Auf Feindfahrt mit SM U 15 - Peter Brendt - E-Book

Auf Feindfahrt mit SM U 15 E-Book

Peter Brendt

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Beschreibung

Peter Brendt diente einst in der Bundesmarine, wurde Waffentaucher und gilt zudem als Kenner der US Navy, mit der er auf zahlreichen NATO-Missionen zu tun hatte. Er ist der Schöpfer der "von Hassel"-Romanreihe, die sich um den U-Bootkrieg 1939 bis 1945 dreht. Auch die Thriller-Serie "DiAngelo" über das Katz-und-Maus-Spiel moderner Atom-U-Boote geht auf sein Konto.

Mit "Auf Feindfahrt mit SM U 15" legt er erneut einen mitreißenden U-Boot-Roman vor, der den Krieg zur See in all seiner Grausamkeit darstellt. Bei dem Roman handelt es sich um eine überarbeitete Neuauflage seines 2018 erschienenen Buchs "Einsatzbericht – Nebel über der See".

Klappentext: Der Blick des Kommandanten gleitet missmutig über die See – oder wenigstens das, was er davon sehen kann. Viel ist es nicht. Nebelschwaden wabern über das Wasser. Wir schreiben das Jahr 1917, der Krieg wird sich in einigen Monaten zum dritten Mal jähren. Kapitänleutnant Müller und seine 38-köpfige Besatzung liegen in ihrem U-Boot auf der Lauer.

Hier draußen sind sie auf sich gestellt; sie operieren tief in feindlichen Gewässern.

Es ist mucksmäuschenstill im Boot, Müllers Gedanken schweifen ab. Funker Heidkamp klemmt hinter dem Horchgerät und hält plötzlich den Atem an. Er lauscht. Ein britischer Zerstörer peilt auf drei-fünf-zwo.

Die Jagd beginnt …

„Auf Feindfahrt mit SM U 15“ ist ein spannungsgeladener und erschütternder Roman, der den Krieg zur See auf realistische Weise nachzeichnet. Die U-Bootwaffe steckte Anfang des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen, entsprechend primitiv waren die Boote, mit denen die Männer in den Krieg zur See aufbrachen. Die deutsche Führung erhoffte sich durch den Einsatz ihrer U-Boote, den Kriegsgegner Großbritannien vom Nachschub abzuschneiden. Dazu operierten deutsche Unterseeboote auf sich gestellt über Wochen und Monate fernab der Heimat. Den Preis für diese Taktik zahlten die deutschen U-Boot-Fahrer. Von der Propaganda gefeiert, kehrten viele von ihnen nicht von ihren gefahrvollen Feindfahrten zurück.

Um seine fiktive Geschichte vor realem Hintergrund erzählen zu können, lieh sich der Autor die Bootsbezeichnung SM U 15 für seine erdachte Mannschaft aus. Das echte U 15 ist im August 1914 als erstes deutsches U-Boot verlorengegangen, und zwar durch einen Rammstoß des britischen Kreuzers HMS Birmingham.

Welches Schicksal erwartet SM U 15?

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Peter Brendt

 

 

 

 

Auf Feindfahrt mit SM U 15

WELTKRIEGS-THRILLER ÜBER EIN DEUTSCHES U-BOOT IM EINSATZ

 

 

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Prolog: Jenseits aller Hoffnung

 

Die Männer hingen am Kletternetz oder streckten sich so weit über die Reling, wie sie nur konnten. Aber keiner von ihnen rief. Sie waren erfahrene Männer. Viel zu erfahren, aber auch das war im dritten Kriegsjahr normal.

Trotz aller Erfahrung, es gab immer noch ein bisschen Hoffnung. Immer! Selbst wenn es keine mehr geben konnte. Und deshalb schwiegen die Männer, starrten auf die dunkle Wasserfläche, versuchten die treibenden Nebelschwaden mit den Augen zu durchdringen; deshalb tuckerte der Trawler hier mit kleinster Fahrt gefährlich dicht am Minenfeld entlang.

Plötzlich hob der Moses die Hand. Die anderen erstarrten, suchten in der Richtung, in die der junge Seemann sah. Dann sahen sie es alle, im trüben Schein der abgeblendeten Lampe. Zuerst nur eine geisterhafte Erscheinung im Wasser, dann schälten sich Details aus der Dunkelheit. Lange Haare und ein Bart, ein aufgerissener Mund, der offenbar noch immer die Enttäuschung hinausbrüllen wollte. Irgendwo ertönte ein unterdrücktes Würgen.

Dann war da noch ein Geräusch. Ein Ruf nach Hilfe. Der Maat deutete in eine Richtung und der Steuermann, der den Schleppnetzfischer als Vorpostenboot kommandierte, wirbelte das Rad herum … weil es immer irgendwo noch ein kleines bisschen Hoffnung gab, selbst wenn es eigentlich keine mehr geben konnte.

1. Nebel über der See

Dienstag, der 30. Januar 1917, 40 Meilen nördlich von Irland … das dritte Kriegsjahr

 

Der Blick des Kommandanten glitt missmutig über die See – oder wenigstens das, was davon zu erkennen war. Viel war es nicht. Nebelschwaden waberten überall über das graue Wasser und nur die winzigste Dünung bewegte den Atlantik hier an der nördlichen Ausfahrt der britischen Häfen aus der Irischen See. Theoretisch war SM U 15 in einer guten Position, um auf die englischen Handelsschiffe zu lauern. Theoretisch!

»Verdammter Nebel, bei diesem Wetter sehen wir ‘nen Frachter erst, wenn der uns schon beinahe übermangelt.«

Kapitänleutnant Erwin Müller wandte den Blick zu seinem IIWO.

»Wenn’s ein Einzelfahrer ist, dann ist es wahrscheinlich sowieso ein Neutraler und wir dürfen ihm nichts tun.« Der Alte zuckte mit den Schultern. »Natürlich transportieren die alle Lebensmittel und Munition zu den Limeys, aber sie sind ja eben neutral, die Amis allen voran.«

»Also, Herr Kaleun?«

»Also sehen wir zu, dass wir einen britischen Geleitzug erwischen. Den dürfen wir ohne Vorwarnung angreifen.« Seit Sommer 1916 setzten die Briten vereinzelt auf Geleitzüge, um ihre Handelsrouten zu schützen. Auch die Amerikaner setzten bereits seit 1916 vermehrt auf Geleitzüge, vor allem im Nordatlantik.

»Und jedes bewaffnete Handelsschiff, nicht wahr?«

Müller unterdrückte den Drang, die Augen zu verdrehen. »Natürlich, nur müssen wir die Kanone erstmal sehen bei diesem Nebel.«

Andreas Rader, der IIWO, dachte einen Augenblick lang nach. »Auch wieder richtig.«

»Na, freut mich doch, dass wir einer Meinung sind.« Der Alte zog seine Taschenuhr aus dem U-Bootpäckchen und studierte das Zifferblatt. »Etwa zwei Stunden bis Sonnenaufgang. Wenn Sie das erste Licht sehen, geben Sie Morgenalarm, aber dann lassen Sie tauchen. Wenn der Nebel anhält, hören wir die Engländer eher im Lauschgerät, als dass wir sie sehen.«

»Jawoll, Herr Kaleun!«

»Sehr schön, ich bin dann unten und nehme eine Mütze voll Schlaf.« Müller quetschte sich zwischen den Ausgucken hindurch und verschwand im Turmluk.

In der Zentrale umfing ihn wieder die gedrängte Welt des U-Boots, aber morgens um vier war es sogar in der engen Röhre etwas ruhiger als sonst. Etwas, nicht viel. Natürlich wurden die Wachen rund um die Uhr gegangen und die Maschinen liefen ebenfalls durch.

Kapitänleutnant Müller nickte dem Zentralemaat zu und verschwand in dem winzigen Kabuff. Erst als er den Vorhang zugezogen hatte, ließ er sich auf den Stuhl vor dem klitzekleinen Schreibtisch fallen und atmete tief durch. Rader war unerfahren, eine rote Bratze wie aus dem Lehrbuch – falls es so etwas wie ein Lehrbuch für rote Bratzen gab. Müller hatte den Verdacht, es müsse eines geben. Es gab ja in Deutschland für alles ein Vorschriftenbuch. Er griente müde. Nein, er war unfair und das gab er sich selbst gegenüber auch zu. Rader war jung, frisch von der Offiziersausbildung, zuvor hatte er seine einzige Fahrenszeit auf einem Schulschiff absolviert. Die Schulschiffe produzierten gute Soldaten, aber sie konnten keine guten Seeoffiziere aus dem Nichts machen. Dazu gehörte Erfahrung und nun, im dritten Kriegsjahr, hatte niemand mehr Zeit darauf zu warten, dass junge Männer Erfahrung erwarben. Die Kaiserliche Marine stellte jeden Monat neue Boote in Dienst, die Hochseeflotte wuchs beständig und nun gab es auch noch Marine-Feldbataillone, Marine-Stützpunktbataillone, Marine-Artilleriebataillone und Gott was noch alles. Nicht nur die Männer für alle diese Einheiten mussten irgendwoher kommen, sondern auch die Offiziere, die sie führten. Offiziere wie Andreas Rader gab es überall. Zu jung, zu schnell im Gewächshaus hochgezogen. Er würde sein Handwerk noch lernen. Falls der Krieg ihn lange genug leben ließ, um zu lernen.

U 15 war ein altes Boot und Kapitänleutnant Müller war sich dessen bewusst. Alt … nicht so sehr nach Jahren, sie war 1909 vom Stapel gelaufen, also gerade acht Jahre alt, aber alt in einem Krieg der alles, was man sich zuvor hatte vorstellen können, bereits weit hinter sich gelassen hatte. Neue U-Boote vom Typ U 93 hatten sechs Torpedorohre und 22 Aale an Bord, sein Typ U 13 hatte nur vier Rohre, und wenn die Torpedos darin verschossen waren, dann blieben ihm gerade einmal zwei Reservetorpedos übrig. Kaum ein Arsenal, mit dem er viel Schaden an einem Geleitzug anrichten konnte, aber das Kaiserreich konnte es sich nicht leisten, auf die älteren Boote zu verzichten, mochte der Kampfwert auch gering sein. Deutschland musste den Krieg beenden, so schnell es ging. Schon starben Zivilisten in der Heimat als Folge von Mangelernährung, ein Resultat der britischen Hungerblockade. Noch waren es nicht sehr viele, noch konnte Deutschland durchhalten, aber nicht für ewig. Und seit sich der Krieg zu Lande festgefahren hatte, bestand Deutschlands einzige Hoffnung darin, die Engländer zu blockieren, so wie diese die Deutschen blockierten. Müller dachte an die versiegelten Befehle in seinem Stahlfach. Natürlich hatte er sie noch nicht gelesen, er hatte Befehl, sie am Morgen des 1. Februars zu öffnen, aber ebenso natürlich wusste er bereits, was die Befehle beinhalteten. Jeder in der U-Bootwaffe wusste es, es war schließlich nur eine Frage der Zeit gewesen: Deutschland würde den uneingeschränkten U-Bootkrieg wieder aufnehmen. Das bedeutete mehr U-Boote, und natürlich würden die neueren und größeren U-Boote die besseren Leute bekommen. Was ihn wieder zurück zu Rader brachte. Irgendwie musste er aus dem Burschen doch einen brauchbaren Wachoffizier formen können? Denn wenn der Tanz hier erstmal richtig losging, dann musste er sich auf jeden Mann seiner Besatzung felsenfest verlassen können. Die Engländer und vor allem ihre amerikanischen Freunde jenseits des Atlantiks würden eine Blockade Englands nicht so ohne Weiteres hinnehmen.

 

*

 

Oben auf dem Turm versuchte Andreas Rader mit den Augen den Nebel zu durchdringen. Wurde die Suppe nicht schon etwas dünner? Aber immer, wenn er versuchte, etwas in einer bestimmten Richtung zu erspähen, zogen wieder dichte Nebelschwaden durch sein Sichtfeld. Langsam, nur mit zwei Knoten Fahrt, lief das Boot durch die ruhige See, aber die langsame Fahrt versprach nur eine täuschende Sicherheit und Rader war sich dessen vollends bewusst. Sollte jetzt ein Frachter aus dem Nebel kommen, dann würde er in weniger als einer halben Minute über das Boot mangeln. Zwei Knoten Fahrt machten jedes Ausweichmanöver hoffnungslos langsam. Eine halbe Minute, das konnte im Falle eines Falles gerade noch so reichen, zum Wegtauchen aber sicher nicht. Sollte so ein Frachter also ein Limey sein, konnte der ihnen auch gleich eins mit der Kanone auf den Pelz brennen.

Als dann endlich etwas aus dem Nebel in Sicht kam, war es kein Frachter.

»Boot, ein Dez an Steuerbord!«

Rader fuhr herum, als er die Meldung des Ausgucks hörte, und hob sein Glas. Dann ließ er es wieder sinken. Es war wirklich nur ein Boot. Ein einsames Rettungsboot. Er konnte sieben Männer sehen, aber keiner von ihnen stand auf oder winkte. Sie mussten schon seit Tagen tot sein, vielleicht seit Wochen, bereits vergessen von der Welt der Lebenden. Dennoch, Rader stutzte kurz. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht mit diesem einsamen Rettungsboot. Er beugte sich über das Sprachrohr. »Maschinen stopp. Ruder hart Steuerbord. Kommandant auf den Turm bitte!«

Das leise Tackern der Maschinen erstarb bereits, während er von unten die Bestätigung seiner Befehle hörte. Getrieben von der Restfahrt schwang der Bug etwas herum, näher an das treibende Boot heran. Nun konnte er es genauer sehen. Sieben Männer und alle trugen Uniform!

Hinter Rader kletterte der Alte aus dem Turmluk, die Mütze wie immer verwegen schief auf dem Schädel. »Was haben Sie?«

Der Leutnant deutete voraus. »Rettungsboot, Herr Kaleun!«

Müller betrachtete die Entdeckung seines IIWO für einen Augenblick, dann nickte er. »Gut nachgedacht. Wahrschauen Sie den Bootsmann, er soll das Boot sichern, ich will mir das mal näher anschauen.«

Ein paar Minuten später hing das Boot sicher vertäut am Steuerbordsatteltank von U 15. Kapitänleutnant Müller warf einen kurzen Blick hinauf zum Turm, aber Leutnant Rader und seine Ausgucke hielten ihre Sektoren im Auge, statt sich von den Vorgängen auf dem langen Vordeck ablenken zu lassen. Befriedigt wandte sich Müller ab und dem Rettungsboot zu. Sieben Männer, und nun, da sie so nahe waren, konnte er sehen, dass sie noch nicht lange tot sein konnten. Wahrscheinlich verdurstet. Die Vorstellung, auf einem Ozean voller Wasser zu verschmachten, jagte ihm einen Schauer über den Rücken, aber er schaffte es, ein unbeteiligtes Gesicht zu wahren. Die Männer beobachteten ihn.

»Alle haben das gleiche Mützenband.«

Jäger, der Bootsmann, trat neben ihn. »Bis auf den Offizier.«

»Richtig, bis auf den Offizier.« Der Kapitänleutnant nickte ruhig. Der Offizier hielt noch immer den Arm auf die Ruderpinne gelegt. Deutlich konnte er die zwei gewellten Streifen auf dem Ärmel sehen. Ein britischer Reserveoffizier. Die Limeys mussten ja Tausende davon haben. Ein Inselvolk, denen gingen bestimmt nicht die seeerfahrenen Offiziere aus. Er nickte. »Bringen Sie die Männer an Bord. Der Funker soll sie sich anschauen und ich will alles sehen, was er bei ihnen findet.«

»Und dann?«

»Dann setzen wir sie ordentlich bei und machen einen Logbucheintrag.« Der Alte zögerte. »Vielleicht haben sie ja Erkennungsmarken. Irgendwo wartet irgendjemand auf sie.«

»Und das Boot?«

Müller blinzelte. »Durchsuchen Sie es, dann versenken Sie es.«

»Jawoll, Herr Kaleun!«

Der Kommandant streckte sich etwas und sah sich um. Sie hatten noch Zeit bis zum Sonnenaufgang, aber der Nebel war immer noch zu dicht, um weiter als vielleicht 100 Meter zu sehen. Verdammter Nebel, man wusste doch nie, was darin steckte!

 

2. Ein Rätsel

Dienstag, der 30. Januar 1917, 40 Meilen nördlich von Irland …

 

Funker waren sozusagen eine seltene Rasse. Viele zivile Schiffe hatten ja noch immer keine Funkgeräte und selbst die, die welche hatten, waren in ihrer Reichweite begrenzt. Natürlich hatten Kriegsschiffe und auch U-Boote Funkstationen, aber die nützten natürlich nur etwas, wenn man nahe genug an einer Küste war, an der eine freundliche Funkstation die Sprüche aufnehmen konnte und weiterleitete, oder wenn andere Schiffe das taten. Normalerweise operierten deutsche U-Boote nicht in der Reichweite von freundlichen Funkstationen, und selbst die wenigen, die es gelegentlich taten wie U 15, hielten Funkstille, um dem Gegner nicht zu verraten, wo sie lauerten. Theoretisch hatten also Funker auf den U-Booten des Kaisers nicht viel zu funken und daher gab es nicht nur lediglich einen einzigen Funker an Bord, sondern hatte der auch noch die Nebenaufgabe des Sanitäters, denn einen Arzt gab es auf einem U-Boot schon gar nicht. In der Praxis aber war natürlich schon viel zu tun, denn die Engländer und die Neutralen funkten fleißig und außerdem waren die Deutschen auf die britischen Seewettermeldungen angewiesen. Der deutsche Wetterbericht konnte nicht bis ins Operationsgebiet der Boote gefunkt werden. Otto Heidkamp war also ein vielbeschäftigter Mann.

Der Funker drehte unsicher die Mütze in den Händen. »Wissen 'se, Herr Kaleun, ick bin ja keen Doktor nich, abba ick schätze mal, die sin höchstens vier odda fünf Taje tot. Verdurstet, wie’s aussieht.«

Der Kommandant strich sich nachdenklich über den Bart. »Alle gleich lange tot?«

»Nee, ick denke, der Oberleutnant, der war der letzte.« Heidkamp schüttelte sich unwillkürlich. »Muss da an der Pinne jessessen haben, als die anneren schon kaputt warn.«

»Also keiner verletzt?«

»Nee, die sind alle in Ordnung jewesen, als die ins Boot jegangen sind.«

»Das passt zu dem, was der Bootsmann sagt. Das Boot war auch in Ordnung. Nur halt keine Notrationen drin.«

»Iss ja schon komisch. Der Schmadding hat mir jesacht, das Boot war grau gepönt?«

Müller nickte. Heidkamp berlinerte und tat oft so, als könnte er kein Wässerchen trüben, dabei verpasste der Funkenpuster selten ein Detail. »Ja, grau, wie ein Kriegsschiff.«

Die beiden Männer sahen einander an, dann nickte Heidkamp. »Wir haben keen SOS von einem Kriegsschiff aufgefangen und wir sind ja schon seit eener Woche hier drooßen.«

»Richtig. Also ist der Zossen gesunken, bevor jemand funken konnte, oder er hat aus einem anderen Grund nicht gefunkt, als er absoff. Vielleicht kein Strom mehr?«

»Kann schon sein, Herr Kaleun, abba wie weit kann so een Boot denn in eener Woche treiben?« Heidkamp zuckte mit den Schultern. »Die meesten Kriegsschiffe haben doch jetzt Notgeräte mit Batterien. Die reichen ja ooch zwanzig or dreeßich Meilen weit.«

»Ja, das ist alles schon etwas rätselhaft, nicht wahr?« Müller verzog das Gesicht. »Irgendwas, was die Männer bei sich hatten?«

»Brieftaschen. Eener hatte'n Soldbuch bei sich, Erkennungsmarken und ein paar Fotos und Briefe.«

»Irgendwas Interessantes?«

»Ick weeß nich, vielleicht werfen Sie da selber mal eenen Blick druff. Ick gloobe, die warn in New York.«

»New York? Was bringt Sie auf diese Idee, Heidkamp?«

»Die Freiheitsstatue!«

Müller blinzelte. »Die ist auf einem der Bilder?«

»Foto, einer der Männer und ‘ne Frau und im Hintergrund iss die Freiheitsstatue.«

»Bringen Sie mir den ganzen Kram mal vorbei, danach packen wir alles ein. Sollen sich die Stäbe in der Heimat drum kümmern.«

»Jawoll, Her Kaleun!« Heidkamp verzog das Gesicht. »Ich kümmere mich um die Toten. Segeltuch haben wir ja keens, aber ein paar Ersatzdecken tun’s ja ooch.«

»Danke, Heidkamp!«

Nachdem der Funker gegangen war, lehnte Müller sich zurück. Es war ein Rätsel, aber die wichtigere Frage war im Augenblick, ob es ein Rätsel war, das er jetzt zu lösen hatte. Ein britisches Kriegsschiff war offensichtlich gesunken, ohne zu funken. Das kam vor. Vielleicht hatte sogar eines ihrer eigenen U-Boote den Zossen erwischt. Müllers Aufgabe war es, Handelsschiffe zu versenken, und damit sah es bisher mau aus. Trotzdem, New York und englisches Kriegsschiff, wie passte das zusammen? Die Amis waren nicht so neutral, wie sie taten, aber wenn ein britisches Kriegsschiff von New York auslief, dann hatte es einen Geleitzug begleitet. Bedeutete das, ein Kamerad hatte ihnen bereits ihr Jagdgebiet vergrätzt? Oder bedeutete es eher, dass der nächste Geleitzug auch wieder hier durchkommen würde? Irgendwo mussten die Limeys sich ja durchschleichen, sie konnten schließlich nicht Millionen von Tonnen Fracht an Irlands Westküste anlanden. Wie die Dinge in Irland standen, würden die Iren den Deutschen dann die Arbeit abnehmen und den Kram in die Luft jagen, so oft und so viel sie nur konnten. Blieb also nur der Weg in die Irische See und dann nach Liverpool. Nur, fuhren die Limeys näher an der irischen oder der schottischen Küste spazieren? Wenn Müller jetzt aufs falsche Pferd setzte, dann ging ihm irgendwann das Petroleum aus und er konnte seine Torpedos wieder nach Hause karren.

Müde betrachtete er den Übersegler auf seinem winzigen Schreibtisch. Es war ein Rätsel und irgendwie war dieses Rettungsboot ein Teil davon. Also, ein britisches Kriegsschiff hatte New York besucht. Theoretisch konnten die Schiffe kriegführender Nationen natürlich immer neutrale Häfen anlaufen und dort sogar Reparaturen ausführen, soweit sie der Seetauglichkeit des Schiffes dienten und nicht der Kampfwertsteigerung. Das internationale Recht machte da feine Unterschiede. Insofern konnten die Briten in amerikanischen Häfen jederzeit zum Beispiel Treibstoff bunkern und sogar auf einen Geleitzug warten, solange sie es nicht zu lange taten, denn das war der springende Punkt. Normalerweise musste ein Kriegsschiff einen neutralen Hafen spätestens nach 24 Stunden verlassen, wenn es den Maßgaben des internationalen Rechts folgen wollte, aber natürlich lag es im Ermessen der neutralen Macht, der der Hafen gehörte, und üblicherweise gestatteten viele neutrale Länder 72 Stunden unter der Begründung, dass Reparaturen zur Wiederherstellung der Seetauglichkeit eben etwas länger dauerten. Aber die amerikanische Neutralität war eben einseitig. Sollte ein deutsches Kriegsschiff einen amerikanischen Hafen anlaufen, würden die Amerikaner so oder so einen Grund finden, es festzusetzen, während ein Engländer immer mit Unterstützung rechnen durfte. Also, rein nach den Maßgaben der Gesetze, da war sich Kapitänleutnant Müller sicher, war alles wasserdicht. Nur ergab es trotzdem keinen Sinn. Die Frage war nicht, ob die Limeys in New York einlaufen konnten; dies konnten sie ohne Zweifel. Die Frage lautete: warum sollten sie es tun? Selbst wenn man in London bereits wusste, was kam – und offiziell wusste natürlich auch Müller von nichts, aber die Spatzen pfiffen es nun mal von den Dächern – bestand für die Briten keine Notwendigkeit, Geleitzüge den ganzen Weg von Amerika zu schützen. Die deutschen U-Boote hatten gar nicht die Reichweite, auf der anderen Seite des Atlantiks zu operieren. Es reichte also völlig, die Geleite irgendwo auf halbem Weg in Empfang zu nehmen. Wenn also ein englisches Kriegsschiff in Amerika gelegen hatte, dann gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, die Amerikaner waren nun dazu übergegangen, Überholungsarbeiten für die Limeys auszuführen, weil die Werftkapazitäten in England natürlich bis zum Anschlag ausgelastet waren für den Bau neuer Schiffe. Das würde natürlich eine eklatante Verletzung aller internationalen Gesetze darstellen und die USA offiziell zur kriegsführenden Macht machen, aber Kaleun Müller war sich nicht sicher, ob die Amerikaner sich überhaupt noch darum scherten.

Oder, und das würde die ganze Situation noch erheblich komplizierter gestalten, der Limey hatte es auf etwas anderes als U-Boote abgesehen. Vielleicht einen Hilfskreuzer oder einen Blockadebrecher. SMS Möwe war derzeit draußen im Atlantik und SMS Wolf operierte im Indischen Ozean, nachdem er die Häfen von Bombay und Colombo vermint hatte. Also konnte auch Wolf, falls der Hilfskreuzer sich auf den Rückweg in die Heimat gemacht hatte, im Atlantik stehen und, das hatte sich, kurz bevor U 15 ausgelaufen war, herumgesprochen, auch SMS Seeadler hatte sich im Dezember auf den Weg begeben, um Unheil auf den Schifffahrtsrouten zu stiften. Natürlich hatte niemand die U-Bootkommandanten über die Befehle der Hilfskreuzer informiert und, das lag in der Natur der Sache, operierten diese Hilfskriegsschiffe völlig unabhängig. Es gab ja keine Möglichkeit, mit der Heimat Kontakt zu halten, seit Deutschland seine Kolonien und damit die letzten eigenen Funkstationen außerhalb Europas verloren hatte. Also hatte Müller keine Ahnung, wo sich die Kameraden herumtrieben, aber eine Möglichkeit war, das einer von ihnen wieder im Nordatlantik stand und versuchte, in die Heimat durchzubrechen. Das würde ebenfalls erklären, warum sich britische Kriegsschiffe auf der amerikanischen Seite des Atlantiks aufhielten. Nur, sollte ein britischer Kreuzer in einen dieser Hilfskreuzer gelaufen sein, dann hätte es die Deutschen erwischt und nicht die Engländer. Das Schiff, von dem die Männer im Rettungsboot kamen, musste kleiner gewesen sein, oder älter, und wenn einer der Hilfskreuzer einen Zerstörer in den Zufahrten zur Irischen See erledigt hatte, dann würde hier jetzt eine ganz andere Art von Zustand herrschen. Die Limeys würden funken, als würde es kein Morgen geben und versuchen, den frechen Eindringling zu stellen.

Es war ruhig, viel zu ruhig. Also kein Hilfskreuzer! Und laut Müllers eigenen Befehlen war U 15 das einzige U-Boot, das derzeit hier auf Handelsschiffe lauerte … Also, wer hatte ein englisches Kriegsschiff auf dem Rückweg von Amerika versenkt?

Der Alte schob den Übersegler zur Seite. Er hatte nicht die geringste Idee. Vielleicht war es ja auch gar nicht sein Problem … Nur blieb das hässliche Gefühl, das etwas vorging, nahe genug, um seiner Röhre im unpassendsten Augenblick eine Überraschung zu bereiten.

 

3. Uneingeschränkter U-Bootkrieg

Donnerstag, der 1. Februar 1917, 45 Meilen nördlich von Irland …

 

Die Männer im Bugraum taten, was sie immer taten: sie spielten Skat. Eine Feindfahrt bestand schließlich größtenteils aus Warten und dieses Mal war ganz besonders der Wurm drin. Sie hingen seit beinahe eineinhalb Wochen hier nördlich von Irland herum und bisher hatten sie kein einziges Schiff zu Gesicht bekommen. Vom Versenken wagte man im Bugraum schon gar nicht mehr zu reden. Aber natürlich, ein jeder Hein Seemann war ja ein strategisches Genie und deswegen wusste man ganz genau, dass der Kommandant hätte mehr nach Norden halten sollen, oder weiter draußen im Atlantik lauern oder … oder … es gab verschiedene Ansichten im Bugraum darüber, was der Alte hätte tun sollen und was nicht und jeder wusste natürlich felsenfest, dass seine Ansicht die einzig richtige war.

Als der Lautsprecher knackte, blickten die Seeleute und Maschinisten erstaunt auf. Eine Ansprache? Tatsächlich drang Augenblicke später die Stimme des IWO aus der Anlage: »Achtung für eine Durchsage des Kommandanten!« Kurz darauf hörten sie Kaleun Müller: »Männer von U 15, seit heute Morgen, dem 1. Februar 1917, gelten neue Befehle. Das Deutsche Reich hat den uneingeschränkten U-Bootkrieg für die Gewässer um England erklärt.« Müller zögerte einen Augenblick, ehe er fortfuhr: »Das bedeutet, Schiffe können ohne Vorwarnung angegriffen werden, auch auf die Gefahr hin, dass es sich um Neutrale handelt. Alleine die Tatsache, dass sie die Gewässer um England herum befahren, darf als Transport von Embargowaren verstanden werden. Das wäre alles!«

Für einen Augenblick herrschte Schweigen im vollgestopften Bugraum, dann ließ Motorenheizer Willemann als erster pfeifend die Luft aus der Lunge entweichen. »Uneingeschränkter U-Bootkrieg? Das hatten wir doch schon mal.«

E-Maat Hinze nickte. »Vor zwei Jahren. Haben die da oben aber wieder abgeblasen, weil's die Amerikaner verärgert hat und keiner wollte, dass die auch noch gegen uns in den Krieg ziehen. War ja schon schlimm genug, dass U 20 damals die Lusitania umgelegt hat.«

Unwillkürlich richteten sich die Blicke auf Bootsmannsmaat Kern, aber der stämmige Seemann zuckte nur mit den Schultern. »Ihr wisst, wie es ist, wir stecken im Bugraum. Der Alte – Schwieger – war der einzige, der was gesehen hat.«

»Ihr müsst doch drüber gesprochen haben, nach der Versenkung.« Willemann sah Kern fragend an. Der zuckte erneut mit den Schultern. Er hatte auf U 20 gedient, er war dort gewesen, als Kaleun Schwieger die Lusitania umgelegt hatte. Und gleich darauf, auf der nächsten Fahrt, die Hersperian, einen anderen Liner. Natürlich, die Hesperian hatte Schwieger torpediert, Monate nachdem der Kaiser bereits Angriffe auf Liner verboten hatte. Aber in Wirklichkeit war es die Versenkung der Lusitania, die an jedem, der auf U 20 gedient hatte, klebte wie ein übler Geruch, den man einfach nicht mehr loswurde. Kern registrierte die fragenden Gesichter um sich herum. »Natürlich, wird ja immer viel geredet im Bugraum.« Er zögerte. »Wir alle haben die zweite Explosion gehört. Nachdem der Aal bereits eingeschlagen ist, lange danach.«

»Also haben die Limeys Munition auf einem Passagierdampfer transportiert? Dann war die Versenkung ja in Ordnung, oder nicht?«

»Und wie beweist du das, du Hirnakrobat?« Kern sah Hinze säuerlich an. »Alles liegt auf dem Meeresgrund, da taucht keiner runter und schaut nach, nicht wahr? Außerdem haben die Limeys alle ihre Liner bewaffnet, genau wie die Frachter. Was erwarten die denn? Dass wir auftauchen und freundlich nach den Ladungspapieren fragen, während die uns eins vor den Latz knallen?«

»Reg dich wieder ab, also die Versenkung war in Ordnung!« Hinze nickte. »Aber die Amis haben's trotzdem nicht gemocht.«

Willemann verzog das Gesicht. »Die werden das dieses Mal auch nicht mögen. Also haben wir wahrscheinlich demnächst auch noch Krieg mit denen. Dabei sieht es sowieso schon nicht gut aus für uns.«

Kern blinzelte. »Wer weiß? Vielleicht ist die Kacke ja schon so übel am Dampfen, dass es keinen Unterschied mehr macht.«

»Wer weiß?« Willemann nickte. »Uns erzählen die das doch bestimmt als letztes, nicht?« Er griente. »Nicht der Kaiser, nicht der Hindenburg und garantiert nicht unser verehrter Admiral von Holtzendorff.«

Kern zog scharf die Luft ein. Willemann war ein Unruhestifter. Der Mann hatte schon so ziemlich jeden Rang vom Seemann bis zum Obermaat innegehabt und war wer weiß wie oft wieder degradiert worden. Nur mehr und mehr entwickelte er sich zu einem gefährlichen Unruhestifter. Kern hatte schon lange vor dem Krieg in der Marine gedient. Er kannte sich aus. Nur änderten sich die Dinge und Hitzköpfe wie Willemann wurden immer mehr. Es gärte in den Bugräumen der U-Boote, den Marinekasernen und den Mannschaftsdecks der Hochseeflotte. Aber noch gärte es im Untergrund und Adolf Kern war sich sicher, dass die Offiziere noch nichts mitbekommen hatten. Aber wenn, aber wenn, dann konnte ein Hitzkopf wie Willemann jemanden schnell vor ein Peloton bringen. Langsam schüttelte er den Kopf. »Nein, tun sie nicht. Aber es ist Krieg und solange Krieg ist, haben wir unsere Pflicht zu tun, nicht wahr? Kann ja nicht jeder einfach heimgehen, von so einem Krieg.« Er sah Willemann an. Was der Maschinenheizer angedeutet hatte, roch noch nicht nach offener Meuterei – noch nicht!

 

*

 

Natürlich wurden die neuen Befehle auch in der Offiziersmesse diskutiert, auch wenn die Offiziere sich sehr viel mehr zurückhalten mussten als die Mannschaften. Weil gegenwärtig der Steuermann die Wache hatte, waren zur Abwechslung einmal alle vier Offiziere in der Messe versammelt. Max Rothe, der IWO, winkte einfach ab. »Das wurde Zeit. Die Amerikaner schippern Munition ohne Ende über den Teich, ohne die wäre den Limeys und den Fröschen schon lange die Luft ausgegangen. Also, im Grunde sind die Amis doch schon im Krieg.«

Wilhelm Klempke, der Leitende Ingenieur, zog ein Gesicht, als wollte ein Magengeschwür durchbrechen. »Ja, aber dann schippern die auch noch Truppen rüber und unser Heer steckt ja jetzt schon fest. Die haben doch jetzt schon gegen jede deutsche Division eineinhalb französische oder englische stehen. Was soll das werden, wenn noch die Amerikaner dazukommen?«

»Erstmal müssen die Amerikaner über den Atlantik kommen und nun können wir die Burschen ja rasieren, wenn sie es versuchen.«

Andreas Rader blinzelte. Natürlich machte er sich Sorgen. Wer sich im Krieg keine Sorgen machte, musste schon ausgesprochen dumm sein. Wenn die Amerikaner gegen Deutschland in den Krieg ziehen würden, und das schien nun unausweichlich zu sein angesichts der neuen Befehle, mussten sie versuchen, die Truppentransporter zu versenken, bevor sie England erreichen konnten.

Rader war nicht gut mit Menschen. Die Marine hatte ihn zum Offizier gemacht, weil er ein Abitur hatte und segeln konnte. Aber niemand wusste besser als er selbst, dass er niemals ein Offizier wie zum Beispiel der Alte sein würde. Sein Ziel, bevor es zum Krieg gekommen war, war es gewesen, Mathematik zu studieren. Nicht Geschichte oder Politik. Für Andreas Rader zerfiel die ganze Welt in Zahlen. Schöne logische Zahlen. Nur, dass die Zahlen nicht mehr schön und logisch aussahen, würde Amerika in den Krieg eintreten.

Der Kommandant räusperte sich. »Meine Herren, bitte!«

Der IWO neigte das Haupt. »Verzeihung, Herr Kaleun.«

»Schon gut.« Müller winkte ab. »Sehen wir es einmal so: Wir haben Befehle. Die Befehle sagen nicht, was mit Passagierdampfern ist und wir wollen ja alle keinen zweiten Fall Lusitania produzieren, also, da lassen wir mal schön die Finger von. Frachter, die wir erwischen, die gehen aufs Konto und sollte da ein Neutraler dabei sein, na ja, es ist Krieg und wenn die hier herumfahren, können die ja nur nach England wollen.« Er seufzte. »Aber erst einmal müssen wir die Frachter finden. Wir hängen hier herum und kriegen keinen einzigen Dampfer zu Gesicht, dabei müsste es hier doch nur so brummen vor Verkehr.«

»Ja, ist schon seltsam, nicht wahr?«

Rader öffnete den Mund und schon als er sprach, bedauerte er es. »Die können nicht einfach verschwunden sein. Also müssen sie irgendwo anders herumfahren. Logisch!«

»Ja, aber wo, Herr Leutnant?«

»In Amerika, oder noch wahrscheinlicher, auf dem Weg hierher.« Vor seinem inneren Auge begangen sich die Zahlen zu vereinen, Gleichungen und Beziehungen zu bilden. »Wenn zum Beispiel 1.000 Schiffe alleine fahren, dann verteilen die sich nach einer Weile gleich. Das bedeutet, jeden Tag kommen hier durch diese Zufahrt ungefähr gleich viele Schiffe. Aber wenn die Engländer Geleitzüge organisieren, dann kommt auf einmal nur noch alle paar Tage ein Geleitzug vorbei, weil die Schiffe ja am Anfang der Fahrt darauf warten müssen, dass das Geleit organisiert wird.«

Klempke, der Ingenieur, nickte. »Das ergibt Sinn!«

»Nur … wo sind dann die Gleitzüge?« Der Kapitänleutnant dachte nach. »Bisher waren hauptsächlich die Limeys in Geleitzügen organisiert und nicht einmal alle. Sie glauben, dass die das jetzt durchgängig machen?«

Der junge Leutnant zuckte mit den Schultern. »Das hängt davon ab, wie lange die schon wissen, dass wir den uneingeschränkten U-Bootkrieg wieder aufnehmen.«

»Die Ankündigung ist ja heute erst raus …« Rothe hielt den Atem an. »Sie meinen …?«

»Sagen wir drei Wochen über den Atlantik, zwei Wochen mehr, um einen Geleitzug zu organisieren und wir haben seit neun Tagen kein Schiff gesehen. Also müssten die seit wenigstens 26 Tagen wissen, was kommt. Wahrscheinlich länger.«

»Das ist aber starker Tobak, Herr Leutnant!« Der Kommandant runzelte die Stirn. »Das bedeutet, wir warten ein paar Tage mehr und dann kommt irgendwann der erste von vielen Geleitzügen hier vorbei?«

»Zwei Wochen minus x …« Rader lief rot an. »Verzeihung, ich wollte nicht überheblich erscheinen, Herr Kaleun, ich habe nur keine Ahnung, wie viel früher als 26 Tage die Engländer schon geahnt haben, was kommt.«

Müller zog die Brauen hoch. »Was bedeutet das?«

»Morgen, übermorgen, spätestens in zwei Wochen.« Unsicher starrte Rader in den Kaffeebecher vor sich, wich den fragenden Blicken aus. »Wenn die in zwei Wochen nicht hier sind, dann liege ich falsch.«

»Warum hier und nicht im Süden?«

»Die Frachter sind langsamer, die werden so lange wie möglich auf dem nördlichen Großkreis bleiben. Der südliche Zugang ist für die nur ein bis zwei Seetage mehr. Und die meisten Versenkungen hat es ja bisher im Süden gegeben. Die Liner sind so schnell, die laufen wahrscheinlich weiterhin alleine.«

»Also plädieren Sie dafür, einfach hier abzuwarten?«

»Sie sind der Kommandant, Herr Kaleun. Wenn Sie glauben, ich vermute falsch, ignorieren Sie bitte alles, was ich gesagt habe.«

Müller strich sich nachdenklich über den Bart. »Wissen Sie was? Ich glaube, Sie vermuten richtig. Es würde zumindest erklären, was wir sehen, oder eher, was wir nicht sehen.«

»Nur wird so ein Geleitzug, wenn es ihn denn gibt, nicht das erste sein, was wir zu Gesicht kriegen werden.

---ENDE DER LESEPROBE---