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Sie müssen diesen Bullen nicht mögen - aber Ruben Rubeck ist einer von den Guten!
»Mein Name ist Ruben Rubeck. Ich bin siebenundvierzig, sehe aus wie siebenundfünfzig und fühle mich manchmal wie siebenundachtzig. Geschieden, kinderlos und Kriminalkommissar, was in meinem Alter ein lächerlich niedriger Dienstgrad ist, aber das geht mir am Arsch vorbei. Ich komme zurecht. Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist mein Revier. Viele denken, ich würde da wohnen, weil es bei mir für mehr nicht reicht, weil ich mich im Dreck wohlfühle und mit meinem Gesicht sowieso nirgends sonst in Frankfurt eine Wohnung bekäme, aber das stimmt nicht. Ich hab’s einfach gerne nah zur Arbeit.«
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Seitenzahl: 268
Ruben Rubeck ist am Ende. Er säuft wie ein Loch, raucht wie ein Schlot und lebt alleine in einer Altbaubude im Frankfurter Bahnhofsviertel. Seine Dienststunden reißt er desinteressiert runter. Er ist ein Profi, aber er hat keinen Jagdinstinkt. Nicht mehr. Rubeck war früher Zivilfahnder, ein Straßenbeißer. Aber seine körperliche Fitness hat unter Alkohol und Zigaretten gelitten. Außerdem fühlt er sich privat im Rotlicht zu wohl. Vor dem Polizeidienst war er acht Jahre bei der Bundeswehr. Darüber redet er nicht gerne. Vom harten Leben wird Rubeck eines Abends eingeholt, als er in einen Überfall gerät. Zwei Männer liegen kurze Zeit später auf dem Bürgersteig, einer tot, einer verletzt. Der Tote war offenbar Bodyguard eines kosovarischen Gangsterbosses, und schon bald kann Rubeck keinem mehr trauen – erst recht niemandem aus den eigenen Reihen …
GREGOR WEBER
ASPHALTSEELE
ROMAN
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
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Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2016
Copyright © 2016 by Gregor Weber
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Heiko Arntz
Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel/punchdesign, München,unter Verwendung eines Motivs von © mathias the dread / photocase.de
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-16851-3V002
www.heyne-hardcore.de
1999
Der See glitzert im tiefen Licht der Sonne. Weiße Dreiecke flirren auf dem Wasser. Hier und da Juchzer und Kreischer. Platschen und Klatschen. Man kann es hören bis zur Terrasse des Restaurants, aber angenehm gedämpft. Den Nachmittag haben die vier Männer auf dem Wasser verbracht. Einer von ihnen, Speedy, kann segeln, und sein Vater hat ein Boot hier am See. Auf dem Boot hat er es als Zehnjähriger gelernt.
»Macht euch einen guten Tag damit, Junge«, hat der Vater gesagt.
Sie sind hoch am Wind zur Mitte des Sees gekreuzt. Dort haben sie Anker geworfen, sind geschwommen, haben Bier getrunken und rumgeblödelt. Nach zwei oder drei Stunden haben sie wieder Segel gesetzt und sind keine halbe Stunde später in den kleinen Hafen auf der anderen Seite eingelaufen. Sie haben Eis gegessen und sich dann vom rauen Wind bis an den Anleger zurücktragen lassen. Die drei Nichtsegler haben die Flaschen weggeräumt und allgemein Ordnung unter Deck gemacht, während Speedy, der Skipper, die Segel festgezurrt und mit einer Persenning umhüllt, die Pinne festgelegt, alle Leinen noch mal sauber aufgeschossen und Fender ausgebracht hat. »Seeklar zurück machen«, hat er es genannt und lachend den Kopf geschüttelt.
Jetzt guckt er von der Restaurantterrasse noch mal auf das Boot und hebt seine Bierflasche. »Mein Alter wäre so verflucht gerne Kapitän geworden.«
»Dein Alter ist okay. Ich meine, wer gibt Typen wie uns sein schickes Boot, woll?« Quitte prostet Speedy zu.
Alle lachen. Bongo sagt: »Der Einzige hier, der kein Boot haben sollte, bist du, Alter. Wir mussten Kaution hinterlegen, damit du mitdarfst.«
Quitte zieht seine dunklen Augenbrauen zusammen und sieht einen nach dem anderen an.
»Ährlich?«
Alle nicken todernst.
»Gibbet doch nich. Ich dachte, dein Alter mag mich, ey. Der ist immer voll nett zu mir.«
Speedy seufzt.
»Tja. Er ist halt höflich.«
»Nä.«
»Doch.«
»Nääääää. Dat glaub ich nich.«
Jetzt können die anderen drei nicht mehr die Fassung bewahren.
»Reg dich nicht auf, Quitte. Alles cool. Keiner hat Kaution bezahlt. Und mein Vater mag dich.«
Quitte haut Speedy mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.
»Ich bin immer hinter dir, Alter. Vergiss das nicht. Und jetzt schuldet ihr mir eine Runde.«
»Ne Runde?«, meldet sich Bongo wieder. »Wir zahlen uns und dir ’ne Runde, oder wie? Also jeder soll ein Getränk für sich kaufen und ein Drittel Getränk für dich? Richtig? Oder meinst du, jeder von uns zahlt ’ne Runde? Jeder von uns außer dir natürlich. Oder wir alle zahlen dir eine komplette Runde? Also wir drei kaufen gemeinsam eine Runde, die du aber allein trinkst? Oder, ganz wilde Nummer: Jeder von uns drei kauft eine Runde für dich, und du trinkst die alle?«
Quitte sieht Bongo wütend an. »Hör auf mit der Klugscheißerei, Bongo, hörsse?«
Bongo zuckt übertrieben mit den Achseln.
»Ich mein’ ja nur. Ich möchte eben verstehen, was du sagst. Das ist oft schwierig, Quitte. Du hast so komplizierte Gedanken.«
Die zwei anderen haben sich bisher zusammengerissen, aber jetzt spritzen Speedy Mayo aus der Nase und Krümel von den Pommes. Der vierte, Mücke, hat noch gar nichts gesagt. Er hält die Hand vor den Mund, als könnte er so sein Lachen verstecken. Er ist der Jüngste am Tisch.
»Leck mich, Bongo. Du, du und du«, er zeigt nacheinander auf seine Kumpels, »ihr schuldet mir ein verkacktes Bier. Eins«, er hebt einen Finger. »Dafür, dass ihr den ältesten und trotzdem geilsten Typ am Start so mies behandelt habt. Wer das wie bezahlt, is’ mir völlich egal. So. Und getz will ich bitte in Ruhe mein Schnitzel verputzen, ihr Saftsäcke.«
Quitte ist ein Typ, der schnell mal die Beherrschung verliert. Das konnte manchmal zum Fürchten sein. Aber sie kennen sich schon eine Weile, und jeder am Tisch weiß, dass er im Grunde ein lieber Bär ist.
Die Sonne versinkt glutrot hinter dem Horizont, das Gras ist sattgrün, vom See weht eine kühle, modrige Brise. Das Essen duftet und schmeckt wie das pure Leben, an den Bierflaschen läuft schimmernd Kondenswasser herunter.
Sie werden oft an diesen Tag denken in den nächsten Jahren. Nicht, dass es danach nur noch schlechte Tage geben wird. Das nicht. Aber in ihrer Erinnerung wird dies der letzte Tag gewesen sein, an dem sie sich frei und unbesiegbar fühlten.
1
Manche Tage ziehen sich endlos hin. Schon auf dem Weg zur Arbeit erscheint mir dann der Asphalt wie ein Laufband am Flughafen, auf dem ich in die falsche Richtung gehe. Ich komme einfach nicht vorwärts. Der Kerl im Glaskasten findet den Summer nicht. Die Tür klemmt. In der Kantine stehe ich ewig an für einen Kaffee, der dann nur lauwarm ist, was zu der immer gleichen Frage führt, nämlich warum ich nicht wie alle anderen eine Kaffeemaschine im Büro stehen habe. Den Vormittag über schiebe ich dann Papierstapel auf meinem Schreibtisch von links nach rechts, gucke, dass sie dabei ein winziges bisschen kleiner werden, indem ich mich aufraffe, den Scheißkasten von uraltem PC anzuwerfen, um irgendwelche »Vorgänge« zu »bearbeiten«. Irgendwann mittags verziehe ich mich dann nach draußen, weil ich die Kantine nur einmal am Tag ertrage, und das eine Mal ist mit dem Morgenkaffee schon verbraucht. Ich latsche rum, gehe entweder ins »Rhodos« oder in die »Eiche« oder ziehe mir einen Imbiss rein. Burger-Döner-Rindswurst. Egal. Am Nachmittag – schon das Wort klingt nach zu engen Hosen und quietschendem Bürostuhl – setze ich die meditativen Sinnlosigkeiten des Vormittags fort, bis ich die vorgeschriebene Mindestzeit abgehockt habe und rauskann. Danach bisschen einkaufen, vielleicht ein paar Bier im »Schlabbekicker« und ab nach Hause.
Das sind die guten Tage.
An den weniger guten Tagen kriegen wir neue Kundschaft auf der Straße. Oder wir erschrecken die alte. Weil irgendein Oberhirsch findet, »dass wir mal wieder was machen müssen«. Wobei die Oberhirschen lustigerweise dabei nie was machen – was heißt hier also »wir«? Solche Tage sind dann gern Nächte. Ich ducke mich mit ein paar Kollegen an irgendeiner Straßenecke in den Schatten, muss leise keuchen, weil die Schutzweste zu eng ist, und hab die Hand an meiner SIG Sauer P6 im Hüftholster, bis jemand sagt: »Jetzt.« Dann rumpeln wir in eine schlecht beleuchtete Bude, in der illegal gezockt oder Stoff gepanscht wird oder benebelte Frauen ungewaschene Schwänze lutschen. Wir schreien rum und schubsen stinkende und verdammt schlecht gelaunte Typen an die Wand, während kreischende Frauen an unseren Jacken zerren, bevor unsere Mädels sie auf den Boden drücken. Die jungen Kollegen rennen den Vollidioten nach, die tatsächlich denken, dass sie es mit dem Zeug, das sie nicht dabeihaben dürfen, bis ins Klo oder womöglich auf den Hinterhof und dann nach Hause schaffen, und danach gibt es noch mehr Geschrei und blaue Augen und ausgekugelte Arme und den Satz »Scheißbulle, ich fick deine Mutter« in allen möglichen Sprachen. Ich bin dann froh, dass ich nur Deutsch verstehe, weil das hier kaum noch einer spricht. Zumindest nicht an diesen Tagen.
Mein Name ist Ruben Rubeck. Ich bin siebenundvierzig, sehe aus wie siebenundfünfzig und fühle mich manchmal wie siebenundachtzig. Für siebenundachtzig bin ich aber noch ziemlich fit. Geschieden, kinderlos und Kriminalkommissar, was in meinem Alter ein lächerlich niedriger Dienstgrad ist, aber das geht mir ganz ehrlich am Arsch vorbei. Ich komme zurecht. Ich wohne seit fünfzehn Jahren in Frankfurt und bin hier genauso lange Bulle.
Das Bahnhofsviertel ist mein Revier und meine Gegend. Viele denken, ich würde da wohnen, weil mein Geschmack so mies ist, weil ich mich im Dreck wohlfühle und mit meinem Gesicht sowieso nirgends sonst in Frankfurt eine Wohnung bekäme, aber das stimmt nicht.
Ich hab’s einfach gern nah zur Arbeit.
Haha.
Dieser bestimmte Tag war ein guter Tag. Er zog sich, tat aber nicht weh.
Zuerst jedenfalls nicht.
Ich hatte pünktlich mein Büro hinter mir zugemacht, in dem ich allein sitze, weil die Leute sich meine Launen ersparen wollen. Ich musste nichts einkaufen, weil ich am Tag vorher gerade einkaufen war. Ich konnte also gleich ab in den »Schlabbekicker«.
Hennes stand hinterm Tresen, wer auch sonst?
»Ei Gude, wie?«, mümmelte er und griff nach einem Bierglas, um es unter den Zapfhahn zu halten.
Das ist zu Hause.
Nix bestellen müssen. Noch nicht mal »das Übliche« sagen müssen. Einfach an die Bar schieben, und alles ist klar.
Hennes stellte das Bier vor mir ab.
»En Kurze dazu?«
»Noch nicht. Danke.«
Hennes nickte.
»Hennes, machsde uns noch ein Gedeck?«, lallröhrte es aus der Ecke. Die Rentnergang. Echte Frankforder. Früher Großmarkt. Breite Schultern, eingeschlagene Nasen, rote Gesichter. Stimmen wie grobes Schleifpapier auf Granit. Schwielige und knotige Hände.
»Ach, der Sheriff! Alles fit?« Die drei lachen sich immer kaputt, wenn sie mich sehen. Ich hob mein Bier und nickte, prostete den Jungs zu.
Über ihrem Tisch stand eine dicke Qualmwolke, und das ist fast das Beste am »Schlabbekicker«: Einraumgaststätte bis fünfundsiebzig Quadratmeter mit einfachen Speisen – die dürfen selbst entscheiden.
Ich zog meine Roth-Händle aus der Jacke und schnippte eine raus. Die ganze Rauchhysterie hat auch was Gutes. Ich quarze tagsüber viel weniger, weil mir der Weg in den Innenhof der Wache einfach zu weit ist. Und im Herbst und Winter stelle ich mich da gar nicht hin, da kann ich mich beherrschen. Finde ich unwürdig, so bibbernd da draußen zu stehen und zu süchteln. Ich will lässig aussehen beim Rauchen, das ist schließlich der Sinn der Sache. Abends hole ich dann nikotinmäßig allerdings ziemlich auf. Ist ja auch egal, mir schmeckt’s jedenfalls noch.
Hennes stellte mir kommentarlos das zweite Bier hin, wartete einen Augenblick, bis ich das erste ganz leer hatte, und nahm es mir ab.
Lief super.
Ein Bier später bestellte ich mir Rippcher mit Kraut. Danach einen Obstler, der hier richtig gut ist. Von Hennes’ Bruder, der wohnt im Taunus und hat eine Streuobstwiese.
Das Bier nach dem Obstler schmeckte dann wieder so gut wie das erste des Abends.
Dann ging die Tür auf. Das tat sie zwar öfter, weil der »Schlabbekicker« beliebt ist, aber wenn Ina reinkommt, dann unterscheidet sich das doch immer erheblich von den anderen Malen.
Ina tritt nämlich auf.
»Nabend, ihr Drecksäcke«, trällerte sie und fuchtelte dazu mit ihrer Kippe herum. Hennes ging an die Kaffeemaschine, weil Ina hier vor der Schicht immer Kaffee trinkt. Der »Schlabbekicker« ist für eine Menge Leute ein Zuhause, und Hennes kennt die Gewohnheiten seiner Stammkunden.
Ina schob den Barhocker links von meinem mit dem Fuß näher ran und drückte sich eng an mich, während sie sich draufsetzte.
»Hey, Bulle«, kitzelte mich ihre rau-samtene Stimme im Ohr, während sie ihre Hand auf meinem Oberschenkel parkte. »Kommste nachher vorbei?«
Ina schafft im »Love’s In« an. Früher hat sie nur in erstklassigen Läden gearbeitet, aber vierzig ist einfach ein scheißhartes Alter für eine Nutte. Obwohl Ina immer noch spitze aussieht. Ich hab ihr mal geholfen, Jahre her. Ich mag sie echt gern.
»Denke schon«, grinste ich, und dabei fiel mir auf, dass ich ziemlich betrunken war. Ich grinste nämlich total bescheuert.
Ina lachte laut.
»Wie es aussieht, werden wir mal wieder bloß quatschen und Piccolo nuckeln. Na, mir soll’s egal sein, ist deine Kohle.«
Ich mache mir da nichts vor: Wenn ich Ina im Puff besuche, bin ich auch bloß ein Freier. Aber wenigstens einer, den sie schon kennt.
Sie trank ihren Kaffee flott aus. Der Kaffee ist bei Hennes nie sehr heiß. Sie gab mir einen spitzen Kuss auf die Wange, und ich grinste noch dämlicher als vorher. Ich hatte ja inzwischen noch ein Bier intus.
Die nächste Stunde hielt ich mich biermäßig zurück. Ich trank sogar einen Kaffee. Wenn ich wirklich noch zu Ina gehen würde, wollte ich sie schließlich nicht enttäuschen. Oder eher mich. Ina ist es vermutlich ziemlich egal, wie fit ein Freier ist, Hauptsache, er zahlt, kotzt die Bude nicht voll und benimmt sich einigermaßen.
Gegen elf stand ich auf der Straße und beschloss, erst mal zu testen, wie breit ich wirklich war, bevor ich eine Entscheidung traf. Ich streunte kreuz und quer durchs Bahnhofsviertel. An Stripclubs und Tabledance vorbei, Peepshows, Spielhallen und Puffs. Wenn’s einer von den schlechten Tagen war, hasste ich das Viertel, dann ekelte mich der Dreck an und die Gier. Die billigen Vergnügen, für die eine Menge Frauen am Ende teuer bezahlen.
Aber an einem guten Tag und mit ein paar Bierchen im Bauch fühle ich mich echt gut hier. Die Neonlichter, die erlebnisgeilen Spießer, die Dealer und die Koberer. Dazwischen die Handyshops und Imbisse. Wenn ich dann durch die Moselstraße latsche und die Bankentürme sehe, weiß ich doch genau, wo die Verbrecher hocken.
Ich trieb an den Clubs vorbei, die Sex, Sex, Sex schrien, und kurvte schließlich in eine weniger belebte Ecke. Ich musste eine Entscheidung treffen, wie der Abend weitergehen sollte. Zwei freie Tage lagen vor mir.
Und dann hörte der Tag auf, einer von den guten zu sein. Er wurde richtig mies.
Jemand schoss auf mich.
Also nicht auf mich, aber auf jeden Fall schossen da welche um sich, und ein verdammter Querschläger war knapp an mir vorbeigesaust. Das Gute daran, dass man einen Schuss hört, ist, dass man nicht tot ist.
Vor mir stand eine hysterisch schreiende junge Frau auf dem Bürgersteig. Ich machte zwei erstaunlich flotte und sichere Schritte, warf mich auf sie und brachte sie kontrolliert zu Boden. Gelernt ist gelernt, auch mit Bierchen. Sie schrie dann allerdings noch hysterischer und versuchte, mich abzuschütteln.
»Ich bin Polizist, keine Panik. Hören Sie? Ich. Bin. Polizist.«
Wenn sie meinen Atem riechen konnte, dann würde diese Information sie auch nicht sehr beruhigen.
»Hilfe«, heulte ein Typ rechts von mir. »Hilfe!« Er kauerte keine fünf Meter entfernt in einer Hofeinfahrt und hatte den Kopf in seine Hände geklemmt wie in einen Schraubstock. Die Frau hörte auf, sich zu schütteln und krampfte sich stattdessen brettsteif in meine Arme.
Es fielen wieder zwei Schüsse, schnell hintereinander. Zwei verschiedene Waffen. Keine kleinen, das stand fest.
Ich konnte nicht weit gucken, weil mir ein großer Müllcontainer die Sicht nahm.
»Wir kriechen jetzt da rüber in die Hofeinfahrt, ja? Hören Sie mich?«
Sie schluchzte, nickte zitternd. Wir krochen los.
In der Einfahrt versuchte ich, den Typ dazu zu bringen, seine Augen aufzumachen, aber der spielte einfach weiter Vogel Strauß. In der Frau dagegen regten sich Beschützerinstinkte: Sie nahm den Lappen in die Arme und fing an, beruhigend auf ihn einzureden.
»Ist ja gut, Torben, die Polizei ist da. Ist ja gut.«
Ah, man kannte sich. Gut. Ich zog zuerst mein Handy aus der Jackentasche, dann meine Dienstwaffe aus dem Holster und lugte um die Ecke.
Wieder ein Schuss, dann noch zwei schnelle hinterher. Kein Gebrüll. Da waren auf jeden Fall Typen zugange, die das nicht zum ersten Mal machten. Das war gut. Bei Schießereien gibt es nichts Schlimmeres als Anfänger.
Ich drückte die Kurzwahl für mein Revier. Hönscheid müsste eigentlich rangehen. Und so war es.
»Ich bin’s. Rubeck.« Ich sprach leise. Die Schützenkönige mussten mich ja nicht gleich hören.
Hönscheid lachte blöd. »Was issen? Sollen wir dich aus dem ›Schlabbekicker‹ holen?«
Wieder fiel ein Schuss.
»Scheiße, Rubeck, was is’ los?«
»Ich bin, wart mal, Niddastraße, zwischen Karls und Düsseldorfer. Ich kann noch nicht sehen, wer und wie viele, aber die schießen hier.«
»Mach kein Scheiß, Alter, wir sind gleich da.«
»Alles klar.«
Ich legte auf.
Was heißt schon Scheiß machen in dem Job? Wo fängt das an, wo hört das auf?
»Ihr bleibt hier, verstanden?«
Ich lief gebückt und in Deckung des Müllcontainers vor. Immerhin schien die Straße bis auf die Cowboys vom O. K. Corral und das Traumpaar menschenleer.
Ich linste um den Container, und jetzt sah ich, gut zwanzig Meter entfernt, zwei Typen in Jeans und Lederjacken. Einer lag auf dem Boden und machte den Eindruck, als hätte er es bereits hinter sich. Eine Pistole lag auf dem Pflaster. Sein Kumpel hockte halb in der Deckung eines geparkten Autos neben ihm und hatte beide Arme mit der Waffe nach vorn gestreckt.
Stabiles Schießgestell. Der wusste, was er machte. Und war nicht feige. Wollte die anderen kriegen.
Die anderen konnte ich von meiner Position aus nicht sehen. Es waren mindestens zwei, denn jetzt schossen beide, und der Typ auf dem Bürgersteig ging tiefer in Deckung, guckte aber eisern nach vorn.
Ich schob mich vorsichtig nach links in Richtung der Autos. Kniete mich zwischen einen Passat Kombi und einen Hyundai. Lugte vorsichtig ums Eck.
Es waren drei. Standen mitten auf der Straße, gebeugte Knie, tänzelten, suchten eine Lücke, in der sie ihren Gegner erwischen konnten. Sie hatten Pistolen und Kutten. Hells Angels. Der Typ in der Lederjacke sah nach Balkan aus, Osteuropa. Rotlicht, Stoff. Irgend so was. Ein scheiß Bandenkrieg war das hier. Und ich mittendrin, statt nur dabei.
So ein Dreck.
Dann hörte ich Sirenen. Ich duckte mich tiefer, versuchte aber, die drei Rocker im Blick zu behalten.
Die guckten sich nur kurz an, dann spurteten sie in meine Richtung los. Ich sah zu, dass ich flott aus dem Sichtfeld kam, und landete in einer Burger-King-Tüte, die irgendwer hier voll beladen fallen gelassen hatte. Cola. Whopper. Pommes. Ketchup. Klasse.
Die Rocker trugen geschnürte Stiefel mit Gummisohlen. Für so ein Vorhaben sinnvoller als Biker-Boots. Sie trennten sich auf meiner Höhe, wollten offensichtlich einzeln und in unterschiedliche Richtungen abhauen.
Die Kollegen kamen näher.
Ich stemmte mich hoch. Schüttelte mir Fastfood von der Jacke und linste nach den beiden anderen Typen.
Der eine kniete neben seinem Kumpel. Stellte offenbar fest, dass Erste Hilfe hier vergebens war, und schaute dann zuerst nach rechts und dann nach links, den Rockern hinterher.
Dabei sah er mich. Und meine Pistole.
Ich riss sie hoch und schrie: »Polizei! Waffe fallen lassen!«
Der Typ machte keine Anstalten, meiner Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen zielte er auf mich.
Druckpunkt, nicht atmen, bei entspanntem Hahn ganz gleichmäßig den Abzugswiderstand überwinden, nicht reißen, sich vom Schuss überraschen lassen.
Ich bin kein besonders guter Bulle. Bin nicht übermäßig fit. Aber ich kann echt gut schießen.
Im nächsten Moment lagen da zwei Kerle auf dem Bürgersteig. Ich beließ die Waffe im Anschlag, löste aber die linke Hand, nestelte meinen Dienstausweis aus der Jacke und hielt ihn hoch.
Die zuckenden Blaulichter blendeten mich. Türen wurden aufgerissen.
»Polizeibeamter. Ich bin Polizeibeamter. Nicht schießen!«
Dann wollten die Bierchen, die Rippchen und das Kraut doch nicht mehr bei mir bleiben.
2
»Zwei Murmeln sauber nebeneinander reingehämmert, Alter.«
Wenn mein Magen nicht schon leer gewesen wäre, hätte ich dem stiernackigen Blondschopf vom MEK glatt auf die Hose gekotzt. Die Pfütze war keinen Meter entfernt, und ihr Geruch mischte sich mit dem von Blut und abgefeuerten Schüssen.
Ich hockte auf den Eingangsstufen eines Altbaus, um mich herum wuselten die Kollegen.
Zwei Schuss? Echt? Ich hätte geschworen, ich hatte nur einmal gefeuert. Aber ich war ja auch nicht mehr nüchtern gewesen. Jetzt, so leer gekübelt, fühlte ich mich eher zu klar. Ein unangenehmer Zustand, den ich in der Regel mit Bier bekämpfe. Der Typ, den ich erwischt hatte, wurde von einer Ärztin und einem Sani versorgt. Der Sani hantierte mit Verbandszeug, die Ärztin mit einer Beatmungsmaske, nachdem sie den anderen Kerl, der zwei Meter dahinter lag, offiziell für tot erklärt hatte. Sie redete fortwährend auf den Angeschossenen und ihren Helfer ein. Aber nur der zweite antwortete ihr.
Solange sie an dem Typ herummachten, lebte er, das beruhigte mich. Andererseits, warum aufregen? Der hatte auf Kerle geschossen, die auf ihn geschossen hatten, und hatte dann sein Eisen auf einen Typ gerichtet, der ihm klar und deutlich angesagt hatte, dass er Polizist war. So jemand weiß, was er tut, und vor allem, was er besser lässt. Er hatte sich den Scheiß hier selbst eingebrockt. Jetzt hing für ihn alles von einer jungen Notärztin und einem etwas übergewichtigen Rettungsassi ab. Hätte schlechter laufen können, nach allem, was ich sah. Beide arbeiteten ruhig und konzentriert.
Das MEK war sieben Mann und eine Frau hoch in zwei schwarzen Transportern aufgelaufen. Perfekt getimte taktische Anfahrt von zwei Seiten, quietschende Bremsen, Blaulicht, aufgerissene Seitentüren, Gummisohlen, die lautlos über den Asphalt sneakten. Sie hatten sich beeilt, da konnte ich echt nicht meckern. Jeans, Turnschuhe, T-Shirts. Darüber bloß die Schutzwesten geworfen, die Waffengürtel mit den Glocks umgeschnallt, und dann Horridoh. Ein Wagen war mit drei Mann schon wieder los, gucken, ob sie die Typen noch irgendwo vor die Flinte bekamen. Na ja.
Die anderen hatten ihre Masken abgezupft und warteten auf die Kollegen vom KDD, die dann den öden Teil der Veranstaltung bestreiten würden. Hülsen einsammeln, Fotos machen, mich befragen, Zeugen ausquetschen. Zeugen?
»Da hinten war ein junges Pärchen«, ich zeigte in die Richtung, Blondschopf guckte, »die haben vielleicht noch was gesehen. Waren ziemlich durch den Wind wegen der Ballerei.«
Blondie zoppelte am Tragegurt seiner MP5. Beim taktischen Drill war er sicher achtmal schneller als ich, aber Infos zu verarbeiten, die nichts mit »dort Zielperson, Schussfeld frei, go« zu tun haben, dauerte etwas.
»Nikki.«
Die MEKine drehte sich um. Alter Schwede. Schwarzer Pagenschnitt, hohe Wangenknochen, dunkle Katzenaugen. Der wahr gewordene Traum jeder Polizei-Imagekampagne.
»Wat’n?« Reibeisenstimme, Berliner Dialekt. Wow. Wow-wow-wow.
»Da sind vielleicht Zeugen. ’n junges Pärchen oder so.« Oder so? Blondschopf zeigte, und Nikki hob eine Augenbraue.
»Soll ick?«
»Ich komm mit, warte.« Blondschopf beugte sich zu mir, kramte Kaugummi aus seiner Hosentasche. »Hier, Kollege. Du müffelst ziemlich nach Bier. Damit keine blöden Fragen kommen.« Er zwinkerte mir zu, und dann joggte er locker mit Nikki die Straße runter. Geschmeidige Leistungsbereitschaft, Yogurette plus taffer Sexappeal. Gut, dass auf den Schutzwesten groß »Polizei« stand, sonst würden die zwei in der Toreinfahrt – falls sie noch da waren – vermutlich kollabieren, wenn zwei Bewaffnete auf sie zuliefen.
Ich wickelte das Kaugummi aus und steckte es mir in den Mund. Der Geschmack war so sportlich-frisch, da musste sofort eine Roth-Händle drauf.
Aber nette Geste von Blondi.
Bei meinem Kumpel am Boden tat sich was. Der RTW-Fahrer kam mit der Transportbahre angewackelt, und zwei MEKisten halfen den Sanis, ihn draufzulegen. Es bestand also ernsthaft Hoffnung.
Vielleicht kommt das jetzt so rüber, als wäre es mir egal, ob er es schafft. War es nicht. Ich weiß, wie es ist, jemanden zu erschießen. Es ist richtig scheiße, auch wenn man rein rechtlich nichts falsch gemacht hat. Und es ist mit jeder Menge Papierkram verbunden. Nein, ich war schon froh, dass der Typ offensichtlich nicht tot war, und zog etwas hoffnungsfroher an meiner Roth-Händle.
Und fing endlich an zu zittern. Das hätte nämlich noch gefehlt. Wenn man Leute umschießt und dann noch nicht mal mehr zittert, hat man ein ernsthaftes psychisches Problem. Ich fing auch an, elend zu frieren, und das bei geschätzten zwanzig Grad.
Okay. Ich bin okay. Ich bin gar nicht so ein Arsch, wie ich meistens denke. Das ging mir durch den Kopf, als ich zitternd auf den Stufen hockte.
Asche bröselte auf meine Hose. Ein Taschenaschenbecher schob sich in mein Blickfeld.
»Du wirst mir doch nicht meinen schönen Tatort verunreinigen, Rubeck?«
Hallstetter von der Tatortbereitschaft grinste mich an. Ich nahm einen letzten Zug von der Zigarette und zeigte mit ihr auf die Pfütze, bevor ich sie in Hallstetters Ascher drückte.
»Die Kotze da ist auch von mir. Von wegen DNA und so.«
Hallstetter lachte asthmatisch, er rauchte zwar seit Jahren nicht mehr, aber den Teer wurden seine Lungen offenbar nicht los.
»Dein Wort genügt mir. Ich werd mir sicher kein Löffelchen davon mitnehmen.«
Er zog eine gefaltete Papiertüte aus einer Tasche seines weißen Overalls und wedelte damit.
»Deine Wumme, Rubeck.«
Ich nickte. Hallstetter guckte mich an.
»Muss ich mich bücken, oder kommste ’nem alten Mann entgegen?«
Ich stand auf, zog die Jacke überm Holster zurück und drehte die Hüfte zu Hallstetter. Seine Gummihandschuhwurstfinger zogen vorsichtig die Waffe heraus.
»Hast du immer noch keine P30?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich mag die SIG.«
Hallstetter tütete die Waffe ein.
»Man dankt. Hast du Dienst am Wochenende?«
»Nee.«
»Und wenn, bekämste eh frei. Nach dem hier.« Er nickte mit dem Kopf zu der Stelle, wo eben noch der verletzte Typ gelegen hatte. »Ich denke, Montag hast du das Ding zurück.«
Das Holster am Gürtel kam mir plötzlich total bescheuert vor. So leer.
»Alles klar bei dir?«
Hallstetter war näher getreten. Er roch nach Eibrötchen und saurem Kaffee.
»Alles super. Ist doch der optimale Tagesabschluss. Einen wegschießen.«
Hallstetter machte dicke Backen und stieß noch mehr Eibrötchen und Bürokaffeedunst aus.
»Wagner hat heut Schicht. Also verkneif dir lieber deine Scherze, wenn er dich vernimmt.«
Wagner. Ausgerechnet. Stellvertretender Leiter vom KDD. Der konnte mich noch nie leiden.
Wie gesagt. Es war halt einer von den miesen Tagen.
»Du warst also mit Dienstwaffe in der Kneipe?«
Wagner hat die angeborene Fähigkeit, eine Augenbraue bis zum Haaransatz hochzuziehen, während die andere finster gesenkt bleibt. Warum der Mann nicht bei der Internen arbeitet, kapiert keiner. Schon das Gesicht qualifiziert ihn dazu.
Wir saßen in einem Sprinter der Grünen, die jetzt ja Blaue sind, aber daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Wobei sich das Optische schon klar verbessert hat.
Ich hielt die Hand mit der Kippe aus der offenen Tür und beugte mich für jeden Zug raus. Affig. Unter normalen Umständen hätte ich mich niemals so zum Horst gemacht, aber Wagner steht auf Unterwürfigkeit. Und ich konnte einen Wagner, der ein kleines bisschen auf mich steht, jetzt gut gebrauchen.
»Wie viel hast du getrunken?«
Eigentlich wollte ich antworten, dass ich ja offensichtlich nicht zu viel gesoffen hatte, um Freund Lederjacke zwei Mumpeln sachdienlich reinzudengeln, was nachts und unter Stress nicht so einfach ist. Sollte Wagner mir mal nachmachen. Aber das wäre genau die Sorte Fehler, die man von fertigen Typen wie mir erwartet.
»Drei Pilsbier. Kleine.«
Wagner starrte mich an, ich guckte zurück. Wagners eine Augenbraue wanderte noch ein kleines bisschen höher, was ich für unmöglich gehalten hätte. Ich warf die Kippe auf den Bürgersteig. Wir waren ja weit genug von Hallstetters Tatort weg. Oder meinem Tatort, wie auch immer.
Wagner überflog, was er bislang von meiner Aussage notiert hatte.
»Du warst von etwa achtzehn Uhr bis dreiundzwanzig Uhr im ›Schlabbekicker‹ und hast drei Pils getrunken?«
Wollte der sich jetzt echt daran festbeißen? Kann er haben, dachte ich mir und guckte lieb. Also ich hatte das Gefühl, lieb zu gucken. Vermutlich sieht das in meiner Fresse nicht besonders lieb aus. Aber lieber als sonst.
»Na ja.«
Die Braue wanderte noch einen oder zwei Millimeter höher, unglaublich. Wagner war jetzt gespannt wie ein Flitzebogen.
»Ich hab noch zwei Spezi getrunken und …«, ich kniff die Augen zusammen, als müsse ich mich sehr konzentrieren, »… zwei Kaffee. War müde. Und wollte noch ’ne Freundin besuchen.«
Wagner nickte mehrmals langsam.
»Hat die Freundin keinen Kaffee?«
»Nur schlechten. Aber das sag ich ihr nicht.«
Wagner spuckte Luft aus und schüttelte den Kopf.
»Du bist ’n Komiker, echt.«
Ich wiegte den Kopf hin und her.
»Ein höflicher Mensch, würde ich sagen.« Halt’s Maul, Rubeck. Fällt mir leider immer zu spät ein.
Wagner spitzte die Lippen und klopfte mit dem Kuli auf das gekritzelte Protokoll.
»So weit hört sich das alles schlüssig an und sogar so, als hättest du aus polizeilicher Sicht alles ordentlich gemacht. Dienen und schützen und so.«
Ich fragte nicht: »Aber?«, guckte aber so.
»Wenn der gute Mann doch noch den Abgang macht oder wir in dem anderen Typ eine Patrone aus deiner Waffe finden, dann kommst du zur nächsten Vernehmung lieber mit einem Anwalt und ohne lustige Kommentare. Das ist ein Rat unter Kollegen, okay?«
Ich nickte. Wagner war Gewerkschafter, und das nahm er ernst. Himmel.
»Darf ich kurz stören?«
Rauer Sound. Can Karakaç. Mit Can habe ich eine Weile hier in der Gegend gearbeitet. Guter Typ. Gallusviertel, Problembär, Jugendgang, Festnahme wegen Abziehen, Verwarnung, Läuterung, Schulabschluss, Bulle.
Wir guckten ihn an. Blaulicht zuckte über sein Gesicht und ließ es krank aussehen. Sein sorgfältig ausrasierter dünner Bart wurde von den Stoppeln einer viel zu langen Bereitschaftsschicht fast verschluckt.
»Das ist Frau Scheerbaum. Ähm … ich hab sie um eine Identifizierung gebeten. Frau Scheerbaum?«
Es war die Frau, die ich vorhin umgetackelt hatte. Die Freundin von Torben. Torben selbst war vermutlich schon in Therapie. Frau Scheerbaum stand da, in eine gold glänzende Rettungsdecke gewickelt. Unten guckten schwarze Leggings raus. Die Füße steckten in abgetragenen blauen Chucks, über deren Rand sich türkisfarbene Stulpen wellten. Mir fiel ein, dass sie einen Jeansrock getragen hatte, den sah man jetzt nicht, nur Gold.
»Das ist er.« Sie zeigte auf mich und lächelte. Ihre Leggings waren an den Knien gerissen, die Haut aufgeschürft. Meine Schuld. Dafür hatte sie nirgends Einschusslöcher. Auch meine Schuld. Immerhin etwas richtig gemacht heute.
»Danke. Ich weiß gar nicht …« Ihre blonden Haare waren sehr süß verstrubbelt, und ein bisschen zerlaufener Eyeliner hat echt was, wenn die Frau wieder lächelt.
»Ich hab nur meinen Job gemacht«, hätte ich jetzt sagen können. Ich glaube, den Satz wollte ich immer schon mal sagen. Will den nicht jeder Bulle sagen, nachdem er eine schöne Frau gerettet hat? Das war meine Gelegenheit. Doch stattdessen sagte ich: »Sorry fürs Umschmeißen«, und zeigte auf die zerfetzten Leggingknie.
Sie nestelte die Rettungsdecke drüber und sagte mit einer Mischung aus Lachen und Schluchzen: »Ach, das macht nix.«
Dann tippte Can vorsichtig mit den Fingerspitzen an ihren Arm. »Das war’s schon, Frau Scheerbaum, vielen Dank.«
»Ich heiße Rieke. Also danke, Herr …?«
Ich beugte mich vor und nahm die ausgestreckte Hand.
»Rubeck. Ruben Rubeck. Mein Vater war ’n bisschen komisch.«
»Das war ziemlich cool, irgendwie. Also, heftig natürlich, und meine Knie tun scheiße weh, und Torben, also mein Freund, der auch dabei war, Sie wissen schon, also dem ist das echt übel rein. Und ich hatte zuerst auch total krasse Panik, aber Sie haben das irgendwie … cool gemacht. Wie im Kino. Sehr, sehr krass. Echt. Also, ich könnte das nicht. Total cool.«
Ihre Hand war schweißnass, und ihre Stimme kiekste zwischendurch. Wagner war offensichtlich genervt, aber hielt sich zurück vor der jungen Frau. Can grinste ein bisschen und zwinkerte mir zu, sie konnte sein Gesicht ja nicht sehen.
»Na ja, Sie haben aber auch gut reagiert. Damit rechnet man ja nicht, dass man in so was reingerät am Freitagabend. Respekt.« Ich meinte das echt so. Für eine Studentin, die mal eben abends mit ihrem Freund was trinken geht und dann in eine Schießerei stolpert, war sie gut klargekommen.
Ihr Mund verzog sich, ihr Kinn begann zu zittern. Hoffentlich klappte sie nicht doch noch weg.
»Der Mann. Also der, auf den Sie … geschossen haben …«
Wir guckten alle nur. Zuerst sie an, dann uns gegenseitig. Nach den Regeln durften wir ihr gar nichts dazu sagen, aber Regeln spielen in meiner Welt öfter mal nicht so die große