Alwara, die Heilerin - Katharina Strauch - E-Book

Alwara, die Heilerin E-Book

Katharina Strauch

0,0

Beschreibung

Das Königreich Orondura wird bedrängt von wilden Horden, die es mit zahllosen Schiffen vom Meer her angreifen. König Horon braucht Unterstützung und will den Jahrhunderte alten Streit mit den Zwergen beilegen, die das gewaltige Lariangebirge besiedeln. Die junge Heilerin Alwara, die von Horons Sohn Erolf ins Schloss gebracht wird, kuriert nicht nur den König von einem schweren Leiden, sie wird von Sademalch, dem "Weißen Magier", zur Bewahrerin des Guten und zu einer mächtigen Magierin ausgebildet. Ihre Aufgabe wird es künftig sein, gegen die Sendboten des Bösen anzutreten, die Orondura vernichten wollen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 436

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Alwara, die Heilerin
Das Vermächtnis des Sademalch

Alwara, die Heilerin

Das Vermächtnis des Sademalch

Katharina Strauch

Vorwort

Wer nicht glaubt, dass die Menschheit in ihrer Geschichte begleitet wurde von zahllosen Wesen, deren Existenz man mit wissenschaftlichen Methoden nicht beweisen kann, von denen es keine Fotos, Versteinerungen und andere „handfeste" Belege gibt, der sollte erst gar nicht beginnen, dieses Buch zu lesen.

Wer nicht glaubt, dass die Erde von Elfen, Zwergen, Zauberern, Hexen, Drachen, Trollen und anderen unerklärlichen Kreaturen bevölkert war und womöglich noch immer ist, wer glaubt, dass dies nur für Kinder erdachte Märchenwesen seien, der soll weiter in seiner sogenannten „Realität" leben, sich Seifenopern im Fernsehen ansehen und sich mit „wirklichen" Dingen beschäftigen – mit Politik, mit Ökonomie und dem restlichen Wahnsinn.

Wer nicht daran glaubt, dass die Menschen einst ganz selbstverständlich in einem Nebeneinander mit diesen Wesen lebten, oft im Einklang, manchmal auch im Zwist, ja sogar im Krieg und in blutigen Schlachten, der sollte uns andere diesen Träumereien überlassen, diesen Träumereien von einer anderen Welt. Von einer Welt, in der Platz war für alle, die viel reicher war als unsere jetzige, viel schöner durch ihre Vielfalt, manchmal auch viel grausamer, auf jeden Fall aber interessanter und bunter.

Prolog

Die ganz in Weiß gekleidete Frau sitzt auf einer steinernen Bank im Schatten einer uralten Eiche, auf ihrem Schoß ruht eine große, grau gestreifte Katze. Mit einem traurigen Gesichtsausdruck streichelt die Frau den Kopf des schnurrenden Tieres und sagt: „Es ist so weit, ihre Zeit ist nun gekommen!"

Der Kater hebt den Kopf: „Sie ist noch so jung!"

„Ja, ich weiß, aber sie lassen uns keine Wahl. Wir können nicht mehr länger warten oder es ist alles verloren! Sie braucht ohnehin noch viele Monde, bis er ihr alles beigebracht hat.“

„Und wieso schickst du nicht ihn?“

Die Frau schüttelt den Kopf: „Nein, seine Zeit ist vorüber, er wird alt und außerdem hat er nicht ihre Kräfte. Noch nie war einer von uns so stark und ich glaube, wir brauchen ihre ganze Kraft. Eines Tages, vielleicht schon bald, werden sie sich gegen uns vereinen und dann kann nur sie gegen die „Drei" bestehen.

„Wen haben sie denn diesmal geschickt?“

Sie lächelte: „Deinen Freund! Er ist schon lange dort und hat sein übles Werk bereits begonnen!"

Der Kater fauchte, zeigte die blitzenden Reißzähne und ließ seine gelben Augen für einen Moment aufleuchten. „Wann gehe ich?"

„Du hast Zeit – noch hat sich die Prophezeiung nicht erfüllt. Ruh dich aus, denn viel Arbeit wartet auf dich!“

+++++++++++++

Die Gestalt in dem schwarzen Umhang steht vor einem Tisch, in den eine grünlich schimmernde Steinplatte eingelassen ist. Die Kapuze verbirgt das Gesicht, nur zwei Augen leuchten wie glühende Kohlen, wenn er den Kopf hebt und zu seinen Besuchern spricht.

„Diese Mal werden wir sie endgültig besiegen! Der Weiße ist alt geworden und das Kind wird noch einige Zeit brauchen, bis es seine Lehrzeit beendet hat. Deshalb haben wir Zeit, alles in Ruhe vorzubereiten.“

Er blickt zu dem ihm am nächsten Stehenden: „Du wirst diese Wilden anleiten. Sie müssen die ganze Aufmerksamkeit Horons auf sich ziehen. Und du", sagt er zu dem anderen, der ihm gegenüber an der Wand stand, du kümmerst dich um die Zwerge – ich will, dass sie sich gegenseitig umbringen, hast du das verstanden?

Der Mann nickt nur.

„Du weißt ja, wenn du noch einmal versagst, dann ist es vorbei mit den „Drei“, dann gibt es nur mehr „Zwei“.

Jetzt lacht die Frau, die zwischen ihnen steht, laut auf - „Ach wäre das schön, wenn ich dein Gesicht nicht mehr sehen müsste. Da wünsche ich mir ja direkt, dass du es wieder nicht schaffst, gegen einen alten Mann und ein kleines Mädchen!"

„Sei still!“, dröhnt es jetzt unter der Kapuze hervor, „was fällt dir ein? Vergiss nicht, ich kann auch auf dich verzichten. Wenn du unseren Sieg gefährdest, wirst du deine restliche Zeit hier verbringen und mir zu Diensten sein!“

Jetzt ist es an den anderen beiden, höhnisch zu grinsen. Sie wissen längst, dass das schöne Weib nicht wegen ihrer Zauberkraft zu ihnen gehört, da gibt es stärkere und bessere, sondern wegen ihrer Schönheit und der Bereitwilligkeit, sie ihrem Meister nicht vorzuenthalten.

„Geht jetzt, es ist alles gesagt!“, und zu der Frau: „Nein, du bleibst hier!“

Die beiden verlassen den düsteren Raum und treten auf den kalten Gang hinaus, der aus großen Steinen gefügt, steil bergauf führt. Bevor sie die Tür schließen, hören sie noch die Stimme des Meisters: „Zieh dich aus!"

Während sie sich aufreizend langsam ihrer Kleidung entledigt, fragt sie: „Sagt, Meister, weshalb bringen wir dieses Mädchen nicht einfach um? Es wäre doch ganz einfach – sie ist sterblich und solange sie noch nichts über ihre Kräfte weiß, ist sie doch wehrlos!"

Die Kohlenstücke unter der Kapuze beginnen gefährlich zu leuchten: „Noch so eine Frage und ich verbanne dich zu den Dienern der Nacht – die können sich dann deines Körpers bedienen, bis du winseln wirst darum, dich sterben zu lassen. Du weißt doch, dass es uns verboten ist, solche Mittel anzuwenden, solange sie nicht ausgebildet sind – das ist der Preis für unsere Unsterblichkeit!"

Unbeeindruckt von seiner Drohung, wohl wissend um den Eindruck, den ihre Nacktheit auf ihn macht, geht sie um den Tisch herum und bleibt direkt vor ihm stehen.

1. Kapitel

Orondura

Es war ein schöner Frühlingsmorgen, die Sonne war gerade über den Gipfeln des mächtigen Lariangebirges aufgegangen und begann, die von der kalten Nacht ausgekühlten Steinmauern des Königsschlosses zu erwärmen.

König Horon stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf dem kleinen Balkon seines Arbeitszimmers. Nachdenklich starrte er auf das gewaltige Gebirgsmassiv, dessen erste Gipfel die Nordgrenze seines Königreichs markierten.

Unter ihm, im kleinen Innenhof, der nur der königlichen Familie vorbehalten war, spielte Arwan, sein Jüngster, unter blühenden Pflaumenbäumen mit dessen bestem Freund, Goriuk, dem Sohn des Stallmeisters. Die beiden Zwölfjährigen waren beinahe unzertrennlich, steckten den ganzen Tag beisammen und heckten ununterbrochen Streiche aus, die dem König regelmäßig ein amüsiertes Schmunzeln entlockten, wenn man sie ihm hinterbrachte.

Horon war der Umgang seines Sohnes ganz recht. Er legte großen Wert darauf, dass seine Familie gemeinsam mit dem Volk lebte, und nicht abgehoben von dessen Sorgen und Freuden ein abgeschottetes Leben im eigenen Saft führte.

Die Kinder sollten in dem Bewusstsein aufwachsen, dass König zu sein in erster Linie bedeutete, Verantwortung zu tragen, Verantwortung für das Volk und nicht es auszubeuten und zu unterdrücken.

Diese Haltung hatte er von seinem Vater, König Barian „dem Weisen", übernommen, der lange und klug regiert hatte. Unter dessen Regentschaft blühte Orondura auf und Wohlstand, Ruhe und Frieden zogen ein in seinem kleinen Reich. Davor hatte dessen Vater, Korbert „der Gewalttätige" es mit Angst und Schrecken überzogen und drei Jahrzehnte Gewaltherrschaft hatten das Land verwüstet und verarmen lassen.

Die Menschen dankten König Barian und danach auch Horon deren Regierungsweise mit enormer Verehrung, Zuneigung und großem Fleiß. Dementsprechend hoch waren auch die Abgaben, die den König in die Lage versetzten, für ausgebaute Straßen zu sorgen, für schnelle, sichere Handelsschiffe und für eine gut ausgerüstete, kampfeswillige Streitmacht, auch wenn diese schon viele Jahre nicht mehr in die Schlacht gezogen war. Es war ruhig im Land und der König und seine Lehnsherren hatten keine Händel.

Im Grunde genommen war alles in Ordnung – ein Volk, das mit seinem König im Einklang lebte, niemand musste hungern und darben. Alle waren zufrieden und doch, oder gerade deshalb, waren Horons Gedanken düster. Als kluger Mann wusste er, dass das Glück ein unsteter Gast war und je länger er verweilte, desto absehbarer war sein Abschied. Er wusste auch, dass die Zeiten unsicher waren. Viele Stämme aus dem Norden suchten neue Siedlungsräume. Die gehörnten Krieger überfielen und plünderten unzählige Hafenstädte und Inseln, mordeten, brandschatzten, vertrieben die Bewohner und siedelten sich selbst an, wo immer sich die Möglichkeit bot.

Seine Kapitäne fuhren nur mehr auf wenigen sicheren Routen und schon oft waren sie den wilden Horden mit Ihren Drachenbooten nur entkommen, weil sie wendige und schnelle Segelschiffe hatten, die in seiner Werft von genialen Schiffsbauern gebaut wurden und denen die Gehörnten nicht gewachsen waren.

Vor Überfällen vom Meer her bewahrte sie der Umstand, dass das Reich auf drei Seiten von einer mehr als hundert Meter hohen, uneinnehmbaren Steilküste umgeben war, die senkrecht ins tosende Meer abfiel und Schiffen keine Möglichkeit zum Anlegen bot.

Die wenigen Male, wo es doch jemand versucht hatte, beschränkten sich die Wachmannschaften, die auf einem Wehrgang rund ums Land patrouillierten, darauf, zuzusehen, wie die Boote an den Granitmauern zerschellten und mit Mann und Maus untergingen.

Trotzdem waren die Wächter aufmerksam und beobachteten ohne Unterlass jede Bewegung auf dem Meer.

Es gab nur einen einzigen Hafen, der durch einen schmalen Zugang zwischen hohen Felsen erreichbar war und dessen Passage zusätzlich durch gefährliche Untiefen und Strömungen erschwert wurde.

Für Fremde war es praktisch unmöglich, ungesehen einzulaufen, zumal an beiden Seiten der Einfahrt hoch über dem Meer Zitadellen standen, von denen aus jede Bewegung am Wasser schon aus weiter Entfernung gesichtet wurde. Des Nachts und bei Gefahr im Verzug wurde eine schwere Eisenkette zwischen den Felsen gespannt, die knapp über der Wasseroberfläche alles aufhielt, was sich schwimmend näherte.

Damit war sein Land von drei Seiten praktisch uneinnehmbar und im Norden, ja im Norden lag das Lariangebirge – ein gigantisches Massiv, das noch nie eine menschliche Seele durchquert hatte, mehrere hundert Kilometer breit, größer als sein ganzes Reich.

Das waren Gipfel, so hoch, dass ein Mensch sie nicht besteigen konnte, mit reißenden Sturzbächen und gewaltigen Geröll – und Eislawinen. Riesige, undurchdringliche Wälder bedeckten die engen, sonnenlosen Täler und die Flanken der Gesteinsriesen und es gab nicht Weg noch Steg.

Es hausten dort mörderische Monster wie der sagenumwobene Bergteufel und wilde Rudel von mächtigen Schneewölfen. Es gab böse Geister und des Nachts leuchteten die gelben Augen der verlorenen Seelen zwischen den alten Baumriesen.

Und da lagen auch die Gründe für die Betrübnis Horons, den sie „den Anständigen" nannten.

„Es hilft alles nichts, es ist an der Zeit, wir müssen es versuchen“, murmelte der großgewachsene Mann in seinen schwarzen Bart und rief nach Oldar, seinem Diener.

2. Kapitel

Alwara

Der Kleewiesensee machte seinem Namen alle Ehre. Mitten im Wald von Sarion, drei Tagesreisen von der Hauptstadt und vom Königsschloss entfernt, lag auf einer großen Lichtung der See, eingebettet in ein Meer von blühendem Klee. Die frischen Blüten, erst ein paar Tage alt, ließen das Grün der Wiese beinahe verschwinden in einem weiß-violetten Taumel von Millionen Farbtupfern.

Normalerweise war dies ein Hort der Ruhe, an dem man nur das Singen tausender Vögel und die rupfenden Geräusche äsender Rehe und Hirsche hören konnte.

Heute aber donnerten zwei Pferde über die Lichtung, entlang einer Reihe von mannshohen Zielscheiben aus Stroh, die im Abstand von zwanzig Schritten aufgestellt waren.

Die beiden Reiter standen in den Steigbügeln und schossen in vollem Galopp ihre Pfeile ab. Sie ritten im Abstand von zehn Pferdelängen und schossen so schnell, dass man mit dem Auge kaum folgen konnte.

Am Ende angekommen wendeten sie, trabten zurück und begutachteten ihre Leistung.

Der Erste, ein schlaksiger junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, sprang behände vom Pferd und prüfte die erste Scheibe. Sein Pfeil mit roter Fiederung lag gut, knapp neben dem Zentrum, der des anderen hingegen genau in der Mitte.

Kopfschüttelnd ging er weiter, von Scheibe zu Scheibe und sah immer das gleiche Resultat, jeder Pfeil saß im Zentrum.

„Du bist wirklich ein Teufelskerl, Farik! Ich weiß gar nicht, wieso ich mir das antue. Wenn ich alleine übe, denke ich, eigentlich schieße ich doch sehr gut, aber neben dir komme ich mir vor wie ein Anfänger!“

Mit diesen Worten drehte er sich um zu seinem Freund und machte eine Drohgebärde: „Mein Urgroßvater hätte dich jetzt auf der Stelle vierteilen lassen!"

Farik lachte: „Ach Erolf, deshalb hatte dein Urgroßvater auch keine Freunde" und dann ernst werdend „und wahrscheinlich auch keine Freude im Leben".

„Ja, das stimmt sicher“, gab Erolf zurück, „Mein Vater erzählt immer wieder, wie verbittert er war. Na ja, kein Wunder, wahrscheinlich haben ihm ja auch die Seelen seiner vielen Opfer den Schlaf geraubt! Aber genug davon – noch einmal?“

Farik, einen Kopf kleiner als Erolf, blond und sehr schlank, schmunzelte: „Gern, aber diesmal probiere ich etwas aus. Du reitest wieder voraus!"

„Was probierst du aus?“, wollte Erolf stirnrunzelnd wissen.

„Nein, nein, lass dich überraschen!“

„Na, gut!“

Erolf sprang auf sein Pferd und gab ihm die Sporen.

Wild galoppierten sie zum Ausgangspunkt, richteten sich im Sattel auf und schossen wieder Pfeil um Pfeil auf die Scheiben.

Als sie ein wenig atemlos begannen, ihre Treffer zu kontrollieren, klappte Erolf vor Erstaunen die Kinnlade herunter und entgeistert riss er die Augen auf, während Farik leise in sich hinein lachte.

Erolf hatte wieder gut geschossen, sogar besser als beim ersten Mal, einige seiner Pfeile waren genau im Zentrum, aber das konnte ihn nicht wirklich trösten. Was Farik versucht hatte, war ihm nämlich perfekt gelungen – er hatte jeden Pfeil seines Freundes gespalten. Egal wo der saß, er hatte ihn zentrisch getroffen und bis über die halbe Länge in exakt zwei Teile geteilt, und das bei mehr als zwanzig Pfeilen.

„Du bist verrückt, das glaubt mir niemand – ich glaub es ja selbst kaum. Wie machst du das bloß?“

Er machte so große, runde Augen, dass Farik laut auflachte: „Ich weiß es nicht, eigentlich ist es ganz leicht. Ich stelle mir vor, wohin der Pfeil fliegen soll und zack, dort ist er!"

Erolf seufzte: „Ja, wenn das so einfach wäre!"

„Du bist doch ein ausgezeichneter Schütze. Ich kenne keinen, der besser schießt als du ....“, und nach einer kurzen Pause, grinsend, „außer mir“.

„Ach, du zählst nicht! Du hast recht, unter den irdischen Bogenschützen bin ich wohl der Beste, und mit Göttern soll man sich nicht messen!“

„Erolf, sag nicht so etwas, ich bin auch nur ein Mensch!“

„Na, ja, aber irgendwie schon ein besonderer! Und du schuldest mir fünfundzwanzig Pfeile, ist das klar?“

Farik lachte: „Ja, die gebe ich dir gerne. Es war ja eigentlich ein blöder Versuch, aber ich wollte es unbedingt einmal ausprobieren!"

„Das nächste Mal machst du es mit verbundenen Augen – dann werden wir ja sehen!“, lachte Erolf.

Farik lachte nicht: „Ich hab das schon probiert, es funktioniert genauso, das mit dem Vorstellen hab ich nicht einfach so dahingesagt!"

Erolf erstarrte: „Du meinst ...?"

„Ja, ich kann blind genauso gut treffen, wenn ich ungefähr weiß, wo das Ziel ist. Das habe ich aber auch erst vor kurzem herausgefunden!“

„Das will ich sehen!“ - Erolf war ganz aufgeregt.

„Nein lass, beim nächsten Mal, jetzt hab ich Hunger!“

„Gut, dann geh zu Korolan, macht Feuer, ich schieß uns was. Alwara wird ja wohl auch bald kommen. Oder möchtest du ...?“, grinste er seinen Freund an.

„Nein, nein, bitte erspar` mir das!“

„Ist schon gut“, winkte Erolf ab und ritt langsam dem Walde zu.

Bei sich dachte er: „Welche Verschwendung, was wäre er doch für ein guter Jäger!"

Aber Farik jagte nicht, er tötete keine Tiere, weder essbare noch andere, keine Insekten, keine Vögel. Er liebte sie, führte Zwiesprache mit Ihnen und konnte sich nur mit Mühe daran gewöhnen, Fleisch oder Fisch zu essen. Er machte es nur, weil er wusste, dass sein Körper es brauchte, um stark und gesund zu bleiben. Aber Tiere zum Vergnügen zu töten, das kam für ihn nicht in Frage.

Farik führte sein Pferd zum Seeufer und ließ es ausgiebig saufen. Dann zog er das lange Leinenhemd aus und wusch sich mit dem kalten Wasser den Schweiß von Gesicht und Körper. Danach genoss er die Strahlen der warmen Frühlingssonne, während er langsam auf die Hütte zuging, die unter ein paar Bäumen, nicht weit vom Ufer stand.

Auf einem groben Holzklotz im Schatten saß ein Riese – Korolan, der Dritte im Bunde der Freunde. Er maß sieben Fuß vom Scheitel bis zur Sohle, hatte Schultern wie ein Ochse, Arme wie die Äste einer Eiche und Pranken wie ein Höhlenbär.

Er war Krieger und gehörte eigentlich zur Leibgarde des Königs, zu der nur die Besten der Besten berufen wurden.

Erolf, Farik und er waren Freunde von Kindesbeinen an, die Eltern der beiden waren Bedienstete im Schloss. So war es nahe liegend, dass Horon die zwei zu einer Art Leibgarde für Erolf abkommandiert hatte und sie ihn überall hin begleiteten.

Farik gehörte offiziell gar nicht zur Streitmacht, er war aufgrund seiner einzigartigen Begabung Mitglied des königlichen Hofstaates und Ausbilder der Königskinder. Außerdem fertigte er kunstvolle Bögen in allen Größe und Stärken.

Da Erolf sehr viel unterwegs war, kannte man die drei im ganzen Reich und niemals hatte irgendjemand versucht, sich ihnen unfreundlich zu nähern.

Erolf reiste viel in Vertretung seines Vaters, den ein hartnäckiges Rückenleiden am Reiten hinderte und ans Schloss fesselte. Immer wieder waren Besuche bei Lehnsherren und Händlern notwendig, Amtsgeschäfte zu erledigen und Gerichtstage abzuhalten. All diese Dinge erledigte Erolf schon in jungen Jahren zur Zufriedenheit seines Vaters und lernte so bereits früh, Verantwortung zu tragen, und übernahm sie auch gerne.

Manchmal aber waren sie einfach nur zum Vergnügen unterwegs. Sie übten sich dann in ihren Waffen, jagten (außer natürlich Farik), spielten, schwammen, tranken (wenn auch nicht übermäßig) und vergnügten sich, bis vor kurzem, mit Mädchen. Dies hatte aber für Erolf ein Ende, seit er Alwara kennen gelernt hatte.

Im letzten Herbst waren die Freunde für ein paar Tage in die Hütte am See gezogen. Farik baute einen Bogen und Korolan und Erolf verfolgten einen angeschossenen Keiler zu Fuß durch den Wald. Auf einer kleinen Lichtung entdeckten sie ihn, erlegten nach kurzem Kampf das wilde Tier mit ihren Lanzen und machten sich ans Ausweiden. Sie waren ganz in ihr blutiges Werk vertieft, als sie plötzlich jemand ansprach.

„Wohl Euch, Ihr Herren, darf ich eine Bitte an Euch richten?“

Die beiden fuhren herum und erstarrten. Vor ihnen stand das seltsamste Wesen, das sie jemals erblickt hatten - eine hohe, schlanke Gestalt mit offenen blonden Haaren, die bis zum Gürtel Ihres Kleides reichten. Sie fielen aber nicht glatt, sondern in dichten Locken so üppig über ihre Schultern, dass sie fast wie ein Dach ihren Körper bedeckten. Ihr Gesicht war blass, beinahe bleich, der Mund breit, die Lippen voll und rot, die Nase klein, schmal und ganz leicht nach aufwärts gerichtet, was ihr ein klein wenig von dem ätherischen Aussehen nahm.

Das Auffallendste aber waren ihre Augen. Sie waren von einer Bläue, wie sie in der Natur kein zweites Mal vorkommt.

Nicht blau wie das Meer, nicht blau wie der vom Gletscherwasser gespeiste Bergsee, nicht blau wie die Kornblumen, nicht wie der azurblaue Himmel – es gab keinen Vergleich. Sie stand aufrecht und unbeweglich da, hielt einen Korb in der Hand, der überquoll von Blumen, Kräutern und Wurzeln, starrte sie unverwandt an und wartete auf Antwort.

Korolan erwachte als Erster aus seiner Erstarrung. Mit einer Stimme, die aus den Tiefen des gewaltigen Brustkorbs erklang, rief er aus: „Zum Teufel, wer bist du, wo kommst du her und welche Bitte hast du an uns?"

Sie verzog keine Miene und antwortete: „Ich bin Alwara, ich komme von dort", dabei wies sie mit dem Daumen hinter sich, „und ich erbitte die Galle des Wildschweins, seine Augen, und ein Stück Fleisch, wenn es recht ist!"

Die beiden wechselten einen fragenden Blick, dann sprach Erolf, der sich wieder gefangen hatte: „Welch seltsame Bitte! Wozu brauchst du diese Dinge? Bist du eine Hexe?"

Wieder antwortete sie ohne sichtbare Gemütsregung: „Wenn ich Euch sage, wozu ich diese Dinge brauche, bedarf die zweite Frage keiner Antwort. Die Galle des Wildschweins vermischt mit dem Sud verschiedener Kräuter gibt eine Medizin gegen das Fieber, gegen das verzehrende Fieber, wohlgemerkt, das anders kaum zu bekämpfen ist. Die Augen koche ich aus, das Gelee, das dabei entsteht, vermische ich mit mehreren Ingredienzien zu einer Salbe gegen Furunkel. Das Fleisch erbitte ich, weil ich schon lange keines mehr gegessen habe und weil ich denke, dass dieses große Schwein für zwei Männer ohnehin zu viel ist."

Bei den letzten Worten entstand etwas in ihrem Gesicht, das wie der Hauch eines Lächelns wirkte. Es war so bezaubernd, dass Erolf, der ganz und gar nicht unerfahren im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht war, ins Stottern kam: „Da ..., da ..., da ..., da ..., das heißt, du, du bist eine Heilerin?"

Erneut dieses angedeutete Lächeln: „Nein Herr, noch nicht! Ich beginne gerade, eine zu werden – ich bin erst am Anfang und unvollkommen, aber das ist meine Berufung!"

Sie sagte das mit einer Überzeugung und Festigkeit, die keine Zweifel offen ließen und Korolan machte sich wortlos ans Werk. Erolf hingegen starrte sie immer noch ungläubig an und wusste nicht, wie ihm geschah.

Geschickt trennte der Riese die Gallenblase ab, löste die Verbindung zur Leber, verknotete sie, so dass keine Flüssigkeit auslaufen konnte und bettete sie in ein Stück Haut. Daraus formte er einen Beutel und dazu legte er die beiden ausgelösten Augen.

Dann fragte er: „Welches Stück möchtest du denn?"

Mit leicht fragendem Unterton und ein wenig so, als könne sie ihr Glück nicht fassen, gab sie zur Antwort; „Etwas von der Keule vielleicht?"

Schmunzelnd machte sich Korolan ans Werk und Erolf befahl: „Lös` die Hinterkeule aus!"

Korolan stutzte, lächelte in sich hinein und sagte: „Ganz, wie du wünscht – ist ja wirklich groß, nur für uns zwei!"

„Nein Herr!“, rief sie aus, „das ist zu viel, ich kann das ja gar nicht tragen!“

„Wir helfen dir. Ist es weit zu deiner Hütte?“

„Nein Herr, zehn Minuten zu Fuß.“

„Na, siehst du“ - und dann, nachdenklich geworden - „lebst du allein?“

Korolan stockte kurz in seiner Arbeit und grinste Erolf von unten her an – er hatte den Sinn der Frage wohl verstanden.

Aus Alwaras Gesicht war nichts zu lesen, als sie antwortete: „Nein Herr, mit meinem Vater. Er ist Köhler."

Sichtlich erleichtert nickte Erolf.

„Nun gut, dann lass uns gehen.“

Sie banden den Keiler auf einem Pferd fest, Korolan schulterte die Keule, Erolf nahm die beiden Rösser an den Zügeln und sie ging voraus, barfuß und so leichtfüßig, als würde sie über den unwegsamen Waldboden mit seinen spitzen Steinen und abgestorbenen Ästen hinweg schweben.

Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich um: „Verzeiht, ihr Herren, aber ich muss Euch meinem Vater vorstellen. Sagt mir bitte Eure Namen!"

Korolan grinste schon wieder, denn er wusste, was gleich kommen würde. Es war Sitte im Königreich, dass jeder Thronfolger einen Namen bekam, den seine Mutter für ihn erfand und den erst nach dessen Tod auch andere tragen durften. Es gab also nur einen Erolf im ganzen Land und jedermann kannte seinen Namen. Noch bevor der etwas einwenden konnte, gab er zur Antwort: „Nun, ich bin Korolan aus der Leibgarde des Königs und dies ist Erolf, ...!"

Weiter kam er nicht, denn schon bei seiner Vorstellung war sie erschrocken, und als dann der Name des Thronfolgers fiel, erstarrte sie vollends und flüsterte mit großen Augen; „...der Sohn des Königs!"

„Herr, verzeiht, das habe ich nicht gewusst! Nie hätte ich gewagt, Euch anzusprechen!“

Erolf lächelte sie freundlich an: „Wieso nicht? Eilt mir der Ruf voraus, dass ich jungen Heilerinnen im Wald auflauere und ihnen Leid antue?"

Sie wurde noch verlegener und ihre Blässe wich einem Zartrosa: „Nein Herr, so habe ich das nicht gemeint, aber ..., aber man fragt den Thronfolger nicht um Wildschweingalle!"

Die beiden Männer lachten schallend und das brach den Bann, sie beruhigte sich und ihr Lächeln kehrte zurück: „Herr, äh, Hoheit, ich ..., ach verzeiht, ich weiß nicht, was ich sagen soll!"

„Dann sag nichts mehr. Du weißt jetzt, wer wir sind, das wolltest du doch und dabei belassen wir es, wenn du einverstanden bist“, gab er lächelnd zurück.

Sie wirkte erleichtert und nickte eifrig: „Ja, Herr, äh Hoheit!", aber dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder: „Oh, was wird mich Vater schelten!"

„Warum, weil wir ihm Wildschweinfleisch bringen? Mach dir keinen Sorgen. Er ist gewiss ein vernünftiger Mann. Überlass das nur uns!“

Sie atmete tief durch, „Gut Herr, äh, Hoheit!"

„Eines noch, Alwara, die Hoheit ist mein Vater, König Horon. Ich bin bloß Erolf – zumindest für meine Freunde. Wir sind doch Freunde, oder?“

Jetzt war es an ihr, ihn zu überraschen: „Herr, verzeiht erneut", sagte sie nach kurzem Nachdenken, „Freundschaft ist ein hohes Gut. Freunde sein kann man nicht nach einer halben Stunde. Lasst uns sehen, was die Zukunft bringt. Ich glaube schon, wir können Freunde werden, das fühle ich, aber bis dahin heiße ich Euch Herr, wenn ihr einverstanden seid."

Jetzt verfärbte sich sein Gesicht ins Rot. Sie hatte diese Plumpheit so elegant pariert, dass er sich umso mehr dafür schämte.

Er beeilte sich, zuzustimmen: „Ja, ja, ganz wie du meinst!" Zu Korolan brauchte er sich nicht umzudrehen, er wusste ohnehin, dass der wieder von einem Ohr bis zum anderen feixte, er konnte es förmlich spüren.

Sie gingen noch ein paar Minuten weiter, bis sie auf eine kleine Lichtung hinaustraten, auf der mehrere Kohlenmeiler in unterschiedlichen Stadien vor sich hin dampften. Ein großer, hagerer Mann in einem langen, rußigen Arbeitskittel war gerade dabei, Holz kunstvoll zu einem neuen Meiler aufzurichten und bemerkte den seltsamen Konvoi erst, als sie direkt vor ihm anhielten. Er machte ein erstauntes Gesicht und blickte von einem zum anderen: „Ja, wenn haben wir denn da?"

Alwara stellte ihren Korb ab und begann zu sprechen: „Vater, diese Herren habe ich auf der Lichtung bei der alten Eiche getroffen. Sie waren so freundlich, mir Galle und Augen ihres Schweines zu überlassen, ihr wisst schon, für meine Medizin. Und sie haben es sich nicht nehmen lassen, mir ein Stück Fleisch zu schenken" - dabei deutete sie auf Korolan mit seiner geschulterten Last.

Misstrauisch beäugte sie der Mann und wischte sich mit einer rußgeschwärzten Hand übers Gesicht.

„Wer seid ihr Herren, dass ihr uns so großzügig beschenkt?“

Bevor die verlegene Alwara weitersprechen konnte, übernahm Erolf das Erklären unter den bangen Blicken des Mädchens: „Dies ist mein Freund Korolan und ich bin Erolf, Sohn des Horon, Eures Königs. Wir waren auf der Jagd, trafen Eure Tochter, kamen ins Gespräch. Sie bat uns um die Zutaten für ihre Tinkturen und weil das Schwein ohnehin zu groß ist für uns zwei, haben wir ihr etwas davon abgegeben. Das ist alles, Gevatter ....?!

Bei seinen Worten war der Mann erbleicht, hatte sich tief verbeugt und wagte nicht mehr aufzuschauen. Mit dem Blick zur Erde gerichtet und den ausgebeulten Hut in den Händen drehend, gab er zur Antwort: „Man nennt mich Forat, Herr!", dann blickte er auf und sah seiner Tochter mit einem Ausdruck der Verzweiflung ins Gesicht: „Kind, was hast du nur wieder angestellt? Wie konntest du nur ...., diese edlen Herren, Kind, Kind, Kind!"

Erolf lachte und klopfte dem Mann auf die Schulter, dass dieser wie vom Blitz getroffen zusammenzuckte: „Wieso schon wieder? Spricht sie öfter Königssöhne im Walde an, Meister Forat?"

Der wusste nicht, was er sagen sollte: „Nein, nein, Herr, das nicht, aber für ihre Medizin tut sie alles. Sie geht meilenweit durch den Wald für irgendein besonderes Kraut, vergisst darüber die Zeit und tappt im Dunkeln nach Hause. Ich vergehe derweil vor Sorge, es laufen ja genug Halunken herum und ich habe nur noch sie, seit mein Weib gestorben ist, letzten Winter!"

Sie stemmte plötzlich die Hände in die Hüften und sagte: „Ach Vater, glaubt ihr, das interessiert die Herren? Geht ins Haus, holt von Eurem Schnaps, bringt die guten Gläser und schimpft nicht herum, ich weiß schon, wen ich ansprechen kann und wen nicht!"

Bei Ihren ersten Worten hatte er sich schon auf den Weg gemacht, doch dann drehte er sich noch einmal um.

„Du hast sie angesprochen?“ Verzweifelt hob er die Hände: „Verzeiht, Ihr Herren“, und ging kopfschüttelnd weiter.

Die Männer lächelten und Alwara, deren Gesicht wieder dieses Zartrosa zierte, diesmal allerdings mehr aus Ärger denn aus Scham, fragte: „Viel kann ich Euch nicht anbieten, aber Brot und Käse ist reichlich da. Habt ihr Hunger?"

Die Männer wollten schon ablehnen, aber sie schaute sie so bittend an, dass sie schließlich einwilligten, auch weil sie wirklich etwas hungrig waren. Erolf war es außerdem ganz recht, noch ein wenig in ihrer Nähe zu verweilen.

Sie setzten sich auf eine roh gezimmerte Holzbank vor der Kate und betrachteten interessiert die zahlreichen Bündel von Kräutern, die zum Trocknen an der Hauswand hingen.

Schon bald erschien der Vater mit einer kleinen tönernen Flasche, aus der er eine leicht grünliche Flüssigkeit in winzige, bemalte Gläser schenkte.

„Sehr zum Wohle, Ihr Herren und vielen Dank für Eure Gaben!“

Sie kosteten vom Schnaps, offenbar aus Kräutern gebrannt. Scharf und süß zugleich, wärmte er den Magen auf überaus angenehme Weise.

Nach ein paar Minuten brachte Alwara ein großes Holzbrett mit aufgeschnittenem Käse und Brot. Alle vier langten tüchtig zu und dabei erzählte das Mädchen, dass sie all das Wissen über die Heilkunst von ihrer Mutter hatte. Leider reichte es nicht aus, sie selbst zu heilen. Sie starb an einer Krankheit des Blutes, gegen die noch kein Kraut gewachsen war.

„Aber ich habe ihr am Totenbett geschworen, dass ich die richtige Medizin entdecken werde“ - wieder so ein Satz, der niemanden zweifeln ließ, dass ihr das auch gelingen würde.

Schließlich rüsteten die Männer zum Aufbruch und verabschiedeten sich.

„Darf ich dich besuchen, wenn ich wieder einmal in der Nähe bin, Alwara?“

Erstaunt blickte sie ihn an: „Herr, ich habe nichts dagegen, nein, es freut mich, aber was ...?"

Sie ließ den Satz unvollendet, aber Erolf wusste auch so, was sie meinte: „Was wollt ihr denn von mir, Ihr Königssohn, von einer Köhlertochter?"

So antwortete er: „Dich sehen und mit dir sprechen. Übrigens, kannst du lesen?"

„Ja, Herr, meine Mutter hat es mich gelehrt.“

„Nun gut, dann lebt wohl, Alwara und Meister Forat, bis zum nächsten Mal!“

Damit ritten Sie davon.

Korolan sagte am Heimweg mit einem Seitenblick auf Erolf: „Ein seltsames Mädchen" und dieser antwortete versonnen; „Ja, seltsam und wunderschön!"

Bald danach brach der Winter herein und das Reisen wurde beschwerlich. Dennoch kam es zu dem angekündigten Besuch. Erolf musste immerzu an das schöne, eigentümliche Wesen im Wald von Sarion denken und eines Tages erklärte er seinem Vater, ein paar Lagerhäuser in der Gegend inspizieren zu wollen. Der wunderte sich zwar ein wenig über die Pflichteifrigkeit seines Sohnes zu dieser Jahreszeit, aber er ließ ihn gewähren, glücklich angesichts dessen Einsatzbereitschaft.

Nach der Visite bei den drei Händlern und Inspektion ihrer Lagerhäuser erreichten sie gegen Abend des vierten Tages die Köhlerlichtung. Es dämmerte bereits und im Freien war niemand zu sehen. Nur aus einem Fenster drang ein schwacher Lichtschein auf die schneebedeckte Fläche vor dem Haus.

Sie stiegen von den Pferden, banden sie an Bäume, nahmen ihre Rucksäcke und Erolf klopfte an die Tür.

„Wer ist da“ erscholl es fragend aus dem Inneren.

„Ich, Erolf, und meine Freunde!“

Die Tür flog so schnell auf, dass er einen Satz zurückmachen musste, um sie nicht an den Kopf zu bekommen.

„Ihr seid wirklich gekommen!“

Sie machte sich gar nicht die Mühe, ihre Freude zu verbergen. Ein Lächeln, viel intensiver und befreiter wie bei ihrer ersten Begegnung verzauberte ihr Antlitz und er musste sich zusammenreißen, um nicht wieder zu stottern: „Natürlich, hast du denn daran gezweifelt?"

Sie sah ihm in die Augen und sagte: „Ein bisschen schon und mit jedem Tag mehr – ihr wisst, warum".

Dann rief sie hinter sich: „Vater, kommt, wir haben Besuch!"

Sie trat zu Seite und lud sie ein: „Tretet ein, auch Ihr Herr Korolan und Ihr ...?"

Fragend sah sie auf den dritten Reiter.

„Oh, entschuldige, das ist Farik, mein zweiter Freund und Weggefährte!“

„Seid willkommen!“

Gebückt betraten Sie das kleine Häuschen, das nur aus zwei Räumen bestand.

Zum einen gab es eine Küche, in der sie jetzt standen. Das war der bei weitem größere der beiden Räume und genau so seltsam, wie Ihre Bewohnerin. Ein Ofen, eine Eckbank und ein Bett, wohl Alwaras, das waren die üblichen Einrichtungsgegenstände. Aber außerdem gab es da Regale und Regälchen, Arbeitsflächen und Gestelle voll geräumt mit hunderten von Tiegeln, Gläsern, Flaschen, Krügen in allen nur erdenklichen Größen – vom Bottich bis zum winzigen Messglas. Von der Decke hingen Dutzende Säckchen und Beutelchen und Bündel und Garben von verschieden Kräutern, Tees, Gräsern, Wurzeln und Beeren.

Ein besonderes Regal über dem Tisch war voll mit Büchern und Schriften, alt, abgegriffen und zerlesen.

Und es roch, es roch nach all diesen Ingredienzien und die Düfte vermischten sich zu einem einzigen Geruch, wie sie ihn noch nie gerochen hatten, stark, warm und angenehm.

Neben der Küche war eine kleine Kammer, aus der gerade der Köhler erschien, ein wenig zerrauft und verschlafen und völlig überrascht.

Er verneigte sich tief: „Herr, Ihr? Was verschafft uns die Ehre Eures Besuches?"

„Seid gegrüßt, Meister Forat! Wir sind auf der Durchreise und bitten um ein Nachtquartier und Wasser für unsere Pferde. Zudem kommen wir mit einem Ansinnen an Eure Tochter, doch davon später. Dürfen wir uns setzen?“

„Setzt Euch, Ihr Herren, setzt Euch, Eurer Bitte nach Quartier und Futter für die Pferde kommen wir gerne nach, aber wir sind nicht vorbereitet, wir können Euch nur ein einfaches Mahl anbieten!“

„Seid unbesorgt, Forat, wir haben uns gedacht, wenn wir Euch schon so überfallen, sollt Ihr unsere Gäste sein. Farik!“

Dieser erhob sich, holte aus einer Ecke seinen Rucksack und begann auszupacken: Wurst, Räucherfleisch, Speck, Käse, Brot, Butter, ein paar Flaschen Wein und eine Flasche Branntwein.

Alwara und Forat standen nebeneinander und waren sprachlos.

Die Tochter fing sich als Erste; „Vater, bringt Becher, Teller und ein großes Brett. Herr Korolan, Ihr könnt so gut mit dem Messer umgehen, übernehmt Ihr das Aufschneiden?"

Der Angesprochenen war geschmeichelt und machte sich gemeinsam mit Farik an die Arbeit. Der Vater klapperte am Küchenschrank mit dem Geschirr.

Während dessen machte sich Alwara am Herd zu schaffen. Erolf trat zu ihr, er hielt ein Bündel in Händen, das er seinem Rucksack entnommen hatte und sagte: „Ich habe dir auch etwas mitgebracht, sieh her!"

Erstaunt drehte sie sich um und blickte fragend zuerst auf ihn und dann auf das Paket, das er auf das Bett gelegt hatte.

„Für mich? Was ist das?“

„Mach es auf!“

Sie zuckte verlegen mit den Schultern, schließlich nestelte sie das Band auf und das Tuch fiel auseinander. Zum Vorschein kam ein zusammengerollter Pelz.

Mit großen Augen sah sie ihn an: „Herr, was ist das?"

Er lächelte beruhigend: „Das ist ein warmer Umhang, damit du nicht frierst, wenn du wieder einmal zu lange im Wald unterwegs bist. Komm, roll ihn auf, aber vorsichtig, da ist noch etwas drinnen!"

„Noch etwas? Aber, Herr...“

„Roll ihn einfach auf!“

Sie tat, wie ihr geheißen und zu Tage kam ein Buch, ein dickes Buch. Er hatte es aus der Bibliothek seines Vaters – eine kostbare Handschrift des berühmtesten Heilers, der je im Land gelebt hatte. Er war schon über zweihundert Jahre tot, aber seine medizinische Kunst galt als unerreicht. Dabei hatte er alles niedergeschrieben in diesem Buch, alle Kräuter beschrieben nach ihrer Wirkungsweise, alle Rezepte, all sein Wissen.

Dennoch, seine Nachfolger kamen nie zu denselben Heilungsergebnissen, auch wenn sie die Vorgaben noch so genau befolgten. Irgendetwas fehlte und niemand wusste, was.

Dies erklärte er ihr, während sie ihn ungläubig mit ihren tiefblauen Augen fixierte, aus denen langsam große Tränen tropften.

Dann sprach sie: „Herr, ich habe noch nie etwas so Wunderschönes gesehen wie dieses Buch. Ich verspreche Euch, ich werde es zum Leben erwecken!"

„Alwara, das freut mich und ich glaube dir. Doch sag, warum weinst du?“ - er war ein wenig beklommen.

„Herr, ich weine vor Freude und vor Angst zugleich! Ihr habt mir zwei so schöne Geschenke gemacht!“, dabei ließ sie die feingliedrigen Finger ihrer rechten Hand über den Pelz streichen, während sie mit der Linken das Buch auf ihrem Schoß festhielt, „und darüber freue ich mich so, dass ich weinen muss. Aber ich weine auch aus Angst, aus Angst vor dem, was kommt. Aus Angst vor dem, was ihr von mir wollt und aus Angst vor dem, wie unsere Bekanntschaft mein Leben verändern wird. Ich fühle es hier“, dabei deutete sie erst auf ihr Herz, „und hier“, dann auf den Kopf, „nichts wird ab jetzt so sein wie früher. Und davor habe ich Angst!“

Er verstand, was sie meinte und er wusste, dass sie recht hatte – natürlich würde sich ihr Leben verändern, viel mehr wahrscheinlich, als sie sich vorstellen konnte. Aber sie musste ohnehin etwas ändern. Hier im tiefen Wald würde sie kaum die Geheimnisse der Medizin ergründen können, nach denen sie so lechzte. Sie brauchte Bücher, Lehrer und vor allem ... . Patienten. Und so sagte er: „Liebe Alwara, hab keine Angst und vertraue mir. Ich will nichts Böses von dir, ganz im Gegenteil und ich verspreche dir hier und jetzt – ich werde dich beschützen, wann immer es notwendig ist und an deiner Seite sein. Aber du hast recht, es wird sich wohl einiges ändern in deinem Leben, aber nur, wenn du es selbst möchtest. Niemand wird dich zwingen, nie und nimmer!"

Und dann berührte er sie zum ersten Mal. Er nahm ihre Hand und drückte sie ganz sanft, wie zur Besiegelung seines Versprechens und ihre langen, schlanken Finger legten sich um seine und sie sahen sich an und sie schlossen einen Bund. Das konnte er in ihren Augen lesen, in diesen endlos tiefen, blauen Seen. Es durchlief ihn ein Schauer der Wonne und der Freude und er wollte sie gar nicht wieder loslassen und einfach nur dastehen und ihre Hand halten.

„Es ist angerichtet!“ - der hungrige Korolan hatte wenig Verständnis für derartige Gefühlsaufwallungen und die beiden traten lächelnd an den Tisch.

Die Männer hatten ganze Arbeit geleistet, alles ordentlich aufgeschnitten und drapiert, die Becher waren gefüllt, zwei Kerzen brannten und das Mahl begann.

Korolan unterhielt die Gesellschaft mit Geschichten von ihren Reisen und Jagden. Farik erzählte ein paar Schwänke aus ihren gemeinsamen Jugendtagen und Erolf ein wenig vom Leben auf dem Schloss und in der Hauptstadt.

Alwara hörte aufmerksam und mit großen Augen zu, lachte über die lustigen Streiche und entspannte sich allmählich. Ihr Vater war natürlich geschmeichelt von dem Besuch und angetan von dem guten Wein, den er in kleinen Schlucken trank, um den Genuss so lange wie möglich zu verlängern. Hin und wieder blickte er auf Erolf, mit einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis. Ihm war nicht entgangen, dass der Königssohn eine besondere Zuneigung zu seiner Tochter hegte.

Nachdem alle satt waren, Alwara und der diensteifrige Korolan den Tisch abgeräumt und nur die Gläser und den Wein stehen gelassen hatten, fragte das Mädchen mit bangem Blick: „Herr, Ihr habt gesagt, Ihr hättet ein Ansinnen an mich. Darf ich fragen, was ihr damit meintet?"

Erolf lehnte sich zurück und begann zu sprechen: „Alwara, es geht um meinen Vater. Seit einigen Jahren plagt ihn der Rücken. Er hat manchmal solche Schmerzen, dass er kaum stehen und gehen kann. Geritten ist er schon seit vielen Monaten nicht mehr. Er kann praktisch das Schloss nicht mehr verlassen. Er schläft oft nächtelang vor Schmerzen nicht, ist dann natürlich todmüde und verdrießlich und es fällt ihm immer schwerer, seine Amtsgeschäfte zu erfüllen. Diese Schwäche macht ihn noch betrübter und er freut sich des Lebens nicht mehr, ja er beginnt körperlich zu verfallen und wir, meine Mutter, meine Geschwister, machen uns große Sorgen!"

„Ja, hat er denn keine Heiler?“, warf Alwara verständnislos ein.

„Alle ärztliche Kunst war bisher vergebens, alle Salben, Tinkturen, heißen und kalten Umschläge, Wickel und Bandagen blieben ebenso ergebnislos, wie die vielen verschiedenen Tees und Sude, die man ihm verabreichte. Sie legten ihm heißen Torf auf, brachten Erde aus allen Mooren des Landes – nichts hat bis jetzt geholfen. Er ist verzweifelt und verliert seinen Lebenswillen. Der ständige Schmerz höhlt ihn aus. Dieser Zustand wird mehr und mehr unerträglich, zumal keine Aussicht auf Besserung besteht.“

Alwara machte traurige Augen: „Herr, das ist ja schrecklich, doch ich verstehe immer noch nicht, was das mit mir zu tun haben kann?"

Erolf schaute sie direkt an, wartete ein Weilchen und sagte dann: „Alwara, ich weiß nicht warum, aber ich glaube, du bist die Einzige, die ihm helfen kann, ich fühle es hier drinnen!"

Sie sah ihn erschrocken, mit weit aufgerissenen Augen an, „Aber Herr, wie kann ich ihm helfen, wenn die besten Heiler des Landes versagen und nichts ausrichten können!"

Erolf erwiderte: „Ich weiß es nicht, ich möchte Dich nur bitten, es zu versuchen!"

„Aber was wird euer Vater – der König – dazu sagen, wenn ihr ihm ein Mädchen aus dem Wald bringt und sagt, sie wird ihm helfen! Er wird mich auslachen und das ganze Schloss dazu!“ Erolf schüttelte traurig den Kopf: „Alwara, er ist für jede Hilfe dankbar, er ist verzweifelt – ihm ist nicht nach Lachen zumute!“

„Ja, aber dann lässt er mich womöglich einsperren oder verbannen, wenn ich versage!“

„Alwara, er ist kein Unmensch und du wirst nicht versagen, ich weiß es!“

Sie war blass geworden und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen: „Herr, versteht ihr jetzt meine Angst – ich wusste es! Ihr verlangt Unmögliches von mir. Nein, ich kann es nicht!", und sie schlug die Hände vors Gesicht, weinte leise und schüttelte immer wieder den Kopf.

Erolf und Farik blickten betreten drein, Korolan schaute vorwurfsvoll auf seinen Freund.

Da meldete sich plötzlich Forat zu Wort: „Bedenke dich wohl, mein Kind. Nein sagt sich oft leichter als ja, aber du bist es doch, die immerzu davon träumt, alles heilen zu können. Du sagst, es gibt gegen alles ein Mittel, man muss es nur finden. Du weißt nicht, was dem König fehlt, aber vielleicht erkennst du es wirklich, wenn du ihn siehst und Herr Erolf hat recht und nur du kennst es – wer weiß? Kind, ich werde mich von früh bis spät sorgen, wenn du ins Schloss gehst, doch ich werde es erdulden, weil du gehst, um unserem König zu helfen. Kind, bedenke dich wohl!"

Alle schauten ihn erstaunt an, auch seine Tochter, aus tränennassen Augen – noch nie hatte sie ihn so lange sprechen hören.

Erolf nickte ihm dankbar zu und Alwara stand auf, trat ans Bett, nahm den Pelz, wickelte sich ein und ging zur Tür.

„Ich muss nachdenken!“, sagte sie und entschwand in die kalte Nacht.

Die Männer schauten sich an, ein wenig ratlos und wussten nicht so recht, was sie sagen sollten. Wieder rettete Korolan die Situation: „Ich denke, jetzt ist es Zeit, den Branntwein zu probieren!"

Keiner hatte etwas dagegen und bald hatte der Alkohol die Zungen wieder gelöst und sie plauderten entspannt. Nur Erolf warf hin und wieder einen besorgten Blick zur Tür..

Nach einer halben Stunde kehrte Alwara zurück. Sie wirkte ruhig und entspannt und sah so bezaubernd aus in dem glänzenden Pelz mit ihrer Haarpracht und dem schönen Gesicht, dass die vier Männer sie bewundernd anglotzten.

Sie hatte dafür keine Augen, sondern sagte bloß zu Erolf: „Herr, ich gehe mit Euch, aber gebt mir Zeit, ich muss lesen, denken und mich vorbereiten. Ich muss alles tun, was ich kann, bevor ich dem König unter die Augen trete!"

Erolf erhob sich mit ernstem Gesicht, verneigte sich vor ihr und sprach: „Alwara, hab Dank, ich weiß, wie viel ich von dir verlange, aber ich verspreche hier und jetzt vor diesen Zeugen, dass ich dir das nie vergessen werde, egal wie es ausgeht. Im 4. Monat, nach der Schneeschmelze, kommen wir wieder und holen dich ab!"

„So soll es sein!“, Alwara nickte zufrieden und erleichtert.

Danach erhoben sie die Gläser, versorgten die Pferde und legten sich schlafen, Alwara mit ihrem Vater in der Kammer und die drei Männer auf dem Küchenboden.

Erolf hatte das Angebot abgelehnt, in Alwaras Bett zu schlafen – es schien im nicht angemessen.

Als sie so nebeneinanderlagen, fragte Farik leise: „Erolf, warum bist du so sicher! Du weißt doch gar nichts über sie?"

Erolf antwortete: „Das stimmt, und dennoch spüre ich es – sie ist die Einzige!"

Dabei ließen sie es bewenden.

Frühmorgens am nächsten Tag nach einem gemeinsamen Frühstück verabschiedeten sie sich.

Erolf reichte Forat die Hand: „Meister Forat, ich danke Euch für Eure Fürsprache. Habt keine Angst um Alwara, ich werde sie hüten, wie meinen Augapfel!"

Der Köhler schaute dem jungen Prinzen in die Augen: „Ich weiß das und vertraue Euch, Herr. Aber ich weiß auch um Eure Gefühle zu ihr und das ängstigt mich – was soll daraus werden? Herr, ihr werdet König sein, und sie, eine Köhlerstochter?"

Erolf war verblüfft über die Offenheit des Mannes, dachte kurz nach und sagte: „Forat, im Moment geht es vor allem um meinen Vater. Was danach kommt, werden wir sehen und entscheiden, wenn es soweit ist – sorgt Euch nicht!"

Forat nickte: „Gut Herr, so soll es denn sein!"

Dann ging er zu Alwara, die in ihren neuen Pelz gehüllt, auf ihn wartete. Er reichte auch ihr die Hand, lächelte und sagte: „Ich danke dir und ich freue mich schon jetzt auf unser Wiedersehen in zwei Monaten. Lerne fleißig und fürchte dich nicht!"

„Ich werde lernen und ich werde mich fürchten!“, dabei lächelte sie aber, „aber ich freue mich auch!“

Dann ritten Sie davon durch den verschneiten Wald.

3. Kapitel

Der Rücken des Königs

Am Morgen hatten Sie die Köhlerhütte erreicht – Alwara war reisefertig, schon seit Tagen, wie ihr Vater schmunzelnd bestätigte. Sie hatte ihre Haare zu vier dicken Zöpfen gebunden, die fast genau so lang waren, wie die losen Locken. Während des Winters hatte sie sich Hosen genäht, damit sie bequemer reisen konnte und Erolf hatte ihr eine Reitbluse mitgebracht, die reich bestickt, wunderbar zu ihren Augen passte.

Es schien ihm, dass ihre Augen aufblitzten, als sie sich begrüßten und er fühlte wieder dieses warme Gefühl in sich aufsteigen, als sie sich die Hand reichten. Sie war auch in Hosen wunderschön, zumal dadurch ihre Formen etwas mehr zur Geltung kamen.

Er war froh, dass das lange Warten ein Ende hatte und sie sich endlich wiedersahen. Er hatte jeden Tag an sie gedacht, oft wäre er am liebsten aufgebrochen und zu ihr geritten, aber er besaß genug Verstand, das nicht zu tun. Sie brauchte ihre Ruhe, um sich auf das vor ihr Liegende vorzubereiten, und so harrte er der Schneeschmelze und half seinem Vater, wo es nur ging.

Dieser war dankbar, den Sohn um sich zu haben, litt er doch immer mehr unter seinem peinigenden Schmerz.

Manchmal konnte er morgens nur mit Hilfe seiner Frau Sygurna aufstehen und musste sich zwingen, den Geschäften nachzugehen.

Am schrecklichsten waren die Gerichtstage, an denen er oft stundenlang auf dem Thron ausharren musste, obwohl langes Sitzen für ihn das Allerschlimmste war.

Am besten fühlte er sich noch, wenn er langsam, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, auf und ab ging.

Eines Abends erzählte ihm Erolf von Alwara – wahrheitsgemäß, auch dass es nur ein Versuch sei, er den Vater aber bitte, es zu probieren. Er sei überzeugt, dass sie die langersehnte Heilung bringen würde.

Lange schaute der König seinen Sohn an, dann sprach er: „Ich danke dir, dass du dich so sorgst um mich. Du weißt, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als diese Schmerzen loszuwerden. Gerne empfange ich deine Heilerin, wenn sie schon die Mühe auf sich nimmt, zu mir zu kommen. Aber sag, ist sie schön?", und dabei lächelte er so, wie ihn sein Sohn liebte, etwas verschmitzt und wissend.

„Ja, in der Tat, Vater, sie ist sehr schön! Aber das ist es nicht. Sie ist seltsam, sie ist das seltsamste Wesen, dass ich je gesehen habe – aber lass dich überraschen!“

Und so waren sie denn aufgebrochen, mit dem Segen des Vaters und der Hoffnung auf ein Wunder.

Alwara gab ihm gleich nach ihrer Begrüßung mit Blicken zu verstehen, dass sie mit ihm unter vier Augen sprechen wollte und so gingen sie ein paar Schritte Richtung Wald.

Sie begann: „Herr, ich habe eine Bitte!"

„Welche denn, Alwara?“

„Ich möchte mich alleine von meinem Vater verabschieden und auch von meinem Wald. Könntet ihr nicht vorausreiten und bei der Hütte am See auf mich warten – ich werde vor Sonnenuntergang bei Euch sein!“

Erolf nickte erleichtert, er hatte schon einen Sinneswandel befürchtet: „Natürlich, Alwara, ich versteh dich. Wir machen es so, wie du sagst. Aber du weißt, es wird kein Abschied für immer. Du wirst Deinen Vater bald wieder sehen!"

Zu seinem Erstaunen schüttelte sie den Kopf: „Nein, Herr, ich glaube nicht! Ich habe viel geträumt – schöne Dinge", und dabei lächelte sie ihn an, „aber auch schreckliche von dunklen Wolken und Mächten und ich spüre, dass es lange dauern wird, bis ich wieder hier her komme. Vater weiß das. Doch ich habe mich entschieden, mit Euch zu gehen, und dabei bleibt es. Ich fühle auch, dass es richtig ist!"

Er griff ihre Hände: „Ich danke dir und ich überbringe auch den Dank meines Vaters. Er wartet auf Dich und von diesem Moment stehst du unter seinem Schutz – also sorge dich nicht, es wird alles gut!"

Sie nickte tapfer, aber er sah den dünnen Tränenschleier über ihren Augen, als sie kurz zu ihm aufblickte. Doch dann lächelte sie und sagte: „Kommt, Herr, zu den anderen!"

Sie luden ihr Gepäck auf das mitgebrachte Packpferd, auf dem Erolf in weiser Voraussicht bestanden hatte. Alwara hatte ihre halbe Apotheke eingepackt, alles verschnürt in Säcken und Paketen, denen derselbe Duft entströmte, den sie schon in der Küche als so angenehm empfunden hatten.

Dann verabschiedeten sich die Männer von Forat.

Erolf sagte zu ihm: „Meister Forat, ich kann mir vorstellen, wie ihr Euch fühlt, aber seid unbesorgt, Eure Tochter ist in guten Händen – eigentlich in den besten!"

Der Köhler nickte und sagte: „Herr, das weiß ich und ich wünsche Euch allen viel Glück!"

Dann ritten sie los.

Erolf und Alwara kamen fast gleichzeitig bei der Hütte an – sie mit einem Körbchen voll Kräutern, er mit zwei Kaninchen, die an seinem Gürtel baumelten.

Korolan machte sich an die Zubereitung, Farik bastelte weiter an dem Bogen, einem zierlichen, schlanken Stück und Alwara ging mit Erolf zum See.

Sie setzten sich auf einen großen Stein am Ufer und betrachteten die kleinen Fische, die im seichten Wasser schwammen.

Plötzlich sagte Alwara: „Herr, erinnert ihr Euch, bei unserer ersten Begegnung batet ihr mich, Euch beim Namen zu nennen, wie es alle Eure Freunde tun?"

Er nickte: „Natürlich erinnere ich mich", und lächelnd, „es war ziemlich peinlich.

Sie wurde ein wenig rot: „Entschuldigt Herr, ich wollte euch damals nicht beleidigen, aber was ich sagte, meinte ich ernst. Doch jetzt, jetzt möchte ich Euch um Eure Freundschaft bitten – jetzt brauche ich einen Freund mehr als jemals zuvor." Dann schaute sie ihm in die Augen und fragte; „Wollen wir Freunde sein,.... Erolf?"

Er sprang auf, strahlte sie an und rief: „Ja, Alwara, wir wollen" und dann trat er auf sie zu, umarmte sie und zog sie für einen Moment an sich!" Dabei spürte er ihren Körper, der sich viel fester anfühlte, als er angenommen hatte, muskulös und kräftig und er roch den Duft Ihrer Haare – derselbe Geruch nach Kräutern und Wald, wie ihr Gepäck.

Sie widersetzte sich nicht, ließ es geschehen und drückte sich für einen Augenblick an ihn. Dann aber löste sich von ihm, das Gesicht gerötet und lachte: „Du weißt wohl – Freunde!"

Er nickte: „Natürlich, nur Freunde!"

Dann liefen sie zurück zur Hütte, wo sich die Kaninchen bereits über dem Feuer drehten und Farik gerade die Sehne spannte und festmachte.

Interessiert sah ihm Alwara zu: „Das ist aber ein schöner Bogen. Ist der nicht zu klein für einen Krieger wie Euch!"

Farik blickte zu ihr auf und lachte: „Erstens bin ich kein Krieger, sondern nur Bogenschütze und Bogenbauer und zweitens hast du recht. Er ist nicht für einen Mann, er ist für eine Frau!" Dabei stand er auf und hielt ihr den Bogen entgegen: „Er ist für dich, Alwara, ein Geschenk!"

Sie schaute ihn überrascht an: „Farik, welch schönes Geschenk, ich danke Euch! Aber ich kann ja gar nicht damit umgehen!"

„Das wird er dich schon lehren, keine Sorge – er ist der beste Lehrmeister im ganzen Reich“, lachte Erolf. Und Korolan warf ein, „kein Wunder, er ist ja auch der beste Bogenschütze im ganzen Reich“.

Tatsächlich war Farik etwas rot geworden, bückte sich rasch und hob einen Köcher hoch. Der war aus Birkenrinde gefertigt, so zierlich und leicht, wie er besser zu ihr nicht passen konnte. Darin waren zwanzig Pfeile mit weißer Fiederung, einer schöner als der andere.

„Der gehört auch dazu“, sagte er und überreichte in ihr.

Damit war sie komplett ausgestattet und konnte ihr Glück nicht fassen.

„Herr, wann beginnen wir mit den Lektionen?“

Erolf lachte: „Du wirst am Schloss genügend Zeit haben, zwischen den Behandlungen meines Vaters!"

Sie war sichtlich enttäuscht, doch sie fügte sich. Zu Farik gewandt sagte sie: „Aber Herr, ihr dürft das nicht vergessen!"

Der schüttelte den Kopf: „Das werde ich nicht!"

„So, zu Tisch“ - Korolan hatte das erste Kaninchen zerlegt und sie machten sich darüber her. Es schmeckte ausgezeichnet, zumal Korolan ein paar Kräuter aus Alwaras Korb entwendet hatte, die dem Fleisch einen besonderen Geschmack verliehen.

Alwara fragte: „Erolf, wie lange brauchen wir zum Schloss!"

Korolan und Farik hoben die Köpfe, hielten mit Kauen inne und starten Erolf an.