Atterwellen - Luis Stabauer - E-Book

Atterwellen E-Book

Luis Stabauer

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Beschreibung

Mit fünfundzwanzig Jahren zieht Erna, Tochter eines niederösterreichischen Bauern, zu Leopold nach Seewalchen am Attersee. Rasch begreift sie, wie klein die Welt ist, die ihr als Ehefrau und Mutter zugedacht ist. Erna bekommt fünf Kinder. Sie bauen ein Haus, eröffnen ein Gasthaus. Da ist der Traum vom erfüllenden Eheleben längst nur mehr Erinnerung. Nach siebenundzwanzig Ehejahren ist Scheidung die einzige Lösung. Aber Erna hat das Träumen nicht verlernt … Ihre Tagebucheinträge aus fünfundsechzig Jahren werden zur Basis episodenhafter Erkundungsgänge durch ein Leben – und ein Zusammenleben – dabei sind sie auch ein zeithistorisches Dokument der damaligen gesellschaftlichen sowie politischen Veränderungen.

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Atterwellen

Luis Stabauer

Atterwellen

Episoden-Roman

Umschlagbild: Maria Maller

Umschlaggestaltung: Nikola Stevanović

Lektorat: Annalena Stabauer

E-Book-Ausgabe mit freundlicher Genehmigung des Resistenz Verlags, Kematen/Krems

Luis Stabauer: Atterwellen

Alle Rechte vorbehalten

©HOLLITZER Verlag, Wien 2016

Danke Ulla,

deine Kommentare nach dem Erstlesen regen mich an.

Danke „Textmotor“-LiteratInnen, danke Alois,

eure kreativen Rückmeldungen sind nachhaltiger Ansporn.

Danke Geschwister,

eure Erinnerungen sind vielfach eingeflossen.

Danke Annalena,

dein Mitdenken im Lektorat, deine Fähigkeiten als Lehrmeisterin sind Architektur am Buch.

Danke Maria,

dein Cover-Bild ist das wunderschöne Entree in mein Buch, es freut mich ungemein.

Danke Mutter,

1  Prolog oder dein Badezimmer

In deinem neuen Zimmer in Lenzing hast du auf mich gewartet. Das Aufstehen fällt dir sichtlich schwer. Deine Augenbrauen sind nicht nachgezogen, die Lippen nicht eingefärbt.

– Heute haben sie mir das Frühstück und das Mittagessen aufs Zimmer gebracht, sagst du. Am Abend möchte ich wieder mit dem Rolli in den Speisesaal fahren. Aber mit der Frau Werner will ich nicht mehr an einem Tisch sitzen.

Angeblich hat sie dich beschimpft, weil du dein Messer abgeschleckt hast.

– Schade, meinst du, sie ist bis dahin immer freundlich gewesen, jetzt wird sie komisch. Vielleicht ist es nicht gut, wenn man über hundert Jahre alt wird?

Wieder einmal erzählst du mir von deiner Kindheit am Bauernhof in Plaika. Dabei benutzt du Ausdrücke, die mir Bilder von meinen Sommeraufenthalten am großelterlichen Hof zurückbringen. Es dauert nicht lange, und deine Erinnerungen drehen sich um deinen Vater. Ich habe ihn nur als Kind noch erlebt. Die Hoppa-Reiter-Spiele auf seinem Schoß werden in meinem Kopf wieder lebendig. Es muss schön sein, so angenehme Erinnerungen an seinen Vater haben zu können, denke ich. Aber warum verfällst du plötzlich wieder in den Dialekt deiner Kinder- und Jugendzeit?

Schließlich erwähne ich meine große Reise nach Lateinamerika. Langsam kannst du dich wieder erinnern, möchtest wissen, ob ich auch die Schneeberge in den Anden sehen werde. Und ob ich wieder so lange wegbleiben werde wie damals in El Salvador.

– Aber die langen Briefe, die du mir damals geschrieben hast, sagst du mit leuchtenden Augen, die habe ich immer noch. Sie liegen bei meinen Tagebüchern.

– Tagebücher?, wiederhole ich. Schreibst du schon lange?

Du lächelst mich an. Die Frage berührt dich, meine ich zu spüren.

– Geschrieben habe ich schon als Kind, heimlich, sagst du. Ab 1944 habe ich die Bücher auch aufgehoben. Mittlerweile sind sie mir recht wichtig.

Ja, denke ich, mein erstes Buch über die Geschichte einer Wienerin hat dich so begeistert: Hast du damals bereits an deine Tagebücher gedacht? Sollten sie vielleicht eine Fundgrube sein?

– In den letzten Tagen daheim in meinem Zimmer, erzählst du weiter, habe ich die frühen Einträge wieder gelesen. Die Kriegszeit hat mich am meisten berührt. Wenn ich einmal nicht mehr bin, deine Stimme ist jetzt sehr leise, kannst du die Tagebücher lesen. Es steht nichts Spektakuläres drinnen, aber wer weiß, vielleicht machst du ja noch einen richtigen Roman daraus.

Ich sage nichts, denke an deine Geschichten über die Russen, dann spüre ich deinen Blick.

– Mach dir keine Sorgen, sagst du, jetzt wieder laut und deutlich, mir geht es gut hier. Alle sind freundlich, und vielleicht holt mich die Pepperl demnächst noch für ein paar Tage heim. Das Bett ist sicher noch da und ich habe ja den Stiegenaufzug.

Schweigen. Ich möchte das Thema wechseln.

– Deine Zahnpasta liegt im Badezimmer, sage ich, die hast du vergessen, ich habe nur ein wenig davon genommen und die Tube ist beinahe noch voll.

Mit einem Lächeln legst du deine Hand auf meinen Arm.

– Du kannst sie ruhig aufbrauchen, wenn du oben am Attersee bist. Ich mag die Colgate nicht, und wenn mich die Pepperl abholt, nehme ich mir eine andere von da herinnen mit. Und versprich mir eines: Sollte etwas mit mir sein, unterbrich deine Reise nicht. Die Pepperl und die Frieda kümmern sich vorbildlich um mich. Mach dir keine Sorgen, wiederholst du, mir geht es gut und ich werde dich in Gedanken auf deiner Reise begleiten. Vielleicht bekomme ich ja auch wieder ein paar Briefe von dir?

Erst danach ziehst du deine Hand wieder zurück. Mit einem tiefen Seufzer.

Ich fahre weg. Zuerst von deinem neuen Zuhause, dann aus Wien. In Argentinien sehe ich die ersten Schneeberge der Anden. Nicht nur dabei denke ich an dich. Deine guten Wünsche und der Hinweis auf deine Tagebücher begleiten mich. Ob ich dich noch wiedersehen werde? In der Atacama-Wüste erreicht mich Friedas Anruf. Du seist heute in Lenzing friedlich nach dem Frühstück gestorben. Soll ich abbrechen? Ich erinnere mich an deine Worte, entscheide mich für die Weiterreise und bereite dir einen besonderen Abschied in den Anden.

Zehn Wochen danach stehe ich in deinem alten Badezimmer. Deine Manikürtasche, die vielen Haarshampoos, das Tuch, mit dem du penibel die Wassertropfen von den Fliesen und den Chromteilen entfernt hast, die Haarbürste, dein höherer Sitz für das WC, der Badeaufzug, alles ist noch da. Erst wenige Monate vor deinem Tod warst du ausgezogen, hattest dein Zimmer, deinen Balkon, dein Bett, deine Blumen und dein Badezimmer zurückgelassen. Freiwillig?, fragt mich der Spiegel – oder ich ihn? Auch die fast volle Colgate-Tube steht noch immer auf der Glasablage unter dem Spiegel. Die Tube nehme ich als Andenken mit, ich werde die Zahncreme sehr sparsam, aber doch verwenden.

Pepperl hat deine Tagebücher bereits geordnet. Einen Meter und dreizehn Zentimeter hoch ist der Stoß. Die ersten Einträge sind von 1944, die letzten von 2009. Welches Erbe, welchen Schatz hast du uns da hinterlassen? Hast du gehofft, dass wir dich durch deine Aufzeichnungen besser verstehen werden? Ich bin überrascht: Die Struktur deiner Aufzeichnungen ist denen in meinem Reisejournal ähnlich. Hast etwa du mir die Lust am Schreiben weitergegeben? Ich schlage meine Einträge aus Chile auf:

12.März 2011,

Samstag: Die Wüste glüht. Copiapó in der Atacama-Wüste. Vor zwei Jahren erlangte die Stadt Berühmtheit, die Rettung eingeschlossener Bergleute wurde weltweit übertragen. Morgen fahre ich mit einem Geländewagen und einem Reiseführer hoch hinauf in die Anden.

13.März 2011,

Sonntag, frühmorgens: Meine Schwester Frieda rief an, ihre verweinte Stimme schnürte mir die Kehle zu: „Mutti ist heute Früh gestorben.“

Für einige Minuten konnte ich meine Gedanken nicht ordnen: Heimfahren oder doch nicht. Die geplante Tour zur Laguna Verde absagen? Was hättest du dir gewünscht, Mutter? Du warst reiselustig. Wenige Wochen vor deinem 90er hast du dich noch interessiert nach der Route erkundigt. „Ich reise in Gedanken mit“, hast du gesagt. Gut, Mütterchen, du bekommst deinen Abschied in den Anden.

14.März 2011,

Montag: Der Kopf brummt. Sind es die Nachwirkungen der Höhenluft oder doch die drei Flaschen Rotwein. Nacho und Klaudia haben mich trösten wollen. Mutter, ich hab für dich einen Stein in den Grünen See auf 4300 m Höhe geworfen. Ich hab dann der Zeit zugesehen, wie sie die Wellen glättete. Wie lange wird der Stein auf dem Grund liegen? Die Schneeberge um den See hätten dir gefallen, sie werden deinen Stein behüten.

Das Begräbnis, die Worte des Pfarrers, der Leichenschmaus, die Kaffeerunde im engen Familienkreis: Ich bin nicht dabei gewesen. Jetzt besuche ich dich am Friedhof. Die Erde auf dem Grab ist noch gewölbt, dein Körper im letzten, kleinen Zimmer benötigt Platz. In fünf bis sechs Wochen wird dein Grab wieder eben sein. Dann kann der neue Grabstein aufgestellt werden. ‚Erna und Leopold‘ soll darauf eingraviert werden. Du hast es dir gewünscht, wieder bei deinem Poidl zu liegen. Wir Kinder haben euch nach der langen Trennung wieder vereint.

Die provisorische Grabumrandung kenne ich. Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich mir mit den zugeschnittenen Brettern mein erstes Bett gezimmert.

– Einen Meter und vierzig Zentimeter Liegefläche hätte ich schon gerne, habe ich zum Tischler Franz gesagt, es kann ja sein, dass jemand bei mir nächtigen möchte.

Der hat mich angelächelt:

– Charly, das wird nicht lange dauern bei dir.

Jetzt haben die Bretter eine letzte sinnvolle Verwendung gefunden. Ich lege meine Gedanken dazu. Mütterchen: Vor sechs oder sieben Jahren haben wir unseren Frieden finden können, haben uns gegenseitig nicht mehr verändern wollen. Darüber bin ich heute noch froh.

Wieder im Elternhaus an der Ager, daheim, denke ich überrascht, erzählen mir meine Schwestern Josefa und Frieda ausführlich von der Verabschiedung unserer Mutter. Pepperl bemerkt meine Tränen und nimmt mich in ihre Arme. Jetzt kann ich meinen Schmerz zeigen.

Später sitze ich lange in deinem Zimmer. Fünf Bücher sind es von 1944 bis zu meiner Geburt. Zweiundfünfzig Bücher zähle ich insgesamt. Ich gehe in den Garten, lese und blättere, lese und blättere, die Sonne wärmt mich. Deine Zeilen über die letzten Kriegsjahre, die Bitterkeit nach der Todesmeldung deines Bruders, dein Warten auf Leo und der Mut, auch gegen den Willen deiner Mutter zu ihm zu ziehen: Ich beginne dich neu zu sehen. Dein Gesamtwerk gibt mir Anstöße und Ideen, Kurzgeschichten zu entwickeln. Ich glaube, du wärst stolz. Jetzt liegst du unter meinen Brettern und ich bin auch ein wenig stolz, was du alles aufgeschrieben hast. In deinen Einträgen wird auch sichtbar: Vom ‚Burli‘ über den ‚Karli‘ bis zum ‚Karl‘ hast du wie meine Entwicklung auch meine Namen mitgeprägt. Den ‚Charly‘ hast du lange nicht akzeptieren können, Englisch hat dich geärgert und das deutsche ‚Tschüss‘ auch. Den ‚Carlos‘ habe ich schon vor fünfzehn Jahren aus Lateinamerika mitgebracht. Du hast ihn nicht über die Lippen gebracht und auch meine Schwestern sind beim ‚Charly‘ geblieben. Es ist mir nicht so wichtig. Obwohl, es wäre schon fein gewesen, auch von dir den ‚Segen‘ für jene Veränderung zu bekommen, die ihre Wurzeln in Lateinamerika hat, den Namen Carlos.

Es vergehen drei Jahre, bis ich zu schreiben beginne. Ich entscheide mich, einige deiner frühen Eintragungen an den Anfang zu stellen, um den Lesern deinen Ton hören zu lassen, der auch der Ton dieser Zeit ist. Hier beendest du deine vom Krieg geprägten Jugendjahre, mit der Übersiedlung vom elterlichen Bauernhof in Plaika, Niederösterreich, nach Seewalchen am Attersee.

Aus deinen Eintragungen und meinen Erinnerungen entstehen Kurzgeschichten. Rund um Begebenheiten, die du oder ich, oder du und ich erlebt haben, erlebt haben könnten.

15. Jänner 1944

Sonntag: Schwerer Gang. Feierliches Requiem für meinen Bruder Hansl, Stephan kam nicht. Unendlich viele Menschen gaben ihm die letzte Ehre, es wurde geschlossen zur Kirche gebetet, 16Kränze und 2Buketts wurden von der männlichen Dorfjugend getragen. Nachher feierlicher Akt beim Krieger-Denkmal. Tee beim Mayrhofer!

24.Mai 1944

Mittwoch: Schöner Maitag. Bombardierung in Wien, 77Tote.

1.Oktober 1944

Sonntag: Trüb – kühl. Requiem für den am 9.September gefallenen Sepp Hemmelmaier, hatte 30Kränze, viele Menschen gaben ihm die letzte Ehre. Am Freitag, 9Uhr, schenkte Frau Schradi einem Mäderl das Leben, doch kurz darauf verschied es. Mayr Steffi ist nur staatlich verheiratet, die Strafe Gottes hat einen Vater von Frau und 2Kindern weggerissen. Poidl beginnt mit dem Lehrgang.

18.November 1944

Samstag: Schönwetter. Angriff auf Wien und Linz. Endlich dringt die Wahrheit vom Tod des Adolf Hitler auch durchs Volk, er ist der Verwundung vom Bombenangriff des 20.Juli erlegen; nun hat der Hauptmörder Himmler die Führung in der Hand.

7. Jänner 1945

Sonntag: 10cm Neuschnee – kalt. Hab von Poidl gestern eine schöne belgische Pistole erhalten.

2. Feber 1945

Freitag: Glatteis – Mariä Lichtmess. In der Molkerei gibt es so wenig Brennmaterial, wird keine Milch mehr pasteurisiert, wenn das so weitergeht, gibt’s weder Magermilch noch Butter mehr! 400Sträflinge sind in Mauthausen geflüchtet, der Volkssturm ist im Einsatz, mit der Landwache!

9. Feber 1945

Freitag: Gefroren. War bei den Sakramenten, gestern und heute wieder Angriffe auf Wien. Hab von Poidl aus Wien Post vom 6. Feber bekommen, der Nordbahnhof ist ganz kaputt, das Parlament und viele andere Sehenswürdigkeiten getroffen; bin sehr in Gedanken um Poidl.

26.April 1945

Donnerstag: Mein 24. Geburtstag. Hatte noch nie so traurigen, ernsten Geburtstag, es ist schon ein Monat, dass ich von meinem Allerliebsten nichts wissen darf, was meine einzige Freude immer war, auch das muss man entbehren … Wurde so nett und freundlich gratuliert von den einquartierten slowakischen Soldaten. So schwer war mir zumute, da ich von meinem Poidl keine Geburtstagsgrüße erhalten durfte, der liebe Herrgott gebe es, dass wir uns bald gesund und glücklich auf nimmer Abschiednehmen sehen dürfen!

9.Mai 1945

Mittwoch: Wieder schöner Tag, die Vögel sangen so schön. Wir saßen im Zimmer auf unserem Hof. Um halb neun Uhr kam ein Russe und sah in jene Kästen, mit denen Vater unsere Tür verstellt hatte. Bei jedem Schritt erzitterten wir. Um fünfzehn Uhr kam unser Slowake mit dem Rad zum Verabschieden, sie mussten nicht mehr für die Bauern arbeiten und zogen in die Heimat. Wir hatten schon geschlafen, in unserem Arrest, auf einmal kam meine Schwester Susi mit meinem Liebsten herein. Er wurde von der Wehrmacht entlassen und schlug sich mühselig vom Osten her durch. Hatte die Füße voller Blasen, der Arme. An der Donau wollte ihn ein Russe erschießen.

13.Mai 1945

Sonntag: Morgens schon heiß. Niemand kann zur Kirche gehen, da die Straßen voll von Flüchtlingen sind und wir Frauen uns nicht auf die Straßen trauen. Allein die Schmutzer Weiber tragen schöne Kleider, ihr Benehmen gibt jedem zu denken!

2. Jänner 1946

Mittwoch: Wieder etwas gefroren! Frau Krasser Mimi und ich waren mit den Pferden in Ybbs, waren auch Kartenaufschlagen. In Ybbs sind wieder 4000 Russen. Lauter junge, stehen unter scharfer Bewachung. Am Straßenrand von Sarling nach Kemmelbach ist ein einsames, verlassenes Soldatengrab, unbekannter Soldat! An jeder Straßenkreuzung stehen unzählige Menschen. Züge fahren für den gewöhnlichen Verkehr noch immer keine!

7.April 1946

Sonntag: Sehr kühl – starker Wind. Generalosterkommunion für Frauen, war um ½ 11 erst in der Messe und am Nachmittag in Petzenkirchen am Kreuzweg und Standeslehre für Mädchen vom Kapuziner. Der Pfarrer hat ab heute, Passionssonntag, von allen, die Christen sein wollen, verlangt, bis Ostern das Tanzen sein zu lassen. Beim Stöckler gab’s einen Tanzabend, war spärlich besucht, zu wenige Mädchen vor allem.

12.April 1946

Freitag: Schmerzhafter Freitag, sehr frisch – windig. War in der Messe und bei der Kommunion. War auch Kartenlegen.

20.Juni 1946

Donnerstag: Kühl – windig! Obst ist heuer doch zufriedenstellend, fast überall. Der Wein zeigt sich besonders schön, auch Marillen. Erhielt von Poidl Post, soll kommen. Mama ist dagegen. Fronleichnam wurde sehr feierlich gehalten.

5.Juli 1946

Freitag: 41° im Schatten. War in Melk, meine Reisebewilligung und den Identitätsausweis holen. Haben Weizen geschnitten und Heu eingebracht. Mama klagt stets über Magenschmerzen, wird zum Arzt müssen. Hab an Poidl ein Telegramm abgeschickt!

31.August 1948

Dienstag: 23°. Morgennebel, kühl. Tagsüber sehr warm. Nach 2-jähriger Unterbrechung will ich meine Aufzeichnungen wieder fortsetzen. Am 27.September 1946 wurden wir am Standesamt Mann und Frau. Schwager Gabriel und Herr Gaizmann waren Trauzeugen. Am 28. traute uns der Geistliche Rat Dr.Josef Mannholzer. War so feierlich, ernst und unvergesslich schön. Fuhren mit vier Wagen zur Kirche. So schweren Herzens ich zum Altar ging, so gut geht es mir heute. Leopold ist ein guter, verständiger, sparsamer und fürsorglich liebender Gatte! Am 30. zogen wir mit unseren Möbeln auf 3Monate zu seinen Eltern nach Kraims. Das waren nicht die schönsten Tage, Mutter ist sehr nervös, jedoch Poidl half in jeder Weise zu mir. Am 12.Dezember übersiedelten wir in unsere Wohnung auf einem Bauernhof in Ainwalchen. Am 22.März 1947 wurde unser friedliches, glückliches Eheleben durch die Geburt unserer Tochter Josefa erhöht. Es war das Schönste, was der liebe Gott uns geben konnte.

2.September 1948

Donnerstag: Nachts etwas Regen – tagsüber ziemlich kühl, am Abend Aufheiterung. Das von den Russen besetzte Nordchina erhielt kommunistische Regierung. Beneš sehr ernst krank! Amerikanische Arbeiter spendeten Pakete für die österreichischen Arbeiter.

6.März 1949

Sonntag: 1. Fastensonntag. Wieder etwas kälter, Schneefall und Wind! Poidl war in der Messe und bei der ÖVP-Vertrauensmännersitzung. Alle Kräfte müssen aufgeboten werden vor den Wahlen im Herbst, um kräftig zu bleiben. Die Kommunisten setzen Trug und Schwindel in Bewegung, um Mitglieder zu bekommen.

23.März 1949

Mittwoch: Gefroren – etwas windig, dann warm. Waren bei Frau Aßböck Karten legen lassen. Hilda hatte gute Karten, ich selbst nicht. Immer stand ein politischer Wertverlust drinnen, Poidl wird dieses Jahr noch einen Unfall erleiden, in nächster Zeit steht uns ein Mädel bevor. Sagte mir auch, dass ich vor 8Monaten um ein Kind kam, soll ein Knabe gewesen sein! Wir werden ja sehen, was zutrifft!

16.Oktober 1949

Sonntag: Ganztägig hässlicher Nebel. Bin um 3.30 schon auf, Poidl musste um 4.30 schon bei der Wahl sein, „Gemeinderatswahl“. Hab dann ausgerieben und bin mit Josefa in die Messe nach Seewalchen, vorher zur Wahl. Hab für 19.00 das Essen gerichtet, weil’s Poidl so sagte, ist bereits 22.00 und er ist noch nicht da. Um 22.15 kam Poidl heim. Doch welche Enttäuschung wartete meiner, anstatt freundlicher Worte beschuldigte er mich der Unehrlichkeit. Er hätte alle Wahlstimmen vier Mal durchsucht und jenen Zettel, den er für mich gerichtet hat, fand er nicht. Sagte mir direkt ins Gesicht, ich hätte absichtlich gegen ihn gewählt.

28.Juli 1950

Freitag: Ab 23.30 begannen die Geburtswehen schon arg. War auf. Ging im Zimmer umher. Um 0.30 weckte ich Poidl. Er sollte die Hebamme holen. Beide kamen rasch zurück. Die Wehen packten mich arg. Bei Josefas Entbindung war das nicht so. Frau Pirringer unterstützte. „Es wird schnell gehen“, sagte sie, „geh aufs Topferl, damit das Wasser brechen kann.“ Leopold musste rasch Feuer machen und warmes Wasser richten. Alles kam so überstürzt, kaum war das Wasser gebrochen, als zu unserer großen Freude um 2.25 der kleine Bub das Licht der Welt erblickte. Er wog 4,25kg und hatte 54cm. Die Entbindung war bedeutend besser als die erste, vor allen Dingen rascher. Nur ist es auch nicht so gut, wenn alles so rasch geht. Frau Pirringer sagte, wenn ich alleine entbunden hätte, wäre ich arg gerissen worden! Blut hab ich diesmal nicht so viel verloren, auch die Nachgeburt ging schön und rasch ab. Gleich nach der Geburt gingen die Nachwehen an, so arg, als wenn nochmals eine Geburt käme. Sie hielten den ganzen Tag an, besonders wenn der Kleine trank. War den ganzen Tag sehr matt und erschöpft. Hab Angst vor der Nacht. Poidl sowie meiner kleinen Schwester Erika trau ich mir den Kleinen nicht geben und selbst bin ich noch so müde. Tagsüber machte er mir schon so bange, hat arg Schleim erwischt, der Burli, und das Heraufbringen plagt ihn so.

29.Juli 1950

Samstag: Ganzen Tag gewittrig mit starken Regenfällen! Die Nacht ging so weit ganz gut vorbei, um 23.00 gab ich Burli zu trinken und er schlief durch bis 5.30. Um 14.00 kamen die Stiefsohns und Nazl. Brachten 1kg Kalbfleisch, 20Eier, einige Äpfel, für Josefa Süßigkeiten und 10Schilling, Nazl brachte eine Flasche Wein, Pfirsiche und Strudel. Blieben bis 19.00, ist mir ganz zu viel geworden. Frau Scheue war da, brachte 1kg Butter und 10Eier. Glückwunschtelegramm von Eltern erhalten.

30.Juli 1950

Sonntag: Sehr schöner Tag! Burli war nicht so brav. Leopold war in der Messe. Erika hat immer zu tun, mich wundert es, dass sie sich so dreingefunden hat. Mag den Kleinen so gern. Die Hausfrau war da, brachte mir Dörrpflaumen und 10Eier. Burli hat blutig gebrochen. Erika war abends mit Josefa spazieren, bis Litzlberg.

31.Juli 1950

Montag: Hab wieder so viel Milch. Burli war auch streitig. Ganzen Tag ging’s mir noch mies, auch die Nachwehen sind noch arg gewesen. Frau Karl war da, auch Frau Kroiß junior. Erste brachte 1kg Zucker und 1kg Mehl. Zweite ein halbes Kilo Honig und 2Packerl Waffeln.

1.August 1950

Dienstag: Wieder schönes Wetter! Burli ist sehr streitig, die Blähungen plagen ihn. Leopold musste mir eine Windsalbe bringen. Frau Rabensteiner und Frau Mayr waren da. Erste brachte mir 5Eier und ¼ Rahm, Zweite 1kg Zucker. Abends war Frau Sammer da, brachte 19Eier, und Frau Weiß ½ Liter Rahm und 3Eier.

2.August 1950

Mittwoch: Trocken, bewölkt! Hatte auch heute noch Nachwehen. Von daheim vier Kilogramm Zucker erhalten. Bruder Stephan schrieb ein paar Zeilen dazu.

3.August 1950

2  Ich muss, sagte sie

– Ich komme heute etwas später, sagte Leopold am Morgen, wir haben Sitzung.

Wieder würde sie den ganzen Tag alleine sein. Sie wollte auch hinaus. Die Kleine bekam ihr Flascherl, mit der anderen Hand führte Erni das Kaffeehäferl zu den Lippen und nippte, oder steckte sich klein geschnittene Honigbrotstücke in den Mund. Von Ainwalchen über Gerlham bis nach Seewalchen ging es nur bergab, da würde sie mit dem Rad nur zehn Minuten brauchen. Dann noch über die Agerbrücke, nach links über die Bahnübersetz, hinauf nach Schörfling. Ihr Kind konnte sie für einige Stunden bei der Bäuerin lassen. Bis zur nächsten Mahlzeit von Josefa würde sie wieder daheim sein, auch wenn sie den Berg hinauf zur Hutmacherin schieben würde müssen. Zwei Schilling fünfzig Groschen kostete das Aufbügeln ihres roten Hutes. Vorsichtig legte sie ihn in die Schachtel, zog das Einkaufsnetz darüber und hängte es sich um.

Die Fahrt über den Agerweg hinunter gefiel ihr. Das Kleid flatterte im Wind. Sie vertraute dem neuen Waffenrad mit dem Rücktritt. Im Bergabfahren überholte sie sogar ein Auto.

Die Holz Hilda könnte ich noch besuchen, fiel Erni auf dem Rückweg ein und sie bog in Kammer nach dem Bahnschranken links ab. Diesen kleinen Umweg wollte sie sich gönnen, viel zu selten hatte sie die Möglichkeit, jemanden zu besuchen. Sie wusste es von Poidl, Hilda war diese Woche nicht im Postamt, sie hatte sich Urlaub genommen. Vielleicht war sie daheim.

– Ich habe Besuch, sagte Hilda und blieb vor der Wohnzimmertüre stehen.

– Bin gleich wieder weg, entgegnete Erni, aber wenn ich schon einmal in Kammer bin. Ich habe mir in Schörfling oben meinen Lieblingshut aufbügeln lassen. Hast du es auch im Radio gehört? Der Heilige Vater hat alle, die einer kommunistischen Partei beigetreten sind, aus der Kirche ausgeschlossen. In der ganzen Welt sind sie verdammt. Nur die kommunistischen Länder sind ausgenommen. Na ja, dort sind sie eben nicht freiwillig Kommunisten geworden. Aber den anderen geschieht ganz recht. Was meinst du? Erst letzte Woche hat mir der Poidl aus der ÖVP-Vertrauensmännersitzung erzählt, dass die Kommunisten auch bei uns Lug und Trug einsetzen, damit sie zu Mitgliedern kommen.

Hilda schaute zuerst zu Boden, dann deutete sie mit der Hand auf das Kanapee hinter sich.

– Magst du nicht ein anderes Mal kommen, sagte sie, meine Freundin aus Lenzing hat mir gerade die Karten gelegt und das will ich nicht unterbrechen.

Durch die Türe sah Erni eine Frau in schwarzer Hose und schwarzer Bluse sitzen. Frauen in Damenhosen hatte sie bisher nur in Zeitschriften gesehen. Sie war wohl um die vierzig, wirkte jedoch jugendlich. Die schwarzen Haare waren mit einem roten Tuch zusammengebunden, eine breite, silberne Kette hing bis zum Bauch. Das Symbol daran kannte Erni nicht, ein Judenstern war es nicht, sah aber doch so ähnlich aus. Abgewiesen hatte sie Hilda noch nie. Es schien ihr auch peinlich zu sein. An der Haustüre fand sie entschuldigende Worte.