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Schräg geht immer! Kiez-Kids auf heißer Spur. Elmo ist elf, lebt in Berlin-Neukölln und ist Detektiv. Seine Fälle sind ihm eine willkommenen Ablenkung, denn seit sein großer Bruder gestorben ist, ist nichts mehr wie vorher. Als Elmo auf die superschlaue Gamerin Tuna trifft, begibt er sich mit ihr auf die Suche nach der Meistermelodie im berühmt berüchtigten Online-Spiel MELOdiy. Wer gewinnt, wird reich belohnt. Doch Elmo und Tuna sind nicht die einzigen, die hinter der Meistermelodie her sind. Und so wird aus einem harmlosen Fall ein riesengroßes, aberwitziges Abenteuer. "Auf dem Gipfel wachsen Chinanudeln" ist Benjamin Tientis dritter Roman für Kinder ab 10 und der erste, der zusammen mit Punkband-Kollege Sebastian Kiefer entstanden ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
HEY, ich bin Elmo. Ich bin Detektiv. Ja, kannst du mir glauben. Nicht dass ich schon viele Aufträge gehabt hätte, aber welcher Detektiv hatte die schon mit elf? Aber genau jetzt gerade habe ich meinen ersten Fall angenommen. Ich sage nur: vermisste Person. Mehr sage ich nicht. Na gut. Dönerfabrik. Papagei. Nudelberg. Und immer wieder dieses Online-Spiel, das gerade alle immer spielen. MeloDIY.
Mehr sage ich jetzt echt nicht. Außer, dass ich noch eine Ampel zu reparieren habe. Aber das gehört eigentlich gar nicht hierher.
Kiez-Kids auf heißer Spur: witzig, punkig, laut und mit ganz viel Herz
Für Birol.
WERBISTDU
Hey. Ich bin Elmo. Ich bin Detektiv.
Ja, kannst du mir glauben.
Nicht dass ich schon viele Aufträge gehabt hätte, aber welcher Detektiv hatte die schon mit elf? Detektiv, das bist du einfach oder du bist es nicht, du brauchst keine Bescheinigung und keine Urkunde und auch keine Aufträge dafür. Und ich bin es nun mal, schon immer. Ich bin ganz gut im Beobachten. Kann gut zuhören. Ziehe meine Schlüsse. Kombiniere. Das hat man halt irgendwann drauf, mit der Übung und so.
Und wenn du es draufhast, dann brauchst du auch niemals nach einem Fall zu suchen. Dann kommt dein Fall nämlich zu dir, von ganz alleine. Du musst einfach nur zugreifen.
Die eigentliche Frage ist: Was machst du dann damit?
Jedenfalls: Kennst du diese Situationen in Filmen, wo das Bild auf einmal stoppt – weil die Zeit stehen geblieben ist?
Wie auf Pause gedrückt?
Und dann dreht sich die eine Figur plötzlich in die Kamera und fängt einfach an, mit dir zu reden?
Genau. In so einer Situation sind wir gerade. Tief unter dem Platz der Luftbrücke. Man wird fast weggeblasen vom Wind, den die U-Bahn macht, wenn sie neben dir vorbeirauscht.
Aber auch der Wind ist genau jetzt gerade eben stehen geblieben.
Ich zähle mal auf, was noch so alles stehen geblieben ist:
Die Funken, die von den Rädern der U-Bahn spritzen. Sie schweben einfach in der Luft und kleine Leuchtfäden sprießen aus ihnen heraus, als wären sie Glühwürmchen mit Stacheln. Und eigentlich schweben die Funken auch gar nicht. Eher sind sie an der Luft festgeklebt und man weiß schon vom Hinsehen, dass du die niemals da wegkriegen wirst, nicht mit allen Hämmern der Welt. Die fliegen erst weiter, wenn auch die Zeit weitergeht.
Das Mädchen neben mir, das vor sich in der Luft herumtastet, weil sie sich ein klobiges Brillendings vor die Augen geschnallt hat. Ihr Mund steht offen, weil sie gerade mitten im Satz war und dann im dümmsten Moment die Zeit stehen geblieben ist.
Der kleine Hund mit dem Schutzkragen um den Hals. Jedes einzelne Haar an seinem Fell steht ab und vor ihm in der Luft schwebt ein Spucketropfen, der beim Bellen gerade aus ihm rausfliegt.
Und schließlich ich. Elmo.
Oh Mann, ich sehe vielleicht bescheuert aus. Den Hund an der Leine, eine Sauerstoffflasche baumelt mir vorne um den Hals. Ich zeige auf die U-Bahn. Den Kopf nach hinten gedreht, die Augen aufgerissen, ich sage gerade was. Sicher so was Geistreiches, wie: »Guck mal, ’ne U-Bahn.«
Ja, das bin ich. Sehr treffend.
Und ich drehe mich genau jetzt aus meiner Erstarrung. Voll lässig in die Kamera. Zu dir. Hebe eine Augenbraue.
»Hi. Bei mir lief es nicht besonders gut in letzter Zeit.
Gar nicht gut.
Vor ein paar Tagen kam aber mein erster Fall zu mir.
Direkt danach mein zweiter.
Alles wurde richtigkompliziert. Es ging echt drunter und drüber.
Und tja, jetzt sind wir hier.«
Ich weise mit der Hand auf die ganze Szene hin mit der U-Bahn und den Funken und dem Hund und dem Mädchen.
Und ich lache:
»Hahaha.«
Voll trocken.
»Ich gehe jetzt jedenfalls noch mal zurück. Zum Anfang.
Zu dem Moment, der meiner Meinung nach jedenfalls der Anfang war.«
Wenn du willst, kannst du mit.
Würde mich ja interessieren, was du machen würdest.
Plopp.
Ein großes Rückspul-Symbol ploppt aus der Luft. Genau zwischen dir und mir.
Und alles kommt in Bewegung. Nur rückwärts, natürlich. Die Funken fliegen wieder in die U-Bahn-Räder hinein, ich gehe nach hinten, der Hund geht nach hinten, das Mädchen geht nach hinten. Voll abgehackt sieht das aus.
Achtung, jetzt der Turbo.
WOOOSH!
Und alles wird plötzlich richtig schnell.
Links und rechts zischen bunte Bahnen vorbei.
Und jetzt tauchen auch Bilder auf.
Ziemlich abgefahrene Sachen.
Tauchen auf und werden sofort mitgerissen.
Ein Nudelberg. Wooosh!
Ein dreiköpfiger Hund. Wooosh!
Eine Fabrik auf einem Tisch. Wooosh!
Und ein schwarzer Papagei mit einem Zylinder auf dem Kopf.
Wooosh!
Alles meine Vergangenheit.
Jetzt bleibt das Bild stehen. Rastet ein.
Ein ganz normales Zimmer.
Ein Stockbett vor dem Fenster.
Überall liegt Papier verstreut.
Mein Zimmer.
Der Anfang findet gleich genau hier statt.
In zwei Minuten.
Uhrenvergleich.
Bei mir ist es jetzt genau 20:05 Uhr.
Ich mache mich dann mal bereit.
Bis dann vielleicht.
Deine Entscheidung.
Plopp.
Hinterm Haus bellt ein Hund, schon seit Stunden.
Ich höre das bis hier drinnen. Obwohl das Fenster zu ist.
Ich sehe runter auf den Hermannplatz. Runter auf den Kranz unten am Eingang zur U-Bahn. Seit heute Morgen schaue ich nichts anderes mehr an, nur den Kranz mit Bertholds Namen drauf.
Na ja, ehrlich gesagt schaue ich schon seit Wochen nichts anderes mehr an. Aber heute ist es eben ganz schlimm. Ich komme nicht mehr weg, dabei wollte ich mich heute Morgen nur ganz kurz mal ins Bett setzen und eine kleine Pause vom Planen machen.
Manche Leute bleiben kurz vor Bertholds Kranz stehen und lesen seinen Namen, aber die meisten gehen daran vorbei. Lassen Plastikbecher danebenfallen und spucken Kaugummis auf den Boden. Siebzehn Kaugummis liegen rund um Bertholds Kranz. Heute Morgen waren es noch zwölf. Ich zähle die mit dem Fernglas. Ich habe Zeit.
Der Kranz und ich sind verbunden, als ob ein Faden gespannt wäre, über die Straße nach oben bis zu meinem Fenster und direkt durch die Stirn in meinen Kopf. Ich kann nicht wegsehen, es geht einfach nicht.
Eigentlich habe ich zu tun. Um mich herum rascheln verteilt im Bett überall Blätter. Meine Pläne. Der ganze Zimmerboden ist voller Pläne. Ich sollte die mal aufräumen. Aber es ist, als ob ich verhext wäre, ich kann mich einfach nicht bewegen und ich kann auch nicht wegsehen.
Ich habe so gegen Mittag aufgehört, mich zu wehren.
Ich lasse es inzwischen einfach in den Beinen kribbeln und kneife die Augen zusammen, weil es schon dunkel wird, und meine Stirn drückt vorne gegen das Glas und kühlt die Gedanken, bis alles einfriert und langsam taub wird.
Eingefroren im Bett. Mitten im Frühling.
BONK!
»Auaaaaa! Was ist das denn?!«
Hinter mir platzt die Tür auf. Nelly hüpft auf einem Bein herein. Das höre ich. Am Hüpfen.
»Elmo! Was ist das für ein Ding im Flur? Ey, mir fällt gleich der Fuß ab!«
»Hab ich gefunden, lag im Treppenhaus.«
»Kannst du deine Sachen vielleicht nächstes Mal woanders ablegen? Was ist denn das überhaupt für ein Monstrum?«
Ich rieche das Spray, das sie immer über sich sprüht, bevor sie rausgeht. Es riecht nach Banane, jedenfalls steht das so auf der Sprühflasche.
»’ne Lampe.«
»’ne Lampe? Für ein ganzes Fußballfeld? Alter, wie sieht’s denn hier aus?!«
Sie läuft hinter mir auf und ab und packt irgendwelche Sachen zusammen.
»Eine Lampe, die ein Fußballfeld beleuchten soll, wäre aber weiß. Nicht rot.«
»Glaubst du, ich habe gerade im dunklen Flur irgendwelche Farben gesehen, du kleiner Klugscheißer? Räum lieber mal auf, anstatt hier alles vollzumüllen! Hier findet man ja gar nichts mehr. Unfassbar, wie das hier aussieht …«
Hinterm Haus bellt ein Hund.
Nelly stöhnt.
»Können die dem nicht endlich die Schnauze zubinden? Seit Stunden ey, wie das nervt!«
»Der hat sich bestimmt hier bei uns im Innenhof eingesperrt.«
»Bei uns? Oh Gott!«
Gleich wird sie rausgehen und dann muss sie an dem Hund vorbei. Ein Bild taucht in mir auf. Wie sie sich nicht traut, ihm zu nahe zu kommen, sondern einfach an ihm vorbeirennt und ihm vorne an der Straße die Tür vor der Nase zuknallt, ganz knapp, bevor er auch draußen ist.
Das ist der Moment, in dem der Faden runter zu meinem Bruder abreißt. Ich kann mich wieder bewegen.
Ich drehe mich um und schiebe mich zum Bettrand, lasse die Beine vorne aus dem Bett fallen. Sie sind komplett gefühllos, sodass ich kurz Angst habe, sie sind vielleicht dieses Mal echt abgestorben oder so. Aber nein. Jetzt geht das große Kribbeln los und ich muss die Augen zumachen, um die Tränen zurückzuhalten.
Ich schiebe mich mit den Armen weiter vor.
Durchatmen.
Ich stehe auf und schwanke ein bisschen hin und her.
Der Raum und ich, wir schwanken uns jetzt mal zusammen ein …
Nelly hat aufgehört, im Zimmer auf und ab zu rennen. Sie steht mit offenem Mund und aufgerissenen Augen an der Tür. Sie hat sich falsche Wimpern drangeklebt und sieht damit jetzt irgendwie aus wie ein erschrockenes Reh.
»Du … du stehst auf?!«, fragt sie.
»Ja … und?«
»Soll ich … soll ich Mama holen?«
»Quatsch«, sage ich. »Wieso denn?«
»Keine Ahnung. Pass auf, du wackelst!«
Sie kommt einen Schritt auf mich zu, streckt die Arme nach mir aus, aber ich drehe mich wieder zum Bett und stütze mich am Metall ab. Nelly steht neben mir und sieht unten in unser gemeinsames Stockbett hinein. Chipskrümel und Papiere. Sie rümpft die Nase.
»Was kritzelst du denn da überhaupt?«
»Das sind meine Pläne«, sage ich. Ich beuge mich ins Bett und sammle die Pläne ein und streiche sie glatt und lege sie beiseite.
Der Hund hinterm Haus beginnt jetzt zu jaulen.
Wie ein Wolf, der einen Heliumballon geschluckt hat, so klingt das.
»Halt endlich die Klappe!«, ruft Nelly.
Ich drehe mich wieder um und humpele raus. Schrittchen für Schrittchen durch den Flur, nach hinten zur Wohnungstür. Ich öffne sie und stehe in der Abendluft und sehe die Treppen hinunter in den Innenhof.
Da steht er, der Hund.
Direkt vor dem Hintereingang von McDonald’s, struppig und genau so klein, wie sich sein Bellen angehört hat. Er hat nicht bemerkt, dass ich da bin, ist mit der Aufmerksamkeit ganz bei der Tür. Sein Schwanz steht nach hinten ab und zittert nervös, überhaupt sieht er aus, als müsste man nur schnipsen und er würde wegsausen, wie ein Pfeil aus einem Bogen. Vielleicht haben ihm die Leute durch die Hintertür mal ein paar Reste gegeben und jetzt hat er einfach die Hoffnung, das könnte hier sein neuer Standardfutterplatz werden.
»Alter, wie hässlich.« Nelly hinter mir. »Der ist bestimmt voller Läuse.«
Ich drehe mich zu ihr, sie schaut gar nicht zum Hund, sondern starrt mich immer noch an, weil sie immer noch nicht glauben kann, dass ich aus dem Bett gekommen bin.
»Du hast voll den Buckel gekriegt!«, sagt sie.
Ich ignoriere das und humpele an ihr vorbei, noch mal rein in unser Zimmer und hole die Chipstüte aus dem Bett. Und wieder raus, die Treppen runter und raschele mit der Tüte.
Der Hund macht vor Schreck einen kleinen Sprung von mir weg. Er legt den Kopf schief, sieht erst zu mir, dann zu Nelly hoch, dann wieder zu mir. Dann kommt er angelaufen und seine Zunge hängt so an der Seite raus, als würde er einen kleinen rosa Lappen in der Schnauze tragen. Seine unteren Zähne stehen vorne raus, sodass er seine Schnauze nicht richtig zumachen kann. Er sieht zu mir hoch und hechelt.
»Fass den bloß nicht an«, sagt Nelly. »Dann bist du auch voller Läuse und verteilst die im Bett, ekelhaft!«
Ich greife in die Tüte und hole ein paar Chips heraus. Strecke sie dem Hund hin, bücke mich ein bisschen herunter. Der Hund kommt und seine Zunge raspelt über meine Finger, er knuspert und schlabbert und sein Schwanz wedelt wie wild und dann noch wilder, während er die letzten Krümel von meiner Hand stempelt, bis alles wieder komplett sauber ist.
Berthold hat das auch immer gemacht. Nelly extra ein bisschen geärgert. Sie kann sich so gut über alles aufregen wie sonst niemand.
»Willst du noch ein paar? Hm?« Meine Stimme wird automatisch höher und ich räuspere mich. Vor dem Hund ist mir das egal, aber vor Nelly ist es mir irgendwie peinlich.
»Ey, das gibt es nicht! Du wirst den ab sofort nie mehr los, der kommt jetzt jeden Abend!«
Ich greife noch mal in die Chipstüte. Der Hund wartet und irgendwie strahlt er nur Freundlichkeit aus. Voll die gute Laune. Auch wenn er so rumstresst mit seinem Schwanz und dem Hecheln und so.
Nelly gibt sich einen Ruck und drückt sich an uns vorbei.
»Wasch dir bloß die Hände«, sagt sie und dann macht sie das große Metalltor auf. Lässt es hinter sich zuknallen und ist weg. Der Hund legt den Kopf schief und macht die Schnauze auf.
»Ja genau. Wasch dir bloß die Hände. Pfff!«, sagt er.
Natürlich nicht. Aber sein Gesicht sagt das. Genau das. Als ob er echt mit mir reden könnte, ich kann das voll an ihm ablesen.
Ich muss lachen und der Hund wedelt noch heftiger mit dem Schwanz. Ich gebe ihm Handvoll für Handvoll Chips und am Ende lasse ich noch die letzten Krümel aus der Tüte in meine Hand rieseln und er raspelt alles runter, schleckt sich selbst noch eeewig lang über die eigene Schnauze, und als er fertig ist, macht er Sitz und wartet. Ich gehe vor zum Tor und mache ihm auf.
»Tschüss, Kumpel«, sage ich. »Komm gerne wieder.«
Aber der Hund regt sich nicht.
»Magst du nicht raus?« Ich gehe wieder an ihm vorbei, kraule dabei ganz kurz über sein Fell am Kopf. Es ist dreckig-weiß und an der Schnauze wird es dunkelbraun.
»Du kannst gerne noch bleiben«, sage ich und drehe mich zur Treppe. Hinter mir trippelt es, ich drehe mich um. Blick nach unten, da sitzt er, fünf Zentimeter von meinen Beinen weg und tut, als wäre nichts.
Als ob wir dieses Spiel spielen, wo man sich nur so lange nach vorn bewegen darf, wie sich der andere nicht umdreht. Ich spiele mal mit.
Drehe mich wieder um und gehe die Treppe hoch.
Trippel Trippel.
Ich schaue zurück. Der Hund sitzt auf der ersten Treppenstufe, als wäre er eine Statue, die hier nur so ganz rein zufällig rumsteht.
Seine Augen folgen jeder Bewegung von mir und seine Zunge hängt weiter an der Seite raus. Ich schließe auf und mache rückwärts einen Schritt nach drinnen. Sein Gesicht sagt:
»Ich würd gern mit.«
Ich sehe mich um. Keiner da. Schwester ausgeflogen, Mutter bei der Arbeit. Die ganze Nacht noch vor mir, das Fenster, der Kranz.
»Komm rein«, sage ich und mache einen Schritt zur Seite und schon ist er drin und mit ihm seine ganze Läusefarm. Er rennt direkt durch ins Zimmer, als ob er riechen würde, dass da mein Bett steht.
»Warte!«
Aber er ist schon unten reingesprungen. Ich muss grinsen.
Sein Schwanz fegt hin und her über meine Matratze. Ich krieche zu ihm rein. Er riecht ein bisschen nach nassem Handtuch, aber sicher nicht stinkig oder so. Ich strubble ihm durchs Fell und er versucht, mein Gesicht abzulecken. Ich drücke seine Schnauze weg und lache, weil er so wild ist. Ich suche an seinem Hals nach einem Halsband oder irgendwas. Ob er wem gehört oder einfach draußen lebt? Wirklich, wäre Berthold jetzt hier, er hätte ihn auch mit reingenommen.
Das weiß ich.
»Ruuuhig«, sage ich. Und tatsächlich, der Hund hört auf, an mir zu lecken, und rollt sich zusammen, einfach so, in meine Decke rein, und macht die Augen zu. Zack, weg ist er. Eingepennt. Auf Kommando. Und ich sitze neben ihm und meine Hand findet sein Ohr und knubbelt daran entlang und nee, jetzt schnarcht er!
Ich wünschte wirklich, Berthold könnte das sehen, er wäre völlig begeistert.
Ich beuge mich über den Hund rüber und sehe noch mal raus auf den Kranz. Schließe die Augen und spüre nach dem Faden zwischen uns. Versuche, meine Gedanken, wie über eine Stromleitung rüber zu schicken.
Und zum ersten Mal seit Wochen ist es, als ob sie nicht ins Leere gehen.
Es macht irgendwo ein Ventil bei mir auf, hinten an meinem Kopf und die Wachheit strömt aus mir raus, wie Luft aus einem Reifen mit Loch.
Ich kann überhaupt nichts anderes machen, als mich einfach fallenzulassen und mich um den Hund herum einzurollen.
Der kleine Luftstrom aus seiner Nase, immer wenn er ausatmet. Es ist kühl.
Schön kühl.
Den hätte Berthold auch zum Freund haben wollen.
Das ist so der Hammer, wenn du die Augen aufmachst und noch nicht mal richtig denken kannst und dir schon so ein kleiner Hund übers Gesicht schlabbert.
»Huch, guten Morgen!«, sage ich und versuche, ihn irgendwie mit der Hand wegzuwedeln. Aber der Hund springt einfach über meinen Kopf und macht von der anderen Seite weiter. Sein Atem kitzelt in meinem Ohr und ich greife über mich und schnappe ihn mir und dann toben wir im Bett herum, einfach wuscheln und knurren und aneinander rumwackeln, das geht wie von alleine, ich kreische wie ein kleiner Junge.
Sein ganzes Gesicht strahlt und seine Zunge labbelt hin und her und er macht so leise Fiepsgeräusche, wenn man ihn kitzelt. Besser geht’s nicht. So müsste jeder Tag anfangen. Genau so.
Irgendwann kann ich aber nicht mehr und der Hund auch nicht und wir sitzen uns gegenüber und keuchen.
Ja, der könnte echt mein Freund werden.
Plötzlich dreht er seinen Kopf zur Tür und sagt:
»Achtung! Da kommt jemand!«
Und schon höre ich den Schlüssel in der Wohnungstür und mir wird klar, dass ja Wochenende ist und Mama wahrscheinlich jetzt erst den Späti zugemacht hat. Und dass sie jetzt für nichts auf der Welt weniger Nerven haben wird als für einen Hund, der bei ihrem Sohn im Bett liegt und dabei alles anleckt. Das war als Problem irgendwie bisher noch nicht zu mir durchgedrungen.
Ich springe aus dem Bett und zur Zimmertür, werfe sie zu und schließe von innen ab.
Keine zwei Sekunden später rüttelt es an der Klinke.
»Ey, spinnst du, lass mich rein, das ist auch mein Zimmer!« Die Tür erzittert. Doch nicht Mama.
Ich sehe von der Tür zum Bett, vom Bett zur Tür. Wieder zum Bett. Der Hund steht an der Bettkante, die Ohren nach hinten gelegt, der Schwanz steht Richtung Betthimmel ab, er öffnet in Zeitlupe die Schnauze.
»Bitte nicht!«, rufe ich, aber nichts zu machen, er bellt. Richtig laut.
»Pschschscht!« mache ich und fuchtele in der Luft herum, total unnötig.
»Was war das? Mach auf!«
Ein Detektiv sollte in schwierigen Situationen einfach seinem Bauchgefühl folgen.
Ich belle.
»Wau! Wau!«
Der Hund springt aus dem Bett und rennt begeistert um meine Beine herum.
»Elmo! Hallo?!«
»Jaha, ich bin ja da! Aber, äh … ich habe gerade mehrmals sehr laut gepupst und muss mal kurz lüften!«
Ich suche den Raum ab. Bettlaken, Schere, Fenster. Kombiniere, kombiniere, komm schon, denk schneller, Elmo!
»Du furzt in mein Zimmer?! Du EKELMONSTER!« Sie hämmert noch mal gegen die Tür, es klingt jetzt richtig sauer.
»Gleich!«, schreie ich und renne zum Bett und reiße das Fenster auf und stecke den Kopf nach draußen und werde sofort vom Straßenlärm begrüßt.
Gegenüber bei Karstadt hängen sie gerade ein unglaublich riesiges Plakat auf, ein schwarzer Papagei mit einer gigantischen Sprechblase, auf der steht: »KOMMST DU GANZ NACH OBEN? FINDE ES HERAUS – HolDIRMELOdiy!«
Ich sehe auf den Gehweg.
Der Kopf des Hundes erscheint neben mir, schaut auch erst nach unten, dann zu mir.
»Wie sieht es mit Abseilen aus?«, frage ich.
»Hast du sie noch alle?« Er zieht den Kopf wieder rein und rennt zur Zimmertür und kratzt daran.
Er hat recht. Da runter ist es viel zu tief. Mein Blick scannt den Raum.
Es hilft nichts. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit. Alle anderen habe ich ausgeschlossen.
Ich seufze und greife mir die Bettdecke.
Der Hund steht knurrend vor der Tür und spannt sich immer mehr an.
»Entschuldigung«, sage ich und werfe die Decke auf den Hund, rolle ihn darin ein und klemme mir das zappelnde Bündel unter den Arm. Ich spüre, wie er versucht, sich rauszubeißen. Er ist richtig wild, ich muss ein bisschen lachen – wie er kämpfen kann! Ich atme durch und klemme das Deckenbündel noch mal fester unter den Arm. Ich drehe mit der freien Hand den Schlüssel in der Zimmertüre und springe beiseite.
Sofort fliegt die Tür auf, Nelly macht einen Schritt in den Raum hinein.
Sie zeigt mit ihrem Energy Drink auf mich. Schnüffelt in den Raum.
»Keine Furzluft«, sagt sie. »Dein Glück!«
Ihr Blick fällt auf das Deckenbündel. Aus dem es dumpf herausknurrt.
Ich drehe mich weg.
Fange auch an zu knurren, so versuchshalber, aber es klingt einfach nur dämlich.
Nelly kommt um mich herum, ich drehe mich weiter weg, wir drehen uns im Kreis umeinander.
»Was hast du da?!«
Ich versuche, als letztes Ausweichmanöver rückwärts an ihr vorbeizukommen, aber sie greift einfach nach der Decke und zieht daran und da hat der Hund auch schon seinen Kopf befreit und knurrt erst sie und dann mich abgrundtief angewidert an.
»Das … das ist ja wohl nicht dein Ernst, oder? Der Hund hat hier gepennt?!« Sie stürmt zum Bett und schnüffelt wieder.
»Es stinkt doch«, faucht sie. »Und wie es stinkt. Nach Hund. In meinem Bett!«
»Das ist auch mein Bett«, sage ich. Aber sie hört mir nicht zu, wedelt mich mit beiden Händen aus ihrer Sicht. Ich lasse den Hund aus der Decke springen und er so: stolzier, stolzier, auf einmal gar nicht mehr zappelig, einfach an ihr vorbei. Sie macht einen angeekelten Schritt zur Seite und er ganz lässig: hüpf, in mein Bett und dreht sich einmal um sich selber und setzt sich auf die Hinterbeine. Und dreht dann sehr langsam und sehr beleidigt den Kopf in meine Richtung und sagt: