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Im Jahr 2197 besucht der Sensationsreporter Adrian Ginjeet den Kolonialplaneten Arkadia, um dort nach der "Schlange im Paradies" der freizügigen nudistischen Gesellschaft der Arkadier zu suchen. Er lernt eine atemberaubende Frau namens Greedy kennen, und kurz darauf geschieht der erste Mord in der Geschichte des Planeten. Welches Geheimnis verbirgt sich unter der scheinbar makellosen Oberfläche der arkadischen Utopie? Oder hat der Besucher von der Erde den Sündenfall ausgelöst? "Kurzweilig, amüsant, provokant. Kulturschock garantiert." Phantastisch-lesen.com
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Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2020
Bernhard Kempen
Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum
AndroSF 123
Bernhard Kempen
ARKADIA
Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum
AndroSF 123
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: August 2020
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Dirk Schulz
Illustrationen: Michael Wittmann
Karte: Maria Wohnig
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Korrektorat: Amandara M. Schulzke, Michael Haitel
Lektorat: Eva Brunner, Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 210 2
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 882 1
Ich weiß, dass ich der beste Reporter von Trash Universe bin, wenn es darum geht, unter der Gürtellinie zu recherchieren. Aber hätte ich geahnt, was auf mich zukommt, als mein Chef mich an diesem Tag in sein Büro rufen ließ, nun ja …
Mir ist immer noch nicht klar, was ich von der Sache halten soll. Gerade habe ich den ersten Chip mit mehreren missglückten Versuchen, eine fetzige Reportage zu schreiben, in die Ecke gefeuert.
Also noch mal von vorn und der Reihe nach. Vielleicht klappt es ja diesmal.
Mein Chef kennt mich viel zu gut. Er weiß genau, wie er mich um den Finger wickeln kann. Und hinterher ärgere ich mich jedes Mal, dass ich wieder auf ihn hereingefallen bin.
»Dein Bericht über die Nutten vom Mars ist bombenmäßig eingeschlagen, Adrian«, sagt Bob Bruford zur Begrüßung. »Sämtliche Medienagenturen des Universums prügeln sich gerade um die Kopierrechte und treiben gegenseitig die Preise in die Höhe. Man merkt bei jedem einzelnen Satz, dass du dich mit Leib und Seele in die Recherchen gestürzt hast.«
Das war auch so eine Sache, mit der er mich total überrumpelt hat. Hätte ich damals geahnt … Aber lassen wir das.
»Die drei Wochen Sonderurlaub hatte ich danach auch dringend nötig«, sage ich.
»So liebe ich dich – immer zu Scherzen aufgelegt!«, sagt Bob mit seinem dröhnenden Lachen, das nichts Gutes ahnen lässt. »Ich hoffe, du bist jetzt wieder fit!«
»Weiß ich nicht. Hab’s seitdem noch nicht wieder ausprobiert.«
»Dann solltest du schon mal mit dem Training anfangen!« Er wirft mir seinen typischen durchtriebenen Blick zu. Und dann kommt’s: »Ich habe nämlich einen ganz besonderen Leckerbissen für dich, Adrian!«
»Soll ich dir jetzt jede Woche eine Fortsetzung liefern?«
»Keine schlechte Idee. Darauf kommen wir später vielleicht noch einmal zurück. Nein, es ist viel besser!«
Inzwischen sollte mir eigentlich klar sein, dass ich lieber die Finger davon lassen sollte, wenn er schon so anfängt.
»Nun sag schon, was für eine Gemeinheit du diesmal ausgeheckt hast!«, dränge ich ihn.
»Ich habe hier ein Ticket für dich.« Bob hebt einen Fetzen Papier vom Schreibtisch auf und wedelt mir damit vor der Nase herum.
»Ach du Scheiße!«, sage ich. »Das sieht nach einem interstellaren Flug aus.«
»Völlig richtig!«
»Und was bleibt für mich übrig, nachdem du mir die Reisekosten vom Gehalt und die mehrwöchige Reisezeit vom Urlaub abgezogen hast?«
Bob schüttelt sich vor Lachen. »Genau dieser bissige Zynismus ist es, den unsere Leser an den Reportagen von Adrian Ginjeet so lieben!«
Ich habe nie verstanden, was ausgerechnet Bob Bruford mit seinem merkwürdigen Sinn für Humor an meiner Arbeit findet. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er immer an den falschen Stellen lacht. Aber solange er mir den Lebensunterhalt sichert, soll es mir recht sein.
»Soll das etwa heißen, Trash übernimmt die vollen Kosten, um mich ins All zu schießen?«, frage ich misstrauisch. »An der Sache muss doch was faul sein!«
Bob grinst auf seine unnachahmliche Weise. »Der einzige Haken ist, dass ich eine erstklassige Reportage von dir erwarte.«
»Wenn du mir nicht sofort sagst, was du von mir erwartest, gehe ich zur Konkurrenz und schreibe einen Bericht über deine Geschäftspraktiken!«
Er winkt nur müde ab. »Wenn ich in der Branche bekannt gebe, dass du vor diesem Auftrag den Schwanz eingezogen hast, bist du beruflich erledigt.« Dann lehnt er sich mit einem genüsslichen Grinsen zurück, um endlich die Katze aus dem Sack zu lassen: »Dein Flugziel lautet Arkadia.«
»Waas?«, brülle ich fassungslos.
»Ich sagte, dein Flugziel …«
»Ich habe dich schon verstanden«, unterbreche ich ihn wütend. »Ich frage mich nur gerade, wie viel Sonderhonorar ich fordern soll, damit du die Sache abbläst.«
»Jetzt mach bloß keinen Rückzieher, Adrian. Es hat mich einen Haufen Geld und ziemlich viel Mühe gekostet, eine Aufenthaltsgenehmigung für dich zu besorgen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, erwidere ich mürrisch.
»He, was ist los mit dir? Ich dachte, ein Besuch auf Arkadia wäre der Traum jedes sensationsgeilen Medienreporters!«
»Von wegen! Jeder weiß doch, was auf Arkadia los ist. Friede, Freude, Eierkuchen. Und das war's auch schon. Wie soll ich darüber einen Bericht schreiben?«
»Mann, streng dich ein bisschen an! Das meiste sind doch sowieso nur Gerüchte. Fühl den Arkadiern mal so richtig auf den Zahn! In ihrem angeblichen Paradies muss doch was faul sein!«
»Die Schlange im Paradies?«, brumme ich zögernd, während ich allmählich ins Grübeln komme. »Das wäre allerdings ein Aufhänger …«
»Also bist du einverstanden?« Als Bob mich gebannt anstarrt, sieht er aus, als würde er jeden Augenblick vor Freude an die Decke springen. Jetzt hat er mich. Und er weiß es ganz genau.
»Du lässt ja doch nicht locker, bis ich zugesagt habe.«
»Völlig richtig!«
Nachdem ich einige persönliche Angelegenheiten geregelt und meinen Wohnungscomputer für die lange Zeit der Abwesenheit instruiert habe, kann es losgehen. Meine Begeisterung hält sich nach wie vor in Grenzen, und als ich mit der Raumfähre in den Orbit geschossen werde, wo das Passagierraumschiff wartet, frage ich mich unwillkürlich, ob ich die gute alte Erde jemals wiedersehen werde. Ich habe zwar schon einige Weltraumflüge tapfer hinter mich gebracht, aber noch nie zuvor die Grenzen meines heimischen Sonnensystems verlassen. Als das Schiff irgendwo hinter der Bahn des Jupiter das Stringtriebwerk anwirft, um sich auf Überlichtgeschwindigkeit zu katapultieren, und durch die Sichtfenster nur noch stockfinstere Nacht ohne ein einziges Lichtpünktchen zu sehen ist, sinkt meine Stimmung auf den absoluten Nullpunkt.
Was habe ich hier draußen im Nichts zwischen den Sternen verloren, im gähnenden Abgrund zwischen den Orten, an denen es sich ganz gut leben lässt? Ich muss mir immer wieder einreden, dass sich vor mir schon viele Menschen auf eine solche Reise begeben haben. Und von wenigen Ausnahmen abgesehen – mit denen ich mich jetzt nicht näher befassen möchte – haben sie alle wohlbehalten ihr Ziel erreicht. Etliche haben sich sogar dazu entschlossen, dauerhaft auf anderen Planeten in der Nähe ferner, fremder Sonnen zu leben. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass dieses Raumschiff in einer Art Jenseits unterwegs ist, weit draußen irgendwo hinter der Bahn des Pluto, der über das Reich des Todes herrscht …
Um mich von derartigen Grübeleien abzulenken und die Flugzeit sinnvoll zu nutzen, habe ich mich mit allen möglichen Informationen über die Arkadier eingedeckt, um sie gründlich studieren zu können, während wir die knapp vierzig Lichtjahre hinter uns bringen. Die wesentlichen Fakten dürften zwar allgemein bekannt sein, aber ich will ja der Reihe nach vorgehen. Außerdem sollte man das Ausmaß der Ignoranz nicht unterschätzen, wenn es um die Frage geht, wie intensiv sich ein durchschnittlicher Erdbewohner mit dem befasst, was in der Welt außerhalb seines angestammten Wohnortes vor sich geht – wobei ich mich selbst gar nicht unbedingt von dieser durchaus pragmatischen Einstellung ausnehmen möchte.
Entdeckt wurde der zweite Planet der Sonne Aura während der großen Erkundungszeit im Jahre 2126. Er ist etwas kleiner als unsere gute alte Erde, sodass ich mich in der dort herrschenden Schwerkraft von etwa 0,9 g leicht wie ein junges Reh fühlen werde. Und ich kann einigermaßen nachvollziehen, dass die Leute, die den Planeten seinerzeit als Erste betraten, aus dem Staunen nicht herauskamen. Denn Arkadia erwies sich in jeder Hinsicht als paradiesische Welt. Die Temperaturen schwanken zwischen fünfundzwanzig und dreißig Grad Celsius, tagsüber scheint ununterbrochen die Sonne, Regen gibt es nur nachts, und alles ist herrlich grün. Der ganze Planet sieht aus wie diese wunderbar kitschigen Bilder aus den Urlaubsprospekten vor der Raumfahrtzeit.
Natürlich drängt sich nun die unausweichliche Vermutung auf, dass es doch irgendwo einen Pferdefuß geben muss. Denn ein solches Paradies kann es in Wirklichkeit gar nicht geben. Auf Hawaii oder Bali ist es ja auch ganz nett, aber dafür gibt es dort böse Hurrikans, Schlangen oder Tropenkrankheiten. Selbst in den billigen Science-Fiction-Romanen des zwanzigsten Jahrhunderts lauert auf jeder Paradieswelt ein geiferndes Monstrum oder Schlimmeres.
Was Arkadia betrifft: Fehlanzeige. Dort gibt es keine Monstren, nicht einmal einen harmlosen Regenwurm. Denn die einzigen einheimischen Lebensformen sind Pflanzen, und die verhalten sich absolut friedlich, weil sie sich im Laufe ihrer Evolution niemals gegen fresswütige Tiere verteidigen mussten.
Mehrere Wissenschaftlerteams wurden nach Arkadia geschickt, aber trotz intensivster Nachforschungen wurde wirklich nichts entdeckt, was menschlichem Leben gefährlich werden könnte. 2131 kamen dann die ersten Kolonisten. Und die fanden bald den Haken an der Sache. Arkadia ist nämlich einfach nur schön und weiter nichts. Es gibt keinerlei nennenswerte Bodenschätze, und in der moos- und farnähnlichen Pflanzenwelt wurde nichts gefunden, was sich irgendwie für menschliche Bedürfnisse verwerten ließe. Man holte die Kolonisten gerade noch rechtzeitig zurück, bevor sie aus lauter Langeweile auf die Idee kommen konnten, sich zur Abwechslung gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.
Nachdem ein paar Jahre lang Ruhe im Paradies herrschte, stellten schließlich die Nudisten den Antrag, eine neue Kolonie auf Arkadia gründen zu dürfen. Dem Antrag wurde sofort stattgegeben, da sich auf diese Weise die einzigartige Gelegenheit ergab, die Läuse im Pelz der verfilzten Erdgesellschaft loszuwerden. Die Nudisten haben sich bekanntlich aus einer Jugendbewegung im letzten Jahrhundert entwickelt, die nicht nur die Freiheit des Geistes, sondern auch des Körpers forderte. Zu Anfang dieses Jahrhunderts kam es dann zum leicht missglückten Genexperiment ihres Gurus Jack Rodriguez, worauf sämtliche Nudisten ihre Körperbehaarung verloren. Seitdem ist die totale Haarlosigkeit der Nudisten zu ihrem Markenzeichen geworden, sodass sich auch die meisten neuen Anhänger freiwillig der gentechnischen Haarentfernung unterziehen.
Seit 2137 können sich die Nackedeis nun nach Lust und Laune auf Arkadia austoben. Dem Rest des Universums war es bislang ziemlich egal, was sie dort trieben, abgesehen von den Berichten über Sexakrobatik, Massenorgien oder Wettbumsen, die immer wieder durch die Boulevardmagazine geisterten. Doch dann bricht eines Tages im Jahre 2197 der Top-Reporter von Trash Universe auf, um erstmals persönlich und vor Ort die Tatsachen hinter all den Skandalmeldungen und Gerüchten zu recherchieren.
Ich hasse Reisen. Ich kann es gar nicht oft genug sagen. Warum sich viele Menschen freiwillig dieser Tortur aussetzen und sogar einen Haufen Geld dafür bezahlen, werde ich nie begreifen.
Während des Anflugs mit der Planetenfähre kann ich durch eine winzige Sichtluke einen ersten Blick auf die blaugrüne Kugel mit den sparsam hingetupften weißen Wölkchen werfen. Ganz nett, aber nichts, was einen erfahrenen Reporter vom Hocker reißen würde. Außerdem bin ich fest in meinem viel zu engen Sitz angeschnallt, sodass ich ohnehin keine übermütigen Luftsprünge vollführen könnte.
Thela Hun dagegen strahlt geradezu vor Begeisterung. An Bord des Linienraumschiffs war sie neben mir der einzige Passagier mit dem Flugziel Arkadia. Ich habe mich unterwegs ein wenig mit der hübschen Chinesin aus Singapur mit dem langen, schwarzen Haar angefreundet. Während des Fluges haben wir uns abwechselnd in ihrer und meiner Koje die Zeit vertrieben, aber als sie mir dann von dem tollen Arkadier erzählt hat, den sie auf der Erde kennengelernt hat und mit dem sie nun ein neues Leben auf Arkadia beginnen will, bin ich etwas auf Distanz gegangen.
Nach dem ansonsten stinklangweiligen Flug setzt das Gefährt mit einem unsanften Ruck auf. Ein dumpfes Klacken, unter dem die Fähre dröhnend vibriert, kündigt an, dass die luftdichte Schleusenkupplung verriegelt wurde. Wieder heißt es Warten, bis endlich das Okay von der Raumhafenkontrolle kommt und wir durch die Luke aussteigen dürfen.
Doch nun geht es keineswegs an die frische Luft, sondern zunächst durch einen Tunnel, der nach Schmieröl und Desinfektionsmitteln stinkt und uns in die Quarantänestation führt. Der Planet steht unter strengen Schutzbestimmungen, damit niemand unangenehme Bazillen und andere Fremdorganismen in die heile Welt einschleppen kann. Menschen sollen die einzigen tierischen Schmarotzer bleiben, die auf Arkadia geduldet werden.
Wir müssen uns ausziehen und uns diversen Bestrahlungen und chemischen Bädern aussetzen, bis wir angeblich sauber sind. Obwohl Thela mich bereits etwas näher kennengelernt hat, stört es mich ein wenig, dass man auf getrennte Räumlichkeiten für die Damen und die Herren der Schöpfung verzichtet hat, aber vermutlich würde sich der Aufwand bei dem spärlichen Reiseverkehr kaum lohnen. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass man solchen Befangenheiten gerade auf Arkadia nur wenig Verständnis entgegenbringt.
Endlich öffnet sich die Schleuse, und ich kann ins Freie taumeln, während Thela wie ein geölter Blitz an mir vorbeizischt. Bevor ich mir in aller Ruhe einen ersten Eindruck von Arkadia verschaffen kann, stürmt mir die Realität dieses unmöglichen Planeten mit voller Wucht entgegen.
»Herzlich willkommen auf Arkadia! Ich bin July!«
Die Quelle dieser Begrüßung ist ein Weib, an dem die Steinzeitjäger von Willendorf ihre helle Freude gehabt hätten. July ist eine Arkadierin, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Dass sie völlig unbehaart ist und keinen Fetzen Kleidung am Leib trägt, muss ich wohl nicht ausdrücklich betonen.
Der Überfall trifft mich völlig unvorbereitet. Eine Körpermasse von schätzungsweise einhundertfünfzig Kilogramm rast mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf mich zu, dann werde ich von kräftigen Armen umschlungen und an die üppige, schokoladenbraune Mutterbrust gedrückt.
Dabei muss man sich vor Augen halten, dass ich, ein zivilisierter, eher schmächtig gebauter Mensch von der guten alten verklemmten Erde, gerade splitterfasernackt und somit völlig wehrlos aus dem Quarantänetrakt gekommen bin. Das Abenteuer Arkadia hat längst begonnen.
»Humpf!« So oder so ähnlich lautet meine Antwort auf Julys Begrüßung.
July lacht hemmungslos und klatscht unverschämt auf meinen nackten Hintern. »Entspann dich, Adrian!«, sagt sie. »Auf Arkadia gibt es nichts, wovor du Angst haben müsstest.«
»Ach!« Zu einer intelligenteren Formulierung ist meine allmählich wiederkehrende Sprachfähigkeit noch nicht in der Lage. Doch in diesem einen Wörtchen konzentriert sich meine ganze Fassungslosigkeit über den Widerspruch zwischen ihrem Beschwichtigungsversuch und den nackten Tatsachen.
»Komm, wir holen deine Sachen«, sagt July und führt mich durch die Ankunftshalle zur Gepäckausgabe.
Eigentlich müsste man es mir nachsehen, wenn ich diese Szene zum Schutz meines Selbstwertgefühls nicht weiter beschreibe, doch meine journalistische Ehre gebietet mir, sie um des Effekts willen bis zum Letzten auszukosten. Man stelle sich also bildlich vor, wie ich, der ansonsten knallharte, gnadenlos zynische Reporter, splitternackt und Händchen haltend hinter einem Drei-Zentner-Weib hertrotte. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt geahnt hätte, dass es im Laufe meines Aufenthalts noch zu viel peinlicheren Szenen kommen würde …
»Endlich!«, schnaufe ich, als mir ein Raumhafenangestellter mit markantem Glatzkopf meine Reisetaschen ausgehändigt hat. Hektisch reiße ich das in Folie verschweißte Päckchen mit meiner Kleidung auf, von der ich mich in der Quarantäne trennen musste.
»Du hast doch nicht etwa vor, dich bekleidet auf Arkadia zu bewegen!«, ruft July entsetzt.
»Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das es mir verbieten würde«, erwidere ich trotzig, während ich meine Hose anziehe und mich schon etwas besser fühle.
»Das ist zwar richtig«, sagt July, »aber du würdest damit überall auffallen.«
»Na und?« Ich ziehe mein Hemd über den Oberkörper und fühle mich jetzt wieder wie ein Mensch. »Ich bin Individualist und gebe nichts auf kleinkarierte Ansichten!«
July lacht schallend. »Ich habe ja schon viele Vorurteile über Arkadier gehört, aber bislang hat uns noch niemand vorgeworfen, wir seien kleinkariert.«
Natürlich hat sie recht, aber ich habe auch meinen Stolz.
Thela dagegen scheint in dieser Hinsicht überhaupt keine Hemmungen zu besitzen. Als ich mich zu ihr umblicke, sehe ich, dass sie jemandem um den Hals gefallen ist, der ungeniert ihren süßen kleinen Hintern betatscht. Dann wehrt sie die recht aufdringlichen Hände ab und kehrt zu July und mir zurück, um mir ihren Freund Frank vorzustellen, der gekommen ist, um sie abzuholen. Gebannt starre ich seinen völlig haarlosen Körper an. Auf den ersten Blick verleiht ihm die Glatze etwas Intellektuelles, doch dieser Eindruck wird durch die fehlenden Augenbrauen wieder aufgehoben, was ihm einen gewissen Anstrich der Dümmlichkeit verleiht. Sein kleiner, völlig nackter und vor Wiedersehensfreude leicht erigierter Schwanz hat dagegen fast etwas Präpubertäres, vor allem, wenn er Arm in Arm mit der zierlichen Thela dasteht. Habe ich schon erwähnt, dass auch sie zwischen den Beinen wie ein höchstens zehnjähriges Mädchen aussieht, weil sie sich aus Sympathie für die Arkadier fleißig mit Enthaarungscreme einreibt?
Vor etwa zweihundert Jahren war es eine Zeit lang unter Männern und Frauen in Mode, sich die Schamregion zu rasieren, wie man in manchen alten Flachfilmen sehen kann. Doch ausgerechnet die Nudistenbewegung sorgte letztlich dafür, dass die übrige Erdbevölkerung wieder den natürlichen Zustand vorzog. Was das betrifft, kann ich einfach nicht über meinen Schatten springen.
Als Frank mich begrüßen will, fängt July ihn mit einer eleganten Bewegung ab und flüstert ihm etwas ins Ohr. Frank stutzt einen Augenblick und streckt dann den Arm aus, um mir züchtig die Hand zu schütteln. Bei Gelegenheit muss ich July für diese kleine Aufmerksamkeit danken.
Kurz darauf verabschieden sich die Kinder und tollen übermütig davon. July führt mich dann aus dem Raumhafengebäude ins Freie, wo ich erstmals den tiefblauen Himmel Arkadias bewundern kann. Das Klima ist tatsächlich sehr angenehm, wie ich überrascht feststellen muss. Obwohl die Sonne hoch am Himmel steht, brennt sie nicht etwa wie am irdischen Äquator, sondern verströmt eine Wärme, in der man sich einfach wohlfühlt. Das hat irgendetwas mit der speziellen Zusammensetzung der Atmosphärenschichten des Planeten zu tun, aber erwarten Sie bitte nicht von mir, dass ich Ihnen jetzt erkläre, welche Strahlungsanteile wie absorbiert werden, weil ich es selbst nicht verstanden habe. Ich habe mir nur gemerkt, dass man aufgrund dieser Besonderheiten niemals einen Sonnenbrand bekommen kann, was mich ungemein beruhigt. Auch dass die Luftfeuchtigkeit gerade so geregelt ist, dass man kaum ins Schwitzen kommt, nehme ich mit großer Erleichterung zur Kenntnis.
Ich folge July über einen sattgrünen Rasenstreifen, der aus einer Art weichem Moos besteht, bis zu einem betonierten Platz. Dort steht ein nicht mehr ganz moderner Antigravgleiter, vor dem eine junge Frau wartet.
»Das ist Greedy, unsere Pilotin«, stellt July sie vor. Als uns die braunhäutige, mit Idealmaßen ausgestattete und natürlich ebenfalls völlig nackte Frau entgegenkommt, hebt July warnend eine Hand. »Vorsicht! Ich glaube, er mag es nicht, wenn man ihm sofort um den Hals fällt. Wir sollten ihm etwas Zeit lassen, sich bei uns einzugewöhnen.«
»Hallo, Adrian«, werde ich von Greedy begrüßt, die in halbwegs angemessener Entfernung vor mir stehen bleibt, um mich von oben bis unten zu mustern. Ich weiß, es klingt verrückt, aber in diesem Augenblick kommt es mir vor, als würde ich splitternackt im Scheinwerferlicht auf einer Bühne stehen, während diese Frau mich von ihrem sicheren Platz im Zuschauerraum beobachtet.
Und obwohl wir uns überhaupt nicht berühren, scheinen unsere Körper sofort in eine intensive Wechselwirkung zu treten. Ein wohliger Schauer durchfährt mich, als hätte ich gerade einen geliebten Menschen in die Arme geschlossen. Es ist fast wie Sex, aber es kommt so überraschend, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückweiche.
Wie ein kleines Kind bestaune ich diese Frau, ihr freundliches Gesicht, die einladenden Brüste und die frappierende Nacktheit ihres unbehaarten Geschlechts. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass ich den unbekleideten Körper einer attraktiven Frau zu Gesicht bekomme, doch bei Greedy ist es völlig anders. Wie soll ich es beschreiben? Greedy sieht einfach gut aus. Diese schlichten Worte geben meinen ersten Eindruck recht akkurat wieder.
Wenn Sie jetzt glauben, der Anblick ihrer prallen Titten hätte mich geil gemacht oder ich würde lechzend auf ihre Möse starren, muss ich Ihre galoppierende Fantasie zurückpfeifen. Damit will ich keineswegs behaupten, dass Greedy unerotisch wirkt. Ganz im Gegenteil. Sie weiß genau, dass sie eine Frau ist – und was für eine! Aber sie prahlt nicht mit ihren Reizen. Und sie versucht auch nicht, in gezierter Verschämtheit mit ihrem süßen Geheimnis zu kokettieren. Mir wird in diesem kurzen Augenblick klar, dass Nacktheit für sie ein völlig selbstverständlicher Zustand ist.
Wie soll ich es erklären, ohne Missverständnisse zu provozieren? Greedy versteckt sich nicht in ihrem Körper, wie es viele erdgeborene Menschen tun, sondern sie setzt ihn dazu ein, die Welt zu erleben. Ihre klaren Augen blicken mit wachem Interesse, ihre Nase scheint neugierig meine Witterung aufgenommen zu haben, und ihr Mund ist leicht geöffnet. Dieselbe Offenheit und Neugier drückt sich in ihren runden, straffen Brüsten aus, deren kleine Brustwarzen sich mir wie sensible Sinnesorgane entgegenrecken. Und der haarlose Spalt zwischen ihren leicht gespreizten Beinen ist wie ein zweiter Mund, der dazu da ist, den Kontakt zu anderen Menschen buchstäblich zu vertiefen.
Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich ein wenig ins Schwärmen geraten bin. Selbst für jemanden wie mich ist es eine ziemlich überwältigende Erfahrung, plötzlich einer solchen Frau gegenüberzustehen. Aber irgendwann schaffe ich es, mich wieder zusammenzureißen.
»Hallo, Greedy«, erwidere ich endlich ihre Begrüßung. »Ich dachte, Piloten müssten wenigstens eine Mütze tragen.«
»Die wäre mir längst vom Fahrtwind weggepustet worden«, entgegnet sie und streicht sich grinsend über die glatte Schädeldecke. »Willst du wirklich diese albernen Klamotten mit dir herumschleppen?«
»Gib dir keine Mühe«, wirft July ein, »er scheint ein ziemlich verklemmter Bursche zu sein.«
»Ich frage mich nur, was er zu verbergen hat«, sagt diese Greedy mit einem unzweideutigen Blick auf meinen Unterleib.
»Nichts Besonderes«, erwidert July mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Du hast überhaupt nichts verpasst.«
»Bitte etwas mehr Respekt, meine Damen!«, entrüste ich mich.
Sie lachen nur. Verdammte Weiber!
July besteigt den offenen Gleiter und okkupiert beide hinteren Sitzplätze, sodass ich mich notgedrungen neben die Pilotin setzen muss. Zögernd verwickle ich Greedy in ein Gespräch über die technischen Spezifikationen des Gleiters, um mich von den biologischen Details dieser Frau abzulenken. Doch im Grunde gibt es kaum etwas Bemerkenswertes zu ihrem Gefährt zu sagen, da es sich um ein bekanntes Standardmodell handelt, das in millionenfacher Ausfertigung auf der Erde und anderen Planeten im Gebrauch ist.
Greedy lässt das Fahrzeug behutsam emporsteigen, legt sich in eine elegante Kurve und beschleunigt. Im Fahrtwind kühlt sich mein erhitztes Gemüt allmählich ab, während unter uns der Raumhafenkomplex zurückfällt. Dann gleiten wir über hellgrüne Farngraswiesen und dunklere Wälder aus Moos- und Farnbäumen dahin. Nur vereinzelt tauchen weiße Gebäude aus Betonit auf, doch dazwischen keine einzige Straße, die die nette Landschaft verschandelt hätte. Nur ein Fluss, der sich in weiten Mäandern durch das Grün schlängelt und in dem sich der dunkelblaue Himmel von Arkadia spiegelt.
Dann landen wir vor einer größeren Gebäudegruppe an einem idyllischen See. Die Frauen erklären mir, dass es sich gewissermaßen um das Zentrum von Arkadia handelt, wo sich der größte Teil der Bevölkerung des Planeten konzentriert.
»Arkadiapolis!«, prahle ich mit meinem angelesenen Wissen.
Die beiden stutzen für einen kurzen Moment, bis sie leise lachen.
»Ja, das ist die offizielle Bezeichnung«, bestätigt July, »aber im Alltag benutzen wir sie kaum noch.«
»Verstehe«, sage ich. »Da es die einzige nennenswerte Ansiedlung auf diesem Planeten ist, besteht kaum eine Verwechslungsgefahr mit anderen Städten.«
Zumal das Ganze gar nicht wie eine richtige Stadt wirkt, sondern eher wie eine zufällige Ansammlung von Gebäuden, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen. Also kein Vergleich mit den über Jahrhunderte gewachsenen, dicht gedrängten Megastädten der Erde.
Schließlich bringen wir mein Gepäck in ein freies Apartment, das man mir für die Dauer meines Aufenthalts zur Verfügung gestellt hat.
Greedy verabschiedet sich von uns, da sie noch einige Aufträge zu erledigen hat, und lässt mich mit July allein. Ich muss zugeben, dass ich darüber gar nicht so sehr enttäuscht bin, obwohl die kesse Pilotin viel eher meinen Vorstellungen von einer atemberaubenden Traumfrau entspricht. Aber schließlich kann man nicht pausenlos den Atem anhalten und träumen.
Dann unternehmen July und ich einen kleinen Bummel durch Arkadiapolis – oder kürzer gesagt, die »Stadt«. Die Architektur bietet eine nette, weitläufige Anlage mit Apartments auf verschiedenen Ebenen, die an schattigen Säulengängen liegen, sozusagen die Arkaden von Arkadia, dazwischen freie Plätze mit Gärten, Springbrunnen und gemütlichen Bänken. Und natürlich tummeln sich überall splitterfasernackte Arkadier und Arkadierinnen, die bestenfalls einen unauffälligen Armbandcom oder einen schmalen Gürtel um die Taille tragen, wenn sie kleinere Dinge zu transportieren haben. Und von beinahe allen werde ich auf geradezu unverschämte Weise angegafft. Am schlimmsten sind die Kinder, die mit dem ausgestreckten Finger auf mich zeigen und die Erwachsenen in ihrer Nähe offenbar in Erklärungsnotstand bringen.
Während des Spaziergangs stellt sich ein merkwürdiger Effekt bei mir ein, denn schon nach kurzer Zeit hat es für mich kaum noch etwas Besonderes oder Aufregendes, überall nackte Brüste, Schwänze und Hintern zu sehen. Und noch etwas anderes Seltsames geschieht, das ich niemals für möglich gehalten hätte: Nach einer Weile fühle ich mich in meinen Klamotten unwohl. Ich habe das dumme Gefühl, mich zum Clown zu machen, wenn ich mich weiterhin bekleidet über die Oberfläche dieses Planeten bewege. Aber ich reiße mich zusammen und warte jedes Mal tapfer ab, bis sich diese Anwandlungen wieder gelegt haben.
Am meisten verblüfft es mich, wie selbstverständlich die Arkadier miteinander umgehen. Sie arbeiten, plaudern, lachen und scheinen nicht die geringste Scheu vor Berührungen zu haben. Im Gegenteil, überall sehe ich, wie sie Händchen halten, sich umarmen und ständig die körperliche Nähe ihrer Mitmenschen suchen. Obwohl ich zugegebenermaßen Schlimmeres befürchtet habe, muss ich feststellen, dass es insgesamt verhältnismäßig gesittet zugeht. Das höchste der Gefühle sind ein junger Mann, der auf einer Wiese liegt und gedankenverloren den Hintern seines offensichtlichen Liebhabers streichelt, und eine Frau mittleren Alters, deren Hand auf den Weichteilen ihres Gesprächspartners liegt. Doch diese Berührungen wirken genauso unverfänglich wie ein alltägliches Schulterklopfen oder Händeschütteln. Obwohl ich jede potenziell verdächtige Bewegung registriere, erkenne ich keinerlei Anzeichen, dass irgendwo tatsächliche Schweinereien stattfinden. Dass die Arkadier bei jeder sich bietenden Gelegenheit in der Öffentlichkeit herumvögeln, scheint zumindest meinem ersten Eindruck zufolge ein Gerücht zu sein, das der ausufernden Fantasie eines Erdenmenschen mit sexuellen Defiziten entsprungen sein muss.
Dann lässt July mich gnädigerweise eine Weile in meinem Apartment allein, damit ich mich etwas erfrischen und meine ersten Eindrücke verarbeiten kann. Anschließend mache ich mich auf den Weg zum Besucherzentrum. July hat mir nahegelegt, diese Einrichtung unbedingt aufzusuchen, in der die Funktionen eines Fremdenverkehrsamts und einer Einwanderungsbehörde vereint sind.
Hier treffe ich Thela wieder, die noch verschiedene Formalitäten erledigen muss, bevor sie sich offiziell als Arkadierin fühlen darf. Ich habe zwar nicht vor, einen Einreiseantrag zu stellen, aber es gehört zum Pflichtprogramm jedes Neuankömmlings, sich über die Gepflogenheiten der arkadischen Gesellschaft informieren zu lassen. Außerdem kann es nicht schaden, wenn meine geneigten Leser erfahren, welchen Prozeduren sich ein werdender Arkadier zu unterziehen hat.
Man lässt uns eine Weile in der Empfangshalle warten, die mit einem künstlichen kleinen Wasserfall inmitten eines Dschungels aus irdischen und arkadischen Pflanzen dekoriert ist. Dann werden wir von Carl begrüßt, einem freundlichen, kräftig gebauten Schwarzen, der ungeniert seinen imposanten Hammer zwischen den Beinen baumeln lässt. Thela starrt mit kaum verhohlenem Interesse auf sein Prachtstück, bis Carl mir augenzwinkernd auf die Schulter klopft und uns offenbart, dass er weiblichen Reizen nur wenig abgewinnen kann. Thelas Interesse verflüchtigt sich merklich, während ich eine leichte Verkrampfung meines Schließmuskels verspüre. Natürlich habe ich als aufgeklärter Mensch des ausgehenden zweiundzwanzigsten Jahrhunderts meine Erfahrungen an beiden Fronten gemacht, aber in dieser speziellen Hinsicht bin ich äußerst wählerisch.