Auf der Suche nach Wahrheit und Liebe - Gora Devi - E-Book

Auf der Suche nach Wahrheit und Liebe E-Book

Gora Devi

4,3

Beschreibung

Das Wassermann-Zeitalter hat längst begonnen und die Menschheit befindet sich in einer Phase der Transformation. Die Suche nach einer größeren Freiheit und spirituellen Werten hat in vielen ein Feuer der inneren Revolution entfacht. Gora Devi beschreibt ihre persönlichen Erfahrungen, ihren Weg, der mit den Protestbewegungen der 60er Jahre begann, sie nach Indien führte und sie schließlich zu Babaji, dem großen Meister Indiens brachte. Diese Begegnung sollte in einem Augenblick ihr ganzes Leben verändern. Es gibt keine Meditation losgelöst vom Leben, aber das Leben selbst wird zum Gebet.

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Das Buch

Das Wassermann-Zeitalter hat längst begonnen und die Menschheit befindet sich in einer Phase der Transformation. Die Suche nach einer größeren Freiheit und spirituellen Werten hat in vielen ein Feuer der inneren Revolution entfacht. Gora Devi beschreibt ihre persönlichen Erfahrungen, ihren Weg, der mit den Protestbewegungen der 60er Jahre begann, sie nach Indien führte und sie schließlich zu Babaji, dem großen Meister Indiens brachte. Diese Begegnung sollte in einem Augenblick ihr ganzes Leben verändern. Es gibt keine Meditation losgelöst vom Leben, aber das Leben selbst wird zum Gebet.

Die Autorin

Gora Devi

Auf der Suche nach Wahrheit und Liebe

Inhaltsverzeichnis
Umschlag
Das Buch / Die Autorin
Titel
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Kapitel: Mailand 1965
2. Kapitel: Die Provos und die Palumbo
3. Kapitel: Die Reise nach Marokko und die Kommune
4. Kapitel: Mailand 1968
5. Kapitel: La Lotta continua (Der Kampf geht weiter)
6. Kapitel: Die Kommune in der Via Mayr
7. Kapitel: Die Suche
8. Kapitel: Die Reise
9. Kapitel: Die Lehre
10. Kapitel: Die Gemeinschaft von Herakhan
11. Kapitel: Die Rückkehr in den Westen
12. Kapitel: Yoga und seine Botschaft
13. Kapitel: Das neue Zeitalter
Impressum

Dieses Buch ist der historischen Erinnerung eines neuen Zeitalters gewidmet

Vorwort

Viele Bücher wurden inzwischen über die 68-er Bewegung und die politischen und sozialen Unruhen geschrieben, die den letzten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Stempel aufgedrückt haben. Dieses Buch unterscheidet sich von den anderen. Es spricht über die Bewegung, die Anfang der 60-er Jahre in den Vereinigten Staaten entstand und, indem sie die Massen zur Spiritualität erweckte, gleichsam der Sonnenaufgang eines neuen Zeitalters war. Diese Bewegung wächst in Form von tausend kleinen Bächen ständig weiter, bis sie einmal in den großen Fluss der Geschichte gelangen wird, der die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins zur Wahrheit darstellt. Hier gibt es keine logischen Dualismen und keine Unterscheidung in Gut und Böse. Die Wahrheit kennt keinen Anfang und kein Ende, denn sie lässt sich nicht durch Definitionen bestimmen.

Valeria Bonazzola oder vielmehr Gora Devi (die weiße Göttin), wird in eine Familie aktiver Kommunisten hineingeboren. Der Vater ist Chefredakteur der ”Unita”, die Mutter Senatorin der ”PCI”, der kommunistischen Partei Italiens.

Sie wächst also in einer unkonventionellen Familie auf, die aber nichtsdestotrotz durch spießbürgerliche Werte geprägt ist. Unfähig, sich einem revolutionären Geist zu verpflichten, hatten sich die linksgerichteten italienischen Parteien in der Nachkriegszeit von diesen Werten vereinnahmen lassen.

Das Karma aber führt Gora zu den Beatniks, den Hippies, den Blumenkindern und den außerparlamentarischen Revolutionären. Auf der Suche nach sich selbst findet sie hier die einzige Alternative zu den spießbürgerlichen Widersprüchen. Sie wählt nicht den einsamen Rückzug aus der Gesellschaft, sondern den schwierigen Weg inmitten der Menschen.

In diesem Buch erzählt sie die Geschichte ihrer Initiationen und ihrer Bewusstseinsentwicklung und fügt damit der offiziellen Geschichte die Dimension des universellen Geistes hinzu. Die Manifestation des Göttlichen fällt zusammen mit dem Einweihungsweg, den die Autorin im Rahmen der geschichtlichen Ereignisse durchlaufen muss. Der Gott des Tanzes und des Lichtes ist ein eifersüchtiger und strenger Gott, der kaum Raum lässt für oberflächliche Vergnügungen und die Kunstgriffe des rationalen Verstandes.

Sie hätte eine Drogenabhängige oder Terroristin werden können, aber ihr war ein anderer, geheimnisvoller Plan bestimmt. In Almora begegnete sie in einem herrlichen Augenblick einem wunderschönen jungen Guru. Er sprach nicht viel, übermittelte aber durch Blicke, Gesten und Anweisungen eine Botschaft der Liebe, die anfangs fast unverständlich, streng und autoritär war und dann immer heller und strahlender wurde.

Die Disziplin, der sich die jungen Hippies freiwillig unterordneten, und die Ausdauer, mit der sie an dem großen, durch Babaji inspirierten Werk arbeiteten, verwandelte Hexenmeisterlehrlinge, europäische Kleinbürger und junge Intellektuelle, die viele Ideen, aber wenig utopische Phantasie hatten, in tugendhafte und entschlossene Menschen. Sie waren bereit, dem Alltag des dritten Jahrtausend ohne Vorurteile und Sehnsüchte, aber mit der Kraft der realisierbaren Utopie ins Auge zu blicken.

So bildeten sich die Krieger des neuen Zeitalters heraus: Menschen, die keine Feinde haben außer in sich selbst und denen nichts daran liegt, ihr Lebensmodell anderen aufzudrängen. Sie fahren geduldig fort, im Verborgenen an ihrer Vervollkommnung zu arbeiten. Am Arbeitsplatz, im Geschäftsleben oder in der Familie erproben sie Utopien, deren Ziel keinesfalls das Mittel heiligt. Sie sind sich vielmehr bewusst, dass das Mittel die Botschaft ist.

Es ist eine Bewegung, die auf geheimnisvolle Weise quer durch alle Parteien und Institutionen läuft und wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Organisationen prägt. Den etablierten Kräften ist die ”Bewegung” unverständlich; dennoch versuchen sie, diese einzugrenzen, zu definieren und zu ihren Zwecken zu interpretieren. Da die ”Bewegung” ein Regenbogen ist, ist es illusorisch, eine einzelne Farbe herausziehen zu wollen, um sie zu besitzen und zu kontrollieren. Die Soziologen würden die Bewegung ein kompliziertes und chaotisches System nennen, das sich mit den Gesetzen der offiziellen Wissenschaft weder erfassen noch interpretiert lässt. Vielleicht sind Dichter, Maler oder Musiker fähig, die Harmonie des universellen Chaos und seine Rhythmen der Evolution oder der Revolution einzufangen.

Nachdem die großen Erleuchteten ihren Körper verlassen hatten, verstanden die Angehörigen der Bewegung, dass nunmehr nur die Gruppe der Meister sein konnte. Eine Gruppe bildet sich dann, wenn sich ihre Teilnehmer in eine beständige gemeinsame Meditation begeben, um eine Schwingungskohärenz zu schaffen.

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Gehirnfrequenzen zweier Menschen in Meditation dazu neigen, sich zu überlagern und in eine harmonische Kohärenz zu treten (vgl. die Experimente des Nitamo Montecucco).

Gora lernte, geduldig zu sein, und erfuhr, dass die Rhythmen der universellen Energie nicht die des 20. Jahrhunderts und der postindustriellen Gesellschaft sind.

Energie schwingt wie in einem Tanz zu unterschiedlichen Rhythmen, und die Zeit ist weder mit einem Pfeil noch mit einem Kreis zu vergleichen. Es gibt für jeden von uns eine passende Zeit für die spirituelle Evolution. Dies ist eine große Lehre für die ungeduldigen Wahrheitsuchenden: Wir haben die Wahrheit vor uns, denn die Wahrheit ist ewig, und es gibt keine Apokalypse.

Das Karma kennt keine Form und kein Danach, da es nach dem Prinzip der Gleichzeitigkeit funktioniert: In jedem Moment erlebt unsere große Mutter Katastrophen, Tod, Zerstörung und Neuanfänge, innere und äußere Revolutionen, genetische Mutationen, Aussterben der Arten usw.

Es geht nicht darum, diese Ereignisse zu interpretieren, sondern unsere Pflicht mit allem Fleiß und größter Tadellosigkeit zu erfüllen, um die Bedeutung des Lebens zu verstehen, in das wir uns durch unsere eigene Entscheidung inkarniert haben. Jeder kann ein Erleuchteter werden, wenn er keine Zeit damit verschwendet, es zu wollen, und statt dessen bewusst die ganze Tiefe seiner alltäglichen Erfahrungen erlebt, die keineswegs immer anregend und schöpferisch ist.

In diesem schönen Buch taucht oft das Wort ‘Bewusstsein’ auf (nicht mehr ‘Gewissen’, wie wir Älteren sagen). Darunter ist das ganzheitliche Wissen über sich selbst zu verstehen, das Verständnis unseres Seins, das Zusammentreffen unserer Erfahrungen mit denen der anderen, aber auch das Verständnis der Beziehung zur Natur, zu den Sternen, der Nahrung, den Tieren und Pflanzen, zum uns bekannten Weltall und zu all dem, was unserem menschlichen Wissen noch verschlossen ist.

Dieses Bewusstsein gleicht dem Wissen, dass wir zwei Augen haben, zwei Ohren, zwei Arme. Es ist ein angeborenes Verständnis, das wir uns nicht über die Bildung angeeignet haben. Vielleicht muss ich Gora deshalb dankbar sein. Ich fühle mich in ihrer Schuld und in der Schuld all derer, die ich auf dem Weg getroffen habe.

Wir sind uns alle sicher, dass wir die Antwort noch nicht gefunden haben und dass wir fortfahren werden, auch nach dieser Inkarnation weiter nach ihr zu suchen.

Deshalb hören wir, was das Meer sagt, was der Fluss erzählt und was der Wind singt.

Giuliamo Boaretto

Einleitung

Heutzutage wird viel über das neue Zeitalter gesprochen: einer anderen Epoche auf unserem Planeten Erde, die nicht mehr vom Materialismus und von der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Krise der heutigen Welt geprägt ist, sondern auf positiven und spirituellen Werten basiert.

Das neue Zeitalter hat bereits begonnen:

Seine ersten Anzeichen waren die Protestbewegungen der Jugendlichen, die in den 60-er und 70-er Jahren die Welt erschütterten.

Es handelte sich um unterschiedliche Experimente, die alle dazu beitrugen, die soziale und existentielle Situation zu verändern.

An diesen Bewegungen nahmen die amerikanischen Beatniks teil und die ersten Friedensgruppen, die Revolutionäre von 1968, die Hippies und die Blumenkinder sowie andere Gruppen auf der Suche nach Mystik und Spiritualität.

In diese Zeit fielen die ersten Reisen nach Indien.

Der Orient bedeutete mit seinen Meistern, seiner jahrtausendealten Weisheit und der Wissenschaft des Yoga eine Öffnung für neue Perspektiven. Er hat uns die Möglichkeit gegeben, westliche und östliche Kultur miteinander zu vereinen.

Das neue Zeitalter ist ein Projekt für den Planeten Erde und bestätigt die Notwendigkeit einer tiefen seelischen Wandlung des Menschen.

Damit sich auch die äußere Wirklichkeit erneuern kann, bedarf es einer totalen Revolution. Bei den zur Verfügung stehenden Mittel handelt es sich um Methoden der Introspektion, die uns zur Erkenntnis bringen, unseren Geist erhellen und uns vom Leiden befreien können.

In diesem Kontext können sich östliche Weisheit und westliches wissenschaftliches Wissen ergänzen und wertvolle Hilfen zur Bewältigung des Weges anbieten.

Diese Alchemie ist dazu bestimmt, das Gold einer neuen Zivilisation herzustellen.

Im Schmelztiegel der komplexen Bewegung, die in den 60-er Jahren begann, vermischten sich die politische Protestbewegung und die Suche nach einem alternativen, sinnvolleren Leben, um gemeinsam ein neues Bewusstsein herauszubilden.

Auch die Suche nach dem Transzendenten und nach einer bewussteren, tieferen Religiösität gewann an Bedeutung. Man hielt sich an indische und buddhistische Techniken der Meditation und der Erkenntnis des Geistes.

Das sogenannte New Age wurde im Westen vermarktet und wurde zu einem Supermarkt des Geistes, der viel Verwirrung stiftet. In unserer Gesellschaft, die alles aufgreift und dann wegwirft, ist das unvermeidlich. Das darf uns allerdings nicht erschrecken: Die Suche geht weiter.

In diesem Prozess kommt es darauf an, die Essenz der Dinge zu destillieren, das Parfüm des Unsichtbaren. Der Stein der Weisen bleibt immer und ewig allein das Göttliche - der kosmische Magier, der das Spiel unserer Leben lenkt und beschützt.

In diesem Buch möchte ich einige persönliche Erfahrungen erzählen – Erfahrungen einer Generation, die an die Möglichkeit des gesellschaftlichen und geistigen Wandels glaubte.

Gora Devi

“How many roads must a man walk down

Before you call him a man?

Yes, ‘n’ how many seas must a white dove sail

Before she sleeps in the sand?

Yes, ‘n’ how many times must the cannon balls fly

Before they’re forever banned?

Yes, ‘n’ how many times can a man turn his head,

Pretending he just doesn’t see?

The answer, my friend, is blowin’ in the wind,

The answer is blowin’ in the wind.”

(Wie weit muss einer gegangen sein,

Bis er als Mensch etwas gilt?

Und wie weit muss die weiße Taube fliegen,

Bis sie schlafen kann im Sand?

Und wie lange noch müssen die Kugeln fliegen,

Bis man sie endlich verbannt?

Und wie lange kann einer taub sich stellen,

Und so tun, als ob er nichts hört?

Die Antwort, mein Freund, die kennt allein der Wind,

Die Antwort kennt ganz allein der Wind.)

Bob Dylan

1. Kapitel: Mailand 1965

Mein „alternatives” Leben begann mit Paolo. Ich war damals 19 Jahre alt. Paolo war zehn Jahre älter als ich und kam gerade aus Amerika zurück. Er hatte sich die Haare wachsen lassen und wollte Schriftsteller werden. Wenn wir in den Straßen Mailands unterwegs waren, schauten uns alle Leute hinterher.

Paolo holte mich fast jeden Tag mit seinem Motorroller vom Gymnasium ab und brachte mir oft Blumen mit. Dann gingen wir in einen Park, aßen etwas, schauten uns in die Augen und sprachen über uns.

Er hatte ein winziges Appartement in Giambellino - eine warme, bequeme Höhle mit einem Teppichboden und einem großen, weichen Bett mitten im Zimmer, in die wir aus der eintönigen, nebeligen Stadt flüchteten. Draußen hörte man die Straßenbahnen über die Weichen rattern.

Wir verbrachten ganze Nächte mit Reden, gierig nach Austausch und Berührung. Im Schlaf schmiegten wir uns aneinander wie zwei junge Hunde, und manchmal schrieben wir uns Liebesgedichte. Paolo hatte in Amerika zum ersten Mal Marihuana geraucht, und seitdem hatte sich eine ganz neue Dimension in ihm aufgetan.

Mit Amerika verbanden wir damals eine Wirklichkeit mit großzügigen Ausdrucksmöglichkeiten und die Suche nach einer Lebensweise, die sich aus den alten Traditionen löste. Mailand und Italien wurden auf einmal sehr eng für uns Jugendliche. Die provinzielle Atmosphäre erinnerte in Vielem an das 19. Jahrhundert.

Paolo spielte oft auf seiner Gitarre und sang amerikanische Lieder. Eines davon gefiel mir besonders gut: „The answer, my friend, is blowing in the wind … Der Wind, mein Freund, flüstert die Antwort …”

Im Gymnasium hatte ich Dinni kennengelernt. Sie war ein paar Jahre älter als ich und erzählte mir nach einem Aufenthalt in London von der neuen Atmosphäre, die jetzt dort zu spüren war. Sie sang ein Lied, das sie in den Straßen Londons gehört hatte: „Etwas wird sich verändern, nur du weißt noch nicht, was es ist …”

Dinni fühlte sich leichter und glücklicher nach dieser Reise. Es kam ihr vor, als hätte sich plötzlich ein Ausweg aus tiefster Dunkelheit aufgetan. Wir waren damals in Italien wie erstickt im Konformismus und Formalismus der 60er Jahre.

An ihrer Bluse trug sie einen Anstecker mit der Aufschrift „Make love, not war” – „Macht Liebe, nicht Krieg”. Dieser Slogan war aus Amerika gekommen, wo der Vietnamkrieg die Gewissen zutiefst erschütterte. In Chicago hatte ein großes Sit-in über den zivilen Ungehorsam stattgefunden. Tausende von amerikanischen Jugendlichen, Studenten und Intellektuellen hatten daran teilgenommen.

Abends gingen Paolo und ich oft in das Viertel Brera und aßen bei den „Schwestern Pirovini” in der Via Fiori Chiari, einem Treffpunkt für antikonformistische Künstler, die lange Haare und Bärte trugen. Das riesige, dringend renovierungsbedürftige Lokal verlief sich in langen Fluren. Innen herrschte ohrenbetäubender Lärm, und wenn man heraus kam, stank man nach Zwiebeln und Wein. Serviert wurde preiswerte lombardische Hausmannskost: Risotto, dampfende Polenta, Gemüsesuppe.

Wir flüchteten uns in die alten Gassen und in die Gaststätte, wo das Essen und die Menschen ihre wohltuende Wärme verströmten. Draußen war Mailand: feindlich, kalt, traurig und irgendwie erbarmungslos. Man hatte Angst vor den anderen Menschen, vor der Gesellschaft und vor der Liebe.

Paolos Wohnung war fröhlich und unaufgeräumt. Ich fühlte mich dort frei, lief im Schlafanzug umher, aß etwas oder aß nichts, genoss die Unordnung oder räumte auf. Paolo wollte Psychoanalyse studieren und ich Philosophie. Vor allem aber wollten wir uns selbst erkennen und unserem Leben einen Sinn geben. Wir erlebten bewusst die politische Spannung der Zeit und hatten Lust, die Welt zu verändern. Allerdings wussten wir nicht, wo wir anfangen sollten, und die traditionellen Antworten der Politik stellten uns nicht zufrieden.

Aus Amerika kamen Nachrichten von einer großen, überwiegend friedlichen Protestbewegung. In Kalifornien hatten sich Jugendliche vor den Kasernen versammelt und Blumen in Kanonenrohre gesteckt. Bob Dylan und Joan Baez eroberten mit ihren Stimmen und ihren anprangernden Liedern die Jugend.

Wir hatten oft Gäste, und eines Tages kam Umbertino zu uns. Er war 18, gerade von zu Hause durchgebrannt, und hoffte, in Mailand sein Glück zu machen. Er hatte ein Lied geschrieben, das er uns mit rauer Stimme vorsang: „Tausend Gitarren gegen den Krieg”. Wir waren sentimental, unschuldig romantisch und idealistisch. Wir träumten von einer harmonischen Welt und von wahrer Liebe. Aber gleichzeitig waren wir die Nachkriegsgeneration und lebten im Zeitalter der Atombombe. Wir waren im Bewusstsein der möglichen totalen Zerstörung unseres Planeten aufgewachsen. Von Anfang an hatte sich uns das Leben immer in Begleitung des Todes gezeigt. Vielleicht waren wir deshalb so schnell erwachsen geworden. Wir waren uns der Relativität aller Dinge bewusst und vielleicht auch deshalb so bereit, für eine bessere Wirklichkeit zu kämpfen.

Paolo stand in meinen Augen für ein alternatives Leben, und so beschloss ich, mein Elternhaus zu verlassen und mit ihm zusammen zu leben. Das ging allerdings nicht ohne Familiendrama über die Bühne.

2. Kapitel: Die Provos und die Palumbo

Im Haus von Andrea Valcarenghi hatte ich an einer Zusammenkunft der „Onda Verde” („Grüne Welle”) teilgenommen. Diese Gruppe versuchte,, die Bewegung der holländischen Provos nachzuahmen und wollte durch Provokation die verknöcherten Strukturen der Gesellschaft ins Wanken bringen. Wir wollten einige Männer mobilisieren, die hinten und vorn mit Plakaten behangen durch die Stadt gehen sollten.

Im Grunde hatten wir natürlich keine Ahnung, was wir wollten. Unsere Revolution musste erst noch erfunden werden. Doch ein Ziel war uns immerhin klar: Wir wollten freier und glücklicher sein. Unsere Gesellschaft erlebten wir als repressiv und materialistisch, voller Tabus und Heuchelei. Die Städte waren dreckig und ließen uns keine Luft zum Atmen; es gab einfach keinen Raum für uns.

An der staatlichen Universität hatte der Hausmeister offenbar nichts Besseres zu tun als mich aus der Vorhalle zu werfen, weil ich statt des üblichen Rocks Hosen trug!

Andrea war ein sehr intelligenter junger Mann und ziemlich reif für seine 20 Jahre. Er hatte keine Hemmungen, in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Wir beschlossen, eine kleine Zeitung, die „Onda Verde”, zu drucken und zu vertreiben und waren mit einer anderen Gruppe in Kontakt getreten, der „Mondo Beat” (”Beat Welt”).

„Mondo Beat” wollte an die Bewegung der amerikanischen Beatniks anknüpfen. Beat heißt schlagen; die Beatniks hielten sich am Rande der Gesellschaft auf, waren ausgegrenzt. Man orientierte sich an der Botschaft von Kerouac und Ginsberg und nahm psychedelische Mittel, vor allem Marihuana. Ginsberg hatte ein Gedicht geschrieben, das berühmt geworden war. Es hieß „Der Schrei” und handelte von Menschen seiner Generation. Sie nahmen Drogen und riskierten Wahnsinn und den geistigen Ruin, weil sie die Bedeutung der Existenz und des Bewusstseins erforschen wollten.

Die Jugendlichen des „Mondo Beat” hatten ein großes, halb verfallenes Lokal in der Via Ripamonti besetzt und lagerten dort mit Decken und Schlafsäcken. Sie kamen aus den unterschiedlichsten Gegenden Italiens. Viele waren von zu Hause ausgerissen und noch sehr jung.

Einmal ging ich zu ihnen, aber es gefiel mir dort nicht. Auf den ersten Blick erschienen sie mir als eine zusammengewürfelte Menge im Chaos und Dreck. Ich sah aber auch interessante Gesichter unter ihnen, die auf der Suche waren.