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Des Campers Fluch ist Regen und Besuch! "Wissen Se, Urlaubszeit ist doch die schönste Zeit! Ich hör Sie schon sagen: Frau Bergmann, Sie als Rentnerin haben doch immer Urlaub!, aber das ist Unsinn: Wenn man sich wirklich erholen will, muss man mal raus. Ilse und Kurt wollten mit in die Sommerfrische, aber das war gar nicht so einfach, die wollten nämlich zelten. Du liebes bisschen. Ich habe sie überredet, doch wenigstens einen Campingbus mit richtigem Bett und Spültoilette zu nehmen. Aber damit hat Kurt auf dem Zeltplatz gleich heimlich eine kleine Runde gedreht. Bald drei Stunden haben wir gebraucht, die Heringe wieder einzuklopfen und das Vorzelt wieder aufzubauen." Renate Bergmann packt die Badehose, die Grillzange und das Handy ein und geht campen. Freuen Sie sich auf Renates Abenteuer mit Kurt und Ilse und dem miesepetrigen Platzwart Günter Habicht!
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Ans Vorzelt kommen Geranien dran
RENATE BERGMANN, geb. Strelemann, 82, lebt in Berlin-Spandau. Sie war Trümmerfrau, Reichsbahnerin und hat vier Ehemänner überlebt. Renate Bergmann ist Haushalts-Profi und Online-Omi. Ihre riesige Fangemeinde freut sich täglich über ihre Tweets und Lebensweisheiten im „Interweb“ – und über jedes neue Buch.TORSTEN ROHDE, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann entwickelte sich zum Internet-Phänomen. Es folgten mehrere Bestseller unter dem Pseudonym Renate Bergmann und viele ausverkaufte Tourneen.
Des Campers Fluch ist Regen und Besuch!
„Wissen Se, Urlaubszeit ist doch die schönste Zeit! Ich hör Sie schon sagen: Frau Bergmann, Sie als Rentnerin haben doch immer Urlaub!, aber das ist Unsinn: Wenn man sich wirklich erholen will, muss man mal raus. Ilse und Kurt wollten mit in die Sommerfrische, aber das war gar nicht so einfach, die wollten nämlich zelten. Du liebes bisschen. Ich habe sie überredet, doch wenigstens einen Campingbus mit richtigem Bett und Spültoilette zu nehmen. Aber damit hat Kurt auf dem Zeltplatz gleich heimlich eine kleine Runde gedreht. Bald drei Stunden haben wir gebraucht, die Heringe wieder einzuklopfen und das Vorzelt wieder aufzubauen.“Renate Bergmann packt die Badehose, die Grillzange und das Handy ein und geht campen. Freuen Sie sich auf Renates Abenteuer mit Kurt und Ilse und dem miesepetrigen Platzwart Günter Habicht!
Renate Bergmann
Die Online-Omi geht campen
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-2217-9© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © Rudi HurzlmeierE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Hier schreibt Renate Bergmann, guten Tag!
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Cover
Titelseite
Inhalt
Hier schreibt Renate Bergmann, guten Tag!
Urlaubszeit ist doch die schönste Zeit!
Nun könnten Sie sagen: »Frau Bergmann, Sie als Rentnerin haben doch immer Urlaub!«, aber das ist Quatsch. Sie wissen doch selber, wie das ist: Wenn man zu Hause bleibt, hat man sein Tun und kommt kaum zur Ruhe. Da müssen die verblichenen Gatten begossen werden, Katerle will versorgt sein, dazu die Einkäufe, der Haushalt, die Kehrwoche, der Seniorenverein … Dann ruft meine Freundin Gertrud an, weil was mit dem Hund ist, oder Ilse, weil Kurt weggelaufen ist – manchmal auch umgekehrt! – nee, ich sage Ihnen, man hat jeden Tag was auf dem Kalender.
Wenn man sich wirklich erholen will, muss man mal raus. Ich bin zweiundachtzig Jahre alt und meine Freunde, die noch da sind, haben auch in etwa so viel auf dem Buckel. Da muss man fahren, solange man noch kann. Wenn man nicht mehr allein in den Reisebus kommt und sie von hinten nachschieben müssen am Hintern – nee, dann will ich auch nicht mehr los.
Deshalb dränge ich darauf, dass wir jetzt reisen, wo wir es noch können.
Na ja. Jedenfalls wurde es letzten Sommer Zeit, mit Ilse und Kurt in die Ferien zu fahren. Mit meiner Jugendfreundin und Mitwitwe Gertrud war ich im Jahr davor weg mit dem Kreuzfahrtdampfer. Und da die gute Ilse im Grunde eine sehr eifersüchtige Person ist und man bei ihrem Mann Kurt mit seinen siebenundachtzig Lenzen auch nicht weiß, wie lange das noch geht, wurde es nun wirklich Zeit für Ferien mit Ilse und Kurt.
Gläsers waren schon lange nicht mehr in der Sommerfrische. Die machen nur Tagestouren mit ihrem Koyota. Ilse sagt, sie wären zu betagt. Na, denen habe ich aber was erzählt. Wir sind für gar nichts zu alt, wir sind höchstens schon ein bisschen länger jung. Ich sage immer: »Ich bin auf der Zielgeraden meiner besten Jahre«, wenn mich unverschämterweise jemand nach meinem Alter fragt.
Was meinen Se, was ich quasseln musste, bis die beiden zustimmten. Aber als ich sie rumgekriegt hatte, war Ilse Feuer und Flamme und hätte am liebsten gleich gepackt. Sie wollte unbedingt nach Obererbslingen (das müssen Se gar nicht beim Gockel nachschlagen, das gibt es nicht mehr. Das war ein Zeltplatz im Harz, wo Gläsers vor Jahrzehnten ein paarmal kampiert haben). Ilse hat gleich telefoniert und musste erfahren, dass sie nicht nur den Platz geschlossen haben, sondern den ganzen Ort. Da steht jetzt ein Krematorium. Das war … das ist … also, das kam nun wirklich nicht infrage.
Sogar Kurt, der eigentlich ein einsilbiger Knochen ist, war ganz beseelt von den Erinnerungen an die schönen Zeiten. Er kann sich nichts merken. Wenn Se den einkaufen schicken nach Brot und Milch, kommt der mit Zigarren und Butter wieder, und Ilse muss doch noch mal los. Aber wie teuer 1973 am Zeltplatzkiosk das Bier war, das weiß der! »Vierzig Pfennige das Glas!«, erinnerte er sich triumphierend. Seine Augen leuchteten, das hätten Se mal sehen sollen.
Wissen Se, ich bin da irgendwie reingeraten. Ich dachte ursprünglich, wir würden uns ein gediegenes Hotel in einer schönen Gegend suchen, wo wir mit dem Zug hinkommen. Wir würden wandern, im Kurpark flanieren und uns vielleicht auch mal mit Schlamm bepacken lassen. Aber für Gläsers bedeutete »Urlaub« automatisch: Wir fahren an den See, schlafen im Zelt und essen Nudeln aus der Büchse.
Herrje!
Ich habe dann all meine Überredungskünste aufbieten müssen, dass wir wenigstens so ein großes Gefährt nehmen, einen Campingbus mit richtigem Bett und Toilette. Ich schlaf doch nicht mit einer Matte aus Stanniolpapier unterm Po auf dem schieren Waldboden! Ich bitte Sie, in unserem Alter! Das macht doch der Rücken nicht mehr mit. Bei Ilse ist das Knie operiert, Kurts Rücken ist »eine Anreihung von Blockaden« (hat Professor Puder gesagt, und der Mann ist eine Kapazität!), na, und ich mit meinem Ersatzteil im Hüftbecken, ich wollte nicht mal daran denken, in einem Zelt zu schlafen! Aber so ein Bus mit bequemem Bett drin? Das könnte mir gefallen.
Na ja, ich will jetzt hier noch nicht zu viel verraten, sonst legen Se das Buch gleich wieder weg. Wir hatten jedenfalls drei Wochen mit schönen gemütlichen Stunden, aber auch viel Aufregung. Stefan hat uns letztendlich zum Campingplatz gefahren. Er hatte fast noch mehr Schweiß auf der Stirn als der Vermieter von diesem Campingbus, als Kurt zunächst darauf bestand, selbst zu fahren. Kurt hat dann nur einmal eine kleine Runde auf dem Zeltplatz gedreht, und das war schon schlimm genug. Bald drei Stunden lang haben wir gebraucht, die Sardinen wieder einzuklopfen, das Vorzelt aufzubauen und Frau Hupe zu beruhigen. Der hat Kurt nämlich die Hängematte abgerupft mit dem Campingbus. Ich musste ihr zwanzig Tropfen Melissengeist auf einem Stück Würfelzucker geben.
An einem Wochenende kamen uns Stefan und Ariane mit den Kindern besuchen. Na, da wurde es aber ganz schön eng! Zum Glück gab es ein Hotel gleich in der Nähe, wissen Se, das war praktisch. Da konnte ich mal baden. Das ist ja auf so einem Zeltplatz doch alles ein bisschen primitiv. Man hat zwar Duschen, aber die sind auf uns Alte nicht so gut eingestellt. Einen Duschhocker suchen Se da vergebens, und nach zwei Minuten muss man neu drücken, wenn man Warmwasser haben will.
Wir haben Stockbrot am Feuer gebacken und sogar im See gebadet. Hubert, was das Pony von Frau Saldini ist, ist ausgebüxt und an den FKK-Strand gerannt, denken Se sich nur! Das gab ein bisschen Ärger mit Ilse, weil Kurt sehr lange weg war zum Einfangen. Kurt hat sogar seine Brille aufgesetzt. Das machte er nicht mal, als er auf der Satellitenantenne Fußball eingestellt hat. Wir haben uns auch mit dem Platzwart arrangiert, dem Herrn Habicht. Günter Habicht, ein gnaddeliger, miesepetriger Zeitgenosse, der im Dorf nebenan lebt und sich auf dem Zeltplatz und im Altenheim als Hausmeister was dazuverdient, indem er die Leute anfaucht, die über die frisch geharkten Wege laufen oder gar singen.
Aber ich bin ja schon mitten beim Plaudern, ich wollte doch nur kurz berichten, dass ich in Urlaub war. Wie das so ist – wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen!
Freuen Se sich drauf?
Bevor wir loslegen, muss ich aber rasch die guten Gläser polieren. Heute Abend kommen nämlich alle zum Diaabend, da gucken wir die schönen Bilder an, die wir in den Ferien geknipst haben.
Viel Vergnügen wünscht
Ihre Renate Bergmann
Wissen Se, auch eine Renate Bergmann muss mal raus und ausspannen. Aber ich bin keine, die bis ans andere Ende der Welt fliegen oder fahren muss, nur um mal die Füße hochzulegen. Mit dem Auto kann man einfach losfahren und muss nicht durch eine Kontrolle wie am Flughafen. Wo einem eine Frau in Uniform erst mal am Hüfthalter rumspielt, bis es bei ihr nicht mehr piept! Man kann auch unterwegs hart gekochte Eier und ein Leberwurstbrötchen essen, ohne dass einer dumm guckt, und Bohnenkaffee aus der Thermoskanne ist Bohnenkaffee und keine gefährliche Flüssigkeit. DASS ICH DAS FLUGZEUG IN DIE LUFT SPRENGEN WILL, HABEN DIE MIR MAL UNTERSTELLT, DENKEN SE SICH NUR!
»Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?«, hat schon der olle Goethe geschrieben, unser Dichterfürst. Aber nicht nur er, auch meine Oma Strelemann sagte immer: »Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr.« Was sollte se auch sagen, wissen Se, die ist ja nie ans Meer gekommen. Höchstens, allerhöchstens, hat Opa, wenn das Heu eingefahren war und wir alle zerkratzt von den Disteln waren, den Braunen angespannt, und wir sind an den Anger nach Steckmannshorst rausgefahren und haben im Dorfteich gebadet. Ach, das waren Freudentage! Wann war denn dafür mal Zeit, frage ich Sie? So gut wie nie! Wir hatten zu tun im Stall und auf dem Feld. Die Handvoll Abende, an denen Opa mit uns an den See fuhr, waren glückliche Tage, die sich mir in die Erinnerung eingebrannt haben und an die ich mich noch heute entsinne. Oma und Mutter halfen sich gegenseitig verschämt hinter dem Holunderbusch aus den Korsagen und Hüfthaltern, während wir Kinder – der kleine Fritz, was mein Bruder ist, und ich – einfach die Kleider runterrissen und wie die Derwische ins Wasser flitzten. Wie oft rief Mutter noch mahnend hinterher, dass wir langsam machen und uns vorsichtig den Puls runterkühlen sollten, damit wir keinen Herzschlag kriegen, aber da hörten wir gar nicht hin. Wir waren wie zwei Wirbelwinde und nicht mit dem Lasso einzufangen oder von guten Worten zu bremsen.
Opa ging nicht ins Wasser, der konnte nicht schwimmen. Der blieb am Kutschbock oder ließ höchstens ab und an das Pferd ein bisschen mit den Hufen im Wasser planschen. Also, ganz vorne, wissen Se, wo das Wasser einem, wenn eine kleine Welle kommt, die Füße umspielt und ein bisschen kitzelt. Das mochte unser Brauner.
Wenn Oma und Mutter irgendwann fertig waren, sich aus ihren Geschirren zu knüppern, schlüpften sie verschämt und vom Gebüsch getarnt in ihre Badekleidchen und gingen dann ganz, ganz langsam bis zu den Knöcheln ins Wasser. Aber nur, um dann »Huch, ist das kalt!« zu rufen und sich fröstelnd die Ellenbogen zu reiben. Alsdann fingen sie vorsichtig an, sich Seewasser mit den Händen über die Arme zu reiben, damit sie sich langsam dran gewöhnten. Was meinen Se, was wir Kinder für einen Spaß dabei hatten, sie nass zu spritzen! Oma schimpfte wie ein Rohrspatz und drohte uns mit Stubenarrest, aber wir hörten gar nicht hin. Heute sind die Kinder ja froh über Stubenarrest. Wenn Se denen richtig ans Leder wollen, da müssen Se Fernsehverbot aussprechen und das Händi abnehmen, dann wird erst geflennt. Oma Strelemann musste aber auch lachen beim Schimpfen, und außerdem wussten wir Kinder genau, dass bei der Ernte und bei der Arbeit im Stall jede Hand gebraucht wurde, selbst die von uns Kleinen.
Nach drei-, viermal Aufstampfen mit den Füßchen waren Oma und Mutter so nass, dass sie gar nicht mehr daran dachten, wie kalt ihnen eben noch gewesen war. Sie schwammen eine kleine Runde im See, und wir Kinder planschten mit. Allein durften wir nicht weiter raus als bis zur Hüfte, aber mit Mutter und Oma paddelten wir bald eine halbe Stunde und drehten eine große Runde. »Wie eine Entenfamilie«, rief Opa Strelemann vom Ufer aus und mahnte, dass es nun reichte und wir rauskommen sollten. Pah! Da waren wir uns aber alle vier einig, der konnte warten! Wir waren ja sicher im See, der kam schon nicht rein, um uns zu holen. Hihi! Als wir wieder im Flachen waren, wo wir gerade stehen konnten, tobten wir noch ein kleines Weilchen, und erst als Opa am Ufer wütete wie Rumpelstilzchen, setzten wir uns wieder zu ihm auf den Kutschbock und fuhren heim.
Opa wusch sich an solchen Abenden auf dem Hof unter der Pumpe. Fritz und ich mussten abwechselnd mit aller Kraft, die wir kleinen Geister hatten, den Schwengel runterdrücken, und Opa stand unter dem eiskalten, klaren Brunnenwasser. Dann waren wir alle sauber und erfrischt und saßen nach dem Abendbrot, eingemummelt in eine Decke, noch draußen auf der Bank unterm Birnbaum, und manchmal erklärte uns Opa die Gestirne am Himmelszelt.
Opa Strelemann wusste da gut Bescheid, und deshalb kenne ich mich auch ein bisschen aus. Mir kann keiner ein X für ein U vormachen, und auch keinen kleinen Wagen für einen großen Bären. Ach, Opa kannte sich aus mit dem Mond und fabulierte stundenlang darüber, dass Regen kommt, wenn der Mond einen Hof hat. Das sagte er aber auch, wenn eine Wolke hinter »Schultens Schüne«, was so viel hieß wie »Schulzes Scheune«, zu sehen war. Opa packte überall Wetterregeln rein: Egal, ob der Hahn heiser war oder seine Schusswunde am Hintern juckte – für Opa bedeutete das: Es gibt Regen. Es kam zwar fast nie Regen, aber das warf ihn nicht aus der Bahn.
Na ja. Im Grunde glaube ich, dass meine Kirsten ein bisschen nach ihm schlägt. Dieses Mondzeuchs, wissen Se … ich träume ja auch manchmal alb, wenn Vollmond ist. Das kommt schon mal vor. Aber am nächsten Abend nehme ich dann ein paar Tropfen Baldrian und einen strammen Korn, und dann schlafe ich wieder durch wie ein Murmeltier. Es ist was dran, irgendwas macht der Mond mit uns. Aber manche Menschen machen auch was mit dem Mond, meine Kirsten hat ja richtig ein Geschäft draus gemacht. Sie bietet Vollmond-Joga an oder Pilates bei Neumond. Für Frauchen wie für die Kätzchen. Für jede Stunde gibt es einen Stempel auf dem großen Mondausweis, und wer achtzehn Stempel zusammenhat auf der »Großen Energiebahn von Mutter Luna«, der kriegt eine Jogamatte. Die Dinger hat sie billig im Interweb bestellt aus China. Tausend Stück haben sie keine hundert Euro gekostet. Die Dinger liegen in der Gartenlaube zum Auslüften, weil sie schlimmer nach Schemie stinken als diese Jenkie-Kendie-Kerzen. Eine Kursstunde kommt auf achtundzwanzig Euro bei Kirsten, dafür passt sie auf, dass alle richtig ein- und ausatmen und den Rücken schön durchdrücken. Rechnen Se mal! Da ist so eine Jogamatte gut drin, wenn die Stempelkarte voll ist.
Sie hat seinerzeit aber auch nicht aufgepasst beim Bestellen. Da kann se noch bis zur Rente den Mond anbeten, bis die alle weg sind. Wissen Se, mir war das ja eine innere Genugtuung. Ich wurde jahrelang aufgezogen, weil ich seinerzeit, als ich das Scheibchentelefon neu hatte und beim Ebai »Gefällt mir« am Kleid von Lady Di gedrückt habe … na ja, Sie ahnen, was passiert ist. Es war teuer, aber es ist ein wirklich schönes Kleid. Sie können sich denken, dass die Geschichte bei wirklich je-der Familienfeier aufs Tableau kommt. »Wisst ihr noch, als Mama damals dreitausend Euro für ein getragenes Kleid ausgegeben hat, weil sie im Internet nicht aufgepasst hat?«
Jajajajaja!
Nun hat Kirsten aber selbst nicht richtig geguckt bei ihren Matten. Es war tatsächlich alles sehr unübersichtlich und auf Englisch auf dieser Webs-Seite, das muss man zugeben. Sie hat bei Menge »zehn« ausgewählt, aber nicht gelesen, dass im Kleingedruckten stand, dass es nicht Stück, sondern Kartons sind. Und so ein Karton ist groß, sage ich Ihnen! Ich war gerade in der Küche und machte mir Frühstück. Wissen Se, wenn ich bei Kirsten auf Besuch bin, habe ich immer meine Aufschnittdose von zu Hause mit, von ihrem ewigen Pastinackenaufstrich wird mir ganz schwummerig auf Dauer. Die Dose darf in den Kühlschrank, muss aber unten in das Fach für das Katzenfutter. »Sonst geht die Fleischenergie auf die Möhren«, sagt sie … wie auch immer. Mir macht das nichts. Zu Hause habe ich Katerles Fresschen auch mit im Kühlschrank. Katzenfutter ist besser kontrolliert als Babybrei, da sind nur saubere und gesunde Sachen drin! Wie gesagt, es macht mir überhaupt nichts aus, dass ich, ihre arme, alte Mutter, meine Wurst zu ihrem Katzenfutter stellen muss!
Wo war ich?
Ach ja. Ich machte mir gerade mein Frühstück – eine Schnitte mit dünn Leberwurst –, da fuhr ein großer Lkw vor und lud die Kisten aus. Ich habe nichts gesagt, während Kirsten wie wild abwechselnd auf dem Computer und auf dem Telefon rumklopfte. Während sie noch versuchte, in China einen an die Strippe zu kriegen, habe ich mit ihrer Nachbarin die Kartons in die Laube getragen. Schwer waren die ja nicht, nur sperrig. Ja, wissen Se, ich bin eine praktische Person, die die Probleme anpackt und nicht lange laminiert.
Lamentiert, meine ich.
Nun habe ich Ihnen einfach von Kirsten erzählt, ohne Sie groß vorzuwarnen. Normalerweise bereite ich die Leute immer mit ein paar Worten vor. Jetzt sind Se jedenfalls im Bild. Meine Tochter ist speziell, aber liebenswert. Kirsten wohnt nicht in Berlin, sie lebt und … entfaltet sich im Sauerland. Da macht sie so allerlei esoterischen Humbug. Sie lässt mich im Grunde mein Leben leben und ich sie ihrs, aber wenn bei mir was Außergewöhnliches ansteht, will sie gefragt werden. Also, wenn ich neue Gardinen kaufe, wenn Frau Doktor andere Tabletten verordnet oder ich verreise.
Ja, wenn man über achtzig ist, kann man nicht einfach sagen: »Ich fahre mal in den Urlaub, tschüss, meine Lieben, ich bin in drei Wochen wieder da.« Nee!
Einerseits hat man seine Verpflichtungen: Katerle ist zu versorgen, vier Gräber sind zu gießen (und zwar auf vier verschiedenen Friedhöfen!), die blaue Tonne muss rausgestellt werden, und mit der großen Hausordnung ist man in den drei Wochen auch mal dran. Aber das ließ sich alles regeln. Wissen Se, ich habe ja den netten Herrn Alex in der WG in meinem Haus wohnen. Den habe ich gebeten, nach Katerle zu gucken. Für Blumen haben Männer jedoch einfach kein Händchen. Herr Alex ist wirklich auf Zack im Haushalt, der kocht, er macht seine Wäsche selbst und alles – da könnte sich sogar die Berber noch was abgucken. Aber er ist eben ein Mann und hat seinen Tunnelblick. Wenn man Männern sagt: »Katze füttern«, füttern die die Katze. Aber denken Se mal nicht, die wischen anschließend den Napf aus. Das hatte ich aber alles ausführlich mit ihm besprochen, und die beiden mögen sich ja auch. Katerle scharwenzelt Herrn Alex mit aufgestelltem Schwanz um die Beine und schnurrt ihn an. Das macht er nur bei Leuten, die er mag. Bei der Berber faucht er und versteckt sich unter der Couch, ganz weit hinten. Nee, die beiden würden schon prima klarkommen, und wenn Herr Alex das Katerle wirklich vergessen sollte – das machte sich schon bemerkbar. Das stellt ein Geschrei an, das können Se sich kaum vorstellen! Aber die Blumen können nicht maunzen. Ich halte wirklich große Stücke auf Herrn Alex, das merken Se ja, aber in dem Fall wusste ich schon, wie das ausgehen würde. Ich würde nach den drei Wochen Urlaub vor vertrockneten Töpfen stehen, und Herr Alex würde sagen: »Ach, die Blumen hätte ich gießen sollen? Regnet’s denn nicht auf den Balkon? Ich dachte, die in der Wohnstube!«, derweil ich moderig stinkende Brühe aus den Zimmerpflanzen kippte.
Nee, nee, es half nichts. Die Geranien mussten mit! Gucken Se nicht so! Wissen Se, die haben viel Geld gekostet, und wenn man die mitten im Sommer drei Wochen nicht gießt, kann man gleich die Zehnmarkscheine zum Fenster rausschmeißen. So ein Wohnwagen ist doch auch gleich viel gemütlicher und wohnlicher, wenn man was von zu Hause mithat. Und es wirkt auch sympathisch und einladend auf die anderen Zelter, die wissen dann gleich, dass wir nicht nur für eine Nacht bleiben und dass da nette Leute wohnen, mit denen man ins Gespräch kommen kann. »Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder«, heißt ein Sprichwort, aber ich sage Ihnen: »Wo man gießt, da lass dich nieder, nette Menschen wässern ihren Flieder.« Na ja. Wir hatten keinen Flieder, aber das reimt sich sonst nicht. Sie verstehen schon, was ich sagen will.
Aber viel wichtiger, als Gießen und Füttern zu organisieren, ist, dass die lieben Anverwandten ein gewichtiges Wort mitreden wollen, wenn eine Renate Bergmann verreist.
Meine Erfahrung ist, dass man am besten mit offenem Visier spielt und gleich Bescheid gibt, was man vorhat. Wenn sie es hintenrum erfahren, dass man einen Urlaubsausflug plant, spielen sie sich nur noch mehr auf.
In meinem konkreten Fall sind das meine Tochter Kirsten und mein Neffe Stefan. Der Stefan ist ein Neffe meines verstorbenen ersten Mannes Otto. Der und seine Frau Ariane wohnen hier gleich um die Ecke in Spandau. Sie haben zwei entzückende kleine Mädchen, die Lisbeth und die Agneta, und ein Häuschen, und sie haben ordentliche Berufe und ticken ganz normal. Die sind dichte bei und haben ein Auge auf mich. Das ist beruhigend im Alter. Bei denen und bei meiner Kirsten musste ich sozusagen die Genehmigung einholen für die Urlaubsreise, sonst gäbe das nur wieder eine Aufregung und am Ende noch Händiverbot für mich.
Ariane war nun gar nicht für das Zelten zu begeistern, aber das war mir egal, sie sollte ja auch nicht mit. »Tante Renate«, sagte sie zu mir, »wenn Gott gewollt hätte, dass wir im Campinghänger schlafen, hätte er keine Betten erfunden.« Ich habe da lange drüber nachgedacht. Es macht überhaupt keinen Sinn! Wissen Se, ich bin nur Gelegenheitskirchgängerin, aber dass der liebe Gott die Betten erfunden hat, wäre mir neu. Ich will den Herrn Pfarrer auch nicht darauf ansprechen, sonst gibt das nur wieder Diskussionen und der Messwein wird weggeschlossen. So wie neulich, als er vorne anfing mit »Vater unser im Himmel« und Opa Krämer neben mir auf der Bank »Und unse Mutter inne Küche« fortsetzte. Nun raten Se mal, wen der Herr Pfarrer da wieder böse anguckte, weil sie lachen musste? Nicht Opa Krämer, nee! Mich!
Ich entschied einfach, dass Ariane Quatsch erzählte. Quatsch mit Soße. »Jeder Jeck ist anders«, sagt der Kölner, und wissen Se: Das ist auch gut so. Einer mag keinen Rosenkohl, einer keine Rosinen, und Ariane mag eben nicht zelten. Soll se! Aber das dem lieben Gott in die Schuhe zu schieben, ist Blödsinn. Mir sollte es egal sein, die jungen Leute sollten eh nur ihren Segen geben, dass ich mit Ilse und Kurt urlauben durfte, mehr wollte ich doch gar nicht. Es wäre auch recht eng geworden mit Stefan, Ariane und den Kindern noch zusätzlich zu uns Alten im Karneval.
Kormoran.
Karavan.
Sie wissen schon.
Die erste Hürde hatte ich jedenfalls genommen, aber dann kam mir Stefan wieder mit dem Alter.
»Tante Renate, du bist zweiundachtzig Jahre alt«, begann er.
Ach was. Das war ja ganz was Neues.
»Stefan«, sagte ich also bestimmt. »Nun komm mal an im neuen Jahrhundert! Ein Fünftel davon ist schon wieder rum, und du denkst immer noch, heute achtzig Jahre alt zu sein ist so wie früher!«
Ich fuhr dem gleich in die Parade und ließ ihn gar nicht groß seine Zweifel breittreten.
Achtzig ist doch heute wirklich kein Alter! »Achtzig ist das neue Sechzig«, habe ich letzthin gelesen, und im Grunde fühle ich mich auch nicht anders als mit sechzig. Früher, ja, da war man mit achtzig alt. Da saß man nur noch zu Hause und wartete, dass Gevatter Tod einen holte. Da kamen zur Überbrückung, bis der Gevatter sich bemüßigte, ab dem achtzigsten Geburtstag schon der Pfarrer und der Bürgermeister zum Gratulieren, und die Gemeindeschwester sowieso, weil achtzig ein hohes Alter war. Heute sind die Pillen so spitze, dass es keine Kunst mehr ist, sogar neunzig zu werden. Die Leute werden alle älter, und das schafft kein Bürgermeister mehr, da bei jedem Achtzigsten an der Tafel zu sitzen und sich zwei Glas Likör »reinzuzimmern«, wie Stefan neuerdings immer sagt. Wenn es der Kalender zulässt, kommen die eventuell ab neunzig. Aber es hängt nicht vom eigenen Terminkalender ab, sondern von dem des Lokalreporters. Passen Se auf, ich erkläre Ihnen die Zusammenhänge, bei Renate Bergmann können Sie noch was lernen:
Der Bürgermeister kommt nur, wenn auch die Presse da ist. Dem geht es nämlich nicht um den Opa, sondern darum, in die Zeitung zu kommen. Mit so was punktet der doch bei seinen Wählern, wenn der mit einem Blumenstrauß dem Opa Krauspe die Hand schüttelt und dann den Frankfurter Kranz anschneidet. Das gibt schöne Bilder, da freut sich der Politiker. Der Lokalreporter schreibt noch einen netten Artikel, wie viele Kinder der Opa Krauspe hat, wie lange er mit seiner Elfriede verheiratet ist, und zum Schluss, dass er noch gut beieinander ist und jeden Tag interessiert den Spandauer Boten liest, den er selbstverständlich abonniert hat. Kostet als Probeabo nur neun Euro neunzig im Monat und kann jederzeit gekündigt werden, klicken Se bitte hier, und dieses schöne Topfset bekommen Se noch dazu.
Die Presse kommt aber nur zum Opa Krauspe, wenn der ein Abo hat. Die kommen ja nicht zu jedem x-Beliebigen! Deshalb hat die Sekretärin vom Bürgermeister auch einen guten Draht zur Zeitung und zum Einwohnermeldeamt. Die Frauen machen alle zusammen so Cowboytanz, wissen Se, wo se in Stiefeln und karierten Hemden in einer Linie steppen. Leinen-Tanz. Da lassen die den Franz vom Datenschutz schon mal einen guten Mann sein und gleichen ihre Listen ab, und so weiß die Elvira aus dem Bürgermeisterbüro, wer wann neunzig wird und ob er die Zeitung abonniert hat. Wenn das passt, schreibt sie es schon mal mit Bleistift in den Bürgermeisterkalender, und meist läuft es dann auch. Für die Zeitung ist es ja auch schön, wenn da das Stadtoberhaupt mit auf der Geburtstagscouch sitzt. Eine Wink-wink-Situation, wie die jungen Leute sagen.
Zu allem Überfluss tanzt die Frau Schlode vom Kindergarten auch mit in der Cowboytruppe und sperrt sofort die Ohren auf, wenn sie das Wort »Geburtstag« hört. Das ist eine einzige Kultur- und Gratulationsmafia, sage ich Ihnen! Wenn Cornelia Schlode von so einem Anlass erfährt, läuft sie dort mit den Kindern auf und singt »Weil heute dein Geburtstag ist«, bis der Kaffee kalt ist. Nee, da muss man immer ein Auge haben und besser am Tag vorher noch mal anläuten, wann denn der Empfang mit den Honoratioren und der Presse geplant ist. Da rechne ich dann zwei Stunden drauf, damit der Kinderchor auch wirklich ganz sicher seine Strophen fertig gesungen hat, und erst dann gehe ich hin zum Gratulieren.
Es gibt so viel zu bedenken!
Bei den Lokalberichterstattern muss man auch ganz, ganz vorsichtig sein und sich den Artikel am besten vor dem Drucken noch mal zeigen lassen. Das kann sonst sehr böse in die Hose gehen! Die sind immer so gehetzt, da passieren dann Pannen. Die gabeln mit der einen Hand die Torte in sich rein und mit der anderen machen sie sich Notizen, die sie aber später selber nicht mehr lesen können, und im Kopp sind sie schon beim nächsten Termin. Wenn die Feuerwehr eine Goldene Ehrennadel übergibt oder Erwin Gallwitz mit seiner vier zwanzig Meter hohen Sonnenblume fotografiert werden will – darüber muss ja auch berichtet werden.
Aber ich schweife ab, ich wollte bloß deutlich machen: Nur, weil man achtzig ist, muss man nicht zu Hause sitzen und darüber jammern, was man alles verpasst. Man kann sich seine Rücken-Einreibe auch auf dem Campingplatz aufschmieren!
Von Stefan kam dann nicht mehr viel Gegenwind. Der ist ja sehr direkt und sagt mir ins Gesicht, was er denkt. Er fackelt nicht lange und ist manchmal regelrecht harsch zu mir. Kein »Nun setz dich erst mal hin, Tante Renate, wie ist denn das Befinden?« oder so. Nee, bei Stefan heißt es direkt: »Tante Renate, du siehst zwar aus wie eine olle Schachtel, aber du hast es faustdick hinter den Ohren. Mit dir rede ich nicht um den heißen Brei, sondern Tacheles: Wenn du campen willst, dann fahr, aber mach keine Dämlichkeiten!«
Mhhh. Im Grunde genommen ist das ja auch ein Kompliment, wenn er nicht mit mir redet, als wäre ich schon ein bisschen weich in der Birne. Ich kann es nicht leiden, wenn mit mir gesprochen wird wie mit einem Vorschulkind, das noch nicht ganz trocken in der Hose ist.
Man muss die Zeitspanne im Leben nutzen, wo die Mitmenschen einen ernst nehmen. Erst, als Kind, ist man zu klein. Dann, als junge Erwachsene, heißt es: »Da brauchst du noch ein bisschen Lebenserfahrung.« Und wenn man die hat, ja, dann ist es auch wieder zu spät. Dann heißt es: »Das kriegt die Oma nicht mehr so richtig mit.« Die Phase, wo se einen ernst nehmen, die ist recht kurz. Lassen Se sich da nicht unterbuttern und machen Se den Mund auf! Ich sage immer: »Es geht nicht darum, wer etwas sagt und wie alt die Person ist, sondern WAS gesagt wird.« Danach sollte man das Urteil fällen. Ach, aber ich komme schon wieder ins Schwadronieren.
Als ich schlussendlich Kirsten informieren wollte, hörte die gar nicht richtig zu am Telefon, weil sie auf einen wichtigen Schamanenkongress fahren wollte und gerade mit dem Reinigen ihrer Schackren beschäftigt war. Ich empfahl Kernseife, was aber wohl nicht richtig war. Na ja.
Im Grunde wissen sie ja alle drei, dass ich keine bin, die sich einsperren lässt. Kirsten, Ariane und Stefan haben noch mal untereinander telefoniert über meinen Fall. Wissen Se, ich kam mir vor wie ein Kind, das ins Ferienlager fahren will und über das die Eltern nun beratschlagen: Darf die kleine Renate mit? Wer passt auf sie auf? Wer fährt noch alles mit?
Fehlte nur noch, dass sie mir Taschengeld zuteilten! Pah! Sie merkten schnell, dass sie mir nichts verbieten können, aber was für sie gar nicht infrage kam, war, dass Kurt uns fährt. Sie stellten noch eine ganze Reihe von Bedingungen:
Kein Zelt und kein wackeliger Campinghänger, nein, es sollte ein solides Wohnmobil sein.
Stefan würde uns zum Zeltplatz fahren, das Gefährt da abstellen und uns nach drei Wochen wieder abholen. In der Zwischenzeit durfte der Bus nicht bewegt werden. »Auch nicht nur mal ganz kurz, keinen Zentimeter!« So lautete die Regel.
Für den Fall, dass es brannte oder Hochwasser kam, wurde mir der Schlüssel anvertraut. Ich musste schwören, Kurt unter überhaupt gar keinen Umständen den Autoschlüssel zu geben.
Ich hatte mich täglich telefonisch oder per Whotzäpp zu melden. Wenn einer krank würde, wäre der Urlaub sofort beendet und Stefan käme, um uns zu holen.
Kirsten, Ariane und Stefan behielten sich vor, uns unangemeldet überraschend zu besuchen und die Einhaltung der aufgestellten Auflagen zu kontrollieren.
Puh, also wissen Se, das liest sich jetzt erst mal nach Bevormundung und als wäre es eine Frechheit. Wenn man es recht bedachte, war aber im Grunde an den zehn Geboten der jungen Leute nichts Schlimmes dran. Mir machte der Gedanke, Kurt würde so einen Wohnbus fahren, auch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der hatte ja schon in seinem kleinen Koyota nicht immer den Überblick. Das Verbot spielte mir also durchaus in die Karten. Na, und das mit dem Antelefonieren hätte ich sowieso gemacht, schließlich will ich doch wissen, was meine beiden kleinen Mäuse machen, die Lisbeth und die Agneta! Und gegen Besuch hatte ich nun wirklich nichts einzuwenden. Nun gut, Kirsten … aber das war noch gar nicht ausgemacht, dass die wirklich anreiste, so kurz vor dem großen Geistheiler-Tammtamm.
Ilse und Kurt hatten nicht lange zu fragen. Deren Tochter ist so gestrickt, dass sie die Eltern an der langen Leine lässt und ihnen keine Vorschriften macht. Die Sigrid ist Steuerberaterin und mahnte nur, dass Gläsers alle Belege aufheben sollen, weil man vielleicht was absetzen könne. Das ist ihre größte Freude, wenn sie was absetzen kann. Meist ist es jedoch sie, die sich absetzt; wissen Se, die Sigrid ist Weihnachten nur selten an der Tafel bei Ilse und Kurt. Die zieht es vor, über die Festtage vor Ilses Kartoffelsalat in warme Gefilde zu entfliehen. Sigrid lässt sich nur blicken, um in Gläsers Keller nach leckerem Eingeweckten zu stöbern oder ihre von Ilse gemangelte Wäsche abzuholen. An Geburtstagen oder hohen Feiertagen flötet sie ihre Grüße meist nur durchs Telefon und glänzt durch Abwesenheit an der Festtafel.
Na ja. Da bilde ich mir kein Urteil drüber. Der Spießrutenlauf durch die Anverwandtschaft war jedenfalls damit geschafft. Nun konnten wir uns endlich darum kümmern, ein anständiges Urlaubsgefährt für uns zu organisieren.
Wir sind also los zu so einem Wohnwagenverleiher, um uns mal umzuschauen, was es überhaupt so gibt. Wir haben ja alle drei keine Ahnung, auch wenn Kurt so tut. Da muss man sich doch ein Bild machen, wie diese Dinger von innen aussehen, wo die Betten sind, ob ein Tiefkühlfach vorhanden ist und wie viele Kochplatten der Herd hat. Na, und was da an Kosten auf uns zukommt. Wobei Letzteres erst mal hintangestellt wurde, wissen Se, da wir durch drei teilten, fiel das nicht so ins Gewicht. Ein Hotel kostet schließlich auch viel Geld, das muss man immer dagegenrechnen!
Früher waren Autoverkäufer ja immer so Lackaffen, die einen schicken Anzug trugen, viel zu viel Rasierwasser und meist ein Goldkettchen um den Hals. Die lachten auch immer überfallartig über ihre eigenen Witzchen. So jemanden hatte ich erwartet. Damals, als Walter und ich unseren kleinen Wagen gekauft haben, da war das jedenfalls so. Na ja, die Zeiten ändern sich, ebenso die Moden und auch der Frisurengeschmack von solchen Schnöseln. Zu Ursula, was meine Friseurin des Vertrauens ist, ging der jedenfalls nicht. Ursula schneidet seit ihrer Zeit als Lehrmädel allen Herren Rundschnitt, was anderes kann die gar nicht.
Der hier hatte aber einen Fassonschnitt, so mit an den Seiten wegrasiert, was seinen bulligen Hals betonte. Er erinnerte mich an die Sekuritis, die Se oft bei Konzerten stehen haben, wissen Se, die da Wache schieben. Er war noch ein Küken, wohl so Mitte zwanzig, und sehr von sich überzeugt.
»Wir würden uns diesen … Bus … gern mal ein bisschen genauer ansehen, junger Mann«, sprach Kurt ihn an.
Der jungsche Lackaffe blickte von seinem Händi hoch und riss die Augen so weit auf, dass man das Weiße sah.
»F…ffff…für Sie?«, brachte er ängstlich hervor.
»F…ffff…für wen denn wohl sonst?«, äffte Kurt ihn nach.
Ich hielt das nicht für klug, wissen Se, wenn der Geschorene sich querstellte, konnte der uns einen Strich durch die Rechnung machen und uns einfach den Bus nicht vermieten! Ich trat Kurt deshalb ein bisschen gegen das Schienbein, dass er sich mäßigte. Es war aber das Bein, was nicht mehr so gut durchblutet ist. Deshalb merkte Kurt nichts und wollte gerade dazu ansetzen, ihn zu beschimpfen. Ich kenne doch dieses Blitzen in den Augen von Kurt! Aber Ilse kennt ihn noch besser und beschwichtigte ihn. Das kann die nach über sechzig Jahren Ehe ja mit nur einem Blick, und so führte er uns erst mal drum rum um den Mobilbus und leierte die technischen Daten runter: Wie groß das Geschoss ist, wie schwer, wie viel man laden darf, was er auf hundert Kilometer nimmt und all so Zeug, was ich mir aber nicht gemerkt habe.
Wir guckten den Camperbus dann erst mal von innen an. Da ging es ja schon los mit den Problemen: Das Gefährt hatte nämlich kein Geländer am Einstieg! Das geht doch nicht. Denkt denn da keiner mit? Immer und ständig heißt es, die Alten werden immer mehr. So direkt sagt das keiner, weil manche da pikiert reagieren, aber »demografischer Wandel« oder »älter werdende Gesellschaft« heißt doch im Grunde nichts anderes. Aber stellen sich die Leute darauf ein? Nee. Tun sie nicht! Die Gehwege werden nach wie vor so schmal gebaut, dass man sich mit dem Rollator verhakelt, wenn ein anderer mit einem Stützwägelchen von vorne kommt, im Wartehäuschen gibt es nur ganz wenige Sitzplätze, und wenn Se im Kaufhaus nach einem Kleid oder einer Bluse suchen, denken Se, Sie sind im Fachhandel für magersüchtige Dirnen. Keiner stellt sich auf uns Alte ein. Wir sollen gefälligst das kaufen und mit dem zurechtkommen, was sie für die Jungen bauen. Die machen uns das Leben schwer mit komplizierten Fahrkartenautomaten und Fernbedienungen mit viel zu kleinen Knöppen.
Und am Camperbus bauen se kein Geländer dran!
Das ist nicht nur rücksichtslos, sondern auch dämlich. Die vermasseln sich doch selbst ihr Geschäft, wenn sie sich nicht auf Ältere einstellen. Sind wir doch mal ehrlich, die meisten Leute, die mit so einem Gefährt in den Urlaub aufbrechen, sind an den Sechziger ran. Mindestens! Da geht das doch los mit Fettleber, Rücken oder der Doktor muss ran ans Knie, weil der Minikuss Zicken macht. Äh, Meniskus. Da gehört doch ein Geländer an den Einstieg!
Ja, in diesem Alter kommt alles zusammen: Die Leutchen haben Zeit, weil die Kinder aus dem Haus sind, und sie wollen weg, weil sie auch mal ein Wochenende NICHT auf die Enkel aufpassen wollen (tut mir leid, liebe Eltern, wenn ich Ihnen da die Wahrheit sagen muss). Noch dazu haben sie ein bisschen was auf der hohen Kante und merken so langsam, dass die Jahre, die da noch kommen, auch nicht mehr werden und dass es an der Zeit ist, sich mal was zu gönnen.
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