Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Immer zum Neumond bekommt die kleine Ariella Besuch von einem mysteriösen goldschimmernden Wildpferd. Sie erkennt in dem Tier ihren eigenen verzweifelten Wunsch nach Freiheit und Akzeptanz. In dem Versuch ihre Wünsche und Träume an das wilde Tier zu binden muss sie erkennen, dass sie in eine Sackgasse läuft aus der sie nur entkommen kann, wenn sie bereit ist auf ihre eigene Stimme zu hören und sich selbst, ihrer Welt und der Liebe zu vertrauen. Ariella begibt sich auf eine spannende Reise zu sich selbst, begleitet von ihrem treuen Pferd Charlie und der weisen alten Maya, die zu ihrer Mentorin und Freundin wird.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 96
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Timon
Mein Wildpferd du,
ich streichle dir den Schopf und lass´ dich ziehen,
Du streckst die Nüstern in den Wind
Und ich seh‘ dir nach,
wie du mit dem Horizont verschwimmst
Während ich hier warte und ein Bild von dir male
In all‘ deinen Farben
So dass ich niemals fertig werde
Bis du wieder kommst
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Als Ariella das mysteriöse isabellenfarbene Pferd zum ersten Mal sah, war sie noch recht klein - vielleicht 4 oder 5 Jahre alt. Sie hatte es damals nur für einen Augenblick gesehen. Eine kurze Aussicht auf das, was sich schon bald in ihrem Leben manifestieren sollte. Eine noch unklar formulierte Frage nach der Freiheit und die noch leise schlummernde Angst, darin alleine zu sein.
Es war einer dieser seltenen Momente, als ihr Pa zu einem Spaziergang mit ihr raus aufs Feld ging. Es lag direkt hinter dem Haus. Ariella konnte es sogar von ihrem Kinderzimmer-Fenster, oben im Dachgeschoss des Hauses, in dem sie und ihre Familie lebten, sehen. Das Haus lag in einem kleinen Dorf, das Ariellas Eltern während eines Ausflugs entdeckt hatten. Es gefiel ihnen so gut, dass sie sich entschlossen der Stadt den Rücken zu kehren um hier zu leben. Geschwister hatte Ariella keine. Mit ihrer Ma fuhr sie zweimal die Woche zum Einkaufen in die Stadt, einmal zur Oma und hin und wieder in den Zoo. Diese Ausflüge waren zwar spannend, denn Ariella entdeckte immer irgendwo ein Abenteuer, jedoch faszinierte sie nichts mehr als das, was draußen hinter diesem weiten offenen Feld lag, das mehrere Male im Jahr seine Farben wechselte. Sie wollte dorthin, wo der riesige Wald begann und ein Saum aus verheißungsvollen Bäumen ihren fragenden kleinen Horizont begrenzte.
Es war ein lauer Herbstnachmittag, als sie etwas zu dick angezogen, ihr Pa in ungewohnter Alltagsklamotte mit den uralten gelben Jogginghosen, zusammen nach draußen auf den Feldweg spazierten. Das Korn war bereits abgemäht und hinterließ ein karges Stoppelfeld. Der Pfad zwischen den Feldern schlängelte sich begleitet von einigen Brombeerbüschen, einen kleinen Hügel nach oben, wo ein riesiger Apfelbaum stand. Auf dem Boden um ihn herum lagen noch vereinzelte nicht aufgelesene Äpfel, die nun teilweise schon von Würmern halb aufgefressen waren. Ariella suchte nach einem noch unversehrten Exemplar, als Pas Telefon klingelte und er sich etwas abseits von ihr stellte und sich das andere Ohr zuhielt, so als ob ihn die Stille hier draußen davon abhielte seinen Gesprächspartner zu verstehen.
Ariellas Pa war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Der kleinen Familie fehlte es an nichts. Jeden Montag fuhr er in die Stadt um dort zu arbeiten. Freitags kam er nach Hause, aber meistens, um auch hier in seinem Büro zu verschwinden. Es kam sogar vor, dass er das ganze Wochenenden durcharbeitete.
„Geh doch mit der Kleinen mal ein bisschen an die frische Luft“, hatte Ma mürrisch zu ihm gesagt. Sie war oft müde und legte sich dann zum Schlafen auf die große Couch vor dem Kamin unten im Wohnzimmer.
Es war also einer dieser ganz seltenen Vater-Tochter-Momente und Ariella war mächtig stolz, dass sie das Erlebnis, raus auf das große Feld zu spazieren, mit ihrem Pa teilte. Sie bewunderte ihn für sein Wissen und seine Geschäftigkeit.
„Pa, ich glaube in dem Wald ist ein Schatz. Glaubst du auch?“ Ariella dachte sich gerne Geschichten aus, wie zum Beispiel die, dass im großen Wald, den man selbst vom höchsten Haus der Stadt nicht vollkommen überblicken konnte, ein magischer Zauberschatz versteckt war und dass sie ihn eines Tages finden würde.
Langsam ging die Sonne hinter dem Waldrand unter und warf ein magisches Zwielicht in den Horizont. Da glaubte Ariella dort hinten etwas zu erkennen. Aus dem Dunkel des Waldes heraus vernahm sie eine helle Gestalt. Sie bewegte sich an den Rand der Baumgruppe, wo nur der Himmel auf das Feld traf und da erkannte sie seine Form. Es war ein Pferd.
Sein Fell schimmerte wie Gold - Isabellen. Sein langer ungekämmter Schopf war blond, wie ihr eigenes Haar. Ariellas Gesicht wurde weit.
„Guck mal Pa, genau so ein Pferd wünsche ich mir eines Tages!“, Sie zeigte auf das Tier, das seine Nüstern weit gebläht hatte und mit grazil hocherhobenem Kopf in die Weite blickte. Ariella drehte sich zu ihrem Vater um, doch der war immer noch in sein Gespräch vertieft und hatte das Auftauchen des Tieres nicht einmal bemerkt. Ariella blickte vor sich auf den Boden, ihre Enttäuschung über den versäumten Moment verbergend. - Wie gern hätte sie ihn mit Pa geteilt. Da lag direkt vor ihren Füßen ein dunkelroter Apfel. Ganz ohne Wurmlöcher. Sie hob ihn auf und streckte ihn, soweit ihr kurzer Arm reichte, dem Pferd entgegen. Dieses stand jedoch viel zu weit weg, um die schmackhafte Einladung zu bemerken.
Ariella stand wie angewurzelt, den Arm ausgestreckt. Ihre Augen fest auf das goldene Pferd gerichtet. Der Moment brannte sich in ihr ganzes Sein ein. Gemeinsam standen sie da, stolz und frei in der hereinbrechenden Nacht. Sie streckte ihren Arm noch weiter aus, weiter als sie es vermochte, bis ihr kleiner Körper ganz und gar gespannt war. Bereit, jeder Zeit loszujagen. So wie das Pferd. Mit dem Wind und der Sonne.
Dann sah sie, wie das Tier die Nüstern nach oben streckte und ihr war so, als würde es in den Himmel blicken, für einen kurzen Augenblick, bevor es sich auf den Hinterbeinen herum warf und so schnell wie es aufgetaucht war, wieder verschwand. Inzwischen war es dunkel geworden und Ariella sah, worauf das Pferd geschaut hatte. Der Mond war nun deutlich zu sehen. Eine schmale gnadenlose Sichel am wolkenlosen Himmel und die kleine Ariella spürte, dass sich etwas in ihrer Brust in diesem Moment zu einer Reise aufmachte. So ganz klar war ihr das aber noch nicht, nur dass gerade Magie passiert war.
Von nun an saß Ariella jeden Abend auf ihrer Fensterbank oben im Haus und versuchte einen Blick auf das Pferd zu erhaschen. Sie beobachtete dabei die vielen Sterne, manche heller, manche dunkler und den Mond, der jeden Tag seine Form änderte, voller wurde und abnahm und an verschiedenen Stellen auftauchte oder manchmal auch garnicht.
Es vergingen einige Jahre, doch das große blonde Pferd tauchte nicht wieder auf.
Als Ariella 10 Jahre alt war, begann sie mit dem Reitunterricht. Seit sie auf der neuen Schule war, hatte sie keine Freunde mit nach Hause gebracht. Ihre Ma, die sich daher ein wenig sorgte, freute sich über Ariellas Wunsch nach einem Hobby und fuhr sie gerne in den Stall. Dieser lag nur einige Minuten mit dem Auto entfernt und seine Reitwege führten auf die vielen endlosen Felder bis in den riesigen Wald hinaus. Ariellas erklärtes Ziel war es, irgendwann dorthin zu reiten und jeden Winkel genau zu erforschen.
„Irgendwann werde ich da draußen einen Schatz finden. Ich weiß, dass es ihn gibt“, sagte sie sich.
Ihr erstes Pflegepferd hieß Charlie. Ein Fuchs. So nannte man ein Pferd mit rot-braunem Fell. Zweimal in der Woche kam Ariella, um ihn ausgiebig zu striegeln und dann an einer langen Leine auf dem Reitplatz eine Stunde im Kreis zu reiten. Erst nur im Schritt, dann im Trab und schließlich im Galopp.
„Fersen runter. Schultern zurück. Mach dich schwer. Beweg’ deine Hüfte mit Charlies Bewegungen“, rief Corinna, die Reitlehrerin ihr zu. Im Trab musste sie sich sogar immer wenn Charlies rechtes Bein nach vorne ging, in die Steigbügel aufstellen und beim zurück gehen wieder hinsetzen, aber nur wenn sie rechts herum ritt. Auf der anderen Seite genau anders herum. Es war gar nicht so leicht, doch Ariella liebte diese Verbindung zu ihrem vierbeinigen Freund und war eine fleißige Schülerin.
Es gefiel ihr, dass Charlie sie ohne Worte verstehen konnte und ganz fein auf sie und die Signale, die sie ihm gab reagierte. Es war eine Sprache, die nur sie beide verstanden.
Schon bald war sie so sicher im Sattel, dass sie alleine die Bahnlektionen auf dem Platz reiten konnte. Im Schritt und im Trab ohne Probleme, nur der Galopp war manchmal noch etwas wackelig und ihre Mitschüler ärgerten sich, wenn sie auf den letzten Drücker auswich, wenn sie ihr entgegen ritten. Sie musterten Ariella auf eine Weise, die ihr unangenehm war.
Irgendwie schien sie nicht wie die anderen Mädchen zu sein. Sie machte nicht von allem ein Foto um es zu posten und hatte auch keine großen Turnierträume. Sie wünschte sich sehr eine Freundin, aber es kam ihr so vor, als ob die Anderen ihre Art und ihr Verhalten komisch fänden. Wenn sie von ihrer Faszination für den Himmel erzählte oder dass sie etwas Außergewöhnliches tief drinnen im Wald vermutete, kicherten die Mädchen.
„Was soll das denn sein?“
„Ich weiß es nicht, aber ich spüre, dass es dort ist.“
Die Mädchen zogen die Augenbrauen hoch und Ariella, die sich für ihr Alter sehr gut ausdrücken konnte und gerne erzählte, wurde von nun an sehr still. Dennoch war der Stall ihr Zufluchtsort geworden, seit Ariellas Eltern zu Hause immer mehr stritten. Die Pferde waren ein Trost und gaben ihr Deckung, wenn eine ungewollte Träne fiel.
Auch in der neuen Schule entwickelte sie sich mehr und mehr zur Außenseiterin. Plötzlich war alles so anders. Es wurden so gut wie keine Spiele mehr gespielt, dafür war es umso wichtiger, wer welche Klamotten trug oder wer sich auf seinem Online-Profil auf welche Weise darstellte und ob das für Gut befunden wurde oder nicht. Ariella konnte einfach gar nichts daran finden sich am Klatsch der Anderen zu beteiligen und wurde so selbst zu dessen Inhalt. Ihre Mitschüler tuschelten, wenn Ariella in den Pausen alleine auf einer Bank saß, an ihrem Brot knabberte und in den kleinen Wald in der Mitte des Hofes starrte. Doch was von Außen befremdlich für ihre Mitschüler aussah, war in ihren Gedanken bunt und abenteuerlich. Ihre Fantasie schickte sie auf Reisen. Sie malte sich Geschichten aus und träumte davon, eines Tages mal eines der wilden Pferde zu fangen und zu zähmen. Sie stellte sich vor, wie es nur auf ihren Ruf hören würde und wie sie die Einzige war, die es auf seinem starken Rücken über die Felder tragen würde. Es würde ihr bester Freund werden. Der, der sie und ihre Welt verstand. Weil er auch so war. Wild und Frei.
Nachts saß Ariella immer noch auf ihrer Fensterbank, wo sie sich ein kuscheliges Nest aus Decken und Kissen gebaut hatte. Ihr Pa hatte draußen ein Geländer anbringen lassen, so dass sie das Fenster gefahrlos öffnen konnte und sie nun eine Art kleinen Balkon dort hatte. Schon lange hielt sie nicht mehr nach dem Wildpferd Ausschau, auch wenn sie hin und wieder einmal an das große goldene Pferd mit dem wehenden blonden Schopf dachte.
Jedoch hatte sie etwas seit der Begegnung damals nicht mehr losgelassen. Es war der Mond. Jeden Abend beobachtete sie seine verwandelte Gestalt. Und es hatte etwas beruhigendes.
„Egal wo man auch hinreiste, der Blick in den Himmel macht einem wieder gewiss, dass man von seinen Lieben nicht weit weg ist, weil wir alle den gleichen Mond sehen. Manchmal sehen wir mehr von ihm und manchmal nur ganz wenig.“ Daran dachte Ariella vor allem, wenn ihr Pa mal wieder lange von zu Hause fort war.
„M