Unsere Familie lebt hier schon mit genug Angst.«
»Aber es macht mir doch so eine Freude«, lüge ich und verberge meine Hände in den aufgenähten Vordertaschen meiner Schürze. Mein rechter Zeigefinger beginnt schon zu zittern, windet sich wie ein Regenwurm im Schnabel eines Singvogels. Das macht er seit meiner Kindheit. Immer, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Ich kann es einfach nicht kontrollieren.
»Außerdem lernen wir dabei doch strategisches Denken. Man muss die richtigen Entscheidungen treffen, wenn man angegriffen wird.« Ich komme in Fahrt. »Falls die Fremdlinge auf unserer Insel auftauchen. Vater will, dass wir uns verteidigen können.«
»Was will ich?« Vater betritt die Küche, unter dem Arm ein Bündel Brennholz. Er zieht sich Handschuhe über, öffnet die Befeuerungskammer des Backofens und legt einen Scheit Holz nach. »Das riecht wirklich köstlich.«
»Deine Tochter will Risiko spielen«, sagt Mutter.
»Prima Idee!«, ruft Boy, der in die Küche gestürmt kommt, die Besteckschublade aufreißt und den Tortenheber und vier Kuchengabeln herausholt.
»Von mir aus gern«, sagt Vater und nimmt meinen Bruder in den Schwitzkasten. »Aber dann bist du heute fällig, mein Sohn!«
Sie rangeln miteinander und kitzeln sich beinahe zu Tode.
Ich blicke zu Mutter hinüber und beobachte, wie sie ihre Schürze aufknüpft, den Stoff über die Stuhllehne legt und mit der Handfläche die einzelnen Falten glattstreicht. Ich spüre, dass sie über meinen Vorschlag nicht erfreut ist. Wahrscheinlich hat sie eine andere Reaktion von Vater erwartet. Sie schüttelt den Kopf. Vielleicht wundert sie sich auch nur, warum gerade ich Risiko vorgeschlagen habe. Ein Spiel, bei dem man mit etwas Würfelglück die ganze Welt erobern kann. Mutter weiß, dass ich es genauso hasse wie sie.
Die Eieruhr klingelt. Der Blaubeerkuchen ist fertig.
»Ich nehme die grünen!«, sagt Boy und verteilt die Farben der restlichen Spielsteine an uns. Mutter Gelb, Vater Schwarz und mir schiebt er natürlich die rosafarbenen Steine zu. Er klappt das Spielbrett auf und legt es in die Mitte des Esstischs.
Mutter schneidet den Kuchen in gleich große Stücke und reicht jedem von uns einen Teller. Sofort stopft sich Boy eine Gabel Blaubeerkuchen in den Mund. Vater mischt den Stapel mit den Gebietskarten, während ich unauffällig die bunte Weltkarte studiere.
Sechs Kontinente, zweiundvierzig Länder. Ich fliege über Namen wie Peru, Sibirien, Grönland, Skandinavien, Brasilien, Kongo, Mitteleuropa, Indien, West-Australien, Ontario.