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Copyright © 2010 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München
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ISBN 978-3-641-05227-0V002www.gtvh.de
Inhaltsverzeichnis
Eine Betrachtung des Unabänderlichen
Zwischen Toleranz und Wurstigkeit
Philemon und Baucis
Von der Strampelhose bis zum letzten Hemd
Vom Boandlkramer und Weißwursthimmel
Zeitlich limitiert
Mami hat gesagt, wir sind jetzt arm
Ich wollt’ ja nur...
Es muss sein!
Wenn’s dem Esel zu gut geht...
Das hat’s früher nicht gegeben...?
Altwerden ist nichts für Feiglinge
Milliarden von Fliegen können sich nicht irren
Dummheit verjährt nicht
Ich gehe langsam
Dieses Buch widme ich Gundel und Thomas in großer Liebe und mit Dank für unser gemeinsames Leben.
Eine Betrachtung des Unabänderlichen
Ach ja, früher, zwei Stufen auf einmal, manchmal sogar drei, kam darauf an wohin. Bei einer normalen Haustreppe mit sagen wir fünfzehn Stufen betrug der Zeitaufwand, um von einem Stockwerk in das nächst höhere zu gelangen, ein paar Sekunden.
Heute, fünf Stufen, langsam nacheinander, dann zehn Sekunden Pause, dann wieder fünf Stufen, bei ständigem Wechsel des Kraftaufwandes von den Beinen in die Arme, die den schwer gewordenen Körper am Handlauf des Treppengeländers hochziehen. Ganz egal wohin!
Dieser Vorgang kann inzwischen bis zu einer Minute in Anspruch nehmen. An schlechten Tagen brauchst du also für den Aufstieg in die obere Etage deines Hauses ungefähr zehnmal so lang.
Damit wäre ein wesentlicher Teil des Problems »Altwerden« bereits beschrieben. Es ist das Verhältnis von Kraft und Zeit.
Dieses Buch soll kein Lamento werden, nur eine subjektive Schilderung des derzeitigen physischen Zustandes eines Betroffenen. Und Besserung ist da kaum zu erwarten.
Was berechtigt mich, ein Buch über das Altwerden zu schreiben? Ganz einfach – ich bin alt.
Da ich diese Zeilen zu Papier bringe, zähle ich zweiundachtzig Jahre, sechs Monate und vierundzwanzig Tage. Ein paar Stunden kämen auch noch dazu, aber wir wollen nicht kleinlich sein.
Hape Kerkelings Horst Schlemmer würde jetzt sagen: »Isch hab Rücken, isch hab Hals und isch hab Herz – weißte Bescheid...«
Ich weiß Bescheid. Derzeit reden ja viele über das Alter, auch ganz Junge, und viele reden da einen ziemlichen Blödsinn. Ein vermutlich ehrenwerter Politiker fragt, ob die Alten noch ein Recht auf neue Hüften hätten? Ob sich das noch lohne? Ich wünsch ihm eine, die recht wehtut, im Alter. Ein vermutlich respektabler Journalist versteigt sich zu der Frage, ob die Alten nicht selber schuld daran sein könnten, wenn sie von Jungen zusammengeschlagen und halb tot getreten werden. Dankeschön! Das wünsche ihm nicht, wenn er alt ist.
Was ist überhaupt Alter? Für Politiker offenbar eine künftige Katastrophe, die sie gern als »Demografie« im Munde führen. Auf Deutsch heißt das Bevölkerungswissenschaft. Der zufolge nehmen wir Alten den Jungen die Zukunft weg, einfach dadurch, dass wir zu lange leben. Punkt! Ein Offenbarungseid!
Alter ist nicht nur eine biologische Unabänderlichkeit, sondern auch ein mentaler, also geistiger Vorgang. Dieser wurde dem normal gebildeten Bundesbürger erst bewusst, seit er gern als Qualitätsmerkmal in die Volkssportarten Tennis, Golf, Boxen, Strandvolley- und Fußball Eingang gefunden und damit überragende Bedeutung erlangt hat.
Die »Großen Alten« in dieser und anderen Sportarten zählen durchschnittlich knapp über dreißig Lenze, ein Alter also, in dem bei manchen Stars das Mentale, also das Geistige, zwangsläufig einen gewissen Nachholbedarf aufweist.
Einige »Große Alte« haben bemerkenswerte Aussagen über das Alter gemacht.
Mae West, das erste Hollywood Sex Symbol (1893 – 1980) muss, anstandshalber, als Erfinderin des Titels dieses Buches genannt werden. Als sich ihre berückenden Maße in bedrückende Masse verwandelten, soll sie einem respektlosen Journalisten auf die Frage nach ihren Rundungen geantwortet haben: »Listen young man, aging is not for cowards!«
Sir Peter Ustinov (1921 – 2004) gab mir als Vermächtnis seine Erkenntnis mit auf den Weg: »Wir alten Männer sind gefährlich, weil wir keine Angst mehr vor der Zukunft haben. Wir können sagen, was wir denken, wer will uns denn dafür bestrafen?«
Robert Boyle (1909 – lebt noch), Alfred Hitchcocks Bühnenbildner, wurde 98-jährig mit dem Ehren-Oscar 2008 ausgezeichnet. Von zwei äußerst attraktiven, sehr spärlich bekleideten Damen zum Mikrofon geführt, kümmerte er sich einen Dreck um die limitierte Zeit für die Dankesadresse, betrachtete seine Begleiterinnen mit erkennbarem Genuss und meinte dann mit zittriger Stimme: »Ladies and Gentlemen – dies sind die Freuden des Alters. Der Rest ist nicht mehr sehr empfehlenswert!«
Erich Glowatzki, in den Dreißigerjahren nach Australien ausgewanderter und zum Multimillionär aufgestiegener Sachse, brachte das Alterungsproblem auf den einfachen Nenner: »Nu, wenn de jung bist, haste Zähne zum Beißen, aber nischt zu fressen. Wenn de alt bist, haste genug zum Fressen, aber keene Zähne mehr zum Beißen!« Voilà!
Man kann sich dem Problem des Älterwerdens auch akademisch nähern. Die Wissenschaft bezeichnet die »Lehre von den verschiedenen Altersvorgängen«, also den unaufhaltsamen Niedergang von Saft und Kraft im Menschen, »Gerontologie«, und die kommt zur der unwiderlegbaren Erkenntnis: So ist das nun mal!
Man kann die ganze Sache auch weniger akademisch betrachten und einfach dem gesunden Menschenverstand überlassen. Der sagt: Scheiße!
Ich persönlich behandle das zugegeben nicht immer einfache Problem nach Josef Kirschner, dessen Buch »Die Kunst, ein Egoist zu sein« mir geholfen hat, als es mir sehr dreckig ging. Drei Monate lang mit einer infektiösen Hepatitis im Krankenhaus, wehrte ich mich mit Erfolg gegen lebende Schafsläuse, die man mir zum Schlucken geben wollte.
Alle guten Ratschläge gegen das Altern durch intelligenten Umgang mit dem menschlichen Verfallsdatum hängen weitestgehend von der Situation ab, in der sich das dem Verfall ausgelieferte Individuum zu diesem Zeitpunkt befindet. Fest steht: Früher oder später bist du dran! Also mach das Beste daraus. Kümmere dich nur noch um dich. Mach aus den gegebenen Umständen das Beste für dich. Nur wenn du mit dir selbst zufrieden bist, kannst du auf andere positiv einwirken. Hört sich gut an. Oder?
Als Kind wird man oft gefragt: »Was willst du denn mal werden?« Ich glaube, die Frager haben da schon eine bestimmte Erwartung, was die Antworten der lieben Kleinen betrifft. Lokomotivführer, Fußballspieler, Rennfahrer scheinen bevorzugte Berufe von Kindern zu sein, die mit den Füßen auf der Erde bleiben wollen. Solche, die schon im Kindesalter nach Höherem streben, entscheiden sich eher für Pilot, Astronaut oder Schornsteinfeger. Zu meinem Lebensziel befragt, soll ich geantwortet haben: »Unabhängig will ich werden!« Ich kann mich nicht erinnern, wie alt ich bei dieser Antwort war und ob ich überhaupt schon wusste, was Unabhängigkeit bedeutete.
Wann fängt das Altern an? Es gibt junge Alte, alte Alte, manche scheinen bereits alt auf die Welt gekommen zu sein, und dann die, die bewusst vergessen, alt zu werden. Sie können oder wollen nicht alt werden, oder sind schlicht und einfach zu dumm, dem Unabänderlichen mit Anstand zu begegnen. Rosa Hemden, bis zum Nabel geöffnet, schwere Goldketten mit Kreuz auf gefärbtem Brusthaar, das sind vergebliche Versuche, darüber hinwegzutäuschen, dass im Ernstfall nur noch Viagra über die Runden hilft. Der dazu notwendige Körperteil wird in betont engen, künstlich durchlöcherten Jeans zur Schau gestellt. Im Kopf nicht viel, oben drauf gar nichts, oder aber eine künstliche, in beliebigen Farben und Längen erhältliche Spielwiese. Diese »Playgreise« werden gern in einschlägigen Blättern oder TV-Magazinen als »ewig jung« angeboten, obwohl es angebracht wäre, sie einfach zu übersehen.
Zu welcher Altenart gehöre ich eigentlich? Ich vermag mich da nur schwer zu kategorisieren. Wann begann bei mir das Unabänderliche? Vielleicht als ich mit zwölf anfing zu rauchen? Oder war es, als ich als Vierzehnjähriger, auf dem Düsseldorfer Rathausturm, beim ersten Bombenangriff, die halbe Altstadt mit einem Teil der Bevölkerung in die Luft fliegen sah?
Oder vielleicht als ich mit achtzehn Jahren, am 2. Mai 1945, bei Bad Kleinen in russische Kriegsgefangenschaft geriet und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, liquidiert zu werden?
War es ein paar Monate später im Bergwerk, tausend Meter tief, im siebzig Zentimeter niedrigen Streb, vor Angst zitternd, wenn der Berg sich unter Donnergrollen über mir bewegte? Aus dieser Zeit stammt die Platzangst, unter der ich heute noch leide. Aufzüge in hohen Häusern zum Beispiel, wenn sie eng sind, und nicht verspiegelt, bereiten mir Atemnot. Wenn so ein Käfig dann auch noch ein bisschen ruckelt, habe ich wieder das Gefühl, mit zwanzig anderen Kumpels in einen Förderkorb gepresst, mit sieben Meter pro Sekunde in die Tiefe zu rasen, nicht wissend, ob wir je wieder ans Tageslicht kommen!
Oder bin ich alt geworden, als ich die Dreharbeiten in dem Film »Die feuerrote Baroness« in Berlin unterbrechen musste, um nach München zu fliegen, wo meine Frau nach einer Fehlgeburt mit dem Tod rang?
Bin ich alt geworden, als unser Sohn Thomas innerhalb von acht Monaten einundzwanzig Eingriffe mit Vollnarkosen überstehen musste, und wir nicht wussten, ob wir ihn verlieren würden?
Für jeden Menschen gibt es Ereignisse, die ihn im Innersten aufwühlen, ihn verändern, sein Denken in andere Bahnen lenken, ihn reifer machen, erfahrener, älter eben. Wie der Einzelne solchen Situationen begegnet, das hängt zum großen Teil davon ab, wie unabhängig er ist, ob er frei entscheiden kann, in welchem sozialen Umfeld er lebt.
Also wann ich mit dem Älterwerden begonnen habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich daran, dass ich bei meiner Altersangabe immer log. Nach oben. Immer so um die zwei Jahre drauf. Meine Umgebung lachte darüber. »Wart’ mal, bis du zwanzig bist...!«
Dreißig – vierzig, fünfzig, sechzig, es blieb so. Ich machte mich immer älter. Scheint ein Tick zu sein bei mir. O.W. Fischer, der Große, von mir damals bewundert, nannte mich mal bei einem Streitgespräch: »Junger Freund« – womit er bei mir verschissen hatte. »Junger Freund« war für mich gleichbedeutend mit »noch nicht trocken hinter den Ohren«. Ich fühlte mich nicht für voll genommen, schlichtweg eine Beleidigung. Auf »Junger Mann« reagiere ich heute, mit bald dreiundachtzig, immer noch allergisch, obwohl ich weiß, dass es scherzhaft gemeint ist. Ich kann’s einfach nicht hören. Ein paar Macken hat doch jeder. Basta! Hängt vermutlich mit der manchmal unterentwickelten Vorstellungskraft von Filmproduzenten oder Regisseuren zusammen. »Zu jung...« ist eine gern gebrauchte Ausrede, wenn sie dich nicht in einer Rolle sehen, die du gern gespielt hättest.
Neulich soll einer der Mächtigen, die im Auftrag der Anstalten des Öffentlichen Rechts produzieren, über mich gesagt haben: »Der ist zu alt, um einen alten Mann zu spielen...!«
Der Mann weiß Bescheid!
»Wie alt wollen Sie denn werden?«, werde ich oft gefragt.
»Ich möchte so lange leben, wie mein Kopf einwandfrei arbeitet!«
»Wollen Sie so alt werden wie Heesters?«
»Bitte nein!«
»Warum nicht?«
»Weil ich unabhängig bleiben will!«
»Sind Sie’s?«
»Ich glaube ja!«
»Was heißt, Sie glauben...?«
»Ich kann ablehnen, wenn mir ein Angebot nicht gefällt!«
»Tun Sie’s?«
»Immer öfter. Gute Angebote werden seltener.«
»Was haben Sie zuletzt gemacht?«
»Für ARD und ORF ›Live is Life‹, eine köstliche Komödie, die im Altenheim spielt, dessen Insassen dagegen rebellieren, wie unmündige Kinder behandelt, bevormundet und drangsaliert zu werden. Leider wurde der Titel umgeändert in ›Die Spätzünder‹, was meiner Meinung nach schon an Diskriminierung für uns alte Leute grenzt. Wir sind keine Spätzünder, sondern Menschen, die nach einem langen Arbeitsleben ihren wohlverdienten Frieden und ihre Ruhe suchen. Was heißt da ›Spätzünder‹?«
Zwischen Toleranz und Wurstigkeit
Jetzt kommt eine Monumental-Platitude: Ob Karl Marx oder Friedrich Engels, Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg, ob Franz Müntefering oder »Reichtum für Alle-Gregor Gysi«: Soziale Unterschiede gab es, gibt es, und wird es immer geben. Alle Versprechungen, diese soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen, sind mehr oder weniger gut gemeinte Illusionen, meist aber nur demagogisches Politikergefasel. Die Rattenfänger sind mit ihren »Ismen« unterwegs. Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, Liberalismus, Buddhismus, Humanismus und sonst noch was. Alle »Ismen« sind idealistische oder ideologische Ideen, die nicht funktionieren, weil Menschen nicht danach gemacht sind. Für Ismen sind wir eine glatte Fehlkonstruktion. An die sechs Milliarden Individuen, bei unterschiedlichen Lebensbedingungen, in unterschiedlichen politischen Systemen, lassen sich nicht »ver-ismen«, lassen sich nicht über einen Kamm scheren.
Zu welcher Alten-Art gehöre ich eigentlich? Junger Alter, alter Alter, alt geboren? Wenn ich mich selber einstufe, würde ich sagen: ein Alt-Alter. Abgesehen von den zunehmenden Wehwehchen bin ich gern alt. Genieße den mir erwiesenen Respekt, freue mich, wenn Regierende erzählen, dass sie am Abend meine Sendungen sehen durften, wenn sie am Nachmittag ihre Schulaufgaben anständig gemacht hatten.
Bundespräsident Herzog nannte mich im Gedränge vor der Münchner Staatsoper »Freudenspender seiner Freizeit«. Donnerwetter! Ministerpräsident Horst Seehofer verkündete den Fotografen, als er mich im Defilee zu seinem Neujahrsempfang entdeckte: »Dort kommt meine Jugend, mit dem Blacky bin ich aufgewachsen!« Auch nicht schlecht.
Also sind wir Alten bei den jungen Mächtigen doch was wert. Vielleicht könnten wir eine Art GPS sein, ein »Navi« für die Jugend. »Wenn möglich bitte wenden« – »nächste Straße bitte rechts« – »im Kreisverkehr zweite Ausfahrt!« Möglicherweise wäre damit vielen geholfen, die die Orientierung verloren haben und keinen Ausweg finden. Es scheinen immer mehr zu werden.
Auf der anderen Seite: Das Altengefasel »Früher war alles besser« kann ich nicht mehr hören. Stimmt ja auch nicht. Früher war keineswegs alles besser, vieles war anders. Als wir jung waren, war die Welt weniger kompliziert, denke ich. Das Angebot war geringer, die Verwirrung kleiner. Die Menschen konnten ihre Angelegenheiten noch selber regeln, eigene Entscheidungen treffen. Es wurde ihnen nicht so viel dreingeredet oder vorgeflunkert, von allen möglichen und unmöglichen Organisationen, die vorgeben, ihre Interessen zu vertreten. Im Lauf der Zeit haben wir uns einlullen lassen, haben uns daran gewöhnt, dass andere sich um unseren Dreck kümmern, für Geld natürlich, und uns mit falschen Versprechungen, die Sorgen nehmen, die uns mehr und mehr bedrücken und überfordern. Wir haben verlernt, uns um uns selbst zu kümmern, und merken, dass wir mehr oder weniger schleichend entmündigt werden. Der »Mündige Bürger« wird Mangelware. Wer ist damit denn überhaupt gemeint? Die revoltierenden Jungen, die im Komasaufen verblöden? Die resignierenden Alten, die sich auf Parkbänken oder am Stammtisch über die schlechten Zeiten beklagen?
Die Parteien verstricken sich mehr und mehr im Machterhalt um jeden Preis, machen sich gegenseitig schlecht, bezichtigen sich ungeniert der Unfähigkeit oder der Unlauterkeit und untergraben damit jeglichen Respekt vor der Obrigkeit.
Die Gewerkschaften kommen drauf, dass sich die zu Recht und notwendig erkämpfte Macht beginnt, sich gegen sie selbst zu richten.
Die Kirchen verlieren viele ihrer Gläubigen, weil sie im Zeitalter weltweiter Kommunikation weiterhin auf ihren nicht mehr haltbaren Dogmen und Glaubenssätzen bestehen.
Der Staat ist zu einem aufgeblähten Bürokratiemonster geworden und zu einem Selbstbedienungsladen, dem die Bürger in zunehmendem, langsam beängstigendem Maße die Achtung verweigern.
Also wohin?
Sollen wir auf den Rat der Weisen hören – oder eher auf die Sachverständigengremien? Ziehen vielleicht die Untersuchungsausschüsse die diversen Karren aus dem Dreck?
Wenn gar nichts mehr geht, haben wir ja immer noch die Schlichtungskommissionen. Die werden’s schon richten. Oder?
Wo bin ich da hingeraten? Ist das nun seniles Resignationsgewäsch oder berechtigte Altersrevolte? Ich will weder ein Klagelied anstimmen noch auf die Barrikaden steigen, will weder Jammerlappen noch mürrischer alter Mann sein. Was mich beschäftigt, ist der Unterschied zwischen Toleranz und Wurstigkeit. Wo beginnt das eine und wo hört das andere auf? Ich habe das Gefühl, im Alter immer intoleranter zu werden. Ich lasse mir immer weniger gefallen, es sei denn, mir ist etwas vollkommen egal. Ich kann mich nicht mehr für alles interessieren, schon gar nicht verantwortlich fühlen. Wenn du spürst, dass deine Zeit begrenzt ist, ach was, wenn du weißt, dass der Vorhang jeden Augenblick fallen kann, musst du selektieren. »Was will ich noch?« Das ist eine, wenngleich relativ begrenzte Möglichkeit. So viele hast du ja gar nicht mehr. Der andere Weg scheint mir realistischer: »Was will ich nicht mehr?« Das wiederum ist eine ganze Menge.
Nach zahlreichen, manchmal vergeblichen, natürlich auch zeitbedingten Versuchen hatte ich das Glück, dem Filmregisseur Paul May zu begegnen. Der Sohn von Peter Ostermeyer, Gründer der Bavaria Filmstudios in München-Geiselgasteig, sollte aus Hans Helmut Kirsts Roman »Die abenteuerliche Revolte des Gefreiten Asch« den Film »08/15« drehen. Er kam auf die ebenso abenteuerliche Idee, mir die Rolle der Titelfigur anzubieten. Einem absoluten Laien, einem Nichtschauspieler. Das Ergebnis führte zu meiner endgültigen Berufswahl. Mit dieser Rolle, in diesem Film, zu dieser Zeit, mit diesem Regisseur war der Erfolg vorprogrammiert. Millionen Zuschauer schenkten dem Leinwandgrünschnabel ihre nachhaltige Zuneigung. Davon lebe ich bis heute. Ich hatte großes Glück, habe gut verdient – ob verdient oder unverdient, diese Beurteilung überlasse ich gerne allen, die sich dazu berufen fühlen.
Philemon und Baucis
Das größte Glück und bestimmend für mein Leben war die Begegnung mit einer ausnehmend hübschen jungen Dame namens Gundula Maria, Tochter eines Rechtsanwalts, Komponisten, Dichters und Sängers. Diese Vielseitigkeit war gleichzeitig auch sein Problem. Die standesbewusste Anwaltskammer wollte sich mit seiner »Tingelei« nicht abfinden. Möglicherweise war es vor allem seine Zugehörigkeit zum Kabarett »Die Elf Scharfrichter« als »Frigidius Strang«. Man stellte ihn kurzerhand vor die Entscheidung: entweder weiterhin ehrenwertes Mitglied der Anwaltskammer – oder weiter auf dem Schwabinger Abweg. Ich habe meinen Schwiegervater leider nicht mehr kennen gelernt. Er muss ein bemerkenswerter Mann gewesen sein. Gern hätte ich ihn gefragt, woran er zuerst dachte, als er sich kurz entschlossen auf den Weg zur Anwaltskammer machte, um sein Verbleiben im Reich der Paragrafen kundzutun. Fiel die Entscheidung unter dem Druck des Standesbewusstseins, fiel sie in der Vorausschau auf eine mögliche Altersversorgung? Auf jeden Fall kann ich ihn nicht nur gut verstehen, sondern bewundere ihn dafür, dass er auf der Treppe kehrtmachte und seine Entscheidung widerrief.
»Ich bleibe lieber Lautensänger, Poet und Schriftsteller«, verkündete er den erstaunten Rechtsvertretern und ging. Für immer. Vermutlich befreit und auch stolz darauf, seinem Gefühl und nicht einem Versorgungsdenken gefolgt zu sein. Wie recht er hatte, erfuhr er später, als ihm begeisterte Studenten in Berlin die Pferde vor seiner Kutsche ausspannten und ihn im Triumph über den Kurfürstendamm zogen.
Ich bin überzeugt davon, dass schon in den frühen Jahren eines Menschenlebens die Weichen für das Alter gestellt werden. Dabei darf es weniger auf die Versorgung ankommen als viel mehr auf Zufriedenheit mit dem, was man tut – oder noch mehr – mit wem man das tut. Das ist für mich das Wichtigste. Jeder Mensch kommt in Situationen, in denen er jemanden braucht, der ihm zeigt, wo es langgeht, wenn er an die Mauer rennt. Der wichtigste Lebensabschnitt für mich war der Übergang vom »Nichts anbrennen lassen – Nur nichts auslassen« zum »Da gehör’ ich hin – da bin ich daheim und da bleib ich«.
Wie man das schafft? Verdammt schwer. Es ist die konsequente Abkehr vom »Ich« zu einem bedingungslosen Bekenntnis zum »Wir«. Leichter gesagt als getan, ich weiß, aber wenn man es geschafft hat, merkt man, wie viel leichter das Leben wird, wenn man Freud und Leid mit einem Partner teilen kann. Freude wird verdoppelt, Leid halbiert.
»Mit vollen Hosen kann man gut stinken« – ein wenig feiner Spruch, aber er stimmt. Heute, nach sechsundfünfzig Jahren Ehe, wissen meine Frau und ich, wovon wir reden.
An unserem Hochzeitstag im Jahr 1954 habe ich meiner vierundzwanzig Jahre alten Braut den Brocken zu verdauen gegeben: »Ich glaube, ich kann gut verdienen und ein Leben lang für dich sorgen, und sollten wir Kinder haben, auch für die! Sollten wir aber irgendwann mal kein Geld mehr haben, ist es deine Schuld!«
Gundula hat das nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern von Anfang an dafür gesorgt, dass nichts verplempert wurde. Mit strenger Hand hielt sie die Finanzen zusammen und achtete darauf, dass jede Investition wertbeständig war. Wir waren da nicht immer einig, aber sie hatte immer recht. Gelernt hatte sie das bei ihrem Vater, der, wie sie mir nicht gerade schmeichelhaft sagte, ein ähnlicher Schlamper gewesen sei wie ich. Akkuratesse und Eifer erschöpften sich meinerseits im Beruf. Aber auch als Dompteuse zeigte Gundula beachtliches Talent. Schon zu Beginn unserer Ehe wurde klar, dass sie im Begriff war, mich zum gefügigen Untertan zu machen und zu dem zu werden, was ich sie seit Jahren nenne »Meine Regierung«! Sie wurde zur einzigen Obrigkeit, die ich akzeptiere, weil ich weiß: Was sie tut, tut sie zu meinem Besten, auch wenn ich manchmal nicht sofort begreife, was das Beste für mich ist. Vom Augenblick an, als ich verstanden hatte, Frauen sind intuitiver als Männer, ging es mir schlagartig besser. Ich überließ ihr Entscheidungen, die mich belasteten. Bei meinen großen Sendungen in der ARD durften nur sie und mein Berater, Eckhard Schmidt, mich kurz vor dem Auftritt noch ansprechen. Wir fanden die Formel für unser Zusammenleben bis heute: Gundel entschied alle kleinen Probleme, also wie viel ich verdienen musste, wer das Geld verwaltete, wie unser Sohn erzogen wird, wo und wie wir wohnen würden etc. Ich war dafür zuständig, ob China in die Vereinten Nationen kommt, die Bundesrepublik wiederbewaffnet und wer Kanzler wird. Zum Beispiel.
Sobald ich diese Spielregeln begriffen hatte, ging es mir bemerkenswert gut bis ins hohe Alter, egal, was immer mir auch wehtat und -tut. Und langsam ist das eine ganze Menge. Wir alle klagen ja ganz gern, wenn auch auf hohem Niveau. Aber wenn man seiner Umgebung ständig alle Wehwehchen unter die Nase hält, steht man mit seinen Hühneraugen, eingewachsenen Zehennägeln, Bauchgrimmen, Blutdruck, Herzflimmern und was das Alter sonst noch so zu bieten hat, bald auf wackeligen Beinen allein da. Also reißen wir Alten uns besser zusammen und behalten die diversen Zipperlein für uns. Allerdings können wir uns mit allen Sorgen nachfolgenden Berufsgruppen jederzeit und hemmungslos anvertrauen: Friseurinnen, Physiotherapeutinnen, Kosmetikerinnen, Ärztinnen, Taxifahrerinnen, Briefträgerinnen. Das ist natürlich die Auswahl für Männer. Das Gleiche gilt aber uneingeschränkt ebenso für die männlichen Vertreter dieser Berufsgruppen. Sie alle beweisen sich im Ernstfall als geeignete Seelenmülleimer.
Fassen wir also zusammen: Wichtig für ein harmonisches Zusammenleben bis ins Alter sind zwei grundsätzliche Erkenntnisse.
Erstens: Partner sollen zwar ineinander aufgehen, sozusagen eins werden, keinesfalls aber des anderen Eigentum werden.
Zweitens: Die blödsinnige Aufteilung von Aufgaben nach dem Geschlecht. Die Frau ist zuständig für die drei großen »K« – Kinder, Küche, Kirche.
Der Mann geht hinaus ins feindliche oder freundliche Leben, wo er mehr sich selbst, nebenher aber auch die Familie unterhält. Oder?
Bei uns stellte sich eben heraus, dass meine Frau ein ausgesprochen organisatorisches Talent ist und mit meinem verdienten Geld besser umgehen konnte als ich selbst. Mit Messer und Gabel wusste sie eben so trefflich umzugehen, aber mit der Herstellung dessen, was man mit den Essgeräten zu sich nimmt, war es weniger gut bestellt. Da lagen die Fähigkeiten nun mal mehr bei mir. Also kümmerte sie sich ab sofort um die Finanzen, während ich mit Pfanne und Töpfen für unser leibliches Wohl sorgte. Das ist bis heute so. Allerdings gebe ich zu, dass sie sich im viel zu schnell vergangenen letzten Halbjahrhundert meine Kochkünste bis zur Perfektion angeeignet hat, während ich nach wie vor große Schwierigkeiten habe, einen Bankauszug richtig zu lesen. Alle Konten kennt Gundula auswendig, während ich keine Ahnung habe, ob oder wie viel da überhaupt drauf ist. Gerne lässt sie sich von mir zu unserer Bank fahren. Aus Parkschwierigkeitsgründen bleibe ich vor der Bank im Wagen sitzen und warte geduldig auf die Hand voll Bonbons, die sie mir mit einem Gruß der Schalterbeamtin aushändigt. Von den getätigten Transaktionen teilt sie mir netterweise, unter Vermeidung aller Details, noch mit: »Alles o.k.!«
Damit weiß ich dann, dass wir trotz der durch Transaktionen vieler Banken und Banker hereingebrochenen Krise derzeit noch eine halbwegs gesicherte Zukunft haben. Trotz großer finanzieller Schwierigkeiten aller Film- und Fernsehproduzenten, die mit neuen Produktionen von den Sendeanstalten mit der Begründung kurzgehalten oder lahmgelegt werden: »Wir haben kein Geld!«
So habe ich derzeit kein Einkommen aus diesbezüglicher Tätigkeit, bin also eigentlich arbeitslos und mache mir Gedanken. Zum Beispiel über die Frage: »Wo bleiben die Milliarden Euro aus den Zwangsgebühren der Fernsehzuschauer?«