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Zwei Seelen, das ist Katrin und ihr Alter Ego Anne. Die eine möchte sich beruflich und künstlerisch entwickeln, die andere ist eher häuslich an der Familie orientiert. Das ergibt schon mal die Frage: Wer führt gerade eigentlich? Und, ist die Andere einverstanden?
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Seitenzahl: 50
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Strickpulli und Latzhose
Gestricktes, die Erste
Latzhose, die Erste
Stoffe, die Erste
Gestricktes, die Zweite
Latzhose, Strickpulli, die Vierte
Stoff, die Zweite
Strickpulli, die Vierte
Latzhose, die Zweite
Latzhose, Strickpulli, die Dritte
Strickpulli, die Fünfte
Strickpulli, die Sechste
Latzhose, die Dritte
Latzhose, die Vierte
Latzhose, die Fünfte
Latzhose, die Sechste
1980, Hamburg, Karolinenviertel Komisch, jetzt hab ich eine eigene Wohnung, dabei wollte ich nie allein wohnen, ein Gräuel. Immer schön was los in der Bude, große wunderschöne Altbauwohnungen mit mindestens acht Zimmern, viele Leute, abends in der Küche sitzen und klönen. Und nun das! Karolinenviertel, Musiker, Punks, Schauspieler, Maler, Obdachlose, schön kuschelig klein, das Viertel zum Geborgen fühlen, die Häuser, die Straßen, alles nah bei, zum Supermarkt fünfzig Meter.
Winziger Tante Emma Laden, Emma Scharbau, bestimmt schon über siebzig, die die Scheiben Käse und Schinken noch sorgfältig in Cellophan einwickelt, mit Gummiband. Häuser schon alt mit vor sich hin rottenden Fassaden, Nachkriegscharme. Die Stammkneipe, Marktstube, auch weniger als hundert Meter weit.
Secondhand-Läden mit Fünfzigerjahre-Klamotten, der Geruch vom Schlachthof, intensiv bei Wind von Westen, also eigentlich immer.
Schulterblatt, griechische Restaurants, Mambo Jambo, die afrikanische Disco. Von meinem Balkon mit den antiken Blumenkästen, die ich in der Wohnung vorfinde, schön begrünt und beblüht, schaue ich mitten rein ins Leben.
Und jetzt, am 13. Juli 1980, stehe ich hier und blicke zufrieden auf meine frisch hergerichtete Wohnung, denn gleich kommen meine Gäste zur Einzugsparty. Die Ballonflasche mit Weißwein eigenhändig mit dem Fahrrad transportiert, diverse Leckereien auf dem gedeckten Tisch, dem kalten Büffet, die Gäste bringen auch noch was mit. Ja, ganz schön stolz bin ich, alles selbst gemacht und organisiert, hätte ich mir gar nicht zugetraut.
Der alte Muff der ehemaligen Vier-Zimmer-Wohnung, mit altdeutschen Möbeln vollgestopft, raus damit, lieber hell und schön, Teppichboden flächendeckend in sonnigem hellem Ton, abgebeizter Küchenschrank und Küchentisch, Stühle. Aus zwei Zimmern mach eines, Schiebetürfüllung ohne Schiebetür, Stuck in vollem Ornat.
Und da klingelt es schon, die Wohnung füllt sich mit ehemaligen WG-Genossinnen und Genossen, ein ganz kleines Baby im Schultertuch dabei, alle sind gut gelaunt. Die WG der Lehrer am Schlump, die jetzt alle anfangen, Familien zu gründen, und die entsprechenden Wohnverhälnisse gestalten außerhalb Hamburgs, zwar noch zusammen auf einem Gelände, aber jede Familie separat. Auch ich separat, aber eher auf Abenteuer aus als auf Familiengründung. Single, seit zwei Jahren intensiv mit Tanz und Theater beschäftigt, Schule und Berufstätigkeit. Nach der Party das Gefühl von etwas Abgeschlossenem und jetzt, jetzt kommt etwas Neues.
Also Ärmel aufkrempeln, selbst gefärbte Latzhose aus dem Laden für Berufskleidung angezogen und los geht’s. Wohin? Na, zum Training natürlich, und anschließend Probe!
Wo ich gerade in meinem Wohnzimmer sitze und an meinem neuen Pulli stricke, in Weinrot und Türkis, Perlmuster, eins rechts, eins links, nächste Reihe umgekehrt, also ich hab vergessen, mich vor zu stellen. Kathrin, 33 Jahre alt, Lehrerin, seit einiger Zeit leidenschaftliche Tänzerin für Tanztheater und Improvisation, geschieden. Zwilling, also vom Sternzeichen her, aber auch zwei Seelen in einer Brust, mindestens, manchmal komme ich mir vor wie eine Mehrlingsgeburt. Seele zwei nenn ich mal Anne, ich bin die Kathrin, zusammen sind wir nur eine, das ist manchmal nicht einfach. Eben zwei Seelen in einer Brust. Der Ausdruck könnte von mir sein, ist aber von Goethe. Faust. War ja ein Mann, also weniger Multitasking, eher so schwarz-weiß, gut und böse. Da sind wir Frauen doch schon schillernder. Also ich bin eigentlich ganz pflegeleicht, locker und flexibel, spontan, fix, charmant, ha, da kann ich mich gut rein steigern. Anne, mein anderes Ich, na ja, ist da eher etwas langsamer, deswegen auch von Haus aus Bedenkenträgerin. Und auch etwas faul, wenn sie mit meinem Temperament und meinem Tempo nicht mitkommt, passt sie sich einfach an und tut so, als ob alles in Ordnung wäre, und haut dann irgendwann zu, unberechenbar. Das sieht sie natürlich ganz anders, aber ich riskiere es jetzt und lass sie einfach nicht zu Wort kommen. Ist auch so gemütlich, vor mich hin stricken, das Muster gefällt mir, draußen regnet es und ist schon dunkel, gleich noch auf den Unterricht vorbereiten und nachher noch in die Marktstube, Freundinnen treffen und vielleicht ein paar nette Jungs. Was, liebe Anne? Sie scheint mit ihren Gedanken woanders. Jaja, sagt sie, wir könnten doch noch ein ganzes Stück schaffen, heute. Damit meint sie den Pullover. Ok, stimmt. Gar keine schlechte Idee.
Und danach Tango.
Man geht in den Hinterhof von der Thadenstraße und betritt zwischen zwei Häusern einen kopfsteingepflasterten Weg, der zu einer Allee führt. An einer Jugendstilvilla vorbei kommt man in einen Gewerbehinterhof. Man sieht schon den „Mehlboden“, oben im 1. Stock. Es geht um das Gebäude herum, unten ist eine Autowerkstatt. Meine Begleiterin Franziska, eine Tanzpädagogin, die ich neulich auf einer Party kennengelernt habe, geht voran. Ja, so sieht ein Dachboden aus. Ziemlich riesig, 300 qm. Alte Sprossenfenster und so ziemlich nix sonst. Aber verfügbar mit einer sensationell geringen Miete. Ich bin da ganz naiv, Franziska geht schon mal fachmännisch durch den Raum. Sie scheint Ahnung zu haben. Ich kann nur staunen. Wir wollen gemeinsam ein Tanzstudio eröffnen. Holla! Die Entschlossenheit meiner Mitstreiterin zieht mich mit. Es ist Oktober 1982.
Wir schauen durch das Sprossenfenster in den Hinterhof. Anne, mein Alter Ego mit der Tarnkappe, wirkt desorientiert, ist baff und ganz still.
Franziska, meine neue Business-Partnerin dagegen ist zufrieden. Sie hat die Vision der Baustelle vor ihrem inneren Auge und legt im Geiste schon los. Andächtig und bewundernd folge ich ihr und vertraue auf ihre fachmännischen Kompetenzen.