DARLING - Bernhard Kempen - E-Book

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Bernhard Kempen

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Beschreibung

Im Jahr 2197 hat der Sensationsreporter Adrian Ginjeet seinen Bericht über den Nudistenplaneten Arkadia abgeschlossen und wartet nur noch auf den Rückflug zur Erde. Doch dann kommt alles anders, als sich eine tödliche Gefahr aus den Tiefen des Weltalls nähert. Adrian und die atemberaubende Pilotin Greedy scheinen die Einzigen zu sein, die das Unheil von Arkadia abwenden können. An Bord eines Geisterraumschiffs müssen sie sich mit einem verwirrten Waisenkind, einem psychotischen Computer und einer fremdartigen außerirdischen Lebensform herumärgern. Und plötzlich wird Greedy schwer krank … Substanzielles zum Universum: www.xenosys.de

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Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Bernhard Kempen

DARLING

Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum

AndroSF 143

Bernhard Kempen

DARLING

Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum

AndroSF 143

Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Juni 2021

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Klaus Brandt

Illustrationen: Michael Wittmann

Datenblatt: Klaus Brandt

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat: Amandara M. Schulzke, Michael Haitel

Korrektorat: Eva Brunner, Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 241 6

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 855 5

1

Das ist ja ein starkes Stück, Adrian! Die Leute rennen mir die Bude ein, seit der erste Teil deiner Reportage über Arkadia auf Trash Universe erschienen ist.«

»Das freut mich zu hören, Bob! Ich hoffe, vom Geldregen bleibt eine kleine Gehaltserhöhung für deinen besten Mann übrig.«

»Ich rede nicht von Lesern, sondern von den Zensurbeamten, die dein Bildmaterial beschlagnahmen wollen!«

»Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der mich dazu überredet hat, nach Arkadia zu fliegen, damit ich dir einen Bericht über die nackten Wilden dieses Planeten liefere?«

»Ja, sicher, aber musst du unbedingt jedes pikante Detail erwähnen? Du könntest etwas mehr Rücksicht auf das empfindsame Gemüt der Erdbewohner nehmen!«

»Du hast doch nicht etwa meine unbearbeitete Version hochgeladen! Wir hatten uns darauf geeinigt, dass die Öffentlichkeit nichts über Greedys ungewöhnliche Fähigkeiten erfahren soll.«

»Keine Sorge. Aber ich muss schon sagen, diese Greedy ist ein Teufelsweib! Ich habe mir ein Holo-Poster von ihr ausgedruckt und ins Büro gehängt.«

»Kein Wunder, dass die Leute dir die Bude einrennen.«

»Wirklich schlimm, dass dieser Mord passiert ist. Wie hieß das Mädchen noch gleich?«

»Thela Hun.«

»Die Ärmste. Aber dadurch wurde deine Story zu einem echten Knüller.«

»Ich hoffe, du nimmst ein wenig Rücksicht auf meine Gefühle und schlachtest die Geschichte nicht zu sehr aus, Bob.«

»Für wen hältst du mich, Adrian? Du kennst mich seit vielen Jahren!«

»Eben.«

»Auf jeden Fall fiebere ich gespannt dem Abschluss deiner Reportage entgegen. Wann fliegst du zurück?«

»In wenigen Tagen. Wir sehen uns also in ein paar Wochen auf der guten alten Erde wieder. Wo du mir einen satten Gehaltsscheck in die Hand drücken darfst.«

»Vergiss es! Nachdem ich ein halbes Vermögen für dieses Stringfunkgespräch ausgegeben habe, bleibt von unseren Werbeeinnahmen gerade genug übrig, um deinen Rückflug zu bezahlen.«

»Willst du mich etwa dazu überreden, als ständiger Korrespondent auf diesem perversen Planeten zu bleiben?«

»Worüber willst du berichten? Über eine heile Welt, in der die Nudisten in Frieden und Harmonie zusammenleben – jedenfalls die meiste Zeit? Holos von nackten Männern und Frauen bekomme ich anderswo günstiger, dazu muss ich Adrian Ginjeet, meinen besten Mann, nicht auf eine interstellare Reise schicken. Oder hast du inzwischen Gefallen an der arkadischen Lebensart gefunden?«

»Ich bin vielleicht ein wenig verrückt, aber nicht völlig übergeschnappt, Bob Bruford! Allmählich kann ich keine Titten, Ärsche und Schwänze mehr sehen!«

»Schade. Eigentlich solltest du nach deiner Rückkehr über die Nutten auf den Jupitermonden berichten.«

»Auf gar keinen Fall! In Zukunft liefere ich dir ausschließlich Reportagen über sittsame Romanautoren.«

»Auch bei denen gäbe es jede Menge pikanter Skandale zu enthüllen …«

»Heimliche Schweinereien sind mir immer noch lieber als nackte Tatsachen.«

»Mach’s gut, Adrian! Ich darf gar nicht daran denken, wie viel Geld mich dieses Gespräch gekostet hat.«

»Mach’s besser, alter Geizknochen!«

Nachdem der tragische Mord an Thela Hun aufgeklärt werden konnte, warte ich im Grunde nur auf meinen Rückflug zur Erde. Ich habe vor, noch ein paar Leute zu interviewen, ein paar letzte Eindrücke zu sammeln und dann meine Sachen zu packen, um mich von diesem seltsamen Planeten zu verabschieden. Ich muss zugeben, dass mir die Nudisten von Arkadia während meines Besuchs durchaus sympathisch geworden sind, auch wenn ich mich redlich bemüht habe, meine professionelle journalistische Objektivität zu wahren. Aber mir ist natürlich bewusst, dass es meinen treuen Lesern lieber ist, wenn ich weiß, wovon ich schreibe, wenn ich mitten aus dem Geschehen berichte.

Ich habe beschlossen, meine letzten Tage auf Arkadia zu genießen, und liege im weichen Farngras vor der Terrasse des gemütlichen Apartments, das mir die Arkadier für die Dauer meines Aufenthalts zur Verfügung gestellt haben. Ich habe mich tatsächlich ein wenig den einheimischen Sitten angepasst und lasse mir die wohlige Strahlung der Sonne Aura auf den nackten Hintern scheinen. Ich diktiere gerade die Eindrücke der vergangenen Nacht in meinen Armbandcom, als das Gerät meinen Redefluss mit einem nervigen Piepen unterbricht.

»Ich empfange einen dringenden Anruf von July«, teilt mir mein elektronischer Sklave mit. »Soll ich ihn durchstellen?«

Im ersten Moment tendiere ich dazu, mich taub zu stellen. Wenn July etwas von mir will, soll sie gefälligst ihren breiten Arsch in Bewegung setzen und persönlich bei mir vorsprechen. Nachdem der Mordverdacht gegen mich zweifelsfrei ausgeräumt wurde, kann es eigentlich nichts Dringendes mehr geben, was July mit mir zu besprechen hätte.

»Na gut«, gebe ich mich dennoch geschlagen. Schließlich gehört auch eine unwiderstehliche Neugier zu meinen herausragenden Charaktereigenschaften. »Lass hören!«

»Hallo, Adrian!«, spricht mich die Holodarstellung von Julys rundem, schwarzhäutigem Gesicht an. »Ich dachte schon, du wärst nicht erreichbar, und wollte gerade eine Nachricht für dich aufzeichnen …«

»Seit wann geben Arkadier sich dem Laster der Ungeduld hin?«, erkundige ich mich verwundert.

July lässt sich nicht beirren. »Wie es scheint, ist ein neues Problem aufgetaucht, bei dem die Zeit von entscheidender Bedeutung sein könnte.«

»Ein weiterer Mord?«, frage ich entsetzt.

»Nein, das nicht. Aber es dürfte dich trotzdem interessieren.«

»Wenn du mir verrätst, worum es geht, werde ich möglicherweise …«

»Entschuldige bitte, Adrian, aber ich habe jetzt keine Zeit für Plaudereien«, würgt July mich ab. »Ich muss noch ein paar andere Leute anrufen. Wenn du mehr wissen willst, solltest du dich in einer halben Stunde im Gemeinschaftshaus einfinden. Bis dann!«

»Moment mal, ich würde gerne …«, beginne ich, doch July hat die Verbindung bereits unterbrochen. Verdutzt starre ich in die leere Luft über meinem Handgelenk, wo sich das Holobild in Nichts aufgelöst hat.

Was könnte so wichtig sein, dass July mich auf diese nicht sehr höfliche Art abfertigt? Aus Verärgerung und Trotz bin ich geneigt, mich stur zu stellen und der Einladung nicht nachzukommen, doch am Ende siegt wieder einmal meine bereits erwähnte Neugier.

Mit angemessenen zweieinhalb Minuten Verspätung (ein hart erkämpfter Kompromiss zwischen meiner Trotzköpfigkeit und Wissbegierde) treffe ich im Versammlungsraum ein. Es haben sich etwa ein Dutzend Arkadier eingefunden, von denen ich nicht einmal die Hälfte kenne. Natürlich ernte ich wieder erstaunte Blicke, da ich besonderen Wert darauf gelegt habe, zu diesem Anlass ordentlich gekleidet zu erscheinen – im Gegensatz zu allen anderen, die ausnahmslos splitternackt sind. Ich habe mich in diesem Punkt zwar gelegentlich und widerstrebend den lokalen Sitten angepasst, doch gerade als Repräsentant der irdischen Menschheit fühle ich mich verpflichtet, mein äußeres Erscheinungsbild nicht zu vernachlässigen.

Neben July und Greedy, die mir während meines bisherigen Aufenthalts bestens vertraut geworden sind, kommt mir ein drittes Gesicht sehr bekannt vor. Es dauert ein paar Sekunden, bis bei mir der Groschen fällt. Es ist Mia Marquez, die Astronomin und Ehegattin von Paulo Marquez, die ich bei unserem Besuch auf dem Hochplateau von Arkadia kennengelernt habe.

Als die Leute in einem lockeren Kreis Platz genommen haben, ergreift July das Wort. »Ich bitte um Verzeihung für die überstürzte Planung dieses Treffens, aber hier scheint es um eine ernste Angelegenheit zu gehen. Nur deshalb habe ich meine Autorität als Mater Arkadiae ins Spiel gebracht, um einen anarchischen Rat einzuberufen. Da ich selbst vermutlich nur dummes Zeug quatschen würde, was die Natur der Problematik betrifft, möchte ich nun ohne weiteres Brimborium das Wort an Mia weitergeben.«

Einige der Anwesenden lachen kurz, um gleich wieder zu verstummen. Ich bin vermutlich der Einzige, der mit Erstaunen reagiert, weil mir in diesem Moment eine ganz andere Sache klar wird. Während meiner Reisevorbereitungen hatte ich etwas über den Titel der Mater oder des Pater Arkadiae gelesen, war aber davon ausgegangen, dass dieses Amt inzwischen abgeschafft wurde. Doch nun sieht es danach aus, dass es bis heute ein amtierendes Staatsoberhaupt von Arkadia gibt, sofern diese Bezeichnung in einer weitgehend anarchistisch geprägten Gesellschaft gerechtfertigt ist. Die Mater wird auf Lebenszeit gewählt, außer wenn genügend Leute der Meinung sind, dass eine Neuwahl stattfinden sollte, was jedoch meines Wissen noch nie passiert ist. Sie ist eher so etwas wie eine Klassensprecherin ohne wirkliche Herrschaftsgewalt, und wenn es doch einmal eine wichtige Sache zu entscheiden gibt, organisiert sie eine Volksbefragung oder trommelt eine Art Krisenregierungsteam mit den mutmaßlich kompetentesten Experten zusammen, um eine Lösung zu finden – so wie jetzt.

Und jetzt wird mir offenbart, dass ausgerechnet July die ranghöchste Arkadierin ist! July, die Planetografin, die zeitweise meine Reiseführerin war, mit der ich rumgealbert habe, die ich zusammengestaucht habe, als sie sich bei der Aufklärung des Mordfalls recht ungeschickt angestellt hat, ohne zu ahnen, mit wem ich es zu tun habe. Aber es passt. Schließlich ist sie eher ein repräsentatives Staatsoberhaupt, dessen Autorität durchaus respektiert wird, das aber keine tatsächliche Macht ausübt. Sie fungiert lediglich als Moderatorin politischer Vorgänge, organisiert hier und da etwas, wenn es nötig ist, und nimmt sich im richtigen Moment zurück. Jedenfalls bin ich beeindruckt, und das soll was heißen!

»Am besten erzähle ich der Reihe nach, was wir beobachtet haben«, beginnt Mia mit leichter Unsicherheit. Offenbar ist sie es nicht gewohnt, vor vielen Menschen zu sprechen, was mich nicht verwundert, wenn ich bedenke, dass sie zusammen mit ihrem Ehemann zurückgezogen von der arkadischen Gemeinschaft lebt.

»Vor etwa zwei Wochen registrierten wir ein Objekt, das sich unserem Planetensystem nähert«, fährt sie fort. »Bereits zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass es sich nicht um einen Asteroiden oder einen Kometen handeln konnte, der zum Aura-System gehört, da der Bahnwinkel und vor allem die ungewöhnlich hohe Geschwindigkeit nicht mit dem Bewegungsimpuls der Planeten übereinstimmen.«

Bis zu diesem Punkt stellt ihre Information für mich nichts Neues dar, da die beiden mir bereits während meines Besuchs vor ein paar Tagen davon erzählt haben. Doch mir wird sofort klar, dass July uns nicht zusammengetrommelt hat, um einem gemütlichen Kaffeekränzchen für Hobbyastronomen beizuwohnen. Für mich besteht kein Zweifel, dass es mit diesem »Objekt« eine besondere Bewandtnis haben muss.

»Es hat eine Länge von nicht ganz zweihundert Metern und eine maximale Breite von fünfzig Metern. Das wäre durchaus normal für einen interstellaren Asteroiden, obwohl wir im Verlauf unserer Fernmessungen feststellten, dass es für ein Objekt dieser Ausdehnung eine ungewöhnlich geringe Masse besitzt. Doch gestern Nacht um dreiundzwanzig Uhr siebzehn registrierten wir etwas, das für ein astronomisches Objekt ein äußerst ungewöhnliches Verhalten darstellt.«

Trotz ihres rhetorischen Ungeschicks versteht sich Mia darauf, ihr Publikum in Atem zu halten, wie ich mit einer gewissen Anerkennung feststelle.

»Zum genannten Zeitpunkt änderte das Objekt durch einen kurzzeitigen und konstanten Energieausstoß die Bewegungsrichtung«, lässt Mia die Katze aus dem Sack.

Etwa ein Drittel der Anwesenden – darunter Greedy und July – reagieren überhaupt nicht auf diese Offenbarung. Ich vermute, dass sie längst über die Sache Bescheid wissen. Ein weiteres Drittel – zu dem auch ich gehöre, wie ich gestehen muss – braucht eine Weile, um die Bedeutung dieser Information zu verarbeiten. Und das restliche Drittel tut mit einem erstaunten Keuchen kund, die Konsequenzen unverzüglich begriffen zu haben.

»Ein solches Verhalten deutet mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass es sich bei diesem Objekt um ein Raumschiff handelt«, setzt Mia auch diejenigen ins Bild, die wie ich eine etwas längere Leitung haben.

Schön und gut – das Aura-System erhält also Besuch von einem Raumschiff. Ein derartiges Ereignis ist für sich genommen nichts Aufregendes, da es alle paar Wochen eintritt, wenn das Linienraumschiff, das regelmäßig mehrere Sonnensysteme abklappert und mit dem ich in wenigen Tagen weiterfliegen werde, hier Station macht. Und gelegentlich dürfte Arkadia auch von anderen Schiffen – Frachtern, Forschungsschiffen oder was weiß ich – angeflogen werden. Ungewöhnlich dürfte die Sache nur dann werden, wenn ein Raumschiff unangekündigt aufkreuzt.

»Daraufhin haben wir uns mit den Leuten von der Raumhafenkontrolle in Verbindung gesetzt«, sagt Mia. »Da sie sich um alles Weitere gekümmert haben, sollte jetzt am besten Bill weitererzählen.«

Bill ist ein hellhäutiger Mann um die fünfzig, der etwas nervös, aber gleichzeitig sehr kompetent wirkt. Auf dem arkadischen Raumflughafen hat er gewissermaßen den Posten des Oberlotsen inne, auch wenn die anarchistischen Arkadier nicht viel von wohlklingenden Titeln halten.

»Als Mia und Paulo uns von ihrer Entdeckung berichteten«, übernimmt er das Wort, »war uns sofort klar, dass es sich nicht um einen planmäßigen Flug handeln kann. Das nächste Raumschiff wird erst in einer knappen Woche erwartet« – das Linienschiff, mit dem ich die Heimreise zur Erde antreten werde – »und darüber hinaus ist kein anderes Schiff angemeldet, das mit diesen Kursdaten übereinstimmt.«

Allmählich werde ich ungeduldig, weil dieser Bill lediglich meine Vermutungen bestätigt. Ich frage mich, warum die Leute ein solches Gewese um ein verirrtes Raumschiff machen. Doch dann schnappe ich unwillkürlich nach Luft, weil mir plötzlich eine mögliche Konsequenz dieser Entdeckung bewusst wird. Die Menschheit hat sich in einem etwas über einhundert Lichtjahre weiten Radius im All umgeschaut und ist auf etwa ein Dutzend intelligente Lebensformen gestoßen, wenn ich mich richtig erinnere. Aber wir sind bisher nie einer fremden Spezies begegnet, die genauso wie wir auf die wahnwitzige Idee gekommen ist, den furchtbar kalten und luftleeren Weltraum in kleinen Kisten aus Metall zu durchqueren. Die Peacocks vom Planeten Eden standen kurz vor diesem Schritt, als sie vor etwa hundertdreißig Jahren unverhofften Besuch durch ein Raumschiff von der Erde erhielten. Wenn ich daran denke, dass ich leibhaftig dabei sein könnte, wie die Menschheit (beziehungsweise die Arkadier – aber in diesem Fall wollen wir nicht allzu pingelig sein) erstmals Kontakt mit einer anderen raumfahrenden Spezies aufnimmt … Bob Bruford wird mein Gehalt verdoppeln – was rede ich! – verzehnfachen, verhundertfachen, wenn ich ihm diese Exklusivstory zuspiele!

Doch als Bill weiterspricht, ahne ich, dass es bestenfalls für eine Gehaltsverdopplung reicht – wenn überhaupt.

»Daraufhin haben wir selbstverständlich versucht, Kontakt mit diesem Raumschiff aufzunehmen. Doch es gelang uns nicht, eine Stringfunkverbindung herstellen, und über lichtschnellen Funk erhielten wir als Antwort lediglich ein sehr schwaches Bestätigungssignal mit den aktuellen Kursdaten. Sonst nichts.«

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich ein außerirdisches Raumschiff anders verhalten würde. Aber wer kann schon sagen, auf welche Ideen exotische Aliens kommen könnten?

»Da wir auf diese Weise nicht weiterkamen, stellten wir einige Nachforschungen an«, berichtet Bill weiter. »Die von Mia und Paulo gemeldeten Abmessungen passen eigentlich nur zu einem bekannten Schiffstyp – der Raumfrachter-Baureihe Tianshi aus den chinesischen Beijing-Werken.«

Also keine Außerirdischen! Ich kann froh sein, wenn ich zu meinem bisherigen Gehalt für Trash Universe weiterarbeiten darf.

»Von dieser Baureihe, außerhalb Chinas auch Himmelsmeister genannt, wurden in den Jahren 2109 bis 2114 insgesamt zwanzig Stück gefertigt, von denen heute noch zwölf im Einsatz sind. Und die Aufenthaltsorte all dieser zwölf Schiffe sind bestens bekannt. Ich muss wohl nicht ausdrücklich erwähnen, dass keins davon in der Nähe von Arkadia unterwegs ist. Sonst hätten wir es kaum für nötig erachtet, euch hier zusammenzurufen.«

Ich sperre die Ohren auf, weil es jetzt offenbar interessant wird – auch wenn sich meine übereilten Vermutungen als unzutreffend erwiesen haben.

»Deshalb haben wir uns sachkundig gemacht, was aus den übrigen acht Schiffen dieses Typs geworden ist«, redet Bill weiter. »In den Datenbanken heißt es, dass zwei durch Meteoritentreffer vollständig zerstört und vier wegen Fluguntauglichkeit verschrottet wurden und eins im technischen Museum von Beijing steht.« Bill blickt sich in der Runde um, bevor er weiterspricht. »Wenn ihr mitgezählt habt, dürfte euch nicht entgangen sein, dass auf der Inventarliste ein Schiff fehlt. Und dieses achte Schiff gilt seit neunundzwanzig Jahren als verschollen, seitdem es von der Erde aufbrach und sein Ziel niemals erreichte. Das Handelsraumschiff Daoling hatte den Auftrag, verschiedene Waren nach Arkadia zu bringen – neben der üblichen Lebensmittellieferung hauptsächlich elektronische Bauteile.«

Einige Sekunden lang herrscht atemlose Stille, bis sich eine Frau mittleren Alters, die mir unbekannt ist, zu Wort meldet. »Ja, ich erinnere mich daran«, sagt sie. »Weil dieses Schiff nicht eingetroffen ist, hat sich der Ausbau des Computerzentrums der Universität verzögert. Aber damals kam es häufiger als heute zu Zwischenfällen mit interstellaren Raumschiffen.«

»Insbesondere mit dem Typ Tianshi«, bestätigt Bill, »bis man vor etwa fünfundzwanzig Jahren die Abschirmung gegen Meteoriten verbesserte. Nicht jedoch bei der Daoling, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits verschollen war. Deshalb ging man davon aus, dass sie durch einen ähnlichen Unfall wie die zwei anderen Schiffe im interstellaren Raum zerstört wurde.«

»Hat man denn nie nach diesem Schiff gesucht?«, fragt die Frau nach.

»Wie in solchen Fällen üblich wurden wenig später ein paar automatische Sonden losgeschickt«, antwortet Bill. »Aber es gab keinen Hinweis darauf, an welchem Punkt der Flugstrecke es zu einem Problem gekommen sein könnte. Also wäre schon eine große Portion Glück nötig, um die Daoling in den Weiten des Alls irgendwo zwischen der Erde und Arkadia aufzuspüren. Wenn wir von der jetzigen Situation ausgehen, scheint der Stringfunk des Schiffs ausgefallen zu sein und der Normalfunk nur mit eingeschränkter Kapazität zu arbeiten. Das heißt, falls jemals ein Notruf abgesetzt wurde, wäre er im kosmischen Hintergrundrauschen untergegangen.«

»Das heißt also, dieses Raumschiff erreicht jetzt nach fast dreißig Jahren doch noch sein Ziel«, fasst die Frau die Tatsachen zusammen.

»Das ist völlig richtig, Dunja«, sagt Bill. »Und genau da liegt das Problem.«

Er macht eine Kunstpause, bevor er diesen Punkt genauer erläutert.

»Wir haben es mit einem veralteten Handelsraumschiff zu tun, das höchstwahrscheinlich einen Unfall im interstellaren Raum hatte und sich seitdem mit Unterlichtgeschwindigkeit unserem Sonnensystem nähert. Wir müssen davon ausgehen, dass die Besatzung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben ist. Nur die automatischen Systeme des Bordcomputers scheinen zumindest teilweise zu funktionieren. Darauf deutet auch die gezielte Kurskorrektur hin, die in der vergangenen Nacht vorgenommen wurde. Eine Kurskorrektur ist ein völlig normaler Vorgang während des Anflugs auf einen Planeten. Doch in diesem Fall wurden zwei entscheidende Navigationsregeln verletzt. Erstens ist die Geschwindigkeit dieses Raumschiffs viel zu hoch. Es hätte viel früher mit der Bremsphase beginnen müssen. Bei diesem Tempo lässt es sich selbst unter maximalem Gegenschub nicht mehr genügend verzögern, um einen stabilen Orbit um Arkadia einschlagen zu können.«

Einige Leute, die offenbar wesentlich mehr von Raumfahrt verstehen als ich, haben die Stirn gerunzelt und flüstern leise miteinander.

»Der zweite Regelverstoß ist wesentlich gravierender«, fährt Bill fort. »Ein Raumschiff darf niemals auf exakten Kurs zu einem planetaren Ziel gebracht werden, damit es nicht zu einer Katastrophe kommt, falls anschließend die Korrekturtriebwerke versagen sollten. Die Daoling jedoch befindet sich derzeit auf Kollisionskurs mit Arkadia. Das heißt, wenn nichts geschieht, wird das Schiff« – er wirft einen Blick auf seinen Armbandcom – »in drei Tagen, vierzehn Stunden und dreiundvierzig Minuten auf unseren Planeten stürzen.«

Insgeheim habe ich natürlich darauf gehofft, dass ich mich mit dem Linienschiff aus dem Staub machen kann, bevor die Sache ernst wird. Aber jetzt sieht es so aus, als würde ich plötzlich mit den Arkadiern in einem Boot sitzen, da es nicht rechtzeitig eintreffen wird, um meine Haut zu retten. Möglicherweise bin ich sogar gezwungen, meinen Aufenthalt zu verlängern, weil das Aura-System in den nächsten Tagen oder Wochen aus Sicherheitsgründen für jeden Raumflugverkehr gesperrt wird.

Bob Bruford wird jedoch einen Luftsprung machen, wenn er erfährt, dass sein bester Mann ausgerechnet zu diesem kritischen Zeitpunkt auf Arkadia weilt, um exklusiv und aus erster Hand über die Krise zu berichten. Wieder einmal kommen mir ernste Zweifel, ob es eine kluge Entscheidung war, eine Berufslaufbahn als Reporter einzuschlagen. Vielleicht werde ich mir ein neues, harmloseres Betätigungsfeld suchen, wenn diese Sache vorbei ist – falls ich mit heiler Haut davonkommen sollte, versteht sich.

Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, kommt allmählich eine Diskussion zwischen den Anwesenden in Gang. Doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Leute an der Sache vorbeireden, weshalb ich mich schließlich selbst zu Wort melde.

»Es mag ja sein, dass sich dieses Raumschiff nicht ganz korrekt verhält«, sage ich. »Aber wenn es schon einmal den Kurs geändert hat, könnte es doch eine weitere Korrektur unternehmen, um einen direkten Zusammenstoß zu vermeiden.«

»Das wäre theoretisch natürlich möglich«, erwidert Bill. »Das Verhalten des Schiffs deutet darauf hin, dass alle technischen Systeme mit normaler Kapazität arbeiten – abgesehen vom Überlichtantrieb. Da die Besatzung vermutlich nicht mehr am Leben ist, muss es also ein Problem mit dem Bordcomputer geben, der zwar aktiv ist, aber durch den Unfall irgendeinen Schaden erlitten haben könnte.«

»Wir dürfen uns nicht auf die vage Möglichkeit verlassen«, wirft July ein, »dass die Sache vielleicht doch noch gut ausgeht. Wenn ich sehe, dass ein Verrückter mit seinem Gleiter genau auf mich zurast, springe ich sofort zur Seite. Vor allem, wenn er mich kurz vorher genau ins Visier nimmt. Das Problem ist nur, dass wir unseren Planeten nicht einfach so aus der Schusslinie schieben können.«

Allmählich wird mir klar, dass die Sache durchaus ernst ist.

»Und was genau haben wir zu befürchten, wenn das Schiff auf Arkadia stürzt?«, frage ich.

»Das hängt ganz davon ab, wo es aufschlägt«, erklärt Mia. »Wenn es ins Nordmeer stürzt, würden wir hier auf der Südhalbkugel kaum etwas bemerken, doch wenn es im Südmeer niedergeht, könnte die Stadt von der Flutwelle getroffen werden. Dabei geht die größte Gefahr gar nicht von der Masse des Schiffs aus, sondern von der zu erwartenden Explosion des Tetra-Reaktors. Je weiter die Absturzstelle von uns entfernt ist, desto geringer dürften sich die unmittelbaren Auswirkungen bemerkbar machen. Trotzdem könnte es auf Jahre hinaus ziemlich ungemütlich auf diesem Planeten werden, wenn der Temperaturhaushalt oder der Wetterzyklus nachhaltig gestört werden.«

»Wie auch immer«, sagt July, »wir sollten auf jeden Fall etwas unternehmen, um zu verhindern, dass dieses Schiff auf Arkadia stürzt.«

Da offensichtlich niemand stillsitzen und darauf hoffen will, dass schon nichts passieren wird, regt sich nirgendwo Widerspruch.

»Könnte man nicht versuchen, den Computer per Funk zu programmieren, den Kurs des Schiffs zu ändern?«, fragt jemand.

»Das hätten wir längst gemacht, wenn es möglich wäre«, erwidert Bill. »Aber da wir nur mit lichtschnellen Radiosignalen arbeiten können, wäre das äußerst umständlich, weil das Schiff derzeit eine knappe Lichtstunde von uns entfernt ist.«

»Das heißt«, bemerkt der Frager, »wir müssten jeweils zwei Stunden auf die Antwort warten.«

»Genau«, bestätigt Bill. »Der Computer hat auf unsere bisherigen Kontaktversuche nur mit einer Übermittlung der Kursdaten reagiert. Er registriert zwar, dass er angesprochen wird, aber zu einem Datenaustausch ist er nicht in der Lage.«

»Das klingt nach einem Biocomputer der Beta-Generation«, sage ich.

Hätte ich geahnt, welche Folgen diese beiläufig dahingeworfene Bemerkung für mich haben sollte, hätte ich vermutlich den Mund gehalten. Andererseits wäre ich dann womöglich um eine abenteuerliche Erfahrung ärmer gewesen – und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben, um diese Reportage zu Ende schreiben zu können.

Bill sieht mich verblüfft an. »Genau damit waren die Schiffe des Typs Tianshi zu jener Zeit ausgerüstet«, sagt er. »Kennst du dich mit diesen Computern aus?«

»Ich habe mich fast ein Jahr lang mit einem solchen Ding herumgeärgert«, antworte ich, »weil ich auf die idiotische Idee gekommen war, die Abschlussarbeit meines Journalismusstudiums über Biocomputer zu schreiben. Als anderthalb Jahre später die Gamma-Generation eingeführt wurde, hatten meine Ergüsse allenfalls historischen Wert.«

»Glaubst du, du könntest es schaffen, einen funktionsgestörten Biocomputer zu reparieren?«

Meine Reaktion ist der Situation zwar nicht gerade angemessen, aber ich muss trotzdem schallend lachen. »Einen Biocomputer kann man nicht reparieren!«, kläre ich Bill auf, der offensichtlich keine Ahnung von diesen Dingern hat. »Man kann bestenfalls die durchgeknallten Proteinchips austauschen und hoffen, dass das Gesamtsystem wieder ungefähr den früheren Wissensstand und Intelligenzquotienten erreicht, wenn es das Lernprogramm durchlaufen hat.«

»Und wie lange dauert so ein Lernprogramm?«, erkundigt sich Bill.

»Je nach Umfang der Störung zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen«, erkläre ich. Als ich Bills enttäuschtes Gesicht sehe, füge ich hinzu: »Man kann natürlich auch versuchen, den Patienten zu therapieren. Die meisten Probleme eines Beta-Biocomputers lassen sich mit einem klärenden Gespräch aus der Welt schaffen.«

»Wie bitte?«

»Ja, sie sind recht sensible Wesen. Deshalb wurden sie später durch Systeme ersetzt, bei denen die Elektronik die Biologie kontrolliert und nicht umgekehrt.«

Die Wahrheit ist natürlich etwas komplizierter, aber ich will in diesem Moment keine langatmigen Vorträge über das Seelenleben moderner Biocomputer halten. Und ich möchte keine Biocomputer der Gamma- und Delta-Generation vor den Kopf stoßen, die möglicherweise meine Reportage zu Gesicht bekommen!

»Dann hoffe ich, dass wir gegebenenfalls auf deine Erfahrungen zurückgreifen können, Adrian«, sagt July ungewohnt freundlich.

»Es verschafft mir sogar eine gewisse Befriedigung, wenn ich euch mit meinen bescheidenen Kenntnissen behilflich sein kann«, erwidere ich.

Hätte ich geahnt … aber ich will mich nicht pausenlos darüber ärgern, dass ich ein beschaulicheres Leben führen könnte, wenn ich hin und wieder einfach mal die Klappe halten würde.

»Könntest du versuchen«, fragt Bill nachdenklich, »den Bordcomputer über Funk zu … therapieren?«

»Du meinst, wenn das Schiff nahe genug herangekommen ist, um nicht Stunden auf die Antwort zu warten?«, sage ich. »Theoretisch könnte es gehen, doch dazu müsste er zumindest bereit sein, mit mir zu reden. Aber wenn er nicht einmal auf simple Anfragen eingeht, scheint er sich fast völlig von der Außenwelt abgeschottet zu haben. Vermutlich der Schock, den der Unfall ausgelöst hat, oder unbewältigte Schuldgefühle – etwas in der Art. In diesem Fall könnte man ihn zum Beispiel aus der Reserve locken, wenn vorübergehend die Strom- oder Nährstoffzufuhr unterbunden wird, damit er aus seiner Erstarrung aufwacht.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so einfühlsam mit lebenden Wesen umgehen kannst«, bemerkt Greedy mit leichter Häme.

»Biocomputer können ziemlich verrückt reagieren«, gebe ich zurück, »aber im Gegensatz zu Menschen – und insbesondere Frauen – entbehrt ihr Wahnsinn nie einer gewissen Logik.«

»Wahrscheinlich kommt es dir nur so vor, weil Biocomputer von Männern entwickelt wurden«, erwidert Greedy.

»Im Gegenteil, Frauen hatten einen erheblichen Anteil an …«

»Kinder!«, fährt July dazwischen. »Hört sofort auf zu streiten! Wir haben im Augenblick wichtigere Probleme.«

Greedy und ich zucken verschämt zusammen, als hätte man uns beim Doktorspiel erwischt. Trotzdem werfen wir uns einen verschmitzten Seitenblick zu, bevor wir wieder ernst werden.

»Wie es scheint«, fasst Bill die Situation zusammen, »können wir von hier aus nur wenig erreichen. Damit bleibt uns nur noch die Möglichkeit, das Problem am Ausgangspunkt zu lösen.«

»Und was stellst du dir konkret vor?«, fragt July.

»Ganz einfach«, sagt Bill. »Jemand fliegt mit unserem Freund Adrian Ginjeet zur Daoling, damit er den Bordcomputer überredet, den Kurs zu ändern.«

Ich bin zunächst viel zu verdutzt, um auch nur den leisesten Protest äußern zu können. Ich soll mich an Bord eines fast hundert Jahre alten Raumkahns begeben, dessen Biocomputer eine Macke hat? Ist diesen Leuten nicht bewusst, wie gefährlich es ist, mit einem winzigen Gefährt durch den luftleeren Raum zu düsen?