Alzheimer - vorbeugen und behandeln - Mary T. Newport - E-Book

Alzheimer - vorbeugen und behandeln E-Book

Mary T. Newport

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  • Herausgeber: VAK
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Jeder weiß: Die Alzheimerkrankheit greift um sich und sie ist bisher nicht heilbar. Doch hier kommt die gute Nachricht: Es gibt eine einfache Möglichkeit, sie aufzuhalten und die Symptome sogar teilweise rückgängig zu machen - mit ausgewählten, gesunden Fetten, zum Beispiel mit Kokosöl! Die Ärztin Mary Newport, deren Ehemann bereits mit 50 Jahren an Alzheimer erkrankte, suchte mit großem Engagement nach Hilfe für ihren Mann. Dabei entdeckte sie diese Ernährungsbehandlung, die jeder leicht zu Hause durchführen kann: mit sogenannten mittelkettigen Fettsäuren, wie sie in Kokos- oder Palmöl enthalten sind. Die Erklärung: Bei Erkrankungen wie Alzheimer kann das Gehirn seine übliche Energiequelle, die Glukose, nicht mehr verwerten; den Gehirnzellen fehlt Energie und sie sterben nach und nach ab. Mittelkettige Fettsäuren, die wir mit bestimmten Nahrungsmitteln in erhöhtem Umfang zu uns nehmen können, werden in der Leber zu Ketonen umgewandelt; das sind winzige Bausteine eines organischen Nährstoffs, die das Gehirn auch bei Alzheimer als Energiequelle nutzen kann. Das Absterben der Zellen und damit die Entwicklung oder Verschlimmerung von Alzheimer können so verhindert oder zumindest verlangsamt werden. Dieses Buch bietet: -die spannende Geschichte dieser Entdeckung und ihrer Erprobung durch die Autorin -zahlreiche positive Erfahrungsberichte weiterer Betroffener -Hintergrundinformationen über die biochemischen Grundlagen -praktische Tipps zur Ernährungsumstellung, Fragen und Antworten zur Anwendung und leckere Grundrezepte Die positiven Wirkungen dieser neuen Ernährungsbehandlung wurden in den USA bereits durch zahlreiche wissenschaftliche Studien bestätigt. Die "Keton-Kur" ist ideal zur Selbsthilfe bei Alzheimer und eine gute Möglichkeit der Vorbeugung, die jeder nutzen kann - preiswert und im Alltag leicht umzusetzen.

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Seitenzahl: 414

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Mary Newport

Alzheimer – vorbeugen und behandeln

Die Keton-Kur: Wie ein natürliches Fett die Erkrankung aufhält

Mit einem Geleitwort von Helga Rohra

VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Alzheimer’s Disease: What If There Was a Cure?

The Story of Ketones

ISBN 978-1-59120-293-6

© Mary T. Newport (M.D.), 2011

Erschienen bei Basic Health Publications, Inc.,

Laguna Beach (USA)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

VAK Verlags GmbH

Eschbachstr. 5

79199 Kirchzarten

Deutschland

Das komplette Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter:

www.vakverlag.de

Stand: 2013

© VAK Verlags GmbH, Kirchzarten bei Freiburg 2012

Übersetzung: Rotraud Oechsler

Lektorat: Norbert Gehlen

Umschlagdesign: Kathrin Steigerwald

Coverfoto: Hill Creek Pictures/GettyImages

Layout: Karl-Heinz Mundinger (VAK)

Satz: Goar Engeländer (www.dametec.de)

Druck: Himmer AG, Augsburg

Printed in Germany

ISBN 978-3-86731-112-0 (Paperback)

ISBN 978-3-95484-056-4 (ePub)

ISBN 978-3-95484-057-1 (Kindle)

ISBN 978-3-95484-058-8 (PDF)

Inhalt

Geleitwort zur deutschen Ausgabe, von Helga Rohra

Vorwort der Autorin

Einleitung

Teil I: Alzheimer – kein unabänderliches Schicksal!

1. Mein Mann Steve – die gesunden Jahre

2. Wie es mit Steve „bergab“ ging

3. Auf der Suche nach klinischen Studien

4. Eine zufällige Entdeckung

5. Der mühsame Weg aus dem Abgrund

6. Mein Ziel: Die vielversprechende Entdeckung bekannt machen!

7. Das erste Jahr nach Beginn der Einnahme von Kokosöl

8. Kontakte – Besuche – Gespräche

9. Die Fortsetzung der Geschichte

10. Das zweite Jahr nach Beginn der Einnahme von Kokosöl

11. Reisen nach Griechenland und Schottland

12. Das dritte Jahr nach Beginn der Einnahme von Kokosöl

13. Erfahrungsberichte von pflegenden Angehörigen

Teil II: Hintergründe – Über Fettsäuren, Ketone und ihre Wirkungen

14. Diabetes vom Typ 3 und Alzheimer

15. Mögliche Auslöser und Ursachen von Alzheimer

16. Grundwissen über die Ketone

17. Die Entdeckung der Ketone und die ketogene Diät

18. Mittelkettige Triglyceride und Ketone

19. Therapeutische Wirkungen der Ketone

Teil III: Ernährungsumstellung: Gesunde Fette – Energie für das Gehirn

20. Ernährungsempfehlungen: So sollten Sie es angehen

21. Die gesättigten Fette und das Thema Cholesterin

22. Warum die Ernährung etwas bewirken kann

23. Kokosöl – Fragen und Antworten

24. MCT-Öl – Fragen und Antworten

25. Sie haben nichts zu verlieren

Anhang:

Rezepte

Danksagungen

Quellenverzeichnis

Literatur zur Vertiefung

Weitere Informationen, Bezugsquellen und nützliche Adressen

Über die Autorin

HINWEISE DES VERLAGS

Dieses Buch dient der Information über eine neue Form der Ernährungsbehandlung. Wer sie anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Autorin und Verlag beabsichtigen nicht, Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben. Die Informationen in diesem Buch sind nicht als Ersatz für professionelle therapeutische Hilfe bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen zu verstehen.

Mit freundlicher Genehmigung von Basic Health Publications wurden bestimmte detaillierte Passagen der amerikanischen Ausgabe, die für die deutsche Ausgabe nicht von Interesse sind, gekürzt oder weggelassen.

Dieses Buch ist meinem Mann Steve gewidmet. Er sagt, die schönste Aufgabe, die er je gehabt habe, sei es gewesen, sich um unsere beiden Töchter zu kümmern. Er hat mir die Erfüllung meiner Träume ermöglicht: Ärztin zu werden und Kinder zu haben. Mit seiner Liebe und Unterstützung stand er immer voll und ganz hinter mir. Nun bin ich an der Reihe, mich um ihn zu kümmern …

Dieses Buch ist aber auch den vielen Millionen Menschen gewidmet, die ihre an Alzheimer und anderen neurodegenerativen Krankheiten leidenden Angehörigen pflegen. Möge es ihnen Hoffnung geben! Viele von ihnen haben mich an ihren Geschichten teilhaben lassen – Menschen, die sich nichts mehr wünschen, als ihre Angehörigen so lange wie möglich bei sich haben zu können. Ein Ziel, das ich sehr gut verstehe, denn es ist auch mein Ziel.

Geleitwort zur deutschen Ausgabe

Von Helga Rohra

Wir können nur gewinnen – mit Kokosöl. Ich habe gewonnen!

Vor einigen Jahren lernte ich Mary Newport beim internationalen Alzheimer-Kongress in Thessaloniki kennen. Sehr interessiert hörte ich ihrem Vortrag über Ketone und Kokosöl zu. Die gezeigten Aufnahmen, die Einblicke in das Leben von Steve, ihrem demenzkranken Mann, die Veränderungen durch Anwendung dieses Öls bewirkten einiges in mir. All das machte mich neugierig, es gab mir Hoffnung für meinen eigenen Zustand.

Unser Austausch und die guten persönlichen Gespräche mit den beiden brachten mich auf die Idee: Ja, wir sollten in Deutschland auch mehr über dieses wundersame Öl wissen. Wir Demenzbetroffene und auch unsere Angehörigen sind bereit, neue Wege zu gehen. Danke, Mary, für deine professionellen Recherchen, für deine einfühlsame Art, für die tiefen Einblicke in euer neues Leben mit Demenz!

Als Lewy-Body-Demenz-Patientin bin ich sehr offen für nichtmedikamentöse Therapien. Einige wie Logopädie und Kunsttherapie führten bei mir schon früher zu einer Stabilisierung und nun wollte ich zu meiner vegetarischen Ernährungsweise auch das Kokosöl einsetzen.

Ich fing mit 3 × täglich 1 Esslöffel an, merkte aber bald, dass mein Magen etwas rebellierte. Also steigerte ich die Einnahme lieber ganz allmählich, von 1 × täglich 1 Esslöffel bis zu 3 × täglich 1 Esslöffel nach einigen Wochen. Ich und mein Sohn Jens benutzen ausschließlich dieses Öl. Ob ich Pfannkuchen oder Spiegelei mache, Steak für ihn, oder mal einen einfachen Kuchen backe – wir mögen und genießen es.

Meine Ausfälle dokumentierte ich schon vor der Diagnosestellung vor 5 Jahren in einem sogenannten Ausfalltagebuch. Nun fing ich an, nur die Besserungen, die ich im Laufe der Zeit an mir bemerkte, zu notieren: Meine Wortfindung wurde besser, auch meine Konzentration. Vor allem mein Wesen wurde ruhiger, positiver. Auch Freunde waren überrascht zu sehen, wie ich immer aktiver wurde. Gerne versuchte ich, mit Ausdauer Sachen zu machen, und auch Dinge, die mir vor der Kokosöl-Einnahme schwerfielen, selbst zu tun. Ich hatte wieder Pläne, ich war unterwegs, um als Demenzaktivistin in Deutschland unsere Botschaft über die vielen Ressourcen zu verbreiten. Auch werde ich viel gelobt für meinen guten Zustand nach all den Jahren, sowohl von den Ärzten als auch von Freunden.

Eindeutig – diese neue Ernährung mit Kokosöl als Hauptbestandteil ist ein wesentlicher Beitrag dazu. Wir können nur gewinnen, wenn wir es einsetzen. Verloren haben wir vieles, aber mein Motto ist: Nicht danach weinen – freuen wir uns über das Gewonnene! Glauben Sie mir – das Kokosöl ist ein Weg, zu gewinnen! Und dieses Buch ist ein Mutmach-Buch. Danke, Mary!

Helga Rohra

(Mitglied im Vorstand der Alzheimer Gesellschaft München, erhielt mit 54 Jahren die Diagnose „Demenz“; seit 2010 ist sie öffentlich aktiv und unterwegs, um unsere Gesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren; Autorin des Buches „Aus dem Schatten treten“, Frankfurt: Mabuse-Verlag, 2011)

Vorwort der Autorin

Wie Millionen von Menschen in den USA und weltweit leidet mein heute (2011) 61 Jahre alter Mann Steve an der Krankheit, die wie ein Albtraum ist: Alzheimer. In den Vereinigten Staaten ist sie die häufigste Form der Demenz. Viele andere Menschen haben Parkinson oder seltenere Formen von Demenz und neurodegenerativen Erkrankungen. Solche Krankheiten fordern einen hohen Tribut, nicht nur von den Betroffenen selbst, sondern auch von deren Angehörigen. Egal, wie jung oder alt jemand zu Beginn ist – die Diagnose ist niederschmetternd und verändert das Leben mit einem Schlag. Die Zukunft, die man sich vorher vielleicht rosig und verheißungsvoll vorgestellt hat, wechselt die Farbe, sie wird düster und grau.

Demenz – das ist ein trauriger und grausamer Krankheitsprozess: Sie raubt den Betroffenen nach und nach ihre Erinnerungen und nimmt ihnen auch die Fähigkeit, die Menschen zu erkennen, die ihnen am nächsten stehen. Am Ende lässt sie sie sogar vergessen, wie man die einfachsten körperlichen Betätigungen ausführt, etwa Aufstehen, Hinsetzen und Essen. Traurig und grausam ist es auch, dass Angehörige dabei zusehen müssen, wie ihr geliebter Partner oder ein Elternteil sich auf diese Weise langsam „davonstiehlt“; und nicht selten machen sie sich Sorgen, dass sie dasselbe Schicksal ereilen wird.

Derzeit ist die Alzheimerkrankheit nicht heilbar. Auch nach Jahrzehnten der Forschung sind ihre Ursachen immer noch weitgehend unbekannt. Und die pharmazeutische Industrie muss erst einmal eine Therapie finden, um die Abwärtsspirale zu stoppen – davon, den Krankheitsprozess rückgängig zu machen, ist man noch weit entfernt.

Im Rahmen einer Kampagne ließ eine amerikanische Alzheimer-Organisation kürzlich verlauten, dass diese Krankheit keine Überlebenden kenne – eine Botschaft, die zweifellos darauf abzielte, für Spenden zugunsten der Forschung zu werben; zugleich aber auch eine Botschaft, die den Familien, die es jetzt mit der Krankheit zu tun haben, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit vermittelte. Kurze Rückblende: Im März 2009 nahmen Steve und ich an einer Konferenz dieses Verbandes in Washington teil. Damals wurde die „gute Nachricht“ verkündet, dass Heilung in Sicht sei, wahrscheinlich schon innerhalb von fünf Jahren. Für uns und viele andere, die mit dieser Krankheit befasst sind, war das keine gute Nachricht: Dasselbe hatten wir schon fünf Jahre vorher zu hören bekommen, als Steve im Frühstadium der Krankheit war …

Für ein relativ junges Ehepaar wie uns beide war und ist die Aussicht, dass wir die „goldenen Jahre des Ruhestands“ nicht werden genießen können, ein ziemlicher Schock. Wie viele andere, die sich mit der Krankheit auseinandersetzen, sprechen wir oft darüber, dass wir ja noch damit leben könnten, wenn Steve wenigstens auf dem Stand bleiben würde, wie er gerade ist. Die Realität ist jedoch, dass neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer kein Erbarmen kennen und dass die Hoffnung mit jedem weiteren Jahr dahinschwindet. Wir können keine fünf Jahre mehr warten und hoffen, weil wir vielleicht keine fünf Jahre mehr haben.

Dieses Buch handelt von den „Ketonen“, winzigen Bausteinen eines organischen Nährstoffs beziehungsweise Energielieferanten, die es gibt, seit es Leben auf unserem Planeten gibt, und die das Überleben der Menschheit gesichert haben. (Näheres dazu weiter unten.) Es sind „Moleküle der Hoffnung“ für Menschen, die an Alzheimer und anderen degenerativen Erkrankungen des Gehirns leiden. Dem weltweit renommierten Forscher Dr. Richard Veech, der seit Jahrzehnten mit Ketonen arbeitet, ist es gelungen, im Labor Ketone in trinkbarer Form herzustellen. Doch es werden noch beträchtliche Summen und mehrere Jahre klinischer Erprobung erforderlich sein, bis die vielen Millionen Betroffenen davon profitieren können. Leider wird um die Forschungsgelder erbittert gekämpft und das Geld zur Massenproduktion dieser Ketonester ist zum Zeitpunkt, da ich dieses Buch schreibe, noch nicht bereitgestellt. Die Politik steht auch hier einem wirklichen Fortschritt im Weg.

Ich schreibe dieses Buch hauptsächlich mit dem Ziel, auf die Existenz und Wirkung dieser Ketonester aufmerksam zu machen und zu erreichen, dass ihre Produktion finanziert wird und ihre klinische Erprobung auf dem schnellsten Wege zur Zulassung durch die Behörden führt. Ich hoffe auch, dass es zu einer wahren „Explosion“ in der Erforschung der Ketone kommt. Für alle, die mit Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu tun haben, kann es damit nicht früh genug losgehen.

Wir brauchen dieses „Wunder“! Während wir darauf warten, können wir uns die Vorteile eines Stoffwechsel-„Wunders“ zunutze machen, das in unserem Körper vor sich geht, wenn wir bestimmte Nahrungsmittel zu uns nehmen, die sogenannte „mittelkettige“ Fettsäuren enthalten. (Erklärungen dazu folgen weiter unten.) Diese Fette, die hauptsächlich in Kokos- und Palmkernöl enthalten sind, werden in der Leber zu Ketonen umgewandelt und vom Gehirn und den meisten anderen Organen als Nährstoffe genutzt. Die dabei anfallenden Ketonmengen sind im Vergleich zu den im Labor hergestellten Ketonestern relativ gering; doch viele Menschen, die sie nutzen, können Erstaunliches erwarten:

• dass das Gedächtnis besser wird,

• dass individuelle Wesenszüge und der Sinn für Humor wiederkehren,

• dass die zwischenmenschlichen Beziehungen wieder aufleben,

• dass die täglichen Aktivitäten wieder aufgenommen werden oder

• dass eine Linderung bestimmter körperlicher Symptome eintritt.

Diese Auswirkungen sind sehr real und haben große Bedeutung, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Pflegepersonen und Angehörige, die mit ihnen leiden.

Bei vielen, die diese Fette vermehrt zu sich nehmen, wird der Unterschied sofort nach Beginn dieser Ernährungsumstellung sichtbar und kann, wie bei meinem Mann, geradezu dramatisch sein. Bei anderen zeigt sich der erreichte Aufschub möglicherweise eher in Form der Stabilisierung als in einer offensichtlichen Verbesserung ihres Zustands. Daher ermuntere ich alle Pflegepersonen zum Führen eines Tagebuchs, sodass sie nach mehreren Monaten nachlesen und vergleichen können, ob diese Art der „Ernährungsbehandlung“ dazu beigetragen hat, den Krankheitsprozess zumindest zu verzögern. Welche Erwartungen man in Bezug auf die Dauer der Verzögerung haben kann, ist ungewiss, denn diese Entdeckung ist noch brandneu. Zur Zeit der Entstehung des vorliegenden Buches war es erst knapp drei Jahre her, dass wir diese Ernährungsbehandlung für Steve gefunden und begonnen hatten. Er hat mir oft erzählt, dass bei ihm an dem Tag, als er damit begann, „das Licht wieder angeknipst“. Einige Veränderungen zeigten sich gleich in den ersten paar Tagen, andere erst nach vielen Monaten.

Im Vergleich zu Anfang 2008 ist Steve heute nicht mehr depressiv. Er ist glücklich und hat das Gefühl, dass es für ihn eine Zukunft gibt. In seiner Persönlichkeit und mit seinem Sinn für Humor ähnelt er wieder viel mehr dem wunderbaren Mann, den ich vor zehn Jahren hatte, also bevor die Krankheit zum Vorschein kam. Er ist gesellig, lacht, beteiligt sich an Gesprächen (auch in einer großen Gruppe) und bringt eigene Witze und Kommentare ein. Die körperlichen Symptome, die ihn vor der Ernährungsbehandlung beeinträchtigten, sind verschwunden: Zittern, ein eigenartiger, langsamer Gang, eine Sehstörung, plötzliche Schwächeanfälle … Seine Fähigkeit, bei einer Sache zu bleiben, verbesserte sich so sehr, dass er in dem Krankenhaus, an dem ich arbeite, eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen konnte. Kurzzeit- und Ultrakurzzeit-Gedächtnis sind zwar bei Weitem nicht normal, aber sehr viel besser geworden. Die Magnetresonanztomografie (MRT) zeigte eine erhebliche Schrumpfung in Steves Gehirn, bevor wir mit der Ernährungsbehandlung begannen; das bedeutet, dass viel Gehirngewebe abgestorben war. Wir wissen also, dass den Verbesserungen, die wir erwarten können, Grenzen gesetzt sind. Im April 2010, zwei Jahre nach Beginn der Ernährungsbehandlung, lautete sein MRT-Befund „stabil“.

Der Weg der Besserung war nicht frei von manch tiefen „Bodenwellen“. Im Sommer 2009 erlitt Steve einen größeren Rückfall, der mehrere Wochen anhielt. Während einer Erkrankung wurde er wieder verwirrter und es tauchten einige Probleme auf, die noch nicht völlig verschwunden sind. Doch mit Geduld und Ausdauer haben wir ihn größtenteils zu seinem vorherigen guten Zustand zurückkehren sehen.

Diese Ernährungsbehandlung könnte sogar für all jene, die mit einem besonderen Risiko leben müssen, Alzheimer oder andere neurodegenerative Krankheiten zu bekommen, bedeuten, dass es Hoffnung in Form von Prävention gibt. Je mehr ich über die Ketone erfahre, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass kurz- und mittelkettige Fettsäuren für manche von uns, vielleicht sogar für uns alle, „essenzielle“ Fettsäuren sein könnten. Wenn wir diese essenziellen Fette regelmäßig mit unserer Nahrung aufnehmen, können wir vielleicht einen Teil der mit dem Alterungsprozess verbundenen Ausfälle und Beeinträchtigungen im Gehirn und an anderen Organen vermeiden.

Nachdem es Steve dank der genannten Fettsäuren besser ging, unternahm ich erhebliche Anstrengungen, um die Verantwortlichen amerikanischer Alzheimer-Organisationen und Forschungsgruppen von der Notwendigkeit weiterer Forschungen zu und Veröffentlichungen zu überzeugen. Man sagte mir, dass ausgedehnte klinische Studien erforderlich seien, bevor man das an die große Glocke hängen könne. Man versuchte sogar, meine Bemühungen zur Verbreitung meiner Erfahrungen zu behindern. Auch darüber wird in diesem Buch zu sprechen sein. Von den ersten Anträgen auf Forschungsgelder bis zum Abschluss der klinischen Versuche können 15 Jahre vergehen. Die meisten Menschen, die derzeit an Alzheimer leiden, können nicht jahrelang warten – vielleicht sind sie in 3 Jahren schon nicht mehr unter uns …

Die Öle und andere, mittelkettige Fettsäuren enthaltende Nahrungsmittel sind keine gefährlichen Arzneimittel! Von ihnen ernährten sich Menschen in anderen Regionen der Welt, die als Wiege der Menschheit gelten, über Tausende von Jahren. Man bekommt sie in fast jedem Naturkostladen und in vielen Lebensmittelgeschäften. Wenn wir versuchen wollen, einen Aufschub, eine Verlangsamung des Albtraums Alzheimer zu erreichen, so können wir uns das Stoffwechselwunder, das durch die Aufnahme mittelkettiger Fettsäuren in unsere Ernährung geschieht, sofort zunutze machen. Ich weiß nicht, wie lange dieser Aufschub anhält oder ob er bei Ihnen und Ihren Angehörigen tatsächlich eintritt – aber was haben Sie schon zu verlieren?

Mary Newport

(Herbst 2011)

Einführung

Man nimmt an, dass mehr als 5 Millionen Amerikaner an Alzheimer leiden. Die Anzahl der Menschen mit dieser Krankheit verdoppelt sich bei den über 65-Jährigen grob gerechnet alle 5 Jahre, sodass Menschen, die älter als 85 Jahre werden, ein Erkrankungsrisiko von nahezu 50 Prozent haben. Da die Generation der „Babyboomer“ nun Mitte 60 und älter ist, wird allein für die USA bis 2050 eine Verdreifachung der Betroffenen auf schwindelerregende 15 Millionen prognostiziert; weltweit sollen es dann mehr als 100 Millionen sein – wenn nicht ein medizinischer Durchbruch Wege zur Verhütung oder Behandlung der Krankheit aufzeigt.

Nach Angaben der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft steht diese Krankheit an sechster Stelle der Todesursachen in den Vereinigten Staaten (bei den Menschen über 65 sogar an fünfter Stelle). Die Statistiker sagen uns, dass die Todesfälle durch Schlaganfälle, Herzkrankheiten und bestimmte Krebsarten zwischen 2000 und 2006 abnahmen, während die Todesfälle durch Alzheimer um 47 Prozent anstiegen. Darüber hinaus sterben mindestens 30 Prozent der Alzheimerkranken aus anderen Gründen, sodass die tatsächliche Anzahl der an dieser Krankheit leidenden Menschen möglicherweise stark unterschätzt wird.

Die jährlichen Belastungen durch die Pflegekosten für Menschen mit Alzheimer werden in den USA gegenwärtig auf 148 Milliarden Dollar geschätzt. Darüber hinaus pflegen laut Schätzung der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft 9,9 Millionen Menschen Patienten mit Alzheimer und anderen Demenzformen unentgeltlich; das entspricht einem Gegenwert von etwa 94 Milliarden Dollar (die bezahlte Kräfte dafür bekommen würden). 87 Prozent der Pflegenden sind Verwandte der Demenzkranken; so viele Menschen müssen also zuschauen, wie ihre Angehörigen langsam „verfallen“; wie sie zunächst nur Kleinigkeiten vergessen und schließlich nicht mehr in der Lage sind, die einfachsten Dinge zu tun. Am schlimmsten aber ist es, wenn sie die Menschen, die sich um sie kümmern und sie lieben, nicht mehr erkennen – nicht das Kind, das sie einmal geboren haben, und nicht den Ehepartner, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet sind.

Die Alzheimerkrankheit ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die als irreversibel, als unumkehrbar gilt, ein rätselhafter Prozess, der Gehirnzellen veranlasst, ihre Vernetzung untereinander zu lösen und abzusterben. Trotz intensiver weltweiter Forschung seit Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts kennt man die Ursache(n) der Krankheit auch im Jahre 2011 noch nicht.

Der erste Fall wurde von dem deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer (1864–1915) im Jahre 1906 in einer Vorlesung beschrieben und 1911 in allen Einzelheiten veröffentlicht. Seine Patientin war eine 51-jährige Dame, Auguste Deter, die Symptome einer Gedächtnisstörung, von Aphasie (Sprachverlust), Desorientiertheit und „psychosozialer Inkompetenz“ zeigte. Nachdem ihre Krankheit sich allmählich verschlechtert hatte, starb sie mit 55 Jahren. Bei der anschließenden Obduktion ihres Gehirns stellte Dr. Alzheimer fest, dass die Zellen der für die höheren Gehirnfunktionen zuständigen Großhirnrinde zu fast einem Drittel abgestorben waren und sich dort stattdessen große Mengen von „amyloiden Plaques“ und Neofibrillen befanden, wie man heute sagt; diese wurden zu Kennzeichen der Krankheit, die heute seinen Namen trägt. Er nannte sie – aufgrund des noch recht geringen Alters der verstorbenen Patientin – „präsenile Demenz“.

Heute würde man von einer Frühform der Alzheimerkrankheit sprechen, wie das Auftreten dieser Art von Demenz vor dem 65. Lebensjahr bezeichnet wird. Man schätzt, dass in den USA 200 000 Menschen, also etwa 3,8 Prozent der 5,3 Millionen Betroffenen, zu dieser Gruppe gehören. Alzheimer wurde auch schon bei 30- und 40-Jährigen beschrieben. Bei 65-Jährigen und Älteren spricht man von der „Spätform der Alzheimerkrankheit“. Dr. Alzheimers erste Patientin zeigte bei der Obduktion auch Anzeichen arteriosklerotischer Verhärtungen; das weist auf die Überschneidung mit anderen Erkrankungen hin, die oft gleichzeitig mit dieser Krankheit auftreten. Alzheimer ist mit 50 bis 80 Prozent der Fälle die häufigste Form der Demenz, an zweiter Stelle steht die vaskuläre Demenz. Bei vielen Menschen gibt es Anzeichen beider Formen.

Durch die neuesten Fortschritte auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren ist es möglich geworden, bereits 10 oder mehr Jahre vor Ausbruch offensichtlicher Krankheitssymptome unscheinbare Veränderungen im Gehirn festzustellen. Dadurch wird es Menschen, die ein bekanntes Krankheitsrisiko haben, ermöglicht, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehören die folgenden:

• Mit dem Rauchen aufhören

• Den Blutdruck unter Kontrolle halten

• Für mehr Bewegung sorgen

• Die Schlafapnoe behandeln lassen (kurzes Aussetzen der Atmung im Schlaf)

• Sich gesünder ernähren

• Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen der durch Insulin bedingten Schädigungen zu verhindern oder rückgängig zu machen.

Die genaue Ursache für Alzheimer ist zwar nicht bekannt; solche Veränderungen des Lebensstils können aber, vor allem dann, wenn sie frühzeitig vorgenommen werden, die Krankheit verhindern, ihren Beginn verzögern oder ihren Verlauf auf andere Weise mildern.

Nur einige wenige Medikamente sind für die Behandlung der Alzheimerkrankheit zugelassen und keines davon stoppt den Verlauf der Krankheit oder kehrt ihn um. Es hat sich gezeigt, dass sie die Verschlechterung verzögern können, jedoch nur durchschnittlich 6 bis 12 Monate lang und nur bei etwa der Hälfte der Menschen, die sie einnehmen. Gegenwärtig werden Hunderte von Medikamenten gegen Alzheimer entwickelt; das kostet viele Millionen Dollar und es dauert im Durchschnitt 13 Jahre, ein einziges Medikament von der Konzeption bis zur Marktreife zu entwickeln.

Wenn auch die genaue Ursache oder die Ursachen von Alzheimer nicht bekannt sind, so kennt man doch bereits viele Einzelheiten der Krankheit. Unser Gehirn, das uns ermöglicht zu atmen, uns zu bewegen und zu denken, und das unsere Individualität bestimmt, ist eine unglaublich komplexe „Maschine“ oder „Apparatur“ (– beide Bezeichnungen passen natürlich nur mit großen Einschränkungen). Es besteht aus einem riesigen Netzwerk von untereinander und mit anderen Zellarten im Körper verbundenen Zellen. In jeder Zelle, jeder Zellmembram und in den Zwischenzellräumen, wo die Zellen miteinander verbunden sind und ihre Kommunikation stattfindet, laufen Hunderte von chemischen Reaktionen ab. Diese Reaktionen befinden sich in einem empfindlichen Gleichgewicht: Ein Überschuss oder Mangel an einer bestimmten Substanz kann dieses Gleichgewicht so sehr stören, dass das ganze Organ davon beeinträchtigt wird. Insulin beispielsweise gehört zu den Substanzen, die sich sowohl bei Überschuss als auch bei Mangel sehr negativ auf die betroffenen Organe auswirken können.

Eines der hervorstechenden unter den bekannten Merkmalen der Alzheimerkrankheit ist das Problem des Insulinmangels und der Insulinresistenz im Gehirn. Erst 2005, also vor wenigen Jahren, prägte Dr. Suzanne De la Monte von der Brown University den Begriff „Typ 3 Diabetes“ zur Beschreibung der Alzheimerkrankheit. Der Hintergrund: Glukose ist der „Haupttreibstoff“ für unsere Zellen, auch für die Gehirnzellen, und Insulin wird benötigt, damit die Glukose in die Zellen gelangen kann. Wenn die Produktion von Insulin und seine Nutzung im Gehirn nicht mehr richtig funktionieren, kommt es zu Fehlfunktionen und zum Absterben von Zellen, da sich die Verbindungen zwischen ihnen lösen. Dies ist ein Prozess, der bereits 10 Jahre oder länger vor dem Auftreten von Symptomen einsetzt.

Unser Körper verfügt nur über einen geringen Glukosevorrat, und wenn wir mehr als einen Tag lang nichts essen, gibt es einen „Plan B“, der verhindert, dass wir gleich sterben. Das Gehirn und die meisten anderen Organe können bestimmte andere Energiequellen verwerten, wenn keine Glukose zur Verfügung steht. Ohne diese Fähigkeit wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Während des Hungerns bedienen wir uns unserer Fettspeicher und setzen Fettsäuren frei, von denen einige in „Ketonkörper“ umgewandelt werden. Sie können die Blut-Hirn-Schranke passieren und unsere Zellen mit alternativer Energie versorgen. Um diese Ketonkörper zu „produzieren“, müssen wir aber nicht unbedingt hungern. Eine andere Möglichkeit ist die Einhaltung einer konsequenten ketogenen Ernährungsweise mit viel Fett und relativ wenig Kohlehydraten und Proteinen. Eine weitere einfachere Möglichkeit ist es, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die mittelkettige Fettsäuren enthalten. Letztere werden während des Verdauungsprozesses leicht vom Darm aufgenommen und in der Leber teilweise in Ketonkörper umgewandelt. Und noch besser: An den National Institutes of Health (USA) hat ein Arzt einen Ketonester entwickelt, der – wenn er einmal auf den Markt kommt – die Versorgung mit diesem wertvollen Energielieferanten vereinfachen wird.

All das bedeutet für jemanden, der unter Alzheimer oder anderen Krankheiten leidet, die mit Insulinmangel und Insulinresistenz einhergehen: Eine einfache Ernährungsbehandlung könnte dieses grundlegende Problem umgehen, die energiehungrigen Zellen mit Nahrung versorgen und dabei das Gehirn lebendig und funktionstüchtig erhalten.

Mein Mann Steve hat die Frühform der Alzheimerkrankheit. Wir leben seit fast 7 Jahren damit. Jede Hoffnung begann schon zu schwinden – da kam es zu einer Wende: Im Mai 2008 begann Steve (unter meiner Anleitung), mittelkettige Fettsäuren zu sich zu nehmen. Da sich unser Leben seitdem deutlich verbessert hat, habe ich mich mit vielen Menschen ausgetauscht, die mit Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu tun haben. Einer der erschütterndsten Kommentare, die ich in Bezug auf die Übermittlung der Diagnose „Alzheimer“ immer wieder gehört habe, war der, dass manche Ärzte den Betroffenen und ihrer Familie sagen, da könne man nichts machen, sie sollten „nach Hause gehen und es sich gut gehen lassen“. Zu viele Menschen nehmen diese Art von „Ratschlägen“ für bare Münze und glauben wirklich, dass sie nichts tun können. Also gehen sie nach Hause und meistern die hoffnungslos erscheinende Situation, so gut sie können.

Andererseits gibt es Menschen, die sich weigern, eine solche „Kapitulation“ zu akzeptieren – weil sie wissen, dass auch Ärzte nicht alles wissen. (Ich kann und darf das sagen, weil ich selbst Ärztin bin.) Zu diesen Menschen gehöre auch ich. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, nach Antworten auf diese komplexe Krankheit zu suchen, und ich kenne viele Menschen (auch solche, die nicht wissenschaftlich vorgebildet sind), die fast täglich im Internet unterwegs sind, um so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen und ihren Angehörigen zu helfen.

Wenn es das Internet nicht gäbe, hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Es war schon eine große Herausforderung für mich als Ärztin auf der Frühgeborenenstation, einen Mann mit Alzheimer zu haben und dann im Internet zufällig auf eine Pressemitteilung zu stoßen, dank derer ich die Entdeckung machte, die unser Leben veränderte: Hier folgt nun also unsere Geschichte, die gleichzeitig eine Geschichte von den Ketonen ist …

TEIL I ALZHEIMER – KEIN UNABÄNDERLICHES SCHICKSAL!

KAPITEL 1

Mein Mann Steve – die gesunden Jahre

Steve ist die Liebe meines Lebens. Wir kennen einander seit mehr als 40 Jahren – 39 Jahre sind wir verheiratet. Wenn ich in den ersten drei Jahrzehnten über die Zukunft nachdachte, hatte ich das Bild von einem langen, erfüllten Leben vor Augen, und dass wir sehr alt miteinander werden würden. Die Alzheimerkrankheit machte uns einen Strich durch diese „Rechnung“ – viel früher, als ich es je erwartet hätte.

Wir begegneten uns 1968 zum ersten Mal; er war 18 und hatte gerade sein Studium an der Xavier University in Cincinnati (Ohio) aufgenommen und ich war 16 und ging noch aufs Gymnasium. Er war der Erste in seiner Familie, der einen Universitätsabschluss als Bachelor of Science and Business Administration (BSBA) in Rechnungswesen bekommen würde. Ich wuchs in einer bürgerlichen Familie auf und war das älteste von fünf Mädchen. Auf den Gedanken, Ärztin zu werden, kam ich zum ersten Mal mit 10 Jahren, nachdem ich eine Nacht mit einem gebrochenen Arm im Krankenhaus verbracht und bei den anderen Kindern auf der Station die Runde gemacht hatte, um zu erfahren, warum sie dort waren. Bald darauf, nach der Lektüre der Biografie von Dr. Elizabeth Blackwell, der ersten amerikanischen Frau, die Ärztin geworden war, wusste ich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.

Wir heirateten im März 1972. Steve arbeitete bereits und ich bereitete mich in speziellen Kursen auf das Medizinstudium vor. Wir hatten eine Wohnung für 80 Dollar im Monat (einschließlich Nebenkosten), mit drei Zimmern im ersten Stock eines 100 Jahre alten Hauses. Der Wohnungseingang führte direkt in die Küche und ins Wohnzimmer gelangte man nur durch das Schlafzimmer.

Die ersten 6 Monate unserer Ehe waren eine Herausforderung; wir stellten immer wieder fest, wie unterschiedlich wir Dinge handhabten. Schließlich richteten wir unsere Beziehung darauf aus, einander als gleichberechtigte Partner zu behandeln. Steve machte seine Arbeit viel Freude und er lernte eine Menge dazu. Er blieb 9 Jahre in dem Unternehmen, während meines Medizinstudiums und der ersten beiden Jahre meiner Facharztausbildung an der Kinderklinik des medizinischen Zentrums von Cincinnati. Die Gewöhnung an die extreme zeitliche Belastung, mit der meine Ausbildung im Krankenhaus einherging, war hart für uns, doch wir schafften es und unsere Ehe blieb intakt.

Zu Steves erstaunlichsten Eigenschaften gehören seine Kreativität und seine Fähigkeit, nahezu alles zu reparieren, aber bei Bedarf Dinge auch einfach zu „erfinden“, zum Beispiel einen Vorläufer der heutigen Kopfhörer. So saßen wir abends beieinander und ich konnte studieren, während er fernsah, ohne dass ich gestört wurde.

Da Steve sich am liebsten draußen aufhielt und unter dem Winter in Cincinnati litt, versuchten wir es in wärmeren Gefilden und zogen im Sommer 1980 nach Charleston in South Carolina, wo wir einmal Urlaub gemacht hatten und wo ich mein drittes Ausbildungsjahr zur Kinderärztin absolvieren konnte. Doch die Familie hinter sich zu lassen war nicht so einfach. Außerdem hatte mein Mann keine Stelle in Aussicht und wurde während des Umzugs auch noch krank. Er hatte oft Fieberbläschen auf den Lippen gehabt, doch nun bekam er sie auch um die Augen; das war wohl auf den enormen Stress zurückzuführen, den er durch das Verlassen seiner Heimat erlebte. Diese Art von Infektion wird meist durch das Herpes-simplex-Virus vom Typ 1 verursacht. Damals wussten wir noch wenig darüber, dass diese wiederholten Infektionen Konsequenzen in seinem späteren Leben haben könnten: Die englische Forscherin Dr. Ruth Itzhaki und ihre Mitarbeiter haben im Gehirn von Alzheimerkranken Hinweise auf dieses Virus gefunden. (Davon wird in Kapitel 15 noch die Rede sein.)

Charleston zeigte uns sein „Alltagsgesicht“, das sich von demjenigen, das wir im Urlaub gesehen hatten, erheblich unterschied. Doch ich hatte wunderbare ärztliche Lehrer und lernte mehr, als wenn ich nur an einem Lehrkrankenhaus geblieben wäre. So entdeckte ich meine Berufung für die Neonatologie, die Neugeborenenmedizin, und musste all meinen Mut zusammennehmen, um Steve zu sagen, dass ich dort noch zwei weitere Ausbildungsjahre als Stipendiatin absolvieren wollte. Er verkaufte inzwischen Eigentumswohnungen, war aber nicht glücklich mit dieser Arbeit; doch obwohl er überrascht und auch etwas enttäuscht war, versicherte er mir wie immer, dass er mich emotional unterstützen werde.

Ein wenig getrübt wurde unsere Beziehung dadurch, dass wir uns in der Frage der Familienplanung nicht einigen konnten. Ich wollte zuerst meine Ausbildung beenden, doch Steve glaubte, wir sollten ganz auf Kinder verzichten, da meine zu erwartende unregelmäßige Arbeitszeit für kleine Kinder viel Verwirrung und Unsicherheit mit sich bringen würde. Und wir wollten beide unsere Kinder nicht in fremde Hände geben.

Im Herbst 1981 stand ich kurz vor der Beendigung meiner Ausbildung, sehnte mich nach einem eigenen Kind und war mir doch schmerzlich bewusst, dass Steve anders darüber dachte. Zu meiner Überraschung eröffnete er mir jedoch, dass er bereit war, seinen Job für unsere Kinder aufzugeben und zu Hause zu bleiben. Bald darauf kündigte sich Julie an; dreieinhalb Jahre nach ihrer Geburt kam Joanna. Steve hat einen „mütterlichen Instinkt“, der den meisten Männern fremd ist, und erzählt jedem, sich um unsere Töchter zu kümmern sei der beste Job gewesen, den er je hatte.

Nach dem Abschluss meiner Ausbildung zogen wir in das südliche Florida und ein Jahr nach Joannas Geburt an Floridas Westküste. Ich war beruflich über die Maßen gefordert, bemühte mich jedoch, mich um die Mädchen zu kümmern, wenn ich zu Hause war. Steve musste aber Tag und Nacht da sein, für den Fall, dass ich wegen eines Notfalls alles stehen und liegen lassen musste.

Es ist nicht leicht, eine Neonatologin als Ehefrau oder Mutter zu haben; es ist eine Belastung für das Familienleben. Und so war es für uns eine große Erleichterung, als ein Partner in meine Praxis einstieg und wir, als sie immer größer wurde, schließlich Personal einstellten. Steve erledigte von zu Hause aus die Buchhaltung und das Rechnungswesen für unsere Praxis. Als wir jemanden zu seiner Unterstützung engagierten, richtete er sich in der Garage des Hauses, das wir inzwischen in der Nähe der Grundschule gebaut hatten, ein Büro ein. Bald koordinierte er dann auch noch die ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Praxis des Schularztes und sprang oft selbst ein, wenn Not am Mann war. Er entwickelte und baute mehrere Spielgeräte, mit denen er sehr gut ankam. „Mr. Steve“ nannten ihn die Kinder, und das ist heute noch mein Spitzname für ihn.

Steve kümmerte sich um die Gartenplanung und die ausreichende Bewässerung der Pflanzen und begann sich um 1998 für das Kajakfahren zu interessieren. Er erfand eine Vorrichtung, die das Kajak auf geradem Kurs hielt, und eine, die es ihm ermöglichte, es mit Leichtigkeit auf seinen Transporter zu laden.

Als unsere ältere Tochter Musik zu machen begann, engagierte er sich wiederum ehrenamtlich und unterstützte das Jugendsymphonieorchester bei der Buchhaltung. Er war ein Mensch, den man immer um etwas bitten konnte, und dann konnte man sich darauf verlassen, dass es erledigt wurde. Das galt auch für die Arbeit, die er in unserer Praxis erledigte – zumindest, bis sich bei ihm Alzheimer zeigte.

KAPITEL 2

Wie es mit Steve „bergab“ ging

Zu Beginn dieses Kapitels möchte ich Steve mit zwei Äußerungen selbst zu Wort kommen lassen:

„Ich hatte das Gefühl, als würde ich irgendwie nachlassen. Irgendwie kam ich mit den Dingen schlechter zurecht und ich fühlte mich unausgefüllt. Ich hatte das Gefühl, als ginge etwas zu Ende, und es gab nichts, was die Leere ausfüllte. Die Arbeit wurde weniger wichtig für mich, genauso wie andere Dinge, zum Beispiel: etwas rechtzeitig zu erledigen oder die Fristen für die Steuer. Ich hatte das Gefühl, als würde ich irgendwann gefeuert werden, wenn ich für jemand anderen als meine Frau arbeitete.“

Rückblende auf 1980 – Steve mit 30 Jahren:

„Ich fühlte mich wie in einer Kiste eingesperrt und alles musste ‚genau so‘ gemacht werden, und das reichte mir nicht. Einfach nur die Steuern zu bearbeiten interessierte mich nicht mehr. Ich tat, was ich konnte, aber ich war froh, dass ich an dem medizinischen Zentrum aufhören konnte. Ich denke, sie haben sich dort gesagt: ‚Gut, dass der geht!‘ Ich hatte den alltäglichen Kram los und war froh, dass ich gehen konnte.“

Ein Rückblick auf sein Leben zeigt, dass es wohl bereits im Alter von 14 Jahren Anzeichen für Probleme mit dem Gedächtnis gegeben hat. Steve wollte American Football spielen [nicht zu verwechseln mit unserem Fußballspiel; dieses heißt ja auf Englisch soccer. – Anm. d. Übers.], behielt jedoch die Regeln nicht. Da er keine Ahnung hatte, was der Trainer von ihm wollte, hörte er wieder damit auf. Es war auch sein Wunsch, in der Kirche zu ministrieren, aber er bekam es nicht hin. Also wurde er vom Pfarrer „entlassen“.

In den ersten Jahren unserer Ehe hatte Steve große Schwierigkeiten mit den einfachsten Karten- oder Brettspielen und er mied sie, wann immer das möglich war. Natürlich half ich ihm, wenn er mein Spielpartner war, doch es war mir ein Rätsel, wie jemand, der sonst so intelligent war, solche Probleme beim Kartenspielen haben konnte. Waren das etwa frühe Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte? In einer neueren Studie wird behauptet, dass manche Menschen, die demenzkrank werden, ihr Leben lang Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis haben (Flory, 2000). Eine andere Studie ergab, dass Menschen mit einem Alzheimerrisiko aufgrund familiärer Belastung bereits mit 20 Jahren Abweichungen in der PET (Positronen-Emissions-Tomografie) zeigen können (Reiman, 2004).

Als wir mitten im Umzug nach Charleston waren, bewarb Steve sich um eine Stelle als Manager der städtischen Freizeitanlage. Doch jemand anders wurde ihm vorgezogen. Die Arbeit als Immobilienmakler, die er dann annahm, war nichts für ihn. „Ich hatte den falschen Job“, sagte er. So bekam er das Gefühl, dass er nirgendwo so recht hinpasste und keine Stelle richtig ausfüllen konnte.

Ein paar Jahre später hatte er bereits Schwierigkeiten, unsere Töchter zu verschiedenen Terminen zu bringen, während ich arbeitete, und ich rief oft an, um ihn daran zu erinnern. Doch es konnte sein, dass er es eine halbe Stunde später schon wieder vergessen hatte. Einige Jahre behalf er sich erfolgreich mit Notizzetteln, die er an seine Bürotür klebte.

In den Jahren 2001 und 2002 kamen häufige Fehler bei der Gehaltsabrechnung hinzu; auch versuchte er alles mögliche, um sich um die Fertigstellung der Steuerunterlagen zu drücken. Seine übrigen Aufgaben wie das Erledigen von Post und Bankangelegenheiten bereiteten ihm ebenfalls zusehends Probleme. Hinzu kam eine ernsthafte Depression, ein weiteres Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Steve verlor das Vertrauen zu sich selbst. Ein Psychiater, den wir aufsuchten, sprach von der Möglichkeit einer Demenz, doch die Depression könne ihre Ursache auch in den Gedächtnisproblemen haben, meinte er und verschrieb Antidepressiva.

Anzeichen und Symptome

Im Jahre 2003 zogen wir weiter in den Norden von Florida um, nach Spring Hill, wo ich als einzige Neonatologin auf der Neugeborenen-Intensivstation der örtlichen Klinik arbeitete. Für unsere Töchter änderte sich praktisch nichts, sie setzten ihre Schullaufbahn fort. Doch innerhalb weniger Monate wurde klar, dass Steve an weit mehr als nur einer Depression litt.

Ich wandte mich an die lokale Organisation für Alzheimerkranke und ihre Familien und Steve absolvierte verschiedene Tests, die alle noch normal waren, bis auf den Mini-Mental-Status-Test, einen Gedächtnistest, bei dem er nur 23 von normalerweise 29 oder 30 Punkten erreichte. Zwar stand die Diagnose Alzheimer damals schon im Raum, doch wollte der Arzt Steves Zustand noch nicht mit diesem Etikett versehen; er zögerte auch mit der Demenzmedikation, da Steve sie dann lebenslang hätte einnehmen müssen. (Denn eine Unterbrechung würde zu einer Verschlechterung führen, die auch durch das Wiederansetzen des Medikaments eventuell nicht behoben würde.)

Steve wurde alle 6 Monate erneut getestet und 2005 fiel sein Ergebnis auf 21 Punkte ab. Nun bekam er das Medikament Aricept, einen Cholinesterase-Hemmer. Cholinesterase-Hemmer verlangsamen den metabolischen Abbau von Acetylcholin, einem wichtigen Neurotransmitter, der an der Kommunikation der Nervenzellen beteiligt ist. Im Jahre 2006 kam das Medikament Namenda zu seiner immer länger werdenden Liste von Arzneimitteln hinzu. Namenda scheint die Hirnnervenzellen vor übermäßigen Mengen Glutaminsäure zu schützen, einem Botenstoff, der reichlich aus alzheimergeschädigten Zellen freigesetzt wird.

Nachfolgend zähle ich einige der Anzeichen und Symptome auf, die bei Steve im Laufe mehrerer Jahre dazu führten, dass die Diagnose Alzheimer in Betracht gezogen wurde.

Horten

In Steves Garage herrschte eine unglaubliche Unordnung. Sich dort zu bewegen glich dem Bewältigen eines Hindernisparcours. Eine logische Ordnung zu schaffen erwies sich als undurchführbar – nach wenigen Tagen war alles wieder beim Alten. Er verlegte immer öfter Dinge, suchte stundenlang danach, und wenn er sie fand, waren sie nicht mehr voll funktionstüchtig. Er konnte sich aber von nichts trennen, weil er glaubte, er werde es noch einmal brauchen.

Wenn er sich dann einmal dazu entschloss, seinen Anhänger zu beladen, damit wir einige Sachen zum Sperrmüll bringen konnten, suchte er stundenlang nach dem Haken, um ihn an das Auto zu hängen.

Manchmal kaufte er Dinge, die er nicht finden konnte, noch einmal; ein andermal kümmerte er sich einfach nicht mehr darum. Es kam vor, dass er nach „etwas“ zu suchen begann, wenn ich zur Arbeit ging, und dass er es noch nicht gefunden hatte, wenn ich wieder nach Hause kam; dann konnte er sich oft nicht einmal mehr daran erinnern, wonach er eigentlich suchte.

Dann verlegte oder verlor er auch seine Schlüssel und seine Brieftasche häufig; oft blieben sie tage- oder wochenlang verschwunden und wir wussten nicht, ob er sie einfach verloren hatte oder ob sie gestohlen worden waren. Schließlich musste er seine Kreditkarte zurückgeben.

Kajakfahren

Nach dem letzten Umzug kaufte sich Steve ein zweites, längeres, schnittigeres Kajak aus einem Katalog, doch anstatt damit aufs Wasser zu gehen, verbrachte er immer mehr Zeit damit, über das Kajakfahren zu sprechen und Zeitschriften darüber zu lesen.

Autofahren

Bevor die Alzheimerkrankheit ausbrach, konnte Steve instinktiv nahezu überall hinfahren, „immer der Nase nach“, wie wir oft sagten. Doch in Spring Hill kam er mit der Nord-Süd- und Ost-West-Ausrichtung der Straßen nicht mehr zurecht. Den Weg zu seinen Lieblingsorten und ein paar anderen Stellen konnte er schließlich behalten, doch sobald er das bekannte Territorium verließ, geriet er in Panik.

Wir stellten fest, dass er sich auch nicht mehr auf der Straßenkarte orientieren konnte, als er etwa 30 Minuten lang zu einem Zahnspezialisten fahren musste. Die Praxismitarbeiterinnen mussten ihn telefonisch lotsen, nachdem er ziellos in der Gegend umhergefahren war, und er kam 45 Minuten zu spät. Da ich an diesem Tag in der Klinik war, dirigierte ich ihn über das Telefon nach Hause, als er die Praxis verließ.

Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, saß er meist noch selbst am Steuer, vergaß aber oft, wohin wir fahren mussten, und fragte mich. Ich nannte ihn inzwischen „Mr. Gegenteil“, denn er bog links ab, wenn ich sagte, er solle rechts abbiegen. Dieses Phänomen zeigte sich auch in anderen Situationen, in denen er das Gegenteil dessen tat, was er tun wollte. Es sah so aus, als wollte er lieber darauf setzen, dass er es zufällig (mit Raten) richtig machte – die Chancen standen ja 50 zu 50 –, als sich der Peinlichkeit des erneuten Nachfragens auszusetzen.

Weitaus dramatischer war, dass er, als er einmal hinter Joanna her nach Hause fahren sollte, mitten in der Nacht plötzlich ganz woanders ankam, weil er mit den Ausfahrten nicht klargekommen war. Ich beschwor ihn über das Mobiltelefon, in dem Hotel zu übernachten, das er entdeckt hatte. Am nächsten Morgen lotse ich ihn dann telefonisch nach Hause, wo er eintraf, kurz bevor ich zur Klinik musste. Das war der Tag, an dem er mir den Autoschlüssel in die Hand drückte und wir gemeinsam beschlossen, dass er nicht mehr Auto fahren sollte. Er kommentierte das so: „Wieder ein schlechter Fahrer mehr von der Straße weg!“

Eine solche Entscheidung beeinflusst nicht nur das Opfer der Krankheit, sondern auch die anderen Familienmitglieder, die nun zusätzliche Fahrdienste übernehmen müssen. Ich kann daher gut verstehen, dass es vielen Familien schwerfällt, den Betroffenen dazu zu bewegen, den Schlüssel abzugeben. Hinzu kommt noch, dass mancher Kranke sich seiner Krankheit gar nicht bewusst ist und nicht versteht, warum er plötzlich nicht mehr Auto fahren darf.

Lesen

Steve war immer ein passionierter Leser gewesen, der viel Zeit mit den Romanen seiner Lieblingsautoren Stephen King und Clive Cussler und mit der täglichen Lektüre der Zeitung verbracht hatte. Er ließ nie einen Comic aus, der dann am Frühstückstisch für Gesprächsstoff sorgte. Als er Schwierigkeiten mit dem Datum und den Wochentagen bekam, diente ihm die Zeitung eine Zeit lang als Orientierung, doch schließlich half auch das nicht mehr und sie interessierte ihn auch nicht mehr. Bücher, die ich ihm noch bis vor ein paar Jahren zu Weihnachten und zum Geburtstag schenkte, stapelten sich ungelesen. Er las nicht einmal mehr die Comics und sagte, sie seien einfach nicht mehr lustig.

Lange dachte ich, dass er Probleme mit dem Textverständnis habe, doch dann fand ich heraus, dass es einen physischen Grund dafür gab: Er erzählte mir, dass die Wörter unstet vor seinen Augen tanzten. Sie wurden zu kleinen Quadraten, wie Pixel auf einem Fernsehschirm, und bewegten sich in verschiedene Richtungen. Der Augenarzt fand keinen anatomischen Grund für Steves Leseschwierigkeiten.

Gespräche

Mit fortschreitender Krankheit wurde es für Steve immer schwieriger, sich ganz normal zu unterhalten, selbst mit mir. Sein Kiefer zitterte, wenn er nach Worten suchte; oft wusste er schließlich nicht mehr, was er sagen wollte. Er beteiligte sich immer weniger an Gesprächen, denn er wollte sich inmitten vieler Menschen einer solchen Situation nicht aussetzen.

Ich gehöre zu den Menschen, die nach der Arbeit über ihren Tag reden müssen, und zu Beginn unserer Ehe unterbrach Steve mich oft und sagte, er wolle von all dem nichts hören. Doch ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich das brauchte, um den Stress loszuwerden, und er gestand mir dafür eine Viertelstunde zu. Manchmal glaubte ich, dass er mich einfach ausblendete und nur vorgab zuzuhören; dennoch tat mir das gut, denn danach konnte ich es loslassen und mich um andere Dinge kümmern. Manchmal hörte er jedoch aufmerksam zu, gab entsprechende Kommentare und gute Ratschläge bezüglich verschiedener Probleme.

Als sich sein Alzheimer verschlechterte, hatte ich oft das Gefühl, als sei er auf einer ganz anderen Wellenlänge, und begann, mich einsam zu fühlen. Seine Persönlichkeit verblasste und er entglitt mir sozusagen. Er kam mir immer mehr vor wie ein Fremder und ich fühlte mich, als würde ich meinen Mann langsam, aber sicher verlieren.

Zuhören

Wenn ich etwas zu Steve sagte, auch nur einen kurzen Satz und so deutlich wie möglich, hielt er sich oft die Ohren zu und sagte: „Blablablablabla?“ Das hieß, ich musste es wiederholen, und das oft nicht nur einmal. Ich glaube nicht, dass er Probleme mit dem Gehör hatte, sondern eher mit dem Verständnis. Da er sich nicht daran erinnern kann, kann er mir auch nicht erklären, was in seinem Kopf vor sich ging, aber inzwischen kommt das nur noch selten vor.

Es kann äußerst stressig sein, wenn man praktisch alles wiederholen muss! Zuerst dachte ich, Steve ignoriere mich absichtlich oder höre nicht zu, doch schließlich verstand ich, dass die Worte einfach nicht ankamen. Es wurde mir auch klar, dass ich Augenkontakt zu ihm suchen und ganz einfach sprechen muss, wenn ich seine Aufmerksamkeit gewinnen will. Mittlerweile weiß ich, dass ich ihm schrittweise sagen muss, was er tun soll, zum Beispiel beim Anziehen: Zuerst soll er ein T-Shirt aussuchen, und wenn das erledigt ist, eine Hose, und dann helfe ich ihm damit, dass beides gut zusammenpasst.

Eine neuere Studie ergab, dass demenzkranke Menschen es nicht mögen, wenn man mit ihnen wie mit Kindern spricht, und dass sie sich dann der Hilfe eher widersetzen (Williams, 2008). Es ist jedoch nicht leicht, mit jemandem auf ganz einfache Weise zu sprechen und trotzdem wie mit einem Erwachsenen.

Kochen und Essen

Steve war jahrelang ein kreativer und begabter Koch, der häufig auf fantasievolle Weise das Essen für die Familie zubereitete. Nach unserem Umzug nach Spring Hill kochte er immer seltener. Wenn ich arbeitete, stellte er manchmal ein Fertiggericht in die Mikrowelle und vergaß es dort.

Als wir in unserem neu gebauten Haus einen Gasherd installieren ließen, kam es auch vor, dass er das Gas an- statt abstellte. Jetzt kocht Steve nur noch selten, und wenn er es tut, dann geht er mir dabei nur zur Hand, schneidet zum Beispiel Gemüse und rührt im Topf.

Im Sommer 2007 vergaß er sogar, für sich selbst etwas zum Essen herzurichten, wenn ich noch in der Klinik war oder wieder gerufen wurde, bevor ich das Abendessen zubereiten konnte. Das hatte vorher meist besser funktioniert. Wenn ich ihn dann fragte, ob er gegessen habe, bejahte er das immer und sagte, er habe keinen Hunger. Doch bald stellte sich heraus, dass er innerhalb von drei Wochen 4,5 Kilo abgenommen hatte und sehr schmal geworden war.

Plötzlicher Gewichtsverlust kann eine deutliche Verschlechterung der Alzheimerkrankheit anzeigen, von der sich die betroffene Person nicht mehr erholt. Er wurde damals auf einen anderen Cholinesterase-Hemmer eingestellt (Exelon), doch ohne sichtbare Wirkung, und ich verlor allmählich die Hoffnung, dass es ein Medikament gab, das den Verfall stoppen würde. Ich richtete mich mit 55 Jahren darauf ein, vor Erreichen meines 60. Lebensjahres Witwe zu sein.

Von da an sorgte ich für ein kräftiges Frühstück und stellte ihm ein Mittagessen auf den Tisch, in der Hoffnung, er würde es bemerken und essen. Manchmal tat er das, manchmal nicht. Meist kam unsere jüngere Tochter vorbei und kümmerte sich darum, dass er aß.

In den letzten paar Jahren, bevor wir mit dem Kokosöl begannen, aß Steve im Laufe des Abends oft sehr viel Obst. Seit ich weiß, dass bei der Alzheimerkrankheit Probleme mit der Aufnahme von Glukose in die Nervenzellen möglich sind, frage ich mich, ob sein übermäßiger Obstkonsum mit einem heftigen Verlangen nach Zucker zu tun hatte (Klein, 2008; Zhao, 2008; De la Monte, 2005). Sein Nüchternblutzucker wurde bei mehreren Gelegenheiten bestimmt und war normal, sodass Diabetes als Ursache für den Gewichtsverlust und den Obstkonsum ausgeschlossen werden konnte. Also könnte das übermäßige Verlangen nach etwas Süßem ein Symptom von Alzheimer und anderer, ähnlich gelagerter neurodegenerativer Erkrankungen sein. Meine Großmutter mütterlicherseits starb mit 93 Jahren an „seniler Demenz“, höchstwahrscheinlich war es Alzheimer. Auch sie schien ein großes Bedürfnis nach Süßem zu haben, denn sie trank täglich viele Tassen Tee, süßte jede mit 12 Löffeln Zucker und beklagte sich darüber, dass er nicht süß genug sei. Ein anderer Verwandter, der ebenfalls an Demenz starb, hatte ein Alkoholproblem. Nach meinem Dafürhalten war es eher der Zucker und nicht der Alkohol, der ihn zum übermäßigen Trinken verführte.

Ich stieß auf eine Studie, die ergeben hatte, dass es bei Menschen mit exzessivem Alkoholgenuss 7 Jahre früher zur Entwicklung einer Demenz kommt als bei solchen, die wenig oder gar nicht trinken. Könnte das Verlangen nach Alkohol ein Frühsymptom, aber nicht unbedingt ein ursächlicher Faktor für den Beginn der Krankheit sein? Ich fragte im Internetforum einer Alzheimer-Diskussionsplattform, ob jemand bei seinen erkrankten Angehörigen ähnliche Erfahrungen mit dem Verlangen nach Süßem gemacht habe: Die zustimmenden Rückmeldungen waren überwältigend. (Die Probleme mit der Zuckerverwertung bei Menschen mit Alzheimer werden in Kapitel 14 ausführlich erörtert.)

Leben in Zeitlupe

Ein Buch von Nancy Mace und Peter Rabins über die Pflege von Alzheimerkranken trägt den treffenden Titel Der 36-Stunden-Tag (München: Huber, 1988). Wenn ein Familienmitglied an Alzheimer erkrankt ist, spielt sich das Leben von einem bestimmten Punkt an nur noch in Zeitlupe ab. Dinge, die die meisten von uns erledigen, ohne nachzudenken, können für den Kranken ebenso wie für die helfende Pflegeperson zu einem enorm zeitaufwendigen Unterfangen werden.

Auch wenn Steve sich noch so große Mühe gibt, seine Unterwäsche anzuziehen, nachdem er sie lange und eingehend untersucht hat, zieht er sie schließlich verkehrt herum an – auch nach mehrfachen Versuchen –, bis er schließlich keine Lust mehr hat und sie so lässt. Manchmal lässt er sich von mir helfen, manchmal nicht. Wenn es nicht darauf ankommt, sehe ich darüber hinweg. Wenn wir aber außer Haus gehen, hat er ein Problem, falls er eine öffentliche Toilette aufsuchen muss, und da ich das weiß, muss ich ihn davon überzeugen, dass er sich helfen lässt.

Und so geht es mit jedem weiteren Kleidungsstück. Der erste Versuch geht meist daneben, manchmal schafft er es im nächsten Anlauf, manchmal nicht. Ich möchte, dass er so viel wie möglich selbst macht, doch es ist quälend, zusehen zu müssen und nicht einzugreifen, den Prozess nicht zu beschleunigen, vor allem, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Haus gehen müssen. Auch meine Versuche, ihn zuerst vollständig anzukleiden und dann warten zu lassen, bis ich fertig war, schlugen meist fehl: Wenn ich nach einer kurzen Dusche aus dem Bad kam, konnte es sein, dass er sich wieder vollständig ausgezogen hatte.

Am schlimmsten ist: Steve weiß ganz genau, dass er das alles einmal konnte und jetzt nicht mehr kann. Ich kann nur versuchen, mir vorzustellen, wie demütigend und frustrierend diese Abhängigkeit für jemanden sein muss, der früher so kompetent war.