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Die 31-jährige Mia stellt sich stets aufs Neue die Frage, ob ihre langjährige Beziehung noch einen Sinn macht. Als wäre das nicht genug, verlieren sie und ihr bester Freund Christoph ihren geliebten Job. Der 35-jährige Foodtruck-Unternehmer Lukas und seine Freundin könnten unterschiedlicher nicht sein. Auch er ist sich unsicher, ob ihre Partnerschaft eine Zukunft hat. Seine beste Freundin Lissi ist zudem die Partnerin von Christoph. Sie schlägt einen Kurzurlaub in den Bergen vor. In der abgelegenen Hütte ihrer Eltern sollen alle die Möglichkeit bekommen, sich bestens von den Alltagsproblemen abzulenken. Mia und Lukas, die nichts voneinander wissen, treffen in diesem Urlaub aufeinander. Beide sind alleine dort, denn ihre Partner sind verhindert. Die beiden verstehen sich ab dem ersten Tag und ihre Gefühle werden schon bald auf die Probe gestellt.
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Seitenzahl: 226
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Werden sich zwei vertraute Menschen fremd, kann das Gefühl des Herzens zwei fremde Menschen zu Vertrauten machen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
„Hat er dir am Telefon schon irgendetwas gesagt?“, wollte Christoph von Mia wissen. Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich an das große Panoramafenster der Pizzeria. Luigi, der Inhaber des Lokals, forderte die beiden auf, am heutigen Tag vorbeizukommen. Die zwei Freunde arbeiteten seit über drei Jahren in dem, in der Aschaffenburger Innenstadt liegenden, Ristorante. Durch die Arbeit entwickelte sich erst jene Freundschaft, die keiner der beiden je wieder zu verlieren bereit war. Seit längerem aber gab es für Christoph und Mia keinerlei gemeinsame Arbeitstage mehr. Die Corona-Pandemie hatte die Welt lahmgelegt. Es folgten Lockdowns und geschlossene Geschäfte. Ab und an halfen die zwei Freunde im Wechsel beim Abholservice und waren stets froh darüber, nicht den ganzen Tag, ohne Aufgaben zu absolvieren.
„Denkst du, Luigi hat gute Nachrichten für uns?“, fragte Mia.
„Die Frage würde ich ja gerne bejahen, aber am Telefon wirkte er nicht übermäßig euphorisch.“, gab ihr Christoph zur Antwort und rückte dabei seine Brille zurecht. Der 34-Jährige besaß diesen Tick vorrangig, wenn er nervös zu sein schien.
Ihre Mutmaßungen wurden unterbrochen, denn ihr Chef erschien im Inneren des Lokals und schloss die Eingangstür auf.
„Ciao Luigi.“, begrüßten ihn beide im Chor.
„Ciao Mia. Ciao Christoph. Vieni dentro.“, hieß er sie willkommen und forderte zum Hereinkommen auf.
Mia und Christoph liefen an die Theke und setzten sich auf die dort mit rotem Leder überzogenen Barhocker. Luigi stellte sich dahinter, legte einen Stapel Akten beiseite und richtete sich an die beiden.
„Was möchtet ihr trinken?“, fragte er in italienischem Akzent.
„Ich nehm ein Ginger Ale, bitte.“, gab Mia zur Antwort.
„Für mich bitte eine Cola.“, erwiderte Christoph.
Mit dem Herausgeben der Getränke ließ Luigi einen tiefen Seufzer von sich. Mia und Christoph war schier bewusst, dass es keine positiven Nachrichten für sie gab.
„Okay Luigi, warum sind wir heute von dir bestellt worden?“, fragte Mia frei heraus.
Luigis Blick wurde ernster und seine Mimik nahm beinahe traurige Züge an. Er stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus, ehe er auf die Frage antwortete. Dieser steigerte auch die Unsicherheit von Christoph und Mia.
„Euch beiden ist selbst bewusst, dass derzeit schwierige Zeiten herrschen.“, begann er leise vor sich hinsprechend. Mia und Christoph nickten zustimmend, woraufhin Luigi nochmals tief seufzte.
„Es ist sinnlos, weiter drumherum zu reden. Ihr beide seid wunderbare Mitarbeiter für mich gewesen. Die Gäste mochten euch und ich konnte mich stets auf euch verlassen.“ Er senkte den Kopf, als wolle er den beiden nicht in die Augen sehen.
Bereits nachdem das Wort gewesen ausgesprochen war, wussten Mia und Christoph, dass sie nun nicht weiter die Angestellten von Luigi sein würden. Sie schauten einander kurz mit wehmütigen Blicken an, ehe sie sich wieder an ihren, ab jetzt ehemaligen, Chef richteten.
„Das bedeutet dann wohl, du musst schließen?“, fragte ihn Christoph direkt.
„Ja, das bedeutet es. Ich kann die derzeitige finanzielle Lage nicht mehr stemmen.“, gab er niedergeschlagen zur Antwort. „Ich habe es versucht, aber es geht nicht mehr.“, fügte er hinzu.
„Du musst dich vor uns nicht rechtfertigen, Luigi.“, entgegnete Mia sanft und warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.
„Es tut mir trotzdem sehr leid.“
„Uns auch.“, gaben Mia und Christoph gleichzeitig von sich.
Christoph drehte sich mit dem Rücken an die Theke und stützte seine Ellbogen darauf ab. So viele Tage und Abende in dem liebevoll eingerichteten Ambiente waren fortan vorüber. Mia ließ nun auch ihren Blick über die mit cremefarbenen Tüchern bedeckten Tische schweifen. Die Holzstühle, welche wie die Barhocker, mit rotem Leder überzogene Sitzflächen besaßen. Die wunderschönen Bilder an der sonnengelbgestrichenen Wand, die jeden ins schöne Italien reisen lassen sollte. Die dezente Tischdeko, bestehend aus einer kleinen Alabasterfigur, welche als Minivase fungierte und nebenstehend eine kleine Kerze, für einen Hauch von Romantik.
Mia und Christoph mochten ihren Job und wollten es kaum wahrhaben, dass sie diesen nun verloren hatten. Die Gespräche mit den wartenden Menschen an der Bar, das Beobachten von interessanten Gästen und ersten Dates. Das Beisammensitzen nach Feierabend und die ab und an zu viel zu sich genommenen Drinks dabei. Noch eine Zeit lang schwelgten die drei in Erinnerungen. Mia konnte sich noch gut an ihren Probearbeitstag erinnern. Sie war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und eine größere Gesellschaft hatte einen Tisch reserviert. Sie sollte ihnen eine Flasche Rotwein bringen. Auf dem Tablett standen zudem acht Weingläser. Kaum losgelaufen, begann die Flasche zu wackeln, kippte um und durch das Übergewicht fiel alles auf den Boden. Ihr Gesicht wurde knallrot, vor allem auch, weil es für die Gäste nicht zu überhören war. Nachdem dies geschehen war, dachte sie sich, nun ist das mit dem Job vorbei. Christoph aber, nahm die Schuld auf sich. Luigi war im Moment des Geschehens nicht anwesend und kam erst nach dem Knall heraus. Er sah ihr an, wie sehr sie sich schämte und wusste, dass sie nur allzu gerne hier arbeiten würde. Christoph sagte Luigi, er wollte das Tablett nehmen und ist mit dem Fuß an einem der Barhocker gestoßen. Mia war ihm überaus dankbar und in den ganzen drei Jahren, blieb es ihr beider Geheimnis. Mia ist so etwas glücklicherweise nie wieder passiert. Christoph arbeitete schon sein halbes Leben in der Gastronomie und brachte ihr so viel bei, wie er konnte.
Nach knapp zwei Stunden verabschiedeten sich Mia und Christoph von Luigi. Da die Pandemie Italien schwer getroffen hatte und der Großteil von Luigis Familie dort lebte, wollte er, sobald es ihm möglich war, dorthin zurückkehren. Er sah es als Zeichen, seine Zeit mit seinen Liebsten zu verbringen. Sie wünschten sich gegenseitig alles Gute und vor allem Gesundheit, danach trennten sich ihre Wege.
Mit den betriebsbedingten Kündigungen in den Taschen schlug Christoph vor, noch etwas an den Main zu gehen. Mia stimmte dem zu, da sie zu Hause eh niemand erwartete. Ihr langjähriger Freund Daniel war auf der Arbeit und auch Lissi, Christophs Freundin, war im Homeoffice beschäftigt und sicher froh darüber, wenn Ruhe in der Wohnung herrschte. Die beiden holten sich einen Coffee To Go und eine Kleinigkeit zum Essen. Mit vollen Händen liefen sie über den Schlossplatz hinunter und an den Main. Die Wolken hatten sich etwas aufgelockert und ließen die Sonne an diesem vorletzten Februartag auf sie hinunterscheinen. Mia und Christoph ergatterten sich deshalb eine freie Bank und ließen sich dort nieder.
„Tja, das war es dann wohl.“, äußerte sich Mia und biss wütend in ihr Plunderstück.
„Du sagst es. Echt richtig mies. Ich hasse diese verdammte Pandemie.“, gab Christoph mürrisch zurück.
„Wie wahr. Was denkst du, wird Lissi dazu sagen?“
„Sie wird es schade für mich finden, aber wahrscheinlich auch etwas froh darüber sein.“
„Warum denn das?“
„Na ja, wir haben uns an den Abenden kaum gesehen. Fünf Tage in der Woche im Service bis elf oder zwölf Uhr in der Nacht.“
„Irgendwie verständlich, ja.“
„Was ist mit Daniel? Was denkst du, wie er reagieren wird?“
Mia trank einen großen Schluck und zuckte mit den Schultern. Christoph ahnte, dass mal wieder etwas bei den beiden nicht stimmte. Er war bestens über das Auf und Ab der Beziehung im Bilde.
„Derzeit alles in Ordnung bei euch beiden?“, wollte er von ihr wissen. Prompt standen die gerade ausgesprochenen Kündigungen im Hintergrund.
„Was soll ich sagen?! Er geht auf Arbeit und ich bin zu Hause.“, antwortete sie monoton.
„Und weiter? Komm schon, ich bin es und ich weiß so gut wie alles über euch.“ Er schubste freundschaftlich seine Schulter gegen ihre und sah sie erwartungsvoll an.
„Ich bin einfach nur etwas genervt.“, begann sie und es sprudelte nunmehr aus ihr heraus. „Andauernd prahlt er damit, wie angesehen er doch auf der Baustelle ist. Meint, sie würden ohne ihn gar nicht mehr auskommen. Er ist ja so ein Könner. Und dann sagt er, ich solle die Pandemie und den Lockdown nutzen, um einen gescheiten und besserbezahlten Job zu finden. Ob ich daran Spaß habe beziehungsweise das es so ist, ist ihm vollkommen egal. Und da ich mir vorerst keine neue Arbeit suchen möchte, lässt er sich bekochen und sich von mir seinen ganzen Scheiß hinterherräumen. Ich bin ja zu Hause und habe Unmengen von Zeit. Zärtlichkeit? Ha, Fehlanzeige! Er ist müde von seinen langen Arbeitstagen und ich kann das derzeit ja nicht verstehen. Aaah!“ Mia atmete tief ein und aus und versuchte, sich nicht weiter darüber aufzuregen. Sie kannte sich zu gut, und wenn es um ihren langjährigen Freund ging, konnte sie locker eine Filmlänge damit ausfüllen.
„Weißt du, was dein Problem ist, Mia?!“
„Ich kann es erahnen. Sicher habe ich es schon einmal von dir gehört.“ Sie blickte ihn mit zur Seite gerichtetem Kopf an.
„Ja, hast du.“, begann Christoph. „Du bist knapp vier Jahre mit Daniel zusammen. Du hast den Zeitpunkt verpasst, ihm auch nur ein einziges Mal die Meinung zu sagen. Das beste Beispiel, willst du es hören?“
„Du sagst es mir doch eh.“, schmollte sie.
„Ich habe dich auf Arbeit als lebenslustige und offene Person kennengelernt. Du machst Spaß, bist einfach gestrickt, lachst gerne. Deine Sprüche sind manchmal echt der Knaller. Als wir uns dann zum Pärchenabend getroffen haben, da warst du so gar nicht mehr die, die ich von der Arbeit kenne. Du hast dich verstellt. Wenn ihm irgendetwas nicht an deiner Art gepasst hat, warst du fortan anders. Du hast keinen Blödsinn mehr gemacht, hast nicht mehr gesagt, was du eigentlich denkst. Ich, sogar Lissi, wir haben es dir angesehen, dass du dein eigentliches Selbst komplett verborgen hast, nur um dem ach so tollen Daniel alles Recht zu machen.“, beendete Christoph seine Rede und wartete auf eine Reaktion.
„Er hat auch gute Seiten.“, meinte sie nur kleinlaut.
„Mia, du allein musst wissen, was du für richtig hältst, aber eines muss ich dir trotzdem ehrlich sagen. Lass dich nicht unter Wert verkaufen und ich gestehe dir hiermit, dass ich Daniel nicht besonders gut leiden kann.“, gab er zu und Mia gab daraufhin ein kurzes Lachen von sich.
„Was?“ Er schaute verdutzt.
„Denkst du, das weiß ich nicht. Wir haben uns nach diesem Essen noch ein einziges Mal getroffen und danach gab es nie wieder einen Pärchenabend. Ich habe dich längst durchschaut.“
Ertappt richtete Christoph seinen Blick auf den Boden. Mia lachte weiter vor sich hin.
„Lass uns noch etwas darüber philosophieren, wie es jetzt mit uns weitergehen könnte. Danach denke ich, wird es Zeit nach Hause zu gehen und die Neuigkeiten zu verkünden.“, lenkte Mia vom Thema ab und Christoph stimmte dem Vorschlag mit einem Nicken zu.
Als Mia in die Wohnung von sich und Daniel kam, war er noch nicht zu Hause. Sie tat deshalb das, was ihr stets gute Laune brachte. Sie hängte ihre Jacke im Flur ab und ging geradeaus ins Wohnzimmer. Ihr Handy aus der Tasche genommen, suchte sie sich auf Spotify eine passende Playlist und spielte diese ab. Mia liebte Musik und stets war es Balsam für ihre Seele.
Egal wie schlecht sie sich fühlte, irgendwann überlief es Mia und sie tänzelte durch die Wohnung. Fühlte sich frei und sorglos.
Die Zeit verging rasend schnell, während Mia zwischen Tanz und Aufräumen hin und her wechselte. Die Wohnungstür wurde von außen aufgeschlossen und Daniel kam herein.
„Hey.“, begrüßte er sie mit einem Kuss und stellte seine Tasche auf dem Küchenboden ab.
Mia machte die Musik auf ihrem Handy aus.
„Wie war es auf der Baustelle?“, erkundigte sie sich nach seinem Tag.
„Es geht gut voran. Ich denke, meine Chancen zum Aufstieg steigen.“
„Das klingt doch wunderbar.“, entgegnete Mia mit leicht aufgesetzter Freude in der Stimme.
„Und, was hast du heute so gemacht?“ Daniel nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
„Christoph und ich wurden doch zu Luigi bestellt.“
„War das nicht morgen?“, wollte er wissen.
„Nein, ich hatte es dir vorgestern gesagt.“
„Tut mir leid, da habe ich mich wohl vertan.
Kann ja mal passieren.“
So wie zu fünfzig Prozent in letzter Zeit, dachte sich Mia.
„Was wollte er denn von euch?“, fragte er und sein Blick lag auf seinem Handy.
„Er muss schließen.“, antwortete sie knapp.
Daniel reagierte nicht, da er gerade auf eine Nachricht zu antworten schien.
„Hast du mich gehört?“
„Oh was? Sorry. Macht er wieder auf?“
In Mia begann es zu brodeln, aber sie blieb ruhig.
Wie immer.
„Luigi muss schließen. Christoph und ich müssen gehen.“, wiederholte sie.
„Oh, das ist nicht sehr gut. Ich denke aber, so wird es sicher zukünftig noch anderen gehen. Je nachdem wie lange die Pandemie noch anhält.
Du findest sicher einen anderen Job. Vielleicht auch mit besseren Arbeitszeiten.“, sagte er fast beiläufig.
„Wir persönlich finden es sehr schade, da es wirklich Spaß gemacht hat.“, erwiderte sie und hoffte auf mehr Einsicht.
„Das glaube ich euch, aber nun ist es so. Zum Glück habe ich noch einen sicheren Job in dieser Zeit.“, kam es zurück. „Schau dich eben mal im Internet um und zwischenher kannst du dich weiter um deine Holzdinge kümmern.“
Die Holzdinge waren Hobby und Leidenschaft von Mia. Sie würde es nur anders bezeichnen. Sie gestaltete Untersetzer, Anhänger und weitere Schmuckstücke aus Holz. Sie verlieh ihnen mit einer Gravur, einem Spruch oder Schmucksteinen hübsche Details. Mia war sich noch nicht sicher, ob sie es zu irgendeiner Zeit zum Verkauf anbieten wollte. Sie war diesbezüglich noch unsicher, ob ihre Kreativität für einen Erfolg ausreichen würde.
„Was gibt es denn heute zu essen?“
„Tut mir leid, aber darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Hatte andere Dinge im Kopf.“, antwortete sie leicht ironisch.
„Dann sehen wir später mal, was der Kühlschrank so hergibt. Wir können morgen nach der Arbeit einkaufen gehen.“
„Ja, können wir.“ Mia gab klein bei, da sie merkte, dass ihrem Freund ihre Kündigung gleichgültig zu sein schien. Sie musste an Christophs Worte denken, als er sagte, sie könnte ihre Meinung nicht äußern. Mit dieser Analyse hatte er vollkommen recht, aber ihr war Harmonie einfach viel zu wichtig.
„Ich gehe rasch duschen, dann kochen wir etwas.“ Daniel gab ihr einen Kuss, nahm sein Handy und lief ins Bad.
Mia wunderte sich keineswegs über diese ironisch tiefgründige Konversation. Sie schenkte sich ein Glas Rotwein ein, lehnte sich an die Küchentheke und trank einen großen Schluck.
Seitdem ihr Freund vor einigen Monaten die Möglichkeit zugesprochen bekam, er könne zum Bauleiter aufsteigen, war er sehr auf sich fixiert.
Mia freute sich zwar für ihn, aber zu seiner Person hatte sie kaum noch gute Worte. So leid es ihr tat. Die Beziehungsprobleme, welche schon vorher da waren, wurden somit schlimmer. Mia hatte oft das Gefühl, dass lediglich sie das bemerkte. Für Daniel schien dieser Alltag, allem Anschein an, vollkommen in Ordnung zu sein.
Mia wachte am nächsten Morgen auf, nachdem ihr Handy auf dem Nachttisch vibrierte. Ein Blick darauf zeigte ihr einen verpassten Anruf von Christoph. Es war nach neun Uhr und Daniel bereits seit zwei Stunden auf der Arbeit.
Sie sagte in einer Voicemail an ihren Freund, dass sie ihn in zehn Minuten zurückrufen würde.
Sie stieg aus dem Bett und ging ins Bad, um sich für den Tag zurechtzumachen. Daraufhin ging sie in die Küche und bereitete sich einen Kaffee vor. Während die Maschine ihre Arbeit verrichtete, wählte sie Christophs Nummer.
„Guten Morgen, Mia. Du bist sicher gerade erst aus dem Bett gekrabbelt, hab ich recht?“, witzelte er.
„Ich habe heute nichts auf dem Tagesplan, da dachte ich, warum nicht ausschlafen.“, entgegnete sie ironisch. „Und, was hat Lissi zu der Kündigung gesagt?“, wollte sie wissen.
„Wie ich dachte. Sie findet es sehr schade für uns, aber würde sich darüber freuen, wenn ich mich nach etwas umschauen würde, das meine Anwesenheit eher tagsüber benötigt. Und Daniel?“, kam die Gegenfrage.
„Es ist eben so, wie es eben ist.“, antwortete sie kurz. Sie hörte, wie Christoph einen tiefen Seufzer von sich ließ. Er lenkte deshalb gleich ab.
„Ich wollte dich etwas fragen, denn Lissi hatte einen echt tollen Vorschlag. Zwecks Ablenkung von der derzeitigen Situation und so.“
„Na dann leg mal los.“ Mia wurde neugierig und schlürfte, auf der Couch sitzend, an ihrem heißen Kaffee.
„Also, du weißt doch, dass Lissis Eltern ein kleines Häuschen in den Bergen gehört?!“, begann er.
„Ja, davon hatte sie mir mal erzählt. Sprich weiter.“, forderte sie Christoph auf.
„Lissi macht ab nächster Woche für zwei Wochen Urlaub. Wir beide können im Moment eh nichts machen, außer einen neuen Job suchen.
Sie hat vorgeschlagen, dass wir dort einfach einmal abschalten. Spaß haben, den Jobverlust und die Pandemie vergessen. Das Häuschen ist vollkommen abseits gelegen und wir können so laut sein wie wir wollen. Feiern, spazieren oder wandern gehen.“ Christoph ließ Vorgeschlagenes auf Mia wirken. „Daniel ist natürlich auch mit eingeladen.“, fügte er hinzu, als ob er es müsste.
Mia wollte, ohne zu zögern zustimmen, doch dachte daran, was Daniel wohl davon halten würde. Würde sie Christoph jedoch antworten, er solle warten, bis sie mit ihm gesprochen hatte, würde er Mia sicher verurteilen. Da die derzeitige Lage sowieso miserabel war, hörte sie auf ihr Bauchgefühl.
„Keine Antwort?! Komm schon, was meinst du?“, drängte er beinahe.
„Ich bin auf jeden Fall dabei.“, gab sie ihm zurück.
„Geht das noch etwas euphorischer?“, witzelte er.
„Tut mir leid, es ist so früh am Morgen.“, lachte sie. „Ja, ich bin auf jeden Fall dabei.“, rief sie aufgesetzt freudig durch den Hörer.
„So gefällt mir das. Na bestens, dann gebe ich Lissi Bescheid und du fragst Daniel, ob er Lust hat und kurzfristig Urlaub beantragen könnte.“
„Ich werde mich melden, sobald ich weiß, ob er mitkommt.“
„Super, dann dir noch einen schönen Tag. Vor allem wenig Stress.“, lachte er.
„Haha, dir auch und liebe Grüße an Lissi.“, feixte sie und legte daraufhin auf.
Ein abgelegenes Haus in den Bergen, keine Menschenseele weit und breit, außer womöglich ein paar Spaziergänger und weit weg von der derzeitigen, leicht aussichtslosen, Situation. Das klang wirklich verführerisch, musste sich Mia eingestehen. Sie war schon ganz gespannt, was Daniel davon halten würde und ob er sich die freie Zeit nehmen konnte. Vor allem da es ziemlich kurzfristig war.
Als Mia und Daniel am Nachmittag gemeinsam zum Einkaufen losgingen, sagte sie noch nichts.
Daniel erzählte von seinem erfolgreichen Tag und lobte sich mit hoch erhobenen Hauptes als perfektes Leittier. Mitte des Jahres würde der neue Bauleiter gewählt werden und Daniel sah sein Bild bereits eingerahmt im Personalbüro hängen. Nicht, dass es Mia nicht gefiel, dass er in seinem Beruf aufging, doch noch lieber wäre es ihr, wenn dies schlichtweg so wäre und er nicht ständig etwas vergessen würde, was sie ihm tagtäglich erzählte. Sicher war ihr Leben nicht halb so interessant, aber in einer Beziehung befand sie es mehr als angemessen, dem eigenen Partner genau zuzuhören. Zu oft fragte sie sich nach den vergangenen Jahren, ob die Zukunft ihnen beiden gut zusprach. Fragte sich, ob sie den Mut aufbringen sollte, sich von ihm zu trennen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen sollte.
Einen Neuanfang nur für sich selbst, in dem sie so sein könnte, wie sie eigentlich ist, ohne das jemand mit blöden Kommentaren etwas ins Lächerliche zieht. Ja, in diesem Punkt hatte Christoph leider vollkommen recht. Mia hatte sich bereits nach wenigen Monaten verändert. Sie war just nicht mehr die quirlige und ab und an verrückte Person, die gerne lachte und nicht alles Gegebene als selbstverständlich ansah. Sie wurde in Anwesenheit von ihrem Freund jene, die sich nach und nach selbst verlor. Sie liebte Daniel und wollte ihm gefallen. Somit wurde sie so, wie er sie haben wollte. Wenn er sich wieder über etwas von ihr lustig machte oder ihr Benehmen als kindisch befand, dann hörte sie damit auf und verschloss sich ein wenig mehr. Diese Distanz zu sich selbst steigerte sich im Laufe der Beziehung.
Bei Christoph und Lissi jedoch konnte Mia sie selbst sein, denn die beiden schätzten ihre menschliche Art.
Mia und Daniel begannen ihren Einkaufswagen in der Obst- und Gemüseabteilung zu füllen. Sie liefen daraufhin weiter durch die Gänge und begutachteten das üppige Sortiment. Allerlei wurde dem Einkauf hinzugefügt und Mia nutzte währenddessen die Chance, mit dem Urlaubsthema zu beginnen.
„Sag mal Schatz, hast du nicht noch Resturlaub von letztem Jahr?“, fragte sie nebenher.
„Ja, habe ich. Noch über eine Woche, warum?“,
kam die Gegenfrage und er nahm sich eine Packung Cornflakes aus dem Regal.
„Na ja, ich dachte, da du so viel arbeitest, würdest du vielleicht kurzfristig ein paar Tage frei bekommen. Christoph und Lissi wollen für die nächsten zwei Wochen in die Berge fahren. Weg von all den Pandemieproblemen und so. Lissis Eltern besitzen dort eine abgelegene Hütte.“,
startete sie und wartete auf eine Antwort ihres Freundes.
„Wann wollen die beiden denn fahren? Am Montag?“, wollte er, weiter auf die Getreideflocken schauend, wissen.
„Am Sonntag wahrscheinlich.“, entgegnete sie ihm.
„Heute ist bereits Freitag und so kurzfristig wird das sicher nichts.“, ließ er leicht höhnisch von sich.
„Das bedeutet ja nicht, dass wir gleich mit müssen. Wir könnten ja später nachkommen.
Hättest du nicht Lust, mal ein paar Tage abzuschalten?“, Mia stellte sich vor Daniel, um seinen Blick zu erhaschen. Für einen kurzen Moment erwiderte er diesen, doch stellte sich daraufhin wieder hinter den Einkaufswagen, um diesen weiterzuschieben.
„Ganz ehrlich. Ich weiß ja, dass du erst einmal sehr viel Zeit hast, aber ich bemühe mich seit Monaten eine neue und höhere Position zu ergattern und wenn ich jetzt wegfahre, braucht nur eine Kleinigkeit geschehen und ich bin raus aus dem Rennen. Ich möchte dies nur ungern für einen Kurztrip aufs Spiel setzen und zum anderen brauchen die mich. Du hättest dabei sein sollen, als ich an einem Arbeitstag mal für drei Stunden nicht aufgepasst hatte.“, lachte er voller Selbstüberzeugung, sprach aber nicht weiter.
„Also heißt es von deiner Seite aus definitiv nein?“, fragte sie leicht eingeschnappt.
„Tut mir leid, Schatz, aber ja. Es heißt nein. Ich bin nun mal nicht arbeitslos, sondern voll dabei.“
Nach dieser Aussage hätte sie ihrem Freund am liebsten einen saftigen Hieb gegeben. Als könne sie etwas dafür, dass Luigi schließen müsse.
„Wollen wir heute Abend einen Auflauf machen?“, fragte Daniel Mia, als wäre die Konversation damit abgeschlossen. Er sagt nein und somit wäre die Entscheidung endgültig getroffen. Sie nickte ihm nur zustimmend zu und er packte weitere Lebensmittel in den Wagen. Mia war wütend. Nicht nur darüber, dass er sich für sie beide keine Auszeit von ein paar Tagen nehmen würde, sondern auch über die Art seiner Kommentare. Als wäre er unabdinglich und keiner könnte auf ihn verzichten. Sie wünschte sich, er würde in Bezug auf ihre gemeinsame Beziehung genauso viel Bemühungen aufbringen.
Als die beiden am Abend gemeinsam auf der Couch saßen und ihren Auflauf aßen, war Mia die meiste Zeit am Grübeln. Daniel und sie hatten sich dem Thema nicht mehr gewidmet.
Abgeschlossen war es für sie dennoch nicht. Sie dachte sich, wenn er nicht will, bedeutet das nicht, dass sie nicht gehen könnte. Womöglich war die Entscheidung von ihm sogar gut gewesen und sie könnte sich von allem eine Auszeit nehmen. Auch von ihm. Die Seele baumeln lassen und über ihre Zukunft nachdenken. Die letzten zwei Jahre hatte sich Mia vollends auf Daniel fixiert und kaum noch eine eigene Meinung gehabt. Da er selbst nicht vorschlug, sie könne allein mit ihren Freunden gehen, würde sie ihm nun ihre Idee preisgeben.
„Schatz, nochmal wegen der Berghütte.“, begann sie vorsichtig. Sie wusste, wie sehr er es nicht mochte, mit einem Thema genervt zu werden.
„Tut mir leid, ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich dachte, du kannst mich verstehen.“, sagte er leicht monoton.
„Darum geht es mir auch gerade gar nicht. Ich kann dich ja verstehen.“, munkelte sie mehr, als das sie es wirklich meinte. „Nur dachte ich mir, das heißt nicht, dass ich nicht mitgehen könnte.
Vielleicht für eine Woche oder je nachdem wie es ist. So könnte ich in Ruhe darüber nachdenken, inwiefern ich mich beruflich umorientieren könnte. Wäre das in Ordnung?“ Schon bei ihrer gestellten Frage merkte sie, dass sie ihre eigene Meinung wirklich nicht mehr vertrat.
Daniel sagte erst nichts, was für Mia den Anschein erweckte, dass er mit seinen Gedanken bereits wieder woanders war, doch dann drehte er sich zu ihr.
„Ist okay, warum eigentlich nicht. Nimm dir die Auszeit.“, antwortete er kurz und knapp. Mia konnte nicht deuten, ob ihn dies nun erfreute oder nicht. Im Grunde genommen war es ihr aber auch gleichgültig. Urplötzlich ergriff sie ein Gefühl von Leichtigkeit und Vorfreude.
„Super, dann gebe ich Christoph Bescheid, dass ich Sonntag mit am Start bin.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, griff sich ihr Handy und wählte Christophs Nummer. Daniel hingegen schaute sofort wieder in den Fernseher, sein Blick verriet ihr aber, dass er nicht mit ihrer spontanen Abreise am Sonntag gerechnet hatte.
„Hey Mia, was gibt es zu späterer Stunde?“, fragte Christoph freudig klingend.
„Christoph, hallo. Ich wollte euch nur kurz stören.“, entgegnete Mia mit leichter Scham.
„Du störst doch nicht. Lissi hält gerade eine Beautystunde im Badezimmer ab.“, feixte er.
„Was gibt es?“
„Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich mich Sonntag bei euch anschließen würde. Aber auch nur, wenn ich euch kein fünftes Rad am Wagen bin.“
„Nein, das bist du keineswegs. Clint kommt auch noch mit, falls er dir noch was sagt. Er hat dort in der Nähe einen Liebhaber, wenn du verstehst.“
„Oh, na da bin ich ja beruhigt. Da freue ich mich.“, entgegnete sie fröhlich.
„Aber kurze Frage. Du sagtest, du bist mit dabei.
Was ist mit Daniel?“, wollte er wissen, jedoch mit einem Lächeln in der Stimme.
„Er kann oder möchte sich keinen Urlaub nehmen und da habe ich beschlossen, mir allein eine Auszeit zu genehmigen.“
Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der anderen Leitung.
„Christoph? Bist du noch da?“
„Ja, natürlich. Ich habe mich nur kurzzeitig gewundert.“
„Inwiefern? Weil ich selbst etwas beschlossen habe?“
„So in der Art.“ Christoph lachte. Mia wusste aber, dass er es nicht böse meinte.
„Ist ja auch egal. Wann geht es Sonntag los?“, fragte sie ihn aufgeregt.
„Lissi und ich dachten, ganz entspannt zwischen elf und zwölf. Uns hetzt ja nichts. Wir könnten dich dann abholen, wenn du möchtest.“
„Ja klar, gerne. Das klingt gut.“
„Dann wird die Fahrt sicher noch spaßiger. Clint fährt auch bei uns mit und nicht separat.“
„Da bin ich schon gespannt. Ich habe ihn schließlich erst einmal gesehen. Aber er war mir sehr sympathisch.“
„Lissi sagt immer, er ist ein goldiger Knopf.“
„Ach wie süß.“, lachte nun sie. „Dann würde ich sagen, verbleiben wir bei Sonntag?“
„Jawohl, sofern sich keine Änderungen ergeben, stehen wir am frühen Mittag bei dir vor der Tür.“
„Bestens. Dann bis dahin und euch noch einen schönen Abend.“
„Danke, euch auch.“
Sie verabschiedeten sich voneinander und legten auf.
„Mit wem hast du denn telefoniert, Honey?“, fragte Lissi ihren Freund in tiefster Entspanntheit.
„Mit Mia. Sie kommt am Sonntag mit. Nur sie.“, antwortete er seiner Freundin.