Auf der alten Seidenstraße zum Hindukusch - Angelika Ludwig - E-Book

Auf der alten Seidenstraße zum Hindukusch E-Book

Angelika Ludwig

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Dieses Buch ist eine Überarbeitung unseres damaligen Tagebuchs einer Reise auf dem sogenannten Hippie Trail nach Indien und Nepal, ergänzt durch kurze Berichte über die Länder, die wir damals, 1971, bereisten. So erhält der Leser einen kurzen Überblick über die politischen Verhältnisse des damaligen Nahen Ostens bis hin nach Indien und Nepal. Es sind ja die sagenumwobenen Länder der alten Seidenstraße, die bereits im Altertum von Händlern, wie Marco Polo bereist wurden. Auch Alexander der Große marschierte auf der Seidenstraße bis zum Hindukusch, nachdem der den Perserkönig Dareios besiegt hatte und gelangte schließlich bis nach Indien. Diese geschichtlichen Fakten reizten uns natürlich, die Reise in Richtung Orient zu starten. Dazu mögen auch die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht um den sagenhaften Harun Al Raschid unsere Abenteuerlust angestachelt haben. Heute ist nun gerade der Nahe Osten Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen und terroristischer Gewaltakte. Wie es dazu kam, wird kurz in geschichtlichen Exkursen angerissen.

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Seitenzahl: 296

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Impressum

Angelika Ludwig

Auf der alten Seidenstraße zum Hindukusch

Tagebuch einer 11-monatigen Reise auf dem Hippie Trail

nach Indien und Nepal

Published by: epubli GmbH Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2017 Angelika Ludwig

Angelika Ludwig

Auf der alten Seidenstraße

zum Hindukusch

Tagebuch einer 11-monatigen Reise auf dem Hippie Trail

Inhalt

Vorwort

Türkei

Vorwort

Als ich diese Reise mit Bernd, meinem damaligen Lebenspartner, antrat, waren wir beide  27 Jahre alt. Wir fuhren am 1. Oktober 1971 los und wollten erst in einem Jahr wiederkommen. Diese Reise sollte uns über die Türkei, den Nahen Osten, Afghanistan, Pakistan und Indien nach Nepal führen. Sie entsprach ganz dem Zeitgefühl der damaligen jungen Generation. Wir waren nicht die Einzigen, die es in den Osten nach Indien zog. Nach der 68er Bewegung, die wir beide in Berlin mehr oder weniger miterlebt hatten, wollten wir erst einmal was von der Welt sehen, ehe wir mit der Berufstätigkeit begannen. Die orientalischen Reiche entlang der sogenannten Seidenstraße mit ihren alten Kulturen lockten uns gewaltig. Zwischen Studienende und Beginn der Berufstätigkeit wollten wir also erst einmal unseren Horizont erweitern, aber vor allem unsere Abenteuerlust befriedigen. Nicht von ungefähr zog es die Jugend in den Osten, wo sich durch Hinduismus und  Buddhismus, durch Yoga und Meditation, aber auch durch bewusstseinsverändernde Drogen, wie Haschisch und Marihuana, eine ganz neue Lebensideologie auftat.

Wir hatten unser Studium abgeschlossen und gerade so viel gearbeitet, um die Kosten für ein Jahr, die wir auf etwa 5000 DM veranschlagten, zusammen zu sparen. Wir kauften also einen gebrauchten Mercedes Bus, den wir für unsere Zwecke ausbauen ließen und besorgten uns alle nötigen Visa für unsere Fahrt nach Indien. Damals stand uns noch der Landweg offen. Wir vermieteten unsere Wohnung in Berlin für die Zeit unserer Reise und fuhren am 1. Oktober 1971 voller Entdeckerfreude los. Ende August 1972 sollten wir wieder wohlbehalten zurückkommen.

Von Anfang an führten wir ein Tagebuch, das wir in regelmäßigen Abständen nach Hause schickten, damit unsere Lieben daheim auch an unserer Reise teilnehmen konnten. So sind die unmittelbaren Eindrücke von damals erhalten geblieben. Inzwischen sind 45 Jahre vergangen. Wir fuhren durch heute unpassierbare Länder wie Syrien, den Irak und Afghanistan, aber auch Persien und Pakistan sind für den Reisenden gefährlich geworden. Manche der Orte sind unwiderruflich zerstört, wie z.B. Aleppo, Basra oder Kabul. Wir konnten noch in Friedenszeiten umherreisen, mit den Menschen in Kontakt treten und die fremden Kulturen ohne Gefahr in uns aufnehmen.

Warum ich die alten Aufzeichnungen noch einmal bearbeiten und herausgeben möchte, ist der Wunsch, die Länder in einer friedlichen Zeit darzustellen, als man noch weit entfernt von kriegerischen Auseinandersetzungen war und damit den Menschen gerecht zu werden. Heute haben über 1 Million Menschen gerade aus diesen Ländern, aus Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan in Europa um politisches Asyl nachgesucht. Sie mussten vor Krieg und Terror fliehen und es ist noch kein Ende der bewaffneten Konflikte abzusehen.

Ich will keinen politischen Kommentar zur Lage im Nahen Osten schreiben, sondern möchte nur zeigen, wie wir das Leben dort erlebten und was sich in den 45 Jahren seit unserer Reise dort verändert hat.  Damals war ein ganz normales Leben dort möglich, zumindest hofften die Menschen noch auf mehr Wohlstand und Freiheit und dachten nicht an Flucht. Warum soll es nicht in der Zukunft wieder möglich sein?

9. Oktober 1971          Türkei        

Acht Tage nach unserer Abreise in Berlin kommen wir endlich in Istanbul an. Es ist schon spät abends und unser Wagen ist wie immer voll besetzt. Heute haben wir alle das gleiche Ziel: Die Blaue Moschee und dort das Lokal Pudding Shop. Der Alte mit dem Bund Stroh steigt schon am Eminönü aus, diesem großen Umschlagplatz, von dem aus die Fährschiffe über das Goldene Horn und den Bosporus übersetzen. Von hier aus ist es nicht mehr weit, trotzdem machen wir noch eine aufregende Rundfahrt durch die belebte Innenstadt ehe wir die Moschee erreichen.

Das Goldene Horn und der Stadtteil Galata

Wir staunen über die vielen Busse aus Westeuropa, die hier bereits rund um die Moschee stehen und die vielen Leute, die sich hier bereits mehr oder weniger häuslich niedergelassen haben und zusammensitzen, um sich auszutauschen. Unser Wagen erregt Aufsehen, zeigt aber auch gleichzeitig, was wir für Leute sind. Selten hat jemand einen so stabilen, soliden Wagen mit so guter Inneneinrichtung. Ein angenehmes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den anderen überkommt uns. Wir hören wichtige Neuigkeiten für unsere Reise. Der Schah von Persien soll anlässlich der 2000-Jahrfeier seines Landes bis zum 20. Oktober die Grenzen schließen. Da die meisten auf dem kürzesten Weg nach Afghanistan oder Indien wollen, bedeutet das: Warten! Für uns ist das egal. Wir wollen sowieso 2 – 3 Wochen in der Türkei bleiben.

Am schwarzen Brett im Pudding Shop sieht es so aus wie bei uns an der Uni. Eine Fülle von Angeboten und Gesuchen aller Art ist hier angebracht. Sonst ein ganz normales Esslokal, gar nicht mal so billig für uns.

Straße am Bosporus

Wir bleiben 2 Tage in Istanbul, sehen uns das an, was man sich normalerweise bei seinem ersten Aufenthalt ansieht: Die engen Gassen der Altstadt, den riesigen überdachten Basar, den ehemaligen Sultanspalast Topkapi am Bosporus und schließlich auch die berühmte Blaue Moschee oder Sultan Ahmet Moschee, wie sie von den Türken genannt wird. Hier kommt sofort ein Fremdenführer auf uns zu, dem wir einfach nicht nein sagen können, er tut uns auch leid und so lassen wir uns von ihm 20 türkische Lira abnehmen, obwohl er eigentlich nur das erzählt, was man ohnehin sehen kann. Über die Galatabrücke erreichen wir das vornehme, europäisch wirkende Viertel Galata auf der anderen Seite des Goldenen Horns mit seinen aus dem 19. Jahrhundert erhaltenen Holzhäusern. Hier herrscht eine ganz andere Atmosphäre als in der nervenaufreibenden Altstadt im Viertel Eminönü. Die engen Straßen des alten Istanbuls sind fast immer verstopft, so dass fortwährend ein großes Geschreie und Gehupe ertönt und die Händler, die es hier in immenser Anzahl gibt, überschreien sich förmlich im Anbieten ihrer Ware und ganz besonders, wenn sie uns sehen. Dann zeigen sie stolz ihre englischen oder deutschen Sprachkenntnisse, weil sie sich ein besonderes Geschäft versprechen und zerstören einem leider alle Ruhe und Beschaulichkeit, die für mich vor allem unentbehrlich ist, um die Schönheiten des orientalischen Lebens entdecken zu können. Leider ist es aber heute schon so, dass die beiden berühmten Moscheen, die Blaue Moschee und die Hagia Sophia, nur noch touristische Zentren sind und kein besserer Türke mehr gern in die Altstadt geht, weil es dort schmutzig und voller Fremder ist.

Die Blaue Moschee

Vor der Blauen Moschee

11. Oktober

Nach 2 Tagen in Istanbul lassen wir uns noch gegen Abend nach Asien übersetzen und fahren zum Schlafen noch ein ganzes Stück raus aus der Stadt. In einem kleinen Dorf am Marmarameer stellen wir uns für die Nacht direkt ans Wasser. Am nächsten Tag geht es in Richtung Eskiseron in das anatolische Hochland hinauf. Hier, außerhalb der Millionenstadt Instanbul, sind die Menschen wieder natürlich und freundlich. Wir nehmen Einheimische in unserem Wagen mit und werden von ihnen mit Obst beschenkt und zum Tee eingeladen. Das Wetter ist angenehm warm, der Himmel blau, die Natur anfangs noch üppig. Es ist kaum Verkehr, so dass das Autofahren Spaß macht. Wir fahren lange an einem Fluss entlang, klettern dann aber gegen Mittag doch langsam auf eine Höhe von ca. 1000 – 1200 Meter hinauf. Von der in dieser Höhe und in ziemlich öder Gegend liegenden Stadt Eskiseron, die ca. 200 000 Einwohner hat, sind wir ehrlich überrascht. Sie ist so hübsch, modern und sauber, wie wir es uns nicht vorstellen konnten nach Istanbul. Die Menschen sind auch ungewohnt gut gekleidet. Wir waren natürlich sofort von gaffenden Schulkindern, die in ihren  schwarzen Schulkitteln mit weißem Kragen ganz brav aussahen, umringt, in respektvoller Entfernung, versteht sich. Man flüsterte, kicherte und wagte ein paar Fragen: Anglaise? Allemande?

Die frechen Schulkinder

Der Basar der Stadt war fantastisch. Wir waren so begeistert, dass wir beschlossen, heute nicht mehr weiter zu fahren. Es wurden unglaublich viele Waren angeboten und den verschiedensten Handwerkern konnte man bei der Arbeit zusehen. Am meisten aber gefiel uns, dass wir hier wirklich in Ruhe alles ansehen konnten. Natürlich wurden wir neugierig angesehen, aber es hielt sich in Grenzen.

Flickschuster im Basar

Gegen Einbruch der Dunkelheit gerieten wir in eine Hochzeitsfeier, die uns den ganzen Abend in einer bunten Menschenmenge verbringen ließ. Wir hatten erst an eine öffentliche Veranstaltung gedacht, weil so viele Menschen hier zusammen waren, aber eine Hochzeit ist wohl hier ein öffentliches Fest. Es war unbeschreiblich laut, man knackte Sonnenblumenkerne und wartete auf das Brautpaar. Wir waren allem Anschein nach eine willkommene Abwechslung, denn das Brautpaar ließ auf sich warten. So erkundigte man sich nach unseren Personalien: Verheiratet? Kinder? Geschwister? Eltern? Das übliche also, wie wir später immer wieder erfahren sollten. Aber noch machte es uns Spaß, die immer gleichen Fragen zu beantworten. Als das modern, europäisch gekleidete Brautpaar mit seiner Anhängerschaft kam, wurde westliche Barmusik gespielt und man tanzte, ohne sich um die versammelte Menschenmenge, die eher aussah wie eine versammelte Dorfgemeinschaft, zu kümmern. Zu essen oder zu trinken gab es hier auch nichts. Trotzdem waren die Leute fröhlich und schienen nichts zu vermissen. Man konnte doch immerhin mal wieder seine Frau und die Kinder vorzeigen und sich mit vielen andern unterhalten. Da wir uns leider nicht mit ihnen unterhalten konnten, wurden uns der Lärm und die Hitze im Saal bald zu viel und wir verabschiedeten uns bei den freundlichen Leuten mit einem „Güle Güle“, worüber alles kicherte. Seltsam, dass die meisten der Hochzeitsgäste so asiatische, bzw. mongolische Gesichtszüge hatten, im Gegensatz zu den übrigen Einwohnern der Stadt, dachten wir noch hinterher.

Weit konnten wir an diesem Abend nicht mehr fahren. Bald hinter der Stadt, in der sich dunkel ausdehnenden Hochebene, suchten wir uns einen stillen Schlafplatz.

Am nächsten Tag erreichten wir ziemlich bald Afyon, eine kleine Kreisstadt von etwa 50 000 Einwohnern. Afyon ist sehr malerisch an einem Berg gelegen. Besonders entzückend war für Großstädter wie uns der Pferdewagen- und Kutschenverkehr in der Stadt, und zwar deshalb, weil sich die Bauern, bzw. Fuhrleute ihre Gespanne so liebevoll und fantasievoll bunt angemalt hatten. Es herrschte reger Handel, wie eigentlich in jeder Stadt in der Türkei, aber hier schien uns die ganze Stadt ein großer Basar zu sein.

Als wir noch unschlüssig herumstanden, weil wir nicht wussten, was wir zuerst ansehen sollten, kam auch schon ganz atemlos ein junger Mann auf uns zugerannt, der uns in leidlichem Deutsch bat, uns in der Stadt herumführen zu dürfen. Yüssup, so hieß unser neuer Freund, verbrachte nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland erstmals wieder seinen Urlaub in seiner Heimatstadt. Erstaunlicherweise war er voll des Lobes über Deutschland, obwohl es ihm als Schleifer in einem Industriebetrieb und in einem Wohnheim wohnend, bei der doch allgemein üblichen Diskriminierung der Türken, nicht so überschwänglich gut gefallen dürfte. Doch vielleicht spielten Urlaubslaune und der Stolz, Deutsche in seiner Heimatstadt herumführen zu dürfen, wo er überall Freunde traf, die er über uns informieren konnte, die maßgebliche Rolle bei seiner Beurteilung. Yüssüp war für die Schönheiten seines Städtchens wenig empfänglich. Er verstand unser Interesse kaum, sondern schwärmte in einem fort über deutsche Städte. Neben der zentralen Moschee der Stadt gab es in Afyon ein großes,  prunkvolles Badehaus, das wir erst für eine zweite Moschee hielten. Bernd hätte am liebsten das von ihm schon so lang ersehnte türkische Bad genommen, aber da rief schon der Muezzin von der nahen Moschee die Gläubigen zum Mittagsgebet, was bedeutete, dass es schon 15 Uhr war und uns die Zeit ganz schön weggerannt war. Wir hörten diesen Gesang zum ersten Mal und wären gern in die Moschee gegangen, doch Yüssüp bedeutete uns, dass es in diesem Monat für Frauen nicht erlaubt sei, die Moschee zu betreten. Schöne Zustände!

Als wir nach dem Mittagessen mit unserem Freund dann bald weiter fuhren, beschäftigten uns die neuen Eindrücke noch eine ganze Weile. Sollten wir uns vielleicht mehr Zeit für so schöne Orte nehmen? fragten wir uns. Doch dann entschieden wir, richtig gehandelt zu haben, denn auf uns wartete ja noch der ganze Orient und am Ende das Traumland Indien.

Moschee und Badehaus in Afyon

Zur Nacht fanden wir einen Platz an einem See bei Burdur, der, wie wir hofften, letzten Zwischenstation vor dem Mittelmeer. Leider war es schon immer sehr früh am Abend dunkel und dann gleich so undurchdringlich dunkel, dass ich mich kaum noch vor das Auto traute, denn für eine Großstädterin, wie mich, da müssen schon wenigstens ein paar Laternen brennen. Es dauerte lange, bis mir die Natur weniger geheimnisvoll erschien. Da nützte auch nicht die Einschaltung meines Verstandes der mir sagte, dass in der Großstadt die meisten Verbrechen passieren.

Am nächsten Morgen, bei Sonnenschein, sah die Welt für mich schon wieder freundlicher aus, obwohl wir von einem jungen Mann mit Gewehr wachgerüttelt wurden. Aber der Junge rief so freundlich „Hallo Kollega“,  dass wir nichts Böses argwöhnen konnten. Leider konnten wir uns in keiner Sprache verständigen, sondern verstanden nicht viel mehr als „Berlin“. Schade!

Heute wollten wir bei Antalya die Küste erreichen. Wir fuhren durch unsagbar armselige Dörfer. Wie hart die Menschen hier für ihre Existenz arbeiten müssen! Antalya ist hoch über einer schönen Bucht gelegen. Winklige Gässchen führen hinunter zum Hafen. Hier scheint im Sommer viel Tourismus zu sein.  Man spürt das sofort an den Menschen.

Erst bei Einbruch der Dämmerung fahren wir weiter. Wir wollen irgendwo ans Meer, wo möglichst wenig Leute sind. Aber die Straße führt erst einmal wieder weg vom Meer und so ereilt uns die Dunkelheit zu früh und wir müssen schließlich anhalten, ohne dass wir die Gegend ausmachen können. Kaum haben wir es uns im Auto gemütlich gemacht – ich versuche, das in Antalya erstandene Hammelfleisch weich zu kriegen – hören wir Stimmengewirr draußen. Es ist schon relativ spät und vor allem so stockdunkel, dass wir eigentlich nicht öffnen wollen. Aber das Klopfen geschieht so nachdrücklich, dass uns einfach nichts anderes übrig bleibt, als zu öffnen. Draußen stehen fünf junge Burschen, die uns freundlich begrüßen. Doch etwas erleichtert über die harmlosen Gesichter lassen wir uns richtiggehend überrumpeln. Im Nu haben sich alle fünf ins Auto gezwängt und bestaunen nun alles, was es zu sehen gibt. Für diese ärmlich gekleideten, kleinen Bauernburschen muss unser Auto aber auch prächtig eingerichtet sein.

Wir verzehren mit ihnen gemeinsam unsern Hammelbraten und nachdem wirklich alles von den Jungen bestaunt worden ist, geht unser Gesprächsstoff langsam zu Ende. Da wir viel abgelegte Kleidung zum Verschenken mitgenommen haben, kommt mir die Idee, bei diesen Jungen damit anzufangen. Die Fünf sind ganz wild vor Freude und mögen nun gar nicht mehr gehen, weil sie in unsere große Kleiderkiste blicken konnten. Wir haben reichlich Mühe, sie zu verabschieden.

Es ist spät geworden und wir sind müde. Im Auto sieht es wüst aus, denn die Jungen hatten nicht gerade die besten Manieren. Ich bin noch dabei aufzuräumen, als es schon wieder klopft. Einer der Jungen bringt uns eine Wassermelone. Dann stellt er uns seine drei Brüder vor, die uns bereits  recht nachdrücklich klarzumachen versuchen, dass sie auch ein Kleidungsstück wollen. Wir sind überrascht und wagen nicht, die eindringenden Burschen zurückzuhalten. Der Kleine zeigt seinen Brüdern schon in einer Art das Auto, als gehöre es ihm. Es wird uns ziemlich klar, dass wir den Jungen etwas schenken müssen, wenn wir sie wieder loswerden wollen. So öffne ich schließlich ein zweites Mal die Truhe, muss aber zum Schluss noch richtig energisch  werden, ehe sie uns allein lassen.

Aber auch jetzt werden wir noch nicht in Ruhe gelassen. Eine dritte Abordnung aus dem nahegelegenen Dorf trifft ein. Diesmal sind es Männer, die, als Gegenlohn für die uns dargebotenen Früchte, wahrscheinlich auch Kleidung wollen. Wir haben beide alle Mühe, diese Männer davon abzuhalten, auch in unseren Wagen zu steigen. Schließlich ist es inzwischen sehr spät und wir wollen nicht alle unsere Sachen im erstbesten Ort in der Türkei lassen. Wir bleiben diesmal energisch und erreichen endlich unser Ziel. Am nächsten Morgen fahren wir gleich nach dem Wachwerden weiter. Wir wollen nicht noch einmal Besuch aus dem Dorf haben.

Wir fahren bis nach Side, wo wir endlich wieder das Meer erblicken. Side ist heute nur noch ein kleines Fischerdorf. Vom Glanz des Altertums sind nur noch Ruinen übrig geblieben, freilich noch ganz ansehnliche und in der Saison werden sicherlich viele Touristen herkommen. Heute aber ist der 17. Oktober und folglich Nachsaison, wenn auch das Wetter sehr angenehm ist, über Mittag sogar zu heiß. Wir nehmen unser erstes Bad auf dieser Reise und fühlen uns wunderbar wohl. Die große Bucht mit dem herrlichen Sandstrand haben wir fast für uns allein. Weit hinten spielen ein paar Kinder, sicherlich Einheimische. Ein schlankes Minarett erinnert uns daran, dass wir im Orient sind und nicht in Italien oder Spanien. Wir beschließen, hier ein paar friedliche Ferientage zu verbringen und uns dann gemächlich in Richtung Syrien fortzubewegen, immer an der Küste entlang.

Wäsche waschen muss auch sein

21. Oktober

Unser Wagen steht zum Abschmieren und Ölwechsel in einer Tankstelle und so habe ich etwas Zeit, meine Aufzeichnungen zu vervollständigen. Während unseres kurz bevorstehenden 3- Tage- Aufenthalts in Syrien wollen wir keine Zeit mit dem Auto verschwenden. Hoffentlich geht alles in Ordnung! Wir hatten schon so manchen Kummer mit dem Wagen. Bereits in Deutschland fing es damit an, dass uns ein Keilriemen riss und dass uns bei der Montage eines neuen Keilriemens der Wasserschlauch kaputt ging. Das führte zu drei Werkstattbesuchen und am Ende liefen sich vorgestern noch die Bremsen besonders heiß. Gestern schien der Wagen dann wieder in Ordnung zu sein. Na, wir werden sehen!

Wir haben noch gestern Nacht, nach dem Besuch einer Tanzveranstaltung Mersin verlassen. Bis zur syrischen Grenze sind es nun noch ca. 200 km. Die aus dem Altertum berühmte Stadt Tharsus, die wir in ein paar Kilometern erreichen werden, wollen wir nur durchfahren. Wir haben inzwischen das noch wunderbar erhaltene griechische Theater in Aspendos gesehen, haben in der Nähe riesige Überreste eines Aquädukts bestaunt und sind in den Ruinen Sides herumgelaufen. Hier haben uns die noch gut erhaltenen, komfortablen und sehr kunstvoll ausgestatteten Thermen mit vielen Marmorbassins besonders beeindruckt. Man konnte sich gut vorstellen, wie angenehm man dort früher die Zeit verbringen konnte. In der Nähe von Silifke sind wir zu einer kleinen, burgähnlich befestigten Insel herübergeschwommen und in eine riesige und stockdunkle Tropfsteinhöhle hinuntergestiegen. Nun reicht es uns! Man braucht schon viel Fantasie, wenn man versucht, sich vorzustellen, dass Aspendos einmal eine blühende Stadt gewesen ist. Auch wenn das majestätisch gebaute Theater noch immer den Glanz seiner früheren Zeit auszustrahlen vermag. Heute existiert hier nur ein ärmliches Dorf, dessen Einwohner zu dieser Jahreszeit überwiegend mit der Baumwollernte beschäftigt sind.

Griechisches Theater in Aspendos

Merkwürdig muten uns die Bewässerungsanlagen der Felder an, die wie den antiken Aquädukten nachgebaut wirken, nur sind sie viel kleiner und aus Beton.

Es machte Spaß, an der Küste entlangzufahren und hier und da etwas Interessantes anzusehen oder einfach nur in einer besonders schönen Bucht zu baden. Da es überall wenig Touristen gab, sahen die Leute von ihrer Arbeit auf, wenn wir kamen und nickten uns zu und die Kinder liefen uns nach und boten uns ihre sogenannten Antiquitäten an: Münzen, Öllampen und garantiert echte kleine Kalksteinfiguren. Für 20 Lira konnten wir ein solches echtes Stück Vergangenheit schon erstehen. Manchmal saßen wir auch einfach nur in einem Café und sahen dem Leben um uns herum zu. Lange konnten wir freilich nie allein irgendwo sitzen, ohne dass wir jemand kennenlernten.

In Silifke wurden wir von Bahtiyar oder Happy, so lautet die englische Version seines Namens und so wollte er genannt werden, den wir ein Stück des Weges mitgenommen hatten, sogar nach Hause eingeladen. Happy war froh, mal wieder mit jemand Englisch sprechen zu können und dies seiner Mutter und seiner 17-jährigen Schwester vorführen zu können. Happy ist Oberschüler in Ankara. Er weiß noch nicht, ob das Geld, das die Mutter allein verdienen muss, zum Studieren ausreichen wird, da die Schwester auch noch zur Schule geht. Er zeigte uns stolz sein Zimmer, in dem die Wände mit Pop Fotos behängt sind. Er selbst ist Schlagzeuger in einer Band und schwärmt für Melanie und Elvis. Happy passt gar nicht in die Welt der Basare, der vielen Händler und der Moscheen. Er ist aus der Kirche ausgetreten, erzählt er uns, aber seine Schwester und seine Mutter würden sehr fromm sein. Ohne sich über das etwas herablassende Verhalten ihres Bruders zu wundern, bedient uns die sympathische und modern gekleidete Schwester still und bescheiden. Happy ist schließlich der einzige Mann in der Familie. So haben sich moderne europäische Lebensweise und orientalische Tradition hier arrangiert.

Leider mussten wir den heutigen 21. Oktober mal wieder größtenteils in einer Reparaturwerkstatt verbringen. Die Radlager der Hinterradbremsen mussten auseinander genommen und gründlich gereinigt werden. Nun dürften sie sich aber wirklich nicht mehr heiß laufen. Es ist schon Abend und Bernd liegt bereits im Bett. Eine leichte Erkältung macht ihm zu schaffen. Ich möchte noch schnell etwas schreiben, denn morgen fahren wir nach Syrien und dann will ich das Kapitel „Türkei“ abgeschlossen haben.

Wir fuhren heute durch ein ziemlich industrialisiertes Gebiet, das uns gar nicht gefallen hat, die Cukurova. Diese Ebene am östlichsten Zipfel des Mittelmeeres ist so fruchtbar, dass es sich lohnte, hier gleich entsprechende Verarbeitungsindustrien aufzubauen. Hier sahen wir auch zum ersten Mal die modernen Nomaden der Türkei: Gelegenheitsarbeiter, die von Feld zu Feld ziehen und ihre Zelte immer gleich neben ihrem Arbeitsplatz aufbauen. Die zerlumpten Behausungen sahen besonders ärmlich aus und das in einer der fruchtbarsten Gegenden der Türkei.

Bernd war heute endlich in einem alten türkischen Bad und zwar in Adana. Dies veranlasste ihn dazu, mir ausführlich darzulegen, dass die Türken eigentlich schon immer ein reinliches Volk gewesen wären. Wo könne man schließlich in Deutschland so alte Badehäuser sehen? Zur Zeit der Erbauung der türkischen Badehäuser wusch man sich in Deutschland noch überhaupt nicht. Und überhaupt würde auch der Brauch der Moslems, sich vor dem Eintreten in eine Moschee die Füße zu waschen, von ihrer Reinlichkeit zeugen. Ja, da hat Bernd schon Recht, aber die Zeiten haben sich, besonders was Deutschland betrifft, sehr geändert

22. Oktober

Wir treffen schon früh am Morgen in Antakya, dem früheren Antiochia, ein. Wir wollen eigentlich nur kurz in dieser kleinen Grenzstadt - knapp 50 km vor der syrischen Grenze -  rasten, lernen aber, kaum dass wir den Wagen geparkt haben, einen sehr netten Türken kennen, der früher mal im Tourist Office der Stadt gearbeitet hat, und der uns beredt und sympathisch davon überzeugt, dass Antakya es mindestens wert sei, einen Tag lang angeschaut zu werden. So bleiben wir und bereuen es wirklich nicht, denn Antakya ist in der Tat ein sehr hübsches Städtchen, mit riesigem Basarviertel und viel interessantem Leben darin und Hussanmettin versteht es, sich viel Zeit für uns zu nehmen, obwohl er eigentlich in einem Büro arbeiten müsste. In seiner sehr ausgedehnten Mittagspause fahren wir gemeinsam auf ein hohes Bergplateau, von wo aus wir einen schönen Blick auf die Stadt und das gesamte fruchtbare Tal haben. Am Abend lernen wir den Club der nobleren Herren von Antakya kennen, wo man Karten spielt und sich sehr ereifert, weil der Einsatz sehr hoch ist. Mir wird ein bisschen langweilig, obgleich die Herren sich köstlich zu amüsieren scheinen.

Zähneputzen muss sein

Sie lieben ihren Club und das Spiel, so scheint es, als Ausgleich zu dem wohl sehr anstrengenden Familienleben in der Großfamilie. In Hussanmettins Familie wird morgen eine Hochzeit gefeiert, erzählt er uns. Aus diesem Grund hat er nicht die Absicht, heute früh nach Hause zu gehen. Dort würde alles in heller Aufregung sein und da bliebe er lieber im Club.

Hussanmettin hat einmal seinen Urlaub in Deutschland verbracht und schwärmt von dem freien Leben dort. Gut hat ihm gefallen, dass Männer und Frauen sich Arm in Arm in der Öffentlichkeit zeigen konnten. Hier in Antakya aber passt er sich den Vorstellungen seines Landes und seiner Religion an, versteht sich.  Auf seinen Rat hin sehen wir uns das kleine Museum der Stadt an und haben viel Freude daran, weil unser Freund ganz unerwartet hier auftaucht, um uns genau über die Kunstschätze seiner Stadt aufzuklären. Auf seinen Wink hin, besichtigen wir auch noch die angeblich älteste christliche Kirche der Welt, eine Felsenhöhle hoch oben am Berg, in der sich bald nach dem Tode Jesus einige seiner Jünger mit ihren Anhängern getroffen haben sollen, um seine Lehre weiter zu verbreiten. Die Kreuzritter sollen dann 1000 Jahre später die jetzige Vorhalle  angebaut haben und dem ganzen Bauwerk eine kirchenähnliche Fassade gegeben haben. Am Abend des sehr schönen Tages erfolgt ein etwas beklemmender Abschied von unserem Freund, da wir uns höchstwahrscheinlich nicht mehr wiedersehen werden, auch wenn wir unsere Adressen austauschen. Eine Idee kommt uns noch am nächsten Morgen. Wir machen zur Erinnerung noch ein Foto mit unserer Polaroid Kamera, das wir unserem netten Fremdenführer sofort überreichen können und das ihn ganz offensichtlich etwas über den Abschied tröstet.

Erste christliche Kirche in Antakya

Exkurs über die Türkei

Seit ihrer Gründung 1923 ist die Türkei laizistisch und kemalistisch geprägt. Kemal Atatürk leitete die Modernisierung der Türkei nach dem Vorbild europäischer Nationalstaaten ein.

Die Bevölkerung setzt sich aus 77 % Türken und ca. 16 % Kurden zusammen, der Rest sind verschiedene andere Nationalitäten. Sie ist zu 99 % muslimisch, 80 % Sunniten und ca. 20 % Alewiten. In den letzten Jahren, insbesondere unter Erdogan, haben konservative religiöse Strömungen in der Bevölkerung stark zugenommen.

Heute hat sich die Zahl der Türken seit 1971 mehr als verdoppelt. 1970 zählten sie 35, 6 Millionen, 2014 gab es bereits 77,7 Millionen. Die Türkei ist geprägt von einem hohen Grad an Vermögensungleichheit. So verließen schon während der 1960er, 70er und 80er Jahre viele Türken als Arbeitsimmigranten das Land. Es war keine Seltenheit, dass wir von Türken, die in Deutschland gearbeitet hatten und gerade im Urlaub waren, auf Deutsch angesprochen wurden. 1971 griff die Armee in die Politik ein, auch 1980 gab es einen erneuten Militärputsch. Das Kriegsrecht wurde verhängt, das einherging mit Repressalien gegen die Kurden und linke Oppositionelle. 1982 legte die Militärregierung eine bis heute gültige Verfassung der Republik vor.

Ab Mitte der 80er Jahre bestimmte der Kurden-Konflikt die innenpolitische Debatte. Ab 1978 entstand die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit Abdullah Öcalan an der Spitze. Sie nahm 1984 im Südosten den bewaffneten Kampf für ein unabhängiges sozialistisches Kurdistan auf. 1998 nahm der türkische Geheimdienst Öcalan in Kenia gefangen. Die PKK erklärte daraufhin einen Waffenstillstand, der bis 2004 hielt.

Unter Bülent Ecevit, 1999 - 2002,  gab es umfassende Reformen, die Todesstrafe wurde abgeschafft, Folter wurde verboten. Die Reformen wurden unter der heute regierenden AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung,  unter Erdogan fortgesetzt. So wurde 2004 ein Gesetz beschlossen, das sogenannte „Ehrenmorde“ an Mädchen und Frauen wie vorsätzlichen Mord mit lebenslanger Haft ahndet. 2003 gab es einen ersten Anschlag von Al-Qaida in Istanbul mit 60 Opfern. Seit 2004 sind die Kämpfe zwischen den türkischen Streitkräften und der Untergrundorganisation PKK wieder aufgeflammt. Bis 2007 kamen 40000 Menschen ums Leben.

2005 erreichte die Türkei die Aufnahmeverhandlungen mit der EU. Die EU erklärte jedoch, dass unter der islamisch-konservativen AKP Regierung Erdogans keine Fortschritte im Hinblick auf die Gewährung der Grundrechte, wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, etc. zu bemerken seien. Die türkische Wirtschaft entwickelte in den letzten 10 Jahren hohe Wachstumsraten.

Seit 2014 ist Erdogan, der seine Partei erst 2001 gegründet hatte, Präsident der Türkei. Bereits 2002 errang die AKP einen überragenden Wahlsieg. 2007 erzielte sie die absolute Mehrheit und so setzte sich ihr Erfolg bis heute fort, obwohl Erdogan wie ein Despot regiert. 2013 ging er mit brutaler Gewalt gegen Proteste auf dem Taksim Platz vor, die sich gegen das Fällen von Bäumen für Bauvorhaben richteten. Kritiker werfen ihm vor, er wolle die Herrschaft des Islam in der Türkei durchsetzen. Er selbst versteht sich als Anhänger der Scharia. In seiner Regierungszeit legten immer mehr Frauen das Kopftuch an.

Im seit fünf Jahren bestehenden Syrien Krieg hat die Türkei allein 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und sich zuletzt bereit erklärt, dafür zu sorgen , dass die Flucht von der Türkei aus auf die griechische Insel Lesbos aufhört. Dafür sind der Türkei in einem Vertrag 2 Millionen € zugesichert worden. 

Am 15. Und 16. Juli 2016 gab es einen Putschversuch der Militärs, den Erdogan aber niederschlagen konnte. Resultat war eine Verhaftungswelle ungeheuren Ausmaßes. Mehr als ein Drittel der Offiziere im Generals- und Admiralsrang wurden verhaftet. Es führte auch zu einer großen politischen Säuberung, in Militär, Polizei und Verwaltung. Über 2500 Richter und Staatsanwälte wurden abgesetzt, Journalisten, Lehrer und andere linke Oppositionelle wurden verhaftet.  Für Erdogan handelte es sich um eine Verschwörung des muslimischen Predigers Gülen. Allerdings gab es schon vor dem Putschversuch sogenannte „Schwarze Listen“, die als Grundlage für die Verhaftungen dienten.

Die Türkei hat sich zuletzt unter dem Druck der USA auch an der Bekämpfung des sogenannten IS beteiligt, nachdem sie lange Zeit nichts unternommen hat, sondern mit dem IS sogar Geschäfte gemacht hat.  Ihre Interventionen richten sich aber ebenso gegen die Kurdenmilizen, die wiederum die Verbündeten der USA beim  Kampf gegen die Terrormiliz IS sind. Für Ankara handelt es sich bei der Kurdenmiliz um einen Ableger der PKK und die PKK steht sowohl in den USA als auch in der EU auf der Liste der Terrororganisationen. Die Türkei will verhindern, dass ein zusammenhängendes Kurdengebiet entsteht, welches bis an den mehrheitlich kurdischen Südosten der Türkei reicht und unterstützt daher die Freie Syrische Armee im Grenzgebiet.

22.Oktober 1971               Syrien

Nun fahren wir endgültig nach Syrien. Schon nach kurzer Zeit sind wir an der Grenze, wo wir freundlich abgefertigt werden. Wir sind darüber erstaunt, weil wir mit Schwierigkeiten gerechnet hatten. Schon der ADAC hatte auf die zig einzuhaltenden Bestimmungen hingewiesen und auch in der Türkei hatte man uns bedeutet, dass Syrien ein Polizeistaat sei, ohne allerdings zu präzisieren, was man damit sagen wollte. Hier werden wir zuvorkommend und schnell von zwei schneidigen jungen Männern in tadelloser Uniform abgefertigt. Polizeistempel in die Pässe, Tape Recorder und Radio vorzeigen und schon können wir weiter fahren. Noch 55 km wollten wir fahren, dann nämlich sollte Aleppo auftauchen.

Wir fahren durch ödes, wüstenähnliches Land. Nach den fruchtbaren Tälern um Antakya ist der Gegensatz für uns besonders krass. Man sieht nur lehmiges, ausgetrocknetes Land, ein paar Schafe (Was fressen sie?), ein paar armselige Dörfer, auch aus Lehm, aber zum großen Teil nicht einmal aus Lehmziegeln, sondern einfach geformt wie Iglus. Die Frauen tragen hier alle schwarz. Die Männer tragen lange Kleider in hellen Farben und die hier übliche Kopfbedeckung, ein Tuch, von zwei auf den Kopf gesetzten Ringen gehalten.

Als wir in Aleppo ankommen, sind wir aber erst recht am Staunen. Hier beginnt erst der wahre Orient! Aleppo wirkt ganz anders als türkische Städte, die wir gesehen haben. Schon allein durch die Kleidung der Menschen. Man sieht kaum eine Frau, die ihr Gesicht zeigt. Sie sind entweder ganz in ein schwarzes Tuch gehüllt oder sie verdecken zumindest ihren Kopf und ihr Gesicht mit einem schwarzen Schleier. Immerhin kann ich hinter diesen Schleiern die Neugierde spüren, mit der wir betrachtet werden. Was müssen wir doch für merkwürdige Menschen sein: Bernd mit seinem Bart, der hier überall größtes Interesse erweckt und ich mit meiner Jeans, die allen meine Figur zeigt.

Lehmdorf auf dem Weg nach Aleppo

Wir halten mitten in der Stadt und starten zu einer ersten Entdeckungstour. Tatsächlich finden wir in dem Gewirr der Straßen und Gassen das Informationsbüro, wo uns ein ganz brauchbarer Stadtplan ausgehändigt wird. Wir wollen hier in Aleppo einen syrischen Studenten aufsuchen, dessen Adresse wir von einem in Berlin lebenden Syrer erhalten haben, als er hörte, wir würden in sein Heimatland fahren. Aber eigentlich handelt es sich bei beiden um Assyrer und das scheint ein gewichtiger Unterschied zu sein. Sie sind nämlich orthodoxe Christen aus dem alten Volk der Aramäer, aus dem entgegen der jüdischen Auffassung Jesus von Nazareth hervorgegangen sein soll. Sie verstehen sich als die zivilisierte Elite des Landes, obwohl ihrem geistigen Anspruch kein politischer Einfluss entspricht. In Aleppo gibt es ein fast ausschließlich christliches Stadtviertel, das europäischer wirkt und in dem auch die rege besuchte Kirche der Assyrer steht.

Beduinen in der wüstenähnlichen Einöde

Doch bevor wir uns das Aleppo Samirs und seiner Freunde ansehen, schauen wir uns erst mal gründlich in der orientalischen Altstadt von Aleppo um, im Aleppo der Moslems, der Basare und der engen Gassen. Vom großen überdeckten Basar muss man einfach begeistert sein. Hier herrscht ein Leben, wie wir es in Istanbul kaum für möglich gehalten hatten. Unzählige enge Gassen mit Geschäften und Werkstätten gibt es hier, wo man die unglaublichsten Sachen kaufen kann. Wir haben Mühe, überhaupt vorwärts zu kommen, so lebhaft ist das Treiben, aber sogar Reiter auf Eseln oder gar Pferden wagen sich hier noch hinein, was allerdings immer ein ziemliches Chaos verursacht. Dazu muss noch gesagt werden, dass sich alles im Halbdunkel vollzieht, denn es gibt nur kleine Luftlöcher im Dach des Basars. In kleineren Seitengassen ist es denn auch fast schwarz, so dass wir es lieber lassen, diese auch noch zu ergründen.

In einer Kebabstube lassen wir uns das Essen der Einheimischen zubereiten: Kebab und Fladenbrot. Als wir während des Essens von allen Seiten angestarrt werden, fällt uns wieder ein, dass ja Ramadan ist. Niemand aß außer uns. Aber immerhin saß man schon da und wartete, denn die Sonne war dabei unterzugehen und es musste bald das Zeichen des Muezzins ertönen, das die Gläubigen vom Fasten des Tages erlöst.

Als wir dann später nach einem Ausgang aus dem Basar suchen, stehen wir plötzlich vor dem riesigen Innenhof der prächtigen Mahmandar-Moschee, die uns in ihrer Weite und Schönheit ganz andächtig werden lässt. Barfuß gehen wir über die Marmorplatten des Hofes bis vor zur Moschee, um einen Blick in das märchenhaft glitzernde Innere zu werfen. Noch halb betäubt vom Lärm des Basars wirkt die Ruhe und Erhabenheit der Moschee besonders stark auf uns.

Auf der Straße hatte sich das gewohnte Bild inzwischen völlig verändert. Alle Geschäfte hatten inzwischen geschlossen und kaum ein Mensch war mehr anzutreffen. Offenbar hatten sich alle zurückgezogen, um endlich die erste Mahlzeit des Tages einnehmen zu können.

Mit Samir lernten wir dann das moderne Syrien kennen. Stolz nahm er uns mit zur Universität, die am Stadtrand in einem modernen Komplex untergebracht ist. Die medizinische Fakultät gibt es erst seit 4 Jahren. Die dazugehörige Klinik ist noch im Bau. Samir ist stolz darauf, Medizin zu studieren, da auch hier eine große Auslese bei der Vergabe von Studienplätzen getroffen wird. Als Arzt könne er einer finanziell gesicherten Zukunft entgegen sehen, wogegen Ingenieure im Staatsdienst ein relativ geringes Einkommen hätten, erklärt er uns.