Auf tapsigen Pfoten ins Glück - Petra Schier - E-Book

Auf tapsigen Pfoten ins Glück E-Book

Petra Schier

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Beschreibung

Eine Bordeauxdogge im Weihnachtsfieber Jana schafft wunderschöne Kunstwerke aus Glas. Seit jedoch eine Diebesbande umgeht, sind ihre wertvollen Stücke in Gefahr, und so engagiert Jana Sicherheitsmann Oliver und seine Bordeauxdogge Scottie. Anfangs ist sie nicht begeistert von dem Duo, denn der stürmische Scottie scheint ihre Kunst eher zusätzlich zu gefährden als zu schützen. Trotzdem spürt Jana eine Anziehung, der sie kaum widerstehen kann. Was sie allerdings nicht weiß: Oliver hütet ein Geheimnis, das ihre Träume erfüllen oder ihre zarten Gefühle im Keim ersticken könnte.

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Seitenzahl: 454

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Zum Buch:

Es ist ein ungewöhnliches Arrangement. Noch nie ist Oliver bei einer Klientin eingezogen, um ihren Fall zu bearbeiten. Doch hier scheint es die einzig richtige Lösung zu sein. Die Drohbriefe, die eine unbekannte Person Jana schickt, deuten auf etwas Persönliches hin. Nur wenn sie unauffällig vorgehen, könnten sie Erfolg haben. Natürlich ist absolut klar, dass er bei diesem Fall ganz besonders die professionelle Distanz wahren muss. Doch ohne es zu wollen, macht Jana ihm genau das in ihrer Verletzlichkeit, dem Vertrauen, das sie ihm entgegenbringt, und dieser unbeschreiblichen Magie, mit der sie ihn zu verhexen scheint, schwerer als gedacht.

Zur Autorin:

Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin. Neben ihren zauberhaften Liebesromanen mit Hund schreibt sie auch historische Romane. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.

Lieferbare Titel:

Nur eine Fellnase vom Glück entfernt

Plätzchen gesucht, Liebe gefunden

Kleines Hundeherz sucht großes Glück

Das Kreuz des Pilgers

Das Geheimnis des Pilgers

Originalausgabe © 2022 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Umschlaggestaltung von zero Werbeagentur, München Umschlagabbildung von Erik Lam, marre, S_Photo, 5 second Studio, by-studio / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783749904785

www.harpercollins.de

1. Kapitel

»Du, Santa? Santa? Santa, wo steckst du denn?« Elfe-Sieben rannte quer durch das große Wohnzimmer und blieb mitten in der Terrassentür stehen. »Ach, hier bist du.«

»Was gibt es denn?« Plätschernd und prustend tauchte Santa Claus, auch als Weihnachtsmann bekannt, aus seinem Pool im Garten auf. »Du siehst ja so aufgeregt aus. Ist etwas passiert?«

»Nicht direkt.« Elfe-Sieben kicherte, weil dem Weihnachtsmann das Wasser aus dem Bart tropfte. »Das Wunscherfüllungsradar hat angeschlagen.«

»Was, jetzt? Mitten im Sommer?« Santa Claus kletterte aus dem Wasser und schnappte sich das große rote Handtuch, das über der Sonnenliege neben dem Pool lag. Schwungvoll rubbelte er sich damit Gesicht und Haare trocken. »Ich bin aber doch im Urlaub. Kann das nicht noch ein bisschen warten?«

»Ich fürchte, darum müssen wir uns gleich kümmern«, erwiderte die kleine Elfe, die schon seit vielen Jahren als Assistentin des Weihnachtsmannes in dessen Büro half. »Es bietet sich gerade die Gelegenheit, einen ganz, ganz großen Kindheitswunsch zu erfüllen, aber dazu müssen wir jetzt sofort alles in die Wege leiten, sonst klappt es vielleicht nicht bis Weihnachten.«

»Na gut, wenn es denn sein muss.« Seufzend hüllte Santa Claus sich in seinen roten Bademantel mit den weißen Aufschlägen und band den ebenfalls weißen Gürtel fest. Dann folgte er der Elfe hinüber in sein Büro. Auf dem Weg traf er seine Frau, die, ebenfalls im Bademantel, gerade in Richtung Pool unterwegs war.

»Nanu, wo willst du denn hin?«, fragte sie überrascht. »Ich dachte, wir spielen eine Runde Wasserball miteinander.«

»Das machen wir auch gleich«, versprach Santa Claus. »Ich muss nur schnell etwas erledigen.«

»Erledigen? Im Urlaub?« Stirnrunzelnd folgte seine Frau ihm. »Ich dachte, wir wollten endlich einmal wieder ausspannen.«

»Es dauert bestimmt nicht lange.« Inzwischen hatten sie das Büro erreicht, in dem ein kleines Gerät neben dem Computer heftig blinkte. »Das Wunscherfüllungsradar hat, wie du siehst, angeschlagen.« Rasch schaltete er den Computer ein und tippte ein paar Befehle auf der Tastatur. »Ach, hm, sieh mal einer an, das ist ja interessant.«

»Oje.« Seufzend setzte seine Frau sich neben ihn auf die Schreibtischkante. »Den Ton kenne ich. Ich nehme an, auf unser Wasserballspiel muss ich heute verzichten.«

»Nein, nein!« Ohne den Blick von den Informationen auf dem Bildschirm zu lösen, schüttelte Santa Claus den Kopf. »Geh ruhig schon mal vor zum Pool. Ich komme gleich nach. Das hier wird ganz schnell gehen. Es handelt sich um den Weihnachtswunsch der zehnjährigen Jana, den ich hier schon seit, warte mal«, er gab ein paar weitere Befehle ein, »seit einundzwanzig Jahren auf Wiedervorlage eingestellt habe, weil sich bisher noch keine Gelegenheit ergeben hat, ihn zu erfüllen.«

»Was? So lange schon?« Erstaunt warf nun auch seine Frau einen Blick auf den Bildschirm. »Was hat sie sich denn gewünscht, das so schwer zu erfüllen ist?«

»Sie wollte eine weltbekannte Glaskünstlerin werden«, erklärte Elfe-Sieben. »Glaskünstlerin ist sie auch inzwischen und recht erfolgreich noch dazu. Aber weltbekannt noch lange nicht. Sie hat sich ihren jetzigen Erfolg ganz allein erarbeitet, denn sie ist nicht nur sehr talentiert, sondern auch eine exzellente Geschäftsfrau. Aber mit dem großen Durchbruch hat es bislang noch nicht geklappt.«

»Das könnte sich nun bald ändern«, fügte Santa Claus lächelnd hinzu, nachdem er alle Informationen überprüft hatte, die das Wunscherfüllungsradar ausgespuckt hatte. »Hier, siehst du?« Er deutete auf den Bildschirm. »Es bietet sich gerade die Gelegenheit, den Stein ins Rollen zu bringen.«

Aufmerksam las Santas Frau sich die Daten durch, dann nickte sie zustimmend. »Das sieht wirklich vielversprechend aus. Da hat sich das lange Warten offenbar gelohnt.« Sie erhob sich und ging zur Tür. »Du kommst ganz sicher zum Pool, sobald du hier fertig bist?«

»Aber ja, mein Schatz.« Der Weihnachtsmann war bereits in seine Arbeit vertieft. »Das hier dauert höchstens eine halbe Stunde. Danach können wir uns wieder voll und ganz unserem wohlverdienten Urlaub widmen.«

2. Kapitel

»Das war so genial«, schwärmte Jana Weißmüller ihrer Mitarbeiterin Melissa Lange vor, während sie auf die Tür zu ihrer Werkstatt im am Stadtrand gelegenen Katharinenweg zustrebte. »Erst gab es natürlich wie immer jede Menge Theorie, damit wir die chemischen Prozesse verstehen. Meine Güte, was hat uns allen der Kopf geraucht! Aber dann durften wir zusehen, wie die neuen Verfahren angewendet werden, und es auch selbst ausprobieren.« Sie lachte. »Jetzt habe ich natürlich mindestens hundert Ideen, wie ich das alles auf meine Projekte anwenden könnte. Ich muss mir aber erst noch die Chemikalien und einige Mineralien besorgen und ein paar neue Werkzeuge. Am besten schaue ich gleich mal im Onlinekatalog nach …« Erschrocken brach sie ab, als sie bemerkte, dass die Eingangstür zu ihrer großen Glasbläserwerkstatt halb offen stand. Jemand hatte sie offenbar mit brachialer Gewalt aufgebrochen. »Was ist das denn?« Sehr vorsichtig stieß sie die Tür weiter auf und trat ein. »O mein Gott!« Vor Entsetzen schlug sie beide Hände vor den Mund.

»Ach du Scheiße!« Melissa, die gleich hinter ihr eingetreten war, sah sich mit großen Augen um und schob sich fahrig eine dunkelblonde Haarsträhne hinters Ohr. »Was ist denn hier passiert?«

»Jemand ist eingebrochen und hat alles zerstört. O nein!« Entgeistert drehte sich Jana einmal im Kreis. Ihre sonst so aufgeräumte Werkstatt bot ein Bild der Verwüstung. Alle Türen und Schubladen der Metallschränke an der linken Wand, die ihre Werkzeuge und Chemikalien enthielten, standen offen. An einigen waren die Schlösser aufgebrochen worden. Glasmacherpfeife, Halter, Greifwerkzeuge, Handschuhe, Schutzbrillen lagen auf dem Boden verstreut. Einer der kleineren Arbeitstische war umgekippt, ebenso wie ein kleiner Brennofen. Am großen Ofen stand die Klappe weit offen.

Vorsichtig bahnte Jana sich einen Weg durch das Chaos bis zur Tür, die in ihren kleinen Lagerraum führte. Auch dort herrschte wilde Unordnung. Jemand hatte sich an ihren Materialien und halb fertigen Glasskulpturen zu schaffen gemacht. Behälter mit weiteren Mineralien und Chemikalien lagen auf dem Boden verstreut. Einige waren aufgesprungen, und der Inhalt hatte sich überall verteilt. Dazwischen glitzerten im Licht der Tageslichtdeckenlampe überall Glasscherben und zersprungene Skulpturen. »O nein«, wiederholte Jana tonlos. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Das darf doch nicht wahr sein!«

»Ich rufe die Polizei.« Melissa hatte bereits ihr Smartphone in der Hand. »Wir dürfen nichts anfassen, bis die Beamten hier sind.«

»So eine Sauerei.« Fahrig wischte Jana sich über Augen und Wangen, doch die Tränen flossen einfach weiter. »Ich war doch nur drei Tage weg. Was mache ich denn jetzt?« Sie drehte sich zu Melissa um, die bereits die Nummer der Polizei gewählt hatte und nun die Situation schilderte. Das Gespräch dauerte nicht allzu lange. »Sie schicken gleich jemanden her.« Melissa schob das Handy in die Gesäßtasche ihrer Jeans. »Wir sollen nichts anfassen, wie ich mir schon dachte, aber trotzdem schon mal nachsehen, ob etwas fehlt.« Als Jana nur weinend nickte, trat Melissa neben sie und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Das wird schon wieder. Zum Glück sind das alles nur Gegenstände. Niemand ist verletzt worden.«

»Du hast gut reden. Die haben meine Arbeit von mindestens vier Wochen zerstört.« Vage deutete Jana auf die zertrümmerten Skulpturen im Lagerraum. »Und die Chemikalien … Die sind richtig teuer. Außerdem darf ich die nicht einfach so aufkehren oder mit dem Staubsauger wegsaugen. Das ist Sondermüll. Da muss ich jemanden kommen lassen, der das wegmacht. Und …« Ihr wurde eiskalt. »Der Keller! O nein, bitte, bitte nicht!« Sie machte sich von Melissa los und rannte zur Kellertür, die jedoch genau wie vor ihrer Abreise verschlossen war. Hastig kramte sie ihre Schlüsselkarte hervor, mit der die Tür elektronisch gesichert war, schloss die Tür auf und eilte die Stufen hinab. Die Erleichterung, als sie im Licht der Deckenlampe erkannte, dass in ihrem großen Lager alles in Ordnung zu sein schien, war so groß, dass sie kurz schwankte. Hier unten lagerte sie sämtliche fertigen Skulpturen, Schmuckstücke und sonstigen Gegenstände, die auf den Verkauf warteten. Über eine Rampe und ein Garagentor konnte sie alles bei Bedarf ganz einfach in ihr Auto verladen oder auf einem Rollwagen in ihren Laden bringen, der sich ebenfalls hier im Haus nach vorne zur Straße hin befand.

Der Laden! Erneut wurde ihr eiskalt. Bei ihrer Ankunft hatte sie ihn nicht weiter beachtet, weil die Rollgitter vor Fenstern und Türen verschlossen gewesen waren.

»Jana?«, erklang Melissas Stimme von oben. Sie klang höchst alarmiert. »Jana, komm mal. Das musst du dir ansehen.«

Ahnungsvoll stieg Jana die Stufen wieder hinauf und folgte der Stimme ihrer Mitarbeiterin hinüber in das normalerweise helle, geräumige und liebevoll dekorierte Geschäftslokal, in dem sie ihre Kunstwerke zum Verkauf anbot. Ihr stockte der Atem, als sie auch hier ein unsägliches Chaos vorfand: umgestürzte und zerbrochene Skulpturen, Vasen, Schüsseln und die gewaltsam aufgebrochene Registrierkasse.

Sie schluckte. Schluckte noch einmal. Bekam kaum noch Luft.

»Hey, was ist denn?« Melissa war sogleich an ihrer Seite. »Hier, setz dich.« Sie zog einfach einen Hocker herbei, der normalerweise nur zu Dekorationszwecken im Laden stand, und drängte Jana, sich zu setzen. »Atme erst mal tief durch. Das sieht schlimmer aus, als es ist.«

»Nein, tut es nicht.« Janas Stimme zitterte. »Das ist … einfach nur … schrecklich. Wer tut denn so was? Hier ist ja alles kaputt!«

»Nein, nicht alles. Schau, die Ketten und Ringe liegen nur am Boden.« Melissa deutete auf das Durcheinander vor dem Verkaufstresen.

»Aber es fehlen auch Sachen. Ich muss … Ich weiß nicht …« Jana wollte schon wieder aufspringen, doch Melissa hielt sie davon ab.

»Erst mal musst du dich beruhigen. Es bringt nichts, wenn du jetzt ausflippst oder zusammenklappst. Die Polizei kommt gleich, dann sehen wir weiter.«

»Ja … Nein! O Gott, was, wenn sie auch in mein Haus eingebrochen sind? Da war ich noch gar nicht. Ich bin doch von der Glasfachschule gleich hierhergefahren.« Ohne noch auf Melissa zu achten, sprang Jana doch wieder auf, kehrte in die Werkstatt zurück, stieß die Tür auf und rannte die knapp zwanzig Meter bis zu ihrem Holzblockhaus, dass sie sich erst vor einem halben Jahr von Patrick Sternbach hatte bauen lassen, der hier im Ort und einigem Umkreis mittlerweile die beste Adresse war, wenn es um Holzbauweise ging.

»Wohnen in Holz« hieß seine Firma, und Jana war ungeheuer stolz, sich zu seinen Kundinnen zählen zu dürfen. Sie hatte hart dafür gearbeitet, sich ihr Traumhaus leisten zu können – oder vielmehr die Finanzierung. Die Bank hatte sich lange Zeit geweigert, einer alleinstehenden Künstlerin ein entsprechendes Darlehen zu bewilligen, doch nun hatte es endlich geklappt, weil sie auf ein ausreichendes finanzielles Polster verweisen konnte. Natürlich würde es eine halbe Ewigkeit dauern, bis sie den Kredit abgezahlt hatte, aber trotzdem erfüllte sie der Anblick des weiß gestrichenen Holzhauses jedes Mal mit großer Freude. Bis auf jetzt.

Ihr Herz pochte heftig, fast schmerzhaft in ihrer Brust. Sie bekam kaum noch Luft, als sie ihre Haustür erreichte. Diese war ordnungsgemäß abgeschlossen. Jana atmete auf, jedoch nur einen Moment, denn immerhin könnten sich die Einbrecher auch anderswo Zutritt verschafft haben. Mit zitternden Fingern schloss sie die Tür auf und trat ein. Auf den ersten Blick schien hier alles in Ordnung zu sein. Dennoch rannte sie zunächst zur Terrassentür, überprüfte alle Fenster im Erdgeschoss. Auch im Keller kontrollierte sie den Seiteneingang und alle Fenster. Zuletzt sah sie auch noch im Obergeschoss nach dem Rechten.

Erst als sie sicher war, dass die Einbrecher ihr Wohnhaus verschont hatten, setzte sie sich auf ihr wunderschönes Himmelbett mit den dicken Bettpfosten, in die nach ihren Vorgaben Elfen und lustige Gnome sowie verwunschene Efeuranken und Blattmuster geschnitzt worden waren. Sie hatte ihre Cousine Daniela damit beauftragt, die ebenfalls als Kunsthandwerkerin arbeitete und deren Spezialgebiet die Holzverarbeitung war.

Das Bett selbst hatte sie bei Patricks Schwager Lukas in Auftrag gegeben, der seine Möbelwerkstatt seit einiger Zeit mit Patricks Holzbaufirma fusioniert hatte.

Das Bett war eins achtzig breit, und der Betthimmel bestand aus weiß-grünem Stoff mit romantischen Blatt- und Blütenmotiven, die gerade eben so noch nicht als kitschig durchgingen. Die passenden Teppiche, die ihr als Bettvorleger dienten, hatte sie bei einer Teppichknüpferin in Österreich in Auftrag gegeben, deren Adresse sie ebenfalls von Patrick erhalten hatte. Alles passte hier zusammen und bildete ein großes Ganzes. Seit sie es besaß, war dieses Bett ihr Kleinod, und es unbeschädigt vorzufinden, erleichterte sie so sehr, dass ihr erneut die Tränen über die Wangen rannen.

Kraftlos rollte sie sich auf der hellgrünen Tagesdecke zusammen und schluchzte in eines der Zierkissen. Eben noch war sie so voller Freude über die spannende Fortbildung gewesen und so voller Tatendrang, das Erlernte so bald wie möglich in ihren Schaffensprozess einzubinden. Doch jetzt fühlte sie sich wie erschlagen und so, als hätte man sie selbst überfallen und nicht ihre Werkstatt und den Laden ausgeraubt.

»Wer tut so etwas?«, schniefte sie ins Kissen. »Warum mussten sie so viel kaputtmachen?« Als sie ein Auto vorfahren hörte, rappelte sie sich auf und atmete tief durch.

»Jana?«, schallte Melissas Stimme durchs Haus. »Ist alles okay bei dir? Die Polizei ist da.«

»Ich komme gleich.« Nach zwei weiteren tiefen Atemzügen trat Jana an ihre altmodische Frisierkommode und warf einen Blick in den Spiegel. Die Tränen hatten das wenige Make-up, das sie benutzte, verschmiert, sodass sie es einfach mit einem Kosmetiktuch entfernte, so gut es ging. Ihre schulterlangen welligen dunkelbraunen Haare waren mit einer Spange im Nacken zusammengefasst und sahen nach wie vor präsentabel aus, ebenso wie das knielange bunt bedruckte Jerseykleid, zu dem sie einen schwarzen Gürtel trug, dessen bunte Gürtelschnalle aus Glas sie selbst entworfen und hergestellt hatte. Die passende Glasperlenkette war ein wenig verrutscht, aber ansonsten war alles in Ordnung. Zumindest äußerlich.

Die Absätze ihrer schwarzen Stiefel klackten auf der Treppe und dem Holzdielenfußboden, als sie sich auf den Weg zur Haustür machte. Ihr Holzdielenfußboden. Irgendwie gab ihr der Gedanke Kraft. Sie konnte alles schaffen, wenn sie wollte. Auch diesen scheußlichen Einbruch überstehen.

***

»Ach je, ach je, ach je, mein armer Schatz!« Janas Mutter, eine mittelgroße Frau, deren wohlgerundete Figur ebenso wie die Haarfarbe der Janas auffallend glich, schloss ihre Tochter zwei Stunden später fest in ihre Arme. »Das ist ja so entsetzlich! Hier im Ort wird doch so gut wie nie eingebrochen, und jetzt ausgerechnet bei dir. Ich kann es noch gar nicht fassen!«

»In der letzten Zeit gab es sehr wohl ein paar Einbrüche«, widersprach Janas Vater und tätschelte gleichzeitig liebevoll den Rücken seiner Tochter. Er war im Gegensatz zu den Frauen von kräftiger, untersetzter Gestalt und hatte mittelblondes Haar und einen ebensolchen kurz geschorenen Bart, beides noch kaum von grauen Strähnen durchsetzt. »Gerade heute in der Frühstückspause habe ich im Amtsblättchen gelesen, dass jemand versucht hat, in den Kiosk am Marktplatz einzubrechen. Und Herbert hat erzählt, auch in der Tankstelle an der Umgehungsstraße soll es einen Einbruchsversuch gegeben haben. Aber da hatten sie wohl kein Glück, und außerdem gibt es dort ja auch Überwachungskameras.«

»Schrecklich!« Sabine Weißmüller führte ihre Tochter zu deren großem weißem Esstisch und nötigte sie regelrecht, sich zu setzen. »Ruh dich erst einmal aus, mein Schatz. Das muss ja ein furchtbarer Schreck für dich gewesen sein. Selbst ich bin ganz außer mir und deine Schwester ebenfalls. Sie wollte schon mit mir herkommen, aber jemand muss ja im Salon die Stellung halten und sich um die Kundschaft kümmern. Lange kann ich leider auch nicht bleiben, aber …«

»Schon gut, Mama.« Jana versuchte sich an einem Lächeln. »Du hättest gar nicht herzukommen brauchen. Du auch nicht, Papa. Ihr habt doch beide noch keinen Feierabend.«

»Feierabend, so ein Unsinn!« Helge Weißmüller bedachte Jana mit einem empörten Blick. »Wenn meine Tochter ausgeraubt wird, bin ich zur Stelle, ganz egal was auf der Arbeit los ist. Das ist doch selbstverständlich.« Er trat ans Küchenfenster, durch das man hinüber zur Werkstatt mit dem Ladenlokal blicken konnte. »Sieht es im Geschäft genauso schlimm aus wie in der Werkstatt?«

»Ja, leider.« Jana schluckte. Auf keinen Fall wollte sie erneut in Tränen ausbrechen. »Sie haben etliches an Schmuck und kleineren Skulpturen gestohlen und jede Menge zerstört. Zum Glück waren sie nicht auch noch im Keller, wo ich all die Stücke für den Weihnachtsmarkt und die Galerie in Köln aufbewahre. Und einiges an Nachschub für den Laden. Das Geschäft kann also weitergehen, ohne dass ich erst mein Sortiment wiederherstellen muss. Trotzdem ist es ein großer Verlust. Wirtschaftlich, aber auch ideell. Jedes einzelne Stück hat eine besondere Bedeutung für mich, und jetzt ist so viel weg oder kaputt.«

»Vielleicht finden sie die Täter ja und du kriegst zumindest die gestohlenen Sachen zurück«, versuchte ihre Mutter ihr Mut zuzusprechen. »Überhaupt können sie die Sachen doch nicht so einfach weiterverkaufen. Man sieht, dass sie handgefertigt sind, und du gibst schließlich nicht umsonst zu jedem Stück ein Echtheitszertifikat heraus.«

Jana seufzte. »Die Polizisten haben mir leider keine großen Hoffnungen gemacht. Offenbar gibt es für alles einen Schwarzmarkt. Auch für Glaskunst.«

»Furchtbar. Einfach furchtbar.« Sabine schauderte.

»Ich hätte den Laden in meiner Abwesenheit nicht schließen sollen.« Traurig starrte Jana auf die Tischplatte. »Wenn ich Melissa nicht freigegeben hätte, wäre wenigstens tagsüber jemand da gewesen. Und vielleicht hätte das die Einbrecher auch nachts abgeschreckt.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Ihr Vater kehrte an den Esstisch zurück, der die große offene Wohnküche zum Herz des Hauses machte, und ließ sich auf der Eckbank nieder. »Das kannst du nicht wissen, und Vorwürfe machen darfst du dir deswegen auch nicht. Normalerweise ist unsere kleine Stadt ja nun wirklich ein sicherer Ort, an dem viele noch nicht einmal nachts ihre Türen abschließen.« Er griff über den Tisch nach Janas Hand. »Was genau sagt denn die Polizei?«

Dankbar für den Beistand drückte Jana die Hand ihres Vaters. Er hatte ja recht. Sie war das Opfer und nicht schuld an dem, was passiert war. »Es gibt wohl in der Region mehrere Diebesbanden, die die Polizei schon länger im Visier hat und die infrage kommen könnten, aber denen kann man bisher nichts nachweisen, weil sie hoch professionell arbeiten. Sie hinterlassen meist keinerlei verwertbare Spuren.«

»Hoch professionell?« Irritiert hob Helge den Kopf. »Dieses Chaos, das sie hier hinterlassen haben, sieht mir aber eher dilettantisch aus.«

»Das ist es auch«, stimmte Jana zu. »Und es ist ein Punkt, der der Polizei Sorgen macht. Sie meinten …« Sie schloss kurz die Augen. »Sie haben mich gefragt, ob ich einen Feind hätte.«

»Einen Feind?« Entsetzt starrte ihre Mutter sie an.

»Ja, weil es ungewöhnlich sei, dass bei einem normalen Einbruch so viel zerstört wird. Das ist ja schon Vandalismus!«

»Aber du hast doch keine Feinde, Kind!«, protestierte ihr Vater. »Das ist doch lächerlich.«

»Das habe ich den Beamten auch gesagt.« Verzagt hob Jana die Schultern. »Ich hatte noch nie einen Feind, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wem ich jemals so sehr auf die Füße getreten sein soll, dass er oder sie sich auf diese Weise an mir rächen will.«

»Das kann ich mir aber auch wirklich nicht vorstellen.« Ihre Mutter legte ihr einen Arm um die Schultern. »Nimm es nicht persönlich. Bestimmt ging es rein um den Profit. Diese organisierten Banden machen da kurzen Prozess. Vielleicht haben sie einen Fehler gemacht und ihn mit all dem Chaos zu vertuschen versucht.«

»Ja.« Jana nickte traurig. »Nur dass man solche Banden nur ganz schwer erwischt. Manchmal ziehen die ganz willkürlich von Ort zu Ort, um unsichtbar zu bleiben. Vielleicht sind sie schon längst im nächsten oder übernächsten Bundesland. Wer weiß das schon?« Sie griff nach einem Stapel Broschüren, den die Polizisten dagelassen hatten. »Ich soll mir jetzt natürlich Gedanken über meine Sicherheitstechnik machen. Die Sicherheitsschlösser, die ich überall angebracht hatte, reichen ja offensichtlich nicht.«

»Es könnten auch Betrunkene gewesen sein, die einfach etwas zerstören wollten«, warf ihr Vater ein. »Und bei der Gelegenheit haben sie dann eben noch etwas Wertvolles und Geld mitgenommen. Möglich ist alles. Vielleicht solltest du dir eine Alarmanlage zulegen.« Er strich sich über den blonden Kinnbart. »Am besten lässt du dich mal von einer Firma für Sicherheitstechnik beraten. In Köln und Bonn gibt es eine ganze Reihe. Und hat nicht auch bei uns im Gewerbegebiet kürzlich eine eröffnet?«

»Das werde ich wohl tun müssen.« Jana nickte. »Gleich nachdem ich eine Spezialreinigungsfirma beauftragt habe, um meine Werkstatt von den Chemikalien zu befreien.«

Ihre Mutter drückte sie noch einmal an sich. »Wenn du irgendetwas brauchst, sagst du uns sofort Bescheid, ja? Oder wenn du eine Weile bei uns bleiben möchtest.«

»Das wird nicht nötig sein«, wehrte Jana rasch ab. »Trotzdem danke, Mama. Ich schätze, ich muss jetzt einfach abwarten. Nachher kommt noch ein Team von der Spurensicherung, das rund um die aufgebrochene Tür und die Schränke Fingerabdrücke nehmen will. Normalerweise machen das wohl die Polizisten selbst, aber weil die Einbrecher so viel kaputtgemacht haben, hoffen sie wohl, dass die Spurensicherung noch andere Spuren in der Werkstatt findet. Danach muss ich eine Liste mit allen gestohlenen oder zerstörten Gegenständen für die Versicherung anlegen.« Seufzend fuhr Jana sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Dabei wollte ich so gerne gleich mit meinen neuen Projekten anfangen. In wenigen Wochen beginnt ja schon der Weihnachtsmarkt, weil die Stadt den Start wegen des hundertjährigen Bestehens auf Anfang November vorverlegt hat. Dafür wollte ich dieses Jahr noch ein paar ganz besondere Schmuckstücke anfertigen. Bei einigen muss ich jetzt noch mal ganz von vorn anfangen, weil die Einbrecher die Vor- oder Gussformen zerstört haben, die ich im Lager hinter der Werkstatt aufbewahrt hatte. Neues Material muss ich auch erst besorgen. Hoffentlich sind nicht auch noch Werkzeuge zu Bruch gegangen.«

»Das tut mir alles so leid für dich.« Ihre Mutter schniefte ein wenig. »Ich wünschte, wir könnten mehr tun. Wenn du finanzielle Hilfe brauchst, bis die Versicherung zahlt – wir können dir sicherlich wenigstens vorübergehend etwas vorstrecken. Aber ich bin mir ganz sicher, dass du das schaffen wirst. Wir stehen dir auf jeden Fall zur Seite, so gut wir können. Nicht wahr, Helge?«

Janas Vater nickte bekräftigend. »Vielleicht wäre auch ein Wachdienst ganz gut, der hier nachts nach dem Rechten sieht, wenn du nicht da bist.« Er winkte ab. »Ja, ich weiß, das kostet ein Heidengeld. Aber man kommt schon auf solche Gedanken, wenn so etwas passiert.«

»Die Security beim Weihnachtsmarkt ist schon irre teuer.« Jana erhob sich, weil ihre Eltern aufbrechen wollten. »Ein einzelner Wachmann ist alles, was ich mir für diese Zeit leisten kann. Aber vielleicht frage ich trotzdem mal bei der Firma nach, was es kosten würde, wenn hier jemand wenigstens dann rauskommt und nach dem Rechten schaut, wenn ich längere Zeit unterwegs bin. Aber ihr braucht mir nichts vorzustrecken. Das ist furchtbar lieb von euch, aber damit will ich allein zurechtkommen. Ich habe ja ein bisschen was gespart. Bis die Versicherung zahlt, komme ich schon über die Runden.«

»Na gut, mein Schatz.« Ihre Mutter umarmte sie liebevoll. »Aber du weißt, dass unser Angebot steht. Vielleicht ist so ein zusätzlicher Wachmann ja doch erschwinglich. Auf jeden Fall würdest du dich sicherer fühlen – und wir auch. Und vergiss nicht, uns heute Abend noch mal anzurufen. Oder jederzeit, wenn etwas sein sollte!«

»Ja.« Jana lächelte zum ersten Mal wieder richtig. »Das mache ich.« Sie begleitete ihre Eltern noch bis zu deren Auto, mit dem sie gemeinsam hergekommen waren. Ihre Mutter würde ihren Vater jetzt wieder bei seiner Arbeitsstelle in einem Landmaschinenbetrieb im Gewerbegebiet auf der anderen Seite der Stadt absetzen und danach zu ihrem Friseursalon in der Annastraße zurückfahren, in dem Janas jüngere Schwester Ellie gerade die Stellung hielt.

Als die beiden außer Sichtweite waren, kehrte Jana zur Werkstatt zurück, ohne recht zu wissen, was sie jetzt tun sollte. Ihre Mitarbeiterin Melissa, die sie erst seit einem halben Jahr hauptsächlich für den Laden und zur Abwicklung der Käufe über ihren Onlineshop eingestellt hatte, war nach Hause gefahren, nachdem Jana ihr versichert hatte, dass sie allein zurechtkommen würde.

Melissa war nett, eine gute Verkäuferin und im Onlinemarketing unschlagbar, mit ihren fünfundzwanzig Jahren sechs Jahre jünger als sie selbst und immer hilfsbereit. Allerdings kannte sie sich noch nicht allzu gut mit der Glasbläserkunst oder Glasverarbeitung aus, sodass sie in der Werkstatt keine große Hilfe sein würde. Sobald die Polizei alle Spuren aufgenommen hatte, wollte Jana ganz in Ruhe den entstandenen Schaden begutachten. Morgen könnte sie dann mit Melissa zusammen die Unordnung im Laden beseitigen.

Sie musste sich beschäftigen, ganz gleich, wie, damit sie nicht erneut den Schrecken durchlebte, den sie bei der Entdeckung des Einbruchs empfunden hatte. Gleichzeitig versuchte sie sich damit zu trösten, dass, wie Melissa schon gesagt hatte, wirklich nur materielle Dinge zu Bruch gegangen oder gestohlen worden waren. Niemand war verletzt worden oder anderweitig zu Schaden gekommen. Das war das Wichtigste.

Doch je länger Jana sich dies einzureden versuchte, desto klarer wurde ihr, dass sie sich etwas vormachte. Man war in ihre Werkstatt eingebrochen und hatte niederträchtig nicht nur ihre Kunst gestohlen, sondern auch vieles davon zerstört. Diese Zerstörungswut hatte sie bis ins Mark getroffen.

Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, holte sie ihren Laptop aus dem Kofferraum ihres feuerroten Kleinwagens, wo auch ihr Gepäck noch immer darauf wartete, ausgeladen zu werden. Bis die Polizei wieder hier auftauchte, würde sie schon einmal eine Liste anlegen, in die sie alle zerbrochenen oder gestohlenen Gegenstände eintragen konnte. Und sie musste neue Chemikalien und Mineralien bestellen.

***

Es war bereits früher Abend, als Jana endlich ein wenig zur Ruhe kam. So etwas wie den Einbruch hatte sie ihr Leben lang noch nicht erlebt. Sie wohnte in einer ruhigen liebenswerten Kleinstadt, in der solche Dinge kaum jemals passierten, schon gar nicht in ihrem Bekanntenkreis. Das Schlimmste, was sie bislang erlebt hatte, war eine Schlägerei, die sich im vergangenen Jahr ausgerechnet am Heiligen Abend in ihrem Verkaufszelt auf dem Weihnachtsmarkt zugetragen hatte.

Eine Gruppe junger Männer hatte in betrunkenem Zustand herumgepöbelt und ein paar ihrer Glasskulpturen heruntergeworfen. Ein weiterer junger Mann, der oft am nahe gelegenen Stand der Sozialstation aushalf, hatte die Randalierer recht schnell und eindrucksvoll mit Muskelkraft hinausgeworfen und der herbeigerufenen Polizei übergeben.

Jana war damals richtig schockiert gewesen, doch das war nichts gegen das Wechselbad der Gefühle, dem sie heute ausgesetzt gewesen war. Zwar hatten die Polizisten sie weitgehend beruhigt, dass solche Täter kaum je zweimal am selben Ort zuschlagen würden, andererseits beunruhigte sie gleichzeitig der Verdacht, jemand könnte aus niederen Beweggründen gegen sie so viel kaputtgemacht haben.

Sie hatte doch keine Feinde! Im Gegenteil. Sie bemühte sich stets um Freundlichkeit und gute Schwingungen. Menschen, mit denen sie nicht auf Anhieb gut auskam, ging sie, wenn möglich, aus dem Weg, behandelte sie jedoch trotzdem stets mit Höflichkeit und Achtung. Diese Menschen konnten ja schließlich nichts dafür, wenn die Chemie zwischen ihnen nicht stimmte.

Natürlich hatte sie auch schon mal mit jemandem Streit gehabt oder Probleme mit einem Kunden oder einer Kundin, aber nichts davon war jemals so schwerwiegend gewesen, dass es einen solchen Überfall rechtfertigen würde. Nein, das war ausgeschlossen.

Dennoch hatte sie, bevor sie sich in ihr Zuhause zurückgezogen hatte, dreimal überprüft, ob sowohl an Werkstatt und Laden als auch an ihrem Haus alle Fenster und Türen fest verschlossen waren. Es war ein merkwürdiges Gefühl, jetzt hier allein auf der Couch zu liegen. Beunruhigend. Dabei hatte sie noch nie allein Angst gehabt. Vielmehr war sie immer stolz auf ihre Unabhängigkeit gewesen. Sie war selbstbewusst und erfolgreich, besaß viele Freunde, eine liebevolle Familie. Sie hatte sich bislang gesegnet und sicher gefühlt. Doch jetzt war jemand gewaltsam in einen Bereich ihres Lebens eingedrungen, ohne dass sie es hatte verhindern können, und das hatte eine Unsicherheit hinterlassen, die sie nicht einfach so abstellen konnte.

Vielleicht musste sie einfach zu ihrem normalen Alltag zurückfinden, um die gewohnte Sicherheit zurückzugewinnen. Der Gedanke führte dazu, dass sie sich wieder aufsetzte und die Teetasse auf dem Couchtisch abstellte. Alltag war ganz bestimmt das Zauberwort. Damit würde sie jetzt gleich anfangen. Rasch stand sie auf. Sie hatte noch gar nicht ihren Briefkasten geleert. Nach ihrer Abwesenheit war er bestimmt randvoll mit Werbeprospekten.

Also schloss sie noch einmal die Haustür auf und öffnete den Briefkasten. Dabei schauderte sie ein wenig, denn es hatte zu regnen angefangen, und ein kalter Herbstwind war aufgekommen. Sie entnahm tatsächlich einen dicken Packen an Briefen und Postwurfsendungen, schloss Briefkasten und Haustür wieder ab und kehrte auf die Couch zurück. Mit einem untergeschlagenen Bein setzte sie sich, schaltete mit der Fernbedienung ihren Fernseher ein, suchte sich bei einem Streamingdienst eine ihrer Lieblingsliebeskomödien heraus und ließ sie als Hintergrundberieselung laufen, während sie die Post durchsah.

Das meiste waren natürlich wie immer Werbeprospekte. Auch ein Katalog ihres bevorzugten Lieferanten von Chemikalien war darunter. Den legte sie separat, denn dort musste sie ja sowieso noch eine Bestellung aufgeben. Die Glasfachschule hatte ihr den neuen Kursplan geschickt. Dort waren bestimmt wieder interessante Seminare angekündigt, doch bis zum Jahresende würde sie wohl keine Zeit für weitere Fortbildungen haben.

Zwischen all den bunten Werbebroschüren steckte auch ein gepolsterter Umschlag, auf dem weder Absender noch Empfänger und auch keine Briefmarke zu finden waren. Der Inhalt fühlte sich hart und uneben an und klirrte ein wenig, als sie den Umschlag schüttelte. Hoffentlich war nichts zu Bruch gegangen! Neugierig, wer ihr wohl etwas vorbeigebracht hatte, öffnete sie den Umschlag und leerte ihn vorsichtig auf die massive Glasplatte ihres Couchtischs.

Einen langen Moment blickte sie still und fassungslos auf die bunten Glasscherben. Sie erkannte sie, denn es waren Teile einer Elfenskulptur, die sie erst vor wenigen Wochen erschaffen und in ihrem Laden zum Verkauf angeboten hatte. Sie hatte sie in ihrer Liste für die Versicherung als gestohlen eingetragen. Das konnte doch nicht sein! Hatten die Diebe die Skulptur mitgenommen und sie zerstört und ihr nun anonym zurückgegeben? Was sollte das? Janas Herz schlug schneller; ihr wurde kalt. Unbehaglich sah sie sich in ihrem mit hellen Landhausmöbeln eingerichteten Wohnzimmer um, doch ihr Blick wurde immer wieder von der zart pinkfarbenen Glaselfe angezogen – oder vielmehr von deren Überresten. Was ging denn hier vor?

Vorsichtig warf sie einen Blick in den braunen Luftpolsterumschlag. Es gab keine Nachricht oder irgendwelche Spuren, die darauf hinwiesen, wer der Absender war.

Eine unangenehme Gänsehaut rieselte Jana den Rücken hinab. Sie musste morgen früh sofort die Polizei verständigen. Offenbar erlaubte sich da jemand einen ganz üblen Scherz mit ihr. Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Schaudernd erhob sie sich wieder und ließ an allen Fenstern die Rollläden herunter. Danach kehrte sie zwar auf die Couch zurück, doch weder der inzwischen reichlich abgekühlte Tee noch die Liebeskomödie konnten sie jetzt noch ablenken, geschweige denn beruhigen.

3. Kapitel

»Okay, das war es für heute!« Grinsend rollte Viola die blaue Pilatesmatte zusammen. »Ich hoffe, ihr kriegt nicht zu schlimmen Muskelkater. Die neuen Übungen haben es in sich.«

»Da sagst du was.« Stöhnend rollte auch Jana ihre Matte zusammen. »Du kannst ja so eine Sadistin sein!« Versuchsweise beugte und streckte sie ihr rechtes Bein. »Wehe, davon bekomme ich nicht in Nullkommanix die perfekten Oberschenkel!«

Viola fuhr sich ordnend durch ihr zu einem frechen Pixie geschnittenes hellbraunes Haar. »Wo gibt es denn bei dir noch etwas zu perfektionieren? Du hast doch eine tolle Figur.«

»Ja, wenn man auf Größe vierzig bis zweiundvierzig steht.« Halb seufzend, halb lachend klopfte Jana sich selbst auf den Po. »Mit der Tendenz zu zweiundvierzig. Drunter schaffe ich es nicht. Wenn es dich und deinen mörderischen Pilateskurs nicht gäbe, würde leider auch alles an mir herumwabbeln.«

»Mörderisch?« Viola kicherte. »Na gut, ich gebe es zu, die neuen Übungen sind nur für Fortgeschrittene, aber genau das seid ihr ja inzwischen alle. Sogar Ricarda, die sich so gerne um den Kurs herumdrücken würde.« Sie grinste ihrer älteren Schwester zu, die gerade ihre Brille putzte und als Nächstes ihr brünettes schulterlanges Haar mit einer Spange zurückband.

Ricarda zog eine Grimasse. »Ich drücke mich nicht. Ohne die wöchentlichen Übungen könnte ich meinen Rücken in die Tonne kloppen.« Sie lachte selbst über ihre flapsige Ausdrucksweise. »Ich komme nur nicht so regelmäßig dazu, die Übungen auch zu Hause zu machen.«

»Ja, weil du als Frischvermählte ganz andere Beschäftigungen zur körperlichen Ertüchtigung bevorzugst.« Wieder kicherte Viola. »Aber egal. Hauptsache, du bewegst dich genug.«

»Pff!« Ricarda grinste anzüglich. »Vielleicht lasse ich ja auch meinen Mann die ganze Bewegungsarbeit verrichten.«

Die drei Frauen prusteten, und auch einige der anderen Teilnehmerinnen lachten, verabschiedeten sich dann aber rasch.

»Wie läuft es denn im Laden?«, wechselte Viola das Thema, an Jana gewandt. »Ist inzwischen wieder alles in Ordnung? Der Einbruch ist ja jetzt schon ein Weilchen her. Zwei Wochen, oder?«

»Knapp«, bestätigte Jana. »Die Versicherung hat schon jemanden geschickt und bestätigt, dass sie mir den entstandenen Schaden ersetzen wird. Wahrscheinlich sogar schon im Lauf der kommenden Woche.«

»Oh, gut, wenigstens etwas.« Viola, mit der Jana bereits zur Schule gegangen war, legte ihr eine Hand auf den Arm. »Auch wenn das den ganzen Ärger natürlich nicht aufwiegen kann.« Prüfend musterte sie Jana. »Und sonst geht es dir auch gut?«

Jana nickte gewohnheitsmäßig, zögerte, nickte dann noch einmal. »Ja, im Grunde schon. Mir ist ja weiter nichts passiert.«

»Das klingt aber nicht sehr überzeugend«, mischte Ricarda sich ein. Besorgt trat sie ebenfalls an Jana heran. »Stimmt etwas nicht?«

Jana zögerte erneut. Sie wollte niemanden mit ihren Problemen belasten. Andererseits machte sie sich inzwischen wirklich Sorgen, und vielleicht war es ganz gut, wenn sie sich ihren Freundinnen anvertraute. Also gab sie den beiden ein Zeichen, sich mit ihr auf die Bank an der Längsseite der kleinen Sporthalle des Sternbach-Resorts zu setzen. »Seit dem Einbruch ist noch etwas passiert«, gab sie zu. »Neuerdings bekomme ich merkwürdige Briefe. Gepolsterte Umschläge ohne Absender oder Briefmarke, in denen mir die gestohlenen Skulpturen zurückgegeben werden, aber immer zerschlagen.«

»Was?« Entgeistert starrte Viola sie an. »Hast du das der Polizei gesagt?«

»Selbstverständlich.« Jana nickte unglücklich. »Aber die sagen, sie könnten nichts tun. Es gibt keinen Absender und auch keine Fingerabdrücke. Der erste Umschlag wurde noch untersucht, danach aber nicht mehr. Der Aufwand ist zu groß dafür, dass man dann kein Ergebnis bekommt. Sie gehen aber davon aus, dass ich wohl einen Feind oder einen Stalker habe.«

»Stalking ist doch eine Straftat!« Ricarda ergriff Janas Hand. »Dagegen müssen sie was tun!«

»Umschläge in Briefkästen zu werfen, ist nicht verboten, sagten sie, und dass ich einfach aufpassen solle, ob doch mal ein Absender oder eine Spur auftaucht, die dann natürlich nachverfolgt werden kann. Aber solange es keine konkreten Hinweise gibt, können sie nichts tun.«

»Also sollst du deren Arbeit machen?« Empört verzog Viola den Mund. »Wozu haben wir die Polizei denn?«

»Die Polizei mischt erst wieder mit, wenn es in dieser Hinsicht tatsächlich eine Straftat gab.« Verzagt hob Jana die Schultern. »Sie ermittelt erst mal nur weiter gegen die Einbrecher, auch wenn das vermutlich fruchtlos sein wird, weil die ja auch keine Spuren hinterlassen haben. Das Stalking, oder was auch immer es sein soll, ist anscheinend noch nicht schlimm genug, weil ich ja nicht mal einen Verdächtigen nennen kann.«

»Unfassbar.« Ricarda schüttelte verdrießlich den Kopf. »Was, wenn irgendwann mal etwas Schlimmeres in den Umschlägen steckt und du verletzt wirst? Muss wirklich erst so etwas passieren?«

»Ich fürchte, ja.« Jana nickte. »Ich traue mich kaum noch, meinen Briefkasten aufzumachen. Vor allem, weil die Briefe ja nicht mit der Post kommen. Jemand steckt sie irgendwann tagsüber oder nachts hinein.«

»Derjenige kommt also persönlich zu dir ans Haus?« Viola schauderte. »Da hätte ich auch Angst.«

»Hast du dich schon mal auf die Lauer gelegt?« Ricarda sprang auf und ging aufgebracht vor der Bank auf und ab. »Vielleicht erwischst du denjenigen ja auf frischer Tat.«

»Das habe ich schon versucht«, antwortete Jana. »Aber immer dann passiert nichts. Ich kann auch nicht die ganze Nacht aufbleiben, denn schließlich muss ich ja tagsüber arbeiten und ausgeschlafen sein.«

»Und tagsüber?«, hakte Ricarda nach. »Ist dir da schon mal etwas aufgefallen? Ein fremdes Auto oder … irgendwas?«

»Nein. Ich habe mich sogar schon mal mit Melissa abgewechselt und über den Tag meinen Briefkasten beobachtet. Und weil das so umständlich ist, hat sie mir neulich eine Kamera mitgebracht, die sie online bestellt hat, aber darauf war auch nichts zu erkennen, und sie ist schon zweimal umgekippt oder heruntergefallen, und jetzt funktioniert sie schon nicht mehr richtig.«

»Melissa ist deine Aushilfe, oder?« Auch Viola erhob sich.

»Ja. Also nein, keine Aushilfe. Ich habe sie fest für halbtags eingestellt. Sie hat sich angeboten, mir beim Beobachten zu helfen.«

»So ein Mist.« Ricarda verzog besorgt die Lippen. »Hast du irgendeine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?«

»Das ist es ja.« Einen Moment schloss Jana die Augen. Als sie sie wieder öffnete, blickte sie verzagt zu den beiden Freundinnen auf. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer etwas gegen mich haben könnte.«

Ricarda blieb abrupt stehen. »Ich habe eine Idee.« Sie wandte sich Jana zu. »Du könntest einen Detektiv beauftragen.«

»Du meinst Oliver?«, mischte Viola sich ein. »Hat er dafür Zeit? Er arbeitet doch so viel für Franks Kanzlei.«

»So viel nun auch wieder nicht«, schränkte Ricarda ein. »Er nimmt schon auch noch Aufträge von Privatpersonen an.«

»Ein Detektiv?« Skeptisch sah Jana zu den beiden Frauen auf. »Ist das nicht übertrieben und ziemlich teuer?«

»Vielleicht können wir einen Familien- und Freunderabatt aushandeln«, schlug Viola vor. »Wenn die Polizei nichts unternimmt, wäre Oliver vielleicht wirklich eine Möglichkeit. Immerhin hat er Erfahrung in solchen Sachen, und du müsstest dich nicht mehr Tag und Nacht darum kümmern und dir Sorgen machen. Bei ihm wären das Problem und deine Sicherheit in guten Händen.«

Jana blieb weiterhin skeptisch. »Ich weiß nicht. Ich hatte noch nie etwas mit einem Privatdetektiv zu tun.«

»Einmal ist immer das erste Mal«, dozierte Ricarda. »Ich schicke dir nachher per Textnachricht seine Kontaktdaten. In meinem Smartphone habe ich, glaube ich, nur seine Handynummer. Aber er hat auch eine Website, da kannst du dich vorab informieren.«

Unbehaglich nickte Jana. »Wenn ihr meint …«

»Überleg es dir einfach«, ermutigte Viola sie. »Vielleicht ist der Spuk ja auch so schnell wieder vorbei, wie er angefangen hat. Aber wenn du noch mal so einen Umschlag bekommst, solltest du schon darüber nachdenken, dir professionelle Hilfe zu suchen.«

»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Ricarda zu. »Nicht dass du am Ende doch noch verletzt wirst, obwohl man es hätte verhindern können.«

»Na ja, das stimmt schon«, gab Jana zu. »Aber erst mal warte ich noch ab. Vielleicht beruhigt sich die Situation ja wieder.« Sie hoffte es so sehr! »Wie du schon sagtest, es ist jetzt schon zwei Wochen her. Der letzte Umschlag kam vor drei Tagen, am Samstag. Seither nichts mehr.«

»Wir drücken dir ganz fest die Daumen«, versprach Viola. »Vielleicht hat derjenige ja den Spaß an dem Unsinn verloren.«

***

Jana zögerte fast eine Minute, bevor sie den Briefkasten aufschloss und drei Umschläge hervorzog. Ihre Erleichterung, dass auch heute kein Scherbenbrief dabei war, ließ sie beinahe taumeln. Anscheinend hatte die Person tatsächlich die Lust verloren, sie mit den Umschlägen in Aufregung zu versetzen. Darüber war Jana so glücklich, dass sie gut gelaunt ihre Lieblingsplaylist anstellte und nur Augenblicke später Tanz mit mir von der Gruppe Faun lauthals mitsang, während sie ihre Sportkleidung in die kleine Waschküche im Keller trug. Sie hatte im ganzen Haus Lautsprecher installieren lassen, sodass sie ihre Lieblingsmusik, wenn sie wollte, überall gleichzeitig hören konnte.

Fröhlich tänzelte sie die Treppe wieder hinauf, schnappte sich ihr Smartphone, das gerade einen Signalton von sich gegeben hatte, und antwortete auf Ricardas Textnachricht mit den Kontaktdaten dieses Oliver Jones mit einem Daumen-hoch und einem Kusssmiley. Wie es aussah, würde sie gar keinen Detektiv benötigen. Ihre Erleichterung darüber war immens.

***

»Du kleines Rabenaas, was hast du mit meinem Schuh gemacht?«, schimpfte Oliver, konnte sich aber das Lachen beim Anblick des unförmigen Klumpens Leder, den er aus dem Körbchen seines neuen Mitbewohners Scottie gefischt hatte, nicht verkneifen.

Scottie, seines Zeichens Bordeauxdogge mitten in der Pubertät, legte nur den Kopf schräg und blickte mit vollkommener Unschuldsmiene zu seinem neuen Herrchen auf. Ich weiß gar nicht, was du meinst. Der Schuh lag einfach so da, genau neben der Couch. Ich dachte, er wäre für mich, so wie der Kauknochen, den du mir gestern gegeben hast. Geschmeckt haben beide ziemlich ähnlich. Nur diese komischen Bändel an dem Schuh waren etwas fisselig. Aber man gewöhnt sich daran.

»Die Schuhe waren teuer! Kannst du mir mal verraten, was ich jetzt damit machen soll?« Oliver wedelte mit dem Ex-Schuh vor Scotties Nase herum. »Ich kann ja wohl kaum nur mit einem Schuh durch die Gegend laufen.« Da es sinnlos war, den Hund im Nachhinein zu schelten, warf er das angesabberte Ding in den Abfalleimer in der Küche. Nach einem resignierten Seufzen ließ er auch den intakten zweiten Schuh folgen. »Allzu oft darfst du das nicht machen, sonst muss ich demnächst barfuß gehen.«

Ich gehe immer barfuß. Was soll daran denn so schlimm sein?

Mit einem schiefen Grinsen ließ Oliver sich auf seine Couch fallen und klopfte gegen seinen Oberschenkel. »Na, komm mal her, Scottie!«

Ja, soll ich? Scottie erhob sich von seinem derzeitigen Liegeplatz mitten in dem kleinen Wohnzimmer und tappte auf Oliver zu. Was willst du denn von mir?

»Na, komm, nicht so schüchtern, du kleines Monster.« Noch einmal klopfte Oliver gegen sein Bein. »Ich bin dir nicht böse. Oder doch, ja, aber ich schimpfe nicht. Bringt ja doch nichts, wenn ich dich nicht in flagranti erwische.«

Was ist denn in flagranti?

»Lass dich mal streicheln.«

Oh, das klingt gut, da bin ich dabei. Mit wenigen Schritten war Scottie bei Oliver und schnaufte wohlig, als dieser ihn hinter den Ohren kraulte. Hm, ja, das gefällt mir gut!

»Schmusemonster«, murmelte Oliver amüsiert. »Verrat das hier bloß niemandem, sonst ist mein Ruf als harter Hund dahin.«

Hä? Ich dachte, ich bin der Hund, nicht du. Müsste es nicht harter Mensch heißen? Zumindest fühlst du dich so an. Das habe ich gemerkt, als wir kürzlich draußen herumgetobt haben. Deine Arme, Beine, Bauch, Brust, alles fühlt sich hart und stark an. Gefällt mir gut, weil ich gerne ein Herrchen habe, bei dem ich mich sicher fühlen kann. Dann kann ich mich richtig entspannen und, na ja, Unsinn aushecken. Wiff.

»Du bist schon eine Marke.« Schmunzelnd kraulte Oliver den Hund am Bauch, als dieser sich mit hellen Lauten des Wohlbefindens auf den Rücken warf. »Aber deine kleinen Unarten müssen wir dir noch abgewöhnen, sonst bekommen wir irgendwann Probleme.«

Ich habe doch keine Unarten! Was soll das überhaupt sein?

»Wenn wir das nicht allein in den Griff bekommen, muss ich uns in der Hundeschule anmelden.«

Hundeschule? Abrupt drehte Scottie sich wieder um und sprang auf die Füße. Ist das so was wie das Tierheim? Heftig schüttelte er sich. Da will ich nicht mehr hin! Das war total blöd.

»Ja, genau.« Bekräftigend nickte Oliver. »Du hast richtig gehört. Hundeschule. Ich habe zwar eine Tonne Bücher über Hundeerziehung gelesen, aber wenn du dich nicht bald ein bisschen besser benimmst, muss ich mir professionelle Hilfe suchen.« Er streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. »Dass ich mir aber auch ausgerechnet einen Hund ausgesucht habe, der sich mitten in der Pubertät befindet. Ich hätte wissen müssen, dass das nicht einfach wird. Ist ja nicht so, als hätten sie mich im Tierheim nicht vorgewarnt.«

Scottie tappte wieder näher. Magst du mich jetzt nicht mehr?

»Ach, komm her!« Schmunzelnd kraulte Oliver den Hund hinter den Ohren. »Wir kriegen das schon hin, du und ich, oder?«

Klar. Ich mag dich jedenfalls. Manchmal kann ich halt nicht anders und stelle etwas an. Ich muss schließlich alles mal ausprobieren.

»Gut, dass ich Urlaub habe. Bis der um ist, haben sich die Dinge bei uns hoffentlich ein bisschen eingespielt. Ich schätze, ich hätte dich heute noch nicht für zwei Stunden allein lassen dürfen, was?«

Ja, genau! Das war nicht nett. Ich habe mich total gelangweilt und hatte auch ein bisschen Angst, dass du nicht mehr wiederkommst. Wenn ich nervös bin oder Angst habe, muss ich immer irgendwas ankauen. Der Schuh kam mir da gerade recht.

»Ich musste aber dringend einkaufen. Mein Rasierapparat hat nämlich den Geist aufgegeben.« Oliver fuhr sich über Kinn und Wangen, die von dunklen Bartstoppeln übersät waren, denen er normalerweise nach fünf bis sechs Tagen zu Leibe rückte, die nun aber schon fast doppelt so lange Zeit zum Wachsen gehabt hatten.

Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber mir ist es auch ganz egal, wie du aussiehst. Hauptsache ist, du magst mich und ich darf bei dir bleiben.

»Tja, was stellen wir mit dem Rest des Nachmittags an? Vielleicht ein Ausflug in den Park? Dort können wir noch ein bisschen an deiner Leinenführigkeit arbeiten.«

Park klingt gut. Scottie wedelte eifrig mit der Rute. Leinenführigkeit nicht so. Wozu überhaupt eine Leine? Ohne können wir doch viel besser spielen.

»Na, dann komm, wir …« Als sein Smartphone klingelte, ließ Oliver sich wieder in die Polster sinken und fischte es aus seiner Hosentasche. »Moment«, vertröstete er Scottie und nahm nach einem Blick auf die unbekannte Nummer auf dem Display den Anruf an. »Jones.«

»Ja, ähm, hallo. Mein Name ist Jana Weißmüller. Bin ich mit Herrn Oliver Jones verbunden? Dem, äh, Privatdetektiv?«

Oliver setzte sich aufrecht hin. »Ja, der bin ich. Eigentlich habe ich gerade Urlaub, aber …«

»Oh, tut mir leid. Ich wollte Sie nicht stören.«

»Schon okay.« Er räusperte sich. »Worum geht es denn, Frau Weißmüller?«

»Ich, also … Ricarda hat mir Ihre Detektei empfohlen. Ricarda Hellberger. Sie hat gesagt, ich solle mich an Sie wenden, wenn noch mal etwas passiert. Und, na ja, es ist jetzt etwas passiert, und ich weiß nicht mehr weiter. Die Polizei kann mir nicht helfen, weil keine ernsthafte Straftat vorliegt, aber ich will nicht riskieren, dass etwas Schlimmes geschieht.«

Oliver, der es gewohnt war, mit Klienten oder Klientinnen zu sprechen, die nie zuvor mit einem Privatdetektiv zu tun gehabt hatten, ließ sie ausreden und wartete danach einen Atemzug, bevor er antwortete. »Was genau ist denn passiert?«

»Ich habe wieder einen Brief erhalten. Diesmal nicht mit Scherben …« Es folgte ein hörbares Ein- und Ausatmen. »Entschuldigung, ich muss weiter ausholen, sonst verstehen Sie ja kein Wort. Ich wurde vor zweieinhalb Wochen ausgeraubt. Also nicht ich, sondern meine Werkstatt und mein Laden. Danach erhielt ich alle paar Tage Umschläge, in denen sich jeweils eine meiner gestohlenen Skulpturen befand. Die Sendungen waren anonym, und die Skulpturen darin waren zertrümmert worden. Auch bei dem Einbruch wurde vieles zerstört. Als Ricarda vorschlug, Sie anzurufen, dachte ich erst, das wäre übertrieben. Einige Tage waren keine Umschläge mehr gekommen, aber heute war wieder einer im Briefkasten. Diesmal enthielt er keine Scherben, sondern stattdessen Fotos und, äh, also … So etwas wie eine Botschaft, schätze ich.«

»Eine Botschaft?« Olivers Interesse war längst geweckt. »Welcher Art?« Er vernahm ein leises Rascheln, dann wieder Jana Weißmüllers Stimme.

»Du hast es nicht anders verdient.« Wieder raschelte es. »Das steht auf einem Zettel, der den Fotos beilag. Die Wörter sind aus Zeitschriften ausgeschnitten, so wie bei Erpresserbriefen in schlechten Filmen.«

»Und was sind das für Fotos?« Er hörte, wie die Frau schluckte. Als sie antwortete, klang ihre Stimme gepresst.

»Fotos von meinem Laden und der Werkstatt gleich nach dem Einbruch. Der Dieb oder die Diebe müssen sie gemacht haben.«

»Und das haben Sie alles auch schon der Polizei gemeldet?«

»Natürlich, aber die sagen, dass sie nicht viel tun können, wenn nicht …«

»Wenn keine verwertbaren Spuren auftauchen«, vollendete Oliver den Satz grimmig. »Ich kenne die Vorgehensweise, und sie ist ja auch nachvollziehbar. Ohne sie wäre ich um viele Aufträge ärmer. Wenn Sie möchten, komme ich zu Ihnen, dann besprechen wir die Sache noch einmal persönlich.«

»Aber Sie sagten doch, dass Sie Urlaub haben.«

»Den kann ich auch verschieben.« Sein Blick fiel auf Scottie. »Eine Frage hätte ich allerdings.«

»Welche?«

»Haben Sie etwas gegen Hunde? Falls ja, muss ich mir einen Sitter suchen.«

»Hunde?« Sie klang überrascht. »Nein, also ich habe nichts gegen sie. Im Gegenteil. Ich mag Hunde.«

»Gut.« Er lächelte Scottie zu, der daraufhin leicht mit der Rute wedelte. »Dann bringe ich meinen Hund mit, wenn ich darf. Ich habe ihn erst seit drei Wochen, und ich kann ihn noch nicht lange allein lassen. Zumindest nicht, wenn ich noch eine Weile etwas von meinen Schuhen haben möchte.« Er schwieg einen kurzen Moment, bevor er fortfuhr: »Haben Sie jemandem gesagt, dass Sie mich engagieren wollen?«

»Nein, bisher nicht. Ich hatte nur mit Ricarda und ihrer Schwester Viola darüber geredet. Warum?«

»Weil Sie das besser auch weiterhin für sich behalten. Ich habe es leichter, wenn niemand außer Ihnen weiß, dass ich Detektiv bin.«

»Aha, ja, okay …«

»Ich könnte morgen Vormittag zu Ihnen kommen, wenn Sie mir Ihre Adresse verraten. An Ihrer Vorwahl sehe ich, dass Sie in derselben Stadt wie Ricarda wohnen?«

»Ja, wir sind zusammen zur Schule gegangen. Ich wohne im Katharinenweg 20 bis 22. Nummer 20 ist meine Werkstatt mit dem Laden, die 22 mein Haus.« Es entstand eine kurze Pause. »Morgen Vormittag bin ich zwar in der Werkstatt beschäftigt, aber Sie können trotzdem herkommen. Melissa, meine Angestellte, kommt erst gegen halb zwei, damit sie um zwei den Laden öffnen kann.«

»Gut.« Da er urlaubsbedingt keine weiteren Termine hatte, erübrigte sich ein Blick in den Kalender. »Also morgen Vormittag gegen zehn? Oder lieber elf Uhr?«

»Kommen Sie einfach, wann Sie wollen.« Sie lachte leise. »Wenn ich gerade mit einer Skulptur beschäftigt bin, müssen Sie so oder so warten, bis ich fertig bin.«

»Ach.« Er verdrehte erheitert die Augen. Mit Künstlern hatte er bereits so einige Erfahrungen sammeln dürfen. »Was für Skulpturen sind das denn, wenn ich fragen darf?«

»Glasskulpturen. Ich kreiere aber auch schöne Alltagsgegenstände und Schmuck.«

»Glas? Moment mal. Sind Sie die Jana Weißmüller von Art in Glass?« Vor Verblüffung sprang er auf die Füße. »Meine Schwester schwärmt mir seit Wochen von Ihren Kunstwerken vor.«

»Wirklich?« Jana klang erfreut. »Das ist schön. Ich … Oh, da kommt Kundschaft. Melissa ist heute nicht hier. Ich habe sie losgeschickt, ein paar Sachen aus dem Baumarkt zu holen.«

»Aus dem Baumarkt?«, echote er verwirrt.

»Ja, ein paar Werkzeuge. Ich … Entschuldigen Sie bitte. Wir sehen uns dann morgen?«

»Ja, klar.«

»Gut. Bis dann.« Er hörte noch, wie sie die Kundschaft freundlich begrüßte, bevor die Leitung unterbrochen war, dann stieß er einen Pfiff aus, erhob sich und ging hinüber in seine kleine Arbeitsecke mit dem Laptop. Rasch schaltete er ihn ein und rief die Website Jana Weißmüller – Art in Glass im Webbrowser auf.

Moment mal! Ich dachte, wir gehen in den Park! Wedelnd war Scottie ihm gefolgt und stieß ihn auffordernd mit der kalten Nase an.

»Nicht jetzt, Scottie!« Oliver hatte sich bereits in die Recherche vertieft. »Das schaue ich mir erst an. Danach bist du dran.«

Das will ich auch sehr hoffen! Du kannst mir nicht einfach Hoffnung auf einen Parkbesuch machen und dann ewig vor diesem komischen Ding mit den bunten Bildern sitzen.

»Hm … Sieh mal einer an«, murmelte Oliver. »Hübsch ist sie auch noch.«

Wer ist hübsch?

»Aber das ist ja im Grunde unerheblich. Warte mal …«

Worauf denn jetzt noch?

»Sie hat sogar einen Blog und berichtet darin aus ihrem Künstlerinnenalltag. Oha, sogar über den Einbruch hat sie gebloggt. Mit Bildern …« Schon hatte sich Oliver gänzlich in seine Arbeit vertieft.

Scottie ließ sich mit einem missbilligenden Schnauben neben Olivers Stuhl fallen. Ob es hier irgendwo noch weitere Schuhe gab, die er ankauen könnte?

4. Kapitel

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet!« Der Weihnachtsmann rieb die Handflächen aneinander. »Alles läuft nach Plan.«

»Nach Plan?« Erstaunt trat Elfe-Sieben neben ihn und warf einen Blick auf die Daten auf dem Computerbildschirm. Als sie die Bilder vom Einbruch sah, rang sie entsetzt nach Atem. »Du liebe Zeit, das ist ja furchtbar! War das etwa dein Werk? So etwas Schlimmes hast du doch noch nie gemacht!«

»Was?« Verwirrt wandte Santa Claus sich der kleinen Elfe zu, dann blickte er wieder auf den Bildschirm. »Oh! Nein, selbstverständlich habe ich nichts mit diesem entsetzlichen Einbruch zu tun. Das ist eine schlimme Sache. Hoffentlich finden sie die Verantwortlichen. Ich meinte diese andere Sache. Warte, ich lege den Feed mal auf einen der Bildschirme an der Videowand.« Er gab ein paar Befehle ein. Augenblicke später sprang an der großen Videowand einer der Flachbildschirme an und zeigte abwechselnd verschiedene Szenen aus Jana Weißmüllers Leben an. »Moment … Hier, das meine ich.« Der Weihnachtsmann nahm noch ein paar Justierungen vor, bis auch Bilder anderer Personen erschienen.

Neugierig trat Elfe-Sieben an den Bildschirm heran. »Ach so! Jetzt verstehe ich, was du vorhast. Aber wie konntest du wissen, dass Jana ausgerechnet Oliver engagieren würde? Du konntest doch gar nicht ahnen, dass bei ihr eingebrochen wird, und noch viel weniger, dass jemand ihr solche unheimlichen Botschaften schickt.«

»Das wusste ich in der Tat nicht, aber ich hatte ja das mit Olivers Schwester herausgefunden.«

»Seine Schwester? Wer ist das?«

Der Weihnachtsmann lächelte siegesgewiss. »Schau mal genau hin! Ich dachte erst, ich könnte Oliver als Mittelsmann einsetzen, wegen seiner Schwester. Aber so, wie es sich jetzt entwickelt, ist es vielleicht noch besser.«

»Wieso besser? Was soll Oliver denn tun?« Fragend zog die kleine Elfe die Augenbrauen zusammen.

»Warte es ab.« Wieder rieb der Weihnachtsmann seine Handflächen aneinander. »Im Grunde bleibt er der Mittelsmann, nur auf eine etwas andere Weise, als ich zunächst dachte.«

»Du sprichst in Rätseln, Santa!«, beschwerte sich Elfe-Sieben.

»Das war nicht meine Absicht.« Santa Claus stand auf und trat ebenfalls an die Videowand heran. »Weißt du, ich habe bei meinen Recherchen etwas über Jana herausgefunden, das mir die Erfüllung ihres Herzenswunsches etwas erschwert. Oliver könnte der Schlüssel zum Erfolg sein, wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle.«

»Ich verstehe immer noch nur Bahnhof!« Elfe-Sieben seufzte. »Du willst doch wohl kein großes Chaos anrichten und die beiden miteinander verkuppeln, oder? Ich sehe gerade nicht, wie das Janas Wunsch, mit ihrer Kunst weltbekannt zu werden, erfüllen sollte. Insbesondere weil die beiden so gar nicht zusammenpassen. Sie sind viel zu verschieden.«