Alter Profi trifft Olympe - Heidrun Budke - E-Book

Alter Profi trifft Olympe E-Book

Heidrun Budke

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Beschreibung

Die Autorin Heidrun Budke hat sich von Figuren des Bildhauers Richard Gruber inspirieren lassen. Sie spinnt feinfühlige, heitere Geschichten über Menschen. So lüftet sie die Geheimnisse des Künstlers, seiner Skulpturen, und gibt damit auch eigene Preis. Oder ist es doch ganz anders? Dieses Buch aus der ZKLenbach Edition zeigt Richards Kunst in Bildern und dazu Heidruns Erzählungen - poetische Momente aus einem epischen Figurenkosmos.

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Inhaltsverzeichnis

Olympe

Müllers Kuh

Yela (Willkommen)

Leo, der Tänzer

Den Drachen füttern

Zwei Cappuccini, bitte

Mick

Udo

Für Richard Gruber zum Siebzigsten

Boxerin, Bronze, ca. 27cm

OLYMPE

Das war ihr Platz. Hier wollte sie sein, solange es irgend möglich sein würde. Die Bretter, die die Welt bedeuten. Damit meinten die meisten Bühnen, auf denen Stücke zum Leben erweckt wurden, die sich Männer oder Frauen im Kopf erdacht und aufgeschrieben hatten. Die von Darstellern aufgeführt wurden. Die ein Publikum brauchten, das Eintritt zahlte und applaudierte, wenn sie von Schöngeistigem, Kritischem, Tragischem oder Absurdem berührt worden waren.

Die meisten Leute würden wohl sagen, dass ihre Bretter nicht vergleichbar seien, aber das sah sie anders. Wurde hier nicht Dramatik pur geboten? Spannung? Aufstieg und Fall? Zuschauer, die mitfieberten, mitlitten, die eigene, triste Realität vergaßen? Gesellschaft und Geselligkeit genossen? Und auch wenn es kein geschriebenes Skript gab, gab es doch eine festgelegte Dramaturgie, die spätestens beim Flechten der Zöpfe und Anlegen der Handschuhe begann und erst endete, wenn beide Akteure die Bretter verlassen hatten. Sogar live im Fernsehen wurden manche Kämpfe übertragen – vor allem ihre, weil sie eine Frau war.

Welches Theaterstück schaffte das heute schon? Allerhöchstens als Aufzeichnung im Kultursender, den nur verschwindend geringe 2% regelmäßig einschalteten oder auf dem man kurz hängenblieb, wenn man von der Unterhaltungsshow im Privat-TV auf die Sportsendung im Dritten durchzappte. Sport erzielte einfach eine viel weitreichendere Bedeutung als das, was man landläufig als Kultur verstand.

Dabei war doch das, was sie tat, etwas, das kaum kultureller sein konnte: Man musste sich nur mal vor Augen halten, wie lang Menschen sich schon im Faustkampf gegenüber stehen – schon vor der Zeit, als Aristoteles seine Dramentheorie für die Ewigkeit festhielt. Wie konnte man da behaupten, dass ihr Sport etwas Unkultiviertes war?

Wirklich als Tiefschlag empfand sie es, wenn man ihr sagte, es sei so unweiblich. Was spielte das denn für eine Rolle? Sie war gut in dem, was sie tat, und sie tat es mit Leidenschaft, Liebe, Hingabe und voller Überzeugung. Und überhaupt: Was war denn weiblich und was unweiblich? Wer durfte darüber entscheiden, wenn nicht jeder Mann, jede Frau, jeder Mensch für sich selbst?

Ihre Eltern hatten ihr immer gesagt, sie müsse einen Beruf finden, der sie erfülle. Doch als sie den gefunden hatte, wollten ihre Eltern nicht verstehen, dass es so war.

Sie kam aus gutem Hause, wie man es wohl bezeichnete: Ihre Eltern hatten studiert, sich an der Uni kennengelernt. Ihr Vater wurde Richter und erklomm einige Stufen auf der Karriereleiter. Ihre Mutter war Professorin für Literaturwissenschaft.

Beide hatten ihre einzige Tochter von klein auf gefüttert mit allem, was sie für Bildung hielten. Olympe lernte zwei Instrumente, besuchte ein humanistisches Gymnasium, auf dem sie neben Englisch, Latein und Französisch auch Spanisch belegte – gegen Griechisch hatte sie sich gewehrt. Sie bekam Ballettunterricht und ging zum Karate, denn sie sollte einerseits fit, andererseits aber auch sportlich nicht auf ein Rollenschema festgelegt werden. Sie gingen regelmäßig ins Theater und in die Oper und machten Kurztrips in die großen Städte der Welt – mit Museumsbesuchen, versteht sich.

Und immer erklärten ihre Eltern ihr, dass Männern und Frauen ja in der heutigen Zeit im westlichen Europa zum Glück gleichermaßen alle Türen aufstünden. Und dass sie, Olympe, werden könne, was sie wolle.

Nicht umsonst hatten sie ihre Tochter so genannt, wie sie nun eben hieß: Olympe. In Erinnerung an die Frau, die für ihre Eltern den Status der ersten europäischen Frauenrechtlerin hatte. Schließlich waren ihre Eltern gebildet, modern, gleichberechtigt – das betonten sie gern. Ihr Kind war ein Kind der Zukunft, in der Chancengleichheit herrschte. Im dem sich Mädchen nicht erkämpfen mussten, lesen und schreiben zu lernen, wählen zu dürfen, sei es eine Regierung oder einen Lebenspartner oder einen Beruf. Das sollte der Name widerspiegeln und das wollten sie ihrem Kind von Geburt an mit auf den Weg geben.

Als ihr Karatetrainer irgendwann einmal die Idee hatte, mit den Kindern in das Studio eines befreundeten Boxtrainers zu gehen, um sie auf Sandsäcke schlagen zu lassen, hatte Olympe viel Spaß. Ab da zog sie das Boxstudio magisch an.

Immer, wenn sie irgendwo Zeit abzwacken konnte, ging sie dorthin, schaute zu, und wenn nicht viel los war, ließ sie der Trainer auf den Sandsack schlagen oder auf den Punching Ball. Sie war schnell in ihren Reaktionen, hatte eine gute Körperkontrolle und Koordination – das erkannte der Trainer sofort. Er schenkte ihr ein Springseil, das sie mit Begeisterung täglich benutzte. Sie machte zuhause Klimmzüge, Liegestütze oder Minisprints im Garten.

Als sie ihre Eltern bat, sie im Boxstudio anzumelden, waren die zurückhaltend, aber sie kamen ihrem Wunsch nach – ob nun Karate oder Boxen, das war auch egal, dachten sie, denn wie beim Karate würde ihre Tochter auch beim Boxen nicht in den Vollkontakt gehen. Dachten sie. Dass es dann anders kam, beobachteten sie mit großer Skepsis.

Die Gespräche mit dem Trainer machten es nicht besser: Ihre Eltern hätten sich wohl gewünscht, dass sie eher in der Schule herausragende Leistungen brachte als beim Boxen. Aber so war es. Sie war eine gute Schülerin, keine Frage. Ihr Abitur war zu keiner Zeit gefährdet, ganz und gar nicht. Sie schloss sogar im besten Drittel ab. Als es im letzten Jahr aber darum ging, was sie nach dem Abi machen würde, da gab es dann doch Unstimmigkeiten im Elternhaus - um das mal kultiviert auszudrücken.

„Habt ihr nicht immer gesagt, ich bin frei geboren?“«, fragte sie ihre Eltern. Ihr Vater gab ihr zumindest noch die Adresse eines Anwaltes, der sie hinsichtlich Vertragsabschlüssen beraten konnte. Mehr taten sie nicht, denn so hatten sie sich Chancengleichheit nicht vorgestellt.

Bis heute waren ihre Eltern nie zu einem Kampf gekommen, obwohl Olympe inzwischen zu den weltbesten Frauen in ihrer Sportart gehörte. Und obwohl sie noch immer liebte, was sie tat.

Wenn sie sich im Ring positionierte, die Hände hoch nahm, sich konzentrierte, dann tat sie es, weil es ihr Beruf war. Und ihre Leidenschaft. Und sie tat es, obwohl und gerade weil sie eine Frau war: „Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten.“[1]

[1] Olympe de Gouges, „Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, Artikel 1, 1791.

Müllers Kuh, Sie und Müllers Kuh, Er, Bronze, ca. 25cm

MÜLLERS KUH

Wie beinahe jeden Morgen saß Paul schon am Frühstückstisch, als Paula aufstand. Seine Kaffeetasse war bereits halbleer und die erste Hälfte der Semmel aufgegessen. Jetzt biss er gerade in die zweite Hälfte, die er sich mit einem kräftigen Bergkäse belegt hatte. Dabei blätterte er um auf Seite achtzehn der Regionalzeitung – und dann das!

Schon auf den Seiten davor hatte es heute kaum eine Nachricht gegeben, die positiv bei ihm ankam, kaum einen Bericht, der ihm Freude gemacht hätte. Von Resort zu Resort und von Seite zu Seite war die Rede von Unglücken und Katastrophen, Terrorakten oder gewalttätigen Demonstrationen, Krankheiten oder despotischen Präsidenten, von wirtschaftlichen Einbrüchen und Verschwendung von Steuergeldern, oder von geschätzten Stars, die überraschend aus dem Leben geschieden waren. Sogar die geliebte Karikatur auf Seite 2, die ihn sonst immer zum Schmunzeln brachte, fand er heute fad, wenn nicht gar unzutreffend. Aber was ihm da jetzt auf der ersten Seite des Lokalteils in einem großen Artikel, der fast die ganze Seite in Anspruch nahm und auffällig mit vier farbigen Bildern illustriert war, quasi entgegensprang, das schlug doch dem Fass den Boden aus!

Während er mit zunehmendem Kopfschütteln den Bericht von der ersten bis zur letzten Zeile las, stand Paula an der Anrichte, belegte sich ihre Semmel zur Hälfte mit mildem Butterkäse und zur anderen Hälfte mit der selbstgemachten Erdbeermarmelade, deren Fruchtstückchen, wenn man sie auf der Zunge zergehen ließ, den Frühsommer in Erinnerung riefen. Dann drückte sie den Startknopf an dem Vollautomaten, der so herrlichen Kaffee aus frischgemahlenen Bohnen machte, und stellte Käse sowie das bauchige Marmeladenglas wieder in den Kühlschrank. Als der schwarze Kaffee die Tasse fast bis zum Rand füllte und duftend dampfte, nahm sie das hölzerne Frühstücksbrettchen mit der Semmel und den bunten Kaffeebecher und setzte sich zu ihrem Mann an den Tisch. Der hatte gerade den Artikel zu Ende gelesen und drehte nun die Zeitung so, dass Paula den Bericht auch sehen konnte.

»Da, lies mal – das ist unfassbar, was die sich da wieder ausgedacht haben!« Seine Frau schüttelte den Kopf.

»Lass mich erstmal meine Semmel essen und meinen Kaffee trinken – schau, wie gut der riecht!« Sie streckte ihrem Paul die Tasse entgegen.

»Das weiß ich doch«, erwiderte er, »ich hatte ja selbst grad einen. Aber du musst das wirklich lesen.«

Paula sah ihren Mann von der Seite an: Wie er sich unübersehbar ärgerte – das konnte kein gutes Thema sein, da in der Zeitung, und eigentlich hatte sie keine Lust, sich jetzt in der Früh schon über irgendetwas aufregen zu müssen. Die Erdbeermarmelade hatte sie heute gerade aus dem Keller geholt und sich damit den trüben Herbsttag, der es sicher angesichts der fehlenden Sonne und des trägen Hochnebels werden würde, versüßen wollen. Sie hatte keine Lust auf schlechte Laune.

Ihr Tag gestern war so erfolgreich gewesen. Der Abschluss des Geschäftes, an dem sie den ganzen Sommer über gearbeitet hatte, hatte sie so gefreut, da wollte sie heute keine deprimierenden Nachrichten. Genau deshalb hatte sie die Zeitung gar nicht lesen wollen. Aber nun saß ihr Paul da, mit angestrengten Gesichtszügen und einem Puls, der offensichtlich höher war, als ihm guttat. Ach, dass er sich auch immer gleich über alles Mögliche so aufregen musste. Weil er aber nicht locker ließ, meinte sie:

»Du kannst mir ja erzählen, was drinnen steht, und die Bilder sehe ich.«