Auf den Spuren von Hexern und Geistern in Island - Brigitte Bjarnason - E-Book

Auf den Spuren von Hexern und Geistern in Island E-Book

Brigitte Bjarnason

0,0

Beschreibung

"Die Böen des Nordwindes reißen heulend an den Dächern der Häuser, das Gebälk stöhnt, der Regen schlägt gegen die Fensterscheiben, das Licht beginnt zu flackern und draußen herrscht tiefschwarze Dunkelheit": Die Landschaft Islands mit ihren Geysiren, Vulkanen und heißen Quellen ist der ideale Nährboden für Mystik und Geisterglaube, der in Island noch weit verbreitet ist. Noch heute spukt es in manchen Häusern und Orten, glaubt man den Einwohnern der Insel aus Feuer und Eis. Die Hamburgerin Brigitte Bjarnason lebt seit 30 Jahren in Island und berichtet hier von Ahnengeistern, Wiedergängern und anderen übernatürlichen Erscheinungen. Sie ist die Autorin des erfolgreichen Führers "Auf den Spuren von Elfen und Trollen in Island", das ebenfalls im acabus Verlag unter der ISBN 978-3-86282-249-2 erschienen ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 305

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Brigitte Bjarnason

Auf den Spuren von

Hexern &

Geistern

in Island

Sagen, Mythen und LegendenMit Reisetipps

Bjarnason, Brigitte: Auf den Spuren von Hexern und ­Geistern in Island. Sagen, Mythen und Legenden. Mit ­Reisetipps. Hamburg, acabus ­Verlag 2022

Originalausgabe

EPUB-ISBN: 978-3-86282-826-5

PDF-ISBN: 978-3-86282-825-8

Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Print-ISBN: 978-3-86282-824-1

Lektorat: Bernhard Stäber

Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Umschlagmotiv: © Brigitte Bjarnason

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://www.dnb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2022

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

Inhalt

„Vorwort“

„Isländische Gespenster“

„Andere Erscheinungsformen“

„Schutz vor Gespenstern“

„Parapsychologie“

„Hexer und Hexen“

„Bekannte isländische Zauberer“

„Magische Symbole, Mittel und Gebräuche“

„Galdrabækur (Zauberbücher),galdrastafir ­(Zauberzeichen)“

„Mannsístra (menschlicher Bauch/Bauchfett) und mannsskinn (Menschenhaut)“

„Þórshamar (Thors Hammer)“

„Gandreiðarbeisli(Zaumzeug für den ­Wolfsritt)“

„Tilberi oder snakkur (Zuträger)“

„Flæðarmús (Seemaus)“

„Sagnarandar (Erzählgeister)“

„Kveisublað (Kolikband)“

„Bænir (Gebete) und særingar ­(Beschwörungen)“

„Galdraveður (Zauberwetter)“

„Zauberpflanzen (galdrajurtir)“

„Tiermagie (galdradýr)“

„Zaubersteine (töfrasteinar)“

„Magische Zahlen (galdratölur)“

„Zur Verbesserung der Sehkraft“

„Die Vogelsprache verstehen“

„Um wach zu bleiben“

„Scharfsichtigkeit erlangen“

„Sich nicht von einem Hund anbellen ­lassen“

„Glück beim Spiel“

„Einen Menschen zum Reden bringen“

„Die Gedanken von Menschen lesen“

„Einen Wissensstein (sögusteinn) ­beschaffen“

„Einen Dieb finden“

„Gegen den Zorn deines Gebieters“

„Wie werde ich reich?“

„Wie erweckt man einen Toten?“

„Das isländische Staatswappen“

„SÜDWESTISLAND“

„Reykjavík“

„Álftanes“

„Hafnarfjörður“

„Vogar“

„Reykjanes“

„Krýsuvík“

„Hellisheiði“

„Hveragerði“

„Ölfús“

„SÜDISLAND“

„Selfoss“

„Eyrarbakki“

„Stokkseyri“

„Þingvellir“

„Laugarvatnshellir“

„Skálholt“

„Þjórsárdalur“

„Hekla“

„Eyjafjöll“

„Vestmannaeyjar“

„Katla“

„Vatnajökull“

„OSTISLAND“

„Skriðdalur/Fljótsdalur“

„Reyðarfjörður“

„Norðfjörður“

„Seyðisfjörður“

„Egilsstaðir“

„Hjaltastaðaþinghá“

„Borgarfjörður eystri“

„Jökulsárhlíð“

„Langanesströnd“

„Þistilfjörður“

„NORDISLAND“

„Melrakkaslétta“

„Húsavík/Mývatn“

„Grímsey“

„Hörgárdalur“

„Arnarneshreppur“

„Siglunes“

„Skagafjörður“

„Húnavatnssýsla“

„WESTISLAND und die WESTFJORDE“

„Hornstrandir“

„Flateyri“

„Dýrafjörður“

„Arnarfjörður“

„Reykhólahreppur“

„Snæfellsnes“

„Hvanneyri“

„Húsafell“

„DAS HOCHLAND“

„Geschichten ohne Ortsangabe“

„So, wie es gewesen sein könnte“

„Literaturverzeichnis“

„Die Autorin“

Des Hexers Landhaus, Westfjorde

Island ist ein Land, in dem es sich lohnt, auf Entdeckungsreise zu gehen. Obwohl ich schon 30 Jahre auf der Insel beheimatet bin, gelingt es mir immer wieder, neue Themen aufzuspüren, die mich zum Schreiben anregen. So ist das vorliegende Buch mein drittes Buch, das dem Reisenden sowie dem Islandliebhaber die Insel durch Sagen und geschichtliche Informationen näherbringen möchte und als Ergänzung zu handelsüblichen Reiseführern dienen soll.

Das Buch »Auf den Spuren von Elfen und Trollen auf Island« erzählt von dem huldufólk, den verborgenen Leuten, und anderen übernatürlichen Wesen, deren Geschichten und Wohnorte den Lesern vorgestellt werden. In dem Buch »Schwefel, Tran und Trockenfisch« berichte ich zusammen mit der Reiseleiterin Kirsten Rühl von den deutschen Hansekaufleuten, die im 15. und 16. Jahrhundert an verschiedenen Orten der Insel regen Handel betrieben. In dem vorliegenden Buch »Auf den Spuren von Hexern und Geistern in Island« finden die Leser neben Informationen über sehenswerte Gegenden und dem isländischen Geisterglauben Sagen von Wiedergängern, Hexern und unheimlichen Geschöpfen, die die verborgene Mystik des Landes widerspiegeln.

Vorwort

Die Böen des Nordwindes reißen heulend an den Dächern der Häuser, das Gebälk stöhnt, der Regen schlägt gegen die Fensterscheiben, das Licht beginnt zu flackern und draußen herrscht tiefschwarze Dunkelheit. Da bekommt selbst der moderne Isländer eine Gänsehaut. Unheimliche Sagen von Gespenstern und anderen übernatürlichen Wesen kommen einem da in Erinnerung; Geschichten, die sich die Vorfahren der heutigen Inselbewohner in den Wohn- und Schlafstuben der Torfhäuser im Schein von Tranlampen und Talgkerzen erzählten.

Wenn es stimmt, dass sich die Kultur und das Seelenleben eines Volkes durch heimische Sagen ausdrückt, müssen die Isländer ein äußerst dubioser Volksstamm sein. Nicht nur die mündlichen Überlieferungen von Elfen und Trollen, die in verschiedenen Erscheinungsformen in Hügeln und Felsen wohnen sollen, sondern auch die Erzählungen von Geistern unterschiedlicher Natur werfen bis in die heutige Zeit hinein gelegentlich die Frage auf, ob diese übernatürlichen Wesen existieren.

Im 17. und 18. Jahrhundert bestimmten die Furcht vor den Mächtigen der Kirche und den dänischen Machthabern sowie Naturkatastrophen, Krankheiten und Hungers­not das Leben der einfachen Bevölkerung. In den zu dieser Zeit entstandenen Sagen und Geschichten konnten die Menschen ihren Gefühlen und Ängsten Ausdruck verleihen. Der Glaube an Geister und an die Magie der Zauberer war tief in den Seelen der Inselbewohner verwurzelt. Das Unerklärliche hatte seit jeher die Menschen fasziniert. Oftmals war mit dem Experimentieren von mystischen Ritualen der Wunsch nach Macht und der Flucht aus den harten Lebensbedingungen verbunden. Trotz Drohungen, Verboten und Bestrafung misslang der Versuch, die Bevölkerung von der Nichtexistenz von Geistern und übernatürlichen Kräften zu überzeugen. Die Geschichten und Augenzeugenberichte lebten weiter. Sie wurden und werden noch immer sorgsam gesammelt und füllen die Regale der isländischen Bibliotheken.

Das Buch »Auf den Spuren von Hexern und Geistern in Island« nimmt den Leser mit auf die Reise durch die Landesteile, die mit dem Hexen- und Geisterglauben in Verbindung stehen. Die wiedererzählten, teils gekürzten Überlieferungen stammen aus verschiedenen isländischen Sammlungen von Volkssagen. Diese Auswahl aus bekannten und weniger bekannten Geschichten gibt einen Einblick in das Leben und den Volksglauben der Isländer in früheren Zeiten, als die langen dunklen Winter eine ausgezeichnete Grundlage für die Entstehung dieser Überlieferungen boten. Ob alle Geschichten der Wahrheit entsprechen, ist fraglich. Vielleicht steckte hinter den Erscheinungen von Geistern und anderen übernatürlichen Wesen eine plausible Erklärung – oder auch nicht. Diejenigen jedoch, die selbst ein mystisches Erlebnis dieser Art hatten, zweifeln nicht an dem Wahrheitsgehalt der oft erstaunlich genau und überzeugend wiedergegebenen Augenzeugenberichte.

Wer neben der Gespensterwelt den Elfen- und Trollglauben der Isländer kennenlernen möchte, empfehle ich mein Buch »Auf den Spuren von Elfen und Trollen in Island«, erschienen im acabus Verlag.

Brigitte Bjarnason

Isländische Gespenster

Der Gespensterglaube ist auf der ganzen Welt verbreitet. Verstorbene Menschen und Tiere sind den Menschen seit jeher im schlafenden sowie im wachen Zustand erschienen. Diese Erscheinungen galten als Beweis, dass der Tod nicht das absolute Ende bedeutet, sondern ein Dasein nach dem Tod möglich ist.

Die ersten Landnehmer auf Island, die Wikinger, nannten ihre Grabhügel draugahús. Im Heidentum (Ásatrú) der Wikinger wurde nicht von der Seele des Menschen gesprochen. Das Wort draugur bedeutete Baum oder Ast. Dem Ásatrú-Glauben nach wurden die ersten Menschen – Askur und Embla – von ihren Göttern aus einem Baum geschaffen. Die Toten wurden zusammen mit ihren persönlichen Sachen wie Waffen, Schmuck sowie ihren Pferden begraben, die den Verstorbenen im Jenseits von Nutzen sein sollten. Den Toten wurden besondere Kräfte zugeschrieben. Es war eine Heldentat, wenn jemand wertvolle Gegenstände aus einem Grabhügel stahl, da damit gerechnet werden musste, dass der Geist des Toten seinen Schatz verteidigen würde. In der Saga von Grettir dem Starken (Grettis Saga) wird davon berichtet, dass Grettir bei dem Raub eines Grabhügelschatzes mit dem Geist von Kár dem Alten kämpfte. Wie bei seinem Kampf mit dem Wiedergänger Glámur schlug Grettir das Haupt des Grabhügelbewohners ab und legte es zu dessen Hinterteil. Das sollte eine erneute Auferweckung des Toten verhindern. Die Tötung von Geistererscheinungen war eine Möglichkeit, sich von ihnen zu befreien. Das änderte sich mit der Einführung des Christentums. Nun begann die Seele des Menschen eine wichtige Rolle zu spielen. Das Wort draugur (Geist) bekam eine andere und zugleich negative Bedeutung (illur andi – böser Geist). Die Geister in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen erhielten neue Namen und die Sammler von Volksüberlieferungen bemühten sich, sie in Gruppen einzuteilen.

Folgende bekannte Gespensterarten werden in den Volkssagen erwähnt:

Draugur oder vofa (Geist, Gespenst) ist die allgemeine Bezeichnung für menschliche Wesen, die – nachdem sie gestorben waren und man sie begraben hatte – für die Lebenden erneut sichtbar wurden. Auf Island gab es zahlreiche Erscheinungsformen von Gespenstern. Die Gründe ihres Erscheinens waren vielfältig. Ein Grund war, dass die sterblichen Überreste des Toten unwürdig behandelt worden waren und der Verstorbene sich dafür rächen wollte. Auch Tote, die zu Lebzeiten für ihren Geiz bekannt gewesen waren, erschienen, um sich ihre Besitztümer zurückzuholen. Liebe und Hass waren ebenfalls Anlass für die Toten, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Bekannt ist heute noch, dass bestimmte Gespenster eng mit einem Familiengeschlecht verbunden sind. Zauberer, die der Auferweckung von Toten kundig waren, benutzten Geister für ihre Zwecke.

Afturgöngur (Wiedergänger) werden Geistererscheinungen genannt, die sich für erlittenes Unrecht rächen oder an Dingen und Geld so sehr hängen, dass sie sich nicht von diesen trennen können (siehe auch: fépúkar). Es gab Menschen, die vor ihrem Tod drohten, als Wiedergänger zu erscheinen. Diese Absicht wurde oft von jungen Mädchen und Männern ausgesprochen, die sich aus Liebeskummer das Leben nahmen, um dann dem Geliebten und seinen Angehörigen als Unglück bringender Geist zu erscheinen. Ein plötzlich eingetretener Todesfall oder das schlechte Behandeln der Gebeine konnte den Toten ebenfalls zum Spuken veranlassen. So soll einmal ein Toter, Jón Flak der Landstreicher, in einem Grab begraben worden sein, welches – anstatt wie üblich in ostwestlicher Richtung – in nordsüdlicher Richtung lag. Nacht für Nacht beklagte der Tote im Traum bei den Totengräbern sein Schicksal in Form eines kurzen Gedichtes, bis er ausgegraben und sein Körper in die richtige Position gebracht wurde.

In der Neujahrsnacht auferstehen den Sagen nach gar die Toten eines ganzen Friedhofs, um in der Kirche einen Gottesdienst abzuhalten. Ein junges Mädchen soll einmal Zeugin einer solchen Zusammenkunft gewesen sein. Plötzlich entdeckte sie unter den anwesenden Geistern das Angesicht ihres Verlobten. Das ängstigte sie so sehr, dass sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder aufwachte, sah sie ihre eigene Erscheinung in die Kirche treten. Am nächsten Morgen erzählte sie, was sich in der Kirche zugetragen hatte. Im folgenden Winter starb ihr Verlobter und kurze Zeit später auch sie selbst.

Während die Toten als Wiedergänger oberhalb der Erde unterwegs sind, stehen ihre Gräber offen. Trauten sich die Menschen, das Grab eines Wiedergängers zu öffnen, fanden sie dort einen unverwesten Leichnam im Sarg. So soll bei Garðar auf der Landzunge Álftanes eine bestimmte Ecke des Friedhofs unberührt gelassen worden sein, weil man dort einmal einen Sarg mit einem rot gekleideten Mann fand, dessen Leiche keine Spuren der Verwesung zeigte. Um zu verhindern, dass ein Toter als Wiedergänger unter den Menschen sein Unwesen trieb, galt der Rat, auf dem Sargdeckel ein blutiges Kreuz zu zeichnen, den Namen Christi auf Lateinisch hinzuzufügen und ihm einen Nagel durch die Fußsohle zu schlagen. Sollte es dennoch zu einer Begegnung mit einem Wiedergänger kommen, konnten Schüsse aus einem Gewehr oder Glockengeläut helfen, das Gespenst zu vertreiben.

Der Sage nach verweste die Leiche eines Menschen, der als Erster auf einem Friedhof begraben wurde, nicht. Der Tote nahm die anderen, die später begraben wurden, in Empfang. Dieser sogenannte Wachmann (vökumann) wachte über die Gräber. Die Wachmänner sollen ein hässliches Aussehen gehabt haben. Sie trugen rote oder grüne Kleidung und hatten ein rotes Gesicht. Demnach war wohl auch der Tote von Garðar ein Friedhofswachmann gewesen.

Zu den Wiedergängern gehörten ebenfalls ausgesetzte neugeborene Kinder und Verbrecher sowie diejenigen, denen in irgendeiner Weise Schaden zugefügt worden war und die sich dafür rächen wollten. Orte, an denen Verbrecher hingerichtet wurden, galten allgemein als unrein. Wenn ein Wiedergänger den Menschen erschien, sah er nicht wie zu Lebzeiten oder wie zu seiner Beisetzung aus, sondern wie zu dem Zeitpunkt, an dem die Leiche gefunden wurde. So wurde einmal ein Mann im Fluss Hörgá gefunden. Die Leiche trug an einem Fuß weder Schuh noch Socke. Auf diese Weise erschien er auch als Wiedergänger. Als im Norden ein junges Mädchen tot aufgefunden wurde, trug sie nur einen roten Handschuh. Danach erschien sie Leuten, die Nachts unterwegs waren, auf der Straße und winkte ihnen mit der behandschuhten Hand zu.

Eine Umfrage unter Isländern ergab, dass heutzutage den Menschen vor allem Geister von Unfallopfern erscheinen. Diese Erscheinungen zeigen sichtbare Verletzungen, die sie bei Unfällen davongetragen hatten.

Uppvakningur (Erweckte) oder sendingar (Sendungen) sind im Gegensatz zu Wiedergängern Gespenster, die nicht von sich aus wählen, als Geist zu erscheinen. Zauberer erweckten von ihnen auserwählte Tote und gebrauchten sie für ihre Zwecke. Diese Erscheinungen erschienen in körperlicher oder nebelhafter Gestalt als Mensch oder Tier. Mórar wurden die männlichen und skottur die weiblichen Geister genannt. In den Volkssagen trugen die männlichen Geister dieser Art auffallend oft eine rostbraune Jacke und die Frauen eine herabhängende traditionelle Kopfbedeckung (skaut). Allgemein bekannt ist die Sage vom Þorgeirsboli. Þorgeir Stefánsson (Galdra-Geiri) aus Þelamörk im Norden Islands soll, nachdem ein Heiratsantrag von ihm abgelehnt wurde, zusammen mit seinem Bruder und einem Onkel ein verstorbenes Kalb verhext haben. Der Geist konnte verschiedene Erscheinungsformen annehmen – Stier, Schaf, Pferd, Katze, Maus, Hund, Vogel, Mensch oder Meeresbewohner. Meist trat er jedoch als hässlicher Stier auf, der seine abgezogene blutige Haut hinter sich herzog. Da der Hexer dem Geist die Fruchtblase eines neugeborenen Kindes überstülpte (sigurkufli), galt dieser als unbesiegbar. Þorgeirsboli tötete die Frau, die den Zauberer nicht heiraten wollte. Wenn ein Besuch von Þorgeir oder dessen Angehörigen zu erwarten war, machte der Geist vorher auf sich aufmerksam. Lange Zeit trieb der Þorgeirsboli sein Unwesen in der Gemeinde, tötete Vieh und Menschen und wurde für Krankheiten sowie Unfälle verantwortlich gemacht. Þorgeir und seine Familie wurden ebenfalls von dem Geist belästigt. Zum Schutz seiner Töchter sollen sie Runen bei sich getragen haben. Es wurde erzählt, dass Þorgeirsboli gierig nach Menschenblut war. Es hieß, Þorgeir und seine Nachkommen hätten ihn mit ihrem Blut versorgt, um sich damit vor seinen Grausamkeiten zu schützen. Þorgeirsboli soll auch zusammen mit dem Gespenst Húsavíkur-Lalli und der Eyjafjarðar-Skotta gesehen worden sein. Zuletzt sah man ihn als schwarze Erscheinung im Gebiet um den Eyjaförður.

Das Gespenst mit Namen Irafells-Móri wurde von dem Volkssagensammler Jón Árnason (1819–1888) als fylgjur (Folgegeist) eingestuft. Es handelt sich jedoch um einen von einem Hexer wiedererweckten Jungen, der sich draußen verirrt hatte und im Sterben lag. Der Geist wurde auf Bitte eines enttäuschten Freiers von einem Zauberer auf ein Ehepaar aus Möðruvellir im Norden Islands und dessen Nachkommen angesetzt. Als das Ehepaar in den südwestlichen Teil des Landes zog, folgte ihnen der Geist und brachte der Familie über neun Generationen hinweg viel Unglück. Noch heute treibt der nach dem Berg Írafell benannte Geist im Gebiet von Kjós angeblich sein Unwesen.

Die Geschichte von dem Erwachen der Mývatns-Skotta weckt Unbehagen und starkes Mitgefühl gegenüber dem Opfer. An einem Samstag um Ostern erreichte eine junge Bettlerin den Hof Grímsstaðir im Norden Islands. Der Bauer führte das Mädchen in die Küche, wo seine Frau gerade geräuchertes Lammfleisch (hangikjöt) aus einem Topf holte. Der Bauer gab dem Mädchen ein Stück Fleisch, das sie mit gutem Appetit aß. Nach dem Essen bot er ihr an, sie zum nächsten Bauernhof zu begleiten. Als sie einen Fluss erreichten, warf er das Mädchen ins Wasser und hielt es an den Füßen fest, bis es ertrunken war. Nachdem der Bauer sich vergewissert hatte, dass die Bettlerin tot war, holte er sie aus dem Wasser und verzauberte sie in ein Gespenst, welches seinen Feind töten sollte. Kennzeichen der Mývatns-Skotta war ihr im Nacken herabhängendes Kopftuch (skupla).

Einmal schickte der Zauberer Arnþór seinem Feind Jón ein Gespenst, um ihn zu töten. Aber Jón gelang es, den Geist zur Umkehr zu bewegen und beauftragte diesen, Arnþór zu töten. Das Vorhaben misslang jedoch. Danach konnte Arnþór eine Landstreicherin dazu bewegen, sich das Leben zu nehmen und benutzte sie als Sendung für Jón. Der Geist der Frau tötete Jón, aber seine Frau schickte ihn zurück zu Arnþór. Seitdem belästigte das Gespenst Arnþór und seine Nachkommen und soll zwei Frauen getötet haben.

Das Aufwecken eines Geistes und sich seiner Zwecke zu bedienen, konnte aber auch eine gewisse Gefahr bedeuten. Ein Mann namens Bjarni lernte, wie man einen Geist aufweckt, um ihn mit dem Mord an seiner Frau zu beauftragen. Aber irgendetwas musste bei dem abscheulichen Ritual schiefgegangen sein, denn das Gespenst stürzte sich auf Bjarni, sodass dieser gerade noch mit dem Leben davonkam. Bjarnis Vorhaben, seine Frau umzubringen, misslang. Der Geist verfolgte Bjarni bei Tage und im Schlaf, sodass Bjarni fast seinen Verstand verlor.

Fylgjur sind eine Art von Folgegeistern. Folgegeister können Erweckte oder Menschen sein, die im Zorn über eine Person verstorben sind und sich dieser anschließen (mannafylgjur). Die schlechte Behandlung eines Toten kann ebenfalls dazu führen, dass sich ein Geist jemandem anhängt. Meist gehen die Erscheinungen dem Menschen voraus, folgen sie ihm, bedeutete das den baldigen Tod des Betroffenen. Skottur sind Frauen oder Mädchen, die sich oftmals aus Liebeskummer selbst getötet haben. Zu erkennen sind die weiblichen Geister daran, dass der eigentümliche Kopfschmuck der isländischen Tracht (faldur) nicht – wie üblich – nach vorne, sondern nach hinten gebogen ist (skott – Schwanz). Oft waren die Mädchen in roten Socken gekleidet. Mórar werden die männlichen Folgegeister genannt. Der Name bezieht sich auf die bräunliche Kleidung, die sie tragen.

Mórar und skottur sind oft in einem bestimmten Gebiet zu finden oder folgen sowohl einer Person als auch einem bestimmten Familiengeschlecht (ættarfylgjur). So brachte zum Beispiel ein Gespenst namens Erlendur einer Familie im Gebiet von Skarðsströnd in den Westfjorden über Generationen hinweg viel Unheil. Sein aufdringliches Verhalten hatte sogar den Tod von Kindern zur Folge. Diese kraftvolle Erscheinung haben sowohl hellsichtige wie auch nicht hellsichtige Menschen gesehen.

Heute noch wissen ältere Leute von Folgegeistern, die bestimmten Sippen angehören. Besonders feinfühlige Personen meinen zu spüren, wenn ein Angehöriger zu ihnen unterwegs ist. Ein unerklärbares Ereignis oder seltsame Geistererscheinungen kündigen den Besuch an. Oftmals nehmen diese Menschen auch einen merkwürdigen Geruch wahr, der dem Geruch von saurer Butter ähnelt, oder es überfällt sie mitten am Tag eine plötzliche Müdigkeit, was sowohl ein gutes als auch schlechtes Omen sein kann. Ein alter Rat, um böse Folgegeister, die an ihrem Geruch zu erkennen sind, zu vertreiben, war, in alle Richtungen zu spucken, während man kräftig schimpft und flucht.

Folgegeister können ebenso auf bestimmte Orte fixiert sein (staðarfylgjur). Eine erstaunliche Geschichte ist die des Gespenstes von Siglunes bei Siglufjörður im Norden des Landes. Als das Schiff »Viby« in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen im Bau war, wurde ein Mädchen, das den Schiffsbauern zusah, von einer Planke erschlagen. Ihr Geist folgte dem Schiff bis nach Island, wo es bei Siglunes auf Grund lief und zerbrach. Die Erscheinung des Mädchens soll nach dänischer Art weiß gekleidet sein. Sie ist den Bewohnern der Gegend wiederholt erschienen, hat aber niemandem Schaden zugefügt.

Über die zahlreichen in unbewohnten Gegenden verstreuten Schutzhütten (sæluhús), die zum Schutz von Wanderern bei einbrechenden Unwetter dienen, gibt es zahlreiche Gespenstergeschichten. In diesen einsamen Gebieten auf dem Hochland haben Gespenster den Menschen besonders oft übel mitgespielt und ihnen in den Hütten mit Krach und Tumult schlaflose Nächte beschert.

Die Plazenta oder Nachgeburt eines Kindes wird ebenfalls als fylgja bezeichnet. Sie durfte keinesfalls einfach irgendwo hingeworfen werden, denn es bestand die Gefahr, dass böse Geister oder ein Tier sie fressen und ein Geist dem Kind folgen würde. Wurde die Nachgeburt vergraben, mussten Steine auf die Grabstelle gelegt werden, damit Hunde oder andere Tiere sie nicht ausgraben konnten. So war es am sichersten, die Plazenta zu verbrennen. Damit sollte Licht oder ein Stern das Kind durch sein Leben begleiten. Die meisten Folgegeister, die in der Erscheinung eines Tieres auftraten, waren böse. Allgemein heißt es, dass jemand mit einem Tier als Folgegeist einem anrüchigen Familiengeschlecht abstammt.

Gangára (Poltergeist) nisten sich gerne in Häusern ein und machen mit Lärm und umherfliegenden Gegenständen auf sich aufmerksam. Sie sind für den Menschen allgemein unsichtbar, dennoch wird in einigen Geschichten von Tier- oder Lichterscheinungen sowie von grauen Schleiern berichtet. Um einen gangára zu verjagen, riefen die Betroffenen in vielen Fällen einen Pastor zu Hilfe. Trotz Gebeten und Psalmengesang konnten die gläubigen Männer die aufdringlichen Geister selten verjagen. Im Gegenteil, oft verstärkte sich der Tumult oder die unsichtbaren Wesen antworteten lauthals mit frecher Stimme. Bewaffnete Gespensterjäger schossen ebenfalls ins Leere und die Jagd blieb ohne Erfolg.

Útburður (ausgesetzte Kinder) werden Kinder genannt, die nach ihrer Geburt tot oder lebendig in der Natur ausgesetzt wurden. An den betreffenden Orten hörten die Menschen – vor allem bei schlechtem Wetter – ein unheimliches Schreien und Jaulen. Oftmals handelte es sich dabei um abgelegene Schluchten. Kinder, die vor ihrer Taufe starben, bezeichnete man früher ebenfalls als útburður. Sie durften nicht in der Nähe von geweihten Orten begraben werden und erhielten außerhalb des Friedhofs ihr Grab. Bei den ausgesetzten Kindern handelte es sich meist um uneheliche Kinder. Zur damaligen Zeit galten uneheliche Kinder als Schande für die Mutter. Meistens waren es arme Mägde und unverheiratete Frauen, die zu dieser Verzweiflungstat gezwungen waren. Die Geisterkinder sollten sich auf einem Knie und einem Ellbogen fortbewegt haben, wobei sich die Füße und Hände überkreuzten. Diese Geister konnten im Nebel oder nachts Menschen in die Irre führen, indem sie versuchten, die Person dreimal zu umkreisen, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Die ausgesetzten Kinder waren mit einem bräunlichen Fetzen bekleidet. Dabei handelte es sich um das Tuch, in welches die Mutter das Kind gewickelt hatte.

Fépúkar oder maurapúkar (Geldkobolde) sind Geizhälse, die sich nicht von ihrem Geld oder ihren Schätzen trennen können. Sie zählten jede Nacht ihr Geld, das sie an einen geheimen Ort versteckt hatten, und spielten damit. Vor Tagesanbruch mussten sie jedoch wieder in ihren Gräbern sein. Schafften sie es nicht, ihr Geld rechtzeitig zu verstecken, konnte sich derjenige glücklich schätzen, der es fand. Dort, wo die Schätze vergraben waren, soll man in der dunklen Jahreszeit eine blaue Flamme brennen gesehen haben. So mancher geriet in Versuchung, sich solcher Schätze zu bemächtigen, was aber nicht gelang, denn sobald sich Menschen dem Schatz näherten, sahen sie die Kirche oder naheliegende Bauernhäuser in Flammen stehen. Ebenso konnte dem Schatzsucher plötzlich übel werden oder der Eigentümer des Schatzes erschien ihm in seinem Traum und bedrohte ihn.

Andere Erscheinungsformen

In den alten Volkssagenbüchern wird berichtet, dass gerade erst verstorbene Menschen, die für ihr Begräbnis oder ihre Aufbahrung zurechtgemacht wurden, manchmal zu sprechen begannen. Ein gutes Beispiel ist die Geschichte vom Zauberer Finnur: Der Hexer Finnur war böse und von allen gefürchtet. Als er starb, wollte niemand seinen Körper in die Leichentücher nähen. Dennoch versuchte es eine Frau. Aber bevor sie ihre Arbeit beenden konnte, überfiel sie der Wahnsinn. Schließlich traute sich eine andere Frau, den Zauberer in die Tücher zu nähen. Als sie mit ihrer Arbeit fast fertig war, sagte der verstorbene Finnur: »Das wird noch Folgen für dich haben.« Die Frau antwortete: »Ich werde die Nadel brechen, du Verdammter.« Dann riss die mutige Frau die Nadel vom Faden, zerbrach sie und stach die Nadelstücke in die Fußsohle der Leiche. Seitdem hat der Hexer angeblich niemandem mehr geschadet.

Es wird auch überliefert, dass Verstorbene mit anderen auf dem Friedhof begrabenen Toten gesprochen haben. Wenn ein Feind des Verstorbenen dort lag, konnte es passieren, dass sie beide anfingen, lauthals zu streiten. Ebenfalls sollen lebendig begrabene Personen nach ihrem Begräbnis erwacht sein und geschrien haben.

Es war – und ist auch heute – nicht ungewöhnlich, dass plötzlich verstorbene Menschen, die ertrunken, erfroren oder durch einen Unfall umgekommen sind, ihren Freunden oder Verwandten im Traum erscheinen. Die Toten lassen zuweilen wissen, wie sie ums Leben gekommen sind und wo sich ihre Leichen befinden. Früher wurden diese Nachrichten oft in Form eines kurzen Gedichtes überbracht.

So ritten im Herbst 1780 zwei Brüder auf den Wunsch ihres Vaters aus dem Norden in den Süden des Landes, um Schafe zu kaufen. Der erst 11-jährige Einar soll vor seiner Abreise gesagt haben, dass er nicht zurückkehren würde. Trotz Warnungen ihrer Freunde machten sich die Brüder zusammen mit zwei Führern im Spätherbst mit ihrem im Süden gekauften Vieh auf die Heimreise. Sie ritten auf dem Kjal-Weg über das Hochland Richtung Norden. Einars Vorahnung sollte sich bestätigen. Die Brüder Bjarni und Einar kehrten nicht nach Hause zurück. Im Winter träumte Björg, die Schwester der Brüder, dass Bjarni zu ihr käme, um ihr die Nachricht von seinem Tod zu überbringen. Im folgenden Frühjahr fand ein Reisender ein Zelt und zwei Leichen auf dem Hochland. Es waren die Leichen der beiden Führer. Weder die Leichen noch die Sachen der Brüder wurden gefunden. Ein zweites Mal überbrachte der tote Bjarni im Traum der Schwester eine Nachricht, aus der hervorging, dass ihre Körper in einer Felsenspalte lägen. Es wurde der Verdacht laut, dass jemand die Brüder ausgeraubt und dann ihre Leichen versteckt hätte. Schließlich wurde ein Zauberer zurate gezogen. Der Zauberer meinte, die Leichen der Brüder unter einem Felsvorsprung in einem Lavafeld zu sehen, wo sich auch ein Papier mit Runenzeichen befände. Der Zauberer machte sich auf, diesen Ort zu finden. Er verlor jedoch unterwegs die Spur. Erst um das Jahr 1845 wurden die Leichen der Brüder unter einem Felsvorsprung im Kjal-Lavafeld gefunden, so wie es der Zauberer vorausgesagt hatte.

In der folgenden Geschichte machte ein Toter auf andere Weise auf sich aufmerksam. So fand einmal jemand beim Ausheben eines Grabes einen Schädel, der mit einer Stricknadel durchbohrt war. Der zuständige Pastor bewahrte den Schädel bis zum nächsten Gottesdienst auf. Nachdem alle Kirchenbesucher ihre Plätze in der Kirche eingenommen hatten, befestigte er den Schädel über der Kirchentür. Nachdem der Gottesdienst beendet war, verließen die Gottesdienstbesucher das Gotteshaus. Aber nichts passierte. Als der Pastor und sein Küster nachschauten, ob noch jemand in der Kirche war, entdeckten sie eine alte Frau. Die Männer wiesen sie an, das Gotteshaus zu verlassen. Beim Verlassen der Kirche fielen drei Blutstropfen auf die Frau, die ein Totengeist war. Sie sprach: »Früher oder später wird wohl ein Verrat aufgedeckt.« Sie gestand, ihren ersten Mann umgebracht zu haben, indem sie eine Nadel durch seinen Schädel stach. Zu jener Zeit war sie noch ein junges Mädchen gewesen und war zur Heirat gezwungen worden. Sie hatte die Leiche ohne fremde Hilfe für die Beerdigung zurechtgemacht. Später hatte sie ein zweites Mal geheiratet, aber dieser Mann war inzwischen verstorben. Die alte Frau wurde zum Tode durch Ertränken verurteilt, so wie es zu der Zeit auch mit Frauen gemacht wurde, die ihre Kinder umgebracht hatten.

Schutz vor Gespenstern

Um sich vor Geistern, bösen Mächten und Hexern zu schützen, kann man bestimmte Dinge oder Pflanzen benutzen sowie dafür bestimmte Rituale anwenden. Das Aufhängen eines Hufeisens oder einer Schere an der Tür soll Mensch und Tier vor schlechten Einflüssen bewahren. Beide Dinge sind aus Eisen und die Schere hat die Form eines Kreuzes, was Geister davon abhalten soll, Unruhe im Haus und in der Familie zu stiften. Früher war es Sitte, eine Schere neben die Wiege eines Säuglings zu legen, um das Kind vor bösen Wesen aus dem huldufólk (den verborgenen Leuten) oder anderen gefährlichen Dämonen zu schützen, die es rauben könnten.

Wenn jemand im Dunkeln unterwegs ist und das Gefühl hat, etwas Böses nähert sich ihm, sollte er anfangen zu spucken und zu furzen, je mehr, desto besser. Am besten ist es, die Hosen herunterzulassen und das Hinterteil gegen den Wind zu stellen, denn Geister mögen keine üblen menschlichen Gerüche. Um sich vor einem Gespenst zu schützen, gilt ebenso der Rat, sich seiner Kleider zu entledigen und sich dem aufdringlingen Geist nackt zu zeigen.

Auch ein ausgesprochener Segen im Namen der Dreifaltigkeit ist hilfreich beim Verscheuchen der Geister.

Wenn ein Gespenst jemanden im Bett überfällt, gilt der Rat, den Inhalt des Nachttopfes in Richtung des nächtlichen Störenfriedes zu schütten. Dann wird der Geist sofort die Flucht ergreifen.

Wenn jemand einen Toten findet, ist es nicht ratsam, die Leiche einfach liegenzulassen. Das könnte bedeuten, dass der Geist des Toten den betreffenden Menschen bei Tag sowie bei Nacht verfolgt. Um sich solch eines Gespenstes zu entledigen, wurde oft ein Zauberkundiger zu Hilfe gerufen. So erging es einem jungen Mann aus Siglufjörður, der in der Abenddämmerung am Strand eine von Flohkrebsen zerfressene Leiche fand. Die Eingeweide quollen ihr aus dem Körper. Der Mann bekam Angst und fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, war es dunkel, und er lief davon. Auf seinem Heimweg schaute er sich um und sah, dass der Tote ihn mit heraushängenden Eingeweiden und klappernden Knochen verfolgte. Er rannte, so schnell er konnte, nach Hause. Das Gespenst kam bis zu seinem Elternhaus, wo es an der Tür klopfte. Am nächsten Tag fand man die Leiche so, wie der Mann sie gefunden hatte, am Strand und begrub sie auf dem Friedhof. Aber das Gespenst Láki fand dort keine Ruhe. Immer wieder verfolgte es den Mann. Neben dem Wohnhaus des Mannes stand ein Schuppen, wo Fisch zum Trocknen aufgehängt wurde. In einer Herbstnacht tobte sich das Gespenst dort aus und zerstörte alles, was sich in dem Schuppen befand. Der Vater des Mannes versuchte mit Psalmen und Rat aus anderen Büchern, den aufdringlichen Geist zu verscheuchen. Aber Láki fand keine Ruhe. Letzten Endes wurde ein Zauberer herbeigerufen. Er schlug vor, dass der junge Mann bei Einbruch der Dunkelheit auf den Friedhof gehen, ein Loch in das Grab des Toten graben, dort hineinpinkeln und das Loch wieder zuschütten sollte. Auch sollte er zwei Stahlnägel mitnehmen, um sie an beiden Enden des Grabes in den Boden zu stecken. Nachdem der Mann diesen Rat ausgeführt hatte, gab Láki endlich Ruhe.

Ein uraltes Ritual bestand darin, Nadeln in die Fußsohle des Toten zu stecken. Dadurch, so dachte man, könnte verhindert werden, dass der Tote aus seinem Grab steigen würde, weil es schmerzhaft ist, sich auf Nadeln fortzubewegen. Auch ins Grab gesteckte Stahlnägel sollten den Toten davon abhalten, aus seinem Grab zu steigen, wenn er nicht das Risiko eingehen wollte, auf einen der Nägel zu treten. Da war es wohl besser, im Grab liegen zu bleiben, anstatt als Geist umher zu wandeln.

Parapsychologie

Seit jeher wird von Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten berichtet. Diese können angeboren oder erlernt worden sein. Sogenannte skýggnir menn – scharfsichtige Menschen – behaupten, Geister, Elfen und andere für gewöhnliche Leute unsichtbare Wesen zu sehen. Auf Island war es früher Brauch, dass bei der christlichen Taufe der Pastor das heilige Taufwasser in die Augen des Täuflings träufelte, um zu verhindern, dass er nicht die unerwünschte Gabe erhielt, übernatürliche Erscheinungen zu sehen. Später, als die Menschen Hellsichtigkeit nicht mehr als Fluch, sondern als bewundernswerte Fähigkeit ansahen, rieb man dem Kind das Taufwasser in die Augen, damit es hellsichtig werden würde. Hier zeigt sich, wie der Volksglaube sich im Laufe der Zeit wandeln kann und welche menschlichen Anlagen in bestimmten Zeiten erwünscht beziehungsweise unerwünscht sind.

Menschen, denen die Augenbrauen über der Nase zusammengewachsen sind, können Geister nicht schaden. Sie selbst gelten als geisterhafte Wesen.

Zu den übernatürlichen Gaben gehört auch der Blick in die Zukunft sowie die Deutung von Vorzeichen und Traumvisionen, in denen Geister den schlafenden Menschen Nachrichten oder Warnungen überbringen. Männer und Frauen mit dem sogenannten »zweiten Gesicht« konnten den nächsten Todesfall in ihrem Umfeld oder andere zukünftige Ereignisse voraussagen.

Eine hellsichtige Frau aus Nordisland soll einmal, als sie mitten am Tag das Haus verlassen wollte, vor der Haustür die Füße von elf Männern gesehen haben. Von den Körpern selbst sah sie nichts. Die Frau erschrak und wusste dieses Ereignis zuerst nicht zu deuten. Sie ging ins Haus hinein und erzählte von dieser Erscheinung. Kurz darauf klopfte es an der Haustür. Ein Mann war gekommen und erzählte, dass ein Schiff mit elf Personen untergegangen sei. Einer habe überlebt. Das war er selbst.

In Island gibt es in fast allen Landesteilen Vereine, die sich mit den Themen der Parapsychologie (sálarrannsóknarfélag) auseinandersetzen. Der Glaube an Geister und eine Existenz nach dem Tod ist für die Mitglieder dieser Vereine unumstritten. Mit Hilfe eines Mediums (miðill) wird in regelmäßig organisierten spiritistischen Sitzungen Kontakt zu Verstorbenen aufgenommen. Dabei versetzt sich das Medium in einen Trancezustand, um Informationen aus dem Jenseits zu empfangen und weiterzuleiten. Bisweilen spricht und schreibt eine verstorbene Person durch das Medium.

Dass es Menschen gibt, die mit den Toten kommunizieren können, glauben immerhin 54 % der Isländer. Ein Isländer berichtete davon, dass er im Winter 1906 Schüler auf einer Landschule für Jugendliche gewesen sei, wo Medien des Öfteren einen sogenannten Tischtanz veranstalteten, um Nachrichten von Verstorbenen zu empfangen. Man setzte sich dazu im Kreis um einen Tisch und berührte die Tischplatte nur mit den Fingerspitzen. Schon bald meldete sich ein Geist, indem der Tisch zu rütteln anfing. Nun wurden dem Geist die Fragen so gestellt, dass er sie mit Ja oder Nein beantworten konnte, indem die Tischbeine jeweils eine bestimmte Anzahl an Klopfzeichen von sich gaben. Wenn eine Frage nicht klar beantwortet werden konnte, gab der Tisch kein Klopfzeichen von sich, sondern bewegte sich hin und her. Die eingeladenen Geister konnten verschiedener Herkunft sein. Auch ausländische Wesen waren dabei. Dass diese eine andere Sprache sprachen, stellte keine Behinderung für die Vermittlung der Botschaften dar.

Zu den Funktionen eines Mediums gehört in vielen Fällen auch das Zeichnen der Aura der anwesenden Personen. Bei der Auralesung erfährt der Kunde etwas über sein geistiges Wachstum und welche spirituellen Beschützer er hat. Ein weiterer angebotener Dienst ist das Gebet für eine bestimmte Person zum Schutz oder zur Heilung einer Krankheit.

Besonders feinfühlige Menschen werden sogenannter Folgegeister (fylgjur) gewahr, die einigen Personen vorausfolgen. Diese Hausbewohner hören, bevor ein bestimmter Gast eintrifft, ein Klopfen an der Haustür, obwohl niemand vor ihrer Tür steht. Ein besonderer Geruch, der nicht erklärt werden kann, wird ebenfalls mit dieser Art von Geistern in Verbindung gebracht, die nur von hellsichtigen Menschen erkannt wird.

Ein Mann erzählte ein Erlebnis, das er als 13-jähriger in Hafnarfjörður erlebt hatte:

»Früher gab es außer der Uferstraße kaum andere Straßen in Hafnarfjörður. Es war üblich, dass die Kinder sich gegenseitig auf dem Nachhauseweg von der Schule begleiteten, wenn jemand abseits der Hauptstraße wohnte. Eine Gruppe von Kindern begleitete mich immer bis zum Ende der Straße Mjósund, wo ein Laternenpfahl stand. Von dort führte ein schmaler Weg durch unwegsame Lava, vorbei an einer Felsspalte zum Haus meiner Eltern. Die Kinder warteten bis ich den großen Stein hinter der Felsspalte erreicht hatte und ihnen zurief: ›Ich bin da.‹ Dann liefen sie weiter. Es war kurz vor Weihnachten. Am Morgen hatte es einen Schneesturm gegeben. Aber als ich nach Hause ging, war das Wetter gut. Dieses Mal ging ich allein den Weg nach Hause. Ich blieb bei dem Laternenpfahl stehen und sah einen Mann die Straße entlanggehen. Ich kannte ihn. Es war Einar Pétursson. Ich wartete, bis er näher kam, und begrüßte ihn. Aber er schien mich nicht zu bemerken, was mir komisch vorkam, denn er war sonst immer freundlich zu mir und meinen Geschwistern. Ich war dennoch froh, jemanden zu haben, der mich begleitete. Ich ließ ihn vorausgehen und machte eine Bemerkung zum Wetter. Aber ich erhielt keine Antwort. Bald darauf trennten sich unsere Wege. Als ich nach Hause kam, fragte mich meine Mutter, ob ich wüsste, ob Einar und Jón Vigfússon vom Vogelfang zurückgekommen seien. Sie waren am Morgen, als der Schneesturm aufkam, aufs Meer hinausgefahren und man fürchtete um ihr Leben. Ich sagte meiner Mutter, dass sie ganz bestimmt an Land gekommen seien, weil Einar mich auf meinem Weg nach Hause begleitet hatte.

›Sprach er mit dir?‹, fragte meine Mutter.

›Nein‹, antwortete ich grimmig.

›Das dachte ich mir‹, sagte sie.

›Wahrscheinlich ist er ertrunken, denn ich nahm einen Leichengeruch wahr, als du hereinkamst.‹

Meine Mutter hatte recht. Am nächsten Morgen fand man das Boot und die beiden Leichen am Strand von Álftanes.«

Der Geisterglaube sorgt auch in heutiger Zeit noch manchmal für Schlagzeilen. Im Juni 2020 berichtete das isländische Fernsehen in einer Reportage, dass das staatliche Energieversorgungsunternehmen Landsvirkjun einen Pastor als Geisterbeschwörer eingesetzt hatte. Eine Geistererscheinung trieb in einem Gebäude, das abgerissen werden sollte, ihr Unwesen. Der dort ansässige Bauer erzählte von der Begegnung mit dem Geist im Jahre 2002. Zuerst waren die Kühe und der Hofhund im Stall ungewöhnlich erregt. Dann stieg plötzlich eine Art Nebel aus dem Boden auf. Nachdem der Bauer die Tiere beruhigt hatte, überkam ihn ein Gefühl, als ob ihm jemand eiskaltes Wasser ins Gesicht spritzen würde. Kurz darauf glaubte er zu ertrinken und bekam keine Luft. Er bekreuzigte sich mehrere Male. Dann spürte er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und jemand sagte: »Beruhige dich. Etwas hat dich angegriffen und will dich von hier verjagen.« Ein Medium meinte damals, dass es sich um jemanden handeln würde, der den Bauern wegen seines guten Erfolges in der Milchwirtschaft beneidete. Laut der Sprecherin des Unternehmens war es für Landsvirkjun selbstverständlich, dafür zu sorgen, dass der Ort mit dem Gebäude frei von Geistern sei. Auch der benachbarte Hügel, der mit einem Bann belegt wurde, sollte von den bevorstehenden Baumaßnahmen verschont werden.

Kinder sollen oft sensibel auf übernatürliche Erscheinungen reagieren. Viele Isländer hatten in ihrer Kindheit Kontakt mit Elfen und erzählten später davon. Oftmals wurden diese Begegnungen verheimlicht, damit Leute, die diese Berichte nicht ernst nahmen, nicht darüber spotten konnten. In den Überlieferungen wird kaum etwas darüber berichtet, ob übernatürliche Erscheinungen einen schlechten Einfluss auf die Kinderseele hatten. Wahrscheinlich gewöhnten sich die Kinder an diese Wesen und haben die Erscheinungen mit mehr Gelassenheit hingenommen als die Erwachsenen, die immer nach Erklärungen suchen. Tiere reagierten ebenfalls empfindlich auf Spukerscheinungen und gerieten oft in Panik. Hunde tobten und Pferde scheuten ohne sichtbaren Grund. Deshalb wurde den Tieren ebenfalls eine stärkere Feinfühligkeit gegenüber paranormalen Phänomenen zugeschrieben als den Menschen.