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Anna fährt entschleunigt mit der DB und mit dem ÖBB Nightjet nach Freiburg, Wien, Rom und Paris und erlebt viele kleine Abenteuer in den Städten und in der Bahn rund um Mitreisende, Unterkunft, als Flaneurin, in Cafés und Restaurants, bei Ausstellungen, Radausflügen, in Bus und Bahn.
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Seitenzahl: 49
Reisen
Wien
Paris nostalgisch
Paris 2021
Paris 2022
Nachtrag
Costa Brava
Weihnachten 22 Paris – Costa Brava
Rom
Vienna!
Ich diskutiere gern mit mir selbst und liebe es, mit meinen inneren Freundinnen – oder besser Schwestern – zu sprechen. Ich habe uns meine drei Vornamen gegeben: Anna, Katharina und Euphemia. Anna, die Spontane, Ideenreiche, Kreative. Katharina, die Kluge und Vernünftige, Weitsichtige und Realistische. Euphemia, die Kritische, tendenziell schlecht Gelaunte, Ängstliche und manchmal Cholerische, wenn sie sich übersehen und nicht gewürdigt fühlt. Um eine uns stärkende Einigkeit zu erzielen, müssen wir ständig debattieren.
Übergriffigkeiten kommen vor; meist werden sie von Anna herbeigeführt, deren Energie manchmal überwältigend ist. Da wir bereits pensioniert sind, gibt es viel Gesprächsstoff: Der Beruf als fremdbestimmte Konstante fällt weg. Anna übernimmt als Ideengeberin meistens spontan die Führung, was Euphemia, die alles kritisieren muss, in die Bredouille bringt. Katharina folgt Anna gern, bringt die Ideen auf eine realistische Schiene. Eine gegen zwei, das ist für Euphemia nicht gerade leicht.
Wie wir unsere Zeit am sinnvollsten, angenehmsten und produktivsten verbringen, ist ein Dauerthema.
Beispiel: Reisen. Einig sind wir uns darin, dass wir gern mit der Bahn fahren. Viele Ideen, wo wir hinfahren könnten, kommen von Anna. Katharina übernimmt die Umsetzung, und Euphemia mahnt an, dass wir uns das alles nicht leisten können.
Anna hat ein Problem: Das viele Reisen ist zwar angenehm und unterhaltsam, aber sie möchte auch ihre Kreativität vorantreiben: schreiben, singen, Musik machen. Da bietet es sich an, das Reisen zum Thema eines kreativen Projektes zu machen, z. B. ein Buch schreiben und eine Lesung musikalisch begleiten. Nur, wie verbessert sie ihren Schreibstil, ohne ihre Finanzen zu sehr zu strapazieren? Katharina schlägt vor: „Wir brauchen einen Plan und Disziplin, Schreibtermine, Deadlines usw. Ein diszipliniertes Gerüst, um ernsthaft und professionell arbeiten zu können.
Euphemia spottet: „Das schafft unsere liebe Anna nicht, der kommt doch immer was dazwischen, oder sie muss sich mal wieder entspannen. Oder auf Reisen gehen!! Reine Flucht, würde ich mal behaupten!“
Katharina fragt zurück: „Na gut, aber würdest du meinen Vorschlag denn unterstützen? Den Plan?“ „Hm … muss ich drüber nachdenken.“
Anna sagt, wie immer schnell entschlossen: „Ok, machen wir einen Plan!“
Anna erzählt: „Als Leseratte imponierte mir Emils Bahnfahrt in Emil und die Detektive von Erich Kästner. Er schläft im Zug ein, und ein Dieb stiehlt ihm das Geld, das er seiner Großmutter in Berlin übergeben soll.
Meine ersten eigenen Erlebnisse mit dem Bahnfahren hatte ich, wenn meine Mutter mich als Kind zu meinen Verwandten aufs Land brachte. Von Osnabrück ins westfälische Schüttorf bei Bad Bentheim an der holländischen Grenze. Meine Mutter fuhr mit mir im Bummelzug hin, die einzelnen Haltestellen kannte ich auswendig. Gemütlich fuhren wir von A nach B.
Onkel und Tanten und viele Kinder, die meisten viel älter als ich. Aber eine Cousine gleichen Alters. Geräumige Häuser und große Gärten, die Onkel beide Lehrer im Ort. Onkel Karl außerdem Imker. Onkel Josef mit seinem Motorrad. Meine Cousine und ich spielten auf dem Schulhof, fuhren mit dem Fahrrad von Dorf zu Dorf oder übten Handstand im Garten.
In den Sechzigern machte man dann eigentlich schon alles mit dem Auto, Bahnfahren war out. Erst hatten meine Brüder Autos, dann ich, zusammen mit zwei Freundinnen, einen alten VW Käfer, der uns von Osnabrück zum Studium nach Freiburg i. Br. brachte. Ab dann ging alles per Auto, Reisen nach Italien, Frankreich, Griechenland, später, in den Achtzigern, mit kleinen Kindern. Manchmal fuhr ich mit den beiden per Nachtzug nach Paris und Rom − oder auch mal mit dem ICE.
Nach der Pensionierung habe ich mein Auto abgeschafft. Meine Söhne haben kein Auto. Fliegen? In Europa nicht, habe ich beschlossen. Eher aus Abenteuerlust als aus ökologischen Gründen. Ich weiß nicht, woher der Impuls kam, wieder mit der Bahn zu fahren. War es Corona? Oder Flucht? Sehnsucht nach Minimalismus?
Entschleunigung? Nostalgie? Entfernungen mitbekommen, nicht überfliegen, das Staunen über die vorbeirollenden Landschaften – und der Zug, der einen so bodennah ans Ziel bringt. Vertraut, behaglich, man kann sich bewegen, ins Bordrestaurant gehen.
Haltestellen erinnern an Erlebnisse in der Jugend. Und natürlich ist eine Bahnfahrt eine willkommene Abwechslung, wenn ich es nur zeitlich begrenzt im manchmal verregneten und kalten Hamburg aushalte.
Reisen ist für mich wie Flügel ausbreiten und losfliegen, auch wenn ich mit der Bahn fahre
Und ich lerne so viel dabei, z. B. navigieren. Außerdem liebe ich die Suche nach den Unterkünften über Airbnb, die immer wieder interessant und lustig sind.
Auch die einfache Tagesstruktur gefällt mir sehr. Herumflanieren, etwas essen, abends einen Wein trinken und danach todmüde ins Bett fallen, ohne weitere Erwartungen an mich selbst. Möglichst keine Termine, alles geschieht spontan. Das einfache Leben!
Unser erstes Reiseziel sollte Wien sein, schon wegen des Nachtzuges, der von Hamburg nach Wien fährt, ohne Umsteigen.
„Vielleicht hat Fritz Lust, mitzufahren?“
Euphemia guckt schief. „Du weißt doch, dass du dich nicht an deinen Sohn hängen sollst, der hat sein eigenes Leben.“ „Ja klar, aber vielleicht hat er doch Lust, mitzufahren.“ Anna bleibt eigensinnig. „Na gut, er wird schon Nein sagen, wenn er nicht will“, meint Katharina. Er will.
Wien kannte ich aus Operetten, die meine Mutter liebte. Ihre Cousine, Anita Gura, war Opernsängerin und sang später Operetten. Bei YouTube gibt es noch Aufnahmen von ihr aus Die lustige Witwe. Ansonsten war ich in den Achtzigern mit Freund und Baby in Wien, einen seiner Freunde besuchen. In den Straßenbahnen waren die Ankündigungen damals noch auf Wienerisch.
Der Nachtzug der österreichischen ÖBB fährt an der Alster vorbei gen Süden und hält, was er verspricht: Schlafwagenabteil, Piccolo zur Begrüßung, Schafskäse und Oliven als Proviant. Noch ein kleines Glas Wein, dann ab in die weiße Bettwäsche und beim Rollen selig einschlafen.