Atlan 19: Piraten der Sterne (Blauband) - H.G. Franzis - E-Book

Atlan 19: Piraten der Sterne (Blauband) E-Book

H.G Franzis

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Das Große Imperium der Arkoniden steht in der Blüte seiner Entwicklung. Von der Kristallwelt Arkon aus regiert Orbanaschol III. über Zigtausende von Planeten. Seinen Thron hat der Imperator dadurch erlangt, weil er seinen Bruder Gonozal VII. ermorden ließ. Der Sohn Gonozals, Kristallprinz Atlan, ist seitdem auf der Flucht. Nachdem sein Extrasinn aktiviert wurde und er somit über einen inneren Ratgeber verfügt, wird der junge Mann gegen den Imperator aktiv. Sein wichtigster Verbündeter dabei ist der geheimnisumwitterte "Bauchaufschneider" Fartuloon, sein schlimmster Gegner hingegen der Blinde Sofgart, der Anführer der Kralasenen. Die nächste Station der Freunde ist die rätselhafte Sogmanton-Barriere, eine Region der Milchstraße, in der Hyperstürme die Raumfahrt gefährden. Hier operieren die Piraten der Sterne, hier stoßen Atlan und seine Verbündeten auf wertvolle Hinweise, die auch die kosmische Vergangenheit der Arkoniden betreffen ... Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 122: "Piraten der Sterne" von H.G. Francis Heft 124: "Irrfahrt im Sternenstaub" von H.G. Ewers Heft 126: "Der Bio-Parasit" von Dirk Hess Heft 128: "Planet der Intrigen" von Ernst Vlcek Heft 130: "Meister der Echsen" von Clark Darlton

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Seitenzahl: 700

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Nr. 19

Piraten der Sterne

Vorwort

Aufgewachsen auf der wilden Welt Gortavor, erfuhr der Arkonide Atlan erst nach dem erfolgreichen Abschluss der ARK SUMMIA, die in der Aktivierung des Logiksektors gipfelte, dass er der Sohn und damit der designierte Nachfolger des vierzehn Arkonjahre zuvor von dessen Halbbruder Orbanaschol und seinen Helfern ermordeten Imperators Gonozal VII. war.

Für Atlan begann ein ganz neues Leben, denn er war der Kristallprinz – erbittert verfolgt von den Häschern des Brudermörders, zum Leben im Untergrund gezwungen, aber fortan seinerseits bemüht, das ihm zustehende Erbe anzutreten und den Tyrannen vom Kristallthron zu stürzen. Kein leichtes Unterfangen, stand dem Imperator doch die volle Macht des in Zehntausende Welten rechnenden Großen Imperiums zur Verfügung, ein gnadenloser Geheimdienst unter dem Befehl Offanturs oder die »Bluthunde« der Kralasenen-Truppe des Blinden Sofgart.

Atlans Freundin Farnathia, die Tochter des Tatos von Gortavor, war im Verlauf der Flucht von dem Exilplaneten in die Hände des Blinden Sofgart gefallen, über ihr Schicksal war nichts bekannt. Für Atlan mischten sich also persönliche und politische Interessen, als eines seiner ersten Ziele Die Folterwelt war. Ehe er jedoch dorthin gelangte, galt es, sich eine Basis zu schaffen, und hierzu hatte Fartuloon den Stützpunkt auf der Welt Kraumon auserkoren, ohne zu wissen, dass dort bereits Probleme ganz anderer Art warteten – nachzulesen im 18. Buch der »Blauband«-Reihe:

Am 22. Prago des Tedar 10.497 da Ark – einem Datum, das dem Frühjahr des Jahres 8023 vor Christus entspricht – brachen Atlan und seine Freunde dann mit der POLVPRON von Kraumon auf. Er und Tirako Gamno wollten sich unter falschem Namen auf Trumschvaar einschleichen, der Welt der Kralasenen des Blinden Sofgart. Zwei Pragos später war Atlans Freund tot, während er selbst an Bord der CELIS ging und zur Folterwelt gelangte.

Nach unsäglichen Strapazen und Gefahren auf Ganberaan gelang es Atlan, seine Geliebte zu finden und zu befreien sowie den Blinden Sofgart zu überlisten und zu zwingen, ihm, Farnathia und vier ehemaligen Gefangenen des Söldnerführers ein Raumschiff zur Verfügung zu stellen. Mit diesem gelang die Flucht. Sie waren guten Mutes gewesen, denn das Kurierschiff war zwar ein relativ kleiner, aber sehr guter Raumer – doch es sollte ganz anders kommen, als sie gehofft hatten …

Im 19. Band trifft Atlan auf die Piraten der Sterne der rätselhaften Sogmanton-Barriere, die offenbar mit der Herkunft der Arkoniden in Verbindung gebracht werden muss und schon in der Arkon-Trilogie der Bände 14 bis 16 eine wichtige Rolle spielte.

Wie für die vorangegangenen und die noch kommenden Bücher mit den Abenteuern aus Atlans Jugendzeit gilt, dass die in sie einfließenden Heftromane des in den Jahren 1973 bis 1977 erstmals veröffentlichten Zyklus ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon von mir bearbeitet wurden, um aus den fünf Einzelheften einen geschlossenen Roman zu machen, der dennoch dem ursprünglichen Flair möglichst nahe kommen soll.

Für das vorliegende Buch 19 wurden, ungeachtet der notwendigen und sanften Eingriffe, Korrekturen, Kürzungen und Ergänzungen, folgende Romane zusammengestellt: Band 122 Piraten der Sterne von H. G. Francis, Band 124 Irrfahrt im Sternenstaub von H. G. Ewers, Band 126 Der Bio-Parasit von Dirk Hess, Band 128 Planet der Intrigen von Ernst Vlcek sowie Band 130 Meister der Echsen von Clark Darlton. Als Anhang gibt es das Kleine Arkon-Lexikon und zur Veranschaulichung der Schauplätze die Karten.

Obligatorisch der Dank an die Helfer im Hintergrund: Michael Beck, Heiko Langhans, Michael Thiesen, Kurt Kobler, für seine botanischen Recherchen zu Essoya, Mehinda und Khasurn Andreas Boegner – sowie Sabine Bretzinger und Klaus N. Frick.

Viel Spaß – ad astra!

Prolog

Aus: The Archaic Ages of Arkon – an introduction, Felice Bordes-Commot. In: The Cambridge History of Mankind; Cambridge, Terra, 2811

Als Atlan im April 2044 die Kontrolle über den Robotregenten erlangte, wurde es den terranischen Wissenschaftlern erstmals möglich, auf legalem Weg die immense Menge der in den imperialen Archiven des Tai Ark’Tussan gesammelten Daten zu sichten und auszuwerten. Selbstverständlich gab es diverse Prioritäten: Die Baupläne der technischen Errungenschaften, die Navigationskarten der Milchstraße und zahllose geschichtliche Abhandlungen, von denen sich die Terraner die Erweiterung ihres kosmologischen Wissens erhofften, hatten aus verständlichen Gründen Vorrang.

Das abweisend-arrogante Auftreten der wenigen aktiven Arkoniden machte die Aufgabe sicherlich nicht gerade leicht. Und auch die Terraner selbst befanden sich damals in einer ungestümen »Sturm-und-Drang-Periode«: Man war zweifellos nur marginal (wenn überhaupt!) an der arkonidischen Kulturgeschichte interessiert.

Erst nach der Begegnung mit den Meistern der Insel drang die Bedeutung der uralten Berichte aus der Zeit des lemurischen Tamaniums (die teilweise wiederum auf noch wesentlich älteren, stark mythisierten Legenden eines Großen Galaktischen Krieges basieren, der noch vor der Hochkultur der Barkoniden vor mehr als einer Million Jahren anzusetzen ist!) in das Bewusstsein der terranischen Wissenschaftler. Schon die Gründung des Historischen Korps der USO und des Exotischen Korps der Solaren Abwehr hatte diese Entwicklung widergespiegelt.

Die Werke der Alt-Arkoniden wurden (angesichts der standhaften Weigerung der Akonen, eigenes Datenmaterial mit den verhassten Terranern zu teilen, so dass wir weiterhin auf illegal von Drorah fortgeschmuggeltes Material angewiesen sind!) neben den wenigen bruchstückhaften Angaben der Tefroder und den verwirrenden Erkenntnissen der zeitversetzten CREST III zu der verlässlichsten Quelle über die ferne Vergangenheit der Milchstraße. Anfänglich unbedeutend erscheinende Informationen entpuppten sich bei näherer Betrachtung des Öfteren als wahre Fundgruben des »Alten Wissens«.

Beispielhaft erwähnt seien hier die Aufklärung der Herkunft und Bedeutung der Mehinda-Muster des arkonidischen Adels sowie die Hintergründe der mit den Heroen-Sagas und Arbaraith verbundenen Dinge, wie die Geschichte des später zum »Agh’« erhobenen Sogmanton da Khaal zeigte …

An Bord der ZOLTRAL: 7. Prago des Messon 3957 da Ark

Sogmanton da Khaal hatte einen Traum.

Er war nur der fünfte in der Erblinie seines Khasurn und ohne realistische Aussicht, einst der Agh’tiga zu werden. Deshalb hatte er eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen, war seit kurzem Laktrote der Hyperphysik und Astronomie. Sogmanton suchte das legendäre Arbaraith, fest davon überzeugt, dass in den Sagen und Legenden mehr als nur ein Kristallsplitter der Wahrheit verborgen war. Meist wurde der Sechsundzwanzigjährige mitleidig belächelt. Wirklich sicher konnte jedoch niemand sein, zuviel war vergessen und verdrängt. Erst seit knapp 200 Jahren war der Niedergang der Zarakhgoth-Votanii, der Archaischen Perioden, überwunden, die Vorstöße in die Öde Insel waren deshalb stets auch Forschungsexpeditionen in unbekannte Sternenregionen.

Sogmantons Traum drohte an diesem Prago jedoch zum Alptraum zu werden.

Der Tiga-Verband, bestehend aus der fünfhundert Meter durchmessenden ZOLTRAL und den beiden Begleitschiffen vom Typ eines Schweren Kreuzers, von Seiner Erhabenheit Imperator Barkam I. persönlich zur Verfügung gestellt, hatte die imaginäre Fläche der galaktischen Hauptebene durchstoßen und war in den Raumsektor fast 1000 Lichtjahre »unterhalb« vorgedrungen. Niemand an Bord wusste genau, wie der junge Sogmanton es geschafft hatte, den Höchstedlen zu überzeugen; seine Begeisterung hatte die Raumfahrer jedoch angesteckt.

Manch einer fragte sich in diesen Augenblicken jedoch, ob nicht besser von Besessenheit geredet werden musste. Das Ziel waren Koordinaten gewesen, die Sogmanton auf nur ihm bekannte Weise ermittelt hatte und über deren Quellen er sich ausschwieg. Schon vor der letzten Transition hatten die Ortungsgeräte und Strukturtaster Alarm geschlagen – tobten doch im Zielsektor Hyperstürme eines Ausmaßes, die die bedrückende Erinnerung an die Archaischen Perioden weckten, als galaxisweite Orkane dieser Art nahezu die gesamte Hypertechnik für insgesamt rund achthundert Jahre beeinträchtigt, lahmgelegt und zeitweise komplett blockiert hatten.

Der betroffene Sektor erreichte mehrere hundert Lichtjahre Ausdehnung. Die konventionell-optischen Sensoren hatten eine merkwürdig schlauchförmig verdrehte Wolkenformation in rötlichen und bräunlichen Tönen ermittelt, auf die keine der bekannten Charakteristiken zutraf. Es war keine Molekül- oder Staubwolke, kein Reflexionsnebel, keine normale Ansammlung interstellarer Materie. Weder die Emissions- noch Absorptionslinien passten zu den vertrauten Werten. Andererseits schien die Wolke von allem etwas zu haben, sogar eine ganze Reihe von Sonnen gehörte dazu, und auch die Verdichtungen von Protosternen glaubte man erkannt zu haben.

Der Riesenwolke vorgelagert war eine kleinere; offenbar der Rest einer gewaltigen Supernova. Aber auch hier gab es Zweifel – sofern die Messergebnisse nicht völlig verfälscht worden waren, lautete ihre Interpretation nämlich, dass insgesamt acht Neutronensterne in enger Formation standen, es demnach nicht eine, sondern acht Supernovae gewesen sein mussten. Die augenfällige Form der Nebelreste hatten zur Bezeichnung Spinnennebel geführt.

Mit der letzten Transition war der Verband bis auf rund fünfzig Lichtjahre an die Wolkenformation herangesprungen, die nun gleich einer »Barriere« die Bilder und Reliefprojektionen der Panoramagalerie bestimmte. Und trotz der vergleichsweise großen »Sicherheitsdistanz« griffen die Ausläufer der mächtigen Hyperstürme nach den Raumern, ließen ihre hypermechanischen Schutzfelder flackern und wiederholt Aggregate auf fünfdimensionaler Basis ausfallen.

Das Dröhnen der Ringwulst-Impulstriebwerke geriet mitunter ins Stocken, glich einem »Stottern«, und auch die für die Andruckabsorption unerlässliche Enklave des unvollständig geschlossenen Strukturfelds der sogenannten Semi-Transition zeigte infolge von Interferenzen kurzfristige Aussetzer.

Fast eine Tonta kämpften und stampften die Raumer gegen die tobenden Gewalten an. Nicht einmal eine Not-Transition kam unter diesen Bedingungen in Frage, hätte es doch die Schiffe zerfetzt und im Hyperraum verwehen lassen. Die arkonidischen Raumfahrer mussten ihr ganzes Geschick aufbieten, versuchten, Sturmfronten quasi »abzureiten«, ihnen keinen Widerstand entgegenzusetzen, sondern sich mittragen zu lassen.

Rot und blau umflackerte Aufrisserscheinungen von vielen Lichttontas Länge durchbrachen die Struktur des Raum-Zeit-Gefüges, hinterließen abgrundtief schwarze, gezackte Spuren, die Klüfte und Abgründe ins Nirgendwo und -wann darstellten, die für Auflösung, Vernichtung und Chaos standen.

Sogmanton arbeitete wie besessen, obwohl ihm die Angst die Knie zittern ließ, scheinbar die Luft abschnürte und wechselweise heiße und kalte Schauer durch den Leib jagte. Messfühler und Sensoren, die der Laktrote selbst entworfen und konstruiert hatte, lieferten Unmengen von Daten, die sofort von der KSOL-Hauptpositronik ausgewertet wurden. Mitunter gelang es rechtzeitig, die Strukturformeln der Schutzschirme anzupassen und umzustellen, so dass sie den äußeren Gewalten trotzen konnten.

Eine Tonta des Alptraums, des Wahnsinns, der permanenten Drohung, im nächsten Augenblick vernichtet zu werden. Aber sie schafften es! Mit einer Plötzlichkeit, die erst mit Verzögerung richtig begriffen wurde, ebbten die Hyperstürme ab, verloren unvermittelt ihre Wucht und Gefährlichkeit. Und in einer völlig irrealen Schönheit war nun die »Barriere« zu erkennen, durchliefen weitere Ortungs- und Tastungsdaten die Rechnerknoten, füllten sich Bildflächen mit scheinbar endlosen Zahlenkolonnen der Auswertungen.

Fast vierhundert Lichtjahre breit war das Gebiet, offensichtlich ein ständiger Quell für Hyperstürme und vergleichbar unangenehme Phänomene. Der Weltraum war nicht schwarz, sondern von eigentümlich rötlicher Farbe, durchzogen von riesigen rotbraunen Schlieren, zarten Filamenten und wolkenhaften Verdichtungen und Zusammenballungen. Insgesamt eine Art Schlauch, scheinbar von höheren Mächten zu einem wirren Knäuel verknotet.

»Eine höherdimensionale Bezugsebene, die das Standardkontinuum tangiert?«, fragte sich Sogmanton, während ringsum ein zögerndes, vorsichtiges Aufatmen zu bemerken war.

»Jedenfalls ein gefährliches Phänomen, diese Sogmanton-Barriere!«, knurrte Kommandant Carrven und wischte sich den Schweiß von der Stirn; der Blick seiner roten Augen flackerte.

Sogmanton verzog das Gesicht, als er den zwischen den Worten angedeuteten, aber nicht ausgesprochenen Vorwurf bemerkte. Dennoch legte er gegen die Namensgebung keinen Widerspruch ein, sondern konzentrierte sich auf die Daten. Er war zwar der wissenschaftliche Einsatzleiter, aber in Fragen der Schiffsführung und allem, was damit zusammenhing, hatte Vere’athor Carrven die Kommandogewalt.

»Hyperenergetische Einbrüche und Aufrisse«, murmelte er. »Der permanente Austausch von Normal- und Hyperenergie scheint die Ursache für die Hyperstürme zu sein, verbunden mit starken Strukturerschütterungen und Verzerrungen des vierdimensionalen Raum-Zeit-Gefüges.«

Carrven hob die Hand und zählte an den Fingern auf: »Übergeordnete Strudel und Wirbel. Ständig wechselnde Sogrichtungen. Die Staubballungen sind von Quantenturbulenzen und Energieorkanen durchdrungen. Das Zentrum scheint eine brodelnde Zusammenballung kosmischer Materie zu sein. In ihr gärt es ständig, weil sich dort zweifellos die fremdartigen Energieströme konzentrieren.«

»Richtig. Wir müssen damit rechnen, dass die sich überschneidenden Kraftfeldlinien sogar zu Transitionseffekten führen. Raumschiffe können also abrupt über Lichttontas oder mehr versetzt werden, verwehen unter Umständen sogar im Hyperraum … Hm, das eigentliche Zentrum dürfte, sofern die Ortungsgeräte richtig gearbeitet haben, an die fünf Lichtjahre Durchmesser erreichen.«

»Sofern es übergeordnete Verbindungen zu weiter entfernten Hyperstürmen gibt, könnte dieses Raumgebiet sogar eine Falle für jedes Schiff sein! Ein Gefahrensektor erster Ordnung.« Carrven machte eine unsichere Handbewegung. »Also alles andere als das legendäre Arbaraith, Erhabener.«

Sogmanton sah ihn mit brennendem Blick an, antwortete jedoch nicht. Er war noch nicht davon überzeugt, dass er seinen Traum begraben musste, sondern dachte an Aussagen des 2100 da Ark auf Hiraroon entstandenen Klinsanthor-Epos von Klerakones:

Der Ruf fand Gehör. Ein gewaltiger Sturm erhob sich zwischen den Welten und zerbrach die Bande. Klinsanthor in seiner unfassbaren, unschaubaren Gestalt warf seinen Schatten über die, die im Unrecht waren, und sie wichen angstvoll zurück. Die Vernichtung folgte ihnen und trieb sie vor sich her, und Klinsanthors Schlachtruf klang schauerlich zwischen den Sonnen und brachte die Kristallobelisken von Arbaraith zum Klingen. Als die Feinde, geschlagen und von Furcht erfüllt, in ein Versteck zurückwichen, aus dem es für sie kein Entkommen mehr geben würde, jubelte das Volk von Arkon laut.

Von Freude und Dankbarkeit erfüllt, eilte es dem Magnortöter entgegen. Aber Klinsanthor wandte sein Gesicht von ihnen und eilte zurück in die Skärgoth, seine Unwelt, und ein Teil seines Schattens überzog die, die ihm danken wollten. Wen der Schatten berührt hatte, der welkte dahin wie eine Blume. Unzählige starben, und das Volk der Arkoniden erstarrte in Furcht und Trauer, bis der mächtige Klinsanthor in die Ruhe der Grüfte zurückgekehrt war. Dann erst verlor auch der Schatten seine Macht …

Der junge Wissenschaftler reckte die Schultern. Nein!, dachte er grimmig. Noch ist nichts verloren. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, die Koordinaten von Arbaraith gefunden zu haben.

Arbaraith – mythologischer Ort des Ursprungs, das sagenhafte Land der Kristallobelisken, von Bestien bedroht, denen sich der Heroe Tran-Atlan entgegenstellte; den Sagas von den Berlen Taigonii nach mit der Entrückung des Schwertkämpfers verschwunden. Auf Tran-Atlan und seine Schüler gingen angeblich das Dagor und die Arkon-Zeitrechnung zurück, auf ihn beriefen sich die Tron’athorii Huhany-Zhy, wie die Dagoristas auch genannt wurden, und das Arkon-Rittertum.

Arbaraith war zwar zum allgemeinen Kulturgut geworden – beispielsweise im meisterhaften Oratorium Tai Arbaraith –, an seine reale Existenz glaubte jedoch letztlich niemand. Bis auf ihn, Sogmanton.

Nie sollte er von dieser Überzeugung abweichen, widmete sein Leben der Erforschung der Barriere. Beweise für seine These blieben ihm versagt, doch seine Forschungen bescherten den Arkoniden wichtige Erkenntnisse, die diese Epoche zu einer Glanzzeit machen sollten.

Es war die Ära des Höchstedlen Barkam I., den schon seine Zeitgenossen »den Großen« nannten, der fünfte Zhdopanthi nach dem Ende der gewaltigen Hyperstürme, die die Archaischen Perioden verursacht hatten. Nur wenigen Eingeweihten war bekannt, dass der Zhdopanthi des Tai Ark’Tussan mit dem bemerkenswerten Planeten Zhygor eine Welt gefunden hatte, auf die die Legenden der »Welt des Ewigen Lebens« möglicherweise zurückzuführen waren. Wiedergefunden traf es vielleicht besser, weil der schon früher bestehende Kontakt wegen der Archaischen Perioden für rund tausend Arkonjahre abgerissen war. Ranton Votantar’Fama.

Dort hatte es den Kontakt zu einer unbegreiflichen Wesenheit gegeben, die von sich als »Fiktivwesen« oder ES sprach – und dem Imperator gestattete, sich und seinen Mitarbeitern ein durch »Zellduschen« verlängertes, potentiell sogar »ewiges« Leben zu führen. Votantar’Fama – Ewiges Leben. Wunschtraum und Ziel vieler Wesen, ein Kernbegriff vieler galaktischer Mythen und Sagen, nicht nur bei den Arkoniden und ihren Kolonialen.

Niemand wusste zu sagen, ob diese »Gunst« vielleicht mit den Vecorat zusammenhing – auszuschließen war es jedenfalls nicht. Klangvolle Namen verbanden sich mit Barkams Regierungszeit; Persönlichkeiten, die noch Jahrtausende später zu den angesehensten gehören sollten, um die sich schon zu Lebzeiten Legenden und Anekdoten rankten.

Mantar da Monotos, der Bauchaufschneider und Gos-Laktrote des Imperators, erfuhr als der »Weise Mantar« bei den späteren Goltein- und auch den Mantarheilern großen Nachruhm.

Chariklis, die Arkanta von Hocatarr, ging in das Bewusstseinskollektiv der ersten Großen Feuermutter ein; sie floh nach Barkams Tod nach Hiaroon und begründete dort die Sage um Chariklis, die Barmherzige – beschrieben als ein unsterbliches Wesen von überirdischer Schönheit, das sich in den Höhlen des Gebirges versteckt hielt und nur herauskam, wenn die Armen, Kranken oder Unterdrückten ihrer Hilfe bedurften …

Dann Mascant Rhazun Ta-Zoltral, der beste Flottenbefehlshaber, den sich ein Begam wünschen konnte – ohne ihn hätten die Arkoniden bei der Abwehr der bewusstseinstauschenden Vecorat nur halb soviel Erfolg gehabt.

Schließlich Dagor-Hochmeister Khazunarguum, der Thi-Laktrote von Iprasa, ein Gijahthrako.

Am Faehrl-Institut auf der ARK SUMMIA-Prüfungswelt Goshbar führte in jener Zeit der Paraphysiker Belzikaan seine epochalen Forschungen des Paranormalen und Transpersonalen durch, von ihm »Zwiespältige Wissenschaft« genannt, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren.

Maßgeblich beeinflusst wurde er vom erneuten massiven Auftreten der sogenannten Individualverformer, kurz IV, die von den Arkoniden in Ergänzung ihrer vokallosen Sprache auch VeCoRatXaKuZeFToNaCiZ genannt wurden: Diese insektoiden Geschöpfe hatten die beängstigende Fähigkeit, rein geistig den eigenen Individualkörper zu verlassen und auf einen anderen überzuspringen – wobei es zum Austausch mit dem Bewusstsein des Opfers kam, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war.

Es kam zur Ausbildung der allerersten Tai Zhy Fam als weibliches Gegengewicht zum Imperator, ein künstlich stabilisierter Bewusstseinsverbund aus 158 Feuerfrauen, dem es – unterstützt vom »Dyhanensinn« der Gorianer – zu verdanken war, dass der Invasionsversuch der IVs früh genug aufgedeckt und letztlich abgewehrt wurde, so dass sie erst rund 2500 Arkonjahre später einen erneuten Vorstoß wagten, seither aber als »Erzfeinde« der Arkoniden galten.

Die Kolonialarkoniden des Planeten Gorian sprachen von sich selbst als Dryhanen, benannt nach der vierten Periode des Arkonjahres, dem Dryhan, weil am 1. Prago des Dryhan 3953 da Ark erstmals wieder ein arkonidisches Raumschiff auf Gorian landete, verbunden mit der Nachricht, dass Seine Erhabenheit Imperator Zoltral II. verstorben sei und nun sein Nachfolger Barkam I. den Kristallthron bestiegen habe.

Die besondere Fähigkeit der Dryhanen reichte zwar nicht an Telepathie heran, nicht einmal an die vollwertiger Empathen, dennoch war es eine, die sie im Laufe der Zeit zu gefragten Leibdienern der Imperatoren machte, weil sie sich so sehr auf den Herrscher und seine Familie einstimmen konnten, dass umständliche Erklärungen fortfielen – zumal sich diese Begabung mit einer sprichwörtlichen Treue bis in den Tod verband. Vermutet wurde, dass die Paragabe als Folge der in den Archaischen Perioden wütenden Hyperstürme ausgebildet wurde und zunächst nichts anderes darstellte als eine erhöhte Sensibilität für hyperenergetische Vorgänge.

Imperator Barkam I. starb zusammen mit seinen beiden erstgeborenen Söhnen bei einer Raumschlacht um die Kolonialwelt Zulthem im Alter von 205 Arkonjahren 4091 da Ark. Sogmanton, inzwischen in den Fürstenrang erhoben und mit dem Privileg belehnt, sich Agh’Khaal zu nennen, überlebte den von ihm verehrten Höchstedlen um ganze 43 Jahre – niemand erfuhr jemals, woher der 1349 Meter hohe Kristallobelisk wirklich stammte, den er im Jahr 4100 da Ark auf Gos’Ranton 7142 Kilometer vom Hügel der Weisen entfernt an der Laktranor-Südküste östlich der Karurmorn-Halbinsel errichten ließ und der seither als der legendäre Arbaraith-Obelisk bekannt war, Symbol für das sagenhafte Urland.

Gerüchte besagten, dass man dort seither Sogmantons schemenhafter Gestalt begegnen könne, die gedankenversunken die Küstenlandschaft entlangwandere – eine wildromantische Gegend aus Hunderten zuckerhutförmigen, meist bewachsenen Karstbergen von bis zu fünfhundert Metern Höhe, die reich an Höhlen, Grotten und bizarren Tropfsteinformationen waren, Tag wie Nacht überstrahlt vom gleißenden Funkeln der blauweißen, reich facettierten Säule des riesigen Kristalls …

1.

1139. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende Hochenergie-Explosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 33. Prago des Tedar, im Jahre 10.497 da Ark.

Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Neun Pragos nach Arkon-Zeitmaß sind seit Atlans und Tirako Gamnos Vorstoß nach Trumschvaar, der Welt von Sofgarts Kralasenen, vergangen. Wie von mir erwartet, war Atlan nicht bereit gewesen, Farnathia Declanter, die fast 16jährige Tochter des Tatos von Gortavor – seit dem 27. Prago der Coroma 10.496 da Ark in den Händen des Blinden Sofgart –, der zwar logisch fundierten, jedoch zutiefst brutalen Erwägung der »Staatsräson« zu opfern. Wie schon an anderer Stelle dargestellt, konnte mein Ziehsohn zu Recht darauf verweisen, dass dem Chef der Kralasenen mit ihr eine Geisel zur Verfügung steht, deren Schicksal ihm persönlich am Herzen liegt und ihn letztlich erpressbar macht.

Nachdem es uns gelungen war, den »schlafenden Stützpunkt« von Kraumon in Betrieb zu nehmen, die dort vorgefundenen Probleme ebenso zu überwinden wie die unerwartete Ankunft des Kopfjägers und Tiermeisters Corpkor zu überstehen, folgte am 22. Prago des Tedar 10.497 da Ark der Vorstoß mit dem Leichten Kreuzer POLVPRON zum 11.294 Lichtjahre von Kraumon entfernten Planeten Trumschvaar.

Neben dem Versuch zur Befreiung Farnathias bot sich diese Welt schon deshalb an, weil ein Schlag gegen Sofgart auch Orbanaschol treffen würde, vor allem dann, wenn es gelang, zumindest einen Teil derSöldnertruppe auszuschalten. Persönlich hätte ich es zwar lieber gesehen, wäre Atlan auf andere Weise vorgegangen – aber gegen die bekannte Gonozal-Sturheit kommt ein alter Mann wie ich auf Dauer doch nicht an. Zum Glück nahm Atlan meinen Vorschlag an und stimmte der Begleitung Tirako Gamnos zu.

Planmäßig wurde das Beiboot mit den beiden abgesetzt; ihre Maske war die zweier Mannschaftsmitglieder des Frachters HEKUAH, die angeblich die Langeweile an Bord satt hatten. Sämtliche Daten der Legenden würden einer Überprüfung standhalten, dafür hatte ich gesorgt. Sollte jemand auf Trumschvaar auf den Gedanken kommen, sich bei der Zentralkartei von Arkon zu erkundigen, würde er erfahren, dass Satago Werbot und Sonper Tesslet Dienst auf der HEKUAH taten und dass dieses Schiff in unregelmäßigen Abständen den Raumsektor durchkreuzt, zu dem das Trumsch-System gehört.

Er wird wegen eines regelmäßig pulsierenden Sterns als Orientierungspunkt genutzt. Darauf beruhte unser Plan: Während Atlan und Tirako unterwegs waren, nahmen wir eine Transition vor, um dann zu versuchen, den nächsten Sprung von dem eines Schiffes überlagern zu lassen, das in die Nähe des Trumsch-Systems kam. Das Vorhaben gelang erst nach 17 Tontas; alle entbehrlichen Energiesysteme wurden ausgeschaltet, als wir auf Lauschposition gingen. Aus den abgehörten Hyperfunksendungen erfuhren wir vom Angriff der Maahks und der Ankunft von Sofgarts Flaggschiff CELIS.

Mit drei Transitionen, deren Auswertung uns gelang, erreichte die CELIS am 25. Prago des Tedar ein 4658 Lichtjahre von Trumschvaar entferntes Sonnensystem, bei dem es sich um das von Sofgarts Folterwelt handelt. Endgültige Beweise gab es zwar nicht, aber ich hielt es für sehr wahrscheinlich, dass es Atlan und Tirako gelungen war, sich an Bord zu begeben. Um sicherzugehen, nahm die POLVPRON eine Position zwischen den beiden Systemen ein.

Wir mussten bis zum 33. Prago des Tedar warten, bis der Start eines kleinen Kurierschiffes angemessen wurde. Beschleunigungswerte und die eindeutig als »blinder Sprung« einzustufende erste Transition bestärkten mich in der Hoffnung, dass es sich um Atlan handeln musste; leider gelang es uns nicht mit ausreichender Exaktheit, den Wiederverstofflichungspunkt zu bestimmen – und ein Hyperkomsignal auf der vereinbarten Frequenz blieb bislang aus. Keine der zehn von uns ausgesetzten Funkbojen, deren Position Atlan kennt, sprach an …

Sprung ins Ungewisse: 34. Prago des Tedar 10.497 da Ark

Die Krise kam nach der vierten Transition: Die FARNATHIA, wie ich das kleine Kurierraumschiff getauft hatte, materialisierte in einem Teil des Weltraums, der mir völlig unbekannt war. Während die Schockschmerzen des Sprungs verebbten und ich mich noch zu orientieren versuchte, beugte sich Bronton Deflar vor und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wo sind wir?«

Meine Augen brannten, während mein Extrasinn kühl behauptete: Fehlsprung!

In den Kontursesseln regten sich die anderen Männer und starrten verschlafen umher. Ich antwortete nicht. Was hätte ich sagen sollen? Ich wusste ebensowenig wie Deflar, wo wir uns genau befanden. Vor allem sehnte ich mich nach Ablösung. Fast fünfundzwanzig Tontas waren seit unserer Flucht von Ganberaan und der ersten blinden Transition vergangen. Nach der Rematerialisation hatte die nicht eben leichte Positionsbestimmung begonnen, die sich über Tontas hinzog und im Ergebnis dennoch vage blieb.

Gleich mehrere Probleme waren zusammengekommen: Erstens war uns die genaue Position der Folterwelt des Blinden Sofgart nicht bekannt; fest stand nur, dass das System am Rand des ellipsoiden »Bauchs aus Sternen« zu finden war, der das eigentliche galaktische Zentrum in einem Radius von etwa 10.000 Lichtjahren umgab. Zweitens ließ sich zwar aus dem Energieverbrauch des Blindsprungs grob die zurückgelegte Distanz von etwa achthundert Lichtjahren ermitteln, nicht jedoch die exakte Richtung. Drittens war das von mir zur Flucht ausgewählte Kurierschiff zwar trotz seiner geringen Größe auf Leistung ausgelegt, es zeigte jedoch Schwächen im Bereich von Ortung, Tastung und der normaloptisch-astronomischen Sensorik, so dass das Auffinden und Anpeilen von markanten Leuchtsternen auf größere Distanz nahezu nicht möglich war.

Unter dem Strich – ihr wisst nicht, wo ihr seid!, hatte mein Logiksektor säuerlich bemerkt. Ein Kurierschiff fliegt normalerweise nur auf Routen mit bekannten Transitionspunkten; es ist kein Forschungsraumer für den Vorstoß ins Unbekannte.

Die Positronik bewertete die Wahrscheinlichkeit, dass eine in mehreren tausend Lichtjahren Distanz angemessene blauweiße Sonne mit dem Leuchtstern Mhalloy identisch war, nur auf knapp sechzig Prozent. Laut Kartentank war Mhalloy ein Gigant von 22 Millionen Kilometern Durchmesser, eine gewaltige Plasmakugel mit 15.000 Grad heißer Oberfläche und charakteristischer Hyperstrahlung, die sich 2385 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene der Debara Hamtar befand.

Um genauere Daten zu erhalten, hatten wir uns zu einer zweiten Transition über fünfhundert Lichtjahre entschlossen. Sie hatte uns in einen Teilchenorkan im äußeren Drittel eines planetaren Nebels versetzt, der unseren Prallschirm aufzureißen drohte. Eine dritte, abermals blinde Transition war erforderlich gewesen, kaum dass die Speicherbänke des Strukturfeld-Konverters die benötigte Energie bereitgestellt hatten. Und abermals hatten wir versucht, unsere Position zu bestimmen.

Lord Correson, Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol schliefen schließlich ein. Farnathia versuchte wach zu bleiben. Sie bemühte sich in rührender Weise um mich, aber dann hielt auch sie sich nicht mehr auf den Beinen. Die Anstrengungen der letzten Pragos waren zu groß gewesen. Nur Bronton Deflar schien keine Müdigkeit zu kennen. Der Sohn eines Edelsteinhändlers hockte schweigend hinter mir und beobachtete mich, während ich die vierte Transition berechnen ließ und dann einleitete, in der Hoffnung, unter Einbezug der schon ermittelten Daten endlich eine brauchbare Dreieckspeilung durchführen zu können.

»Ich will wissen, wohin Sie uns gebracht haben«, sagte er mit einer Stimme, die mich misstrauisch werden ließ.

Fehlsprung!, wiederholte der Logiksektor scharf und wies mich mit einem weiteren Impuls auf irreal erscheinende Messwerte hin, die die Bildflächen füllten.

»Haben Sie Geduld«, bat ich, von der Feststellung meiner inneren Stimme aufgeschreckt. »Ich kann Ihnen noch nichts sagen.«

Er rüttelte an meiner Schulter, so dass ich herumfuhr und seine Hand zurückstieß. »Dann sehen Sie sich die Ortungsschirme an, Mann!«, rief er.

Ich hatte es längst getan. Der Weltraum war nicht mehr klar zu erkennen. Die Sterne wirkten verwischt, als liege ein fettiger Film sowohl über den Außensensoren als auch über der Panzertroplonkuppel des Raumers. Das All bot nicht das gewohnte Bild, sondern hatte eine eigentümlich rötliche Farbe angenommen und war von riesigen Schlieren durchzogen. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen und blinzelte müde. Mein Logiksektor stellte mit eiskalter Sachlichkeit fest: Diese seltsame Erscheinung hat nichts mit dir und deiner Müdigkeit zu tun.

Deflars Verhalten machte mir mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, welch ein psychisch instabiles Gebilde unsere kleine Gruppe darstellte. Sie war in keiner Weise den Gefahren gewachsen, der wir mit geringer Geschwindigkeit entgegenflogen. Vom Prallschirm wurde Mikromaterie abgewehrt, deren Dichte uns weiter abbremste.

Viel zu spät begriff ich, dass ich mich in Deflar gründlich getäuscht hatte. Etwas stimmte mit ihm nicht. Ein zunächst unbewusster Eindruck wurde zur Gewissheit: Dieser Mann ist alles andere als mutig und verlässlich. Ein Feigling – und deshalb gefährlich. Seine aufrechte Haltung, die anfangs einen gewissen Eindruck auf mich gemacht hatte, ließ zusehends nach. Zunächst waren wir alle froh gewesen, dass es uns gelungen war, von der Welt des Grauens zu fliehen. Ich hatte nur Augen für Farnathia, der deutlich anzusehen war, dass sie den Psycho-Bann Sofgarts überwunden hatte.

Fehler!, rief der Extrasinn.

Bronton Deflar handelte, bevor ich ihn daran hindern konnte. Er zerrte die anderen hoch und schrie sie an: »Seht euch an, was er mit uns macht! Wacht doch auf!«

Ich drehte mich zu ihm herum, packte ihn an der Schulter und schleuderte ihn in seinen Sessel zurück. Aber es war schon zu spät. Die drei Arkoniden versuchten, sich zu orientieren. »Was ist denn los?« Probis Tobanoschol reagierte ärgerlich und rieb sich den Nacken. »Warum lassen Sie uns nicht schlafen?«

Deflar warf sich nach vorn und schlug mit den Fäusten auf mich ein. »Ihr Narren!«, brüllte er. »Ihr glaubtet, von der Folterwelt entkommen zu sein, aber jetzt geht es erst richtig los. Seht euch doch nur um!«

Er war wie von Sinnen. Jetzt begriff ich, was mit ihm los war: Er glaubte, von dem Blinden Sofgart und mir getäuscht worden zu sein, war unfähig, klar zu denken. Den anderen aber erging es kaum anders. Nur Farnathia wusste, dass sie mir bedingungslos vertrauen durfte. Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol ließen mich nicht zu Wort kommen. Sie stürzten sich auf mich und entwaffneten mich.

»Nein!«, schrie Farnathia entsetzt, als sie sah, dass Tobanoschol den T-15-Strahler auf mich richtete. »Das dürfen Sie nicht tun!«

Ich blickte in Augen, in denen sich die nackte Panik spiegelte. Inzwischen schrillten Warnsignale der Instrumente. Die Männer wussten nicht mehr, was sie taten. Nur Lord Correson packte plötzlich entschlossen zu: Mit einem Griff entwand er Tobanoschol die Strahlwaffe und wich bis an die Rückwand der kleinen Zentrale zurück. Unwillkürlich atmete ich auf, obwohl ich wusste, dass die Gefahr weiterhin bestand. Je mehr Zeit wir mit unnützen Streitereien verschwenden, desto tiefer fliegen wir in die Gefahrenzone hinein.

»Lassen Sie den Unsinn! Glauben Sie wirklich, der Blinde Sofgart würde derartige Anstrengungen unternehmen, um so relativ unwichtige Männer wie Sie auf ganz besondere Weise zu foltern? Das hätte er auch auf seiner Welt haben können.« Ich legte eine Pause ein. Die Männer starrten mich an. In ihren Augen veränderte sich nichts, ich hätte auch gegen eine Wand reden können. Nur Lord Correson machte einen vernünftigen Eindruck; er war ein erklärter Gegner des Orbanaschol-Regimes und hatte mir gesagt, dass er den Imperator hasste. »Versuchen Sie, klar zu denken! Ich habe nichts mit dem Blinden Sofgart zu tun. Also reißen Sie sich zusammen!«

»Sie haben es gehört, meine Herren«, sagte Correson mit schleppender Stimme. »Setzen Sie sich bitte und stören Sie uns nicht.«

»Sie sehen doch, wohin er das Schiff geführt hat!«, kreischte Deflar. »Er bringt uns alle um!«

Er vergisst, dass ich mich selbst ja ebenfalls an Bord befinde, dachte ich. Wieder warf er sich auf mich: Er missachtete Corresons Waffe und versuchte mich an der Kehle zu packen. Jetzt nahm ich keine Rücksicht mehr, zumal ich wusste, dass ich mit Worten nichts erreichen würde. Meine gestreckten Finger trafen dicht unter dem rechten Ohr das richtige Nervenbündel, und Deflar sank mir seufzend in die Arme. Ich schob den Bewusstlosen auf seinen Sitz zurück. »Bleiben Sie jetzt ruhig.«

Ich nickte Correson zu und setzte mich wieder hinter die Instrumente. Rasch orientierte ich mich, und dann musste ich selbst mit der aufsteigenden Panik kämpfen. Die Geräte zeigten absolut unsinnige und widersprüchliche Werte an; starke Strukturerschütterungen des Raum-Zeit-Gefüges wiesen darauf hin, dass ein Hypersturm heraufzog. Eine vage Ahnung stahl sich durch meine Gedanken, vermittelte mir einen Eindruck, was die Verfärbung des Alls und die Schlieren zu bedeuten hatten.

Das Risiko, bei Transitionssprüngen in einem derartigen Gefahrenherd zu landen, ist angesichts der Weite der Galaxis eigentlich denkbar gering, dachte ich. Wir haben Pech gehabt, oder das Transitionstriebwerk unseres Kleinstraumschiffes ist durch die Hyperstürme beeinflusstworden, so dass wir von den hyperenergetischen Wirbeln förmlich angesaugt wurden.

Die Sichtverhältnisse wurden ebenso wie die Ortungsdaten immer schlechter. Dennoch glaubte ich, die Ballung kosmischen Staubes und übergeordneter Energie sehen zu können, in der vermutlich schon zahllose Raumschiffe oder sogar ganze Flottenverbände verschwunden waren. Ich bemühte mich, das torpedoförmige, mit Deltaflügeln ausgestattete Kleinstraumschiff unter Kontrolle zu bringen. Leider reagierte das Heckimpulstriebwerk nur stotternd; ich bekam das Schiff nicht in den Griff, weil es meinen Befehlen nicht so gehorchte.

Starke, von außen beeinflusste Fluktuationen der Abschirmfelder des Impulskonverters …, durchfuhr es mich. Die mehrstufige Verdichtung, Gleichrichtung und »Strukturumformung« zum eigentlichen Impulsstrahl ist gestört …Stützmasse wirkt beim Kontakt mit dem Hyperfeld kaum noch katalytisch … Auch keine Stabilisierung des Effekts durch eine »fettere Mischung«, sprich zusätzliche Stützmasse …

Debaaner kam zu mir. »Versuchen Sie eine weitere Transition. Vielleicht können wir damit entkommen.«

Ich blickte ihn an. Sein Gesicht war schweißüberströmt. Angst? »Das Triebwerk beschleunigt nicht. Wir haben nicht genügend Geschwindigkeit für eine Transition. Außerdem müssen wir damit rechnen, dass wir bei den hier herrschenden Verhältnissen im Hyperraum verschwinden – ohne die Chance für eine Rückkehr.«

»Er hat Recht«, stimmte Correson zu und wies auf die Orteranzeige mit der Positroniksimulation ausgedehnter hyperenergetischer Wirbel. »Hier könnte es uns sogar ohne Transitionstriebwerk in den Hyperraum reißen!«

Wieder und wieder ließ ich meine Finger über die Tasten und Berührungssensoren gleiten, aber der Erfolg blieb aus. Das Schiff löste sich nicht aus seiner Bahn, es gab keine Reaktion bei der energetischen Schubumkehr. Also versuchte ich, die FARNATHIA mit den kleinen Manöverdüsen herumzuschwenken und das Heck in Flugrichtung zu drehen. Auch hier keine Reaktion …

Jetzt verlor Tobanoschol die Beherrschung. Er sprang auf, stieß Correson brutal zur Seite und rannte durch den kurzen Korridor zur Schleuse. »Ich will raus!«

Idiot!

Überhastet wollte er das Schleusenschott öffnen, aber Correson war sofort bei ihm und packte ihn. Mit leichten Schlägen auf die Wangen brachte er ihn zur Vernunft. »Draußen haben Sie noch weniger Chancen.«

»Vielleicht ist der Gedanke gar nicht einmal so abwegig.« Ich erhob mich von meinem Sitz, weil es sinnlos geworden war, noch länger an den Schaltungen herumzuhantieren. Der Logiksektor sagte: Die Störeinflüsse werden immer stärker; viel Zeit zu handeln bleibt euch nicht.

»Was willst du damit sagen?« Farnathia kam zu mir, blickte mich ängstlich an. Ich legte ihr den Arm um die Schultern und spürte, dass sie etwas ruhiger wurde.

»Wir müssen das Schiff herumschwenken und das Triebwerk auf das Zentrum der Barriere richten, weil die Schubumkehr nicht reagiert«, sagte ich. »Vielleicht schaffen wir es dann doch noch, uns aus den Wirbeln zu lösen.«

»Wie?«, fragte Correson.

»Mit Hilfe der Rückstoßaggregate der Schutzanzüge.«

»Mit einem Gerät allein schaffen Sie das auf gar keinen Fall. Die Schubleistung reicht nicht aus.«

»Das ist mir klar. Ich müsste mehrere Aggregate zusammenschalten. Der Schub könnte dann genügen.«

»Das könnte Ihnen so passen …« Bronton Deflar war wieder zu sich gekommen. »Sie wollen sich absetzen und dafür unsere Notausrüstung benutzen. Dann haben wir überhaupt keine Chance mehr.«

»Reden Sie keinen Unsinn!«, entgegnete ich ruhig.

Deflar kam auf mich zu. Seine Hände zitterten, und seine Augen waren dunkelrot vor Angst. »Er hat uns nicht mitgenommen, um uns von der Folterwelt zu retten«, schrie er die anderen an und musste sich an die Rückenlehne eines Sitzes klammern, weil das Schiff heftig erschüttert wurde. Die Andruckneutralisatoren konnten die plötzlich stark schwankenden Werte nicht mehr voll ausgleichen oder waren selbst von den hyperenergetischen Störungen betroffen. »Er musste uns mitnehmen, weil er allein nicht hätte fliehen können.« Seine Stimme überschlug sich. »Was mit uns geschieht, ist ihm völlig egal. Und jetzt handelt er genauso. Er will aussteigen und uns hier zurücklassen!«

Ich spürte, dass Debaaner und Tobanoschol unruhig und unsicher wurden. Auf Correson konnte ich mich offenbar weiterhin verlassen. Der Mann machte einen ausgesprochen beherrschten Eindruck. »Sie können es betrachten, wie Sie wollen«, sagte er. »Wir haben nur diese Chance. Natürlich können Sie auch selbst nach draußen gehen, Deflar. Ihnen kann nicht viel passieren, sofern Sie sich geschickt anstellen.«

Deflar erstarrte. »Ich gehe nicht nach draußen. Ich bin kein Selbstmörder. Atlan kann die Arbeit ruhig übernehmen, aber ich stelle ihm kein Fluggerät zur Verfügung. Das brauche ich vielleicht selbst noch.«

»Ich schlage vor, dass die Herren abstimmen.« Ich konnte ein müdes Lächeln nicht unterdrücken. »Vielleicht werden Sie sich dann einig. Ich nehme an, Farnathia, du hast nichts gegen meinen Plan einzuwenden?«

»Natürlich nicht.«

Die anderen Männer beachteten den Feigling nicht mehr. Wortlos öffneten sie die Ausrüstungsschränke und nahmen die Schutzanzüge hervor. Ich legte einen an, und die anderen klemmten die Rückstoßaggregate ab. Correson übernahm es, sie zusammenzuschalten, so dass ich sie alle zünden und steuern konnte; eine Haftplatte musste zum Fixieren am Schiff ausreichen. Deflar kauerte in einem Sessel und schwieg. Mit leeren Augen blickte er auf die Instrumente und die Bildschirme, auf denen jetzt kaum noch etwas zu erkennen war. Wir hatten nicht mehr viel Zeit und arbeiteten in fieberhafter Eile.

Endlich war es soweit. Correson begleitete mich in einem Schutzanzug in die Schleuse und klinkte den Karabinerhaken der Sicherheitsleine an meinen Gürtel. Voller Spannung warteten wir, dass sich das Außenschott öffnete. Der Weltraum sah bräunlichrot und verwaschen aus. Sterne konnte ich nicht mehr erkennen. Ich hatte vielmehr das Gefühl, in die von Orkanen aufgewühlte Atmosphäre eines Methanplaneten zu sehen. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Dann brach plötzlich wieder das Licht einiger Sterne durch das Chaos.

»Sie müssen raus!« Corresons Stimme dröhnte in den Helmlautsprechern.

Ich gab ihm ein Zeichen und stieß mich aus der Schleuse ab. Kaum hatte ich den Bereich der künstlichen Schwerkraft verlassen, packte mich eine unsichtbare Faust und zerrte mich von dem Raumschiff weg. Ich erwischte eben noch einen Haltebügel an der Außenhaut und hielt mich mit aller Kraft fest. Dabei hatte ich einige Mühe, meinen Schock zu überwinden. Hier gab es nichts, was mich hätte wegreißen können. Wir befanden uns nicht innerhalb einer Atmosphäre, sondern im Weltraum. Was ist das Unsichtbare, das an mir zerrt?

Ich zwang mich, es zu ignorieren. Sicher gab es eine Erklärung für das Phänomen, aber ich musste sie nicht unbedingt jetzt finden; ich hatte eine viel wichtigere Aufgabe zu erledigen. Als ich zurückblickte, erkannte ich Lord Correson, der mich beobachtete. Die Sicherheitsleine schwang als sichelförmige Linie von der Schleuse zu mir. Eigentlich hätte sie schlaff und lose sein müssen. Sie spannte sich so sehr, dass ich mich kaum halten konnte. Ehe Correson es verhindern konnte, flog das ganze Leinenbündel, das sich noch in der Schleuse befand, hinaus. Sofort straffte sich die Verbindungsschnur, bildete einen Halbkreis und zog noch mehr an mir. »Ich kann mich nicht mehr halten. Die Leine reißt mich weg.«

»Ich werde sie kappen.«

»Nein!« Aber es war schon zu spät. Sein Thermostrahler blitzte auf. Für Augenblicke fühlte ich mich frei. Dann schien etwas an mir zu saugen – es gelang mir, den Karabinerhaken der Leine zu lösen, die sofort in den bräunlichen Wirbeln verschwand. Überaus vorsichtig kletterte ich weiter. Jetzt konnte ich es mir noch viel weniger als vorher leisten, meinen Halt loszulassen. Mühsam erreichte ich das Heck des vierzig Meter langen Kurierschiffes. Zu meinem Erstaunen konnte ich Correson immer noch in der Schleuse sehen: Er hob sich deutlich gegen den Deltaflügel ab, der vor der Kammer aus dem Schiffskörper entsprang, sah aber merkwürdig verzerrt aus, und der Deltaflügel wies ebenso wie der torpedoförmige, fünf Meter durchmessende Rumpf einen deutlichen Knick auf. Ich wusste, dass er nicht tatsächlich beschädigt war, sondern ich nur einer optischen Täuschung unterlag.

Es gelang mir, die Rückstoßaggregate an der Schiffszelle zu positionieren, und ich zündete sie probeweise zum ersten Mal. Der Effekt war so, wie ich es vorausberechnet hatte. Das Heck folgte dem Schub. Correson winkte mir begeistert zu. Sein Arm schien mächtig anzuwachsen, wurde fast so lang wie der Flügel des Schiffes. Da wusste ich, dass ich nichts von dem als wahr akzeptieren durfte, was ich sah. Ich befinde mich in einer unwirklichen Welt. Ich zündete erneut, und abermals wurde das Heck bewegt. Stimmt das aber wirklich? Oder täusche ich mich?

Irgendetwas traf mich an der Hüfte. Ich zuckte zusammen. Der Schmerz betäubte mich fast. Unwillkürlich griff ich mit meiner linken Hand zum Gürtel. Correson schrie mir eine Warnung zu: »Nicht loslassen, Atlan!«

Ich hörte seine Wort nur aus weiter Ferne, ohne wirklich zu begreifen, was er meinte. Wieder packte mich etwas Unsichtbares. Es zerrte und riss mit einer Kraft an mir, der ich einfach nicht mehr gewachsen war. Ich sah, wie sich meine Hand öffnete, wie sich meine Finger von dem Haltebügel am Schiff lösten …

»Atlan – festhalten!«

Es war zu spät. Plötzlich war ich weit von dem kleinen Raumschiff mit den Deltaflügeln entfernt – oder es war auf eine Größe von nur einigen Handlängen zusammengeschrumpft. Ich wusste es nicht. All das schien mich überhaupt nichts mehr anzugehen. In meinen Ohren dröhnte die Stimme von Correson, aber ich verstand ihn nicht, auch nicht das, was der Logiksektor flüsterte. Seltsamerweise interessierte mich auch nicht mehr wirklich, was sie sagten. Plötzlich ahnte ich, dass meine zunächst vage Vermutung Gewissheit war.

Die Sogmanton-Barriere hat mich im Griff! Ich werde zum hilflosen Spielball hyperenergetischer Kräfte, die nicht nur die technischen Einrichtungen des Schiffes und meines Raumanzugs beeinflussen, sondern auch meinen Verstand. Harte hochfrequente Hyperstrahlung?

Nur mit Mühe gelang es mir, noch klar zu denken – bis ich die Stimme von Farnathia vernahm! Sie rüttelte mich auf. Plötzlich sah ich ihre hellroten Augen und ihr schulterlanges Silberhaar greifbar nahe vor mir. Ihre Lippen schienen mich direkt anzusprechen.

»Ich kann dich hören, Farnathia«, sagte ich keuchend. »Ich versuche zurückzukommen.«

Ich zündete das Fluggerät meines Anzugs und gab Vollschub. Das Raumschiff wurde größer. Ich näherte mich ihm sehr schnell – glaubte ich, bis es plötzlich verschwand. Betroffen drehte ich mich um mich selbst und suchte, aber ich fand es nicht wieder. »Farnathia? Wo seid ihr?«

»Du bist von uns weggeflogen!«

Ich warf mich herum und versuchte es in der entgegengesetzten Richtung. Für Augenblicke veränderte sich nichts, während ich durch unwirkliche Schleier aus leuchtender Energie hindurchflog, bis ich die Stimme von Correson hörte: »Sie fliegen an uns vorbei, Atlan. Blicken Sie nach rechts.«

Ich folgte seinem Rat, sah jedoch nichts. Daraufhin wandte ich mich zur anderen Seite, und jetzt entdeckte ich das kleine Raumschiff mit den Deltaflügeln. Abermals die falsche Richtung? Der Schub hätte mich von dem Raumer wegführen müssen. Tatsächlich brachte er mich näher an ihn heran. Lord Correson und Farnathia standen in der Schleuse, streckten mir die Arme entgegen. Je näher ich jedoch kam, desto geringer wurde die Schubleistung. Ihre Gesichter waren durch die transparenten Helme hindurch deutlich zu erkennen. Ich sah Farnathias angstvoll geweitete Augen. »Die Aggregate funktionieren nicht richtig; ich schaffe es nicht.«

»Beschleunigen Sie stärker!«, riet mir Correson.

»Mehr geht nicht.« Ich streckte ebenfalls meine Arme aus. Langsam kamen die beiden näher; viel zu langsam. Dann trennte mich nur noch eine Armlänge.

Etwas blitzte plötzlich grell auf. Mir war, als explodiere der gesamte Raumsektor. Etwas traf mich. Geblendet schloss ich die Augen, aber nur für einen Moment, denn ich merkte, dass ich beschleunigt wurde, hatte den Eindruck, in einem Raumschiff ohne Andruckneutralisatoren zu sein. Die Luft blieb mir weg. Dann war die blendende Helligkeit verschwunden, ebenso Lord Correson und Farnathia. Auch der kleine Raumer war nicht mehr da. Ich befand mich irgendwo in den Ausläufern der Wolke und wurde von tobenden Energiewirbeln wie ein Spielzeug herumgeschleudert.

Die Sogmanton-Barriere! Sie muss es sein! Deshalb die verrückten Instrumentenanzeigen. Die nach ihrem Entdecker benannte Barriere ist für ihre Hyperstürme bekannt.

Für Bruchteile von Millitontas tauchte unmittelbar neben mir ein Raumschiff auf. Es musste wenigstens zweihundert Meter lang sein und sah torpedoförmig aus, hatte Deltaflügel … Bevor ich mich aber melden konnte, war es schon wieder verschwunden. Ich wusste nicht, ob ich geträumt hatte oder ob es wirklich vorhanden gewesen war. Vermutlich litt mein Verstand unter der übergeordneten Energie so stark, dass er mir Bilder vorgaukelte, die mit der Realität nichts zu tun hatten. Irgendwann verlor ich in diesem Chaos das Bewusstsein, und ich sank ins Dunkel.

Vision? Traum? Alptraum?

Für unbestimmte Zeit treibe ich durch farbige Schlieren, hinter denen sich vereinzelt der Blick in eine bizarre Landschaft auftut: Nebelschwaden wabern über dem Boden einer kargen Welt; kristallines Glitzern dringt aus der Ferne heran.

Schrilles Kreischen ist zu hören, gellt plötzlich auf, wird von tierischem Knurren und Fauchen überlagert. Schattenhafte Gestalten huschten vorüber, hinterlassen – obwohl nie genau erkannt – den Eindruck furchterregender Bestien und Ungeheuer.

Sphärische Klänge eines Saiteninstruments mischen sich mit melodischem Klingen und machtvollen Gongschlägen. Ferne Musik erklingt: Tai Arbaraith – Chor der Bestien. Durch das Klirren aufeinanderprallender Schwerter dringt keuchender Atem, gefolgt von halblautem Murmeln einer Litanei. Kanth-Yrrh – Kanth-Yrrh …

Ein unnatürlich wirkendes goldenes Leuchten breitet sich im Zentrum eines von funkelnden Säulen bestimmten Kreises aus, überwölbt die Szenerie, in der Personen nur als Silhouetten erkennbar sind und sich angreifenden Schemen entgegenstemmen. Schreie gellen, Waffen prallen aufeinander. Modriger Gestank reizt zum Würgen; der Gestank von Tod und Verderben!

Strahlenumloht erhebt sich ein Schwertkämpfer, stemmt sich vierarmigen schwarzen Bestien entgegen, wird von ihnen fast überrannt, schafft es, sich aufzuraffen, widersteht einem zweiten und auch dem dritten Ansturm. Zeitlupenhaft spritzen rote Tropfen; einer erreicht den staubigen Boden, lässt eine kronenförmige Struktur rings um den Krater emporsteigen.

Und wieder Schreie, lauter, entsetzt. Die goldene Lohe gewinnt an Intensität. Ebenso das Klingen, Klirren, Singen und Läuten. Ohrenbetäubender Lärm wächst zu einer erschütternden Kulisse, bis ein blendender Lichtblitz alles auslöscht …

Als ich wieder zu mir kam, hatte sich nichts verändert. Ich schien inmitten einer gigantischen Materiewolke zu schweben, die von einem unbegreiflichen Durcheinander verschiedener Ströme aufgequirlt wurde. Hin und wieder wurde ich von diesen Kräften erfasst und mitgerissen, bis ich in Wirbel oder Strudel geriet, die mich abfingen und herumschleuderten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, war verzweifelt und suchte immer wieder nach der FARNATHIA. Sie war meine einzige Hoffnung, obwohl ich mir sagen musste, dass auch sie in diesem Mahlstrom verloren war. Der Raumer konnte sich ebensowenig orientieren wie ich.

Ich zwang mich zur Ruhe. Noch lebte ich – offensichtlich war die Gefahr innerhalb der Sogmanton-Barriere doch nicht ganz so groß, wie ich ursprünglich angenommen hatte. Correson hatte befürchtet, dass wir entmaterialisiert und in den Hyperraum geschleudert werden könnten. Aber so schnell kam der Tod nicht, obwohl etwas mit mir geschah und mich von Atemzug zu Atemzug schwächer werden ließ, mir förmlich die Lebenskraft auszusaugen schien. Hyperstrahlung?

Plötzlich tauchte die FARNATHIA wieder vor mir auf. Sofort beschleunigte ich mit aller Kraft, holte alles aus dem Rückenaggregat heraus, was es leisten konnte. Wiederum konnte ich mich nur optisch orientieren, und ich steuerte auf das Ziel zu. Ich hatte mich nicht geirrt: Die FARNATHIA kam rasend schnell näher. Aber die Schleuse war geschlossen. Das bedeutete, dass sich Correson und Farnathia zurückgezogen hatten.

Ich bremste ab und streckte die Arme aus, als die Bordwand greifbar nahe vor mir war. Vor Erleichterung schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, wie meine Hände in das molekularverdichtete Material der Außenwand eindrangen. Meine Finger stießen ins Nichts. Im nächsten Moment glaubte ich, die einzelnen Atome der Hülle sehen zu können, war von geordneten Strukturen riesiger Kugeln umgeben, die einander teilweise durchdrangen. Irgendetwas drehte mich sanft herum. Und dann hatte ich den Raumer durchquert, befand mich wieder in den Energie- und Staubwirbeln. Wo war ich gewesen? War ich bereits in übergeordnete Bereiche eingedrungen?

Kosmischer Staub prasselte hörbar laut gegen meinen Schutzanzug. Eine akute Gefahr bestand offenbar nicht für mich, wie mir ein Blick auf die Kontrollen zeigte – der Anzug wurde nicht beschädigt. Noch nicht! Vor mir erschien unvermittelt ein Ding in den bräunlichen Schwaden und Schlieren, das aussah wie ein riesiges Ei. Ich blickte hinüber und lächelte bitter. Diesmal werde ich mich auf gar keinen Fall täuschen lassen und erneut Energie verschwenden. Ich war entschlossen, geduldig auf meine Chance zu warten, um dann, wenn sie sich mir bot, alles auf eine Karte zu setzen. Und nur dann!

Das Ei ist real!, versicherte der Logiksektor.

Es bestand auf der einen Seite aus einem schwarzen und auf der anderen aus einem transparenten Material. Sofern ich nicht abermals getäuscht wurde, erreichte es in der Länge etwa sechs und an der breitesten Stelle etwa vier Meter. So etwas wie einen Antrieb konnte ich nicht ausmachen. Das bestärkte mich in der Ansicht, dass es sich hier abermals um eine der optischen Täuschungen handelte. Ich rührte die Schaltungen der Anzugaggregate nicht an, zumal ich ohnehin auf das Ei zutrieb.

Stutzig wurde ich, als ich im Innern eine Gestalt im Raumanzug entdeckte. Sie strich mit den Händen über die Oberfläche einer Steuerplatte. Damit kontrollierte sie offenbar das Schiff. Jetzt wurde mir auch klar, dass ich mich nicht bewegte, sondern dass dieses Ei auf mich zukam. Ich schloss die Augen. Nein. Das ist unmöglich.

Falsch!, signalisierte mein Logiksektor.

Ich blickte wieder hin. Das Ding war nur noch eine Körperlänge von mir entfernt. Ich starrte auf die spiegelnde Wölbung eines Raumanzughelms. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Der Fremde steuerte das Ei um mich herum, als wollte er mich von allen Seiten mustern. Ich winkte, doch er reagierte nicht. Das Ei stoppte seine Bewegung. Die undurchsichtige Wölbung drehte sich mir zu, eine ovale Luke öffnete sich in der Art einer Irisblende. Mit einem vorsichtigen Schub aus dem Rückenaggregat brachte ich mich heran und klammerte mich an einen Haltebügel am Rand der Kammer.

Völlig erschöpft kroch ich in die winzige Schleuse. Erst jetzt merkte ich, wieviel Kraft mich mein Aufenthalt im Raum gekostet hatte. Das Schott schloss sich. Ich konnte keine Veränderung feststellen. Der Fremde schien nicht zu beschleunigen. Mir war im Augenblick auch ziemlich egal, was er tat, aber das würde sich natürlich sehr schnell ändern, wenn ich mich ein wenig erholt hatte.

Die Innentür glitt auf. Vor mir stand ein großer, breitschultriger Mann, den ich erst als Arkonide erkannte, als er den Raumhelm öffnete, der unter knisternden Geräuschen seine Spannung verlor und als schlaffe Kapuze nach hinten sank. Verblüfft richtete ich mich auf; ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden aus meinem Volk zu treffen – erst recht nicht jemanden, der mich spöttisch anblickte. Er winkte mir.

Als ich den kleinen Kommandoraum erreichte, saß mein Retter wieder auf seinem Platz. Er hantierte an den Schaltungen auf dem Pult vor sich. Der Weltraum sah durch die transparente Wandung völlig klar aus. Sogar die Sterne leuchteten in dem ruhigen und kalten Licht, das ich kannte. Hat mich der Fremde aus der Sogmanton-Barriere herausgeflogen? So schnell? Laut sagte ich: »Danke!«

Er drehte sich um und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Es ist ziemlich ungewöhnlich, jemanden in einer solchen Aufmachung hier zu finden. Sind Sie über Bord gesprungen?«

»So könnte man es nennen.«

Er lächelte unmerklich und nickte mir zu. »Setzen Sie sich, und halten Sie den Mund! Wir sind bald am Ziel.«

Ich ließ mich in einen der beiden freien gepolsterten Sitze sinken, weniger, weil er es so wollte, als vielmehr, weil ich mich weiterhin schwach fühlte. »Ich habe eine Bitte: Ganz in der Nähe befindet sich das Raumschiff, das ich verlassen habe. Es ist die FARNATHIA. An Bord sind fünf Arkoniden. Retten Sie sie!«

»Später.«

Ich fuhr auf. »Wenn Sie nicht sofort handeln, gibt es vielleicht kein Später. Der Antrieb funktioniert nicht. Das Schiff ist hilflos.«

»Wie unangenehm für die Besatzung!«

»Wer sind Sie?«

»Jepson Tropp. Sie sollten wissen, junger Mann, dass ich nicht sehr rücksichtsvoll mit Gesprächspartnern umzugehen pflege, die meinen, mir etwas befehlen zu können.«

Ich ging auf ihn zu. »Ich verlange, dass Sie sofort nach meinen Freunden suchen.«

»Tun Sie das.« Er reizte mich bis aufs Blut. Ich war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren; Sorge und Angst bestimmten mein Denken. Farnathia!

»Ich habe kein Verständnis für Ihre Haltung, Tropp, und ich werde auch nicht zulassen, dass Sie weiterfliegen, ohne …«

»Werden Sie nicht?« Er grinste breit – und richtete den Paralysator auf mich.

Jepson Tropp blickte mich zynisch grinsend an, als ich nach unbestimmter Zeit wieder zu mir kam. »Das genügt hoffentlich.«

Er reichte mir ein Glas mit einer rötlichen Flüssigkeit. Ich nahm es und trank es mit kleinen Schlucken aus. Ich war wie ausgedörrt. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich aufgebe?«

Er nickte gelassen. »Doch. Ich werde Sie nämlich ohne Raumanzug über Bord werfen, sollten Sie mich anzugreifen versuchen. Verstanden?«

Erst jetzt fiel mir auf, dass er mir den Raumanzug ausgezogen hatte. »Warum wollen Sie die anderen nicht retten?«

»Sie interessieren mich nicht.«

»Sie sind ein Lump.«

»Danke. Ich fühle mich geehrt.« Er wandte sich ab und setzte sich wieder hinter die Kontrollen.

Ich richtete mich auf und hatte Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Mein ganzer Körper schmerzte. Die Paralyse wirkte nach. Er braucht nicht zu merken, wie elend und schwach ich mich fühle. Meine Knie zitterten, so dass ich fürchtete zusammenzubrechen. »Was ist das für ein Ding? Wie funktioniert es? Wie können Sie damit in der Sogmanton-Barriere fliegen? Das ist doch die Sogmanton-Barriere?«

»Ja. Das Ei – wir nennen es Zaradhoum – kämpft nicht gegen die hyperenergetischen Ströme, sondern passt sich ihnen an und bedient sich ihrer«, sagte Tropp überheblich. »Auf diese Weise wird es zum Kinderspiel, hier zu fliegen.«

Er übertreibt!, meldete sich skeptisch der Logiksektor. Selbst für ein Zaradhoum-Staubei wird die Navigation kein Kinderspiel sein!

»Die FARNATHIA hat keine Möglichkeit, sich den Strömen anzupassen«, sagte ich, um ihn daran zu erinnern, was ich von ihm erwartete, doch er ging nicht darauf ein. Er deutete nur schweigend durch die transparente Kuppel nach vorn. Wie aus dem Nichts heraus tauchten elf weitere Zaradhoums auf, die jeweils mit einem Mann besetzt waren. »Hat jemand von ihnen meine Freunde gerettet?«

Er schüttelte den Kopf. »Die Staubeier hatten andere Aufgaben«, sagte er, als ginge ihn mein Problem überhaupt nichts an. Die merkwürdigen Raumschiffe schlossen sich uns an. Im Verband jagten wir durch das All, immer am Rand der Staubballung entlang, wie ich auf einem der Bildschirme beobachten konnte.

»Piraten! Sie sind Aasvögel, die hier an der Sogmanton-Barriere darauf lauern, dass Raumschiffe verunglücken, um sie dann auszuplündern.«

»Ein kluger Junge«, lobte er spöttisch. »Was Sie nicht alles erraten!«

Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Jetzt verstand ich. Jepson Tropp gehörte tatsächlich zu jenen Verbrechern, deren Existenz nie eindeutig bewiesen worden war. Nur selten wagten sich Raumschiffe in diesen Bereich der Galaxis, weil die Gefahren bekannt waren. Häufiger schien es durch Fehlsteuerungen der Transitionstriebwerke zu falschen Raumsprüngen zu kommen. Statt am vorprogrammierten Ziel anzukommen, strandeten die Raumschiffe in der Sogmanton-Barriere. Und hier warteten Männer wie Tropp auf sie, um Beute zu machen.

Deshalb hat Tropp die anderen an Bord der FARNATHIA nicht gerettet. Er hätte dann sechs Fremde an Bord gehabt. Einen Kampf hätte er allein kaum überstanden. Daher hatte er von vornherein auf das Risiko verzichtet. Er konnte ja warten, bis die Besatzung des Kleinraumschiffes tot war. Sollte die FARNATHIA in den Hyperraum geschleudert werden, hatte er Pech. Blieb sie innerhalb des Mahlstroms, konnte er sie immer noch bergen. So gesehen habe ich unglaubliches Glück gehabt, dass er mich überhaupt aufgefischt hat …

2.

Aus: Die Suche nach Arbaraith (fragmentarisch), Sogmanton Agh’Khaal; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 4024 da Ark

… wurde mit dem »Teaultokan« eine Basis am Rand der Barriere geschaffen, von der aus die weitere Erforschung stattfinden soll. Der inzwischen abschnittsweise ausgehöhlte Asteroid von rund tausend Kilometern Durchmesser ist durch die ins Gestein eingelagerten Vorkommen von Luurs-Metall und diversen Hyperkristallen vor allem der violetten Criipas-Sorte mit einem natürlichen Schutz ausgestattet.

Während ringsum nahezu ständig Hyperstürme toben, bleibt unsere Station weitgehend davon verschont. Leider können manche Auswirkungen der harten Hyperstrahlung nicht unterbunden werden – wiederholt wurden Spontanmutationen beobachtet; mindestens fünf Arkoniden gelten seither als paranormal begabte Zhygor’ianta. Noch sind die damit verbundenen hyperphysikalischen Gesetzmäßigkeiten unbekannt, und es fragt sich, ob die arkonidische Wissenschaft überhaupt in der Lage ist, sie eindeutig zu bestimmen. Fest steht nur, dass dieser Effekt wirkt und sich vielleicht auch auf andere Weise nutzbar machen lässt.

Tai-Laktrote Richmond jedenfalls behauptet, dass die ungeklärte Temperaturkonstanz von Luurs-Metall Zeichen dafür sei, dass dieses exotische Material je nach gegebener äußerer Bedingung auf nicht näherzu erfassende Weise Energie in den Hyperraum abstrahlt oder daraus abzieht. Sollte es uns gelingen, dieses Prinzip in ähnlicher Form umzusetzen, könnte am Ende die Entwicklung von Fahrzeugen möglich werden, mit denen sich ins Innere der Barriere vordringen lässt …

»Wie gefällt Ihnen Richmonds Teaultokan?«

»Nicht schlecht«, gab ich widerwillig zu. »Ein interessantes ›Schloss‹.«

Der Anblick des Piratennestes überraschte mich. Ich hatte nicht mit einem solchen Gebilde gerechnet. Die Wegelagerer hatten sich auf einem unregelmäßig geformten, grob an eine bauchige Flasche erinnernden Asteroiden niedergelassen, der eine beachtliche Größe erreichte. Überall auf der Oberfläche waren bündelweise Raumschiffe, Raumschiffsteile und Wracks zu erkennen. Offenbar hatten die Piraten sie aneinandergeschweißt, so dass teilweise wahre Berge entstanden waren, die weit in den Raum hinausragten. Tropp merkte mir meine Überraschung an und grinste überheblich.

»Einen gewissen Fleiß kann man Ihnen nicht absprechen«, sagte ich.

»Es fällt mit der Zeit allerhand an«, gab er zu. »Wir brauchen nur zu warten. Es gehört zwar ein wenig Geduld dazu, aber dafür haben wir fast immer Erfolg. Ständig verunglücken Schiffe in der Barriere; einige scheinen von weit her zu kommen, werden vielleicht von Hyperstürmen versetzt und kommen hier heraus. Wie auch immer …«

»… Sie brauchen nur mit Ihren Staubeiern hinzufliegen, um sich zu holen, was Sie haben wollen.«

»So ist es.«

Ich musste zugeben, dass ich in gewisser Weise fasziniert war. Unauffällig beobachtete ich ihn, wie er das Zaradhoum lenkte, denn ich wollte so schnell wie möglich begreifen, wie diese seltsamen Schiffe gesteuert wurden.

Er merkte mir an, dass ich nur halb bei der Sache war, und er erriet, womit ich wirklich beschäftigt war. Er lachte. »Geben Sie sich keine Mühe. So schnell werden Sie nicht herausbekommen, wie man ein Staubei behandelt. Es hat schon mehr als ein Gefangener versucht, von hier zu fliehen – bis jetzt ist es noch keinem gelungen.«

»Irgendeiner wird irgendwann der Erste sein!«, murmelte ich und dachte an Sofgarts Folterwelt. Meine Gedanken kreisten um die jüngste Vergangenheit. Ich dachte daran, wie ich nach unsäglichen Strapazen und Gefahren den Blinden Sofgart überlistet und ihn gezwungen hatte, ein Raumschiff für Farnathia, mich und vier ehemalige Gefangene des Söldnerführers zur Verfügung zu stellen.

Mit diesem hatten wir Ganberaan verlassen. Wir waren guten Mutes, denn die FARNATHIA erwies sich als kleines, aber sehr gutes Schiff. Schon auf Trumschvaar war mein Freund Tirako gestorben; ein weiteres Opfer auf der immer länger werdenden Liste, die auf Orbanaschols Konto ging. Irgendwann bekommt er sie präsentiert …

Optimist!, raunte meine innere Stimme und riss mich aus den Gedanken.

Das Ei senkte sich, ohne dass Tropp viel tat, zwischen zwei Berge aus Raumschiffsteilen. Zahlreiche Luken waren beleuchtet. Wie von Geisterhand geleitet, schob sich das Staubei an die Schleuse eines Raumers heran, verharrte kurz davor und flog dann hinein. Der Raumer war nach meiner Schätzung etwa zweihundert Meter hoch und glich einer stumpfen Rakete. Die Leit- und Stützflossen waren bis auf unwesentliche Reste entfernt worden. Deutlich konnte ich die Spuren erkennen, die der Staubsturm der Sogmanton-Barriere an der Außenhaut hinterlassen hatte. Sie machten mir erst bewusst, wieviel Glück wir im Unglück gehabt hatten.

Bei diesem Gedanken erschrak ich. Wer sagt mir denn, dass die FARNATHIA nicht gerade jetzt von Gewalten heimgesucht wird, denen sie nicht mehr gewachsen ist? Wer sagt mir, dass der Kurierraumer sich behauptet hat? Vielleicht ist Farnathia schon längst tot. Ich sah ihre zierliche Gestalt vor mir, sah den strahlenden hellroten Blick ihrer Augen, glaubte den Duft ihres silberfarbenen Haars zu riechen. Nein, sie lebt! Sie darf nicht tot sein!

»Bringen Sie mich zu Richmond.«

Jepson Tropp lachte schallend. »Zu wem? Zu Richmond?«

»Sicher«, gab ich kühl zurück. »Zu wem sonst?«

Er grinste mich höhnisch an. »Richmond ist längst Vergangenheit, junger Freund. Unser Stützpunkt trägt zwar seinen Namen, aber Richmond existiert nicht mehr – er war ein Zeitgenosse von Sogmanton! Sie wollen den Kommandanten sprechen?«

»Kluger Junge.«

Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht.«

Ich wollte ihn packen, doch er fing meine Hand ab und hielt sie mit eisernem Griff fest. Noch war er mir überlegen, weil ich zu erschöpft war. Obwohl ich nicht viel machen konnte, knurrte ich: »Führen Sie mich zu Ihrem Oberpiraten!«

Er stieß mich zurück. »Aussteigen!«

Ich schleuste aus. Hinter mir schloss sich das Schott des Zaradhoum. Die inneren Tore des großen Schiffes öffneten sich. Jepson Tropp, den ich durch die transparente Wölbung sehen konnte, bedeutete mir mit einer eindeutigen Geste, dass ich mich beeilen sollte. Plötzlich begriff ich: Er wollte starten, und ich war verloren, sofern ich nicht die Schleuse verlassen hatte. Sie würde sich öffnen, die Luft ins All entweichen.

Ich rannte an dem Ei vorbei, als ich sah, dass sich die Innenschotthälften zu schließen begannen. Mit einem Satz sprang ich durch den Spalt. Ich schaffte es nur knapp. Kaum war ich auf dem Boden gelandet, schlugen die Tore krachend zusammen. Die Luft entwich rauschend aus der Schleuse – und ich beschloss, es Tropp irgendwann zurückzuzahlen …

Es herrschte ein dämmriges Licht, das von den flackernden Platten an der Decke ausging. Ich stand auf und sah mich um. Ein Gefängnis! Zunächst hatte ich ganz selbstverständlich angenommen, dass mich Piraten erwarten würden. Jetzt erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte. Vom Innenschott der Schleuse abgesehen, waren die Wände vom Hashleypilz befallen und mit einer dicken fleckigen Kruste überzogen. Das ebenfalls überwucherte Schott zum Schiffsinneren ließ sich nicht öffnen.

Hier ist nur mit einem Desintegrator oder mit einem Thermoschweißgerät weiterzukommen, bestätigte der Extrasinn. Die Schleuse ist ebenso verriegelt wie der Ausgang!