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Xenophons Anabasis ist für den Griechischunterricht, was für den Lateinunterricht Caesars De bello Gallico ist: zentraler Lektürestoff. Für Historiker ist das Werk eine wichtige Quelle für die Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg, als sich griechische Söldner im persischen Osten verdingten, um Kyros im Kampf um den persischen Königsthron zu unterstützen. Doch der Kriegszug im Jahr 401 v. Chr. scheitert – und die Griechen befinden sich auf einmal allein mitten in Feindesland. Die gefährliche Aufgabe, die Soldaten nach Hause zu führen, übernahm damals Xenophon, der Autor dieses Berichts. Die eingeführte und für ihre gute Lesbarkeit geschätzte Übersetzung von Helmuth Vretska wurde für diese Ausgabe behutsam sprachlich aktualisiert und mit einem neuen Nachwort versehen.
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Seitenzahl: 434
Xenophon
Reclam
1958, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2022
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962108-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014224-0
www.reclam.de
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebtes Buch
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Maße
Münzen
Zum Militärwesen
Verzeichnis der Eigennamen
Karte
Literaturhinweise
Nachwort
1(1) Dem Dareios und der Parysatis wurden zwei Söhne geboren: ein älterer, Artaxerxes, ein jüngerer, Kyros. Als Dareios krank war und das Ende seines Lebens vorausahnte, wollte er beide Söhne in seiner Nähe haben. (2) Der ältere war nun zufällig anwesend. Kyros aber ließ er aus dem Herrschaftsbereich rufen, zu dessen Satrapen1 er ihn gemacht hatte. Er hatte ihn auch zum Befehlshaber aller Truppen ernannt, die sich in der Ebene von Kastolos sammelten. Kyros zog also ins Landesinnere mit Tissaphernes, seinem vermeintlichen Freund, und mit dreihundert griechischen Hopliten2 unter dem Befehl des Xenias aus Parrhasia. (3) Als Dareios gestorben war und Artaxerxes die Herrschaft übernommen hatte, verleumdete Tissaphernes den Kyros bei seinem Bruder, dass er Böses gegen ihn plane. Der schenkte ihm Gehör und ließ Kyros ergreifen, um ihn zu töten. Die Mutter aber setzte seine Begnadigung durch und schickte ihn wieder in seinen Herrschaftsbereich.
(4) Als er nun abreiste nach diesem gefahrvollen und schmählichen Erleben, sann er darauf, in Zukunft nicht mehr unter der Bevormundung des Bruders zu stehen, sondern, falls er die Macht dazu hätte, an dessen Stelle König zu werden. Seine Mutter Parysatis begünstigte Kyros, da sie ihn mehr liebte als den gegenwärtigen König Artaxerxes. (5) Alle, die aus dem Gefolge des Großkönigs zu ihm kamen, sandte er in solcher Stimmung zurück, dass sie ihm freundlicher gesinnt waren als dem Großkönig. Auch trug er Sorge, dass die Barbaren3 seiner Umgebung kriegstüchtig und ihm wohlgesinnt waren. (6) Die griechische [6]Streitmacht sammelte er, so heimlich er nur konnte, damit er den Großkönig möglichst unvorbereitet antraf. Auf folgende Weise nun führte er die Sammlung durch: Allen Kommandanten seiner Stadtbesatzungen gab er den Auftrag, möglichst viele und tapfere Peloponnesier4 anzuwerben, unter dem Vorwand, Tissaphernes plane einen Angriff auf die Städte. Denn die ionischen Städte standen ursprünglich unter der Herrschaft des Tissaphernes,5 da sie ihm vom Großkönig gegeben worden waren; damals aber waren alle außer Milet zu Kyros abgefallen. (7) Da Tissaphernes in Milet ahnte, dass manche dasselbe planten, nämlich zu Kyros abzufallen, ließ er die einen hinrichten, die anderen in die Verbannung treiben. Kyros nahm die Verbannten auf, sammelte ein Heer, belagerte Milet zu Land und zu Wasser und versuchte, die Vertriebenen wieder zurückzuführen. Das war ihm ein weiterer Vorwand für die Sammlung eines Heers. (8) Durch einen Boten an den Großkönig ließ er darum bitten, ihm als Bruder diese Städte eher zu verleihen, als dass Tissaphernes über sie herrsche. Dabei unterstützte ihn seine Mutter. Daher merkte der Großkönig den Anschlag gegen sich nicht, sondern meinte, Kyros unterhalte ein Heer, um gegen Tissaphernes Krieg zu führen. Somit war er nicht gegen ihren Krieg, denn Kyros entrichtete dem Großkönig laufend auch die Steuern aus jenen Städten, die er aus dem früheren Besitz des Tissaphernes übernommen hatte.
(9) Ein weiteres Heer wurde ihm auf der Abydos gegenüberliegenden Chersones auf folgende Weise angeworben: Der Lakedaimonier Klearchos war ein Verbannter. Als Kyros mit diesem zusammentraf, lernte er ihn schätzen und gab ihm zehntausend Dareiken. Dieser nahm das Geld, hob [7]damit ein Heer aus, bekämpfte von der Chersones aus die Thraker, die oberhalb des Hellespont siedeln, und nützte dadurch den Griechen; daher steuerten auch die am Hellespont gelegenen Städte freiwillig Geldmittel bei für den Unterhalt seiner Soldaten. Auf solche Weise stand für Kyros heimlich dieses Heer bereit. (10) Der Thessaler Aristippos war ein Gastfreund des Kyros; bedrängt von den Parteigegnern in der Heimat, kam er zu Kyros und erbat von ihm den Sold für zweitausend Kriegsknechte auf drei Monate, weil er so seine Gegner überwinden könnte. Kyros gab ihm Sold für viertausend Söldner auf sechs Monate und ersuchte ihn, sich nicht früher mit der Gegenpartei auszusöhnen, als bis er sich mit ihm beraten hätte. So wurde ihm auch in Thessalien heimlich ein Heer unterhalten. (11) Seinem Gastfreund Proxenos, dem Boioter, befahl er, mit möglichst vielen Soldaten zu ihm zu kommen, da er, wie er vorgab, gegen die Pisider zu Felde ziehen wolle; sie beunruhigten nämlich sein Land. Den Stymphalier Sophainetos und den Achaier Sokrates – auch diese waren seine Gastfreunde – forderte er auf, mit möglichst vielen Soldaten zu erscheinen, um gemeinsam mit den verbannten Milesiern gegen Tissaphernes Krieg zu führen. Und sie taten dies auch.
2(1) Als es ihm gut schien, nunmehr den Marsch ins Landesinnere anzutreten, schützte er die Absicht vor, die Pisider gänzlich aus dem Land zu vertreiben; er zog, als ginge es gegen diese, das Heer der Barbaren und das der Griechen zusammen. Da befahl er dem Klearchos, mit seinem ganzen Heer zu kommen, dem Aristippos aber, sich mit seinen Landsleuten auszusöhnen und seine Truppen zu ihm zu senden. Den Arkader Xenias, den Kommandanten seiner Söldnertruppen in den Städten, ließ er zu sich kommen mit [8]allen seinen Soldaten außer so vielen, wie zum Schutz der Stadtburgen6 ausreichten. (2) Er berief auch die Belagerer von Milet ab und bat die Verbannten, mit ihm zu ziehen. Er versprach ihnen, wenn er den Zweck des Feldzugs erreicht habe, nicht eher zu ruhen, als bis er sie wieder in ihre Heimat zurückgeführt habe. Sie leisteten gerne Folge, denn sie vertrauten ihm, ergriffen die Waffen und fanden sich in Sardes ein. (3) Xenias erschien in Sardes mit ungefähr viertausend Hopliten aus den Städten, Proxenos mit annähernd tausendfünfhundert Hopliten und fünfhundert Leichtbewaffneten, der Stymphalier Sophainetos mit tausend Hopliten, der Achaier Sokrates mit ungefähr fünfhundert Hopliten, Pasion aus Megara mit dreihundert Hopliten und dreihundert Peltasten. Er und Sokrates gehörten dem Belagererheer von Milet an. Diese also kamen zu ihm nach Sardes. (4) Als das Tissaphernes merkte und die Rüstung für einen Zug gegen die Pisider als zu groß erachtete, eilte er so rasch wie möglich mit fünfhundert Reitern zum Großkönig. (5) Als der Großkönig durch Tissaphernes von dem Heereszug des Kyros erfuhr, rüstete er zum Gegenschlag.
Kyros brach mit der Streitmacht, die ich aufgezählt habe, von Sardes auf7 und zog durch Lydien in drei Tagesmärschen zweiundzwanzig Parasangen zum Fluss Maiandros. Seine Breite betrug zwei Plethren; eine Brücke, aus sieben Booten errichtet, führte über ihn. (6) Diesen überquerte er und marschierte durch Phrygien in einem Tagesmarsch acht Parasangen nach Kolossai, einer dichtbevölkerten, reichen und großen Stadt. Dort rastete er sieben Tage. Hierher kam der Thessaler Menon mit tausend Hopliten und fünfhundert Peltasten, Dolopern, Ainianen und Olynthern. [9](7) Von dort marschierte er in drei Tagesmärschen zwanzig Parasangen nach Kelainai8, einer gut bevölkerten großen und reichen Stadt Phrygiens. Hier besaß Kyros einen Palast und einen großen Park voll wilder Tiere, die er vom Pferd aus zu jagen pflegte, sooft er sich und seine Rosse üben wollte. Mitten durch den Park fließt der Maiandros, dessen Quellen im Palastgarten entspringen. Er fließt auch durch die Stadt Kelainai. (8) Es gibt auch einen befestigten Palast des Großkönigs in Kelainai an den Quellen des Marsyas, am Fuße der Stadtburg; auch dieser Fluss fließt mitten durch die Stadt und mündet in den Maiandros. Die Breite des Marsyas beträgt fünfundzwanzig Fuß. Hier hat, der Sage nach, Apollon den Marsyas geschunden, als der ihn im musischen Wettstreit besiegt hatte, und die Haut in der Höhle aufgehängt, aus der die Quellen entspringen; deshalb nämlich wird der Fluss Marsyas genannt.9(9) Hier soll Xerxes, als er aus Griechenland nach der Niederlage in der bekannten Schlacht10 abgezogen war, den Palast und die Stadtburg von Kelainai erbaut haben. In dieser Stadt blieb Kyros dreißig Tage; es kam Klearchos, ein Verbannter aus Lakedaimon, mit tausend Hopliten, achthundert thrakischen Peltasten und zweihundert kretischen Bogenschützen. Zugleich mit ihm war auch Sosis aus Syrakus mit dreihundert Hopliten zur Stelle und Sophainetos11 mit tausend arkadischen Hopliten. Hier in seinem Park hielt Kyros eine Musterung und Zählung der Griechen ab; die gesamte Streitmacht betrug elftausend Hopliten und ungefähr zweitausend Peltasten. (10) Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen zehn Parasangen nach Peltai, einer gut besiedelten Stadt. Dort rastete er drei Tage. Während dieser Zeit feierte der Arkader Xenias die Lykaien12 und [10]veranstaltete einen Wettkampf; die Kampfpreise waren goldene Prunkkämme. Zuschauer dieses Wettkampfs war auch Kyros. Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen zwölf Parasangen nach Keramon Agora13, einer dicht besiedelten Stadt, der letzten gegen Mysien hin. (11) Von dort zog er in drei Tagesmärschen dreißig Parasangen nach Kaystrupedion14. Dort blieb er fünf Tage.
Den Soldaten schuldete er bereits den Sold für mehr als drei Monate. Oft kamen sie daher vor das Feldherrnzelt und forderten ihn ein. Er versuchte, sie mit leeren Vertröstungen hinzuhalten, und war offensichtlich betrübt. Es war nämlich nicht nach der Art des Kyros, wenn er die Mittel dazu hatte, nicht freigebig zu zahlen. (12) Da kam Epyaxa, die Frau des Kilikerkönigs Syennesis, zu Kyros. Sie soll dem Kyros viel Geld überbracht haben. Jetzt zahlte er jedenfalls dem Heer den Sold für vier Monate. Die Kilikerin hatte eine Leibwache um sich von Kilikern und Leuten aus Aspendos. Das Gerücht verbreitete sich auch, Kyros habe mit ihr verkehrt.
(13) Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen zehn Parasangen nach Thymbrion, einer dicht besiedelten Stadt. Dort entsprang entlang des Weges die nach dem Phrygerkönig Midas benannte Quelle, an der dieser der Sage nach den Satyr gefangen hat, nachdem er sie mit Wein vermischt hatte. (14) Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen zehn Parasangen nach Tyriaion, einer dicht besiedelten Stadt. Dort blieb er drei Tage.
Die Kilikerin soll Kyros gebeten haben, ihr das Heer vorzuführen. Da er es ihr gerne zeigen wollte, nahm er in der Ebene eine Parade der Griechen und Barbaren ab. (15) Er befahl den Griechen, sich so in die Schlachtreihe [11]einzugliedern, wie es ihr Kriegsbrauch sei, und forderte jeden Offizier auf, seine Truppe zu formieren. Sie stellten sich vier Mann tief auf; den rechten Flügel hielt Menon mit seiner Abteilung, den linken Klearchos mit seinen Truppen, die Heeresmitte die übrigen Strategen. (16) Kyros musterte nun zuerst die Barbaren. Diese, Fußvolk und Reiterei, marschierten, in ihren Abteilungen geordnet, vorbei. Danach besichtigte er die Griechen, indem er auf einem Streitwagen, die Kilikerin in einer Prunkkutsche, die Front entlangfuhr. Alle hatten eherne Helme, Purpurhemden und Beinschienen angelegt und die Schilde enthüllt. (17) Als er an allen vorübergefahren war, ließ er den Wagen mitten vor der Schlachtreihe halten, schickte den Dolmetscher Pigres zu den Strategen der Griechen und ließ ihnen befehlen, die gesamte Schlachtreihe mit angriffsbereiten Waffen anmarschieren zu lassen. Diese gaben den Befehl den Soldaten weiter. Auf ein Trompetensignal legten sie die Waffen ein und rückten vor. Als darauf die Soldaten immer schneller unter Geschrei vorrückten, kamen sie von selber ins Laufen und stürmten gegen die Zelte. Die Barbaren erfasste da großer Schrecken, (18) die Kilikerin floh in ihrem Wagen, und die Händler ließen ihre Waren liegen und liefen davon. Die Griechen aber kamen lachend zu den Zelten. Die Kilikerin geriet in Staunen über den Anblick der Pracht und Ordnung des Heers. Kyros aber freute sich, als er die Angst der Barbaren vor den Griechen bemerkte.
(19) Von dort marschierte er in drei Tagesmärschen zwanzig Parasangen nach Ikonion, der östlichsten Stadt Phrygiens. Dort blieb er drei Tage. Von dort marschierte er durch Lykaonien in fünf Tagesmärschen dreißig Parasangen weit. Dieses Gebiet überließ er als Feindesland den Griechen zur [12]Plünderung. (20) Von hier entließ Kyros die Kilikerin auf dem schnellsten Weg nach Kilikien und mit ihr Soldaten unter Menons Führung. Er selbst marschierte mit den anderen durch Kappadokien in vier Tagesmärschen fünfundzwanzig Parasangen nach Dana, einer bevölkerten, großen und reichen Stadt. Hier blieben sie drei Tage. Während dieser Zeit ließ Kyros den Perser Megaphernes hinrichten, einen königlichen Hofbeamten, und einen anderen vornehmen Unterstatthalter, die er des hinterlistigen Verrats an ihm beschuldigte. (21) Von hier versuchte er in Kilikien einzufallen. Der Pass war ein sehr steiler Fahrweg und für ein Heer unüberwindbar, wenn ihn jemand sperrte. Es sickerten auch Gerüchte durch, Syennesis habe die Höhen besetzt und bewache den Passübergang. Deshalb verweilte Kyros einen Tag lang in der Ebene. Am nächsten Tag brachte ein Bote die Nachricht, Syennesis habe die Höhen verlassen, da er bemerkt habe, dass das Heer des Menon bereits diesseits der Berge in Kilikien stehe, und erfahren habe, dass Tamos mit Trieren der Lakedaimonier und des Kyros von Lakedaimonien nach Kilikien heransegle. (22) Kyros rückte also gegen die Berghöhen vor, ohne dass ihn jemand behinderte, und erblickte die Hütten, wo die Kiliker auf Wache gelegen waren. Von dort stieg er in eine große, schöne und reichbewässerte Ebene hinab,15 die voll war von verschiedensten Bäumen und Weinstöcken. Sie trug auch Sesam, Fennig, Hirse, Weizen und Gerste in reichem Maß. Ein gewaltiges, hohes Gebirge umschloss sie von Meer zu Meer. (23) Nach dem Abstieg durchzog er diese Ebene in vier Tagesmärschen, das sind fünfundzwanzig Parasangen, bis nach Tarsos, einer großen und begüterten Stadt in Kilikien. Dort stand die Burg des Kilikerkönigs [13]Syennesis. Mitten durch die Stadt ergießt sich ein Fluss namens Kydnos, der zwei Plethren breit ist. (24) Diese Stadt hatten die Bewohner mit Syennesis verlassen und sich alle in eine Bergbefestigung zurückgezogen, außer den Besitzern von Kaufläden. Es blieben aber auch die Leute, die am Meer in Soloi und Issos lebten. (25) Epyaxa, die Gemahlin des Syennesis, war fünf Tage vor Kyros in Tarsos angekommen. In dem Gebirgspass, der in die Ebene führte, gingen zwei Abteilungen aus dem Heer des Menon verloren. Nach der Meinung der einen waren sie beim Plündern von den Kilikern niedergemacht worden; andere wiederum behaupteten, sie seien zurückgeblieben, hätten weder das übrige Heer noch die Wege mehr finden können und seien nach langem Umherirren zugrundegegangen. Es waren hundert Hopliten. (26) Als die anderen angekommen waren, plünderten sie aus Zorn über den Untergang ihrer Kameraden die Stadt und auch die Königsburg in ihr. Als Kyros in die Stadt einmarschiert war, ließ er Syennesis zu sich rufen. Der antwortete, er sei auch früher keinem Mächtigeren in die Hände gefallen, als er selbst sei. Daher wollte er nicht vor Kyros erscheinen, bis ihn seine Frau überredete und er Treupfänder erhielt. (27) Als sie danach zusammengekommen waren, gab Syennesis dem Kyros viel Geld für den Feldzug, Kyros aber jenem Geschenke, die bei einem König als kostbar gelten: ein Ross mit goldenem Zügelwerk, eine goldene Halskette, Armbänder, ein goldenes Schwert, ein persisches Gewand und das Versprechen, das Land nicht mehr zu verwüsten; die geraubten Sklaven sollte er wiedererhalten, falls man sie irgendwo einfange.
3(1) Dort verblieb Kyros mit seinem Heer zwanzig Tage; denn die Soldaten weigerten sich weiterzumarschieren. Sie [14]vermuteten nämlich bereits, dass der Zug gegen den Großkönig gerichtet sei, und behaupteten, nicht zu diesem Zweck angeworben zu sein. Als Erster versuchte Klearchos, seine Soldaten zum Weitermarsch zu zwingen. Diese aber bewarfen ihn und seine Zugtiere mit Steinen, sooft sie weiterzumarschieren begannen. (2) Klearchos entging damals mit knapper Not der Steinigung. Als er später erkannte, er werde mit Gewalt nichts erreichen können, berief er eine Versammlung seiner Soldaten ein. Zuerst stand er weinend lange Zeit da. Die Soldaten wunderten sich über den Anblick und schwiegen. (3) Dann hielt er folgende Ansprache: »Soldaten, wundert euch nicht, dass ich über die gegenwärtige Lage betrübt bin. Denn Kyros wurde mein Gastfreund, gab mir während meiner Verbannung aus dem Vaterland außer sonstigen Ehren vor allem zehntausend Dareiken. Dieses Geld legte ich weder für den Privatgebrauch zurück noch verschwendete ich es, sondern ich wendete es für euch auf. (4) Zuerst zog ich gegen die Thraker in den Krieg und nahm für Griechenland Rache mit euch zusammen, da ich sie aus der Chersones verjagte, weil sie die griechischen Bewohner des Landes berauben wollten. Als mich Kyros zu sich rief, zog ich mit euch zu ihm, um ihm, falls er es nötig hat, als Dank für die erwiesenen Wohltaten von Nutzen zu sein. (5) Da ihr jetzt nicht mit mir weitermarschieren wollt, so muss ich entweder euch verraten und dadurch die Freundschaft des Kyros bewahren, oder vor jenem als Lügner erscheinen und es mit euch halten. Ob ich recht handeln werde, weiß ich nicht: Ich werde jedenfalls eure Partei ergreifen und mit euch ertragen, was kommen mag. Niemals wird jemand sagen, dass ich, der ich Griechen gegen Barbaren führte, die Griechen verraten und die [15]Freundschaft mit den Barbaren vorgezogen hätte. (6) Im Gegenteil, da ihr mir nicht gehorchen wollt, werde ich euch folgen und ertragen, was immer nötig ist. Denn ich glaube, dass ihr mir Vaterland, Freunde und Kampfgenossen seid; mit euch bin ich überall geehrt; von euch verlassen, bin ich kaum geeignet, einem Freund zu nützen oder einen Feind abzuwehren. Seid also der Überzeugung, ich werde gehen, wohin immer ihr wollt.« So sprach er. Als seine eigenen Soldaten und die anderen vernommen hatten, dass er sich weigere, gegen den Großkönig zu ziehen, stimmten sie freudig zu. (7) Von den Truppen des Xenias und des Pasion ergriffen mehr als zweitausend ihre Waffen, sammelten den Tross und schlugen bei Klearchos ihr Lager auf.
(8) Kyros, der über die Lage im Unklaren und betrübt war, ließ Klearchos zu sich bitten. Der war entschlossen, nicht zu gehen, schickte aber ohne Wissen der Soldaten einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen, er solle unbesorgt sein, da sich alles wieder ordnen werde. Er riet ihm, ihn rufen zu lassen, er werde aber, so erklärte er, nicht kommen. (9) Danach rief er seine Soldaten, die Überläufer und von den Übrigen noch jeden, der dazu bereit war, zu einer Versammlung und hielt folgende Rede: »Soldaten, das Verhältnis des Kyros zu uns ist offenkundig ebenso wie das unsrige zu ihm: Denn wir sind nicht mehr seine Soldaten, da wir ihm ja nicht mehr Gehorsam leisten, aber jener ist auch nicht mehr unser Soldgeber. (10) Dass er jedoch der Ansicht ist, von uns hintergangen worden zu sein, weiß ich. Daher weigere ich mich auch, trotz seiner Aufforderung, zu ihm zu gehen, hauptsächlich aus Scham, da ich mir voll bewusst bin, ihn betrogen zu haben, dann auch aus Furcht, er werde mich ergreifen und dafür bestrafen, worin er, wie er glaubt, [16]von mir hintergangen worden ist. (11) Ich glaube also, dass es nicht Zeit für uns ist, zu schlafen und sorglos um uns selbst zu sein, sondern zu beraten, was nach diesen Vorfällen zu tun ist. Solange wir hier bleiben, glaube ich, müssen wir darauf achten, wie wir möglichst sicher bleiben. Wenn wir aber beschließen abzuziehen, wie wir am sichersten abziehen und auf welche Weise wir uns die Lebensmittel verschaffen können. Denn ohne diese ist weder Feldherr noch Soldat etwas wert. (12) Jener ist seinem Freund von großem Wert, seinem Feind aber ein sehr gefährlicher Gegner, denn er besitzt ein Heer von Fußsoldaten und Reitern und eine Flottenmacht, die wir alle sehen und kennen. Denn wir lagern ja, denke ich, nicht weit von ihm entfernt. Es ist also Zeit, dass ein jeder sagt, was ihm als das Vorteilhafteste erscheint.« Mit diesen Worten schloss er seine Rede. (13) Hierauf erhoben sich einige aus eigenem Antrieb, um ihre Meinung zu sagen, andere auch auf Betreiben des Klearchos. Diese wiesen darauf hin, wie ausweglos es sei, ohne die Zustimmung des Kyros zu bleiben oder zu gehen. (14) Einer, der sich zum Schein um die möglichst schnelle Rückkehr nach Griechenland bemühte, schlug vor, in größter Eile andere Feldherren zu wählen, wenn Klearchos sie nicht zurückführen wolle. Die Lebensmittel solle man auf dem Markt einkaufen – der Markt aber war im persischen Heerlager – und sich zum Abmarsch rüsten. Von Kyros sollten sie Schiffe für die Heimfahrt verlangen; falls er sie ihnen nicht geben sollte, möge man ihn um einen Führer bitten, der sie durch befreundetes Land zurückführe; wenn er ihnen nicht einmal einen Führer geben wolle, möge man sich schnellstens zum Kampf ordnen und eine Vorhut zur Besetzung der Höhen vorausschicken, damit ihnen weder [17]Kyros noch die Kiliker dabei zuvorkämen. »Denn von diesen haben wir viele Leute und viel Besitz geraubt.« So sprach dieser. Nach ihm sagte Klearchos Folgendes: (15) »Dass ich in diesem Feldzug der Anführer sein werde, soll niemand von euch behaupten. Ich sehe nämlich viele Gründe, aus denen ich das nicht tun darf. Dem Mann aber, den ihr wählen werdet, will ich gehorchen, soweit es nur möglich ist, damit ihr erkennt, dass ich mir auch befehlen lasse wie irgendein anderer Mensch.« (16) Nach ihm erhob sich ein anderer, der auf die Torheit jenes Soldaten hinwies, der geraten hatte, Schiffe zu erbitten, als ob Kyros den Rückmarsch antreten wolle. Er wies auch darauf hin, wie töricht es sei, einen Führer von dem Mann zu fordern, »dessen Unternehmen wir zuschanden machen. Wenn wir dem Führer vertrauen wollen, den uns Kyros vielleicht geben wird, was hindert uns, Kyros zu ersuchen, auch die Höhen für uns vorher zu besetzen? (17) Ich für meinen Teil würde jedenfalls Bedenken tragen, die Schiffe zu betreten, die er uns gibt, aus Furcht, er werde uns mit seinen Trieren versenken; auch würde ich mich scheuen, dem Führer, den er uns gibt, zu folgen, dass er uns nicht in eine Lage bringt, aus der ein Entkommen unmöglich ist. Ich möchte lieber, wenn schon gegen den Willen des Kyros, auch ohne sein Wissen abziehen. (18) Das aber ist nicht möglich. Daher erkläre ich diese Vorschläge für unnützes Geschwätz. Ich bin vielmehr der Ansicht, es sollten geeignete Männer gemeinsam mit Klearchos zu Kyros gehen und ihn fragen, wozu er uns verwenden will. Wenn das Unternehmen ungefähr dem gleich ist, wofür er vorher die Söldner verwendet hatte, so wollen auch wir folgen und uns nicht als schlechter erweisen als diejenigen, die früher mit ihm ins Landesinnere gezogen [18]sind.16(19) Wenn aber das Unternehmen bedeutender erscheint als das frühere, mühevoller und gefährlicher, so sollten wir von ihm fordern, er möge uns zum Mitmarsch überreden17 und dann uns führen oder dem friedlichen Abmarsch zustimmen; denn dann ergibt sich dies: Folgen wir ihm, so folgen wir in Freundschaft und bereitwillig, ziehen wir ab, so ziehen wir in Sicherheit ab. Was immer er darauf antwortet, soll man hierher melden; wir wollen, wenn wir den Bericht entgegengenommen haben, darüber beraten.«
(20) Das wurde beschlossen. Man wählte Männer und schickte sie mit Klearchos aus. Diese legten Kyros die vom Heer beschlossenen Fragen vor. Er antwortete, er habe gehört, dass sein Feind Abrokomas am Euphrat stehe, zwölf Tagemärsche entfernt. Gegen diesen, sagte er, wolle er ziehen. Sei er dort, so wolle er ihn bestrafen, sei er geflohen – »dann werden wir dort hierüber verhandeln«. (21) Was sie vernommen hatten, meldeten die Abgesandten den Soldaten. Diese hatten zwar den Verdacht, er führe sie gegen den Großkönig, beschlossen aber doch zu folgen. Sie forderten jedoch eine Erhöhung des Soldes. Kyros versprach allen das Eineinhalbfache dessen, was sie vorher bezogen hatten, anstelle eines Dareiken drei Halbdareiken pro Monat und Soldat. Dass er aber gegen den Großkönig ziehe, hörte nicht einmal hier jemand, zumindest nicht in aller Öffentlichkeit.
4(1) Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen zehn Parasangen zum Fluss Psaros, der drei Plethren breit war. Von dort zog er in einem Tagesmarsch fünf Parasangen zum Pyramosfluss, der ein Stadion breit war. Von dort marschierte er in zwei Tagesmärschen fünfzehn Parasangen nach Issos, der östlichsten Stadt Kilikiens, die, am Meer [19]gelegen, dicht besiedelt, groß und reich war. (2) Dort verblieb er drei Tage. Hier stießen die fünfunddreißig Schiffe aus der Peloponnes und auf ihnen der Nauarch Pythagoras aus Lakedaimon zu Kyros.18 Es hatte sie der Ägypter Tamos von Ephesos herbeigeführt mit fünfundzwanzig weiteren Schiffen des Kyros, mit denen er Milet belagert hatte, als es noch mit Tissaphernes verbündet war. Gemeinsam mit Kyros hatte er gegen jenen Krieg geführt. (3) Auf den Schiffen war auch der Lakedaimonier Cheirisophos, den Kyros herbeigerufen hatte. Er führte siebenhundert Hopliten mit sich, deren Stratege er unter Kyros war. Die Schiffe ankerten in der Nähe des Kyroszeltes. Jetzt fielen auch die bei Abrokomas dienenden Griechen ab und liefen zu Kyros über – es waren vierhundert Hopliten – und zogen gemeinsam mit den anderen gegen den Großkönig.
(4) Von hier marschierte er in einem Tagesmarsch fünf Parasangen bis zu den Pforten Kilikiens und Syriens. Es waren dort zwei Mauern, die innere gegen Kilikien hin hielt Syennesis mit einer Wache von Kilikern besetzt, die äußere gegen Syrien hin bewachte angeblich eine Abteilung des Großkönigs. In der Mitte zwischen diesen beiden Mauern strömte ein Fluss, Karsos mit Namen, dessen Breite ein Plethron betrug. Der ganze Raum zwischen den Mauern betrug drei Stadien; ihn mit Gewalt zu durchqueren, war unmöglich; denn der Durchgang war eng und die Mauern reichten bis zum Meer; darüber aber erhoben sich schroffe Felsen. An beiden Mauern waren Tore angebracht. (5) Dieses Durchgangs wegen hatte Kyros die Schiffe zu sich beordert, um Hopliten an Land zu setzen, die innerhalb und außerhalb der Tore die Feinde überwältigen sollten, wenn diese an der syrischen Pforte Wache hielten. Das nämlich, [20]so glaubte Kyros, werde Abrokomas tun, da er eine große Streitmacht bei sich hatte. Abrokomas aber tat dies nicht; denn als er von der Anwesenheit des Kyros in Kilikien erfuhr, verließ er Phoinikien und zog zum Großkönig. Er soll dreihunderttausend Soldaten bei sich gehabt haben.
(6) Von dort zog Kyros durch Syrien in einem Tagesmarsch fünf Parasangen nach Myriandos, einer von Phoinikern bewohnten Stadt am Meer. Der Ort war ein Handelsplatz, und es ankerten dort viele Lastschiffe. (7) Dort blieb er sieben Tage. Der Arkader Xenias und der Megarer Pasion bestiegen ein Schiff, verluden ihren wertvollsten Besitz und segelten ab, wie die meisten glaubten, aus gekränktem Ehrgeiz; denn ihre Soldaten waren zu Klearchos übergelaufen, in der Hoffnung, nach Griechenland und nicht gegen den Großkönig zu ziehen, und Kyros hatte sie dem Klearchos gelassen. Als sie verschwunden waren, verbreitete sich das Gerücht, Kyros lasse sie mit Trieren verfolgen. Da wünschten die einen, die Feiglinge mögen gefangen werden, die anderen bemitleideten sie, falls sie gefasst würden. (8) Kyros rief die Strategen zusammen und sprach zu ihnen: »Xenias und Pasion haben uns verlassen. Sie sollen es aber wohl wissen, dass sie noch nicht entkommen sind; denn ich weiß, wohin sie gesegelt sind. Sie sind auch noch nicht entflohen [und in Sicherheit]; ich habe nämlich Trieren, um ihr Schiff abzufangen. Aber, bei den Göttern, ich werde sie nicht verfolgen, und niemand soll sagen, dass ich jemanden, solange er bei mir weilt, ausnütze, wenn er aber weggehen will, ihn ergreifen lasse, schlecht behandle und seines Besitzes beraube. Sollen sie nur abziehen in dem Bewusstsein, gegen mich schlechter zu handeln als ich gegen sie. Ich habe zwar ihre Kinder und Frauen zu Tralles in [21]festem Gewahrsam; aber auch diese sollen sie nicht verlieren, sondern zurückerhalten wegen ihrer früheren Verdienste um mich.« (9) So sprach er. Als die Griechen von dem Edelmut des Kyros erfuhren, marschierten sie freudiger und bereitwilliger mit ihm, wenn auch vorher mancher etwas ungehalten war über den Marsch ins Landesinnere.
Hierauf zog Kyros in vier Tagesmärschen zwanzig Parasangen zum Fluss Chalos, dessen Breite ein Plethron betrug. Er war voll großer und zahmer Fische, die die Syrer für Götter hielten und nicht verletzen ließen, ebensowenig wie die Tauben. Die Dörfer, in denen sie wohnten, gehörten der Parysatis, ihr verliehen zur Bestreitung ihres Aufwands.19(10) Von dort marschierte er in fünf Tagesmärschen dreißig Parasangen zu den Quellen des Dardasflusses, der ein Plethron breit war. Dort war ein Palast des [früheren] syrischen Statthalters Belesys mit einem großen und schönen Park, der alles enthielt, was die Jahreszeiten wachsen ließen. Kyros ließ ihn niederreißen und den Palast niederbrennen. (11) Von dort marschierte er in drei Tagesmärschen fünfzehn Parasangen zum Euphrat, dessen Breite vier Stadien betrug. Dort lag eine große, reiche Stadt, Thapsakos20 mit Namen. Hier blieb er fünf Tage.
Kyros rief die Heerführer der Griechen zu sich und teilte ihnen mit, dass der Feldzug gegen den Großkönig nach Babylon gerichtet sei. Er forderte sie auf, das den Soldaten zu berichten und sie zur Heeresfolge zu überreden. In einer Versammlung berichteten diese darüber. (12) Die Soldaten zürnten ihren Anführern und behaupteten, diese hätten es schon längst gewusst, aber verheimlicht. Sie verweigerten die Heeresfolge, wenn man ihnen nicht denselben Sold gebe wie den Soldaten, die schon früher mit Kyros ins [22]Landesinnere gezogen seien, und zwar nicht in den Kampf, sondern weil der Vater Kyros zu sich gerufen hatte. (13) Das berichteten die Strategen dem Kyros. Dieser versprach, jedem Mann fünf Silberminen zu geben, wenn sie nach Babylon gekommen seien, und den vollen Sold, bis er die Griechen wieder nach Ionien zurückgebracht habe. Dadurch ließ sich das Gros des Griechenheers überreden. Bevor aber klar ersichtlich war, was die übrigen Soldaten machen würden, ob sie dem Kyros folgen würden oder nicht, hatte Menon sein Heer gesammelt abseits von den anderen und Folgendes gesprochen: (14) »Männer, wenn ihr mir gehorcht, so werdet ihr ohne Gefahr und Mühe mehr als alle übrigen Soldaten von Kyros geehrt werden. Was rate ich euch also zu tun? Jetzt ersucht Kyros die Griechen, ihm gegen den Großkönig zu folgen. Ich erkläre daher, dass ihr den Euphrat überschreiten müsst, bevor die Antwort der übrigen Griechen an Kyros bekannt wird. (15) Denn wenn sie zu folgen beschließen, werdet ihr als die Urheber des Beschlusses gelten, da ihr als Erste den Fluss überschritten habt. Kyros aber wird euch als den Bereitwilligsten Dank wissen und abstatten; denn das versteht er wie kein anderer. Wenn die anderen aber ablehnen, werden wir zwar alle den Rückmarsch antreten, euch aber als die Treuesten wird er als Phrurarchen und Lochagen verwenden. Auch was ihr sonst noch erbittet, werdet ihr, ich weiß es, als Freunde von Kyros erhalten.« (16) Durch diese Worte ließen sich die Soldaten überreden und begannen den Übergang, bevor die anderen geantwortet hatten. Als Kyros sah, dass sie den Fluss überquert hatten, freute er sich und ließ dem Heer durch seinen Herold Glus sagen: »Ich, Kameraden, lobe euch schon jetzt; dass auch ihr mich loben werdet, dafür [23]werde ich schon sorgen, oder ihr sollt mich nicht mehr Kyros nennen.« (17) Die Soldaten beteten voll froher Hoffnungen um sein Glück; dem Menon soll er fürstliche Geschenke übersandt haben. Hierauf setzte er über den Fluss; es folgte ihm auch das ganze übrige Heer. Beim Durchschreiten des Flusses wurde keiner oberhalb der Brust durchnässt. (18) Die Bewohner von Thapsakos erklärten, dass dieser Fluss niemals vorher zu Fuß überquert werden konnte, sondern nur mit Schiffen. Diese hatte Abrokomas, da er früher vorbeigezogen war, verbrennen lassen, damit Kyros nicht über den Fluss komme. Es schien ein göttliches Wunder zu sein: Offensichtlich wich der Fluss vor Kyros, dem künftigen König, zurück.
(19) Von dort zog er durch Syrien in neun Tagesmärschen fünfzig Parasangen und kam zum Araxes. Dort lagen viele Dörfer, reich an Getreide und Wein. Hier blieben sie und versorgten sich mit Lebensmitteln.
5(1) Von dort marschierte Kyros durch Arabien, den Euphrat zur Rechten, in fünf Tagesmärschen fünfunddreißig Parasangen durch ödes Gebiet. In diesem Landstrich war der Boden ganz eben, glatt wie das Meer, aber voll von Wermutpflanzen. Was sonst noch an Gehölz und Schilfpflanzen dort wuchs, war alles wohlriechend wie Gewürz. (2) Ein Baum stand nirgends, aber alle möglichen wilden Tiere, sehr viele wilde Esel und zahlreiche Strauße gab es dort, aber auch Trappen und Rehe. Diese Tiere wollten die Reiter mehrmals verfolgen. Wenn aber einer die Esel verfolgte, liefen sie voraus und blieben dann stehen; denn sie liefen viel schneller als die Pferde. Wenn sich die Reiter wieder genähert hatten, taten sie das Gleiche. Daher war es nicht möglich, sie zu fangen, außer wenn die Jäger sich in [24]Zwischenräumen aufstellten und sich bei der Jagd ablösten. Das Fleisch der gefangenen Tiere war ähnlich dem Hirschwildbret, nur etwas zarter. (3) Einen Strauß fing niemand; die verfolgenden Reiter gaben es bald auf; denn weit enteilte er auf der Flucht, wobei er sich der Füße zum Lauf bediente und sich mit den Flügeln, die er wie ein Segel gebrauchte, vom Boden hob. Hingegen kann man die Trappen, wenn man sie plötzlich aufscheucht, fangen; denn sie fliegen nur kurz auf wie die Rebhühner und ermüden bald. Ihr Fleisch war äußerst wohlschmeckend.
(4) Auf dem Zug durch dieses Land kamen sie zum Maskas, der ein Plethron breit war. Dort lag eine unbewohnte, große Stadt, Korsote mit Namen. Sie wurde vom Maskas rings umflossen. Dort blieben sie drei Tage und versorgten sich mit Lebensmitteln. (5) Von dort zog er in dreizehn Tagesmärschen durch ödes Gebiet neunzig Parasangen, den Euphrat zur Rechten, und kam nach Pylai21. Während dieser Tagesmärsche gingen viele der Zugtiere an Hunger zugrunde; denn nirgends wuchs Gras noch irgendein Strauch, sondern das ganze Land war kahl. Die Bewohner gruben Mühlsteine längs des Euphrat, bearbeiteten sie und brachten sie nach Babylon zum Verkauf. Mit dem Erlös kauften sie Getreide und lebten davon. (6) Hier ging dem Heer der Proviant aus; kaufen konnte man nur auf dem Markt der Lyder im Barbarenlager des Kyros, und zwar die Kapithe Weizen oder Gerstengraupe um vier Siglen. Der Siglos hat den Wert von siebeneinhalb attischen Obolen. Eine Kapithe fasst zwei attische Choiniken. Also brachten sich die Soldaten mit Fleischkost durch. (7) An einigen dieser Tage ließ Kyros ziemlich weit marschieren, wenn er zu einer Wasserstelle oder einem Weideplatz gelangen wollte. Als sich [25]einmal in einer Wegenge ein für die Wagen schwer durchfahrbarer Sumpf zeigte, hielt Kyros mit seinem Gefolge der vornehmsten und wohlhabendsten Männer an und beauftragte Glus und Pigres, mit Soldaten des Barbarenheers die Wagen herauszuziehen. (8) Da sie ihm etwas säumig zu arbeiten schienen, befahl er wie im Zorn den vornehmsten Persern seiner Umgebung mitzuhelfen und die Wagen rasch wieder flottzumachen. Da konnte man eine Probe von Disziplin sehen. Denn sie warfen ihre purpurnen Obergewänder ab, wo jeder gerade stand, und rannten wie im Wettlauf den ziemlich steilen Hügel hinab in ihren kostbaren Leibröckchen und bunten Hosen, einige sogar mit ihren Ketten um den Hals und Spangen an den Armen. Sofort sprangen sie mit diesem Schmuck in den Sumpf und machten schneller, als man hätte erwarten können, die Wagen wieder flott. (9) Überhaupt war es offensichtlich, dass Kyros den ganzen Marsch beschleunigte und nur dort verweilte, wo er wegen der Verproviantierung oder aus einem anderen notwendigen Grund haltmachen musste. Denn er war der Ansicht, je schneller er marschiere, desto weniger zum Kampf gerüstet werde er den Großkönig vorfinden, je langsamer aber, desto mehr Truppen würden vom Großkönig zusammengezogen werden. Ein aufmerksamer Beobachter der Herrschaft des Großkönigs konnte erkennen, dass in der Fülle der Länder und Menschen ihre Stärke lag, in der Länge der Wegstrecken und der Zersplitterung der Truppen ihre Schwäche, wenn nämlich einer schnell den Krieg eröffnete.
(10) Jenseits des Euphrats, in der Gegend der Wüstenmärsche, lag eine reiche und große Stadt mit Namen Charmande. Aus dieser erhandelten sich die Soldaten die Lebensmittel, indem sie mit Flößen auf folgende Weise [26]übersetzten: Die Lederfelle, die sie als Zeltdecken mit sich führten, füllten sie mit trockenem Gras; dann falteten und nähten sie sie zusammen, damit das Wasser das Heu nicht berühren konnte. Auf diesen setzten sie über und holten die Lebensmittel, Dattelwein und Hirsebrot; denn dieses gab es in dem Land reichlich.
(11) Als hier zwischen zwei Soldaten des Menon und des Klearchos über irgendetwas Streit ausbrach, versetzte Klearchos dem Soldaten des Menon Schläge, da er ihn für den Schuldigen hielt. Der ging zu seiner Truppe und erzählte davon. Als die Soldaten das hörten, waren sie wütend und zürnten dem Klearchos gewaltig.
(12) Am selben Tag kam Klearchos zur Stelle des Flussübergangs und ritt nach der Besichtigung des dortigen Markts mit kleinem Gefolge durch das Heerlager des Menon zu seinem Zelt zurück. Kyros war noch nicht angekommen, sondern erst im Anmarsch. Als einer von Menons Soldaten, der gerade Holz spaltete, den Klearchos durchreiten sah, warf er mit der Axt nach ihm. Dieser verfehlte ihn zwar, aber ein anderer warf einen Stein nach ihm und noch einer, darauf viele, unter lautem Geschrei. (13) Klearchos floh zu seinen Truppen und rief sie sofort unter die Waffen. Seinen Hopliten befahl er, die Schilde an die Knie gelehnt zu warten. Er selbst nahm die Thraker und die Reiter, deren vierzig in seinem Heer waren – zum Großteile auch Thraker – und zog gegen die Truppen Menons, so dass jene und Menon selbst erschraken und zu den Waffen liefen. Andere wieder standen ratlos da. (14) Proxenos aber – er rückte zufällig später heran mit seiner Abteilung von Hopliten – zog sofort in die Mitte zwischen beide Parteien, ließ haltmachen und bat Klearchos, von seinem Plan zu lassen. Dieser [27]war erzürnt, dass jener so ruhig über sein Leid spreche, obwohl er doch beinahe gesteinigt worden wäre, und forderte ihn auf, aus der Mitte abzuziehen. (15) In diesem Augenblick traf auch Kyros ein und hörte von dem Vorfall. Sofort ergriff er seine Wurfspeere22 und ritt mit den Getreuen, die um ihn waren, in die Mitte und sprach Folgendes: (16) »Klearchos, Proxenos und ihr anderen Griechen, die ihr zugegen seid, ihr wisst nicht, was ihr tut. Wenn ihr nämlich untereinander einen Kampf beginnt, so sollt ihr wissen, dass ich noch an diesem Tag niedergeschlagen sein werde und ihr nicht viel später als ich. Denn wenn es um uns schlecht steht, so werden uns alle diese Barbaren, die ihr seht, feindlicher gesinnt sein als die Truppen des Großkönigs.« (17) Als das Klearchos hörte, kam er wieder zu sich. Beide Parteien ließen vom Streit ab und legten die Waffen nieder.
6(1) Als sie von dort weiterzogen, zeigten sich Spuren und Kot von Pferden. Man vermutete, dass die Fährte von ungefähr zweitausend Pferden herrühre. Diese Truppe hatte auf ihrem Vormarsch das Heu verbrannt und was sonst noch von Nutzen war. Orontas, ein Perser und Verwandter des Großkönigs, der im Kriegswesen unter die Besten der Perser gerechnet wurde, unternahm einen Anschlag gegen Kyros; er hatte schon früher gegen ihn Krieg geführt, sich aber mit ihm ausgesöhnt. (2) Dieser ließ Kyros sagen, wenn er ihm tausend Reiter gebe, werde er die vor ihm brandschatzenden Reiter in einem Hinterhalt niedermachen oder viele von ihnen lebend fangen und sie am Heranrücken und Niederbrennen hindern; er werde auch erreichen, dass sie nicht mehr dem Großkönig melden könnten, sie hätten das Heer des Kyros gesehen. Kyros erschien der Vorschlag nützlich, und er befahl ihm, von jedem der Anführer [28]einen Teil [der Reiter] zu nehmen. (3) Als Orontas glaubte, die Reiter stünden für ihn bereit, schrieb er einen Brief an den Großkönig, er werde mit möglichst vielen Berittenen kommen. Er bat ihn auch, seinen Reitern aufzutragen, ihn wie einen Freund aufzunehmen. Der Brief enthielt noch Erwähnungen der früheren Freundschaft und Treue. Diesen Brief gab er einem, wie er glaubte, treuen Mann. Der nahm ihn und gab ihn Kyros. (4) Als Kyros ihn gelesen hatte, ließ er Orontas ergreifen und die sieben edelsten Perser seines Gefolges in sein Zelt rufen. Den griechischen Strategen befahl er, Hopliten heranzuführen und rings um sein Zelt aufzustellen. Diese taten so und führten ungefähr dreitausend Hopliten herbei.
(5) Klearchos rief er ebenfalls zu sich als Mitberater; denn der schien bei ihm und den anderen Persern vor allen anderen Griechen in höchstem Ansehen zu stehen. Als er herauskam, berichtete er seinen Freunden, wie das Gericht über Orontas verlaufen sei; denn die Verhandlung war nicht geheim gewesen. Er sagte, Kyros habe seine Rede mit folgenden Worten begonnen: (6) »Ich habe euch zu mir gerufen, Freunde, um mit euch zu beraten, was vor Göttern und Menschen gerecht ist, um es dann an diesem Orontas da zu vollstrecken. Ihn hat zuerst mein Vater mir als Untertanen gegeben. Dann begann er auf Befehl meines Bruders, wie er angibt, im Besitz der Stadtburg von Sardes gegen mich Krieg zu führen. Ich aber kämpfte gegen ihn und erreichte, dass er vom Krieg gegen mich abzulassen beschloss. Ich gab und empfing Bürgschaft – habe ich dich danach«, so sagte er, »in irgendeiner Weise geschädigt, Orontas?« Dieser verneinte. (7) Wiederum fragte Kyros: »Bist du nicht später, ohne von mir ein Unrecht erfahren zu haben, wie du [29]selber zugibst, zu den Mysern übergegangen und hast mein Land verwüstet, soweit es nur in deinen Kräften stand?« Orontas gab es zu. »Bist du nicht«, sagte Kyros, »als du wiederum deine Ohnmacht erkanntest, zum Altar der Artemis23 gekommen und hast erklärt, du empfändest Reue? Hast du mir nicht wiederum, nachdem du mich überredet hast, Treue geschworen und ich dir?« Auch das gab Orontas zu. (8) »Welches Unrecht also«, sagte Kyros, »hast du von mir erfahren, dass du nun das dritte Mal offensichtlich nach meinem Leben getrachtet hast?« Als Orontas antwortete, er habe kein Unrecht erlitten, fragte ihn Kyros: »Du gibst also zu, gegen mich ungerecht gehandelt zu haben?« »Ja, ich muss es zugeben«, erwiderte Orontas. Hierauf fragte Kyros wiederum: »Könntest Du jetzt noch meinem Bruder Feind, mir aber ein treuer Freund werden?« Dieser antwortete: »Nicht einmal wenn ich es würde, könntest du es mir noch einmal glauben.« (9) Da wandte sich Kyros an die Anwesenden: »So hat dieser Mann gehandelt, so spricht er. Äußere du nun, Klearchos, von euch zuerst deine Meinung.« Klearchos sagte: »Ich rate, diesen Mann so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen, damit wir nicht mehr vor ihm auf der Hut sein müssen, sondern von ihm aus Zeit haben, denen Gutes zu tun, die freiwillig folgen.« (10) Diesem Spruch, berichtete er, hätten auch die anderen beigestimmt. Hierauf, erzählte er, hätten sich auf Befehl des Kyros alle von ihren Sitzen erhoben und den Orontas am Gürtel ergriffen zum Zeichen der Todesstrafe, sogar seine Verwandten. Dann führten ihn Beauftragte aus dem Zelt. Als ihn Leute, die ihm früher zu huldigen pflegten, sahen, huldigten sie ihm auch jetzt, obwohl sie wussten, dass er zur Hinrichtung geführt wurde. (11) Hierauf wurde er in das Zelt [30]des Artapates geführt, des Getreuesten unter den Würdenträgern des Kyros. Von da an sah niemand mehr den Orontas, weder lebend noch tot, und niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, wie er gestorben ist. Der eine vermutete dies, der andere jenes; aber ein Grab von ihm wurde niemals gesehen.24
7(1) Von dort marschierte er durch Babylonien in drei Tagesmärschen, zwölf Parasangen. Am dritten Rastplatz hielt Kyros in der Ebene um Mitternacht eine Musterung der Griechen und Barbaren ab; denn er glaubte, am kommenden Morgen werde der Großkönig mit seinem Heer zur Schlacht anrücken. Er befahl dem Klearchos, den rechten Heeresflügel zu führen, dem Thessaler Menon, den linken, er selbst stellte seine eigenen Truppen in Schlachtordnung auf. (2) Nach der Musterung kamen mit Tagesanbruch Überläufer vom Großkönig und berichteten dem Kyros vom Heer des Königs. Kyros rief die Strategen und Lochagen der Griechen zu sich und beriet mit ihnen den Schlachtplan. Er selbst richtete eine ermutigende Ansprache an sie: (3) »Griechen, nicht aus Mangel an Barbaren führe ich euch als Bundesgenossen mit mir, sondern in dem Glauben, dass ihr besser und auch einer Übermacht von Barbaren überlegen seid. Deswegen habe ich euch dazugenommen. Erweist euch nun als Männer, würdig der Freiheit, die ihr errungen habt und deretwegen ich euch glücklich preise. Seid überzeugt, ich würde die Freiheit vorziehen allem meinem Reichtum und noch einem Vielfachen davon. (4) Damit ihr auch wisst, in welchen Kampf ihr zieht, will ich, der ich es weiß, euch belehren. Die Masse unserer Feinde ist nämlich groß, und sie werden unter lautem Geschrei heranrücken. Wenn ihr dem standhaltet, so muss ich mich für das [31]Weitere, glaube ich, schämen bei dem Gedanken, was für Feiglinge ihr in unseren Landesbewohnern finden werdet. Wenn ihr euch aber als Männer erweist und mein Unternehmen geglückt ist, so werde ich bewirken, dass jeder von euch, der heimkehren will, bei seiner Rückkehr von seinen Landsleuten beneidet wird. Viele aber glaube ich dazu bestimmen zu können, das Leben bei mir dem daheim vorzuziehen.« (5) Darauf erwiderte Gaulites, der anwesend war, ein Flüchtling aus Samos und treuer Gefolgsmann des Kyros: »Kyros, einige sagen allerdings, dass du jetzt viel versprichst in einer solchen Lage, da die Gefahr näherrückt; wenn aber das Unternehmen glückt, würdest du dich nicht mehr daran erinnern, meinen sie. Einige glauben auch, nicht einmal wenn du dich erinnertest und es wolltest, könntest du deine Versprechungen einlösen.« (6) Darauf antwortete Kyros: »Das Reich meines Vaters, Männer, reicht nach Süden bis in das Gebiet, wo die Menschen wegen der Hitze, nach Norden, wo sie wegen der Kälte nicht mehr wohnen können. Die Länder dazwischen verwalten die Freunde meines Bruders. (7) Wenn wir siegen, so muss ich meine Freunde zu Herren über diese Gebiete machen. Daher fürchte ich nicht so sehr, ich könnte nicht genug besitzen, was ich jedem meiner Freunde geben kann, wenn das Unternehmen gelingt, als vielmehr, ich könnte nicht genug Freunde haben, denen ich schenken kann. Jedem von euch Griechen werde ich auch einen goldenen Kranz geben.« (8) Als sie das hörten, waren sie selber viel kampfwilliger und verkündeten es auch den anderen. Es gingen zu ihm auch die Feldherren und manche der anderen Griechen, da sie wissen wollten, was ihnen zuteilwürde, wenn sie siegten. Nachdem er die Erwartungen aller erfüllt hatte, entließ er sie. (9) Alle, die [32]mit ihm verhandelten, rieten ihm, nicht zu kämpfen, sondern sich hinter ihnen aufzustellen. Bei dieser Gelegenheit richtete Klearchos an Kyros ungefähr folgende Frage: »Glaubst du denn, Kyros, dass dein Bruder mit dir kämpfen wird?« »Beim Zeus«, antwortete Kyros, »wenn er der Sohn des Dareios und der Parysatis und mein Bruder ist, werde ich das alles nicht kampflos erhalten.«
(10) Hier ergab sich bei der Musterung folgende Gesamtzahl der griechischen Streitkräfte: zehntausendvierhundert Hopliten, zweitausendfünfhundert Peltasten,25 an Persern unter Kyros hunderttausend und ungefähr zwanzig Sichelwagen. (11) Bei den Feinden, hieß es, seien es eine Million und zweihunderttausend und zweihundert Sichelwagen. Außerdem standen dort noch sechstausend Reiter unter Artagerses; diese waren unmittelbar vor dem Großkönig aufgestellt. (12) Im Heer des Großkönigs führten vier Feldherren den Befehl, jeder über dreihunderttausend, Abrokomas, Tissaphernes, Gobryas und Arbakes. Von diesen nahmen nur neunhunderttausend an der Schlacht teil und hundertfünfzig Sichelwagen; Abrokomas kam nämlich erst fünf Tage nach der Schlacht aus Phoinikien. (13) Das meldeten dem Kyros die Leute, die vom Großkönig vor der Schlacht übergelaufen waren. Auch nach der Schlacht berichteten später die Gefangenen der Feinde dasselbe.
(14) Von dort legte Kyros in einem Tagesmarsch drei Parasangen zurück mit dem ganzen Heer, dem griechischen und barbarischen, in Schlachtordnung; denn er glaubte, der Großkönig werde noch am selben Tag die Schlacht eröffnen. In der Mitte dieser Marschstrecke war ein tiefer Graben ausgehoben worden, fünf Klafter breit, drei Klafter tief. (15) Der Graben führte in das Landesinnere durch die [33]Ebene hin ungefähr zwölf Parasangen bis zur Medischen Mauer26. (Hier sind die Kanäle, die vom Tigris ausgehen, vier an der Zahl, jeder ein Plethron breit und sehr tief. Auf ihnen fahren Getreideschiffe. Sie münden in den Euphrat, eine Parasange voneinander getrennt. Brücken führen über sie hinüber.) Entlang des Euphrat verlief ein schmaler Durchgang zwischen Fluss und Graben, ungefähr zwanzig Fuß breit. (16) Diesen Graben hatte der Großkönig anstelle einer Befestigungsanlage ausheben lassen, als er vom Anmarsch des Kyros erfuhr. Durch diesen Weg zogen Kyros und sein Heer und gelangten hinter den Graben. (17) An diesem Tag stellte sich der Großkönig nicht zur Schlacht, aber viele Spuren von Pferden und Menschen waren sichere Zeichen des Rückzugs. (18) Da ließ Kyros den Seher Silanos aus Amprakia rufen und gab ihm dreitausend Dareiken, weil er ihm vor elf Tagen beim Opfer gesagt hatte, der Großkönig werde innerhalb der nächsten zehn Tage nicht kämpfen. Kyros hatte damals geantwortet: »Er wird überhaupt nicht mehr kämpfen, wenn er nicht in diesen Tagen kämpft. Wenn du die Wahrheit sagst, verspreche ich dir zehn Talente.« Dieses Geld gab er ihm damals, da die zehn Tage vorüber waren. (19) Da der Großkönig am Graben das Heer des Kyros nicht am Durchzug gehindert hatte, glaubten Kyros und die anderen, er habe den Gedanken an eine Schlacht aufgegeben. Daher zog am folgenden Tag Kyros mit größerer Sorglosigkeit weiter. (20) Am dritten Tag leitete er den Vormarsch sogar vom Wagen aus und hatte nur wenige Soldaten in Schlachtordnung vor sich. Die Hauptmasse zog ohne alle Ordnung dahin, ein Großteil der Waffen wurde den Soldaten auf Wagen und Tragtieren nachgeführt.27
[34]8(1) Schon war es um die Zeit, da sich der Markt füllte,28 und der Rastplatz war nahe, wo er haltmachen wollte, als Pategyas, ein tüchtiger Perser aus dem Gefolge des Kyros, in vollem Galopp auf schweißbedecktem Pferd heranjagte. Allen, denen er begegnete, schrie er persisch und griechisch zu, der Großkönig nahe mit einem großen Heer, zur Schlacht gerüstet. (2) Da entstand eine große Verwirrung. Denn die Griechen und alle anderen glaubten, er werde sie, ungeordnet wie sie waren, sogleich überfallen. (3) Kyros sprang vom Wagen, legte den Panzer an, bestieg sein Pferd und ergriff die beiden Speere29. Den anderen befahl er, sich ebenfalls zu bewaffnen und in ihre Reihe zu treten. (4) Da stellten sie sich in größter Eile auf, Klearchos hielt den rechten Heeresflügel am Euphrat, Proxenos anschließend und die anderen nach diesem, Menon hielt mit seinem Heeresteil den linken Flügel der Griechen. (5) Aus dem Barbarenheer stellten sich ungefähr tausend paphlagonische Reiter bei Klearchos auf dem rechten Flügel auf, ebenso die Leichtbewaffneten der Griechen; auf dem linken Flügel stand Ariaios, der Unterfeldherr des Kyros, mit dem Rest des Barbarenheers, (6) Kyros und seine Reiter, ungefähr sechshundert …30, alle mit Brust- und Schenkelpanzern und Helmen gerüstet außer Kyros. Dieser ging unbedeckten Hauptes in die Schlacht. (Auch die übrigen Perser, heißt es, setzen sich im Krieg mit bloßem Kopf der Gefahr aus.) (7) Alle Pferde des Kyrosheers hatten Stirn- und Brustpanzer. Die Reiter führten auch die kurzen griechischen Schwerter.
(8) Schon war es Mittag, und noch immer zeigten sich die Feinde nicht. Als es aber Nachmittag wurde, sahen sie einen Staubwirbel, der einer weißen Wolke, geraume Zeit später einer dunklen Wolke glich. Als sie näher kamen, [35]blitzten auch hier und da Erz und Lanzen auf, und die Schlachtreihen wurden sichtbar. (9) Weißgepanzerte Reiter standen auf dem linken Flügel der Feinde; Tissaphernes, so erzählte man, hatte den Befehl über sie. Anschließend standen Leichtbewaffnete mit geflochtenen Schilden31, dann Schwerbewaffnete mit bis an die Füße reichenden, hölzernen Schilden. Diese sollen Ägypter gewesen sein. Dann kamen wieder Reiter, dann wieder Bogenschützen. Diese alle rückten, nach Stämmen geordnet, heran, jeder Volksstamm in einem festgefügten Karree. (10) Vor ihnen fuhren in geraumen Abständen voneinander die sogenannten Sichelwagen. Ihre Sicheln waren von den Achsen weg seitwärts gebogen und diejenigen unter den Wagenkörben zur Erde hinabgerichtet, so dass sie alles zerhauen konnten, was ihnen in den Weg kam. Die Absicht war, in die Reihen der Griechen zu fahren und sie zu sprengen. (11) Wenn Kyros gesagt hatte, als er in der Versammlung den Griechen Mut zugesprochen hatte, sie müssten nur das Geschrei der Perser ertragen, so hatte er sich in diesem Punkt getäuscht. Nicht mit Geschrei, sondern in größtem Stillschweigen, mit ruhigem, festem Schritt rückten sie langsam an.
(12) Unterdessen ritt Kyros mit dem Dolmetscher Pigres und drei oder vier anderen Leuten die Front entlang und rief Klearchos zu, er solle seine Abteilung gegen das Zentrum der Feinde führen, weil dort der König stehe. »Und wenn wir dort siegen«, sagte er, »ist uns alles geglückt.« (13) Obwohl Klearchos den dichten Haufen in der Mitte sah und von Kyros hörte, der Großkönig stehe außerhalb des linken griechischen Flügels – so sehr war an Truppenmacht der Großkönig überlegen, dass er, der seine Heeresmitte führte, außerhalb des linken Flügels des Kyros stand32 –, [36]wollte er dennoch nicht den rechten Flügel vom Fluss abziehen. Er fürchtete nämlich, von beiden Seiten umfasst zu werden. Dem Kyros antwortete er, er werde schon Sorge tragen, dass alles gut ausgehe. (14) Indessen rückte das persische Heer gleichmäßig vor, das griechische Heer aber hielt noch an derselben Stelle und bildete die Schlachtreihe aus den immer noch heranrückenden Abteilungen. Kyros ritt in einigem Abstand von seinem Heer die Front entlang und hielt Ausschau nach beiden Seiten, zu Freund und Feind hinblickend. (15)