An den Bergen des Wahnsinns - H.P. Lovecraft - E-Book

An den Bergen des Wahnsinns E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

Der Geologe William Dyer erzählt von einer abenteuerlichen Expedition in die Antarktis, die auf nicht klassifizierbare, halb tierische, halb pflanzliche Wesen stößt und schließlich auf eine Millionen Jahre alte Stadt. Bald mehren sich die Hinweise, dass hier eine uralte Spezies gelebt hat, die aus den Tiefen des Weltraums gekommen ist ... Einer der Höhepunkte in H. P. Lovecrafts literarischem Schaffen in ungekürzter Neuübersetzung, der es erstmals gelingt, Lovecrafts speziellen Stil und die besondere Atmosphäre seiner Erzählung in deutscher Sprache schillern zu lassen. »H. P. Lovecraft ist der bedeutendste Horror-Autor des 20. Jahrhunderts.« Stephen King Unter dem Titel »At the Mountains of Madness« erstmals veröffentlicht 1936 in der Zeitschrift »Astounding Stories« Erstdruck der Übersetzung in»H. P. Lovecraft – Das Werk« (FISCHER Tor, 2017)

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Seitenzahl: 205

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H. P. Lovecraft

An den Bergen des Wahnsinns

Erzählung

Aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann

FISCHER digiBook

Inhalt

I.II.III.IV.V.VI.VII.VIII.IX.X.XI.XII.

I.

Ich sehe mich gezwungen, das Wort zu ergreifen, da die wissenschaftliche Gemeinschaft sich weigert, meinem Rat zu folgen, solange sie meine Gründe nicht kennt. Mir liegt wirklich nichts daran zu erläutern, warum ich gegen diese geplante Invasion der Antarktis – mitsamt einer ausgedehnten Suche nach Fossilien und massiven Bohrungen in und Abschmelzungen an der uralten Eiskruste – Einspruch erhebe, und ich zögere umso mehr, da meine Warnungen sich als fruchtlos erweisen könnten.

Es ist unvermeidlich, dass man an den reinen Tatsachen, die ich offenbaren muss, zweifeln wird, doch wenn ich zurückhalte, was außergewöhnlich und unglaubwürdig erscheinen mag, bliebe mir nichts zu sagen übrig. Die bislang geheimgehaltenen Photographien, sowohl die am Boden aufgenommenen wie die Luftaufnahmen, werden meine Aussage stützen, denn sie sind entsetzlich eindrucksvoll und anschaulich. Man wird ihre Echtheit dennoch anzweifeln, da geschickte Fälschungen in dieser Qualität durchaus möglich sind. Die Tuschezeichnungen wird man freilich als offensichtlich gefälscht verhöhnen, obwohl die fremdartige Technik manchen Kunstexperten aufmerken lassen und verblüffen wird.

Letztlich muss ich mich auf das Urteil und den Ruf der wenigen führenden Wissenschaftler verlassen, die einerseits ausreichend unvoreingenommen sind, um meine Daten nach ihrer eigenen, furchterregenden Überzeugungskraft oder im Licht gewisser vorzeitlicher und höchst erstaunlicher Sagenkreise zu beurteilen, und die andererseits über genug Einfluss verfügen, um Forscher und Entdecker von jedweder voreiligen oder übermäßig ehrgeizigen Aktion in der Umgebung der Berge des Wahnsinns abzuhalten. Leider haben vergleichsweise unbekannte Wissenschaftler wie ich und meine Kollegen, die nur für eine kleine Universität arbeiten, kaum die Möglichkeit, gehört zu werden, wenn es um abseitige oder äußerst umstrittene Themen geht.

Zudem spricht es nicht gerade für uns, dass wir auf dem Gebiet, mit dem wir uns hauptsächlich befassen mussten, keine Spezialisten im engeren Sinne sind. Als Geologe und Leiter der Miskatonic-University-Expedition ging es mir einzig darum, mit Hilfe des bemerkenswerten Bohrgeräts, das Professor Frank H. Pabodie von unserer Fakultät für Ingenieurswissenschaften entwickelt hat, tiefliegende Gesteins- und Bodenproben von verschiedenen Teilen des antarktischen Kontinents zu sammeln. Ich hatte nicht die Absicht, auf einem anderen Gebiet als diesem Entdeckungen zu machen, hoffte aber, dass die Verwendung der neuen Geräte an verschiedenen Stellen entlang zuvor erkundeter Pfade Material zutage fördern würde, welches man mit gewöhnlichen Bohrmethoden nicht erreichen könnte. Pabodies Bohrgerät war, wie die Öffentlichkeit bereits aus unseren Berichten erfahren hat, einzigartig und völlig neuartig hinsichtlich Leichtigkeit, Transportfähigkeit und der Möglichkeit, die übliche Tiefbohrmethode mit kleinen runden Felsbohrungen zu verknüpfen, um sich so rasch auf unterschiedlich harte Gesteinsschichten einstellen zu können. Stahlbohrkopf, Gelenkstangen, Benzinmotor, zusammenklappbares Bohrgestell, Sprengausrüstung, Seile, Förderschnecke zum Beseitigen von Geröll, zusammensetzbare Rohre für fünf Zoll breite und bis zu tausend Fuß tiefe Bohrlöcher bildeten zusammen mit dem notwendigen Zubehör keine größere Last, als drei Schlitten mit je sieben Schlittenhunden transportieren konnten. Dies wurde durch die raffinierte Aluminiumlegierung ermöglicht, aus der fast alle Metallteile gefertigt waren. Vier große Dornier-Flugzeuge, speziell für die enorme Flughöhen ausgerichtet, die auf dem antarktischen Plateau erreicht werden müssen, mit Treibstoffanwärmer und von Pabodie ersonnenen Schnellstartvorrichtungen, konnten unsere ganze Expedition von der Basis am Rand der großen Eisbarriere zu verschiedenen geeigneten Stationen im Inland transportieren, und von diesen Stationen aus würde uns eine ausreichende Zahl Schlittenhunde dienlich sein.

Wir planten, unser Erkundungsgebiet so weit auszudehnen, wie es in einer antarktischen Saison – oder einem längeren Zeitraum, wenn absolut notwendig – möglich sein würde, wobei wir hauptsächlich auf den Bergketten und dem Plateau südlich des Rossmeeres operieren wollten – also in Regionen, die mehr oder weniger von Shackleton, Amundsen, Scott und Byrd erforscht worden sind. Indem wir mit den Flugzeugen häufig von einem Lager zum nächsten flogen und dabei geologisch signifikante Entfernungen überbrückten, konnten wir mit einer unvergleichlichen Ausbeute an Material rechnen, besonders aus der präkambrischen Schicht, aus der man bislang nur sehr wenige antarktische Gesteinsproben gesammelt hat. Außerdem wollten wir eine möglichst große Auswahl an fossilienhaltigem Felsgestein aus höheren Schichten gewinnen, da die Geschichte urzeitlichen Lebens in diesem düsteren Reich aus Eis und Tod von enormer Bedeutung hinsichtlich unseres Wissens über die Erdvergangenheit ist. Dass auf dem antarktischen Kontinent einst milde oder sogar tropische Temperaturen herrschten, in denen ein üppiges pflanzliches und tierisches Leben gedieh, von dem die Flechten, Meeresfauna, Arachniden und Pinguine der nördlichen Küstengebiete die einzigen Überbleibsel darstellen, gehört zur Allgemeinbildung, und wir hofften, dieses Wissen erweitern, präzisieren und differenzieren zu können. Sollte eine einfache Bohrung auf fossilienhaltiges Gestein hinweisen, würden wir zusätzlich Sprengungen vornehmen, um Proben in angemessener Größe und gutem Zustand zu erhalten.

Unsere Bohrungen, deren Tiefe sich danach richten würde, ob die oberen Boden- oder Gesteinsschichten vielversprechendes Material enthielten, sollten sich auf zur Gänze oder jedenfalls weitgehend freiliegendes Gelände beschränken – es würde sich dabei unweigerlich um Abhänge und Bergkämme handeln, da der Boden in tieferen Lagen von einer ein bis zwei Meilen dicken festen Eisschicht bedeckt ist. Wir konnten es uns nicht leisten, Bohrtiefe an Schichten reinen Gletschereises zu verschwenden, obwohl Pabodie einen Plan ausgetüftelt hatte, nach welchem er Kupferelektroden in eine Reihe eng beieinanderliegender Bohrlöcher einführen und begrenzte Eisflächen mit Strom aus einem mit dem Benzinmotor betriebenen Dynamo abschmelzen wollte. Ebendieser Plan – den wir bei einer Expedition wie der unseren nur versuchsweise ausführen konnten – soll nun, trotz der Warnungen, die ich seit unserer Rückkehr aus der Antarktis ausgesprochen habe, von der künftigen Starkweather-Moore-Expedition umgesetzt werden.

Die Öffentlichkeit kennt die Miskatonic-Expedition aus unseren häufigen Funkberichten an den Arkham Advertiser und die Associated Press sowie aus später veröffentlichten Artikeln von Pabodie und mir. Unsere Gruppe umfasste vier Universitätsangehörige – Pabodie, Lake von der Fakultät für Biologie, Atwood von der Fakultät für Physik (der sich auch mit Meteorologie befasste) und mich, den Geologen und nominellen Leiter – dazu sechzehn Mitarbeiter: sieben graduierte Studenten von der Miskatonic und neun erfahrene Mechaniker. Von diesen sechzehn hatten zwölf den Flugschein, und alle außer zweien waren ausgebildete Funker. Acht von ihnen konnten mit Kompass und Sextant umgehen, ebenso Pabodie, Atwood und ich. Hinzu kamen natürlich noch die kompletten Mannschaften unserer beiden Schiffe, Walfänger aus Holz, die für Eismeerfahrten ausgerüstet waren und zusätzlichen Dampfantrieb besaßen. Die Nathaniel Derby Pickman Foundation, unterstützt durch einige Sonderzuschüsse, finanzierte die Expedition. Daher waren unsere Vorbereitungen, obwohl die Öffentlichkeit davon kaum etwas mitbekam, äußerst gründlich. Die Hunde, Schlitten, Maschinen, Lagerausstattung und die noch nicht zusammengebauten Teile von fünf Flugzeugen wurden nach Boston geliefert und auf unsere Schiffe verfrachtet. Für unsere speziellen Zwecke waren wir großartig ausgerüstet, und was Proviant, Ernährungsplan, Transport und Lageraufbau angeht, profitierten wir in jeder Hinsicht von den beispielhaften Unternehmungen unserer vielen überaus brillanten Vorgänger der letzten Jahre. Da uns ungewöhnlich viele Berühmtheiten vorausgegangen waren, blieb unsere eigene Expedition, trotz ihrer Größe, in der großen weiten Welt fast unbemerkt.

Die Zeitungen erwähnten, dass wir am 2. September 1930 im Hafen von Boston die Anker lichteten, einen bequemen Kurs entlang der Küste einschlugen, den Panamakanal durchquerten und auf Samoa und an der Küste Tasmaniens im Hafen von Hobart Station machten, wo wir letzten Vorräte an Bord nahmen. Keines unserer Expeditionsmitglieder hatte je zuvor die Polarregionen besucht, weswegen wir uns alle weitgehend auf unsere Kapitäne verließen – J. B. Douglas, der auf der Brigg Arkham das Kommando und den Oberbefehl über die Schiffscrews hatte, und Georg Thorfinnssen, der die Bark Miskatonic befehligte – beide besaßen langjährige Erfahrung als Walfänger in den antarktischen Gewässern. Während wir die bewohnte Welt hinter uns ließen, sank die Sonne im Norden immer tiefer und verharrte jeden Tag ein wenig länger über dem Horizont. Auf ungefähr 62° südlicher Breite sichteten wir unsere ersten Eisberge – tafelartige Gebilde mit senkrechten Flanken –, und kurz bevor wir den Südpolarkreis erreichten, den wir am 20. Oktober überquerten, was wir mit der entsprechenden althergebrachten Zeremonie feierten, machte uns das Treibeis beträchtliche Schwierigkeiten. Die fallenden Temperaturen waren mir nach unserer langen Fahrt durch die Tropen schier unerträglich, doch ich versuchte, mich für die weit größeren Strapazen zu wappnen, die uns bevorstanden. Eigenartige Wetterphänomene bezauberten und überwältigten mich immer wieder aufs Neue: zum Beispiel eine erstaunlich deutliche Luftspiegelung – die erste, die ich zu sehen bekam –, in der ferne Eisberge zu Brustwehren unvorstellbarer kosmischer Burgen wurden.

Nachdem wir uns unseren Weg durch das Treibeis gebahnt hatten, das glücklicherweise keine große Fläche bedeckte und nicht sonderlich dicht war, erreichten wir auf 67° südlicher Breite, 175° östlicher Länge wieder offenes Wasser. Am Morgen des 26. Oktober wurde im Süden kurz Festland gesichtet, und vor zwölf Uhr mittags erblickten wir alle freudig erregt eine riesige, hohe, schneebedeckte Bergkette, die sich langsam vor uns ausbreitete, bis sie sich über den ganzen Horizont erstreckte. Endlich hatten wir einen Zipfel des großen unbekannten Kontinents und seiner geheimnisvollen Welt aus Eis und Tod erreicht. Diese Gipfel gehörten offensichtlich zu den von Ross entdeckten Admirality-Bergen, und unsere Aufgabe war es nun, Kap Adare zu umrunden und die Ostküste des Viktorialandes entlangzusegeln, um zu unserer geplanten Basis am Ufer des McMurdo-Sunds am Fuß des Vulkans Erebus auf 77° 9‘ südlicher Breite zu gelangen.

Die letzte Etappe der Reise belebte Sinne und Phantasie gleichermaßen: Große kahle Gipfel, die zahlreiche Geheimnisse bargen, dräuten beständig am westlichen Horizont, während im Norden die niedrigstehende Sonne der Mittagsstunde oder die noch niedriger stehende Mitternachtssonne im Süden ihre nebelhaft rötlichen Strahlen über weißen Schnee, bläuliches Eis und Wasserläufe und schwarze Flecken freiliegenden Granits an den Berghängen ergoss. Zwischen den einsamen Berggipfeln fegten unablässig tobende Böen des schrecklichen antarktischen Sturmwinds, dessen Kadenzen zuweilen beinahe wie ein wildes und halbbewusstes melodisches Pfeifen klangen, das einen großen Tonumfang aufwies und mir aus Gründen, die vielleicht im Bereich unbewusster Erinnerungen lagen, beunruhigend und sogar irgendwie furchterregend vorkam. Die Landschaft hatte etwas an sich, das mich an die seltsamen und verstörenden Asiengemälde von Nicholas Roerich gemahnte und an die noch merkwürdigeren und weitaus verstörenderen Beschreibungen des verrufenen Plateaus von Leng, die sich im gefürchteten Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred finden. Später sollte es mir noch sehr leidtun, in der College-Bibliothek je einen Blick in das monströse Buch geworfen zu haben.

Am siebten November passierten wir Franklin Island, wobei die Bergkette im Westen vorübergehend außer Sicht geriet, und tags darauf sichteten wir vor uns die Kegel der Berge Erebus und Terror auf Ross Island, mit der langen Kette der Perry-Berge im Hintergrund. Dort erstreckte sich nun in östliche Richtung die niedrige weiße Linie der großen Eisbarriere, die wie die felsigen Klippen von Quebec lotrecht bis zu einer Höhe von zweihundert Fuß aufragte und den Endpunkt der schiffbaren Gewässer im Süden markierte. Nachmittags liefen wir in den McMurdo-Sund ein und ankerten vor der Küste, im Windschatten des rauchenden Vulkans Erebus. Der Gipfel aus Schlacke erhob sich rund 12700 Fuß hoch vor dem östlichen Firmament wie auf einem japanischen Druck des heiligen Fujiyama, während dahinter die weißen, geisterhaften Höhen des mittlerweile erloschenen Vulkans Terror 10900 Fuß hoch aufragten. Erebrus ließ ab und an Rauchwolken aufsteigen, und einer der graduierten Studenten – ein hochintelligenter junger Bursche namens Danforth – deutete auf etwas auf dem schneebedeckten Hang, das wie Lava aussah, und bemerkte, dass Poe an diesen 1840 entdeckten Berg gedacht haben musste, als er sieben Jahre später schrieb:

… vulkanischer Lava so voll,

wie erstickend sie niedergehen

am Yaanek-Berge am Pol –

wie stöhnend sie niedergehen

in den Reichen am Nördlichen Pol.

Danforth liebte bizarre Geschichten und hatte oft über Poe gesprochen. Ich interessierte mich wegen des antarktischen Schauplatzes in Poes einziger längerer Erzählung – dem verstörenden und rätselhaften Bericht des Arthur Gordon Pym – ebenfalls dafür. An der kahlen Küste und der hoch aufragenden Eisbarriere im Hintergrund schnatterten unzählige groteske flügelschlagende Pinguine, während etliche dicke Robben zu sehen waren, die im Wasser schwammen oder sich auf großen, langsam dahintreibenden Eisschollen räkelten.

Kurz nach Mitternacht am Morgen des 9. gelang uns eine schwierige Landung in kleinen Booten auf Ross Island, wobei wir von jedem der Schiffe ein Tau bis ans Ufer spannten, um Vorräte mittels Schwebebahn und Hosenboje zu entladen. Unsere Empfindungen beim ersten Betreten antarktischen Bodens waren ergreifend und komplex, obwohl die Expeditionen von Scott und Shackleton uns an dieser Stelle vorangegangen waren. Unser Lager am gefrorenen Ufer unter dem Hang des Vulkans war nur provisorisch; die Hauptquartiere blieben auf der Arkham. Wir landeten unsere gesamte Bohrausrüstung, Hunde, Schlitten, Zelte, Proviant, Benzinkanister, die experimentelle Eisschmelzvorrichtung, gewöhnliche Photoapparate und solche für Luftaufnahmen, Flugzeugteile und anderes Zubehör, einschließlich dreier kleiner Funkgeräte (zusätzlich zu denen in den Flugzeugen), mit denen wir uns mit der großen Funkanlage an Bord der Arkham von jedem Ort auf dem antarktischen Kontinent, den wir aufsuchen würden, in Verbindung setzen konnten. Die Anlage des Schiffes, die unsere Verbindung mit der Außenwelt darstellte, sollte Presseberichte an die starke Funkstation des Arkham Advertiser auf Kingsport Head, Massachusetts, senden. Wir hofften, unsere Arbeit im Laufe eines einzigen antarktischen Sommers abschließen zu können. Sollte sich dies jedoch als unmöglich erweisen, würden wir auf der Arkham überwintern und die Miskatonic vor dem Zufrieren des Meeres nach Norden schicken, um neue Vorräte für den nächsten Sommer zu beschaffen.

Ich muss nicht wiederholen, was die Zeitungen bereits über unsere anfängliche Arbeit veröffentlicht haben: unsere Besteigung des Erebus; unsere erfolgreichen Gesteinsbohrungen an verschiedenen Stellen auf Ross Island und die einzigartige Geschwindigkeit, mit der Pabodies Apparat sogar durch solide Felsschichten bohrte; unser provisorischer Test der kleinen Eisschmelzvorrichtung; unser gefährlicher Aufstieg auf die große Eisbarriere mit Schlitten und Vorräten und schließlich die Montage von fünf großen Flugzeugen im Lager auf der Barriere. Die Mitglieder unserer gelandeten Gruppe – zwanzig Mann und 55 Schlittenhunde aus Alaska – waren bei bemerkenswert guter Gesundheit, freilich hatten wir bislang auch weder wirklich gefährliche Temperaturen noch Stürme erlebt. Das Thermometer schwankte zwischen −18° und −5° Celsius, und unsere Erfahrungen mit den Wintern Neuenglands hatten uns an vergleichbare Kälte gewöhnt. Das Camp auf der Eisbarriere war zum Teil dauerhaft angelegt und sollte als Lager für Benzin, Proviant, Dynamit und andere Vorräte dienen.

Nur vier unserer Flugzeuge wurden benötigt, um das eigentliche Forschungsmaterial zu transportieren, während das fünfte mit einem Piloten und zwei Männern der Schiffscrew beim Vorratslager zurückgelassen wurde, um die Arkham erreichen zu können, falls alle unsere Forschungsflugzeuge verlorengingen. Später, wenn wir die anderen Flugzeuge nicht mehr zum Transport von Gerätschaften einsetzen mussten, würden wir ein oder zwei für Pendelflüge zwischen diesem Lager und einem anderen dauerhaften Camp auf dem großen, 600 bis 700 Meilen entfernten Plateau im Süden nutzen, das jenseits des Beardmore Gletschers lag. Trotz der fast einmütigen Berichte über entsetzliche Winde und Stürme, die von dem Plateau herabwehen, beschlossen wir, auf Zwischenlager zu verzichten und zugunsten der Wirtschaftlichkeit und wahrscheinlichen Rentabilität ein Risiko einzugehen.

Funkreportagen haben von dem atemberaubenden, vierstündigen Non-stop-Flug unserer Staffel am 21. November berichtet, der uns über hoch aufragendes Schelfeis führte, während sich westwärts riesige Gipfel auftürmten und der Lärm unserer Motoren durch die unermessliche Stille hallte. Der Wind machte uns kaum zu schaffen, und unsere Funkkompasse halfen uns durch den einzigen dichten Nebel, auf den wir trafen. Als zwischen dem 83. und 84. Breitengrad eine gewaltige Eiswand vor uns emporragte, wussten wir, dass wir den Beardmore-Gletscher, den größten der Welt, erreicht hatten und dass das gefrorene Meer nun einer bedrohlichen und bergreichen Küstenlinie wich. Endlich erreichten wir die weiße, seit Äonen erkaltete Welt des äußersten Südens, und als uns dies bewusst wurde, sahen wir auch schon den Gipfel des Mount Nansen, der weit im Osten bis zu einer Höhe von beinahe 15000 Fuß aufragte.

Die erfolgreiche Einrichtung der Süd-Basis über dem Gletscher auf 86° 7‘ südlicher Breite und 174° 23‘ östlicher Länge sowie die erstaunlich schnellen und effektiven Bohrungen und Sprengungen an verschiedenen Stellen, die wir auf unseren Schlitten oder mit kurzen Flügen erreichten, sind inzwischen Geschichte; ebenso die anstrengende und triumphale Besteigung des Mount Nansen durch Pabodie und zwei Doktoranden – Gedney und Carroll – vom 13. bis 15. Dezember. Wir befanden uns 8500 Fuß über dem Meeresspiegel, und als Versuchsbohrungen unter einer nur zwölf Fuß dicken Schicht aus Eis und Schnee auf festen Boden stießen, nutzten wir etliche Male den kleinen Schmelzapparat und machten Bohrungen und Sprengungen an vielen Stellen, wo kein Forscher vor uns sich je erträumt hätte, an Gesteinsproben zu gelangen. Der so gewonnene Granit und Beacon-Sandstein aus dem Präkambrium bestätigte unsere Vermutung, dass dieses Plateau zu der großen Masse des westlich gelegenen Kontinents gehörte, sich aber von den östlich, unter Südamerika gelegenen Abschnitten unterschied, die wir damals einem separaten und kleineren Kontinent zurechneten, der vom größeren durch eine Verbindung der Ross- und Weddell-Meere getrennt war, obwohl Byrd diese Hypothese seitdem widerlegt hat.

In gewissen Sandsteinschichten, die wir aufsprengten und abmeißelten, nachdem eine Bohrung ihre Beschaffenheit offenbart hatte, fanden wir hochinteressante Fossilienspuren und -fragmente: besonders Farne, Algen, Trilobiten, Stachelhäuter und Mollusken wie Linguellae und Gastropoden, die alle für die urzeitliche Vorgeschichte der Region durchaus bedeutsam schienen. Es gab da außerdem ein eigenartiges dreieckiges gekritztes Muster, das an seiner breitesten Stelle ungefähr einen Fuß maß, welches Lake, ein Biologe, aus Schieferfragmenten zusammensetzte, die durch eine Tiefensprengung zutage getreten waren. Diese Fragmente stammten von einem westlich gelegenen Punkt in der Nähe des Queen-Alexandra-Range; und Lake schien ihre seltsame Beschaffenheit ungewöhnlich verblüffend und provozierend zu finden, obwohl sie für meinen geologisch geschulten Blick nicht anders aussahen als einige der wellenförmigen Muster, die recht häufig in Sedimentgestein auftreten. Da Schiefer nichts anderes ist als eine metamorphe Formation, in die eine Sedimentschicht gepresst wurde, und schon der Druck allein seltsame Verzerrungen bei allen denkbaren Spuren oder Mustern verursacht, sah ich keinen Anlass, mich über den gekritzten Abdruck sonderlich zu wundern.

Am 6. Januar 1931 flogen Lake, Pabodie, Daniels, alle sechs Studenten, vier Mechaniker und ich in zweien der großen Flugzeuge geradewegs über den Pol, wobei wir einmal von einem plötzlich aufkommenden starken Wind, der sich zum Glück nicht zu einem typischen Sturm entwickelte, zur Landung gezwungen wurden. Es handelte sich, wie die Zeitungen berichteten, um einen von mehreren Aufklärungsflügen, bei denen wir versuchten, neue topographische Merkmale in bislang unerforschten Gebieten auszumachen. Unsere früheren Flüge hatten sich in dieser Hinsicht als enttäuschend erwiesen, obwohl sie uns einige herrliche Beispiele für die überaus phantastischen und täuschend echt wirkenden Luftspiegelungen der Polarregionen bescherten, von denen wir auf See bereits einen kleinen Vorgeschmack bekommen hatten. Ferne Berge schwebten am Himmel wie verzauberte Städte, und oft verschmolz die ganze weiße Welt unter dem Bann einer niedrigstehenden Mitternachtssonne mit einem goldenen, silbernen und scharlachroten Land, das Dunsanys Träumen und einer Hoffnung auf Abenteuer entsprungen schien. An bewölkten Tagen hatten wir große Probleme, das Flugzeug zu steuern, da schneebedeckte Erde und Himmel sich oft zu einer mystisch schillernden Leere vereinten, ohne dass ein sichtbarer Horizont eine deutliche Trennlinie gebildet hätte.

Schlussendlich entschieden wir, unserem ursprünglichen Plan zu folgen und mit allen vier Forschungsflugzeugen 500 Meilen nach Osten zu fliegen, um ein neues Ausweichlager an einer Stelle anzulegen, die vermutlich auf der kleineren Kontinentalplatte lag, von deren Existenz wir damals irrtümlichweise noch ausgingen. Dort gewonnene Gesteinsproben wurden benötigt, um Vergleiche anstellen zu können. Unser Gesundheitszustand war bislang vorzüglich geblieben – Zitronensaft ergänzte die regelmäßigen Mahlzeiten aus Büchsennahrung und Pökelfleisch, und da die Temperaturen nicht weit unter −10° Celsius fielen, kamen wir ohne unsere dicksten Pelze aus. Inzwischen war es Hochsommer, und wenn wir zügig und sorgfältig arbeiteten, hätten wir unsere Mission bis zum März abschließen und ein strapaziöses Überwintern in der langen antarktischen Nacht vermeiden können. Einige heftige Stürme waren von Westen her über uns hereingebrochen, doch dank Atwoods genialem Einfall, rudimentäre Flugzeughangars und Windbrecher aus schweren Schneeblöcken zu errichten und die wichtigsten Lagergebäude mit Schnee zu verstärken, hatten wir keine Schäden zu beklagen. Tatsächlich war es fast schon unheimlich, wie viel Glück und Erfolg wir hatten.

Die Außenwelt wusste natürlich über unser Forschungsprogramm Bescheid und wurde auch über Lakes seltsames und dickköpfiges Beharren auf einer Forschungsreise nach Westen – oder eher Nordwesten – informiert, bevor wir endgültig in das neue Camp umzogen. Anscheinend hatte er lange und mit erschreckend tiefgründiger Kühnheit über jenes dreieckige gekritzte Muster nachgedacht und darin gewisse Widersprüche in Bezug auf dessen Beschaffenheit und geologische Periode ausgemacht, die seine Neugier bis zum Äußersten anstachelten, so dass er darauf brannte, weitere Bohrungen und Sprengungen in der sich nach Westen erstreckenden Formation durchzuführen, zu der die ausgegrabenen Fragmente offenkundig gehörten. Er hegte die sonderbare Überzeugung, dass es sich bei dem Muster um den Abdruck eines massigen, unbekannten und vollkommen unklassifizierbaren Organismus einer äußerst fortgeschrittenen Evolutionslinie handelte, ungeachtet der Tatsache, dass der Fels mit dem Abdruck aus einer ungeheuer weit zurückliegenden Vergangenheit stammte – aus dem Kambrium, wenn nicht sogar Präkambrium –, in der es wahrscheinlich nicht nur keinerlei höher entwickeltes Leben, sondern nicht einmal Lebensformen gegeben hatte, die über die Entwicklungsstufe der Einzeller oder bestenfalls Trilobiten hinausgingen. Diese Fragmente mit ihren eigenartigen Spuren mussten zwischen 500 Millionen und eine Milliarde Jahre alt sein.

II.

Soweit ich das beurteilen kann, nahm die Öffentlichkeit regen Anteil an den Funkberichten über Lakes Aufbruch nach Norden, in Regionen, die noch kein Mensch betreten hatte und in die noch nicht einmal die menschliche Vorstellungskraft gedrungen war, auch wenn wir seine wilden Hoffnungen, die Wissenschaften Biologie und Geologie gänzlich zu revolutionieren, nicht erwähnten. Seine vorbereitende Expedition mit Schlitten und Bohrgerät vom 11. bis 18. Januar mit Pabodie und fünf weiteren Teilnehmern – überschattet vom Verlust zweier Hunde bei einem Unfall, als ein Schlitten beim Überqueren einer der großen, durch Druck entstandenen Kanten im Eis umkippte – hatte immer mehr von dem archäischen Schiefer zutage gebracht, und sogar mich beeindruckte die einzigartige Fülle an auffälligen Fossilienspuren in dieser unfassbar alten Gesteinsschicht. Diese Spuren stammten jedoch von sehr primitiven Lebensformen, die nichts Außergewöhnliches an sich hatten, wenn man davon absieht, dass in Gestein wie diesem, das man offenbar eindeutig dem Präkambrium zuordnen konnte, eigentlich noch gar keine Lebensformen hätten vorkommen dürfen. Daher erschien mir Lakes Bitte um eine Unterbrechung unseres auf Zeitersparnis angelegten Programms immer noch reichlich überspannt – zumal für die außerplanmäßige Erkundung alle vier Flugzeuge, viele Männer und die gesamte mechanische Ausrüstung der Expedition benötigt wurden. Letztlich widersprach ich seinem Plan aber nicht, beschloss allerdings, die nach Nordwesten ziehende Gruppe nicht zu begleiten, obwohl Lake mich bat, mein geologisches Wissen beizusteuern. Während sie fort waren, würde ich mit Pabodie und fünf Männern im Basislager bleiben und letzte Pläne für die Verlegung nach Osten ausarbeiten. Um diese Verlegung vorzubereiten, hatte eines der Flugzeuge begonnen, einen großzügigen Benzinvorrat vom McMurdo-Sund herzubringen, doch diese Flüge konnte man vorübergehend aussetzen. Ich behielt einen Schlitten und neun Hunde, da es unklug ist, in einer vollkommen unbesiedelten, seit Äonen leblosen Welt keinerlei Transportmittel zur Verfügung zu haben.

Lakes Sonderexpedition ins Unbekannte schickte, wie man weiß, mit den Kurzwellenfunkgeräten in den Flugzeugen ihre eigenen Berichte. Sie wurden gleichzeitig von unserem Funkgerät im südlichen Basislager und der Arkham im McMurdo-Sund empfangen, von wo sie auf Wellenlängen von bis zu fünfzig Metern weiter an die Außenwelt gesendet wurden. Am 22. Januar um 4.00 Uhr früh brach die Expedition auf, und die erste Funknachricht wurde nur zwei Stunden später empfangen. Lake sprach davon, zu landen, in geringem Umfang Eis abzuschmelzen und an einer Stelle, die rund 300 Meilen von uns entfernt lag, eine Bohrung vorzunehmen. Sechs Stunden später kündete eine zweite und äußerst aufgeregte Nachricht von der hektischen und emsigen Arbeit, mit der man einen nicht besonders tiefen Schacht gegraben und gesprengt habe. Dies führte zur Entdeckung von Schieferfragmenten mit etlichen Spuren, die jenen annähernd ähnlich sahen, die uns anfangs so verblüfft hatten.

Drei Stunden später informierte uns eine kurze Nachricht darüber, dass der Flug inmitten eines heftigen und eisigen Sturms fortgesetzt werde, und als ich dagegen protestierte, weitere Risiken einzugehen, erwiderte Lake schroff, dass die neuen Proben jedes Risiko wert seien. Ich begriff, dass seine Begeisterung bereits an Meuterei grenzte und ich nichts tun konnte, um diese unbesonnene Gefährdung des Erfolgs der gesamten Expedition zu verhindern. Doch es war entsetzlich, sich auszumalen, wie Lake immer tiefer in jene trügerische und unheimliche weiße Unendlichkeit aus Stürmen und unergründeten Geheimnissen vordrang, die sich rund 1500 Meilen bis zur teils bekannten, teils vermuteten Küstenlinie von Queen Mary und Knox Land erstreckte.

Dann, rund eineinhalb Stunden später, erreichte uns jener noch wesentlich aufgeregtere Funkspruch aus Lakes Flugzeug, der meine Gefühle fast umkrempelte und mich wünschen ließ, ich hätte die Gruppe begleitet:

 

22.05 Uhr nachts. Im Flug. Nach Schneesturm haben wir Bergkette voraus gesichtet, höher als alles, was wir je gesehen haben. Könnte an den Himalaja heranreichen, wenn man die Höhe des Plateaus berücksichtigt. Wahrscheinlich 76° 15‘ südlicher Breite, 11° 10‘ östlicher Länge. Erstreckt sich beiderseits, so weit das Auge reicht. Möglicherweise zwei aktive Vulkane. Alle Gipfel schwarz und schneefrei. Der Sturm, der uns von ihnen entgegenweht, beeinträchtigt Navigation.

 

Danach beugten Pabodie, die Männer und ich uns wie gebannt über den Empfänger. An diesen gigantischen, 700