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Ronja von Rönne

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Beschreibung

Ein Manifest für das Leben – trotz allem Trotz ist in seiner reinen Essenz: der Moment des Aufbäumens. Er kann ganze Gesellschaften in den Fortschritt katapultieren. Er kann aber auch: bremsen. Das gilt nicht nur für uns als Gemeinschaft, sondern auch für jeden Einzelnen. Wer ist nicht schon einmal trotzig über sich hinausgewachsen? Und wer wurde nicht auch einmal vom Trotz daran gehindert, etwas zu erreichen? Ronja von Rönne kennt den Trotz, etwas besser sogar, als ihr lieb ist. In diesem persönlichen Essay zeigt sie, wann der Trotz sie am Leben gehalten hat. Und wann er kurz davor war, sie zu zerstören. Rönne durchleuchtet aber nicht nur ihren eigenen Trotz, sondern auch den der anderen, denn am Ende steht die Frage: Sollen wir nun trotzig sein oder nicht?

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Über das Buch

Trotz ist in seiner reinen Essenz: der Moment des Aufbäumens. Er kann ganze Gesellschaften in den Fortschritt katapultieren. Er kann aber auch: bremsen. Das gilt nicht nur für uns als Gemeinschaft, sondern auch für jeden Einzelnen. Wer ist nicht schon einmal trotzig über sich hinausgewachsen? Und wer wurde nicht auch einmal vom Trotz daran gehindert, etwas zu erreichen? Ronja von Rönne kennt den Trotz, etwas besser sogar, als ihr lieb ist. In diesem persönlichen Essay zeigt sie, wann der Trotz sie am Leben gehalten hat. Und wann er kurz davor war, sie zu zerstören. Rönne durchleuchtet aber nicht nur ihren eigenen Trotz, sondern auch den der anderen, denn am Ende steht die Frage: Sollen wir nun trotzig sein oder nicht?

Ronja von Rönne

TROTZ

Trotz Martin

Martin, Erster Satz

Martin war nicht tot. Im Gegenteil: Er war sauanstrengend. Kurz vor dem Abitur saß ich mit meinem besten Freund in einer Regionalbahn Richtung Westen. Unser Ziel war weit weg und sollte uns über Amsterdam und eine Million Regionalzüge nach Paris führen.

Es gibt beste Freunde, die gut und friedlich gemeinsam schweigen können. Martin und ich gehörten nicht dazu. Wir schwiegen uns nicht in stillem Einverständnis, sondern wütend an, saßen uns gegenüber, zwischen uns, auf der Tischplatte des Regionalzugs: ein EpiPen für Notfälle. Seine stumpfe Verweigerungshaltung, meine Frustration.

Einige Monate zuvor war er mit Diabetes Typ 1 diagnostiziert worden, und genauso lange lehnte er ebenjene Diagnose grundsätzlich ab. Anstatt regelmäßig seine Zuckerwerte zu messen, entschied er, dass Cola, Kekse und McDonald’s-Cheeseburger ohne Gürkchen nun seine Lieblingsspeisen waren und seinen Ernährungsplan in Alleinherrschaft dominieren sollten. Am Anfang grinste er und sagte: »Diabetes ist kein Zuckerschlecken«, und ich grinste auch. Nun nicht mehr.

Hypochonder bilden sich Krankheiten ein, Martin tat das Gegenteil. Er sei Martin, meinte er, nicht Diabetiker, das seien zwei grundsätzlich verschiedene Dinge, und das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Er spritzte sich eigentlich nur, wenn man ihn dazu nötigte, und ernährte sich wie ein Waschbär. Dementsprechend litt er, mal unter-, mal überzuckert. Mal wurde er lethargisch und müde, die Welt wankte unter seinen Füßen, schwindelig wurde uns beiden. Dann wieder schien er unkonzentriert, konnte aggressiv werden. Immer war irgendwas zu viel oder zu wenig. Er litt.

Und ich, seine Reisebegleitung, litt dementsprechend mit. Sein Verhalten änderte er nicht, im Gegenteil, je schlechter es ihm ging, desto grimmiger verweigerte er sich der Behandlung.

Ich schnippte den EpiPen vom Tisch. Er rollte zwei Sitzreihen weiter zwischen die Beine einer Mitreisenden. Weder er noch ich machten Anstalten, ihn aufzuheben. Kurz zuvor hatte er mir erklärt, wie ich ihm dieses Gerät in den Oberschenkel rammen sollte, für den Fall, dass er umkippte. Weil er schlicht keine Lust auf Insulin und Zuckermessen hatte. Und auf Diabetiker sein. Auf krank sein.

Wir waren schließlich 17, kurz vor Köln, kurz vor dem Abitur, wir waren: Beste Freunde, talentiert, wir waren stolze Besitzer eines Wochenendtickets, und wir waren so kurz davor, endlich loslegen zu dürfen mit diesem sogenannten Leben. Krank sein passte da nicht rein.

Eine Woche schlich er mir hinterher, immer leidend, immer schwach, immer stur. In einer kleinen Dachkammer in Amsterdam machten wir Pause für einen Tag, und während ich dem Mythos um dieses sagenumwobene Gras mit einem gefälschten Ausweis auf den Grund gehen wollte, wollte er: schlafen. Ich ging alleine los, er bat mich, ihm Süßigkeiten mitzubringen, und ich tat es, denn noch war mir ein leidender Mitreisender lieber als ein toter.

Als wir schließlich in Paris im Regen standen, ohne Geld, ohne jegliche Toleranz für den jeweils anderen, und ich Passanten anbettelte, uns für die Nacht aufzunehmen, ahnten wir beide noch nicht, dass er nie wieder so gesund sein sollte wie an jenem Tag.

Wir ahnten nicht, dass sein Trotz ihn noch seine Nieren, einen Finger, ein Bein kosten würde, viele Jahre später. Und dass derselbe Trotz ihn noch retten sollte, irgendwann aber reiner Überlebenswille heißen würde. Das alles wussten wir nicht, wir waren trotzig wütend aufeinander. Und blieben es, bis wir es eben nicht mehr waren, denn unsere Freundschaft war stets sturer als unsere Reibereien.

Erstes KapitelAm Anfang war der Trotz

Keiner weiß, wie unfassbar schlecht gelaunt Gott an dem Tag gewesen ist, als er missmutig zwei seiner Knetfiguren in einen Fantasiegarten verbannte. Gottheiten werfen generell die große Frage auf: Woher diese Bart-Obsession? Woher die sadistische Ader? Und was unterscheidet sie eigentlich von Diktatoren? Und was war vor Gott? Wer hat das Licht ausgeknipst, bevor Gott es mühselig am ersten Tag wieder anmachen musste? Hatte er Angst im Dunkeln? War er sehr allein?

Angst kann lähmend, aber auch fruchtbar sein. In diesem Falle wurde aus Angst Licht, aus Überforderung Materie, aus Nichts süße Höhlentiere, und schließlich schuf Gott sich ein Ebenbild, weil er nicht daran gedacht hatte, Spiegel zu erschaffen.

Für Gottheiten und Menschen gilt gleichermaßen: Sich selbst zu realistisch zu sehen, ist quasi unmöglich. Gott behauptet in seinen Flugblättern seit Jahrtausenden zwar gern, er sei der Ursprung von so ungefähr allem, aber wenn wir ehrlich sind, wer würde nicht stolz darauf sein, sich und ein ganzes Universum neu zu erschaffen, nichts ist tapferer als die Emanzipation von Umständen, Angst, Dunkelheit.

Und auch Gott ahnte das. Selbst als er Murmeltiere und Biber und Bier erschuf und Sterne ans Firmament hängte, nagte der Zweifel an ihm: Was, wenn seine Ebenbilder nicht an ihn glauben würden? Was, wenn NIEMAND an ihn glauben würde?

Am Freitagabend, als Gott Fische und Gefieder erschuf, fasste der Schöpfer schließlich den Entschluss: Er würde es anders als seine Eltern, diese ewigen Übergötter, machen. Er würde Ebenbilder schaffen, und sie, das war der Clou, mit einem freien Willen ausstatten. Unabhängige, frierende Mini-Mes, fehlbare Klone, ein mannigfaches Spiegelbild seiner selbst, zersplittert in verschieden glitzernde Persönlichkeitsscherben.

Ein fast wissenschaftliches Experiment, und ein trotziges: Anstatt sich mit einer Nicht-Welt in der Dunkelheit anzufreunden wie seine Eltern, oder was halt vor ihm war, wollte er wissen, ob er wirklich und aus freien Stücken liebenswert war. Fast gerührt beobachtete er seine Prototypen, und wie jeder Mensch, der zum ersten Mal Vater wird, war er sehr nervös.

Vor allem die antiautoritäre Idee mit diesem freien Willen hinterfragte er in der Nacht vom fünften auf den sechsten Tag, noch gab es keine Maria Montessori oder sonst eine Menschenseele, die ihn in seinem Vorhaben, Kinder zu zeugen und die Welt selbstbestimmt zu entdecken, bestärken konnte.

Hat es Sinn, sich so etwas wie Zeit und Raum auszudenken, so etwas wie Kinder in die Welt zu setzen? Ist es das wirklich wert? Was, wenn sich ebenjene Kinder am Ende zu Pharma-Lobbyisten oder Scheidungsanwältinnen entwickeln, oder noch schlimmer: aus lauter Vaterhass den Atheismus begründen?

Egal, dachte sich Gott in einem mutigen Moment am ersten von vielen letzten Tagen, und dann schuf er das Paradies und Adam, den ersten seiner Sprösslinge. Nervös rauchte er eine Zigarette und war froh, die Flora schon gleich zu Beginn erfunden zu haben. Er war aufgeregt, weil Adam ihm tatsächlich ziemlich ähnlich sah, und weil er im Flow war, erschuf er zwischendurch Kokain, schaute sich selbstzufrieden sein erstes Menschlein an und designte, als er schon viel zu high war, aus einer der Rippen Adams eine sogenannte Frau, damit Adam nicht so allein war.

An jenem Abend lernte auch Gott, dass er immer einsam gewesen war, dass niemand ihm eine Begleiterin getöpfert hatte und dass Gefühle immer Berechtigung, aber nicht immer recht haben. Und dann wurde es Nacht, Gott schlief erschöpft ein und erfand am nächsten Morgen – schlimm verkatert – konsequenterweise den Ruhetag, drehte sich nochmal um, und wollte nichts mehr von seinen Erfindungen wissen. Haltet die Schnauze, sagte Gott, am Sonntag hält man die Fresse und schaut Netflix, wir sprechen am Montag wieder. Aber da war es bereits zu spät: Da waren Adam und Eva schon verwirrt aufgewacht aus der Nichtexistenz und bestaunten sich und erkannten, dass sie nackt waren, und entdeckten, dass sie geil aufeinander waren.

Sie fanden heraus, dass alle Tiere Freunde waren und das Paradies ihnen gehörte, und wenn sie besonders kinky drauf waren, hielten sie sich Ahornblätter vor die Scham, obwohl sie von so etwas wie Scham noch lange nichts ahnen sollten.

Am zehnten Tag erschuf Gott gar nichts, sondern stalkte seine ersten beiden Menschen. Und weil das Universum und seine Kindheit dunkel waren und ihm sehr langweilig, dachte er sich irgendwelche Verbote aus: Alles dürfe man, sagte er Adam, außer von einem gaaanz bestimmten Apfelbaum zu essen, because fuck you, that’s why.

Aber weil Gott vergessen hatte, die Sprache zu erfinden, verstand Adam ihn nicht, nickte nur freundlich gen Himmel und zeigte Eva, was er an ebenjenem Tag entdeckt hatte: Cunnilingus und Sauerteig.

Das fand Eva zwar gut, aber es reichte ihr nicht. Denn was Gott übersehen hatte: Um ein echter Mensch zu sein, muss man gierig sein. Nie darf einem so etwas Banales wie das ganze Glück der Erde oder ein lapidares Paradies ausreichen. Immer muss man denken, dass es irgendwo noch etwas Besseres gibt, dass da doch noch mehr sein muss als so eine selbstzufriedene Verdammnis zur Monogamie und zu einem erdengroßen Gnadenhof.

Die meisten Menschen, die unglücklich sind, auch heute noch, wissen nicht, dass sie nur nach einer Möglichkeit zum Ausbrechen suchen. Tatsächlich ist der Menschheit das Glück längst nicht so wichtig wie die Suche danach. Es gibt kein Endziel für alles, was aus Versehen zum Bewusstsein verdammt wurde, es gibt Zwischenziele und Sehnsüchte, konkrete und neblige. Eva war die Erste, die ahnte, dass so etwas wie unendliches Glück niemals ausreichen würde für so etwas wie unendliches Glück.

Also erfand Eva das, zu dem Adam und sein Erschaffer zu bequem waren: die Unzufriedenheit. Die Neugier. Die Risikobereitschaft.

Schön war das Paradies, schön war ihr Mann, schön war alles, aber was bedeutet schön schon, wenn man so etwas wie Hässlichkeit nicht mal erahnen kann? Eva wusste nichts von Habgier, von Egoismus, von Trotz. Sie hatte keinen Grund sich zu beschweren, alles war super, jeden Tag schien die Sonne, sie und ihr Mann hatten einen wirklich hübschen Garten. Unendlich träge floss die Ewigkeit dahin.

Und so war es eine Frau, die auch noch die Langeweile entdeckte, die erste Anthropologin, sie beobachtete sich von außen, befand die Gesamtsituation als gnadenlos öde und sorgte damit für den Rausschmiss der Menschheit aus dem Paradies, für Bewusstwerden und folglich jeden Fortschritt, dem wir bis heute hinterherjagen.

Und weil sie die Erste aller vernünftigen Frauen war, sah sie nicht ein, warum sie sich einen Apfel verbieten lassen sollte, denn gesunde Ernährung war schließlich wichtig. Dann kam auch noch diese Schlange, sie roch mit der Zunge und hatte keine Hände und lispelte heftig, als sie Eva altklug erklärte, dass sie ruhig von diesem einen Baum essen könne. Und weil Eva keine Lust mehr auf das Gezische der Schlange hatte und von Verboten eh nichts hielt, reagierte sie nicht, wie Gott das so geplant hatte, mit blindem Gehorsam, sondern mit einem Gefühl, das gerade für Frauen bis heute nicht vorgesehen ist: Trotz.

Noch immer übrigens bildet sich die Menschheit sehr viel darauf ein, die Spitze der Schöpfung zu sein, aber hätte Gott sein Verbot damals wirklich ernst gemeint, hätte er halt ein extrem futuristisches Ufo schicken sollen, irgendwas Beeindruckendes, nicht ein altkluges Kriechtier. Eva also pflückte den Apfel, und dann gab sie Adam etwas davon ab, weil sie die erste sozial denkende Bewohnerin dieser unserer Erde war.

 

Warum hat Eva das getan? Wenn ihr doch mindestens ein Paradies für immer offen stand? Das werden wir nie wissen. Denn Trotz braucht keine Rechtfertigung, keinen moralischen Überbau oder gar eine Gottheit. Im Gegenteil: Trotz ist das Menschlichste auf der Welt. Ungerichtet, undiplomatisch, geboren aus dem Widerstand. Ein Initialmoment, ein Zufallsfunken. An einem jener unendlich vielen sonnigen Tage im Paradies blieb Adam brav, und eine Frau erschuf trotzig: die Realität.

Und jetzt?