Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Kampf um die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern geht weiter.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 811
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alles, was geschieht, ist lediglich ein
Wunsch von uns, ein abgesprochener Plan,
irdische Erfahrungen zu machen –
gute und schlechte.
All dies geschieht solange, bis wir erkennen, dass es
weder Schlecht noch Gut gibt.
Wir werden noch lange Geduld walten lassen müssen, jene wenigen Menschen, die
begriffen haben, dass in jedem Lebewesen
ein Engel wohnt, doch vorher werden wir
noch endlose Kriege sehen, die gegen uns
selbst und gegen unsre eigenen Menschenkinder gerichtet sind, und wir werden darüber klagen und lamentieren, bis uns das
Tier eines Tages die wahre Richtung des
Lebens weißt … in ferner Zukunft, die
längst vergangen war und beständig ist, es
liegt begraben, und eine schlaue Pfote wird
es sein, die dies alte immerwährende Wissen ausbuddelt … denn kein Tier auf Erden kann so grausam sein, wie der Mensch.
Prolog
Kapitel 17: Im Herzen sind sie Krieger
Kapitel 18: Hammer am Himmel
Kapitel 19: Voll auf dem Trip
Kapitel 20: Tag der Wahrheit
Mitte Mai 2032 – eine Stellungnahme der Euro-US-Armee
„Was denken Sie nun darüber, Herr Verteidigungsminister, ist es wirklich so, dass die damalige Flüchtlingskrise im Jahr Zweitausendfünfzehn maßgeblich zu der Entscheidung des Europarates beigetragen hat, das Zwangssterilisationsgesetz über den weiblichen Bürgeranteil zu verhängen, da viele Flüchtlingsfrauen bereits schwanger oder Familien mit mehr als vier Kindern aus afrikanischen Staaten oder arabischen Ländern in die damals krisengebeutelte EU einzureisen versuchten oder eingereist sind und sich im neuen Land ihrer Wahl, zumeist in Deutschland, dem Asylantragsverfahren für das Bleiben auf Lebenszeit entschieden haben?“ Die lange Ausführung ihrer Frage nutzte der Reporterin nichts, um den gesamteuropäischen Verteidigungsminister aus der Reserve zu locken.
„Darüber denke ich nicht nach, denn es ist eine Tatsache.“
Seine einsilbig gehaltene Antwort war wie ein einzelner, zudem gezielter Schuss auf die damals amtierende Regierung, die er für zu human handelnd und jetzt für gelähmt ob der entglittenen Lage hielt. Warnungen von Beratern waren in den Wind geschossen worden, der sich gedreht hatte und seit Jahren gegen die gemeinsame Entwicklung blies, die man sich als Chance durch die Zuwanderung erhofft hatte, Integration und Akzeptanz zu finden. Alle Versuche, die frühere Ignoranz der eingesessenen Bevölkerung aufzulockern und die Bürger für die neue gemeinsame Chance zu bewegen, scheiterten in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich.
Als Lesbe lebte die Reporterin April Fulton mit indianischem Hintergrund in der modernen Welt der USA, die sich als Weltpolizei sah und in den europäischen Konflikt zwischen FABOG, rein von Frauen geführt, und der von Männern geführten MABOG eingriff, mit der Euro-US-Army eine rein männlich besetzte Armee den militant organisierten Frauen Europas vorgesetzt hatte, die sich mit einer international gemischten Wehrkraft entgegen dem Diktat der strengen Geburtenkontrolle durch den Krieg kämpfte. Die standhaft handelnde WOMEN-Force brachte sich stets dort in Stellung, wo Frauen dutzendweise abtransportiert und zu den Sterilisationskliniken verfrachtet werden sollten.
Sabotieren. Intervenieren. Befreien.
„Aha … Würden Sie es bitte für Bürger und Zuschauer genauer ausführen, um das Verständnis für diese harte, von vielen als äußerst ungerecht angesehen Maßnahme zu fördern?!“, verlangte die Reporterin.
Bevor der Verteidigungsminister der hartnäckigen Reporterin antworten konnte, wurde er mit einer weiteren Frage bedrängt, die es ihm leicht machte, auf die Ausführung der Gesetzesbelange und Ungerechtigkeiten gegen Frauen oder Minderheiten zu verzichten.
„Sogar Ehemänner und Väter begehren dagegen auf. Sind Sie nicht erstaunt darüber, dass der Widerstand der Frauen mithilfe von FABOG und WOMEN-Force ungebrochen ist?“
„Das ist nur eine Frage der Zeit, bis die Frauen sich ihrem von der Vorsehung erdachten Schicksal und ihrer Bestimmung werden fügen müssen! Das Abkommen mit der Euro-US-Armee wird in Kürze dafür sorgen! Dann ist Schluss mit diesem Emanzipationsunfug – ein für alle Mal!“
„In Kürze? Wie definieren Sie das?“, fragte derselbe Reporter, der ethnisch dem mitteleuropäischen Durchschnittsmann zugeordnet werden konnte: Mitte vierzig, Halbglatze, günstiger Anzug von der Stange, leicht übergewichtig, immer schwitzend.
„Die Kapitulation der WOMEN-Force erwarten wir in den kommenden vierzehn Tagen!“, klang der Verteidigungsminister sicher.
„Warum findet diese Pressekonferenz in diesem bombensicheren Bunkerraum statt, dessen Adresse niemand in der zivilen und militärischen Öffentlichkeit erfahren darf?“, fragte die Indianerin.
Herablassende Ungeduld schwang in der Stimme des Verteidigungsministers mit: „Das dient nicht zu meiner Sicherheit, sondern zu Ihrer – sie alle sind Zivilisten; unser Auftrag ist es, das zivile Leben bedingungslos zu schützen!“ Seine Worte waren blanker Hohn.
„Meinen Sie, das Leben kann an sich geschützt werden, wenn dabei die Rechte der Frauen beschnitten werden?“, traf eine weitere Reporter-Frage ins Schwarze. „Was halten Sie allgemein von der paradoxen Sache, dass in vielen Ländern der Erde neugeborene Mädchen getötet werden, weil nur die Jungen akzeptiert werden, und später genau diese Generationen außerhalb ihrer radikalreligiösen Heimat nach eben solchen Frauen suchen, da es ihnen an diesen mangelt, um ihre Triebe zu erleichtern?“
Den damit ausgestoßenen Ruf nach Liebe kommentierten alle anderen mit Zustimmung und weiteren Unmutsrufen, doch auch die eingebrachten Meinungen konnten den Verteidigungsminister nicht am Nerv der Menschlichkeit treffen.
„Die Zukunftsziele für die Menschheit in Europa ist klar definiert worden. Das ist eine Grundsatzfrage, die bereits mit der neuen Art Politik beantwortet wurde! Auf den Regierungsbeschluss der europäischen Bündnisstaaten verweise ich Sie hiermit!“ Heiß wurde es dem Verteidigungsminister trotzdem nicht, denn er brachte seine zuvor wohl bedachten Argumente emotional unterkühlt vor.
„Ist das also nicht Ihre Politik? Hat das Europaparlament nicht mit dem Augenblick abgedankt, als die Kriegserklärung mit den Zwangsdeportationen quasi den betroffenen Frauen ohne Entschädigungsanspruch oder Selbstbestimmungsrecht vorgelegt worden war? Ist dies nicht vergleichbar mit dem Holocaust oder der Indianerausrottung?“ April gab nicht nach.
Jetzt musste dieser Militär doch einmal eine andere Farbe als den seit den 2000er Jahren getragenen Pixel-Flecktarn >>Europäischer Mischwald<< bekennen! Extra weit hielt sie ihr Camphone nach vorne, damit sie die Antwort des Verteidigungsministers klar und deutlich auf den Chip gespeichert bannen konnte. Ja, sie war rührig in ihrem Element, nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatte, Dokumentationen mittels journalistischer Arbeit wieder aufzunehmen. Ihr war der Geniestreich gelungen, nach dem falschen Attentat in der Kindertagesstätte zu verschwinden, unterzutauchen, die falschen Gerüchte gegen sie, sie wäre die Schuldige, die ein Ablenkungsmanöver inszeniert hatte, um der WOMEN-Force einen Angriffsvorteil zu verschaffen, hatte sich schnell zerstreuen lassen, nachdem sie selbst mittels ihrem erstellten Video bewiesen hatte, kein wirkliches Attentat in Ulm in einem Kindergarten ausgeführt zu haben. Eine Strafe gegen sie wegen Irreführung hatte das Militärgericht augenblicklich ausgesetzt, als sie freiwillig dazu einwilligte, mitten im Krisengebiet direkt an der Front als Reportage führende Journalistin künftig den Soldaten der Euro-US-Army im Einsatz über die Schulter zu blicken. Der SHADOW-Queen war sie beigetreten, die beiderseits Informationen austauschte, nur manchmal vermittelte, aber in erster Linie sich als Schatten-Königin im Hintergrund hielt oder über die Wege des Untergrunds agierte, wodurch es ihr zudem gelungen war, eine Handvoll Soldatinnen der WOMEN-Force und vier Soldaten der Special Agent Group, der SAG-Ten, für die Belange verwaister Kinder, deren Eltern der Krieg im mahlenden Rachen der Gewalt zerrieben und getötet worden waren, auf ihre Seite zu ziehen, an der sie diese Schutzbefohlenen flankierend begleitete. Nur sie selbst wusste genau, was sie tat. Die anderen Bereiche hielt sie fein säuberlich voneinander getrennt, damit sich keiner in die Quere kam, wie es mitten in der Gasse von Gellertsheim einmal passiert war, doch nun war sie diejenige, die das Kriegsbeil ausgegraben hatte und den Kriegspfad beschritt. In ihr wallte das Blut ihrer indianischen Vorfahren. Dass sie die Fäden in der Hand hatte, ihre neuen Vorgesetzten erfolgreich täuschte, indem sie ständig an einer Story dran war, die sie stets auf aktuellsten Stand brachte. Ihr Vorteil war es, zu den wenigen Reportern zu gehören, die den Krieg selbstlos dokumentierten, darum durfte sie zu den Männern, die ihr wie der gierige Bär aus der hingehaltenen Hand fraßen.
„Meine Befehle sind von eindeutiger Natur. Ich führe sie nur aus, denn die entscheidenden Organe sind die Kanzler und Präsidenten, die Kanzlerinnen und Präsidentinnen in der Europäischen Union der jeweiligen Staaten.“ Ob es neben den genannten Problemen, die Miss April >>Early Brightning<< Fulton ansprach, auch noch einen wiedererwachenden Antisemitismus und Verfolgung religiöser oder ethnischer Herkunftsrandgruppen gab, sah sich der Verteidigungsminister nicht genötigt zu beantworten. Er stellte sich mit kühn zu nennender unbewegter Miene den Fragen der Reportermenge, Frauen und Männer aus aller Welt, die sich im bewachten und geschlossenen Bunker eingefunden hatten. Hier herrschte neutrale Zone, die keiner von außen oder aus dem Inneren heraus anzugreifen wagte.
„Welches Zukunftsszenario sehen Sie als Militär für die gesamteuropäischen Bürger voraus? Führung der Frauen? Niederlage der Frauen? Wird es die totale Unterwerfung eines der beiden Geschlechter geben?“ Ihr lebendig pulsierendes Indianerblut tanzte den Weisheitstanz der Frauenseele durch ihre Adern. Sie ließ sich nicht unterbuttern, war eine neue Evolution der verblichenen Gruppenseele der einst beinahe ausgerotteten Ureinwohnerstämme in einem modernen Nordamerika, das sich in die Angelegenheiten ihres Ursprungskontinents Europa, da erst vor wenigen Jahrhunderten mehrere Einwandererströme von Europäern geschehen waren, aktiv regulierend einmischte, denn es betraf schließlich die Interessen der westlichen Welt. Sie gab den Kampf um das Gesamtwohl der Menschheit nicht auf; sie wollte nicht vorm Zerstörungswahnsinn des weißen Mannes kapitulieren, der weder lieb noch weise war.
„Die Machtübernahme der Frauen wird nicht stattfinden.“ Eine sehr selbstsichere Aussage des Verteidigungsministers war dies, die erneut einen verbalen Tumult auslöste, den er an sich abperlen ließ. Dabei blieb er völlig unbewegt.
„Und warum nicht?“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Drücken Sie sich etwas deutlicher dazu aus!“
„Frauen fehlt die klare Vorstellung einer zukünftig funktionierenden Gemeinschaft – und ihnen fehlt die Macht des Geldes.“
Wo und wann fing es an,
und wer zog die Menschen in den Bann,
zu streben nach einem Sieg
in aussichtslosem Krieg?
Der gesuchte Frieden, ein geisterhaftes Phantom,
das zu finden wir glauben im Atom.
Im Vernichtungsexzess verrannt,
haben wir noch immer nicht erkannt,
dass der Weltenordnung nicht vorausgehen die brachialen Hiebe,
sondern es kann nur frei agieren die Liebe.
Jeder dies für sich anders definiert,
doch kein Herz wird defibrilliert,
um lediglich zu schlagen –
so hört ihr jenes Herz nicht lauthals klagen?
Mutter Erde wehrt sich mit Gewitter.
Mensch, Tier und Pflanze reagiert mit Gezitter.
Und selbst nach der größten Naturkatastrophe,
singen wir die nächste Militärmarschstrophe;
die Menschheit ist pervers
im Dichten des Soldatenepos-Vers,
denn ihre Seelen sind fern vom Sein –
in Wahrheit entfernt kein Wurf mit dem Stein.
Die schlechten Erfahrungen an uns kleben,
so fällt es vielen schwer, zu erklimmen die prallen Glückswein-Reben.
Darum setzen Soldat, Landser und Bauer
auf den falschen Trebensaft: sauer.
Die Antworten liegen niedergeschrieben im I Ging,
welches die Menschheit einst durch Ersie empfing.
Weil wir so laut tanzen im Kriegsreigen
merken wir nicht das universelle Schweigen,
das uns warnt,
doch wir sind getarnt.
Auf Brechen und Biegen:
Wir werden niemals über uns selbst siegen.
Myrinas Macht - Blitzblicke
„Bis in die späten 2020er Jahre hinein waren Religionsführer und Staatsoberhäupter, männliche und weibliche
gleichermaßen, der Überzeugung verfallen, der Weg der
Menschwerdung bestehe darin, sich zu lieben und zu mehren, im Sinne von vermehren an Zahl der Personen.
Das ist mangelhafter Übersetzung aus den Ur-Texten der
Religionen zu verdanken, dass wir den eigentlichen Sinn
zwischen den Zeilen nicht richtig zu deuten vermögen.
Den Männern wurde damit signalisiert, das Recht auf Vergewaltigung zu haben, was sie mit den fehlgedeuteten Heili
gen Schriften zu rechtfertigen und zu entschuldigen sich
herausnehmen. In Wahrheit steckt in den biblischen Worten
etwas ganz anderes, etwas, das der Menschheit noch nicht
zu Bewusstsein gekommen ist: wir sollen die Liebe in Weisheit mehren, indem wir tolerant werden und uns selbst und
andere Menschen mit unseren und mit ihren Schwächen
und Stärken annehmen, wie wir einst geschaffen worden
waren. Vergessen wurde die Liebe, welche in Wahrheit die
Erhöhung ist, welche wir Menschenwesen benötigen, um
unsre eigentliche Bestimmung und Selbstverwirklichung zu
leben, die unser wahres Potential innen wie außen zum
Wirken bringt. Ein mächtiges Potential ist in jedem von uns
veranlagt, doch nur wenige sind sich dessen bewusst, und
viel zu viele davon nutzen ihr Können für egoistische Ziele.
Kann es Ersies Wille sein, dass wir uns vermehren, aber
dadurch auf Mutter Erden Rücken in Not und Leid leben,
ohne tatsächlich zu sein?
Männer als Zeugungsmaschinen, Frauen als Gebärsklaven
– ist das der uns vorherbestimmte Weg?
Ist die nun angestrebte Umkehrung, Frauen sterilisieren zu
lassen, weil wir wie die Heuschrecken den Planeten ratzekahl leerfressen, die Lösung allen Übels?
Wer ist Verursacher?
Wer ist Opfer? Wer ist Täter?
Jeder und jede von uns.“
Colonel Denise Salgado – WOMEN-Force
Was sich zusammenbraut
3. Juni 2032; im zerstörten Zentrum von Ulm
Sonnenstrahlen stachen unerträglich heiß vom Himmel. Leer stand der wartende Zug im Gleisbereich des Hauptbahnhofs, wo im Areal unter freiem Himmel der Güterabfertigung der Konvoi mit Frauen zum Sterilisationstransport ankommen sollte, abgestellt. Ein zivilisiert friedlicher Anblick war dies, wenn nicht überall der gelblich-weiße Staub sich als Patina des Krieges durch abgeworfene Phosphorbomben und gezündete Sprenggranaten niedergeschlagen hätte, der dieser Szene etwas Skurriles einhauchte, wenngleich im selben Moment kein Hauch von Wind blies und die Hitze flimmernd über dem Gleisbett waberte. Der Personenzug war ein moderner Loop, der für Passagiere keinen Komfort missen ließ. Vom Zug ging kein Geräusch aus. Alle Motoren ruhten; auf dem Zubringer, der von Lastwagen mit Anhänger befahren werden konnte, ließ sich kein Anzeichen von der Ankunft des Militärkonvois ausmachen, der längst hätte eintreffen sollen. In der brennend trockenheißen Luft lag die Spannung des Wartens und das Flimmern der frühsommerlichen Hitze, die sich an diesem Tag in den mittleren Nachmittagsstunden zum Glutofen einer Gesenk-Schmiede entwickelt hatte, in der das Eisen der verlegten Gleise zu schmelzen beginnen wollte. Wie sich wütend in einem Korb windende Schlangen erschienen die Gleisstränge in der knapp über dem Boden erhitzten Luft, die eine Spiegelung in Wasser zu simulieren vermochte. Niemand war hier, um die für die Umwelt giftigen Rückstände der Bombenangriffe zu beseitigen. Verlassen war dieser Ort, der früher täglich von Lärm der an- und abfahrenden Züge zu einem Umschlagplatz von Gütern und einem Portal für um- und zusteigende Reisende aus aller Welt und Berufspendler aus dem nahen Umland gewesen war.
Flachwagen, mehrere hintereinander angekuppelt, die als Transportplattformen für Militärfahrzeuge der Euro-US-Armee dienten, waren auf einem anderen Gleis im Güterbahnhof erst kürzlich abgestellt worden, denn auf den aufgeladenen Panzern und einem gigantischen Stromgenerator hatte sich bislang kein Dreck oder Staub niedergeschlagen, wie es erst nach Wochen sichtbar war. Die schwere Militärausrüstung und die kolossalen Fahrzeuge wirkten blitzsauber wie eben erst durch eine Waschanlage gefahren und an der Sonne getrocknet. Kein Motorenlärm war zu hören, alles war still. Keine Lok zum Rangieren innerhalb des Gütergleisbereichs oder zum baldigen Weitertransport war vorgespannt oder stand in der Nähe auf demselben oder auf einem der mehreren anderen Gleise bereit.
Die Stille am Bahnhof und in der naheliegenden Umgebung war von meditativer Ruhe, die für Ungeübte im Dasein des Eremiten beklemmende Angst hervorrufen konnte, in der nicht einmal der Ruf eines geschäftig zwitschernden Vogels, das Bellen eines wachsamen Hundes oder das Fauchen einer genervten Katze zu hören war. Von Insekten war kaum eine Spur. Kaum, denn selbst Aasfliegen hatten ihre liebe Not in dieser toten Stadt ein Mahl zu finden. In den Ritzen und Zwischenräumen des mit Kalksteinschotter gestopften Gleisbettes wuchs vereinzelt ein Grashalm hier und da, doch dies konnte nicht die Nahrung für Tiere sein, denn das dürre Gras war gelbbraun verdorrt und ungenießbar kontaminiert. Die Bäume, am Rand des Güterabfertigungsbereichs wachsend, trugen zwar ihr saftig grünes Blätterwerk, doch kein Vogel in den Baumkronen saß, sein Nest baute und sein Lied von Leben und Liebe trällerte, denn es gab keine oder kaum jene Insekten, von denen sich ein Vogel und seine Brut hätte ernähren können. Die alljährliche Vogelhochzeit war im Frühjahr nach Bombardierungen ausgefallen.
Keine Feier zum Eröffnungstag des Bahnhofs hatte es diesmal gegeben, der an runden Jubiläumstagen groß und in den Jahren dazwischen etwas kleiner mit festlichem Akt begangen wurde, denn, obwohl zeitweise ruhender Kampfhandlung, war es im geräumten Niemandsland gefährlich, sich aufzuhalten oder zu bewegen. Erst am 1. Juni hatte sich die Eröffnung des Knotenbahnhofs Ulm, zentral gelegen im Westen der zerbombten Innenstadt, erneut gejährt. Seit Mitte des Jahres 1850 fuhren regionale Züge, die später überregionale neue Anbindungen in alle Richtungen Deutschlands dazu erhalten hatten. Vor diesem Krieg zwischen den Geschlechtern war reges Leben auf baden-württembergischem Verkehrsnetz nach überall hin in Deutschland vorherrschend gewesen, was den Arbeitsalltag und den täglichen Schülertransport unabhängiger von privaten Fahrzeugen der Eltern und vom öffentlichen Busbetrieb gemacht hatte. Jetzt gab es weder ein Fest noch eine Busaktion, mit der Freunde von Bus und Bahn zu den Feierlichkeiten kostenlos herbeigekarrt worden wären. Es herrschte der Geschlechterkrieg überm Willen des Volkes, dessen Bürgerrechte schlicht ausgesetzt worden waren.
Dem fleißigen Süddeutschland, das eine von Industrie und Dienstleistungen geprägte Gesellschaft und Wirtschaft gewesen war, waren die alltäglichen Grundlagen und Möglichkeiten einer intakten Infrastruktur bereits nach den ersten wenigen, dafür heftigen Kampfhandlungen in der Region größtenteils durch Bombenangriffe aus der Luft und von unzähligen Häuserkämpfen nach und nach genommen worden. Mit Beginn des Krieges zwischen den Geschlechtern, der sich mitten in Europa austobte, waren Infrastruktur in Ulm und der Umgebung darum herum und das zuvor geregelte Alltagsleben komplett zum Erliegen gekommen, was eine Abwanderung der Bevölkerung nach sich gezogen hatte, die durch eine im Anschluss der großen Massenflucht eingeleitete Zwangsumsiedelung in die jeweils ausgewiesenen Territorien für Männer und Frauen gemündet war. Frauen waren in den deutschsprachigen Südosten, die Männer in den Nordwesten getrennt umgesiedelt worden. Das dadurch entstandene Niemandsland, ein Korridor fürs Militär beider Seiten und ein Todesstreifen, in dem jeder jeden töten durfte, der sich hineinwagte, diente nur noch dem Transport von militärischen Versorgungsgütern, Gefangenen oder den Sammeltransporten von Frauen, die zur Sterilisation in einer der geheimen Kliniken vorherbestimmt waren. Regelmäßig, beinahe täglich wurden Frauen gesammelt abtransportiert, deren Schicksal niemand mit geöffneten Augen und mit weitem Herzen sehen und wahrnehmen wollte. Hier trauten sich nur noch Menschen her, die keine Nerven im Leib hatten, sich freiwillig dem Garaus auslieferten, denn die Gegend war so sehr verseucht, dass man nach wenigen Tagen erkrankte.
Eine kurios klingende Erklärung gab es dafür, weshalb in diesem Krieg sich die Menschheit nach der endgültigen Klärung jener Jahrtausende alten Frage der Ungewissheit sehnte, welches das wahre starke Geschlecht ist: Die Männer mussten einst den Satan erfinden, um sich aus der sklavischen Unterdrückung der herrschsüchtigen Weiber zu erheben, wobei sie sich anfangs nicht einig gewesen waren, denn das Leben war gut gewesen – scheinbar gut. Es war in jedem Fall besser als jenes Leben, das unter der Herrschaft der Männer folgte, die sich in Bewahrer und Vernichter teilten, denn sie waren uneins darüber, welcher Umgang mit den Frauen der richtige sei.
Unterdrückung!
Freiheit!
In ihrem brutalen Irrtum, da sie sich selbst überschätzten, sie allein könnten die Bestimmungsrechte an sich reißen, trieben sie es so weit, Frauen mit körperlicher Macht, gegen ihren freien Willen, zu unterwerfen, was sie seit Jahrtausenden exzessiv tun … und dabei vernichten sie alles, was ihnen im Weg steht; was das wahre Ziel ist, haben beide Seiten aus dem Blick verloren, denn selbst Frauen wählten freiwillig ihre Unterdrückung: erzwungene Liebe.
Transporttrupp des Second SAG-Captains Turner
Ein knappes Jahr war es nun her, als der Personenzugverkehr vor dem ersten Bombardement eingestellt worden war. Umschlag von Gütern gab es kaum mehr, wenn Transporte hier ankamen oder durchgelotst wurden, waren es Versorgungszüge für die Militärnachschübe für die Truppen an den Frontabschnitten im bayrischen Südosten oder für die württembergische Ostalb. Der Nachschub sämtlicher Materialien – von Kampfausrüstung bis zum alltäglichen Essen - ließ sich hier perfekt organisieren und von der MABOG durchführen. Die FABOG musste sich anderer Wege bedienen, denn die Euro-US-Army hatte sich den Zugang zum Ulmer Hauptbahnhof in vorherigen Kämpfen erobert, wo zudem die Deportationstransporte zentral für den bundesdeutschen Südosten in alle Richtungen geleitet wurden. Ein europäisch wichtiger Knoten war dieser Hauptbahnhof somit geworden, was allerdings nicht wesentlich im Interesse des normalen Bürgers, der lediglich das Nachsehen hatte, sondern im Fokus der Regierungsbestimmung stand, die sich um die Durchführung und Einhaltung des Gesetzes zur Geburtenregulierung nicht nur bemühte, sondern dies zur Hauptsache einer ganzen Division an Euro-US-Soldaten gemacht hatte, die sich Schlacht um Schlacht mit der WOMEN-Force lieferte und die Ordnung in der ausgebombten Zone und in beiden getrennten Territorien wiederherstellen sollte, aber bislang an der ungebrochen intensiven Kampfbereitschaft der FABOG scheiterte. Immer wieder ergab sich infolgedessen eine Patt-Situation, die keinen eindeutigen Sieger hervorbrachte.
In seinen rehbraunen Augen lag eine Sanftmut, die seiner Aufgabe vollkommen widersprach, die Verantwortung für den Konvoi allein auf sich nehmen zu müssen, da sie keinen Funkkontakt mehr zum führenden First Captain Taylor und den begleitenden Unteroffizieren hatten, die im Radpanzer vier zu ihrem Pech festsaßen und keine Unterstützung mehr sein konnten. Sie mussten es selbst schaffen, den wartenden Zug zu erreichen. Second Captain Michael William Turner musste immer wieder die hartnäckig festsitzenden Sorgen aus seinen Gedanken unterm trotz schweißtreibender Hitze in Vorsicht aufgesetzten Stahlhelm verdrängen, was ihm in seiner aufgezwungenen Funktion als derzeitiger Truppführer beim beklemmenden Schaueranblick der Trümmerstadt um sie in Ulm herum mit der Überwindung von Barrikade zu Barrikade stetig schwerer fiel. Der Radpanzer, in dem er saß, konnte begrenzt manches Hindernis überwinden, das sich ihnen aus Trümmerteilen oder Granattrichtern in den Weg stellte, aber das nutzte kaum etwas, denn der Transport-Lkw mit den Frauen diese Blockaden nicht überwinden konnte.
Diese destabilisierte Lage in Europa fand keine Ruhe, aus der man ein Friedensabkommen hätte niederschreiben können. Keines der Geschlechter beugte sich dem anderen; jedes behauptete sich in Wiederholung von Kämpfen, Anschlägen und Sabotagen. Niemand überwand sich, der Gegenseite entgegenzukommen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika waren wider ihrem Willen gezwungen, sich in den Konflikt einzumischen und konnten nicht nur an sich selbst zuerst denken, wie es einst unter der Staatspräsidentenführung von Donald Trump gewesen war, der volle Absicht gehabt hatte, eine kilometerlange Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, was nur ein sichtbarer Teil seiner abschirmenden Taktik gegenüber der restlichen Welt war, die er als Großmacht unter seinem wachenden Auge hielt. Seine Isolierungsversuche hatten in letzter Instanz der Umsetzung nichts genutzt – Mexiko war in Anbetracht eines ausbrechenden Dritten Weltkrieges das geringere Problem gewesen. Wieder griffen die Amerikaner ins europäische Kriegsgeschehen ein, denn eine anrollende Flut von Flüchtlinge aus Europa in die USA, die sich von der führenden Rolle als Weltpolizei, da Russland sich aus der Angelegenheit vollkommen heraushalten wollte, unter der Präsidentschaft von Trump hatte distanzieren wollen, waren ihre größte Furcht, weshalb sie das brandakute polizeiliche Bündnis mit europäischem Militär sofort eingegangen waren, das unter deutschem Oberkommando stand, das die USA in ihrer Schuld alter Reparationen sah, in der Ausführung der Einsätze und Operationen jedoch von US-amerikanischen Offizieren unterstützt und präventiv sowie gezielt eingreifend geleitet und befehligt wurde. Konflikte der Europäer mussten vor Ort eingedämmt werden, da sie sich außer Stande sahen, weitere Menschenschwemme in die bereits multikulturell gemischte Bevölkerung aufnehmen zu können. Einst waren Europäer im Ersten und im Zweiten Weltkrieg aufgebrochen, um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf der anderen Seite des großen Teichs zu ergründen, das längst an seine Grenzen stieß und weitere Einreiseströme an politisch Verfolgten vom Kontinent ihrer Urväter und Urmütter vorbeugend zu verhindern versuchte, indem es sich auf europäischem Boden in die Geschehnisse einmischte.
Als Polizist kannte Second Captain Turner in den USA die Probleme des kleinen Bürgers, die er oftmals mit Härte oder mit Milde hatte gesetzlich regeln müssen.
Wenn ich den Krieg überlebe, gehe ich ins theologische Studium, züchte Bienen und kehre dieser gnadenlosen Welt den Rücken!, kam Michael für sich selbst zum Schluss seiner eigenen Ziele.
Was war geschehen, dass erneut auf europäischem Festland ein Krieg Vernichtung und Tod über die Bevölkerung brachte? Woher das europäische Problem kam, war eine weiterführende Angelegenheit, die sich aus den unterschiedlichen Konflikten zusammensetzte, in Afghanistan und Syrien teils ursächlich wiederzufinden war, noch aus weit zurück liegenden Problemen in der Vergangenheit der menschlichen Geschichte stammte, und dort, wo grundsätzlich auf Erden Unterdrückung der Frauen überall herrschte und die Zerstörung durch jahrzehntelangem Krieg und durch immer wieder aufflammende Unruhen voranschritt.
Europa schien, wie schon oft zuvor, abermals Zentrum emotionaler Explosionen zu sein, da sich hier mannigfaltig unterschiedliche kulturelle und politische Ansichten trafen, die früher mit Schwert und Schild, dann mit Reiterhammer und Bogenschützen und später mit Gewehren, aufgepflanzten Bajonetten und Kanonen bis hin in die modernen Zeiten mit Maschinengewehren, Panzern und Bomben ihre jeweils eigenen politischen Interessen hatten erkämpfen und durchsetzen wollen.
Dabei war und ist der kleine Bürger nicht der Schuldige, dem man falschen, synthetischen Honig der Beschwichtigung um den Mund schmierte und zugleich alle Mittel nahm, sich selbst ein gutes Leben zu gestalten.
Syrer wurden von Syrern verfolgt und massakriert. Afghanen opferten ihre Familienmitglieder, wenn nur der geringste Verdacht bestand, dass die uralten, nicht mehr zeitgemäßen Traditionen eingehalten wurden. Die Einwanderer, die einst aus diesen kriegsgebeutelten Ländern und Regionen nach Europa kamen, waren Vertriebene, Verfolgte, politisch Ungehorsame, die dem Gedankengut der Gutmenschen nach nur Freiheit und Zuflucht vor der radikalen Religionsansicht und der Vernichtung suchten, der Gesinnung der im deutschsprachigen Raum versteckt lebenden Reichsbürger nach rein den religiösen Zwist und den bombenden Terror gegen das öffentliche Leben, in dem sich Frau und Mann in individueller Weise zeigen und verhalten dürfen, in das aufnehmende Lager brachten. Mit Verstand ließ sich rückblickend keine Erklärung dafür finden, insbesondere die o diskutierte Wahrheit im Zwischenraum der in zwei Richtungen krass geäußerten Meinungen jener Leute, die ihre extremen Ansichten vorm geltenden Gesetz nicht hinter dem Berg hielten und damit mehr als nahe an der Volksverhetzung vorbeischrammten. All dies waren nicht annähernd die gesammelten Gründe in der Summe, warum dieser Krieg ausgebrochen war.
Wassermangel, schlechte Versorgung mit minderwertigen Lebensmitteln, kein Zugang zu sanitären Anlagen und nicht vorhandene Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze waren die Gründe der Menschen, die in ihrem primitiven Leben keine Chance als die Flucht in ein andres Land, auf einen anderen Kontinent sahen. Sie gaben ihre Wurzeln auf, um in der Ferne Glück zu finden, doch meistens war dies eine weitere Sackgasse, in die sie flüchteten. Dieser Wandel hatte die gesamte Bevölkerung in Bedrängnis gebracht, die sich mit Gewalt ihren Ausweg suchte.
Was seit tausenden von Jahren in Vergessenheit geraten und in allen religiösen Schriften als Warnung zwischen den Zeilen verfasst worden war, war eine zerstörerisch wirkende Energie, die nicht aus dem All über den Planeten Erde gekommen war, weil sich fremde, fortgeschrittene Zivilisationen diesen Lebensraum für die Fortpflanzung ihrer Art erobern wollten, sondern weil der Ego-Trip der Menschheit an der Kleinkrämerei, der Intoleranz und an der materiellen Haben-Sucht hing, was keinen friedlichen Ausgleich bewirkte. Eine streng regulierte Ein-Kind-Taktik hatte sich nicht umsetzen lassen; kein finanzieller Anreiz dazu war den Bürgern zugestanden worden, womit Ausgleich gegeben wäre.
Wann wird die Umsicht siegen?, fragte sich Turner, der in die chaotische Trümmerlandschaft um sich herum blickte, die früher eine belebte Stadt gewesen war. Unglaublich unwirklich erschien ihm das alles hier, dass er sich tatsächlich still die naive Frage stellte, selbst einen Beitrag zu all dieser Zerstörung geleistet zu haben. Die Antwort seiner inneren Stimme gefiel ihm natürlich nicht, denn er wollte auf der für ihn sauberen Seite sein, die für Gerechtigkeit und Ordnung einstand, die er und der SAG-Ten-Trupp gesetzlich mit Militärmacht für eine Bürgerpolitik mit Zukunft ausführen sollten: Ja, auch du, wenngleich du dich für ein winziges Zahnrädchen im gesamten Getriebe des Menschheitsmotors bist, musst verstehen, dass du genauso einen Anteil an Mitverantwortung dafür tragen musst, wie jene Politiker, die für das Volk eine einschneidende Veränderung beschlossen hatten!
Weise Worte sprach seine Seele zu ihm, dennoch ignorierte er sie, weil er sich im Zugzwang sah, seinen Dienst für die Menschheit verrichten zu müssen, obwohl er den in ihm herrschenden Zwiespalt, die Kluft zwischen Kadavergehorsam und Desertieren, nicht auffüllen oder schließen konnte. Was ist meine Pflicht? Michael fühlte sich lediglich wie eine missbrauchte Mikrobe, die man mit süßer Zuckerlösung in einer überschaubar winzigen Petrischale angefüttert, mit Instruktionen euphorisiert, mit schweren Waffen gerüstet und in eine aussichtslose Schlacht entsendet hatte, die keine Sieger, nur Verlierer hervorbringen würde; aber er übte sich vor jedem Einsatz im Gebet um Schutz und geistige Führung. Wieder sprachen Waffen barsch ihre vernichtenden Worte, denn, um das Böse unter den Menschen einzudämmen oder gar zu bannen, mussten noch mehr Soldaten aufmarschieren, Bomben hagelten und Menschen erfuhren Schmerz in ihrer Ganzheit als dreifaltiges Wesen, das sie selbst verleugneten und in Illusionen gehüllt verzweifelt bekämpften, da sie in ihrem Wahn die eigentliche Zielsetzung aus den nach Macht und Geld gierigen Augen verloren hatten: Liebe – die machtvollste, immerwährende Kraft.
Der andauernde Krieg zwischen Euro-US-Army und der WOMEN-Force sollte irgendwann die Lösung für das bestehende Dilemma der Überbevölkerung bringen, sollte die Unstimmigkeiten unter Männern und Frauen ausmerzen, aber der Wille der weiblichen Bevölkerung war nach wie vor am beschleunigten Erwachen, was die bisherige Rollenstrukturen in ihrer Jahrtausende lang verharrenden Starrheit nun mehr und mehr aufbrechen ließ und zu unumkehrbare Veränderungen führte, die von Frau und Mann abverlangt wurden, ihr wahres Ich-bin zu erkennen; ihr Kampf war in der Aussicht in der Gewichtsverteilung aus der einseitig zur Seite des bislang dominierenden Mannsbildes herunterhängender Waagschale am Umschwenken. Die dadurch entstehende Pendelbewegung brachte es im gesamten Universum mit sich, eine Energieverlagerung vorzunehmen, die einem immer wiederkehrenden Naturphänomen unterliegt, das in beständiger Bewegung ist, sich nach einem Rhythmus von etwa 20 000 bis 25 000 Jahren verhält – der Atemzug, das Herz-Lungen-System des Universums: 25 000 Jahre Einatmung gefolgt von 25 000 Jahre Ausatmen (einatmen und aufwärmend ist das Yang, das Männliche; ausatmen und kühlend ist das Yin, das Weibliche).
Das europäische Kalendarium, das sich als allgemeingültiger Weltkalender durchgesetzt hatte, war nach westlicher Zeitrechnung im Jahre des Herrn 1582 von Papst Gregor XIII verkündet worden, kam mit seiner astronomisch-mathematischen Berechnung der menschlich definierten Zeitrechnung am allernächsten. Ab dem Jahr 2012 der weiterhin gültigen, westlich-christlichen Zeitrechnung war wieder einmal der Wendepunkt am 12.12.2012 um 12 Uhr 12, ein neu anbrechendes Zeitalter erreicht worden, was sich verstärkt mit Naturkatastrophen des umstrittenen Klimawandels und in gewalttätigen Unruhen in Ländern zeigte, die in Religion und Politik insbesondere die Unterdrückung der Frauen in ihrer Gesetzgebung befürworteten und seit Jahrtausenden, durch die vollkommen beabsichtigte Falschauslegung – verwendet als Machtinstrument zur Gedanken- und Verhaltenskontrolle - religiöser Schriften alltäglich lebte.
Ein Erwachen des Ich-bin und vorrangig die Wiederbelebung der weiblichen Rechte auf Freiheit und Selbstbestimmung waren die Ergebnisse dieses wiederkehrenden Einflusses aus dem lebendigen Universum, das für die an sich noch immer primitiv entwickelte Menschheit weitere Impulse sendete, sich aus der momentan modernen Steinzeit zum fortgeschrittenen Menschen, dem höchsten Wesen der Liebe, zu entwickeln, das wir längst hätten sein und erreicht haben sollen. Die zum Leidwesen falsch getroffenen Entscheidungen und unbewussten Verfehlungen von zig Jahrtausenden waren die Ursache, weshalb es bislang nicht zu einer Einigung zwischen den festgefahrenen Kriegsfronten gekommen war.
Das Wirkprinzip der Weiblichkeit hatte in dieser Phase des widerkehrenden Welten-Zyklus Fahrt aufgenommen, um das der Männlichkeit auszubremsen, was dazu dienen sollte, an den Punkt im Mittelklang zu gelangen, zur alles heilenden Quelle des Ur-Tons. In all den Jahrmillionen der Menschheitsentwicklung war es bislang nur extrem wenigen Menschen, die ihre Dualseele gefunden hatten, gelungen, diesen absoluten Mittelpunkt zu halten, der das göttlich geeinte Ichbin des Individuums mit dem Hier-und-Jetzt verbindet, um die Ewigkeit der Seele und die Unendlichkeit des Raumes als eine Wahrheit zu manifestieren, die frei von allen früher erschaffenen Illusionen ist, was das Sein im eigentlichen Esist lebendig erwachen lassen wird. Der Weg dorthin ist ein langer Geburtskanal, den wir auf unsere ganz ureigene Weise gangbar beschreiten und meistern müssen.
Ergebnislos und von der eigenen Ratlosigkeit enttäuscht schaltete Michael die gedankliche Reise durch politische und esoterische Zeitgeschichte aus, da merkte er, dass es Esoterik, Religion, Politik und all die anderen Richtungen von Lebensweisen und Ansichten in Wahrheit gar nicht gab.
Den bislang nach innen gewendeten Blick seiner rehbraunen, sanften Augen richtete er aufmerksam in die zerstörte Außenwelt, in der es nur wenig grüne Flecken gab, die zumeist von ihnen selbst mit den Uniformen und Militärfahrzeugen gebildet wurden, wo seine Sinne dem Fahrer behilflich sein mussten, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen, ehe sie genauso hängenblieben, wie es der SAG-Besatzung von Radpanzer vier passiert war.
Aus der Ruhe, die für lärmberieselte Stadtmenschen innere Beklemmung bedeutete, da sie die Geräuschlosigkeit nicht kannten und ertragen konnten, schwoll ein Geräusch an, das der Geburtsschrei eines Wesens war, das nach der Durchsetzung eines perfiden Gesetzes brüllte, das sich die Menschen in ihrer Verzweiflung geschaffen hatten, das aus der Energie der Angst heraus zu einem aufgeblasenen Monster mutierte, gegen das sich Armeen zum Aufstand erhoben, aber sie erkannten nicht, dass sie selbst das erweckte Ungetüm waren.
Weder Lärm noch Stille können auf dem Erdenmantel der endlos geduldigen Mutter Gaia in aller Ewigkeit bestehen, denn irgendwann sorgt die pulsierende Natur selbst dafür, dass in die kurzweilige Starre des Augenblicks verändernde Bewegung kommt, die Geräusche und Gerüche mit sich bringen oder für Ruhe und klare Luft sorgen.
Tote Tauben hätte der Krach zu neuem Leben wiedererwecken können, wenn ein einziger Vogelkadaver im Areal des Ulmer Hauptbahnhofes gelegen hätte, aber es gab nicht ein einziges totes Tier, das hier herumlag und in Verwesung übergegangen war; die letzten Tiere, die sich einst in dieser geschundenen süddeutschen Stadt aufgehalten und einen Lebensraum belebt hatten, waren fort und kamen nicht wieder, solange der Mensch und die Kriegsgeschehnisse in der Gegend weiterhin ihren Einfluss nehmen würden. Ein Mikrowellenangriff hatte sämtliche Vögel aus dem Stadtzentrum verscheucht und das letzte Insekt in die Desorientierung getrieben, bevor es im purpurnen Chemikalienregen verendet war.
Nach der radikal ins Kriegsgeschehen eingreifenden Aktion der WOMEN-Force, einen genetisch manipulierten Viren-Bakterien-Cocktail über der Stadt zu versprühen, um nur die männlichen Soldaten für eine Weile auszuschalten, um die Frontbewegung zu Gunsten der Frauen zu verändern, hatte nur einen Tag später die MABOG ein eigenes Sprühkommando geschickt gehabt, das mit Chemie den infektiösen Schleimüberzug bekämpft hatte. Diese übereilte Gegenmaßnahme hatte gering genutzt. Dennoch waren innerhalb weniger Stunden tausende Soldaten der Euro-US-Army an fiebrigem Brech-Durchfall erkrankt gewesen, der für die WOMEN-Force Vorteile und Aufschub von Deportationen mit sich gebracht hatte. Eine atomare Katastrophe wäre in jedem Fall schlimmer gewesen, aber diese beschwerlichen Umstände der Epidemie waren einer solchen Katastrophe in kleinerem Ausmaß gleichgekommen.
Die Phosphorbrandbomben hatten ihre Aufgabe der brennenden Säuberung in Perfektion ums Zentrum der gebeutelten Stadt herum erledigt, als beide Kriegsparteien ins geschundene Trümmerfeld mit brachialem Bombardement ihre Argumente reingepflastert hatten, was Drohnenträger hatten heranfliegen können. Dadurch hatte man die wenigen vorhandenen, noch befahrbaren Wege durch die Stadt der toten Einsamkeit, was aus Ulm nun geworden war, noch weniger oder gar nicht mehr nutzen können, um dringend benötigten Nachschub oder die eingesammelten Frauen zu transportieren, die sich eine Weile dem Sterilisationsgesetz erfolgreich entzogen hatten.
Dröhnender Motorenlärm einer zunächst ungenau bestimmbaren Anzahl an schweren Militärfahrzeugen schwoll wie heranrollender Sturm fürs menschliche, sondierende Gehör aus undefinierbarer Richtung langsam an, drängte immer näher ans verwaiste Portal des Hauptbahnhofs heran, und mit dem anschwellenden Radau kam eine Staubwalze herbeigerollt, die eine gelblich wabernde Wolke als lebendig sichtbare Aura um die Radpanzer und den LKW-Konvoi bildete, die ein Ausdruck von Eile und Entschlusskraft um die anrückenden Militärfahrzeuge legte. Ein Anblick, der Besorgnis erregte, war es – doch den vereinzelten Zivilisten, die sich unbemerkt in der Stadt verbargen, fiel dies nicht ins Auge, und nur die Militärs auf beiden Seiten hatten die technische Möglichkeit, das Niemandsland mit Satellitenaufnahmen zu überwachen - die Ankunft des Konvois stieß den Schrei nach neu aufflammenden Kampfhandlungen aus, ohne dass die Sirenen auf den Dächern der kommunalen Gebäude zu heulen begannen; keiner war hier, um es zu hören.
Wem hätte diese Warnung also überhaupt genutzt?
Nur wenige Menschen hausten im Verborgenen oder am Stadtrand, wo sie sich der Schwierigkeit gegenübersahen, die täglichen Kontrollen ohne Gefangennahme zu überstehen, denn das Motto lautete auf beiden Seiten: keine Gefangenen – wer in die Hände der Militärs fiel, durfte sich aus dieser Welt verabschieden; für Gnade gab es keine Zeit und keinen schützenden Raum. Das zerstörerische Ego des Krieges hielt Zepter und Zügel der Macht fest in beiden Händen.
Seit Stunden standen sämtliche Signale für den Klinik-Transportzug auf Erlaubnis für die Abfahrt gestellt, aber ohne die zu transportierenden Frauen war es schlicht ein Zug, der lediglich bereitgestellt worden war. Einen Lokführer brauchte jener Zug nicht, denn im Triebkopf des Loop befand sich die derzeit modernste Technik der Eisenbahngeschichte, die von Menschenhirnen erdacht worden war. Aus einer Betriebszentale in Karlsruhe wurde der Bereich von Ulm durch Fahrdienstleiter ferngesteuert über festgelegte Fahrstraßen – notfalls konnte der Loop wie früher auf Sicht von einem Lokführer im Führerstand des Triebkopfes gesteuert werden - an einen vorherbestimmten Ort gesteuert. Dieser Ort, wohin die Frauen in eine der mehreren Sterilisationsklinik transportiert werden sollten, war nur wenigen damit vertraut beauftragten Militärs bekannt. Die Öffentlichkeit sollte davon nicht in Kenntnis gesetzt werden, um bereits im Vorfeld zu verhindern, dass sich weitere Milizen bilden und die verfrachteten Frauen von mutigen Ehemännern oder anderen Verwandten und Freunden befreit und vor ihrem Schicksal bewahrt werden konnten.
Große Erleichterung schwang in der Stimme des Soldaten hinter dem Steuer, der schon nicht mehr daran geglaubt hatte, dass sie in diesem Jahrhundert noch das Gebäude des Ulmer Hauptbahnhofes überhaupt zu sehen bekommen würden.
„Wir sind da!“, teilte der Fahrer an den zweiten Hauptmann der SAG-Ten-Einheit mit, die im militärischen Rahmen der 43sten Infanterie-Division diese Mission verspätet bis zum Hauptbahnhof im Zentrum von Ulm endlich vorangebracht hatte. „Das war vielleicht ein Ausritt!“, gab der Gefreite am Lenker einen laxen Kommentar ab, was Angst und Anstrengung der angespannten Konzentration in der scheinbar endlos ansteigenden, nachmittäglichen Hitze in seiner Stimme heraushören ließ. Bislang waren sie im aufs Stadtgebiet beschränkte Feld der Trümmer beschwerlich und mit vielen Umwegen vorwärts gekommen, was ihn zur stillen Frage drängte, weshalb man die Frauen nicht zum Bahnhof oder direkt zu den Kliniken geflogen hatte, aber er war eben kein Entscheidungsträger aus den höheren Reihen, doch der Endspurt erschien ihm als nahezu lächerlich einfach, weil er nur noch wenige Meter bis zur Verladerampe in der Güterabfertigung fahren musste, wo sie ihre menschliche Fracht abliefern und somit auch die Verantwortung für die Frauen abgeben konnten. Endlich … Theo wollte es endlich hinter sich bringen, denn er haderte plötzlich damit, dass er sich als liebender, vierfacher Familienvater für den Dienst an der Waffe entschieden hatte; es diente der Allgemeinheit, wenngleich das individuelle Leben Einschränkungen erfuhr. Natürlich fuhr er zumeist nur Radpanzer oder einen LKW und die Waffe, ein geladener Army-Colt, ruhte im Holster am Textilkoppelgürtel an der Hüfte, aber er fühlte sich wie der richtende Scharfschütze mit dem Finger am Abzug, da er dazu beitrug, die von der Regierung angeordneten Deportationen dadurch trotzdem aktiv zu unterstützen. Seinen Gewissenskonflikt musste er sofort niederschießen, um gedanklich bei voller Fahrkontrolle zu bleiben, während er das Militärfahrzeug durch Ulm lenkte.
Im Zug wartete eine weitere Einheit auf sie, die für die Bewachung während der Fahrt zuständig sein sollte. Beim Bahnhof selbst war es genauso ruhig und menschenleer, wie sie bislang die ganze Stadt erlebt hatten, was dem Fahrer sorgenvolle Schatten um die suchend blickenden Augen legte. Keiner war da, der sie lax mit einem Wink einwies, wo sie hinfahren sollten. Niemand von diesen Soldaten, die zur Wache abgestellt worden waren, war zu sehen, als sie näher kamen, aber es war nicht besonders verwunderlich, wollte sich Gefreiter Teigeler zur Beschwichtigung selbst einreden: die sengende Wüstenhitze hatte die Wachsoldaten in den Loop getrieben, wo sie es sich klimatisiert hatten bequem machen können – keiner fragte sich, was hier nicht stimmen mochte, auch der nun führende Second Captain des Konvois machte sich weder Gedanken noch die Mühe, mittels Funk den Platoon-Leader (militärischer Zugführer) der Wachsoldaten zu kontaktieren; Vertrauen ins Gelingen des Einsatzes sollte ein Offizier in schwieriger Lage haben dürfen, da sie die heutige Einsatzlage längst geplant und in Gang gebracht hatten und nun zu einem Abschluss geführt haben würden, wenn der Zug mit den Frauen aus dem Ulmer Hauptbahnhof Richtung unbekanntes Ziel rollen würde. Offenbar war alles sicher.
„Wenn wir das hinter uns haben, braten wir uns in der Sonne einen Storch auf der glühend heißen Motorhaube!“, freute sich Theo auf das Ende des Einsatzes. Schnell schwieg er und biss sich auf die Unterlippe, denn der Storch erinnerte ihn an den Umstand, jetzt nicht bei seiner Familie sein zu können, und das in naher Zukunft auch nicht.
„Konvoi stoppen, Teigeler!“ Sein Vorgesetzter hantierte mit einem eingeschalteten Tablet, auf dem er zuerst den Zufahrtsplan für den Fahrer aufrief, wie er im Areal des Güterbahnhofs zum richtigen Gleis gelangte, dann wischte er über die berührungsempfindliche Oberfläche und rief eine Fotografie auf, die er vom führenden Feldwebel der Wachsoldateneinheit im Verlauf des Nachmittags gesendet bekommen hatte, wo sie einen Ausschnitt eines Zugteils und die Zufahrtschräge einer langegezogen gebauten Ladebühne ohne Brüstung zu sehen bekamen, „Hier! Fahren Sie neben die Rampe! Das Zusteigen erfolgt dort, wo diese Gittertreppensteighilfe vor die geschlossene Waggontür gestellt wurde!“, befahl Second Captain Turner, der sich in hartem Tonfall übte, denn nun gab es an der Verladestation am Güterbahnhof keinen Platz und keine Zeit für Zimperlichkeit. Zügig mussten sie ihren Auftrag erledigen. „Lassen wir die Damen antanzen!“ Ein schneller Blick seiner sanften Augen auf seine Armbanduhr am linken Handgelenk, auf dem ihm der Schweiß zwischen der Behaarung am Arm perlte, gab ihm die Gewissheit, dass sie in der Zeit gnadenlos zwei Stunden hinter der angestrebten Zielzeit lagen, die man ihnen vom Oberkommando vorgegeben hatte. Kontakt war zum Trupp im Loop zwischenzeitlich nicht möglich gewesen. „Pünktlichkeit ist etwas anderes, aber wir sind da – und der Zug wartet!“ Den Schweiß ignorierte er, den er im Sitzen ausschwitzte, ohne bisher irgendeiner körperlichen Anstrengung ausgesetzt gewesen zu sein. Draußen wartete der süddeutsche Glutofen auf sie. Alles war an ihm rehbraun, vom Haar bis zur Augenfarbe, aber ein sanftmütiges Reh war der Second Captain der SAG-Ten-Einheit trotzdem nicht. Als Polizist der Straße in den Vereinigten Staaten von Amerika in einer mittelgroßen Stadt war er gezwungen, zwischen Härte und Milde jeweils den richtigen Weg in Einsätzen und bei Entscheidungen, die er in voller Verantwortung leiten musste, einzuschlagen. Er dachte an jemanden, den er schmerzlich vermisste: Seine Frau wusste er auf der anderen Seite – sie hatte sich für die WOMEN-Force entschieden gehabt, bevor sie ihre Familienplanung angegangen waren, und stand für den Kampf an Waffe und Front für die freien Rechte der Frauen in Europa mit Herzblut ein, was er ihr nicht verübeln konnte, denn es gab keinen Grund für ihn, ihr die Bestimmung über ihr Leben zu nehmen, nur weil sie weiblich war. Seine Ansicht von Liebe und Freiheit war völlig anders geprägt als jene versklavte der meisten Durchschnittsbürger. Damit lag er zwischen den Fronten der Interessen; ihm war es egal. Eine mögliche Tatsache verdrängte er erfolgreich in den Hintergrund seines rationalen Denkens, da er sich vor dem Verrücktwerden schützte: Gegenüberstellung im Kampf bei irgendeinem Einsatz, wobei er seiner Frau über den Weg und in den, von ihr gestreut abgefeuerten Kugelhagel laufen könnte.
Gefreiter Theo Teigeler bog in den Abzweig am Bahnhof ein, wo der Weg zur Güterabfertigung führte, und der Konvoi folgte ihm bis auf den Radpanzer, der sich am verlassenen Portal aufstellte, um die Gesamtlage von dort aus überblicken und notfalls mit Waffengewalt eingreifen zu können, wenn sich kampferfahrene WOMEN-Force-Soldatinnen in Militärfahrzeugen zum Angriff auf die Verladeaktion nähern sollten. Sein wachsam suchender Blick blitzte hin und her, aber er konnte auf Anhieb keinerlei Bedrohung ausmachen – auch mit jedem weiteren Blick stellte er fest, dass niemand im Niemandsland war, der sich ihnen in den Weg stellte, um den Transport der Frauen zu verhindern.
Jeden einzelnen seiner untergebenen Soldaten würde der Second Captain im Auge behalten müssen. Turner wusste, dass es nicht bloß einen verabscheuungswürdigen – seiner Meinung nach – Vorfall bei den Transporten der abzuführenden Frauen in den letzten Kriegsmonaten gegeben hatte, was der anführende Grund gewesen war, die SAG künftig damit zu beauftragen, die Deportationen in der Region zu eskortieren, wenngleich in ihrem eigentlichen Aufgabenbereich Sabotagen, Deeskalation und die Rettung eigener Kameraden aus anderen Einheiten ihre spezialisierten Fähigkeiten waren. Vergewaltigungen hatte es gegeben, und es war nicht nur bei sexuellem Missbrauch durch Soldaten der Euro-US-Armee geblieben, sondern auch die Tatsache, dass Frauen in einem Waldgebiet mitsamt einem Militärlaster in die Luft gejagt und Zivilisten, darunter völlig wehrlose Kinder, in einem weiteren Waldgebiet namens Sangen bei Waldhausen durch Schüsse hingerichtet und lieblos verscharrt worden waren, hatten die SAG-Ten auf den Einsatzplan gerufen, die Transporte zu begleiten. Sie, die Soldaten der SAG-Ten der 43sten Infanterie-Division, sollten die neutral handelnden Saubermänner während der angeordneten Säuberung sein, die seit Kriegsbeginn angestrebt und immer wieder von Einheiten der WOMEN-Force genau an solchen neuralgischen Punkten wie dem Ulmer Hauptbahnhof gestört wurde – Turner hielt sich an eine Art Mönchsgelübde, das er sich selbst und seinen nun kurzfristig unterstellten Männern ausnahmslos abverlangte. Mit der FLAABOW mussten sie darum verhandelnd im Austausch stehen, welche ihre eigenen militärischen Einheiten auf Mission schickte, was mitunter dazu führte, dass sie nicht nur deren Kämpferinnen im Genick sitzen hatten, sondern sich auch noch die WOMEN-Force regelrecht zu einem Gefecht einluden, das ihnen auf Dauer nur schwer abzuwenden gelang, denn diese Soldatinnen handelten und lebten nach dem Codex der Amazonen, die sich mit Vergnügen eine Brust abgeschnitten hatten, um besser mit Pfeil und Bogen gegen ihre Angreifer oder bei einem Angriff eigens ihrerseits schießen und treffen zu können; es waren Frauen in geballt spezialisiert formierten Teams, die von der WOMEN-Force für die FABOG und die FLAABOW in den Krieg entsendet wurden, um den Brand erneut zu stiften, der die gesamte Welt entzündet hatte, wo die Euro-US-Army samt der MABOG mit einer Löschdecke aus Lügen und Verschleierungsmeldungen durch Propaganda-Presse versuchte, den selbst verursachten Schwelbrand zu löschen. Meistens war es den Oberkommandierenden gleichgültig, was nebenbei mit den Frauen geschah, das galt schlicht als Schicksal, doch der Druck durch die Spezialistinnen der überall eingreifenden WOMEN-Force zeigte den Regierungstruppen auf, wie gut die SHADOW-Queen ihre Arbeit im Untergrund der staatsbürgerlich offiziell entmündigten Frauen und mit ihrer netzartigen Überwachung erledigte, um die menschenverachtenden Bedingungen der Transporte aufzudecken.
Warum nahmen die Frauen nicht einfach ihr Schicksal an, das schwache Geschlecht zu sein, das nicht über das finanzielle Potential der reichsten Männer der Welt verfügt und ebenso nicht das beste und meiste militärische Material aufbieten kann? Allein daran wird Macht gemessen.
Irgendwann musste dies die letzte Frau begreifen!
In wenigen Minuten fand Gefreiter Teigeler, der sich nur einmal den Plan auf dem Tablet des Second Captains angesehen und eingeprägt hatte, den Weg zur Güterverladestation. Unter seinem Soldatenstiefel bremste er den Radpanzer mit feuchten Zehen in den nassgeschwitzten Socken ab, hielt ihn an und stellte den Motor nach einer Minute aus – der Lastwagen hielt hinter ihnen an, der Fahrer ließ jedoch noch den Motor laufen, weil sich jener erstens nicht sicher war, ob sie wirklich das Ende ihrer Fahrt erreicht hatten, oder ob er, im zweiten Gedankengang, wieder zurücksetzen und von der anderen Seite zum Zug anfahren musste.
Aus den begleitenden Radpanzern schwangen sich die eskortierenden Soldaten heraus, die mit Stahlhelm, Splitterschutzweste und durchgehend MG-Bewaffnung vollgerüstet wie für einen schweren Infanterie-Fronteinsatz waren, umstellten den Transport-LKW, den sie bei der Güterzug-Zufahrtsrampe abgestellt hatten, und warteten unter ausbrechendem Schweiß auf dem geschotterten Weg, dessen helles Kalkgestein ihre Schritte überdeutlich hörbar erklingen ließ, wortlos schwitzend in der prall scheinenden Sonne auf die weiteren Befehle. Der Fahrer des Lastwagens und zwei begleitende Soldaten stiegen, mit sichernd erhobenen Waffen, aus dem Führerhaus aus, nachdem der Motor aus war. Second Captain Turner gab dem Fahrer den Wink, er solle nach hinten gehen und das Verdeck, die festgezurrte Plane lösen und weit aufschlagen, damit die Frauen aussteigen konnten. Schnell und geordnet musste das Aussteigen nun ablaufen, denn die SAG-Ten-Einheit aus Gellertsheim von der Division von Gellenstein hatte auf dem Weg durch Ulm einen ihrer eskortierenden Radpanzer (4x4) aus der Begleitreihe verloren, der ihre Nachhut gebildet hatte. Second Captain Michael William Turner hatte den Kontakt zum ersten Captain verloren, der in diesem Auftrag eigentlich das kommandierende Sagen gehabt hatte, aber jetzt zählte unter diesen Umständen es nicht mehr, dass im Radpanzer Vier gesammelt die Zugführer, Spezialisten und der Einsatzleiter gesessen hatten, da deren Gefährt in einem der unzähligen größeren Schlaglöcher aufgesessen und ausgebremst worden war.
Von der einfachen Pritsche auf dem Militärlastwagen abgestiegen sollte es nun bequem im Zug und gleitend auf den Gleisen, die gegen die rau rumpelnde Fahrt im LKW durch die Stadt der Trümmer pures Schweben auf watteweichen Wolken werden würde, für die zu deportierenden Frauen weitergehen. Zuvor, ehe sie von der Tortur gänzlich erlöst werden würden, sollten sie vor den sichernd bewaffneten SAG-Ten-Soldaten auf dem Bahnsteig Aufstellung nehmen und sich durchzählen lassen, damit der Auftrag in der abzuhakenden Liste stimmte, da alles seine absolute Ordnung haben sollte. Turner wollte nicht glänzen, um sich einen Vorteil bei den Vorgesetzten zu verschaffen, die es in der entscheidenden Hand hatten, ob er mitten im Krieg wegen seinem korrekten Handeln zum Ersten Captain oder gar gleich zum Major ernannt werden würde. Diesen Einsatz wollte er einfach sauber hinter sich bringen; saubere Einsätze gefielen besonders dem Divisionskommandeur Colonel Wilson, der ein alternder Ire mit teils schottischen Wurzeln war, der die Effizienz von militärischen Eingriffen bevorzugte, worin er dem weitaus jüngeren Ersten Captain zwar ähnelte, aber ein eher väterlicher Vertreter von Autorität war, denn dessen Auffassung von sauberer Effizienz unterlag zumeist einem Drang nach Segler-Abenteuer; wenn der Blitz in den Ersten Captain ihrer Spezialeinheit fuhr, dann knickte er alle fest verkeilten Masten selbst ab, damit er unter den feindlich aufgespannten Brücken hindurchgleiten konnte, und tauchte in aufgewühlte Sturmsee, wo er sich lieber den Naturgewalten stellte als einen Rückzug anzuordnen. Einmal im Leben hatte er zur falschen Zeit und am falschen Ort retiriert: er wollte einen privaten Fehltritt damit wiedergutmachen, der ihn weg von seiner Verlobten und in den Krieg getrieben hatte. Als der Erste Captain stellte sich Taylor unterschiedlich dar: zuerst war er der allergiegeplagte Tollpatsch, dann der Helikopter-Kindergärtner und jetzt zuletzt der gefahrensüchtige Heißsporn gewesen, dem sich Turner nun nicht mehr unterordnen musste.
Irgendetwas veränderte sich, was Turner nicht beschreiben, aber plötzlich in seiner feinsinnigen Wahrnehmung spüren, erahnen konnte. Die Realität forderte ihn auf, den Blick auf die trügerisch ruhige Gegend zu heften, die unter Wetter und Kriegszerstörung litt.
Eine unvorhergesehene Detonation riss die Soldaten der SAG-Ten allesamt von den Füßen, Männer und die Frauen auf der LKW-Ladefläche schrien, und die Militärs warfen sich zu Boden auf den Kalksteinschotter oder suchten sich im überwiegend freien Gelände des Güterbahnhofs einen Hauch von Deckung; weder von oben noch auf dem Landweg näherte sich ihnen eine sichtbare Gefahr von Seiten der WOMEN-Force, dennoch äugten alle vorsichtig hier und da hin, richteten sich zögerlich aus der Bauchlage auf, aber kein offener Brand war zu sehen, der durch einen Drohnen- oder Fliegerangriff in der Nähe verursacht worden war, nur eine schwarzgraue Rauchwolke erhob sich in der Ferne in Richtung Stadtzentrum über der Stadt, wo sie den Nachhut-Radpanzer mit ihrem abenteuerlustigen Ersten Captain, dem katalanischen Teniente, dem sturen Sergeant-Major, dem hünenhaften Gunnery Sergeant, dem kuttentragenden Sani-Sergeant, dem eichenstämmigen Gefreiten und dem blutjungen Private hatten zurücklassen müssen, weil durch das Verkeilen einer Achse in einem Schlagloch, das ein Trümmer-Einschlagtrichter vom letzten Bombardement war, der Radpanzer nicht mehr fahrfähig gewesen war. Der Second Captain rappelte sich vom Schotter hoch, ignorierte den an ihm haftenden Kalkstaub und starrte auf die ölig-fettige Rauchwolke über der Stadt, die sich jetzt über das noch intakte Dach des Hauptbahnhofes für sie alle sichtbar erhob. Er fand seine Stimme noch nicht wieder und konnte auch nicht vor Schock schlucken, denn sein Gehirn wollte schlicht nicht begreifen müssen, was mit seinen Kameraden soeben geschehen sein mochte, wenn es ihnen nicht gelungen war, sich eigenständig aus dem verunglückten Militärfahrzeug in der Straßenmulde zu befreien – jetzt verfluchte er sich für seine Entscheidung, die Kameraden sich selbst überlassen zu haben - und sich bis zu ihrer Rückkehr irgendwo nahe Radpanzer Vier zu verbergen – unwahrscheinlich erschien es Mike plötzlich, dass dort am Ort der Explosion seine Kameraden das Feuerinferno überlebt hatten, was ihm die Kehle eng werden ließ. Einen gedehnten Moment lang brauchte er, bis er registrierte, dass neben ihm jemand hysterisch schrie, dem er sich reflexartig zuwandte und eine schallende Ohrfeige verpasste, damit er schwieg, dann packte er den brüllenden Gefreiten Teigeler an der leichten Sommeruniformjacke, schüttelte ihn durch und knallte ihm eine zweite Ohrfeige mitten ins schreckensverzerrte Gesicht. „Reißen Sie sich zusammen, Mann! Theo! Theo! THEO! Doppel-T, reißen Sie sich zusammen!“
Theo verstummte und blickte irr von Mike zur sich noch immer nach oben und nach allen Seiten weiter ausbreitenden Rauchwolke und wieder zurück in die beschwörend blickenden Reh-Augen des Second Captain, der ihn nicht losließ, bis er schwer atmend das Schreien einstellte. „Sie … sie brauchen unsere Hilfe!“, stammelte Teigeler, der im Augenblick kaum in der Lage war, für sich selbst eine Hilfe zu sein.
„Zwei Möglichkeiten, Theo: entweder sind sie allesamt da heil rausgekommen oder sie sind tot – wir können ihnen so oder so nicht helfen!“, sagte Turner erschütternd nüchtern. Mit dem Überbringen von schlechten Nachrichten war er als Polizist vertraut, obwohl er sich diesmal hart überwinden musste, diese Worte hervorzubringen, denn es handelte sich um seine Kameraden, die er zwar nicht durchweg als seine Freunde bezeichnete, aber sie waren ihm grundsätzlich nicht egal, da sie in den letzten fünfeinhalb Monaten Leben und Arbeit unter schwierigen Bedingungen des Krieges täglich nahezu ohne Unterbrechung und ohne privater Rückzugsmöglichkeit miteinander verbracht hatten.
Die festgelegte Rangordnung wollte der deutsche Gefreite mit dem nächsten Lidschlag nicht länger hinnehmen müssen, denn er war hier auf deutschem Boden der geborene Einwohner, der bei Ende des Krieges und Abzug der US-Truppen hierbleiben und eine neue Lebensstruktur in Zukunft würde aufbauen müssen; wie schon nach den beiden letzten großen Kriegen, falls der Kampf der Geschlechter jemals enden würde. „Nur ein Gebet kann ihnen helfen?“ Wütend und von der Kaltschnäuzigkeit Turners angewidert starrte Theo seinen Vorgesetzten an, an dessen Sinneswandlung er nicht glauben wollte, sie aber erlebte, und im nächsten Augenblick bereits fast wieder vergessen hatte, weil er mit einem Drogencocktail auf der Ebene der Eigenwahrnehmung und der Wahrnehmung seiner Mitstreiter beeinflusst worden war. „Wollen Sie das damit sagen?“
„Oft ist ein Gebet die einzige Hilfe.“
„Gottverlassener …!“
„Fluchen macht sie nicht lebendig - schreien und weinen auch nicht. Sie haben sich für eine andere Welt entschieden.“
Vollkommene Fassungslosigkeit lag in Teigelers Blick. „Dass Sie so kalt sein können!“
„Theo, soll ich Ihnen lieber Lügen auftischen, die mir selbst und Ihnen eine falsche Hoffnung suggerieren?“
„Wollen Sie wirklich eines Tages Geistlicher werden?“
„So der Herr es will … ihr eigener Wille es gewesen ist, für diese Sache im Kampf der Geschlechter zu sterben. Wir entscheiden alle, was geschieht und was nicht, weil wir immer die Wahl haben – es kann nicht nichts geschehen, da alles in Bewegung bleiben muss.“
Ob der Second Captain trotz seiner Erfahrungen als Polizist jetzt verrückt wurde und offensichtlich von dieser Welt völlig entrückt war?
Um sie herum rotteten sich die anderen Soldaten aus der Deckung zusammen oder erhoben sich aus der Bauchlage vom Boden.
„Ich gebe Ihnen einen guten Rat, ehe ich doch desertiere: In diesem Leben sollten Sie es besser sein lassen!“, riet Theo dem Second Captain, vor dem er sich jetzt nicht mehr zügeln wollte. Sollte er ihn doch rauswerfen! Oder töten …
„Desertieren Sie ruhig, am besten gleich!“, blieb Turner unerschütterlich ehrlich.
„Soll ich? Sie würden mir in den Rücken schießen!“
„Würde jemand dem Osterhasen, der die Kinder glücklich macht, in die Eier schießen?“, gelang Turner ein Vergleich, der Teigeler den Kinnladen herunterklappen ließ.
„Sie wollen diesen Krieg nicht?“, flüsterte Theo.
„Pfff! Wer will diesen Krieg schon? Die Illuminaten, der Rat der Dreihundert, die Fünf im Auge der Herrscher oder die göttlichen Aliens, auch bekannt bei den verblichenen Sumerern als Anunnaki?“ Turner deutete in irgendeine Richtung, die gegenüber von ihm lag. „Auf der anderen Seite, da kämpft meine Frau für die Rechte ihres Geschlechts. Sind wir freie Wesen unseres Willens oder müssen wir uns dem Kollektiv-Willen unterordnen? Meinen Sie, Gott will uns leiden sehen? Was denken Sie, Theo?“
Über ihnen grollte ein nahendes Gewitter, das sie nach oben blicken ließ. Sie äugten besorgt am Himmel hin und her, ehe sich die Soldaten untereinander sorgenvoll ansahen. Die ersehnte Abkühlung walzte in Form einer nahenden Naturkatastrophe heran, und die Geschwindigkeit des Unwetters war nur schwer abzuschätzen. Wind kam auf, der so heiß daher wehte, wie der Scirocco in der Wüste.
„Wir selbst sind jene, die sich am Leid anderer laben.“
„Sir, sollen die Frauen jetzt absteigen?“, wandte sich ein behelmter Soldat an Turner, der sich gezwungen sah, alle weiteren Entscheidungen allein treffen zu müssen, da er in dieser Lage nicht in Erfahrung bringen konnte, was mit den Kameraden von Radpanzer Vier geschehen war und was daraus noch resultieren mochte, wenn sie sich nicht in die Gamaschen warfen und den Zug schleunigst auf den Weg zur Klinik schickten. „Wir sind im Zeitdruck! Da zieht ein gewaltiges Gewitter auf! Wir sollten uns beeilen, Sir!“, legte der Soldat mutig Nachdruck in seine Stimme.
Zuerst sah Turner zum windschnittig, aalartig konstruierten Loop, wo er mit einem Blick feststellte, dass sich keiner der Wachsoldaten rührte, und die hydraulisch verschlossene Tür des stehenden Loops über der bereitgestellten Gittertreppe im unbequem unwegsamen Gleisbett noch immer nicht geöffnet wurde. Halt – hatte sich dort doch etwas oder jemand bewegt? Nein, er musste feststellen, dass seine Sinne sich von Spiegelungen in den Scheiben des Zuges hatten täuschen lassen. Gegen einschlagende MG-Kugeln waren Fenster und Außenhaut des Zuges gefeit konstruiert worden, aber ob das Material des Loops einer panzer- und barrikadebrechenden Granate im Direktbeschuss von oben oder der Seite standhielt, glaubte Mike nicht, der ein gottesfürchtig Glaubender war, aber trotz seiner sanftmütigen Ausstrahlung kein Lamm von Mutter Gutgläubigkeit war. Den falschen Vater von einlullender Illusion hatte er im Polizeidienst als seinen eigenen Irrtum des Wegschauens, als den an die Pinnwand gehefteten persönlichen Satan erkannt gehabt, den er sich eingebildet hatte, weil er zu lange darauf gehofft hatte, das Gute würde endlich über das Böse triumphieren. Man hatte ihm in Kindheit und Jugend schlicht nichts anderes beigebracht und eingeredet. Seither schulte er sich im Alleingang im inneren Sehen, das seinen Sehsinn als Augenwesen verstärkte und im Moment klingenscharf werden ließ.
Ein gedankliches Sichtfenster öffnete sich in einem Sekundenbruchteil in ihm: Die Wachsoldaten waren hier, aber sie waren nicht in der Lage, zu reagieren.
„Sehen Sie auch das nicht, was ich nicht sehe?“, fragte Mike leise an Theo gewandt, der daraufhin den Blick auf den Loop heftete, wo sich nichts rührte, außer der sichtbar flimmernd heißen Luft über der stromlinienförmigen Außenhaut des elektrisch fahrenden Zuges. Die Frage des in erzwungener Geduld verharrenden Soldaten stellte er seiner Frage und seiner damit verbundenen Beobachtung der nicht vorhandenen Veränderung am Zug hinten an. Sein Blick tastete am Zug entlang, konnte nichts und niemanden durch die dunkel getönten Fenster, die jeglichen Blick von außen nach drinnen abschirmten, erkennen. Am Triebkopf des Loops, von dem keinerlei Motorengeräusch ausging, tat sich ebenfalls rein gar nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass per Fernsteuerung die Motoren gestartet würden, damit die Türe geöffnet werden konnte, die nur dann funktionierte; einschränkend dachte er: Natürlich kann die Hydraulik der Tür von innen oder außen entriegelt werden, doch dazu benötigte man einen Lokführer, der vom Schaltpult aus die Tür entriegelte oder einen Bahntechniker mit dem richtigen Schlüssel-Code oder … ja, oder den Sergeant-Major und den Sani-Sergeant von Radpanzer Vier, die früher Rüstgruppenführer und Maschinist als Feuerwehrleute bei der THARA in Eugene/Oregon in den USA gewesen waren. Die beiden wussten, wie man diese hermetisch verschlossene Zug-Dose technisch überlistet und geöffnet hätte.
Es kam aus dem Inneren des Zuges weiterhin keinerlei Anzeichen irgendeiner menschlichen Reaktion. Im Schattenwurf des wetterschützenden Daches an der Verladerampe stand der Mannschaftstransporter der Wachsoldaten geparkt – die Männer der für den Zug abgestellten Einheit waren in den Zug gestiegen … definitiv … oder irgendetwas anderes Grausames war hier geschehen, bevor sie mit dem Konvoi am Bahnhof eingetroffen waren. Zeit und genügend Leute für eingehende Erkundigungen hatten sie nicht zur Verfügung, denn eine ganze Radpanzerbesatzung fehlte.
Zum Teufel – sie waren wahrscheinlich allesamt zum Teufel gegangen. Inzwischen glaubte er wirklich daran.