Antibiotika-Overkill - Martin Blaser - E-Book

Antibiotika-Overkill E-Book

Martin Blaser

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Beschreibung

Wir Menschen werden von zehntausenden Bakterien besiedelt. Vor allem in unserem Verdauungstrakt spielen diese Kleinstlebewesen, mit denen wir seit vielen Jahrtausenden in einer heilbringenden Symbiose leben, eine entscheidende Rolle für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Aber das fein austarierte Gleichgewicht in dem sogenannten Mikrobiom gerät seit einigen Jahrzehnten ins Wanken - paradoxerweise durch den übermäßigen und falschen Gebrauch eines unserer wirkungsvollsten Medikamente. Die These des Autors: Durch den falschen und übermäßigen Gebrauch von Antibiotika, aber auch durch zu viele Kaiserschnittgeburten ist es zu einem fatalen Artensterben in unserem Mikrobiom gekommen - was wiederum zur massiven Zunahme der modernen Zivilisationskrankheiten Diabetes, Übergewicht, Asthma und Nahrungsmittelallergien geführt hat. Der Autor ist Professor an der NYU und einer der weltweit führenden Experten zum Thema. Seine aufrüttelnden Thesen haben weltweit für Aufsehen gesorgt.

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Martin J. Blaser

Antibiotika-­Overkill

So entstehen die modernen Seuchen

Aus dem Englischen von Ulrich Magin

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Missing Microbes.

How the overuse of Antibiotics is fueling our modern plagues«

bei Henry Holt, New York

© 2014 by Martin J. Blaser

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Mykhailo Bokovan, shutterstock

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

ISBN E-Book 978-3-451-81104-3

ISBN Print 978-3-451-60023-4

Für meine Kinder und für künftige Kinder

mit einer herrlichen Zukunft

»Wir leben im Zeitalter der Bakterien (so war es, so ist es, so wird es immer sein, bis zum Ende der Welt) …«

Stephen Jay Gould, Cambridge, Massachusetts, 1993

Inhalt

Impressum

Widmung

Zitat

1. Moderne Seuchen

2. Unser mikrobieller Planet

3. Das Mikrobiom des Menschen

4. Der Aufstieg der Pathogene

5. Das Allheilmittel

6. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika

7. Die moderne Viehwirtschaft

8. Mutter und Kind

9. Eine vergessene Welt

10. Sodbrennen

11. Atembeschwerden

12. Größer …

13. … und dicker

14. Wiedersehen mit den modernen Seuchen

15. Der antibiotische Winter

16. Lösungen

Epilog

Danksagungen

Über den Autor

Register

1. Moderne Seuchen

Zwei der Schwestern meines Vaters lernte ich nie kennen. In dem kleinen Dorf, in dem sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts zur Welt kamen, erlebten sie ihren zweiten Geburtstag nicht. Sie litten an hohem Fieber und vielen anderen Symptomen. Es war so schlimm, dass mein Vater ins Gebethaus ging und die Namen der Töchter änderte, damit der Engel des Todes sie nicht finden konnte. Er tat dies bei beiden Mädchen. Es half nichts.

1850 starb eines von vier amerikanischen Babys vor seinem ersten Geburtstag. Tödliche Epidemien wüteten in den übervölkerten Städten, die Menschen saßen in finsteren und schmutzigen Räumen mit stickiger Luft, aber ohne fließendes Wasser fest. Cholera, Lungenentzündung, Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten, Tuberkulose und Pocken waren nur allzu wohl vertraute Gäste.

Heute stirbt in den Vereinigten Staaten nur noch eines von tausend Neugeborenen, bevor es das erste Lebensjahr vollendet – das ist ein erstaunlicher Fortschritt. Im Laufe der vergangenen anderthalb Jahrhunderte sind meine Nation und die anderen Staaten der Ersten Welt gesünder geworden.1 Das ist, unterm Strich, das Verdienst verbesserter hygienischer Zustände, von Rattengift, sauberem Trinkwasser, pasteurisierter Milch, Kinderimpfungen, modernen medizinischen Verfahren wie der Anästhesie und – natürlich – auch von siebzig Jahren Antibiotika.

Heute wachsen Kinder ohne verkrümmte Knochen auf, die das Ergebnis eines Vitamin-D-Mangels sind, und ohne Nasen­nebenhöhlenentzündungen. Achtzigjährige, die man früher auf die Veranda verbannte, spielen heute dank künstlicher Hüftgelenke Tennis.

Und doch ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten, allen medizinischen Fortschritten zum Trotz, irgendetwas ganz schrecklich falsch gelaufen. In vielerlei Hinsicht werden wir wieder kränker. Man liest es jeden Tag in den Schlagzeilen. Wir leiden an einem ganzen Spektrum von dem, was ich »moderne Seuchen« nenne: Adipositas, Diabetes bei Kindern, Asthma, Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergien, Ösophagusreflux sowie Krebs, Zöliakie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Autismus und Neurodermitis. Vermutlich ist jemand in Ihrer Familie, jemand, den Sie kennen, oder sogar Sie selbst daran erkrankt. Anders als die tödlichen Seuchen der Vergangenheit, die schnell und hart zuschlugen, mindern diese chronischen Krankheiten die Lebensqualität der Opfer oft über Jahrzehnte.

Die sichtbarste dieser Seuchen ist die Adipositas.2 Sie wird über den Body-Mass-Index (BMI) definiert, der das Verhältnis von Gewicht zu Körpergröße erfasst. Menschen mit einem gesunden Körpergewicht haben einen BMI zwischen 20 und 25. Wer einen BMI zwischen 25 und 30 aufweist, ist übergewichtig. Jeder mit einem BMI über 30 ist adipös. Barack Obamas BMI liegt etwa bei 23. Der BMI der meisten US-Präsidenten lag unter 27, mit Ausnahme von William Howard Taft, der einmal in der Badewanne des Weißen Hauses feststeckte. Er hatte einen BMI von 42.

1990 waren rund zwölf Prozent aller Amerikaner adipös. 2010 lag der Schnitt landesweit bei dreißig Prozent. Wenn Sie das nächste Mal am Flughafen oder im Supermarkt sind, schauen Sie sich einfach mal um und überzeugen Sie sich selbst. Die Seuche der Adipositas ist kein reines Problem der Vereinigten Staaten, sondern ein weltweites. Im Jahre 2008 waren nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund anderthalb Milliarden Menschen übergewichtig, davon galten über 200 Millionen Männer und fast 300 Millionen Frauen als adipös. Viele davon leben in den Entwicklungsländern, die man generell eher mit Hungersnöten als mit Fettleibigkeit in Verbindung bringt.

Das sind alarmierende Zahlen. Weitaus schockierender aber finde ich die Tatsache, dass es zu dieser Zunahme an menschlichem Körperfett nicht im Lauf von Jahrhunderten, sondern in den vergangenen beiden Jahrzehnten gekommen ist. Die fett- und zuckerreichen Nahrungsmittel, denen man gern die Schuld an den zusätzlichen Pfunden zuschiebt, gibt es jedoch – zumindest in den Industrieländern – schon sehr viel länger. Auch haben die übergewichtigen Menschen in den Entwicklungsländern nicht urplötzlich ihre Ernährung auf KFC-Hähnchen umgestellt. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass eine hohe Kalorienaufnahme, auch wenn sie sicherlich nicht gut ist, doch nicht ausreicht, den Verlauf und die Verbreitung der weltweiten Adipositas-­Seuche zu erklären.

Gleichzeitig verdoppelt sich die autoimmune Form der Diabetes, die bereits in der Kindheit beginnt und die Insulinspritzen erfordert (juveniler oder Diabetes Typ 1), in den ­Industrieländern in seiner Inzidenz alle zwanzig Jahre. In Finnland, wo es eine ­vorzügliche Aktenlage gibt, stellte man seit 1950 einen Anstieg um 550 Prozent fest.3 Das kommt nicht daher, dass wir Diabetes Typ 1 heute besser und eindeutiger erkennen können. Vor der Entdeckung des Insulins in den 1920ern verlief die Krankheit ausnahmslos tödlich. Heute überleben die meisten Kinder, wenn sie richtig behandelt werden. Die Krankheit selbst hat sich nicht verändert, bei uns hat sich etwas geändert. Immer mehr sehr junge Kinder sind von Diabetes Typ 1 betroffen. Man diagnostizierte die Krankheit früher im Schnitt im Alter von neun Jahren. Heute liegt das Alter bei sechs Jahren, manche Kinder erkranken schon im Alter von drei Jahren an Diabetes.

Der jüngste Anstieg bei Asthma, einer chronischen Entzündung der Atemwege, ist ähnlich alarmierend. Einer unter zwölf (rund 25 Millionen oder acht Prozent der US-Bevölkerung) hatte 2009 Asthma – verglichen mit einem unter vierzehn noch vor einem Jahrzehnt. Zehn Prozent der amerikanischen Kinder leiden unter Keuchen, Atemlosigkeit, Brustdrücken und Husten. Schwarze Kinder sind am stärksten betroffen, eines von sechs ist daran erkrankt. Ihre Rate erhöhte sich von 2001 bis 2009 um fünfzig Prozent. Und dieser Anstieg beim Asthma verschont keine Ethnie. Früher unterschieden sich die Anstiegsraten je nach Bevölkerungsgruppe, aber alle steigen an.

Asthma wird oft von Umweltfaktoren ausgelöst, etwa Tabakrauch, Schimmel, Luftverschmutzung, dem Kot der Küchenschabe, einer Erkältung oder einer Grippe. Bei einem schweren Anfall schnappt der Asthmatiker nach Luft und muss, hat er keine Medikamente zur Hand, sofort in die Notaufnahme. Selbst bei bester Behandlung kann er sterben – wie der Sohn eines Kollegen von mir, der selbst Arzt ist. Asthma verschont keine wirtschaftliche oder gesellschaftliche Schicht.

Nahrungsmittelallergien sind alltäglich geworden. Noch vor einer Generation gab es kaum eine Erdnussunverträglichkeit. Heute findet man in jedem Kindergarten Plakate, die ihn zur »erdnussfreien Zone« erklären. Immer mehr Kinder reagieren allergisch auf Proteine in ihren Nahrungsmitteln, nicht nur in Erdnüssen, sondern auch in der Milch, in Eiern, Soja, Fisch oder Obst – woran Sie auch denken, jemand ist allergisch dagegen. Zöliakie, die Allergie gegen Gluten, das Haupteiweiß in Weizenmehl, greift um sich. Zehn Prozent unserer Kinder leiden unter Heuschnupfen. Neurodermitis, eine chronische Entzündung der Haut, betrifft mehr als 15 Prozent unserer Kinder und zwei Prozent der Erwachsenen in den Vereinigten Staaten. In den Industriestaaten hat sich die Zahl der Kinder mit Ekzemen in den vergangenen dreißig Jahren verdreifacht.

Diese Krankheiten legen nahe, dass unsere Kinder in noch nie gekanntem Maße an Störungen des Immunsystems leiden, und dazu noch an Krankheiten wie Autismus. Auf diese viel diskutierte moderne Seuche konzentrieren wir uns gerade in meinem Labor. Aber auch Erwachsene haben ihren Anteil an den modernen Seuchen. Die Inzidenz von chronisch-entzündlichen Darm­erkrankungen, darunter Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, steigt, wo immer wir auch hinsehen.

Als ich Medizin studierte, galt Ösophagusreflux, der Verursacher des Sodbrennens, noch als selten. Aber in den vergangenen vierzig Jahren hat sich die Krankheit explosionsartig verbreitet, ebenso wie der Krebs, den sie auslöst. Ein Adenokarzinom der Speiseröhre ist die sich am schnellsten verbreitende Krebsart in den Vereinigten Staaten und überall dort, wo solche Aufzeichnungen gemacht werden. Besonders für weiße Männer stellt es ein ernsthaftes Problem dar.

***

Warum nehmen diese Übel gleichzeitig in allen Industriestaaten zu – und in den verwestlichten Entwicklungsländern ebenfalls? Ist alles reiner Zufall? Da wir von zehn modernen Seuchen sprechen – gibt es dafür zehn verschiedene Ursachen? Das erscheint eher unwahrscheinlich.

Oder gibt es einen einzigen Verursacher, der für diese parallelen Anstiege verantwortlich ist? Eine einzige Ursache wäre leichter greifbar, sie ist einfacher und voraussetzungsärmer. Aber welche Ursache könnte so allgemein sein, dass sie unter anderem Asthma, Adipositas, Ösophagusreflux, juvenile Diabetes und spezifische Nahrungsmittelallergien auslöst? Die übermäßige Kalorienaufnahme vermag Adipositas zu erklären, nicht aber das Asthma. Viele Kinder, die an Asthma erkranken, sind schlank. Luftverschmutzung vermag Asthma zu erklären, wohl aber kaum Nahrungsmittelallergien.

Für jede dieser Erkrankungen ist eine Vielzahl an Ursachen diskutiert worden: Schlafmangel macht uns fett, Impfungen führen zum Autismus, genetisch veränderter Weizen ist Gift für den Darm des Menschen … und so weiter.

Die populärste Hypothese zur Erklärung des Anstiegs von Kindererkrankungen ist die sogenannte Hygienehypothese. Ihr liegt die Idee zugrunde, dass unsere Welt heute so blitzsauber ist, dass sie die modernen Seuchen auslöst. Sie schläfert das Immunsystem der Kinder ein, es reagiert deshalb mit falschem Alarm und Beschuss der eigenen Truppen. Viele Eltern versuchen bereits, das Immunsystem ihrer Kinder zu stärken, indem sie ihnen Haustiere schenken, sie mit auf den Bauernhof nehmen – oder indem sie zulassen, dass sie Erde essen.

Da lege ich mein Veto ein: Diese »Stärkung der Immunabwehr« wirkt sich gar nicht auf unsere Gesundheit aus. Die Mikroben im Sand haben sich dem Leben im Erdboden angepasst, nicht dem Leben in uns. Die Mikroben in Haus- und Nutztieren sind ebenfalls nicht in unserer menschlichen Evolution verwurzelt. Man hat die Hygienehypothese, wie ich noch zeigen werde, falsch gedeutet.

Wir müssen nämlich vor allem die Mikroorganismen betrachten, die in und auf unserem Körper leben. Das ist eine Riesenbevölkerung von kooperierenden und miteinander in Wettbewerb stehenden Mikroben, deren Gesamtheit man Mikrobiom nennt. In der Ökologie spricht man vom Biom, dem Organismenkollektiv aus Pflanzen und Tieren, die ein Biotop wie einen Dschungel, einen Wald oder ein Korallenriff bewohnt. Es handelt sich um eine unfassbare Vielfalt von Spezies, klein und groß, die komplex interagieren und sich gegenseitig stützen. Wird eine wichtige Spezies ausgerottet, gefährdet das das gesamte Ökosystem. Es kann sogar zusammenbrechen.

Wir alle beherbergen in uns ein vergleichbar vielfältiges Ökosystem an Mikroben, dass sich im Laufe von Millionen Jahren gemeinsam mit uns entwickelt hat. Mikroben gedeihen in unserem Mund, im Darm, in der Nase, in den Ohren und auf der Haut. Sie überziehen die Vagina der Frauen. Die Mikroben, die unser Mikrobiom ergeben, erwerben wir im Allgemeinen früh in unserem Leben. Es mag überraschen, aber im Alter von drei Jahren ist die Zusammensetzung bereits dieselbe wie bei Erwachsenen.4 Diese Mikroben, unsere Körperflora, spielen eine äußerst wichtige Rolle in unserem Immunsystem und bei der Abwehr von Krankheiten. Auf den Punkt gebracht: Unser Mikrobiom hält uns gesund. Aber wir rotten Teile davon aus.

Die Ursachen dieser Katastrophe finden wir überall: Exzessiver Gebrauch von Antibiotika bei Mensch und Tier, Kaiserschnitte und der weit verbreitete Einsatz von Desinfektionsmitteln und Antiseptika gehören dazu. Resistenz gegen Antibiotika ist ein großes Problem – längst besiegt geglaubte Killer wie die Tuberkulose kehren gerade zurück – und sie betrifft auch neue Arten wie die Geißel Clostridium difficile (C. diff), ein Bakterium des Verdauungstraktes, das resistent gegen ein ganzes Spektrum von Antibiotika ist und eine Gefahr in Krankenhäusern darstellt, sowie ein sich ausbreitendes Pathogen, der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), den man sich überall einfangen kann. Weil Antibiotika einen Selektionsdruck ausüben, nimmt ihre Zahl zu.

So schrecklich diese resistenten Pathogene auch sein mögen, so ist der Verlust der Artenvielfalt in unserem Mikrobiom eine viel schlimmere Gefahr. Er verändert nämlich unsere Entwicklung, unseren Metabolismus, unser Immunsystem und unsere kognitiven Fähigkeiten.

Ich habe in diesem Zusammenhang von den »verschwindenden Mikrobiota« gesprochen.5 Der Begriff klingt seltsam und kommt nicht so leicht über die Zunge, aber ich glaube, dass er zutrifft. Aus vielerlei Gründen verlieren wir unsere uralten Mikroben. Und um dieses Dilemma geht es in diesem Buch. Der Verlust der mikrobiellen Vielfalt in und auf unserem Körper fordert von uns einen schrecklichen Preis. Und ich wage vorauszusagen, dass es sich in Zukunft noch verschlimmern wird. Wie der Verbrennungsmotor, die Atomkraft und die Pestizide unvorhergesehene Folgen hatten, so wird es auch beim Missbrauch der Antibiotika und andere medizinischer und quasi-medizinischer Praktiken (zum Beispiel Desinfektionsmittel) sein.

Ein Schreckensszenario wird sich kaum vermeiden lassen, wenn wir nicht grundlegend etwas ändern. Es sind finstere Aussichten wie bei einem Blizzard, der über eine erstarrte Landschaft fegt. Ich spreche vom »mikrobiellen Winter«. Ich will nicht, dass die Babys der Zukunft so jämmerlich sterben müssen wie meine Tanten. Deshalb schlage ich Alarm.

***

Mein eigener Weg zu der Einsicht und Erkenntnis, dass unsere Mikroben bedroht sind, begann am 9. Juli 1977. Ich erinnere mich an diesen Tag, weil ich damals zum ersten Mal von einer Mikrobe hörte, Campylobacter, die mein ganzes Forscherleben antrieb. Ich war gerade Dozent für Infektionskrankheiten und Mitglied des Lehrkörpers des University of Colorado Medical Center in Denver geworden.

Man bat mich, nach einem 33-jährigen Patienten zu sehen, der ein paar Tage zuvor eingeliefert worden war. Er litt unter hohem Fieber und war orientierungslos. Eine Lumbalpunktion bestätigte, dass er an Meningitis erkrankt war, einer schweren Entzündung des Nervensystems. Die Ärzte sandten Blut- und Rückenmarksflüssigkeitsproben zur Untersuchung ein, um festzustellen, ob es sich beim Verursacher um eine Bakterieninfektion handelte – und wenn ja, um welches Bakterium. Während die Ärzte auf die Ergebnisse warteten, gaben sie dem Patienten vorsichtshalber Antibiotika, weil es ihm schlecht ging. Sie glaubten, dass ihn nur hohe Dosen Antibiotika vor dem Tode bewahren könnten. Sie behielten recht.

Die Testergebnisse wiesen ein langsam wachsendes Bakterium nach, den Campylobacter fetus, einen Organismus, von dem niemand in dem Krankenhaus je zuvor gehört hatte. Deshalb verständigte man mich. Ich war erst seit neun Tagen da, aber ich sollte eine Lösung finden.

Campylobacter sind eine Gattung spiralförmiger Bakterien. Wie bei einem winzigen Korkenzieher ermöglicht ihnen ihre Spiralform, den gelatineartigen Schleim zu durchdringen, der den Gastro­intestinaltrakt auskleidet. Weshalb trägt die Spezies den seltsamen Namen fetus? (Bei der biologischen Nomenklatur trägt jedes Lebewesen zuerst einen Gattungsnamen, in diesem Fall Campylobacter, und danach, kleingeschrieben, den Namen der Spezies, hier also fetus. Zu jeder Gattung gehören normalerweise viele Spezies und Subspezies. Der Mensch heißt Homo sapiens: Er gehört zur Gattung Homo und zur Spezies sapiens.) Ich vertiefte mich in die medizinische Fachliteratur und fand heraus, dass die Mikrobe diesen eigentümlichen Namen erhalten hatte, weil sie bei trächtigen Schafen und Rindern zu Fehlgeburten führte. Nur selten befiel sie Menschen. Wo sich unser Patient angesteckt hatte, blieb ein Geheimnis. Er war ein Stadtmensch, ein Musiker.

Als wir den Organismus identifiziert hatten, konnten wir ein entsprechendes Antibiotikapaket zusammenstellen. Der Patient erholte sich binnen weniger Wochen. Kurz darauf sollte ich auf einer Konferenz einen Vortrag halten und entschloss mich, über Campylobacter zu sprechen. Was gibt es Besseres, als über eine seltene Infektion zu informieren, mit der die meisten noch nicht vertraut sind? Keiner würde merken, wie wenig Ahnung ich selbst hatte.

Als ich mich über Campylobacter fetus schlau machte, erfuhr ich bald, dass er einen Cousin hatte, Campylobacter jejuni. (Das Jejunum, der Leerdarm, gehört zum Dünndarm.) Die ziemlich spärliche Literatur ging davon aus, dass Menschen mit C. fetus gemeinhin im Blut infiziert waren, solche mit C. jejuni aber zu Durchfall­erkrankungen neigten. Es waren also zwei sehr ähnliche Organismen mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen auf unseren Körper. Warum blieb ein Campylobacter im Darm gefangen, wo er auch hingehörte, und der andere kämpfte sich wie ein Ninja bis ins Blut vor? Das musste ich unbedingt wissen.

Im Laufe der nächsten Jahre hatte ich wechselweise Stellen an Universitäten (University of Colorado und Vanderbilt) und bei der Seuchenschutzbehörde inne. Ich wurde zu einer Art Experte für C. fetus, meinem »Lieblingsbakterium«. Ich entdeckte einige der Geheimnisse dieses Zauber- und Trickkünstlers.

Deshalb spielte C. fetus schon früh eine Rolle, als ich meine Hypothese von den verschwindenden Mikrobiota entwickelte. Es lehrte mich einige grundlegende Tatsachen darüber, wie ein Bakterium in seinem Wirt überlebt. Natürlich verursachen Bakterien Krankheiten, aber – und das lernte ich erst später wirklich zu schätzen – es leben auch Bakterien in uns, die unserem Immunsystem dank einer Reihe einander ähnelnder Taktiken ausweichen können. Sie schaden uns gemeinhin nicht, sie schützen uns vielmehr. Ich erfuhr, dass Bakterien unzählige Tricks einsetzen, das Ergebnis von Millionen Jahren von Versuch und Irrtum, um ihrer Funktion nachzugehen, die für ihren Wirt je nach den Umständen entweder nützlich oder schädlich ist. Ich werde später noch darauf kommen.

Insbesondere C. fetus lehrte mich etwas über Tarnung – wie Mikroorganismen den Verteidigungsmechanismen ihrer Wirte entkommen. Rund 99,9 Prozent aller Bakterien, darunter C. jejuni, werden im Blut abgetötet, aber C. fetus gleitet mithilfe einer Art »Tarnkappe«6 in den Blutkreislauf. Es kann dann zwar immer noch von den Zellen einer gesunden Leber abgefangen werden. Jemand mit einer geschädigten Leber aber ist dazu nicht in der Lage, und das kann zu Meningitis führen. (Ich erfuhr später, dass unser Patient ein schwerer Alkoholiker war.)

Während ich Anfang der 1980er-Jahre an C. fetus und C. jejuni arbeitete, wurde ein neuer Verwandter von Campylobacter ausgerechnet im Magen entdeckt. Er wurde »gastric campylobacter-like organism« oder GCLO (Organismus, der dem Magen-Campylobacter ähnelt; heute nennen wir ihn Helicobacter pylori) getauft und hielt eine ganze Trickkiste bereit, die uns – wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde – schaden oder vor Schaden bewahren kann. In den vergangenen 28 Jahren bin ich diesem Organismus hinterhergejagt, denn ich bin fest überzeugt – und glaube auch, das beweisen zu können –, dass er der Leithammel ist, der uns zur Lösung des Rätsels der modernen Seuchen führt.

Ich begegnete diesem Organismus zum ersten Mal im Oktober 1983 auf dem zweiten »International Workshop on Campylobacter Infections« in Brüssel. Dort traf ich Dr. Barry Marshall, einen jungen australischen Arzt, der GCLO entdeckt hatte, den er nun für den Verursacher von Gastritis und Geschwüren hielt. Niemand glaubte ihm. Es »wusste« doch jeder, dass die Auslöser von Geschwüren Stress plus Magensäure waren. Ich war selbst skeptisch. Natürlich faszinierte mich, dass er ein neues Bakterium entdeckt hatte, aber mir schienen seine Belege für die Geschwüre mehr als schwach.

Erst in den nächsten beiden Jahren, nachdem andere Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen der Mikrobe und Gastritis sowie Geschwüren bestätigen konnten, entschloss ich mich, zum Fortschritt auf dem Gebiet der Natur der GCLO beizutragen (die 1989 als Helicobacter pylori neu klassifiziert wurden, weil genetische Untersuchungen ergaben, dass sie nicht zur Gattung Campylobacter gehörten). Ihr Verwandtschaftsverhältnis entspricht dem des Löwen (Panthera leo) zur Hauskatze (Felis catus): Sie sind verwandt, aber nicht so sehr, dass sie zur selben Gattung gehören.7 Mein Labor entwickelte ein Verfahren, mit dem man Blut auf das Vorkommen dieser Mikrobe testen konnte. Wir konnten so auch zeigen, dass wir einen natürlichen Schutz gegen das Bakterium besitzen, wenn wir es in uns tragen.8

Marshall und sein Forscherkollege Robin Warren führten klinische Studien durch, die belegten, dass das Ausmerzen von H. pylori durch Antibiotika Geschwüre heilte. Andere bestätigten diese Erkenntnisse und erweiterten sie noch. Marshall und Warren erhielten für ihre Arbeit 2005 den Nobelpreis für Medizin.

Mittlerweile begannen Ärzte einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen H. pylori. Jeder, dem der Magen drückte, erhielt Antibiotika. Das Mantra lautete: »Nur ein totes H. pylori ist ein gutes H. pylori.«9 Ich dachte fast ein Jahrzehnt lang genauso.

Mitte der 1990er-Jahre änderte ich meine Ansichten. Nun legten Indizien nahe, H. pylori als Teil unserer gewöhnlichen Darmflora zu betrachten, die für unsere Gesundheit wichtig ist.10 Erst als ich von dem Dogma abließ, dass »Gastritis etwas Schlechtes ist«, konnte ich die Biologie von H. pylori überdenken. H. pylori kann tatsächlich bei einigen Erwachsenen sehr schädlich sein, später aber fanden wir heraus, dass es für viele unserer Kinder sehr nützlich ist. Es auszurotten schafft mehr Schaden als Gutes. Warum ich meine Meinung geändert habe, finden Sie detailliert in den Kapiteln 9, 10 und 11 beschrieben.

2000 wechselte ich an die University of New York und baute dort ein Labor auf, um zu untersuchen, wie dieses uralte Bakterium in unserem Magen arbeitet und welche Folgen das für uns hat. Im Laufe der folgenden vierzehn Jahre sammelten sich immer weitere Hinweise darauf an, dass das Verschwinden der altehrwürdigen Mikrobe etwas mit den derzeitigen Seuchen zu tun hatte. Und H. pylori brachte mich darauf, noch breiter zu forschen: Ich untersuchte das menschliche Mikrobiom selbst.

Zurzeit geht es betriebsam zu in meinem Labor. Wir forschen gerade an mehr als zwanzig Projekten und untersuchen bei Menschen und Mäusen, wie sich Antibiotika auf die Körperflora und ihren Wirt auswirken. In einem typischen Tierversuch geben wir Mäusen Antibiotika ins Trinkwasser und vergleichen sie dann mit Mäusen, die keine Medikamente erhalten. Wir beginnen bereits früh im Leben, manchmal kurz vor der Geburt, dann lassen wir die Mäuse aufwachsen, stellen fest, wie fett sie werden, wie ihre Leber funktioniert, wie sich ihre Immunität im Darm entwickelt, wie ihre Knochen wachsen und was mit den Hormonen sowie ihrem Gehirn geschieht.

Das ist eine spannende Arbeit, weil wir immer auf Veränderungen stoßen, die eine Antibiotikaexposition in frühen Lebensjahren verursacht hat. Wir verstehen nun, dass wir in den ersten Lebensjahren besonders anfällig sind. Junge Kinder haben für ihr Wachstum kritische Abschnitte, unsere Experimente zeigen, dass ein Verlust gutartiger Darmbakterien in dieser frühen Zeit – zumindest bei Mäusen – die Adipositas fördert. Wir beginnen gerade mit unseren Untersuchungen zu gesellschaftlicher Entwicklung und Zöliakie. Wir haben viele Ideen, wie man unsere Erkenntnisse von Mäusen auf Menschen übertragen könnte. Letztlich wollen wir den Schaden rückgängig machen, den Menschen in der ganzen Welt erlitten haben. Dazu werden auch Strategien gehören, die verlorenen Mikroben wiederzubringen. Ein bedeutender Schlüssel bei all unseren Herangehensweisen ist die Reduzierung des übermäßigen Antibiotikagebrauchs bei unseren Kindern, und zwar von jetzt an.

Meine Odyssee in den 37 Jahren, seitdem ich den vor Fieber zitternden Mann in seinem Krankenhausbett gesehen hatte, überzeugt mich, dass ich an einem kritischen Punkt meiner Laufbahn stehe. Die Jahre meiner Arbeit als auf Ansteckungskrankheiten spezialisierter Arzt, die Jahre meiner Experimente, ermöglichen mir eine besondere Sicht auf die modernen Seuchen. Als ich anfing, habe ich nie mit der Richtung gerechnet, in die ich nun gehe. Aber meine Arbeit führte mich durch die Ebenen, über die Berge und Meere der wissenschaftlichen medizinischen Forschung. Sie brachte mich zu neuen Konzepten über unsere sich wandelnde moderne Welt, die ich Ihnen nun nahebringen möchte. Die modernen Seuchen unterscheiden sich von denen, die die Schwestern meines Vaters umbrachten, aber sie sind ebenso tödlich.

1 In der Antike erlebte ein Drittel bis die Hälfte aller Kinder das fünfte Lebensjahr nicht. (Vgl. T. Volk und J. Atkinson, Is child death the crucible of human evolution? Journal of Social, Evolutionary and Cultural Psychology 2 [2008]: 247– 60.) Die Todesrate bei Kindern blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein hoch. Noch im Jahre 1900 starben bis zu dreißig Prozent aller Neugeborenen in manchen Städten der USA vor ihrem ersten Geburtstag. (Vgl. R. A. Meckel, Save the Babies: American Public Health Reform and the Prevention of Infant Mortality, 1850–1929 [Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1990].) Im 20. Jahrhundert ließen die verbesserten hygienischen Bedingungen die Sterblichkeitsrate bei Kindern von 100 unter 1000 im Jahr 1915 auf zehn unter 1000 im Jahr 1995 zurückgehen. (Morbidity and Mortality Weekly Report 48 [1999]: 849–858). Die Sterblichkeitsrate bei Kindern ist im vergangenen halben Jahrhundert immer weiter gesunken (G. K. Singh und S. M. Yu, U.S. childhood mortality, 1950 through 1993: trends and socioeconomic differentials, American Journal of Public Health 86 [1996]: 505–512).

2 Auch wenn die zunehmende Körpermasse generell auf eine gegenüber dem Kalorienverbrauch höhere Kalorienaufnahme zurückzuführen ist, handelt es sich bei Adipositas um ein komplexes Thema. Es ist umstritten, ob sich alle Kalorien auf den menschlichen Körper gleich auswirken. Faktoren wie psychischer und physischer Stress und Schlafmangel könnten eine (erhöhte) Nahrungsaufnahme bewirken. Mangelnde Bewegung spielt wohl eine Rolle bei der zur Kalorienaufnahme überproportionalen Gewichtszunahme. Rauchende Mütter, die vorgeburtliche Umgebung, endokrine Disruptoren und eine Abhängigkeit von sehr salzhaltigen Lebensmitteln kommen alle als Ursachen in Betracht, selbst chemische Toxine könnten eine Rolle spielen. (P. F. Baillie-Hamilton, Chemical toxins: a hypothesis to explain the global obesity epidemic, Journal of Alternative and Complementary Medicine 8 [2002]: 185–192.)

3 In den Industriestaaten ist juveniler Diabetes (Typ 1) stetig auf dem Vormarsch. (V. Harjutsalo et al., Time trends in the incidence of type 1 diabetes in Finnish children: a cohort study, Lancet 371 [2008]: 1777–1782.) Obwohl die Inzidenz nach fünfzig Jahren kontinuierlicher und zuletzt beschleunigter Zunahme gerade wieder etwas abnimmt, vielleicht aufgrund besserer gesundheitlicher Aufklärung. (V. Harjutsalo et al., Incidence of type 1 diabetes in Finland, Journal of the American Medical Association, 310 [2013]: 427–428.) Weltweit betrug die jährliche Zunahme von Typ-1-Diabetes-Erkrankungen in den vergangenen Jahren drei Prozent. (P. Onkamo et al., Worldwide increase in incidence of Type I diabetes – the analysis of the data on published incidence trends, Diabetologia 42 [1999]: 1395–1403.)

4 T. Yatsunenko et al., Human gut microbiome viewed across age and geography, Nature 486 (2012): 222–227. In dieser Studie fanden Forscher, die das Mikrobiom in Därmen in den Vereinigten Staaten, Malawi und Venezuela (Indios) verglichen, dass sich seine Zusammensetzung bei sehr kleinen Kindern beträchtlich von der der Erwachsenen unterschied. Wenn die Kinder älter wurden, glich auch ihr Mikrobiom immer stärker dem der Erwachsenen. Der Zeitpunkt ist interessanterweise das Alter von drei Jahren. Der Übergang von keinem Mikro­biom zum erwachsenen Mikrobiom ereignet sich also in der frühesten Lebensphase, wenn sich auch viele andere Organe des Menschen entwickeln.

5 Die Hypothese von den verschwundenen Mikrobiota wurde über mehrere Jahre hinweg entwickelt. Einige meiner wichtigsten Veröffentlichungen zum Thema sind: An endangered species in the stomach, Scientific American 292 (Februar 2005): 38–45; Who are we? Indigenous microbes and the ecology of human disease, EMBO Reports 7 (2006): 956–960; mit meinem geschätzten Kollegen Stanley Falkow als Koautor: What are the consequences of the disappearing microbiota? Nature Reviews Microbiology 7 (2009): 887–894; Stop killing our beneficial bacteria, Nature 476 (2011): 393–394.

6 Die Entdeckung der »Tarnkappe« von Campylobacter fetus erfolgte nach vielen aufeinander aufbauenden Experimenten, die über zwanzig Jahre hinweg durchgeführt wurden. Zu den bedeutendsten Veröffentlichungen zählen: M. J. Blaser et al., Susceptibility of Campylobacter isolates to the bactericidal activity in human serum, Journal of Infectious Diseases 151 (1985): 227–235; M. J. Blaser et al., Pathogenesis of Campylobacter fetus infections. Failure to bind C3b explains serum and phagocytosis resistance, Journal of Clinical Investigation 81 (1988): 1434– 44; J. Dworkin und M. J. Blaser, Generation of Campylobacter fetus S-layer protein diversity utilizes a single promoter on an invertible DNA segment, Molecular Microbiology 19 (1996): 1241–1253; J. Dworkin und M. J. Blaser, Nested DNA inversion as a paradigm of programmed gene rearrangement, Proceedings of the National Academy of Sciences 94 (1997): 985–990; Z. C. Tu et al., Structure and genotypic plasticity of the Campylobacter fetus sap locus, Molecular Microbiology 48 (2003): 685–698.

7 Leider ist die Taxonomie häufig kompliziert, weil unsere Hauskatze auch schon gemeinsam mit der Wildkatze als Felis silvestris klassifiziert und manchmal F. silvestris f. catus genannt wurde. Aber was wir Katze nennen, würde – wie es auch hieße – miauen.

8 Basierend auf unsere Studie zu den Varianten bei Campylobacter und die Reaktion des Wirts darauf untersuchten wir das auch bei dem Keim, der dem Magen-Campylobacter ähnelt (GCLO), der damals noch Campylobacter pyloridis und später Campylobacter pylori genannt wurde, bevor er seine derzeitige Bezeichnung Helicobacter pylori erhielt. Unser erstes Paper zu diesem Thema war: G. I. Pérez-Pérez und M. J. Blaser, Conservation and diversity of Campylobacter pyloridis major antigens, Infection and Immunity 55 (1987): 1256–1263; sowie G. I. Pérez-Pérez, B. M. Dworkin, J. E. Chodos und M. J. Blaser, Campylobacter pylori antibodies in humans, Annals of Internal Medicine 109 (1988): 11–17. In diesen Studien entwickelten wir einen Bluttest (der die Grundlage praktisch aller heute in den USA verwendeten Bluttests darstellt), um diagnostisch festzustellen, ob ein Mensch H. pylori im Darm trägt oder nicht.

9 Als Reaktion auf meinen Aufsatz in Lancet (M. J. Blaser, Not all Helicobacter pylori strains are created equal: should all be eliminated? Lancet 349 [1997]: 1020–1022), schrieb David Graham in einem Leserbrief: »Nur ein totes H. pylori ist ein gutes H. pylori.« (Lancet 350 [1997]: 70– 71). Das war damals auch das Motto.

10 Flora nannte und nennt man zusammenfassend die vielen Organismen, die im Menschen leben. Eigentlich ist Flora der falsche Begriff, weil es sich bei Bakterien nicht um Pflanzen handelt, die Organismen in uns sind sowohl klein als auch höchst unterschiedlich. Heute spricht man daher von Mikrobiota oder auch vom Mikrobiom.

2. Unser mikrobieller Planet

Vor 5,5 Milliarden Jahren entstand die Erde als ein lebloser Klumpen geschmolzenen Gesteins. Aber schon eine Milliarde Jahre später wimmelte es in unseren Meeren vor Einzellern. Die Wissenschaft weiß noch nicht, weshalb, aber in den Urmeeren entstand das Leben. Es gibt die Annahme, dass die Bausteine des Lebens als meteoritischer Staub aus dem All kamen – die sogenannte Panspermie-Hypothese. Andere gehen davon aus, dass sich autoreplizierende Moleküle in Lehmschichten am Meeresgrund, an Hydrothermalquellen oder in Schaumblasen am Strand organisierten. Aber warum das Leben begann, wissen wir nicht.

Dennoch wissen wir bereits ansatzweise, wie Leben funktioniert, wie einfache Regeln Komplexität erzeugen und wie es zu der reichen Biodiversität auf der Erde kam. Alle Biologie – wie sich das Leben verändert und umformt – beruht auf dem andauernden Prinzip der Evolution, des Wettbewerbs und der Kooperation, die zum ersten Mal in diesen Meeren stattfanden.

Wir leben auf einem Planeten der Mikroben, den Lebensformen dominieren, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können. Rund drei Milliarden Jahre lang waren Bakterien die einzigen Lebewesen auf der Erde. Sie eroberten jeden Winkel des Landes, der Luft und des Wassers, sie leiteten die chemischen Reaktionen ein, die unsere Biosphäre und damit die Grundvoraussetzung für die Evolution des mehrzelligen Lebens schufen. Sie erzeugen den Sauerstoff, den wir atmen, den Mutterboden, den wir beackern, die Nahrungsketten in unseren Ozeanen. Langsam, aber unaufhaltsam, durch Versuch und Irrtum, erfanden sie im Laufe unendlich langer Zeit die komplexen und zuverlässigen Rückkoppelungssysteme, die heute noch das Leben auf der Erde erhalten.

Der menschliche Verstand vermag diese unfassbar langen Zeiträume gar nicht zu erfassen, die Milliarden von Jahre mikrobieller Aktivität, die anorganisches Material in den Stoff verwandelte, aus dem das Leben besteht. Das sind die Zeiträume der Geologie, in denen die Kontinente entstanden, wanderten, zerbrachen, aufeinanderprallten, Bergketten erschufen und in denen diese im Laufe weiterer Milliarden von Jahren durch Wind und Wasser wieder erodierten. Und doch gab es Bakterien schon lange, bevor vor einer halben Milliarde Jahren die riesigen Superkontinente Laurasia und Gondwana entstanden, von denen unsere heutigen Kontinente abstammen.

John McPhee beschreibt unseren Platz in diesen ungeheuren Zeiträumen in seinem klassischen Buch Basin and Range (enthalten in der Anthologie Annals of the Former World) mit einer wunderbaren Analogie: »Vergleicht man die Geschichte der Erde mit einem alten englischen Yard, das die Entfernung von der Nase des Königs zu seiner ausgestreckten Hand maß, dann löscht ein einziger Strich mit der Feile über den Nagel des Mittelfingers die gesamte Menschheitsgeschichte aus.«11

Es gibt auch andere Vergleiche. Würde man die 3,7 Milliarden Jahre Leben auf der Erde in einen 24-Stunden-Tag pressen, wären unsere hominiden Urahnen 47–96 Sekunden vor Mitternacht erschienen. Wir selbst, also die Spezies Homo sapiens, kamen erst zwei Sekunden vor Mitternacht an.

Man muss noch ein zweites verblüffendes Konzept wirklich verstanden haben, um die ungeheure Größe der mikrobiellen Welt zu begreifen. Mit dem unbewaffneten Auge kann man Mikroben nicht sehen – einige wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.12 Millionen passen in ein Nadelöhr. Zählt man allerdings alle zusammen, dann sind es mehr als alle Mäuse, Wale, Menschen, Vögel, Insekten, Würmer und Bäume zusammengenommen – die Zahl der Mikroben übertrifft tatsächlich die aller sichtbaren Lebewesen, die wir auf der Erde kennen, selbst an Gewicht. Das muss man erst einmal sacken lassen. Die unsichtbaren Mikroben stellen den Hauptteil der Biomasse der Erde, sie haben daran einen größeren Anteil als Säugetiere und Reptilien, als die Fische im Meer, als die Wälder.

Ohne Mikroben könnten wir weder essen noch atmen. Im Gegensatz dazu kämen die meisten Mikroben auch ohne uns gut zurecht.

Der Begriff Mikrobe benennt ganz verschiedene Arten von Organismen. In diesem Buch beziehe ich mich meistens auf Bakterien, auch Prokaryoten genannt, einzellige Lebewesen ohne Zellkern. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie primitiv sind. Bakterielle Zellen sind vollständige und eigenständige Wesen: Sie atmen, bewegen sich, essen, scheiden Abfallstoffe aus, wehren sich gegen Feinde und – das ist am wichtigsten – pflanzen sich fort. Es gibt sie in jeder Größe und Form. Einige gleichen Kugeln, andere Karotten, Bumerangs, Kommata, Schlangen, Ziegelsteinen oder sogar Dreifußgestellen. Alle sind ganz ausgezeichnet an ihre jeweilige Lebensweise angepasst. Das trifft auch auf die zu, auf die ich im nächsten Kapitel näher eingehe und die in und auf unserem Körper leben. Verschwinden sie, kommen wir in Schwierigkeiten.

Ein weiterer Zweig der Mikroben, die Archaebakterien, ähnelt oberflächlich den Bakterien. Sie sind aber, wie ihr Name bereits verrät, entwicklungsgeschichtlich äußerst alt. Sie entstammen einem älteren Zweig des Baums des Lebens, haben ganz andere Gene und eine unterschiedliche Biochemie – es handelt sich um eine unabhängige evolutionäre Entwicklung. Ursprünglich kannte man sie nur von extremen Lebensbedingungen, etwa aus kochend heißen Quellen oder Salzseen, sie kommen vermutlich aber in vielen ökologischen Nischen vor, wohl auch im menschlichen Darm und im Nabel.

Der dritte Zweig des mikrobiellen Lebens besteht aus den Eukaryoten, Einzellern mit einem Zellkern und Organellen. Sie sind die Bausteine des komplexeren, mehrzelligen Lebens. Im Laufe der vergangenen 600 Millionen Jahre sind aus den Eukaryoten Fische, Pflanzen, Amphibien, Reptilen, Vögel und Säugetiere geworden – alle »großen« Formen des Lebens von den Ameisen bis zum Mammutbaum, die wir um uns herum sehen. Einige primitivere Eukaryoten zählt man zu den Mikroben, darunter Schimmelpilze, einfache Algen, einige Amöben und Schleimpilze.

Man kann sich das noch einmal anders vor Augen führen. Jeder kennt wohl die Darstellung eines Stammbaums. Generation für Generation zeigt er Ihre Ahnen, zuerst die Urgroßeltern, dann die Großeltern und so weiter. Der Stammbaum verzweigt sich mit jeder Generation immer weiter. Stellen Sie sich nun einen Stammbaum vor, der das gesamte Leben auf der Erde erfasst. Weil es so viele Lebensformen gibt, gleicht er eher einem wuchernden Busch als einem Baum und verzweigt sich in alle Richtungen. Stellen Sie ihn sich als runden Busch vor, die erste Generation, der Ursprung, liegt in der Mitte, von dort strahlen die Äste nach außen. Nun platzieren wir die Menschen auf diesem Busch, irgendwo bei acht Uhr auf dem Zifferblatt.

Und jetzt kommt ein Quiz. An welcher Stelle in dem Busch steht wohl das Lebewesen, das wir vom Bauernhof her kennen und Mais nennen? Wenn man alles gleich gewichtet, glauben wir, seien wir dem Mais nicht sonderlich nahe, es handelt sich schließlich um eine Pflanze – also sitzt er irgendwo auf der anderen Seite des Busches? Ganz falsch – Mais liegt bei 8.01 Uhr! Da Korn und Menschen einander so nahe sind, was sitzt dann auf dem übrigen Busch des Lebens und seinen Zweigen? Die Antwort: hauptsächlich Bakterien. Beispielsweise ist die Entfernung von E. coli zu Clostridium – beides häufige Bakterien – größer als die zwischen Mais und uns.13 Der Mensch ist nur ein Klacks in einer riesigen bakteriellen Welt. Daran sollten wir uns gewöhnen.

Dann gibt es noch die Viren, bei denen es sich genau genommen nicht um Lebewesen handelt – sie pflanzen sich fort, indem sie in Zellen eindringen und diese für ihre Zwecke nutzen. Wir halten Viren wie die Grippe, die gewöhnliche Erkältung, Herpes oder HIV für ein Problem des Menschen. Die meisten Viren auf der Welt aber machen uns nichts aus, sie befallen Bakerienzellen, nicht Tierzellen wie unsere. Die Zahl der Virenpartikel im Meer ist unzählbar, sie ist wohl größer als die der Sterne im Universum. Sie leben von den Myriaden an Bakterien im Wasser. Über die Milliarden Jahre, in denen Viren und Mikroben miteinander gerungen haben, hat jedes Waffen entwickelt, um dem anderen zu trotzen – so wie beim klassischen »Spion & Spion«-Comic im Mad-Magazin. Tatsächlich lassen sich bakterielle Erkrankungen des Menschen in manchen Fällen durch den Einsatz von Bakteriophagen behandeln – Viren, die Bakterien abtöten. Darauf komme ich gegen Ende des Buchs zurück.

Viele Arten von Mikroben bewohnen und formen unsere Welt, ich konzentriere mich hier auf Bakterien – und darauf, was geschieht, wenn wir sie ausnahmslos und wahllos mit wirkkräftigen Medikamenten totschlagen.

Nun gibt es zwar zahllose Eukaryoten (wie etwa Plasmodium falciparum, einer der Hauptverursacher der Malaria), die großes Elend erzeugen, doch sie stellen uns vor ein ganz anderes Problem. Es gibt auch Viren, die viel Schaden verursachen – man muss nur an HIV denken –, aber sie reagieren nicht auf Antibiotika und gehören gar nicht hierher.

***

Mikroben leben überall. Im Meer wohnen unvorstellbare Mengen. Einige Schätzungen geben einen Eindruck von ihrer Allgegenwärtigkeit. Mindesten zwanzig Millionen Typen von Meeresmikroben (vielleicht sogar eine Milliarde) stellen runde fünfzig bis neunzig Prozent der Biomasse des Meeres. Die Anzahl der mikrobiellen Zellen in der Wassersäule, also von der Meeresoberfläche zum Meeresboden, beträgt mehr als eine amerikanische Nonillion oder zehn hoch 30, also eine Eins mit dreißig Nullen (in Europa ist eine Nonillion eine zehn mit 54 Nullen.). Im Gewicht entspricht das 240 Milliarden Afrikanischen Elefanten.14

Die Internationale Zählung der Meeresmikroben (International Census of Marine Microbes), ein Projekt, das über ein Jahrzehnt lang an mehr als 1200 Orten auf der ganzen Welt Wasserproben mit Meeresmikroben entnahm, schätzte, dass es vermutlich hundert Mal so viele Familien (Genera) von Mikroben gibt, als zuvor vermutetet worden war. Und ganz gleich, wo Wissenschaftler forschen, immer zeigt sich, dass einige wenige Spezies in Zahl und Aktivität dominieren. Überraschend aber war, dass viele Spezies nur von weniger als 10 000 Individuen repräsentiert wurden, eine für Bakterien fast zu geringe Zahl. Und es gab sogar auch echte Einzelexemplare. Die Schlussfolgerung daraus lautet, dass viele seltene Bakterien im Meer nur auf die richtige Gelegenheit warten, um zu »blühen« und dominant zu werden, sobald die Lebensbedingungen ideal für sie sind. Das trifft wohl auch auf die Mikroben in unserem Körper zu. Dass sie sich in geringer Zahl über längere Zeiträume »verstecken« können, um dann spontan zu »erblühen«, ist ein wichtiger Aspekt des mikrobiellen Lebens.

Viele Meeresmikroben sind sogenannte Extremophile. Sie leben in hydrothermalen Quellen, wo kochend heißes, an Schwefel, Methan und Wasserstoff reiches Wasser aus dem Erdmantel quillt, um auf eiskaltes Wasser zu treffen. Dadurch bilden sich schlotartige Schornsteine. An diesen Orten herrscht eine Hölle aus Säuren und Schwerchemikalien, aber sie sind eine Oase für Gemeinschaften von Bakterien, die dort aufgrund des Mangels an Sauerstoff und Licht gedeihen. Wir können das auch an den superheißen Pfützen und Geysiren im Yellowstone National Park in Wyoming und im kochenden Teersee auf der Karibikinsel Trinidad beobachten. Bakterien leben ebenfalls in den Riesengletschern der Antarktis und in den eiskalten Tiefen des Arktischen Ozeans.

Die ozeanische Erdkruste, die aus dunklem Vulkangestein besteht und den Meeresboden bildet, bedeckt rund sechzig Prozent der Erdoberfläche. Sie ist Heimat der vielleicht größten Mikrobenpopulation der Welt. Sie lebt von der Energie, die bei chemischen Reaktionen zwischen Wasser und Felsgestein freigesetzt wird.

Kürzlich hat man entdeckt, dass Bakterien den Plastikabfall vertilgen, der im offenen Meer treibt. Es handelt sich um einen langsamen Prozess, aber mindestens 1000 unterschiedliche Spezies sorgen dafür, dass sich die »Plastisphäre« nach und nach in eine gesündere Umwelt verwandelt. Wir haben nichts getan, außer unseren Abfall ins Meer zu werfen. Von den unzähligen Spezies im Meer trafen dann einige auf diesen Abfall. Die, die sich von ihm ernähren konnten, nahmen zahlenmäßig zu – so wirkt die natürliche (Plastik-)Auslese!15

An der tiefsten Stelle der Erde, dem Marianengraben, stieß man vor Kurzem auf eine aktive mikrobielle Gemeinschaft mit zehnmal so vielen Bakterien wie im Sediment der umliegenden submarinen Ebenen. Riesige Mikrobenmatten – von der Größe Griechenlands – leben am Meeresboden vor der Westküste Südamerikas und ernähren sich dort von Schwefelwasserstoff.

Sehr viele Mikroben werden vom Wind erfasst, auch von Wirbelstürmen, und in die Atmosphäre getragen, wo sie überleben und sogar heimisch werden. Sie tragen zur Bildung von Cirruswolken bei und bilden den Kern der Eispartikel, aus denen Schnee wird. Sie beeinflussen also Wetter und Klima ebenso, wie sie Nährstoffe wiederverwerten und Schadstoffe abbauen.

Um am Boden zu blieben: Hier kümmern sich Mikroben um den Humus, einen unserer wichtigsten Rohstoffe. Zurzeit ist man gerade dabei, auf der ganzen Welt Proben von Bodenbakterien zu nehmen. Experten sprechen von der Suche nach der »schwarzen Materie« der Erde. Es ist ein wissenschaftliches Unternehmen, das der Enträtselung der tiefsten kosmischen Geheimnisse ähnelt.

Wir wissen, dass die Erde nur wegen ihrer Mikroben bewohnbar ist. Sie lassen die Toten verwesen, eine sehr bedeutende Dienstleistung. Sie wandeln den in der Atmosphäre enthaltenen reaktionsträgen Stickstoff in eine freie Form des Stickstoffs, den die Zellen der Lebewesen verwerten können, und nutzen so allen Pflanzen und Tieren. Nach der von der Bohrplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko verursachten Ölpest verzehrten Bakterien den Großteil der Verschmutzung, weil sie die Nährstoffe im Öl mit dem Stickstoff anreichern konnten, den sie der Luft entnahmen – und das war für sie ein Festessen.

Mikroben leben auch im Stein. In der südafrikanischen Goldmine Mponeng überleben Bakterien durch den nuklearen Zerfall, bei dem Uran Wassermoleküle spaltet, die dann Wasserstoff freisetzen, den die Bakterien mit Schwefelionen verbinden, um sie zu verzehren. Sie bauen sogar das Gold ab. Delftia acidovorans setzen ein bestimmtes Protein ein, um die für sie giftigen freien Gold­ionen in eine inerte Form des Metalls umzuwandeln, die dann im Wasser sinkt und sich an bestimmten Stellen sammelt. Das vermutlich abgebrühteste Bakterium der Welt ist Deinococcus radiodurans: Es lebt von radioaktiven Abfällen.

Mein Liebling aber wurde erst vor ein paar Jahren beschrieben. Geologen bohrten ein Loch und untersuchten danach die Bohrkerne. Einer dieser Bohrkerne stammte aus einer Tiefe von rund einer Meile und enthielt nur drei Bestandteile: Basalt, Wasser ... und Bakterien – und zwar in großen Mengen.16 Diese Bakterien lebten ausschließlich von Gestein und Wasser – und vermehrten sich dennoch.

Schließlich beruhen ganze Industriezweige darauf, sich Mikroben untertan zu machen. Sie sind wichtig für das Brot, das uns nährt, den Alkohol, den wir trinken, die modernen Medikamente, die die Biotechnologie erschafft. Man kann sagen, dass Bakterien für uns jeden chemischen Prozess durchführen, den wir ihnen auftragen. In ihrer schier endlosen Varianz liegt ein unermessliches Potenzial. Wir müssen nur das Problem erkennen und dann nach der Mikrobe Ausschau halten, die es lösen wird. Oder wir müssen uns eine passende Mikrobe erschaffen. Doch von diesen faszinierenden Möglichkeiten werde ich ein anderes Mal sprechen.

***

Die Geschichte der Mikroben ist ein Epos voll gnadenlosem Krieg und voll unbegrenzter Kooperation. Da den meisten Menschen Darwins Vorstellung vom Wettbewerb und vom Überleben der Tüchtigsten bekannt ist, beginne ich damit.

Darwins sorgfältige Beobachtungen zeigten, dass es innerhalb der Individuen einer Spezies immer Variationen gab, ganz gleich, ob wir von Vögeln reden oder von Menschen. Er entwickelte seine Evolutionstheorie, die besagt, dass, wenn immer Varianten vorliegen, die Natur jene »selektiert«, die am »tüchtigsten« oder besten angepasst ist. Diese Spezies vollendet ihren Lebenszyklus und erzeugt Nachkommen. Diese überflügeln wiederum die Mitbewerber. Im Laufe der Zeit werden sie ihren Konkurrenten zahlenmäßig stark überlegen, bis hin zu deren Ausrottung. Diese »natürliche Zuchtwahl« führt zu dem, was man gemeinhin das »Überleben der Stärksten« nennt. Darwin ahnte es noch nicht, aber das trifft auch auf Mikroben zu. Wie wir konzentrierte er sich auf die Lebewesen, die er sehen konnte – Pflanzen und Tiere –, aber tatsächlich finden wir einige der besten Belege für die natürliche Selektion bei den Beobachtungen von und Experimenten mit Mikroben.

Beispielsweise kann ich eine Kultur des gemeinen Darmbakteriums E. coli züchten, indem ich einen winzigen Klecks von vorhandenen Zellen in eine Petrischale mit Nährlösung tropfe.17 Legt man die Schale über Nacht in einen Inkubator, vermehrt sich die Zahl der schnell wachsenden E. coli auf vielleicht zehn Milliarden Zellen. Nun überzieht ein Rasen aus E. coli die gesamte Schale, dabei sind die Bakterien so dicht, dass man individuelle Kolonien erkennen kann. Anschließend gebe ich eine identische Inokulation auf eine zweite Schale, füge allerdings Streptomycin hinzu, ein Antibiotikum, das die meisten E. coli-Stämme tötet. Wenn ich am nächsten Morgen auf die Schale schaue, finde ich dort nur zehn isolierte Kolonien und keinen Überzug aus zehn Milliarden Zellen. Jede der winzigen Kolonien von der Größe eines Pickels enthält vermutlich eine Million E. coli-Zellen. Doch jede Kolonie stammt von einer einzigen Zelle ab, die das Antibiotikum überlebte und sich dann vermehrte. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Ergebnisse der Inokulation der Schalen mit und ohne Streptomycin erklären?

Als Erstes stellen wir schlicht fest, dass das Antibiotikum gewirkt hat. Statt zehn Milliarden Zellen finden wir nur zehn Millionen, eine tausendfache Reduzierung. Wir könnten also sagen, dass das Antibiotikum 99,9 Prozent der Zellen getötet hat und nur eine kleine Zahl überleben ließ. Aber wir merken auch, dass das Antibiotikum zumindest zu einem winzigen Teil versagt hat. Einige Zellen haben nämlich überlebt. Warum haben sie überlebt, während die anderen vernichtet wurden? Das Glück der Dummen? Die Antwort darauf lautet sowohl Ja als auch Nein.

Die gute Nachricht lautet, dass Zellen, die gegen Streptomycin resistent sind, eine Variante eines Gens aufweisen, das bei allen E. coli dazu dient, die Proteine zu erzeugen, die für ihr Überleben essenziell sind. Diese Genvariante ist nicht sonderlich effizient, reicht aber völlig aus, damit die resistenten Stämme überleben und Nachkommen erzeugen. Die anfälligen Zellen sterben, weil das Antibiotikum auf eine Variante dieses Proteins einwirkt, die für das Zellwachstum lebensnotwendig ist.

Diese genetischen Varianten, die Resistenz übertragen, entstehen auf eine interessante Weise. Es kann dazu kommen, dass einige Zellen (um genau zu sein: zehn in diesem Beispiel) in der ursprünglichen Kultur von einer Milliarde Zellen über das variante Gen verfügten. Sie gab es bereits vorher. Um es in der Sprache des Darwinismus auszudrücken: Die Anwesenheit des Streptomycins »selektiert« die Varianten in der Population, die das resistente Gen haben. Ist die Umgebung aber frei von Streptomycin, »selektiert« die Umwelt die gemeinhin effektivere, aber streptomycinanfällige Form. Die Häufigkeit von E. coli-Zellen mit Streptomycinresistenz hängt davon ab, wie oft sie in Kontakt mit Streptomycin kamen und wann das zuletzt der Fall war. Das ist ein einfaches Beispiel dafür, wie natürliche Zuchtwahl funktioniert, und dieser Wettbewerb läuft ewig weiter. Möge die beste Mikrobe gewinnen!

Bakterien stehen mit anderen Bakterien in Wettbewerb, sie ernähren sich von ihnen und beuten einander aus, dennoch gibt es auch unzählige Beispiele der Kooperation und Synergie. Wenn beispielsweise ein Bacteroides-Bakterium im Darm eine Substanz unschädlich machen kann, die E. coli in ihrem Wachstum normalerweise einschränkt, dann nutzt E. coli das für sich. Eine solche einseitig nützliche, aber für den anderen nicht schädliche Beziehung nennt man Kommensialismus.

Wenn beide profitieren, kann es zu einer deutlich engeren Zusammenarbeit kommen. Stellen Sie sich vor, dass die Ausscheidungen von E. coli der ideale Nährstoff für die Bacteroides wären. In diesem Fall neigen beide Spezies dazu, sich in derselben Umgebung anzusiedeln. Obwohl jedes Bakterium nur sein eigenes Ziel verfolgt, unterstützen alle sich gegenseitig. Man nennt das Symbiose.

Unter anderen Umständen helfen mehrere unterschiedliche Bakterien einander. In einem reißenden Fluss kann sich zum Beispiel Bakterium A von den Abfallstoffen des Bakteriums B ernähren und an dem gleichen Felsen ansiedeln. Bakterium C, das eigentlich nicht auf Fels siedelt, kann sich aber durchaus an Bakterium A festhalten, damit es nicht fortgeschwemmt wird – und hilft Bakterium A dabei, sich noch fester zu verankern. Bakterium B produziert wiederum Nährstoffe, die C verwerten kann. In einer solchen Lage neigen die Bakterien A, B und C dazu, sich zusammen anzusiedeln, damit alle drei davon profitieren.

Im Laufe von mehr als vier Milliarden Jahren bakterieller Evolution, bei der sich die Einzeller alle zwölf Minuten teilten und neue Zellen schufen, sowie bei astronomisch hohen Zahlen an individuellen Bakterien, entstand eine fast unbegrenzte Zahl von Variationen. Aus diesem endlosen Prozess stammen Bakterien, die jeden erdenklichen Lebensraum der Erde erobert haben.

Manchmal leben Bakterien in stabilen Gemeinschaften als Konsortium. Überall gibt es diese kooperativen Gruppen – im Erdboden, in Bächen, in modrigem Holz, in Thermalquellen – eigentlich überall dort, wo es Leben gibt. Der früheste unbestrittene Beleg für urzeitliches Leben sind 3,5 Milliarden Jahre alte fossile mikrobielle Matten aus Australien. Schon das waren Konsortien, die sich zu großen, strukturierten Schichten zusammenfanden und kleine Ökosysteme bildeten. Ziemlich sicher besorgten einige dieser Schichten die Photosynthese, einige atmeten Sauerstoff aus, einige sorgten für die Fermentierung und einige verzehrten ungewöhnliche anorganische Verbindungen. Was die eine Spezies isst, ist der anderen Gift. Indem sich die Mikroben in Schichten zusammentaten und ihre Fähigkeiten gemeinsam nutzten, profitierten alle von dieser Art des Zusammenlebens.

Es gibt Mikroben, die um sich selbst gallertartige Hüllen, sogenannte Biofilme, erzeugen. Ihre Zusammensetzung unterscheidet sich, doch die Biofilme bewahren die Bakterien vor dem Austrocknen, schützen sie vor großer Hitze oder vor Angriffen unseres Immunsystems. Die Biofilme erklären teilweise, warum Bakterien auch in widrigsten Umständen überleben.

Mikroben bilden diese Konsortien und komplexen kooperativen Netzwerke nicht nur im Erdboden, in den Meeren und im Gestein, sondern ebenfalls in Tieren. Diese Organismen im menschlichen Körper sind die »Hauptpersonen« in meiner Geschichte der »bedrohten Mikroben«. Der große Biologe Stephen Jay Gould stellte die irdische Biologie in den richtigen Kontext, als er schrieb: »Wir leben im Zeitalter der Bakterien (so war es, so ist es, so wird es immer sein, bis zum Ende der Welt) …«18 Vor diesem Hintergrund findet das Leben des Menschen statt.

11 J. McPhee, Basin and Range, Buch 1 von Annals of the Former World (New York: Farrar, Straus & Giroux, 1998).

12 H. N. Schulz et al., Dense populations of a giant sulfur bacterium in Namibian shelf sediments, Science 284 (1999): 493–495. Solch große Mikroben sind allerdings Anomalien in einer Welt, die von mikroskopischen Formen dominiert wird.

13 N. Pace, A molecular view of microbial diversity and the biosphere, Science 276 (1997): 734–740. Für Carl Woese, Norman Pace und viele andere waren Bakterien der Ursprung des Lebens auf der Erde.

14 W. B. Whitman et al., Prokaryotes: The unseen majority, Proceedings of the National Academy of Sciences 95 (1998): 6578–6583; J. S. Lipp et al., Significant contribution of Archaea to extant biomass in marine subsurface sediments, Nature 454 (2008): 991–994; und M. L. Sogin et al., Microbial diversity in the deep sea and the underexplored ›rare biosphere‹, Proceedings of the National Academy of Sciences 103 (2006): 12115–12120.

15 Bakterien, die sich von Plastik ernähren: T. Suyama et al., Phylogenetic affiliation of soil bacteria that degrade aliphatic polyesters available commercially as biodegradable plastics, Applied and Environmental Microbiology 64 (1998): 5008–5011; E. R. Zettler et al., Life in the ›plastisphere‹: microbial communities on plastic marine debris, Environmental Science and Technology 47 (2013): 7137–7146.

16 T. O. Stevens und J. P. McKinley, Lithoautotrophic microbial ecosystems in deep basalt aquifers, Science 270 (1995): 450–454.

17E. coli heißt wissenschaftlich formell Escherichia coli zu Ehren seines Entdeckers, des deutschen Arztes Theodor Escherich. Er fand es 1895 in den Fäkalien gesunder Menschen und nannte es Bacterium coli commune. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Name in Escherichia coli geändert. Es ist zwar das bekannteste aller menschlichen Darmbakterien, stellt aber gemeinhin nur ein Tausendstel aller dort anwesenden bakteriellen Zellen. Die meisten Stämme von E. coli sind harmlos, bestimmte Stämme können allerdings Krankheiten auslösen. Weil sich leicht Kulturen von E. coli züchten lassen, wurde es oft zur Untersuchung der Biologie, Biochemie und Genetik zellularen Lebens verwendet. Viele der fünftausend Gene von E. coli sind mit Genen in menschlichen Zellen vergleichbar.

18 1993 besprach S. J. Gould das damals neue Buch von E. O. Wilson: The Diversity of Life für Nature. Darin weist er darauf hin, dass Wilson begriffen hat, dass die sogenannten Zeitalter der Reptilien oder der Säugetiere eigentlich nur Abschnitte im ewigen Zeitalter der Bakterien sind. (S. J. Gould, Prophet for the Earth: Review of E. O. Wilson’s ›The diversity of life‹, Nature 361 [1993]: 311–312.)

3. Das Mikrobiom des Menschen

Denken Sie kurz einmal an Ihre lebensnotwendigen Organe. Ihr Herz, Gehirn, Lungen, Niere und Leber sind komplexe Gebilde, deren Tätigkeit von enormer Bedeutung für Ihr Überleben ist. Jede Sekunde des Tages und der Nacht pumpen sie Flüssigkeiten, transportieren Abfallstoffe, liefern Luft und übermitteln die Signale, die es uns ermöglichen, uns durch die Welt zu bewegen. Versagt eines dieser Organe durch Krankheit oder Verletzung, dann sterben wir. So einfach ist das.

Wir haben aber noch ein weiteres lebenswichtiges »Organ«, das uns am Leben hält, das wir aber nie sehen. Weil es völlig unsichtbar ist. Es bedeckt uns ganz und ist insbesondere in uns, aber erst vor Kurzem haben wir zu verstehen begonnen, wie wichtig sein Beitrag zu unserer Gesundheit ist.

Am bemerkenswertesten an diesem Teil Ihres Körpers ist vielleicht, dass es sich um etwas Fremdes handelt. Es entspricht nicht den offensichtlich menschlichen Zellen, deren Bauplan die Gene liefern. Ganz im Gegenteil besteht es aus Trillionen von Lebensformen, den Mikroben und ihren Verwandten, von denen wir gerade gehört haben. Sie halten es möglicherweise für überzogen, diese Mischung von Mikroben als lebenswichtiges Organ zu bezeichnen – aber von seiner Funktionsweise ist das Mikrobiom genau das. Anders als bei Herz und Gehirn beginnt seine Entwicklung nicht im Embryo, sondern erst unmittelbar nach der Geburt. Es wächst in den ersten Lebensjahren, indem es immer weitere Mikroben von den Menschen der Umgebung aufsammelt. Und man darf sich nichts vormachen: Verliert man sein gesamtes Mikrobiom, dann ist das fast so schlimm, als verlöre man eine Leber oder die Nieren. Das überlebt niemand lange.

Die Mikroben, die Sie bewohnen, sind keine zufällige Mischung aller auf Erden vorhandenen Spezies. Ganz im Gegenteil: Jedes Lebewesen hat sich gemeinsam mit seinem ganz eigenen Mikrobenmix entwickelt, der viele metabolische und schützende Funktionen ausübt. Anders gesagt: Sie arbeiten für uns. Es gibt ein Mikrobiom des Seesterns und eines des Hais, sogar ein Mikrobiom des Schwamms. Reptilien wie Eidechsen, Schlangen und der Komodowaran haben jeweils einzigartige Mikrobiome. Jede Eule, jede Taube, jeder Laubenvogel hat seinen ureigenen Satz an Mikroben, die seiner Spezies dienen. Überlebt eine Art, überleben seine Mikroben. Auch die Säugetiere, vom kleinen Lemur bis zu den Delfinen, den Hunden und Menschen, stecken voller Mikroorganismen, die sich genau darauf spezialisiert haben, ihren Wirt am Leben und gesund zu halten.

Diese Mikroben leisten den Tieren, die sie bewohnen, lebensnotwendige Dienste. Sie sind Symbionten,19 die ihrem Wirt helfen, solange er ihnen ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen liefert. Termiten können nur deshalb Holz verdauen, weil eine ganz bestimmte Bakterienart in ihrem Darm lebt. Die Rinder nehmen die Nährstoffe aus dem Gras auf, weil bestimmte Mikroben in ihren vier Mägen siedeln. Blattläuse20, die kleinen Insekten, die auf Pflanzen hausen, verfügen über ein Mikrobiom mit einer Gruppe namens Buchnera, die seit mehr als 150 Millionen Jahren in ihnen lebt. Sie haben die wichtigen metabolischen Gene, um Proteine zu produzieren. Das erlaubt den Blattläusen, den zuckerreichen Saft der Pflanzen als Nahrungsquelle zu verwerten. Im Gegenzug bieten Blattläuse den Buchnera ein gutes Heim – eine Win-win-Situation. Wissenschaftler haben die Stammbäume von Blattläusen sowie von Buchnera erstellt. Vergleichen wir die Struktur beider Bäume, sind sie praktisch identisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass das reiner Zufall ist, liegt fast bei null. Sie haben sich gemeinsam entwickelt: Blattläuse und ihre Bakterien beeinflussten gegenseitig ihre Evolution, und das über mehr als einhundert Millionen Jahre hinweg.

Eine eingehendere Betrachtung des Mikrobioms der Säugetiere zeigt, dass, so wie sich Ihre Gene zur Erzeugung roter Blutkörperchen und Proteine mit ähnlichen Genen bei anderen Säugetieren vergleichen lassen, auch ihre Mikroben Teil eines umfangreicheren Stammbaums sind. Man kann damit die mikrobielle Zusammensetzung zur Feststellung der evolutionären Herkunft nutzen und erklären, warum wir den Affen mehr ähneln als den Rindern.21 Überspitzt formuliert: Ähneln Sie und ich den Affen mehr, weil wir sehr ähnliche Säugetiergene haben – oder aufgrund unserer sehr ähnlichen mikrobiellen Gene? Wir glauben immer, dass Ersteres zutrifft, vielleicht ist es aber das zweite? Sehr wahrscheinlich ist es eine Kombination aus beidem.

Wie bereits beschrieben, ist unser Körper genauso ein Ökosystem wie ein Korallenriff oder ein tropischer Urwald, ein Komplex oder eine Organisation aus interagierenden Lebensformen. Wie bei allen Ökosystemen kommt es auf die Diversität an. In einem Dschungel bedeutet Diversität viele Arten von Bäumen, Schlingpflanzen, Büschen, Blütenpflanzen, Farnen, Algen, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Säugetieren, Insekten, Schimmelpilzen und Würmern. Eine große Diversität erfordert den Schutz aller Spezies innerhalb eines Ökosystems, denn ihre Interaktionen erzeugen kräftige Netzwerke, in denen Ressourcen gesammelt und verteilt werden. Ein Verlust der Diversität bedeutet Krise oder sogar den Zusammenbruch eines Systems, wenn eine elementar wichtige Spezies – die eine im Verhältnis zur Häufigkeit ihres Vorkommens außergewöhnlich hohe Wirkung auf die Umgebung ausübt – verloren geht.