Als wir uns trafen... - Susann Englert - E-Book

Als wir uns trafen... E-Book

Susann Englert

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Beschreibung

Maggie und ihr vierjähriger Bruder Benni leben in einem Albtraum. Ihren Vater verloren und mit ihrer Mutter Elsa kein Wort mehr sprechend, herrscht Peter über das Haus. Er ist seit geraumer Zeit der neue Mann an Elsas Seite und nicht nur demütigend und verlogen, sondern auch gewalttätig. Maggies einziger Rückzugsort ist die Arbeit und nie würde sie ihre privaten Probleme ihrer Chefin und Freundin Laura erzählen. Nachdem jedoch David in den kleinen Ort zieht und sofort ein Auge auf Maggie geworfen hat, kommt schon bald die Wahrheit ans Licht. Er möchte helfen, würde alles für sie und ihren Bruder tun. Peter aber schwört auf Rache und hütet ebenfalls ein Geheimnis.

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Scheint eine Situation ausweglos, kann jemand in dein Leben treten, der dir wieder Hoffnung schenkt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 1

„Ruhe da drinnen!“

Ein heftiger Schlag lässt die Tür zum Schlafzimmer von Maggie wackeln. Eingeschlossen und sich in leichter Sicherheit fühlend, streichelt sie über das dunkelblonde, zottelige Haar ihres vierjährigen Bruders Benni. Der Kleine weint und zittert und der Schreck des Klopfens lässt ihn ein weiteres Mal zusammenzucken.

Schon seit vielen Monaten schläft Benni nicht mehr in seinem eigenen Zimmer. Maggie ist die Gefahr zu groß, ihn allein dort schlafen zu lassen. Ihr Stiefvater Peter ist wie eine tickende Zeitbombe und keiner weiß nur im Geringsten, was er als Nächstes kaputtschlagen könnte. Maggie und Benni mussten schon einige Male selbst daran glauben.

„Hey Kleiner, beruhige dich.“, flüstert sie in sanftem Ton zu ihrem Bruder. Tränen in ihren Augen lassen die Konturen des Zimmers verschwimmen.

Maggie ist schon lange am Ende angelangt, doch weiß, dass sie vor allem für Benni stark sein muss. Ihr größter Hoffnungsschimmer ist ihr 18. Geburtstag. Bis es so weit ist, müssen beide nur noch acht Monate überstehen.

Manchmal jedoch stellt sie sich die Frage, ob sie es beide bis dahin überleben werden. Maggie selbst ging schon mehrfach mit angebrochenen Rippen und schlimmsten Schmerzen auf die Arbeit.

Zweimal hatte sie den Mut gefasst, das Jugendamt und die Polizei miteinzubeziehen. Schnell wurde aber klar, dass es einmal zu viel war. Das Jugendamt wollte ihr Benni wegnehmen und Maggie weiß, dass er daran zerbrochen wäre.

Sie ließen nicht einmal ein gemeinsames Gespräch zu, indem Maggie hätte fragen können, ob sie gemeinsam in einem Heim wohnen könnten. Peter und ihre Mutter hatten der Frau vom Sozialamt Lügen über sie erzählt. Maggie hätte ein Suchtproblem und ihr Leben nicht im Griff. Der Anruf wäre eine Kurzschlussreaktion gewesen. Peter hatte es fast geschafft, dass sie Maggie aus dem Haus holten und sie bezüglich der Angaben, in eine Entzugsklinik stecken wollten. Dabei waren es stets Peter und Elsa, ihre Mutter, die betrunken waren und oftmals Drogen konsumierten. Natürlich kam dieses Detail nie ans Licht.

Selbst als Maggie die Polizei einschaltete, bekamen dies die zwei mit. Sie spielten trautes Heim auf die perfekte Weise.

Wieder wurde Maggie als Sünderin in den Raum gestellt und schließlich gab es auch die notierten Zeilen des Amtes für den Beamten zu sehen. Ein weiteres Mal verlor sie und alles, was sie dafür bekam, waren derbe Schläge.

Mit der Volljährigkeit erhoffte sich Maggie, das Sorgerecht für Benni zu bekommen. Sie könnten mit etwas Unterstützung des Staates in eine kleine Wohnung ziehen und die Vergangenheit ruhen lassen. Alles was sie derzeit in ihrem Job als Bedienung verdiente, reichte kaum für Rücklagen.

Elsa wusste, wie viel sie bekam, und forderte monatlich Geld von Maggie ein. Dies wurde wohl insgeheim von Peter veranlasst. Ihr selbst blieben Trinkgelder und einhundert Euro. Das Geld der Gäste sparte sie, und einen Teil ihres restlichen Verdienstes legte sie ebenfalls zur Seite. Viel blieb davon natürlich nicht übrig.

Ihrer Freundin und Chefin, der das Café gehörte, erzählte sie nie etwas von ihrem Privatleben. Laura wusste lediglich, dass ihr Vater vor vier Jahren verstarb und Peter nun der Hausherr war. Ab und zu war Benni mit bei der Arbeit.

Meist am Wochenende und wenn am Nachmittag noch eine Schicht dazukam und Maggie arbeiten gehen konnte. Laura hatte glücklicherweise nie etwas dagegen und hakte deshalb auch nie nach, weshalb Benni nicht bei seiner Mutter zu Hause war.

Maggie vermisste ihren Vater wahnsinnig. Sie waren ein Herz und eine Seele. Er war liebevoll, lustig, klug. Er wollte seiner Tochter alles ermöglichen, so dass sie ihr Leben ganz nach ihren Vorstellungen leben konnte.

Im Grab würde er sich umdrehen, wenn er wüsste, wie der Alltag nun im Hause Krüger ablief. Maggie hatte kurz nach seinem Tod die Schule abgebrochen, obwohl sie eigentlich auf dem besten Weg zu einem guten Abitur gewesen wäre, hätte man ihr die Jahre bis dorthin nicht geraubt.

Ihre Mutter machte eine 180-Grad-Wendung, welche man ihr nicht nur am Charakter anmerkte, sondern auch äußerlich. Sie ließ sich nicht nur gehen, sondern wog statt den vorherigen knapp siebzig Kilo nun über einhundert. Ihre Tage verbrachte sie damit, auf der Couch zu sitzen, fernsehen zu schauen und fettiges Zeug zu essen. Ab der Mittagszeit floss Bier und Wein in sie hinein. Sie war zu einer verbitterten Witwe geworden, die den falschen neuen Mann in das Haus gelassen hatte, keine eigene Meinung mehr vertrat und von der Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes lebte.

Peter kam in das Haus, da war Benni knapp ein halbes Jahr alt. Nach einigen Monaten heirateten die beiden schlagartig und das Elend nahm seinen Lauf.

Elsa und Peter lernten sich auf einem Fest in der Stadt kennen. In Maggies Augen war er auf den ersten Blick ein asoziales Arschloch gewesen. Lange, leicht gewellte, graumelierte Haare und diese oftmals ungewaschen. Zu Hause lief er dann immer mit einer Flasche Bier herum und trug ein schwarzes Achselshirt, welches eng über seinem wachsenden Bierbauch gespannt war.

Schnell hatte es sich herauskristallisiert, dass er nur ein unbeschwertes Leben haben wollte, in dem er nichts selbst bezahlen musste. Elsa war wohl so instabil gewesen, dass sie sich dachte, den Erstbesten zu nehmen. Nur das gerade dieser ihr Leben komplett auf die schiefe Bahn brachte und ihre Kinder zu schlagen und demütigen begann. Ihr wurde alles vollkommen gleichgültig, weil sie von Selbstmitleid und Hass erfüllt war. Elsa war traurig über den Verlust ihres Mannes und hasste ihren Sohn dafür, dass er geboren wurde. Elsa hätte ihn beinahe sterben lassen. Dies wäre auch geschehen, hätte Maggie nicht begonnen, sich um Benni zu kümmern.

Vor Bennis Geburt war alles noch bestens. Maggie hatte zwar nie die beste Beziehung zu ihrer Mutter, aber sie sprachen miteinander und achteten sich. Elsa war eine hübsche Frau mittleren Alters gewesen und auch die späte Schwangerschaft stand ihr gut. Als dann eines Tages die Wehen einsetzten, war Maggies Vater auf einer geschäftlichen Besprechung seiner Marketingabteilung. Er war ein hohes Tier in der Werbebranche und verdiente genug Geld für die ganze Familie. Es fehlte ihnen an nichts für ein schönes Leben.

Elsa rief ihn an, dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus sei und auch Maggie in Kürze von der Schule aus direkt dorthin kommen würde.

Er war ganz aufgeregt und brach das Meeting ab, um schleunigst loszufahren. Er wollte an der Seite seiner Frau sein, so wie er es auch bei Maggies Geburt getan hatte.

Leider bekam er seinen Sohn nie zu sehen. Noch circa zehn Kilometer hätte er zu fahren gehabt, doch in diesen nahm ihm ein SUV mit zu hoher Geschwindigkeit die Vorfahrt.

Sein Wagen überschlug sich und knallte mit der Fahrerseite an einen Laternenmast. Er wurde noch an Ort und Stelle für tot erklärt. Mit der Geburt von Benni bekam Elsa auch diese Nachricht, nachdem sie sich ständig bei Maggie über ihn informiert hatte. Maggie rannte ständig zwischen Kreißsaal und Krankenhausempfang hin und her, bis irgendwann das Handy ihrer Mutter zu klingeln begann. Sie weiß noch wie heute, dass sie nach dieser Nachricht die Hand ihrer Mutter hielt, während sie pressen musste. Sie sagte es ihr erst, nachdem alles überstanden war, um Komplikationen zu vermeiden.

In den Krankenhaustagen schien alles noch halbwegs normal zu verlaufen. Beide waren von Trauer erfüllt, doch Elsa kümmerte sich rührend um ihr Neugeborenes. Wog es in ihren Armen und sagte, dass sie es schaffen würden. In den eigenen vier Wänden, drei Tage nach der Beerdigung, lief es jedoch nicht mehr so ab. Maggie hörte ihren Bruder unaufhörlich schreien. Sie hielt sich anfangs zurück und hoffte, ihre Mutter würde sich einschalten. Meist geschah dies auch nach gewisser Zeit. Später jedoch, Benni war in etwa einen Monat alt, kam Maggie von einer Übernachtung bei ihrer Freundin nach Hause und konnte ihren Augen nicht trauen.

Ihre Mutter saß auf der Terrasse und trank um elf Uhr am Morgen Wein. Benni lag in seinem Laufstall, ein Fläschchen neben sich liegend und schrie wie am Spieß. Seine kleinen Augen waren schon ganz verquollen und er stank fürchterlich. Es dauerte nicht lange, bis Maggie sah, dass er in seiner eigenen Kacke lag. Sie setzte schnell neues Wasser auf, um Milch für ihn zu machen. In der Zwischenzeit nahm sie Benni mit ins Badezimmer und wusch ihn. Sie verstand die Welt nicht mehr.

Wenig später ging sie mit ihm auf dem Arm nach draußen, während sie ihm sein Fläschchen gab.

„Mutter, was ist los mit dir?“, schrie sie Elsa an.

„Was soll denn sein?“, lallte sie eine Gegenfrage.

„Wie lange lag Benni schon so in seinem Laufstall?“

„Ich habe ihn Freitag Nacht hineingelegt.“

„Dir ist schon bewusst, dass es gleich Sonntag Mittag ist, oder?“

„Ist es wirklich schon so spät? Ich habe ihm doch eine Flasche dazugelegt.“, säuselte Elsa.

Maggie wurde immer wütender.

„Dir ist auch bewusst, dass Benni noch ein Baby ist? Er kann sich sicher noch nicht allein die Flasche geben, geschweige denn seinen Hintern abputzen. Normalerweise sollte er noch von dir gestillt werden.“

„Jetzt bist du ja wieder da, Maggie.“

„Was soll das heißen? Du hättest ihn beinahe verhungern lassen, Elsa!“

Elsa drehte sich zu ihrer Tochter um, ihre Augen vom Alkohol gerötet und schaute monoton auf Benni, dann auf ihre Tochter.

„Dieses Baby ist schuld an dem Tod deines Vaters. Warum bitte, soll es dann leben?“, sagte sie mit entschlossener Stimme. Maggie gefror das Blut in den Adern.

„Es ist euer Sohn. Es ist dein Sohn. Werde bitte wieder normal, Mutter. Er kann rein gar nichts für den Unfall.“

Sie schaute Maggie nochmals tief in die Augen.

„Er ist der Teufel, Maggie.“, sagte sie unverfroren. „Lass ihn doch sterben oder kümmere du dich um ihn.“

Maggie war just nicht mehr im Stande, überhaupt noch etwas zu sagen. Sie war geschockt. Verwirrt.

Sie hatte sich erhofft, dass ihre Mutter am nächsten Tag wieder normal ticken würde, aber diese Hoffnung schwand.

Tag für Tag. Es war egal, wie sehr Maggie mit den besten Argumenten auf sie einredete. Elsa schien in ihrer eigenen Welt zu sein und in der existierte lediglich sie allein. Dieses Verhalten dauerte so lange an, bis schließlich Peter in ihr Leben trat.

In Nächten wie diesen, in denen sie ihren nun vier Jahre alten Bruder versuchte zum Schlafen zu bringen, dachte sie oft über eines nach. Was wäre, wenn sie vor Jahren anders reagiert und Hilfe beim Amt gesucht hätte? Doch sie selbst war noch zu jung gewesen. Diese ganze Situation war viel zu neu und zu viel für sie. Maggie traf jedoch keinerlei Schuld, denn sie war sich sicher, dass sie alles nur Beste für Benni tat. Sie war nicht nur eine Schwester, die ihren Bruder über alles liebte, sondern auch gleichzeitig eine Mutter für ihn.

So hatte sich Maggie ihr Leben zwar nie ausgemalt, aber dies war nun die Realität. Sie musste so rasch erwachsen werden, dass sie sich mit siebzehn wie fast dreißig fühlte.

Auf der Arbeit war sie gerne, denn dort konnte Maggie sie selbst sein. Einfach Meg. Keiner wusste, was sie privat machte und welche Probleme sie mit sich herumtrug. Sie konnte einfach ihren Spaß machen und mit halbwegs normalen Leuten sprechen. Vom häuslichen Alltag abschalten.

Kapitel 2

Weiterhin bei seinen Eltern zu wohnen war nur vorübergehend. David hatte mit seinen 26 Jahren bereits eine eigene Wohnung gemietet, doch um seinen Vater weiterhin zu unterstützen nahm er einen Umzug in Kauf. Davids Vater Karl ist ein angesehener Architekt und leitet oftmals den Bau seiner Projekte selbst.

Die Leidenschaft Bauten zu gestalten hatte er seinem Sohn weitergegeben. David hat es schon früh fasziniert, wie auf einem leeren Blatt Papier großes entstehen kann. Abgesehen von einigen notwendigen Normen, konnte er trotz allem seiner Kreativität freien Lauf lassen.

Karl und Britta, die Mutter von David, wollten langsam etwas ruhiger leben. Ländlicher. Karl machte seinem Sohn das Angebot ihn zum Partner zu machen. David musste daraufhin nicht allzu lange überlegen. Die Beziehung zu seinen Eltern konnte nicht besser sein und das gekaufte Haus besaß im obersten Stockwerk eine eigene Wohnung für ihn. Bis er sich sicher darin war, dass dies der richtige Weg sein würde, konnte er diesen Kompromiss eingehen.

Eine eigene Wohnung konnte er sich auch später noch suchen. Schließlich konnte es auch geschehen, dass ihn die neue Umgebung nicht ganz und gar überzeugte.

Normalerweise war David ein Stadtmensch. Nach getaner Arbeit ging er sonst mit Freunden in die Bars und Clubs. Er fragte sich, ob es so etwas auf dem Land überhaupt geben würde. Sicher musste man einige Zeit fahren. Ebenfalls war er sich etwas unsicher, welche Menschen ihn dort erwarten würden. Einsiedler, welche sich von der Stadt abwenden?

Tante-Emma-Läden und Dorftratsch?

Womöglich ging er mit diversen Vorurteilen an den Umzug heran. David musste sich einfach überraschen lassen, schließlich schloss er sich seinen Eltern freiwillig an.

Seit knapp drei Stunden nun, fuhr David dem Auto seiner Eltern hinterher.

Zwischendurch gab es eine Essenspause in einem kleinen Bistro auf einem Autohof. Karl erzählte voller Tatendrang von seinen Plänen für den Neuanfang. Auf dem Land wurde wieder mehr gebaut. Selbst in den kleinsten Dörfern gab es die bekannten Neubaugebiete. Die Leute mochten es, beste Modernisierungen zu besitzen. Ziel von Karl war es jedoch, den ländlichen Charme zu bewahren. In der neuen Heimat und ebenfalls Nachbargemeinden sollte Neues entstehen. Er wollte in keiner Weise exklusive Villen oder gar geradlinige Zementblöcke auf den freien Flächen wissen. Karl war ein mehr als erfolgreicher Unternehmer und dies hatte sich in den vergangenen Jahren herumgesprochen. In seiner Fantasie standen rustikale Blockhütten vor ihm. Diese nicht zu klobig, sondern in eine moderne Richtung gehend.

Vor einigen Minuten fuhren sie in den kleinen Ort hinein.

David begutachtete die Häuser an den Straßenseiten und versuchte, sich ein erstes Bild zu machen. Nicht lange und sein Vater verkündete ihm mit dem Warnblinker, dass sie ihr Haus erreicht hatten. Es stand an vorletzter Stelle einer Einbahnstraße. Nach hinten hinaus sah man lediglich Wald und Wiese. David war froh darüber, dass diese Fläche nicht bebaut werden sollte. Es sah wunderschön aus und lud zum Spazierengehen ein.

Beide Autos wurden auf dem großzügigen Hof geparkt und alle stiegen aus. Karl streckte sich und schaute in die Gesichter seiner Familie.

„Gefällt es euch?“, fragte er erwartungsvoll.

David und seine Mutter blickten einander an und nickten sich bejahend zu.

Eine dunkle Holzfassade verzierte das Zwei-Etagen-Haus.

Auf der hinteren Seite des Gebäudes gab es einen sehr großen Garten. Hoch gewachsene Tannen brachten ausreichend Privatsphäre. Während Britta und David das Äußere inspizierten, lud Karl die Koffer aus. Alles Weitere würde am nächsten Tag das Umzugsunternehmen bringen. Am heutigen Tag wurde minimalistisch gelebt. Ebenso David holte etwas später seine drei Gepäckstücke und brachte sie gleich in seine Etagenwohnung. Er schaute sich kurz in seinen drei Zimmern um und war erfreut darüber, dass es größer auszufallen schien als seine vorherige, eigene Wohnung. Trotz allem wusste er, dass er trotz der eigenen vier Wände sicherlich viel Zeit mit seinen Eltern verbringen würde.

Karl und Britta standen gerade eng umschlungen im Wohnzimmer, wo sie sich wohl schon bildlich alles eingerichtet hatten, als David die Treppe hinunter gerannt kam.

„Ich gehe mir noch etwas die Beine vertreten. Ist wohl gerade der richtige Zeitpunkt.“, lachte er.

„Ist bei dir dort oben alles ausreichend genug?“, fragte ihn sein Vater.

„Es ist alles bestens, Dad. Ich habe keinerlei Beanstandungen vorzugeben.“, grinste er weiterhin. „Also ich bin dann mal weg. Viel Spaß euch!“ David zwinkerte ihnen ironisch zu.

„Ich wusste gar nicht, dass wir einen so frechen Sohn in die Welt gesetzt haben.“, sagte Britta mit Blick auf Karl gerichtet.

„Er weiß eben, wie er die Dinge richtig zu deuten hat.“ Karl nahm seine Frau wieder fest in den Arm und küsste sie innigst.

David beschloss, den Laufweg in Richtung der Wälder etwas zu erkunden. Es war Mittag und er hatte noch ausreichend Zeit. Er wollte herausfinden, ob es womöglich einen Rundweg gab. So konnte er ab und an etwas joggen gehen.

David nahm schwer an, dass es in der Nähe kein Fitnessstudio gab.

Die Natur war beeindruckend. Nach etwa zwanzig Minuten kam David am höchsten Punkt an. Er setzte sich auf die vorhandene Bank und blickte in die Ferne. Wiesen und Bäume waren hier oben in der Überzahl. Der Blick nach unten zeigte das Dorf. Nach den Häusern zu urteilen, gab es maximal 1500 Einwohner. Ziemlich weit hinten erspähte er eine freie, eingezeichnete Fläche, bei der es sich um das zu bebauende Gebiet handeln musste. In gut zwei Wochen war das Treffen mit dem Bauherrn, an welchem sein Vater und er gemeinsam teilnehmen würden. David war bereits voller Freude, die Entwürfe beginnen zu können. Das Projekt der Neubausiedlung würde in zwei Sparten aufgeteilt werden, so viel wussten sein Vater und er schon. Dies bedeutete im Normalfall, dass Privatkäufe freier Grundstücksflächen stattfanden und ebenfalls Reihenhäuser gebaut werden sollten, welche nach Fertigstellung zur Vermietung bereitstanden. Bald schon würden sie die genaueren Details erfahren und bis dahin, gab es etwas Eingewöhnungszeit in der neuen Umgebung. David genoss den Ausblick noch eine Zeit lang und beschloss daraufhin, den Weg noch etwas weiter zu gehen.

Keine fünfzehn Minuten bergabwärts kam er auf der Straße an, die parallel zu der lag, in der er nun mit seinen Eltern wohnte. Er beschloss, diese noch etwas weiter in Richtung Ortsmitte zu gehen. Es würde sicherlich weiter unten einen Weg geben, der ihn wieder auf die andere Straßenseite führte. Umso länger er seinen Spaziergang ausdehnte, desto mehr Zeit der Zweisamkeit, konnten seine Eltern miteinander genießen. David schaute sich die diversen Häuser an.

Seit seinem Architekturstudium war es beinahe zum Zwang geworden, seinen Blick auf die Details an sämtlichen Bauten zu lenken. An einem Teil der Straße gab es große Unterschiede zwischen den Grundstücken der Nachbarn. Die einen Häuser waren in einem sehr guten Zustand, andere dagegen leicht verkommen oder noch nicht verputzt. Erfragte sich, ob die derzeitigen Mieter oder Hausbesitzer erst hierhergezogen waren oder ihnen nicht die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung standen. David gingen zig Ideen durch den Kopf, wie man den Häusern den Feinschliff geben könnte.

Als er nochmals zurückschaute, starrte ihn ein Mann mit starrem Blick an. Er sah ungepflegt aus und spuckte provokant auf den Grasboden vor sich. David war angeekelt, doch auch wurde ihm nun bewusst, weshalb das Haus so heruntergekommen aussah.

David ging die Straße weiter und weiter. Aus einer kleinen Nebenstraße heraus hörte er seichte Musik. Er blickte um die Ecke und erspähte ein kleines Café. Er griff in seine Hosentasche, um herauszufinden, ob er etwas Geld mithatte.

Der zu sehende Zehner in seiner Hand gab ihm die Antwort, sich einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu gönnen.

Als er das liebevoll eingerichtete Ambiente betrat, bekam er zu spüren, dass er auf dem Dorf angekommen war. Beinahe alle Blicke von den knapp zwölf Gästen fielen auf ihn. Er nickte freundlich, fast etwas verlegen, in den Raum. Er erspähte einen freien Platz in der Ecke des Cafés und setzte sich dort auf die dunkelblaulederne Couch. Keine Minute später stand eine junge blonde Frau vor ihm.

„Hallöchen, ich bin Laura.“, begrüßte sie ihn voller Euphorie und streckte ihm eine Karte vor die Nase.

„Hallo, ich bin David.“, tat er es ihr gleich und nahm die Karte entgegen.

Laura war kein Mensch von Schüchternheit und fing an zu prasseln.

„Schön dich kennenzulernen, David. Du bist nicht von hier, oder? Auf der Durchreise? Was führt dich hierher? Möchtest du schon etwas trinken oder erwartest du noch jemanden?“

David musste einen Lachanfall zurückhalten. Er schmunzelte und zog eine irritierende Grimasse. Trotz allem gefiel ihm ihre leicht aufdringliche Art. David versuchte, mit ihr mitzuhalten, und legte sich rasch ein paar Gegenfragen zurecht.

„Auch schön dich kennenzulernen, Laura. Laut dem Namen dieses Cafés bist du sicher die Besitzerin. Ist das so? Gehst du immer so auf die Leute zu oder bist du nur aufgedreht?

Die Gastronomie scheint dir im Blut zu liegen oder irre ich mich da?“

Laura brach in Gelächter aus und steckte David damit an.

Dieser Konter gefiel ihr auf Anhieb. Die gegenseitigen Fragen blieben vorerst unbeantwortet, doch die Sympathie hatte bei beiden sofort gewonnen.

„Ich hätte gerne einen Cappuccino und ein Stück Kuchen.

Gibt es eine Empfehlung?“, fragte er.

„Darf ich dich überraschen oder bist du wählerisch?“, kam eine beinahe zweideutige Gegenfrage.

„Überrasche mich.“, entgegnete er kurz und lächelte.

Hinter dem Tresen nahm er in Kürze leises Getuschel wahr und sah, das Laura hier nicht allein arbeitete. Neben ihr stand eine Frau, die jünger als sie war. Sie war zierlich, hatte hellbraunes langes Haar, welches jedoch zu einem Zopf gebunden war. Ihr Gesicht war zart und ihre Gesichtszüge wirkten glücklich und zugleich verletzlich. David konnte seinen Blick kaum von ihr abwenden und überlegte nebenher, über was die beiden wohl gerade sprachen. Eher gesagt grübelte er, was sie über ihn zu reden schienen.

Er war so abgelenkt, dass er gar nicht merkte, dass Laura bereits wieder vor ihm stand.

„Einen Cappuccino und ein Stück meines hausgemachten New-York-Cheesecakes. Guten Appetit.“

„Vielen Dank.“

Dieses Mal hielt sich Laura zurück und ging lediglich lächelnd davon, um David seine Ruhe zu lassen.

„Der sieht doch echt wahnsinnig gut aus, findest du nicht?“, fragte Laura hin und weg.

„Ja, sieht er. Ob er für längere Zeit hier ist?“, fragte sie fast sich selbst.

David war gut einen Meter achtzig groß, sportlich, attraktiv und hatte kurzes schwarzes Haar.

„Glaube mir Maggie, das werde ich heute noch herausfinden.“, gab Laura selbstsicher zurück.

„Zahlen, bitte.“, rief ein älterer Mann und Maggie machte sich unverzüglich auf den Weg zu dem Paar. Sie konnte sich einen kurzen Blick zu ihm nicht verkneifen, doch als er ihren erwiderte, lächelte sie ertappt und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Senioren.

Maggie hatte, was Männer anging nicht allzu viel Erfahrung.

Sicher gab es die erste Schulbeziehung, welche jedoch eher oberflächlich und mit dem ersten Kuss einherging, doch zu mehr hatte sie durch Benni nie die Zeit. Jemanden näher kennenlernen ohne wegzugehen ist schwierig und wirklich wohl in ihrer Haut fühlte sie sich auch nicht gerade. Niemand möchte eine leicht bekleidete bis nackte Frau sehen, deren Haut nur allzu oft mit blauen Flecken und Blutergüssen, übersäht war. Auch war sie sich nicht sehr sicher darin, ob sie gut im Flirten war. Zu einem Blickkontakt mit Augenaufschlag reichte es sicher, aber mehr Kontakt aufzubauen, war eine große Schwierigkeit für sie.

„Hat es dir geschmeckt?“, wollte Laura wissen, als sie den leeren Teller vom Tisch holte.

„Sehr gut sogar. Backst du alle Kuchen selbst?“

„Aber sicher doch. Kuchen und ab und an auch mal eine Torte. Meistens zu den Wochenenden. Ich empfehle dir, auch einmal die Pfannkuchen und den Apfelstrudel zu probieren.“, preiste sie ihre süßen Speisen an.

„Das werde ich sicher tun, schließlich wohne ich seit heute hier.“, zwinkerte er.

„Das ist gut zu wissen, David. Bist du denn allein hierhergezogen?“, hakte sie weiter nach. Laura war sich sicher, dass nun die Antwortrunde begonnen hatte.

„Nein, das bin ich nicht. Mein Vater hat mich überredet, mit ihm das Projekt des Neubaugebietes hier im Dorf zu übernehmen. Somit bin ich mit meinen Eltern hierhergekommen.“

Laura sah erfreut aus, zu hören, dass er nicht mit seiner Freundin oder Frau zugezogen war.

„Und das Café gehört also nur dir?“

„Jepp und es ist mein ganzer Stolz. Bereits seit zwei Jahren.

Irgendetwas Schickes muss es auf dem Land ja geben.“,

lachte sie.

„Es gefällt mir hier, das muss ich zugeben. Nun weiß ich, wo ich außerhalb der vier Wände an meinen Entwürfen arbeiten kann.“

„Zu jeder Zeit, natürlich innerhalb der Öffnungszeiten.

Maggie und ich stehen zu Diensten.“, sagte sie forsch.

„Sie ist deine Partnerin?“

„Nein, sie ist jedoch die einzige Mitarbeiterin. Wir schmeißen den Laden zusammen.“

„Maggie also…“, murmelte er vor sich hin und schaute in ihre Richtung.

Laura blieb das nicht unbemerkt, ließ es sich aber nicht anmerken.

„Na ja, so schön es hier auch ist, würde ich gerne zahlen. Ich muss noch ein paar Koffer auspacken.“

Laura zog ihn ab und bedankte sich.

„Dann auf bald?“, wollte sie wissen.

„Ich werde wahrscheinlich zum Stammgast werden.“, lachte er.

„Sehr gut für meine Einnahmen.“, klang sie freudig.

Während sich David zum Aufbruch bereit machte, sah er die Mädels wieder aneinanderhängen.

„Und, hast du deine Antwort bekommen?“, fragte sie Laura.

„Ja, habe ich. Er wohnt seit heute hier.“, antwortete sie leicht monoton.

„Sollte dich das nicht freuen?“ Maggie schien verwirrt.

David ging an ihnen vorbei, wünschte noch einen schönen Tag und verabschiedete sich von beiden. Maggie schenkte er ein besonderes Lächeln.

„Sein Interesse gilt dir, Maggie. Ich werde da wohl keine Chance haben.“, sagte sie ironisch eingeschnappt und mit einem Schmollmund.

Leicht verlegen schaute sie David, durch die Glasscheibe hindurch, nach.

Kapitel 3

„Hey Kleiner, na wie war es heute?“, fragte Maggie ihren kleinen Bruder von weitem, als er ihr vom Kindergarten aus entgegenrannte.

„Haben heute gebastelt.“, sagte er freudig.

„Hast du mir auch etwas gebastelt?“, wollte sie wissen.

Benni schüttelte den Kopf.

„Das wird behalten.“

„Du meinst, ihr behaltet es im Raum der Tagesstätte?“

„Mmh.“, murmelte er und schaute trübsinniger.

„Was ist denn los, Benni?“ Maggie nahm seine Hand, um loszulaufen.

„Gehen wir wieder heim?“

„Ja, das müssen wir.“

„Ich mag nicht.“, erwiderte er.

„Ich auch nicht, kleiner Schatz. Irgendwo müssen wir aber schlafen.“

Stets wollte sich Benni weigern, den Heimweg anzutreten.

Stets musste Maggie ihm verständlich machen, dass die beiden keine andere Wahl hatten.

Er konnte die Erwachsenenwelt noch nicht verstehen.

Maggie versuchte ihm immer wieder zu erklären, dass es noch ein paar Monate dauern würde, bis sie das Haus ihrer Mutter verlassen konnten. Benni verstand dies aber nur schwer.

Nie konnte man erahnen, was die beiden erwarten würde, wenn sie daheim angekommen waren. Entweder saßen Elsa und Peter benommen auf der Couch und schauten, zumindest den Anschein erweckend fernsehen oder aber Elsa schlief und Peter war volltrunken. Zweiteres war die gefährliche Variante.

Der Weg nach Hause brachte wieder und wieder ein mulmiges Gefühl mit sich. Maggie war bereits jetzt schon wieder flau im Magen. Der Gedanke an Davids Lächeln stimmte sie zumindest etwas positiver. Laura hatte recht damit, dass er sehr attraktiv war.

Das schöne Gefühl, welches Maggie überkam, verflog schnell. Was sollte jemand wie er von ihr wollen? Zumindest wenn er sie näher kennenlernen würde. Maggie befand sich als unattraktiv und war wohl zerbrechlicher, als es von außen den Anschein machte. Einen kurzen Moment überlegte sie, ihm eine heile Welt vorzuspielen, falls er doch einmal das Gespräch mit ihr suchen würde. Diese Idee fegte sie jedoch schnell wieder aus dem Kopf, denn so war sie nicht.

In ihren tiefen Gedanken versunken und nun wieder in der Realität angekommen, waren die beiden auch schon wieder zu Hause. Von der Straße aus wirkte es still im Haus. Mit pochendem Herz und einem traurig aussehenden Gesichtsausdruck von Benni gingen sie zur Haustür und Maggie schloss leise auf.

„Na Sohnemann, wir dachten schon, du hättest dich verlaufen.“, rief Karl aus der Küche in den Flur.

„Der Ort hier ist, glaube ich, zu klein, um sich zu verlaufen, und schließlich bin ich schon groß.“, lachte David.

„Hey mein Schatz.“ Seine Mutter kam ihm entgegen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Hey Mom. Die Wohnung eingeweiht?“ Er streckte ihr frech die Zunge heraus.

„Das hat er von dir, Karl. Ganz sicher.“

David und sein Vater lachten lauthals.

„Wo warst du denn unterwegs?“, wollte Britta wissen.

„Ich bin erst den Waldweg entlanggelaufen und danach etwas durch den Ort. Ich habe auf dem Weg ein kleines Café entdeckt und mich dort hineingesetzt.“

„Schon Bekanntschaften geschlossen?“, klinkte sich sein Vater ein.

„Kann man so sagen. Die Besitzerin ist auf jeden Fall nicht auf den Mund gefallen.“

„Ist sie dein Typ?“

„Karl, lass ihn doch.“

„Sie ist nett, aber nein. Sie nicht.“, kam es aus ihm herausgeplatzt.

„Sie also nicht. Wer dann?“

„Was gibt es denn heute zu essen?“, fragte David ablenkend.

„Selbst gemachte Pizza von außerhalb. Wir bestellen in einer halben Stunde.“ Seine Mutter griff zügig ein, so, dass Karl ihn nicht weiter ausfragen konnte.

„Welche möchtest du?“

„Spezial, bitte. Ich springe schnell unter die Dusche.“

„Okay, dann weiß ich Bescheid.“, entgegnete Britta und David ging die Treppe nach oben.

David musste sich insgeheim eingestehen, dass er nach dem ersten Sehen Maggies, ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie hatte ihn, ohne mit ihm gesprochen zu haben, auf Anhieb fasziniert. Dabei könnte man genauso sagen, dass sie ihm keinerlei richtige Beachtung schenkte. Was war es, was sie so interessant machte?

David würde sicher in den nächsten Tagen wieder seinen Platz im Kaffee aufsuchen. Er würde seine Skizzenblöcke und sein Notebook mitnehmen, um zu arbeiten. Ihm gefiel das Ambiente und weshalb weitersuchen, wenn er bereits etwas gefunden hatte, was ihm kreative Ideen verschaffte.

Als Maggie mit Benni die Wohnung betrat, blieb es weiter ruhig. Ein Blick ins Wohnzimmer und sie sah, wie ihre Mutter auf der Couch versunken vor sich hin döste. Der Gedanke, Peter könnte unterwegs sein, hatte sich schnell in Luft aufgelöst. Maggie hörte das Duschwasser im Badezimmer laufen und somit konnte lediglich er gerade dort sein.

„Was willst du denn essen, Benni? Es ist gleich sechs Uhr.“

Maggie schaute in den Kühlschrank, doch dort sah es ziemlich mau aus. Kalt gestellte Flaschen Bier und Wodka konnte man einem Kind sicher nicht als Abendbrot anbieten.

Maggie durchforstete die weiteren Küchenschränke.

„Also ich hätte Spaghetti oder Wurstbrot im Angebot.“

Maggie war traurig darüber, dass sie einem kleinen Kind nicht mehr anbieten konnte.

„Brot mit Wurst. Und Butter.“, sagte er und krabbelte auf den Stuhl am Esstisch.

„Gut, dann gibt es Wurstbrot. Salami oder Geflügelwurst?“

„Beides.“, sagte er und tippelte mit den Fingern auf der brüchigen Holzoberfläche des Tisches herum.

„Ist dieser Krach nötig?“ Peter stand im Türrahmen und schaute grimmig.

Maggie stellte Benni einen Becher mit Saft hin und richtete sich dann zu Peter.

„Wir müssen unbedingt einkaufen gehen, sonst gibt es hier bald nur noch Flüssignahrung, Peter.“

„Dann geh doch oder weißt du nicht, wie du zum Supermarkt kommst?!“

„Ich brauche Geld zum Einkaufen, dann kann ich auch gehen.“

„Ich dachte, du gehst arbeiten?“ Peter ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier heraus. Vorab nahm er einen kräftigen Schluck Wodka aus einer der offenen Flaschen.

„Bitte, Peter. Du weißt, dass ich den Großteil meines Verdienstes euch geben muss.“ Maggie versuchte, sanftmütig zu bleiben. Sie strich Butter auf die zwei Brote für Benni und belegte eines mit Salami und das andere mit Geflügelwurst, dann stellte sie es ihm hin.

„Guten Appetit, kleiner Mann.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Peter ging zur Tasche von Elsa und holte den Geldbeutel heraus. Er schaute im Notenfach nach und zog zwei Zwanzig-Euro-Scheine heraus. Unsanft fand es seinen Platz neben Maggie auf der Küchentheke.

„Das sollte reichen.“

„Danke. Ich gehe morgen nach der Arbeit in den Markt.“,

sagte sie weiterhin ruhig bleibend. In jenem Moment, gerade als Peter die Küche verlassen wollte, balancierte Benni sein Brot in der Hand und es rutschte ihm aus den Händen.

Natürlich mit der Wurstseite voran auf den weißen Fliesenboden. Benni riss schon jetzt die Augen vor Angst auf und Maggie war im Begriff, schnell danach zu greifen und es aufzuheben, ehe Peter es bemerkte. Es war zu spät.

„Meine Güte, du dummes Kind. Kannst du nicht einmal eine Scheibe Brot in der Hand halten.“, schrie er. Mit einem lauten Knall stellte er seine Flasche auf dem Tischboden ab und schlug Maggie das Brot aus der Hand.

„Da ist es doch kein Wunder, dass wir keine Lebensmittel haben, wenn sie alle im Müll verschwinden.“

„Tut leid.“, zitterte die Stimme von Benni.

Peter griff Bennies Oberarm und drückte fest zu.

„Das heißt, tut mir leid! Wie blöd bist du eigentlich?“ Peter wurde rot vor Wut.

„Aua!“, rief Benni und begann zu weinen.

Maggie wusste, was nun auf sie zukommen würde, da sie ihrem Bruder helfen musste.

„Verflucht, lass ihn sofort los.“ Maggie zog Peter am Handgelenk mit aller Kraft zurück. „Das kann doch passieren.“

Peter drehte sich zu ihr um und stieß sie mit aller Kraft zurück. Maggie konnte nicht schnell genug reagieren und ihr unterer Rücken knallte mit voller Wucht gegen die Kante der Küchenzeile. Reißender Schmerz durchzog sie. Peter stellte sich dicht vor sie und legte seine Hand fest um ihren Hals.

„Du kleines Stück Dreck sagst mir sicher nicht, was ich tun soll oder nicht. Ist das klar?“, schrie er sie an. Maggie versuchte, unter der Anspannung zu nicken, in der Hoffnung, er würde sie somit aus dem Würgegriff befreien. Kurz darauf schnappte er sich seine Flasche und ging aus der Küche.

Maggie rieb sich ihren Rücken und ging dann auf Benni zu.

An seinem nackten Ärmchen war ein dunkelroter Abdruck zu erkennen und es war zu erahnen, dass es nicht dabei bleiben würde. Benni zitterte und Tränen liefen seine Wangen hinunter.

„Es ist alles okay, Benni. Iss dein Brot und ich mach dir das andere neu, okay? Das kann passieren.“ Ihr Bruder nickte und beugte sich nun weit über den Tisch, um sein Brot zu essen.

„Wenn wir morgen Vormittag den LKW leer gemacht haben, würde ich mir gerne die Fläche des Neubaugebietes ansehen. Kommst du mit mir, David?“

„Mmh.“, stieß er hervor, weil sein Mund gerade voll war. Er beschleunigte sein kauen und schluckte einen großen Happen hinter.

„Kommt der Bauherr auch?“, wollte David wissen.

„Nein. Mit ihm bleiben wir beim festgelegten Termin. Ich möchte einfach einmal schauen.“

„Klar, ich bin auf jeden Fall dabei.“

„Räumt eigentlich das Möbelunternehmen alles in das Haus hinein?“, fragte nun Britta ihren Mann.

„Ja, wir müssen lediglich Anweisungen geben, wo etwas hingestellt werden muss. Ich denke nicht, dass es ewig dauern wird, insofern es ein gutes Unternehmen ist.“

„Ein wenig Hand anlegen, um es zu beschleunigen, können wir ja. Ich möchte ungern wie ein Diktator dabeistehen.“,

entgegnete David.

„Siehst du, Karl. Dieses Verhalten hat er von mir.“ Britta lächelte fröhlich. David war ihr ganzer Stolz und insgeheim war sie überglücklich darüber, dass er durch den Umzug wieder bei ihnen wohnte.

„Gute Erziehung würde ich sagen.“, entgegnete Karl.

„Wenn ihr wüsstet.“, brachte David monoton von sich und alle lachten.

Kapitel 4

Das Umzugsunternehmen ließ am nächsten Tag sehr lange auf sich warten. Zu Beginn hieß es, dass die Möbel der Familie Denz zum späten Vormittag, dann zum späten Mittag gebracht werden würden. Letzten Endes war es vier Uhr am Nachmittag geworden. Alle drei hatten die Wartezeit mit belanglosen Gesprächen im Garten ausgesessen. Die Mitarbeiter der Umzugsfirma schienen leicht gestresst zu sein, als sie ankamen und strahlten wahre Unlust darüber aus, an einem Samstag arbeiten zu müssen. Karl und David packten deshalb mit an und wollten den ganzen Vorgang etwas beschleunigen. Britta sorgte währenddessen dafür, dass belegte Brote und Kaffee für alle bereitstand. Gab es mal das ein oder andere leichte Möbelstück, half sie ebenfalls mit.

Um acht Uhr am Abend war es endlich geschafft. Die Möbelpacker waren eine Stunde zuvor gegangen. Karl und David rückten daraufhin alles nochmals zurecht. Zu dritt ließen sie sich auf die Couch fallen.

„Hätte mir mal vorher einer gesagt, dass sich dieser Tag heute so zieht, hätte ich den Vormittag mit dem Besuch der Baustelle geplant.“, sagte Karl genervt.

„Das konnte ja vorher keiner wissen, Dad.“

„Nun waren wir heute nicht einmal einkaufen.“, ließ Britta verlauten, „Und morgen ist Sonntag.“

„Haben wir also gar nichts da?“, fragte David.

„Nur noch den Rest der belegten Brote von heute.“, gab sie zur Antwort.

David stand auf und lief in die Küche. Beide Räume waren offen gelegen und zwischen ihnen ging es zur Haustür. Er öffnete den Kühlschrank und nahm drei Flaschen Bier heraus. Er öffnete diese und ging zurück zu seinen Eltern.

„Die haben wir auch noch.“, sagte er und reichte jedem eine.

„Oh, das ist eine sehr gute Idee nach heute, mein Sohn.“, erwiderte Karl.

„Sogar ich nehme heute mal eines.“, lachte Britta.

„Zumindest ist nun alles hier und kaputt gegangen ist auch nichts. Dies sollten wir definitiv als gutes Zeichen werten.

Dann muss die Baustelle eben noch warten, Dad.“

„Ja, das muss sie. Morgen werden wir den ganzen Tag damit verbringen, die Kartons auszupacken.“

Alle Blicke fielen durch die zwei großen Räume. Davids Etage mitgezählt sowie das Büro seines Vaters und das Schlafzimmer der Eltern, waren es sicherlich weit über sechzig.

„Das ist doch im Nu geschafft.“, sagten Britta und David im Chor und alle mussten auflachen.