AUF ZAUBER KOMM RAUS - Scott Meyer - E-Book

AUF ZAUBER KOMM RAUS E-Book

Scott Meyer

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Beschreibung

"Der Weg des jungen Zauberers Martin ist ein ganz anderer als der eines Harry Potter, aber ganz sicherlich nicht weniger unterhaltsam." [Lesermeinung] Die Abenteuer von Martin Banks, dem Hacker aus Amerika mit der Fähigkeit, die Realität zu verändern, gehen weiter … Einen Monat ist es nun her, seit Martin dabei geholfen hat, dem bösen Programmierer Jimmy das Handwerk zu legen, und die Dinge könnten für ihn eigentlich nicht besser laufen. Abgesehen von seinem Liebesleben. Denn Gwen, das Mädchen seiner Träume, hat sich nach Atlantis aufgemacht, einem toleranten, von Zauberinnen regierten Königreich, das dafür bekannt ist, gerade für weibliche Zeitreisende ein sicherer Hafen zu sein. Zum Glück werden Martin und Phillip nach Atlantis zu einem Gipfeltreffen der Anführer aller Zeitreisekolonien eingeladen. Für Martin DIE Gelegenheit, noch einmal sein Glück bei Gwen zu versuchen. Aber natürlich sprechen wir hier von Martin Banks, der nicht einfach nur in Ruhe im zweiten Anlauf mit seiner großen Liebe anbändeln kann, sondern es stattdessen mit Mord, Intrigen und jeder Menge Geheimnissen zu tun bekommt. Scott Meyers "Auf Zauber komm raus", der zweite Teil der urkomischen "Magic 2.0"-Reihe, setzt genau da an, wo "Plötzlich Zauberer" endete: mit Witz, skurrilen Einfällen und der Erkenntnis, dass einem selbst die Macht über Raum und Zeit nichts nützt, wenn man einfach nur immer wieder verdammtes Pech hat.

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MAGIC 2.0

Auf Zauber komm raus

Band 2

Scott Meyer

This edition made possible under a license arrangement originating with Amazon Publishing, www.apub.comText copyright © 2014 Scott Meyer All rights reserved.No part of this book may be reproduced, or stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without express written permission of the publisher.First published by 47North, Seattle www.apub.com

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: SPELL OR HIGH WATER Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-256-8

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

MAGIC 2.0 - Auf Zauber komm raus
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Zweiter Epilog
Danksagungen
Über den Autor

Kapitel 1

Es war ein ganz normaler Abend im Verrotteten Stumpf. Draußen ging die Sonne unter und die Stadt wurde still. Drinnen brannten Kerzen und die Gäste wurden laut.

Martin materialisierte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er staunte darüber, wie schnell die Leute sich an Dinge gewöhnen konnten. Da stand er nun, ein erwachsener Mann in glänzendem Silbergewand nebst spitzem Hut. Scheinbar aus dem Nichts zusammengeflossen, einen Stab schwingend, an dessen Spitze sich die Büste eines maskierten mexikanischen Wrestlers befand – und weder die mittelalterlichen Bauern, noch er selbst fanden das seltsam.

Ein Passant grüßte höflich, während er um Martin herumging. Martin erwiderte den Gruß und überquerte die Straße. Noch vor drei Monaten war er eine dreiundzwanzigjährige Dateneingabedrohne in Seattle gewesen, die in ihrer Freizeit gern in Firmencomputern herumstöberte. Vor zwei Monaten waren dann Dinge passiert, aus denen er nicht so recht schlau wurde, obwohl er sie alle selbst erlebt hatte. Irgendwann hatte er sich in dieser Taverne im Jahr 1150 wiedergefunden und versuchte seither, als Zauberer durchzugehen. Vor nicht ganz einem Monat dann hatte er, mit einiger Hilfe, seine Ausbildung zum Zauberer abgeschlossen und in wenigen Augenblicken würde Martin gleich seinen ersten eigenen Lehrling kennenlernen.

Es war keine große Überraschung, dass der neue Lehrling hier im Verrotteten Stumpf aufgetaucht war. Wenn man rückwärts durch die Zeit flieht, braucht man logischerweise einen geologischen Orientierungspunkt für die Landung, und wenn man nach England will, gibt es da kaum einen besseren als die Klippen von Dover. Die Straße an den Klippen führte in die Stadt, nach Leadchurch, und die Taverne war die erste öffentliche Einrichtung, auf die man traf, wenn man der Straße folgte. Viel überraschender war also, dass Martin beordert worden war, um den Neuankömmling zu begrüßen.

Martin war in seiner Werkstatt gewesen, als er von Phillip gerufen wurde. Es gab die Kunde von der Ankunft eines Fremden, der behauptete, magische Kräfte zu besitzen. Das würde sich jemand ansehen müssen. Phillip hätte den viel kürzeren Weg gehabt, aber er war neuerdings Vorsitzender des Rats der Zauberer und als solcher musste er an andere delegieren. Andere bedeutete in den meisten Fällen Martin. Außerdem saß der neue Zauberer in der gleichen Taverne, in der Phillip vor gerade mal zwei Monaten Martin vorgefunden hatte. Phillip mochte die Symmetrie der Ereignisse, weshalb er jetzt Martin als Begrüßungskomitee losschickte.

Martin ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Seit Beginn seiner eigenen Ausbildung hatte er sich darauf gefreut, selbst einmal jemanden unterweisen zu können, denn diese war eine Reihe demütigender Psychospiele, verwirrender Enthüllungen und kindischer Streiche gewesen. Er hatte vieles als zutiefst unangenehm empfunden und er wollte einen eigenen Lehrling haben. Es wäre die Gelegenheit, jemand anders all diese fürchterlichen Erfahrungen machen zu lassen, anstatt sie selbst ertragen zu müssen.

Martin blieb noch mal stehen, bevor er die Taverne betrat. Er erinnerte sich an jene Nacht vor zwei Monaten, als er angekommen war, hungrig und ziemlich verängstigt. Er hatte sich den Gästen vorgestellt und beim Versuch, seine Fähigkeiten zu demonstrieren, sich selbst in eine Lachnummer verwandelt. Schließlich hatte Phillip ihn zu einem Duell herausgefordert und ihn dabei so weggeblasen, dass er bis in den Wald geflogen, mit dem Kopf an einen Baum geknallt und bewusstlos liegen geblieben war. Ihm gefiel der Gedanke, jetzt mal die Oberhand zu haben und so betrat er die Taverne.

Der ziemlich überfüllte Raum war warm und hatte freiliegende Deckenbalken. Kerzen und der Sonnenuntergang, der durch die Fenster sickerte, waren die einzigen Lichtquellen, was allerdings romantischer klang, als es war. Genau genommen würde nicht mal die Romantik selbst romantisch wirken, wenn man sie im Verrotteten Stumpf treffen würde.

Martin ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Es war viel los. Starke Männer tranken starkes Gebräu und benutzten starke Worte. Er suchte nach einem einigermaßen jungen Mann (wie er selbst einer war), der deplatziert wirkte (wie er selbst wirkte) und sich vermutlich bereits in arge Schwierigkeiten gebracht hatte (so wie es bei ihm selbst gewesen war). Während er so ins Dunkle starrte, vernahm er eine tiefe, dröhnende Stimme: »Martin der Prachtvolle!«

Martin versuchte, nicht zusammenzuzucken. Eine seiner ersten Handlungen hier im mittelalterlichen England war es gewesen, sich diesen Spitznamen zu geben. Wie alle selbstgegebenen Spitznamen war das ein Fehler gewesen; ein furchtbar peinlicher Fehler, der ihn nun verfolgte. Pete, der Besitzer des Verrotteten Stumpfs, dessen fehlender rechter Unterarm der Taverne ihren Namen gegeben hatte, erhob sich von einem grob gezimmerten Tisch in der Ecke des Raumes und kam mit einem breiten Lächeln auf Martin zu.

»Martin, wie gut dich zu sehen, Junge. Phillip hatte wohl keine Zeit?«, fragte Pete und klopfte Martin auf die Schulter.

»Ja, er hat zu tun, deswegen hat er mich geschickt. Gibt's ein Problem, Pete?«

»Überhaupt kein Problem«, antwortete dieser. »Nur ein neuer Zauberer in der Stadt, nichts weiter. Kam hier in komischen Klamotten rein. Ich habe gleich den Jungen geschickt, um Phillip zu holen. Aber eigentlich gab es gar keinen Grund, die Pferde scheu zu machen, er scheint in Ordnung zu sein. Jedenfalls kommt er schon jetzt besser klar, als der letzte Zauberer, der hier aufgetaucht ist.«

Martin blickte finster drein. »Der letzte Zauberer, der hier aufgetaucht ist, war ich.«

Petes Lächeln blieb unverändert. »Aye. Er kam zu mir und fragte mich, ob ich hier der Chef bin. Ich sagte ja und er wollte wissen, was wir zu trinken haben. Ich zeige also auf das Bierfass, er sieht es sich an und meint: Das sollte reichen. Seitdem sitzt er da hinten, trinkt und unterhält sich.«

»Hat er irgendwen beleidigt?«, fragte Martin.

»Nein, er kommt prima klar mit allen. Ich glaube, Gert hat ein Auge auf ihn geworfen. Komm mit, ich stell dich vor.«

Sie durchquerten den Raum und Martin konnte den neuen Zauberer schon von Weitem unter den anderen Gästen ausmachen. Seine Haare waren anders. Es ist ein Irrglaube, dass alle Männer im Mittelalter wallende Mähnen hatten. Es gab eine Vielzahl unterschiedlicher Frisuren für den modebewussten, mittelalterlichen Mann. Eine perfekt getrimmte Igelfrisur gehörte allerdings nicht dazu. Martin schätzte den neuen Zauberer auf Mitte fünfzig. Unterhalb seines eisengrauen, militärischen Haarschnitts befanden sich dunkle, ernste Augenbrauen und ein perfekt gestutzter Schnauzbart. Er trug ein dünnes weißes Hemd und einen schmalen schwarzen Schlips. An Stelle eines Zauberergewandes trug er einen hellbraunen Trenchcoat. Martin hätte sich in den Hintern beißen können, dass er nicht selbst darauf gekommen war. Es schien, als wäre eine schummrige Bar der natürliche Lebensraum für den Zauberer, selbst wenn sich diese schummrige Bar im Mittelalter befand.

Pete räusperte sich und alle Gespräche am Tisch verstummten. Der neue Zauberer sah Martin an und suchte sofort direkten Augenkontakt. Gert saß neben dem Neuankömmling und überragte ihn wie eine leicht feminine Eiche. Sie hatte auf ihn herabgelächelt, doch als sie jetzt Martin ansah, verformte sich das Lächeln mühelos zu einem Zähnefletschen. Eigentlich konnte sie Martin ganz gut leiden, aber sie hatte schon gemerkt, dass sie den neuen Kerl noch viel besser leiden konnte und Martin sollte das auch gleich merken.

Pete deutete auf den neuen Zauberer. »Martin, das hier ist Roy. Roy, das ist Martin.«

Roy sah Martin eine Zeit lang an und sagte dann: »Ah, der Lehrling. Hatte der Meister keine Zeit?«

Als Martin in diesem Jahrhundert angekommen war, hatte er so gut wie nichts gewusst. Weder, dass es hier andere Zauberer mit den gleichen Fähigkeiten gab, dass diese alle, so wie er, Zeitreisende aus dem späten 20. und frühen 21. Jahrhundert waren, noch, dass es eine Art Einführungskurs und Grundausbildung für diese Neuankömmlinge gab. Da er all das nicht gewusst hatte, hatte er alles Mögliche falsch gemacht. Offensichtlich hatten die Einheimischen diesem Roy bereits alles über Zauberer und die Ausbildung erzählt. Wahrscheinlich hatten sie ihm von Martins Ankunft erzählt und damit war Roy wohl auch klar geworden, dass die anderen Zauberer Zeitreisende waren wie er selbst.

Phillip hätte Martin jetzt wohl gesagt, dass es hier etwas über das Zuhören und über das Nichtreden zu lernen gab. Aber Martin hätte ihm nicht zugehört.

Martin lächelte Roy an. »Willkommen in Leadchurch, Roy. Wir sollten reden.«

Roy antwortete: »Das werden wir. Sobald ich mein Bier ausgetrunken habe.«

Er hob den Steinkrug an die Lippen. Dieser schien noch mehr als halb voll zu sein.

Martin lehnte sich ein wenig zu ihm hin. »Es ist unerlässlich, dass wir uns unterhalten – unter vier Augen.«

»Ich dachte mir schon, dass du unter vier Augen meinst, sonst hättest du wohl einfach drauf losgeredet«, sagte Roy. »Deshalb muss es ja warten, bis das Bier ausgetrunken ist. Ich bezweifle, dass Pete mich den Krug mitnehmen lässt, oder Pete?«

»Nein, Roy, der Krug bleibt hier.«

»Siehst du, Martin. Wenn du also nicht willst, dass ich mein Bier in deinen Hut umfülle, müssen wir bleiben, bis ich fertig bin.«

Martin setzte bedächtig seinen paillettenbesetzten Hut ab, ohne die Augen von Roy abzuwenden, murmelte einige unverständliche Worte und zog aus seinem Hut einen Krug, der mit denen von Pete identisch war. Er wusste, dass sie identisch waren, weil die in der Taverne verwendeten Krüge von ihm selbst auf die gleiche Weise erschaffen worden waren, bevor er sie Pete geschenkt hatte.

»Da bitte«, sagte Martin lächelnd, »dieser Krug gehört mir, nicht Pete. Den können wir jetzt mitnehmen wohin wir wollen.«

Roy antwortete darauf: »Gut. Pete, bitte fülle den Krug meines jungen Freundes mit Bier. Dann kann er sich die Zeit vertreiben, während ich austrinke. Setz dich doch, Martin. Es sei denn, du willst ihn mit nach draußen nehmen und da auf mich warten. Ist schließlich dein Krug.«

Martin saß schweigend am Tisch, sein warmes Bier fast unberührt. Auch Roy redete kaum. Vielmehr erzählten die anderen Gäste Roy eifrig alles über die anderen Zauberer in der Gegend und über die Ereignisse des letzten Monats. Martins Ankunft. Das Duell, in dem Martin von Phillip besiegt worden war. Die geheimnisvollen Todesfälle in Rickard's Bend. Martins Laune besserte sich, als sie zur Schlacht von Camelot kamen und zum Duell zwischen ihm, Merlin und Phillip. Er musste zugeben, dass er ziemlich gut dabei wegkam, so wie sie die Geschichte erzählten. Im Alleingang. Einen mächtigeren Gegner fordernd, um seinen Freunden Zeit zu verschaffen. Furchtlos einem scheinbar sicheren Tod ins Auge blickend. Martin fühlte sich ziemlich heldenhaft. Bis Roy das Gehörte zusammenfasste.

»Kurz gesagt, Junior hat den Mund zu voll genommen und sein Meister musste ihn raushauen.«

Es herrschte eine gespannte Stille. Martin beschloss, sich nichts anmerken zu lassen. Er war der erfahrenere Zauberer. Er war eindeutig im Vorteil.

»Nein, Roy«, sagte Martin kopfschüttelnd, »so einfach ist die Sache nicht.«

Roy schnaubte: »Wieso, was habe ich vergessen? Hast du geheult?«

So viel zum Thema, sich heldenhaft zu fühlen, dachte Martin bei sich.

Endlich leerte Roy sein Bier. Er versuchte seine Zeche bei Pete zu begleichen, der davon aber nichts hören wollte und meinte, das Bier sei ein Willkommensgeschenk. Martin dagegen musste für sein Bier den vollen Preis bezahlen, mit dem Hinweis, er sei ja schon länger in der Stadt. Die beiden Zauberer traten hinaus in die kühle Nachtluft. Martin hatte eine öffentliche Konfrontation mit dem auf so unerklärliche Weise beliebten Neuankömmling vermieden, aber nun, mit etwas Abstand zu Roys Fanklub und mit einem Bier intus, fühlte er sich ungehemmter.

»Sieh mal, Roy«, begann er, »als ich die Nachricht erhielt, dass du hier bist, habe ich alles liegen und stehen lassen und bin den ganzen Weg von London hierhergekommen, nur um dich zu treffen.«

»Heißt es jetzt nicht Camelot?«, fragte Roy.

»Noch. Wir werden das wieder ändern. Jedenfalls bin ich den ganzen Weg …«

»Du hast dich teleportiert. Vergiss nicht, mein Sohn, ich habe die gleiche Datenbank gefunden wie du. Ich weiß, dass unsere Welt eine Simulation ist und ich weiß, wie man mit Hilfe der Datenbank die Simulation verändern kann. Sonst wäre ich erst gar nicht hier. Ich weiß, wie man teleportiert und du wahrscheinlich auch. Also, tu nicht so, als ob die Entfernung eine große Zumutung für dich gewesen wäre.«

Martin fuhr herum und stupste Roy mit seinem Stab an die Brust.

»Weißt du, Roy, ich bin deinetwegen hier. Du kannst dir hier jede Menge Probleme einhandeln, wenn dir keiner zeigt wie die Dinge laufen. Deshalb bin ich auch hier, um dir zu zeigen wie die Dinge laufen. Um dir Probleme vom Hals zu halten.«

Roy schob Martins Stab mit übertriebener Sorgfalt weg von sich. »Okay, okay. Beruhige dich, Großer. Reg dich nicht auf. Ich weiß zu schätzen, dass du mich hier empfängst, aber ich bin ein erwachsener Mann. Ich muss mir von einem Kind nicht erklären lassen, wie's läuft.«

»Na bitte, das zeigt, wie wenig Ahnung du hast. Seit über einem Jahrzehnt gibt es Leute wie uns und andere, die noch weiter zurück in der Zeit gereist sind als wir. Ein komplettes System baut auf dieser ›Datenbank‹ auf, das Dinge tut, an die du noch nicht mal gedacht hast. Dinge, wie den Alterungsprozess zu stoppen. Nur weil Zauberer äußerlich ein bestimmtes Alter zu haben scheinen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch wirklich so alt sind. Was weißt du denn schon, ich könnte hundert Jahre alt sein.«

Martin stürmte davon, die Straße runter. Roy folgte ihm, nachdenklich.

Schließlich meinte er: »Das ist ein gutes Argument. Daran hatte ich nicht gedacht.«

»Es gibt so vieles, an das du nicht gedacht hast, Roy. Deswegen bin ich hier.«

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und fanden sich nach der nächsten Ecke auf dem Hauptplatz der Stadt wieder. Die mit Blei gedeckte Kirche, die der Stadt ihren Namen gab, befand sich auf der anderen Seite des Platzes. Sie zeichnete sich allerdings nachts, wenig überraschend, nicht sonderlich gut ab. Einige wenige Bürger waren noch unterwegs. Ein oder zwei trugen Fackeln, doch den meisten genügte das Licht des Sternenhimmels. Roy und Martin gingen weiter über den Platz.

»Wie gesagt, du könntest älter sein als ich«, sagte Roy.

»Ja, das könnte ich.«

»Aber, vorhin in der Bar …«

»Taverne. Du solltest dir angewöhnen, zeitgemäße Begriffe zu verwenden. Der Verrottete Stumpf ist eine Taverne.«

»Vorhin in der Taverne haben sie erzählt, dass du erst ein paar Monate hier bist.«

»Stimmt.«

»Dann wäre dein Alterungsprozess auch erst seitdem gestoppt. Du bist fünfundzwanzig, oder?«

»Dreiundzwanzig.«

»So oder so, du bist ein Kind und es war mir ein Vergnügen, aber gibt es vielleicht einen Erwachsenen, um mich auszubilden?«

Martin blieb stehen. Roy blieb einen Schritt später ebenfalls stehen, drehte sich um und feixte ihn an.

Der Zauberstab wechselte von Martins rechter in seine linke Hand. Versonnen blickte er dabei auf die kleine Gipsbüste von Santo, König der Luchadores. Er sah wieder zu Roy und sprach gelassen die Worte: »Akiri grandan.«

Martin begann, gespenstisch silbern zu glühen, in einem Licht, welches ein Gittermuster auf seiner Haut erscheinen ließ. Entlang der Gitterlinien teilte er sich in hunderte kleine Klötze, in ihrer Gestalt winzigen Särgen nicht ganz unähnlich. Die Klötze flogen auseinander und wirbelten um Roy herum, der sich vor Verblüffung nicht rühren konnte. Die Klötze vervielfältigten sich und setzten sich wieder zu etwas zusammen, das aussah wie Martin. Nur das der jetzt drei Stockwerke hoch war und aus leuchtenden Klötzen bestand. Während die riesige Gestalt sich zu ihrer Form zurechtwirbelte, nahm Martins leere rechte Hand Roy vom Boden auf und hob ihn auf Augenhöhe. Die riesige Hand hielt Roy in einem unbequemen Griff um seine Taille. Die andere Hand hielt eine Riesenversion von Martins Stab. Roy sah, dass Santos Büste ebenfalls vergrößert worden war. Seine Augen leuchteten im selben blassen Licht.

Eine Stimme, eindeutig die von Martin, aber lauter und tiefer rief: »Schweig!« Dann fuhr Martins normale, sehr viel leisere Stimme an Roy gerichtet fort: »Sieh mal, das Ausbildungsprogramm ist nicht nur dazu da, dir zu zeigen, was du alles tun kannst. Es gibt uns auch die Gelegenheit, herauszufinden, was du wahrscheinlich tun wirst und wenn uns nicht gefällt, was wir herausfinden, dann sorgen wir dafür, dass du überhaupt nichts tust. Das ist keine Drohung. Wir würden dir nie wehtun, außer in Notwehr. Wir würden dir den Zugang zur Datei entziehen, zu deiner Datenbank, wir würden dich dahin zurückschicken, wo du hergekommen bist und wir würden dafür sorgen, dass die Behörden erfahren, wo sie dich finden. Willst du das, Roy? Wenn ja, musst du es nur sagen. Ich bin dein Meister. Ich kann jederzeit dafür sorgen.«

Roy versuchte sich herauszuwinden, doch die Riesenhand ließ nicht locker. Sie sahen zusammen aus wie ein Kleinkind, das mit einer Ken-Puppe spielt. Nur dass die Puppe keine Lust zum Spielen hatte, und dass das Kind aussah, als wolle es seinen Wurfarm trainieren.

Martin schob den Kopf des riesigen Stabs soweit vor, bis er Roys Sichtfeld vollständig ausfüllte.

»Willst du zurück, Roy?«

Roy knirschte mit den Zähnen. »Nein.«

Martin lächelte, aber er ließ den Stab, wo er war. Vorerst. Mit viel ruhigerer Stimme fuhr er fort: »Ja, ich wette, dass du das nicht willst. Die Wenigsten kommen hierher, weil in ihrer Zeit alles nach Wunsch läuft. Wer ist hinter dir her?«

Roy starrte in das gigantische Gesicht von Martin, bis ihm klar wurde, dass er nicht loskommen würde, bevor er eine Antwort gab.

»Die CIA«, sagte Roy, atmete nochmals ein, seufzte und fügte hinzu: »Und das Verteidigungsministerium.«

Das Gesicht von Riesen-Martin wurde zu einem Riesengrinsen. »Wow, ich kann's kaum erwarten, die Geschichte dazu zu hören.« Er zog den Stab zurück, ließ aber Roy weiter acht Meter über dem Boden hängen.

»Damit du Bescheid weißt«, erklärte Martin so laut, dass nur Roy ihn verstehen konnte, »Zauberer müssen sich selbst kontrollieren, weil es sonst niemanden gibt, der uns kontrollieren könnte. Ein Teil dieser Kontrolle ist die Ausbildung. Du kannst mich als Lehrmeister akzeptieren und ich zeige dir, wie du dich hier in der Vergangenheit einfügst, wie du die Kräfte nutzt, die wir erschaffen haben und wie du selbst neue Kräfte erschaffst. Wenn ich der Meinung bin, dass du soweit bist, kannst du die Prüfungen ablegen. Solltest du die bestehen, kannst du, in einem vernünftigen Rahmen, machen was du willst. Wenn du die Ausbildung nicht machen willst, gehen wir davon aus, dass du nichts Gutes im Schilde führst. Dann werden wir dir deine Fähigkeiten wegnehmen und dich in deine Zeit zurückschicken. Vielleicht schicken wir dich in den Innenhof des Pentagons. Den kriegen nicht viele Touristen zu sehen, oder? Was sagst du, Roy? Machst du die Ausbildung?«

Roy zuckte mit den Schultern. »Na gut, Junge, tut mir leid. Ich mache die Ausbildung.«

»Gut.« Martin setzte Roy wieder ab. Als der festen Boden unter den Füßen hatte, zersprang Riesen-Martin, ohne einen Laut, in tausend kleine Klötze, die auseinanderflogen, einen Augenblick durch die Luft kreisten, um dann wieder zu implodieren und einen Martin in normaler Größe zu hinterlassen.

Roy strich seinen Trenchcoat glatt und blickte belämmert drein. »Mann, Junge, kein Grund, gleich beleidigt zu sein. Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern.«

»Na, dann hast du deine erste Lektion erhalten. Ärger mich nicht. Hast du sie verstanden, oder müssen wir die noch einmal durchgehen?«

»Nein, nein. Hab's kapiert.« Roy blickte auf die Stadtbewohner, die auf dem Platz herumstanden. Es waren nicht viele da, aber die wenigen Anwesenden sahen den beiden Zauberern völlig gebannt zu. »Musstest du das in aller Öffentlichkeit machen?«

Martin antwortete: »Es war nötig. Ich habe sogar extra bis hier gewartet. Ich wusste, dass hier sowohl Leute, als auch ausreichend Platz sein würden. Aus zwei Gründen wollte ich Zeugen haben. Zum einen: Man muss die Einheimischen ab und zu daran erinnern, wozu wir fähig sind. Zum anderen: Es war wichtig, dass jeder mitbekommt, dass ich mächtiger bin als du.«

»Wichtig für die Ausbildung?«

»Wichtig für mich. Aber soweit es dich betrifft, ist das das Gleiche.« Martin reichte seinem Lehrling die Hand. »Du wirst während der Ausbildung bei mir wohnen. Nimm meine Hand. Wir teleportieren uns hin.«

Roy sah Martins Hand an, als müsse er gleich eine tote Ratte halten. »Ich werde meine Hand einfach auf deine Schulter legen. Das sollte genauso gut funktionieren.«

Martin hielt seine Hand noch näher hin. »Komm schon, sei kein Baby. Nimm meine Hand.«

Roy legte seine Hand auf Martins Schulter und wiederholte: »Ich werde meine Hand auf deine Schulter legen. Das sollte genauso gut funktionieren.«

Martin verdrehte die Augen. »Ich sehe schon, diese Beziehung wird einiger Arbeit bedürfen. Transporto Magazino.«

Martin und Roy verschwanden.

Kapitel 2

Jimmy schritt schnell aus. Er hatte erschreckend viel Energie für einen Mann über sechzig. Das war einer der Vorteile, wenn man dreißig Jahre lang mit dem Fahrrad fuhr. Ein weiterer Vorteil war, dass man jede Menge Zeit hatte nachzudenken. Nachzudenken und zu planen.

Jetzt fuhr er gerade nicht Fahrrad und wenn alles erwartungsgemäß verlief, würde er auch nie wieder eines fahren müssen. Auch gut, seins hatte er schließlich verkauft.

Am Vortag hatte Jimmy Martin dabei beobachtet, wie er von der Polizei bis zum Haus seiner Eltern verfolgt worden war und dann entwischte, indem er in die Vergangenheit, ins mittelalterliche England, floh (wo er dann Jimmy ziemlich viele Unannehmlichkeiten bereitete). Erst nachdem die Polizei und zwei seltsam deplatziert wirkende Bundesagenten verschwunden waren, war Martin zurückgekehrt. Aus Sicht seiner Eltern nur wenige Stunden später, aus Sicht ihres Sohnes, des Zeitreisenden, einige Wochen später.

Nachdem er beobachtet hatte, wie Martin in einem Taxi vom Haus seiner Eltern weggefahren war, hatte Jimmy sich sofort auf den Weg zum Obdachlosenheim gemacht, das er als Operationsbasis nutzte. Die Leuchtstoffröhren flackerten und das Fernsehbild spielte verrückt, wenn er durch den Aufenthaltsraum ging. Über die Jahre hatte er festgestellt, dass die Störungen durch sein eigenwilliges Magnetfeld meist nur irgendwelchen Spannungsschwankungen im Stromnetz zugeschrieben wurden, solange er sich nicht zu lange an einem Ort aufhielt. Es ging immer in etwa eine Woche lang gut, bis jemandem auffiel, dass die Spannungsschwankungen nur auftraten, wenn er gerade durch den Raum lief.

Seit fast dreißig Jahren war Jimmy ständig in Bewegung, von Raum zu Raum, von Ort zu Ort.

Er zog sich in sein privates Zimmer zurück, das er der Verwaltung abgeschwatzt hatte. Im Licht einer Taschenlampe ging er seine Notizen durch. Batterien und Glühlampen funktionierten noch in seiner Nähe. Lediglich integrierte Schaltkreise vertrugen diese Nähe nicht und das schloss die Vorschaltgeräte in Leuchtstofflampen mit ein.

Er hatte die Nacht gut geschlafen, war früh aufgestanden und hatte für dreißig Mäuse sein Fahrrad an einen Penner verkauft. Seinen neuerworbenen Reichtum trug er dann in einen Second-Hand-Laden, wo er den besten Anzug in seiner Größe, ein weißes Hemd, welches nur auf der Rückseite ein paar Flecken hatte und eine Krawatte, auf der sich keine Comicfiguren befanden, einkaufte. Außerdem nahm er noch eine sehr alte Samsonite-Aktentasche. Er bezahlte bar. Auf das wenige Wechselgeld, das ihm noch zustand, musste er verzichten, weil die Kasse gerade unerklärlicherweise ihren Geist aufgegeben hatte. Er zog sich in der Umkleidekabine um und leerte den Inhalt seines Rucksacks in die Aktentasche. Er spendete das alte Ding dem Laden und seine alten Klamotten obenauf, wobei er davon ausging, dass die Sachen eher verbrannt, als verkauft werden würden. Dann war er bereit, sich dem neuen Tag zu stellen.

Jimmy hatte einen Plan. Dafür brauchte er nur einige Stunden präsentabel auszusehen. Danach, mit etwas Glück, würde man ihn verhaftet haben.

Er spazierte durch die Seattle Street, einer freundlichen Vorortstraße. Er hatte gestern viel Zeit damit verbracht, sich diese Straße einzuprägen, sodass er sie jetzt so gut kannte, als wäre er selbst hier aufgewachsen. War er natürlich nicht. Es war Martin, der hier aufgewachsen war.

Jimmy blieb stehen und blickte auf seine Notizen, um sicher zu gehen, dass er das richtige Haus gefunden hatte, und ging dann auf die Tür von Walter und Margarita Banks zu. Er sah kurz zur Türklingel und klopfte an. Drei Mal. Ein knackiges, aber freundlich klingendes Klopfen. Entfernte Laute drangen aus dem gut gepflegten einstöckigen Terrassenhaus. Kurz darauf öffnete sich die Tür einen Spalt weit. Eine sympathische, dunkelhaarige Frau, etwa im gleichen Alter wie er, spähte durch die kaum geöffnete Tür. Die Kette war noch eingehängt. Das überraschte Jimmy gar nicht. Diese Leute hatten am Vortag einiges mitgemacht und waren wahrscheinlich noch ziemlich nervös.

»Tut mir leid, dass es ein wenig länger gedauert hat«, sagte die Frau. »Ich habe Ihr Klopfen kaum gehört. Wir haben auch eine Türklingel.«

Jimmy lächelte. »Entschuldigung, die habe ich gar nicht gesehen.«

»Schon in Ordnung. Was kann ich denn für Sie tun?«

Jimmy ließ sein Lächeln gerade so weit verschwinden, dass sein Gegenüber den Eindruck gewinnen musste, er bedauere, das nun folgende Thema ansprechen zu müssen.

»Mrs. Banks, mein Name ist James Sadler, aber bitte nennen Sie mich Jimmy. Ich kenne Ihren Sohn Martin. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen und ich kann mir vorstellen, dass Sie auch ein paar an mich haben.«

Margaritas Lächeln erstarb und jedes Leuchten entwich aus ihrem Blick. Sie bat ihn, sie kurz zu entschuldigen. Jimmy lächelte gütig und sagte ihr, dass er nur zu gut verstand. Sie schloss die Tür und rief nach ihrem Mann. Jimmy hörte Gesprächsfetzen von der anderen Seite. Er konnte nichts verstehen, aber der Tonfall drang laut und deutlich zu ihm durch. Mrs. Banks war aufgebracht. Mr. Banks war wütend. Mrs. Banks beruhigte sich ein wenig. Mr. Banks beruhigte sich nicht. Mrs. Banks versuchte, Mr. Banks zu beschwichtigen. Mr. Banks ließ es zu. Es folgte ein ruhigerer Austausch.

Jimmy ging einen halben Schritt zurück, um weniger aufdringlich zu wirken. Es wurde etwas am Türgriff gerüttelt, dann gab es einen Moment der Stille, der gerade lang genug war, dass Jimmy und Mr. Banks einmal tief durchatmen konnten.

Die Kette rasselte und die Tür wurde weit geöffnet. Mr. Banks erschien im Türrahmen, den er ganz ausfüllte. »Ich bin Walter Banks. Was kann ich für Sie tun Mr. … Sadler?«

Jimmy verbeugte sich leicht; gerade so leicht, dass Mr. Banks nicht merkte, dass er die Verbeugung bemerkte. »Richtig. Sadler. James Sadler. Martin nennt mich Jimmy.«

Ein leichtes Schmatzen war zu hören, während Walter Banks nachdachte. Schließlich sagte er: »Ich kann mich nicht erinnern, dass Martin Sie jemals erwähnt hat.«

»Nein, Mr. Banks, das denke ich mir. Wir kennen uns noch nicht so lange. Ihr Sohn hat mich sehr beeindruckt. Er besitzt eine einzigartige Kombination aus Intelligenz und Kreativität. Sie können stolz auf ihn sein.«

»Das bin ich«, erwiderte Mr. Banks ausdruckslos. »Sie haben immer noch nicht gesagt, was Sie wollen, Mr. Sadler.«

»Natürlich. Entschuldigen Sie. Ich bin ein bisschen nervös«, log Jimmy. »Zwei Dinge. Ich habe eine Frage an Sie und Mrs. Banks. Doch vorher will ich so viele Ihrer Fragen beantworten, wie ich kann.«

Walter starrte Jimmy eine ganze Weile an, dann fragte er: »Sie haben also was zu tun mit Martins …« Hier verstummte Walter langsam.

»Schwierigkeiten? Ja. Zumindest hatte ich das. Ich weiß jedenfalls eine Menge darüber. Auch wenn ich nicht alle Ihre Fragen direkt beantworten können werde, sollten Sie hinterher besser Bescheid wissen als jetzt.«

Wieder starrten sich beide in die Augen, und Jimmy hielt dem Blick gerade solange stand, dass er Mr. Banks nicht brüskierte. Jetzt bat Walter Jimmy ins Haus.

***

Eine Stunde später öffnete sich die Haustür der Familie Banks erneut und Jimmy kam heraus. Walter und Margarita Banks traten ebenfalls vor die Tür und verabschiedeten sich von ihm. Walter ergriff Jimmys Hand mit seinen beiden Händen und schüttelte sie energisch. Margarita umarmte Jimmy. Jimmy dankte ihnen für ihre Hilfe und für das Sandwich, von dem er ihnen versicherte, dass es köstlich gewesen war. Nach ihrem Abschied blieb das Paar noch einen Moment stehen, um Jimmy nachzublicken, bevor sie wieder ins Haus gingen.

Nette Leute, dachte Jimmy. Martin kann froh sein, sie zu haben.

Die Unterhaltung war gut verlaufen. Es war anfangs etwas unangenehm gewesen, als er sich seine Jacke nicht hatte abnehmen lassen, aber nur kurz. Und obwohl er ihre Fragen nicht wirklich beantworten konnte, war er in der Lage gewesen, jene Fragen zu beantworten, die sie hätten stellen sollen und er war dankbar, dass er sie nicht hatte anlügen müssen. Die einfachste Art, Leute zu täuschen ist, ihnen die Wahrheit zu erzählen, dachte Jimmy.

»Was hat Martin getan?«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, was er getan hat, aber ich kann Ihnen sagen, dass er gegen kein Gesetz verstoßen hat. Was er getan hat, war so neu, so beispiellos, dass es dafür nirgends ein Gesetz gibt.«

»Hat er was gestohlen oder jemanden verletzt?«

»Um Himmels willen, nein! Hören Sie, die Sache, wegen der die Männer von gestern hinter Martin her sind, würden Sie nicht als Verbrechen bezeichnen. Er hat niemandem etwas weggenommen. Er hat nicht behauptet, etwas zu sein, das er nicht ist. Er hat keinem Lebewesen Schaden zugefügt, außer vielleicht einem Baum, aber der hat's überlebt.«

Alles wahr. Streng genommen. Natürlich hatte er Jimmy sowohl verletzt, als ihm auch etwas weggenommen. Aber deswegen waren die FBI-Agenten ja nicht hinter Martin her.

»Bitte verstehen Sie«, fuhr Jimmy fort. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr erzählen, aber alles, was ich sagen kann, ist, dass Martin etwas entdeckt hat, von dem die Regierung nichts wusste. Er hat es untersucht, um herauszufinden, ob es wirklich das war, für das er es hielt. Im Zuge dieser Untersuchungen wurden die Behörden auf ihn aufmerksam. Derzeit versucht er, glaube ich, sicherzustellen, dass ihm keine dauerhaften rechtlichen Schwierigkeiten blühen.«

Das besänftigte Martins Eltern bereits weitgehend. Das Sahnehäubchen war aber Jimmys Bemerkung, Martin sei wohl immer schon etwas zu clever gewesen, als eigentlich gut für ihn war. Sie nahmen an, dass er ihren Sohn schon ziemlich gut kennen musste, wenn er das von ihm wusste.

Nachdem er ein paar weiteren Fragen weitgehend ausgewichen war, stellte Jimmy seine eine Frage, die auch eifrig beantwortet wurde. Die nächsten fünfzig Minuten verbrachte er damit, ein Sandwich zu essen und Geschichten aus Martins Kindheit zu lauschen.

Jimmy bog am Ende der Straße nach links ab, nicht ohne nochmals einen Blick auf den Baum zu werfen, an dem einen Tag zuvor Martins Auto gelandet war. Er würde sich wieder erholen.

Jimmy fasste in seine Tasche und zog das Blatt heraus, auf das er die Antwort auf seine eine Frage an Martins Eltern geschrieben hatte. Da standen eine Telefonnummer und die Namen Miller und Murphy.

Als Jimmy nach den Kontaktdaten der beiden Agenten gefragt hatte, die an der Hausdurchsuchung vom Vortag beteiligt gewesen waren, wollte Margarita von ihm wissen, warum er ihrem Sohn helfen wolle.

Er dachte bei sich: Das habe ich so nicht gesagt. Er antwortete ihr: »Ihr Sohn und ich hatten eine kleine … Auseinandersetzung. Es lief nicht ganz fair ab. Ich … ich will das nur in Ordnung bringen. Das bin ich Martin noch schuldig.«

Alles wahre Aussagen, dachte Jimmy, und völlig irreführend. Hach, was soll's. Sie braucht nicht zu wissen, dass es bei der Auseinandersetzung darum ging, dass ich Martin umbringen wollte.

Kapitel 3

Martin und Roy materialisierten direkt vor der Tür seines Lagerhauses in London/Camelot. Ein paar Leute liefen herum, aber es war bereits nach Sonnenuntergang im zwölften Jahrhundert und so sah es auf einer Straße in einer großen Stadt ziemlich genauso aus, wie auf den Straßen der mittelgroßen Stadt, aus der sie gerade kamen.

»Das ist also Camelot«, sagte Martin. »Ich weiß, im Dunklen nicht besonders beeindruckend. In den nächsten Tagen wirst du aber noch jede Menge von ihr sehen.«

Martin öffnete die Tür zu seinem Lagerhaus und bat seinen älteren Begleiter herein. Sie kamen in einen großen, offenen Raum, der ungefähr ein Drittel des gesamten Gebäudes ausmachte. Die Wände waren schwarz gestrichen. Auch der hölzerne Fußboden war schwarz, mit Ausnahme eines blutroten Pentagramms in einem Kreis. Kerzen standen an den Spitzen des umgedrehten Sterns. Sie entzündeten sich selbst, als Roy den Raum betrat, was ihn ein wenig erschreckte.

Mit einem Schulterzucken schloss Martin die Tür. »Ach ja, das passiert immer, wenn jemand anders als ich hier reinkommt. Wenn es dich stört, kann ich dafür sorgen, dass sie dich nicht wahrnehmen. Das muss ich nur ein bisschen umprogrammieren.«

Die Ecken des Raumes beherbergten vier etwa drei Meter hohe Statuen furchterregender Kreaturen, welche die primitive Mythenwelt dieser Epoche noch nicht hervorgebracht hatte. Jede der Kreaturen befand sich auf einem Sockel, in den der Name der jeweiligen Kreatur eingraviert war. Für einheimische Ohren hatten diese Namen einen unergründlichen Klang. An Stelle der hinteren Wand hing dort ein roter Samtvorhang. Roy deutete darauf. »Wirkt wie aus einem Kino gestohlen.«

»Ist er auch. Ich habe da während der Highschool gearbeitet. Der Geschäftsführer war ein rassistischer Vollidiot. Jetzt ist er ein rassistischer Vollidiot, der dem Besitzer erklären muss, wie man ihm einen riesigen Samtvorhang stehlen konnte.«

Als sie durch den Raum gingen, fragte Roy wen oder was die abscheulichen Statuen darstellen sollten. Martin zeigte auf jede einzelne und zählte ihre Namen auf.

»Optimus Prime, Boba Fett, Grimace und The Stig.«

»Ja, lesen kann ich. Sollen mir die Namen irgendwas sagen?«, fragte Roy.

Martin hatte den Vorhang fast erreicht, doch er blieb stehen, drehte sich um und sah seinen Lehrling voll ehrlicher Ratlosigkeit an.

»Klingelt's bei dir bei keinem der Namen? Nicht mal bei Grimace?«

Roy schüttelte seinen Kopf.

»Aus welchem Jahr kommst du?«, fragte Martin.

»1973.«

»Wow«, sagte Martin. »Im Ernst? Puh.«

Es dauerte einen Moment, bis Martin das verarbeitet hatte und fortfuhr: »Na gut, '73 gab es noch keinen von denen, außer Grimace und der sah wahrscheinlich noch anders aus. Hast du jemals bei McDonald's gegessen?«

Roy antwortete: »Nein.«

Martin fragte: »Wieso nicht?«

»Weil ich ein erwachsener Mann bin«, antwortete Roy.

Achselzuckend zog Martin den Vorhang ein Stück auf, deutete auf die Öffnung und sagte nur: »Nach dir.«

Roy ging durch den Vorhang hindurch in Martins Wohnbereich, der die restlichen zwei Drittel des Gebäudes belegte. Die Wände bestanden aus blankem Holz und Putz, die Decke aus einem Wirrwarr von Holzbalken und der Boden aus unbearbeiteten Holzbohlen. Der Raum zwischen Decke, Wänden und Boden war zum größten Teil mit IKEA-Möbeln vollgestellt. Für die Raumaufteilung verwendeten Innenarchitekten aus Martins Zeit Begriffe wie »offenes Wohnkonzept«. Alles war ein einziger großer Raum: Schlaf-, Wohn- und Essbereich waren nicht durch Wände oder Raumteiler voneinander zu unterscheiden, sondern nur durch die Art, wie und wo Möbel aufgestellt worden waren.

Jetzt war Roy vollends verwirrt. »Du wohnst in einer Scheune?«

Martin huschte lächelnd an Roy vorbei. »Könnte man so sagen. Das Gebäude steht in der Stadt, also ist es eigentlich eher ein Lagerhaus. Bevor ich es gekauft habe, bestand sein Hauptzweck darin, Heu trocken zu halten, bis man es an die Pferde verfüttert hat. Das macht es dann wieder eher zu einer Scheune, schätze ich.«

Martin ging zu seinem Arbeitstisch und beobachtete Roy bei der Erkundung seines Quartiers. Die Einrichtung stand in losen Gruppen in etwa der Hälfte des Raumes verteilt. Der Rest war offen und leer. Roy ging um den Esstisch herum, hielt dann an und fragte, wo die Küche sei.

»Hab' keine. Wir müssen nicht wirklich kochen. Hast du Hunger?«, fragte Martin.

»Nein. Pete hatte etwas Hammelfleisch für mich. Er sagte, das geht aufs Haus.«

Martin erinnerte sich daran, dass alles, was bei seiner Ankunft »aufs Haus« gegangen war, aus verschiedensten Drohungen und Beleidigungen bestanden hatte.

Roy ging weiter zur Sitzecke, zusammengestellt aus Sofa und farblich passenden Sesseln. Sie waren modern, bequem und klein genug, um von einer einzelnen Person herumbugsiert zu werden. Langsam näherte er sich dann etwas, das er nicht eindeutig bestimmen konnte. Es war eine große, flache Platte aus schwarzem Glas und Kunststoff, die senkrecht auf einer Halterung montiert war und auf einem Holzschränkchen stand. »Was ist das?«, fragte er.

»Das ist mein Fernseher«, sagte Martin. Er nahm die Fernbedienung in die Hand und richtete sie auf die Platte. Eine kurze Melodie ertönte und ein sich drehendes Samsung-Logo erschien. Martin schaltete wieder aus.

»Es gibt hier natürlich keinen Fernsehempfang, aber ich benutze ihn, um mir hin und wieder alte Filme anzuschauen.«

Roy wandte sich Martin zu und fragte mit leiser Stimme: »Aus welchem Jahr kommst du?«

Martin kicherte. »2012. Setz dich, Roy.«

Roy ließ sich in einen der Sessel fallen. Als Martins Blick auf den zugeklappten Laptop fiel, beschloss er, Roy etwas mehr Zeit zum Einleben zu geben, bevor er ihn damit konfrontierte.

Er stand vom Schreibtisch auf und nahm gegenüber Roy auf dem Sofa Platz.

»Also«, fragte Martin, »was ist passiert?«

»Hä?«, sagte Roy und schüttelte seine Verwirrung ab.

»Was führt dich ins England des Mittelalters und wie zum Henker hast du 1973 die Datei aufgestöbert?«

»Ist sonst keiner aus den Siebzigern hier?«

»Nein. Bevor du kamst, war das früheste Jahr, aus dem jemand stammte, das Jahr 1984, soweit ich weiß.«

Roy plusterte sich ein wenig auf. »Also habe ich sie als Erster gefunden.«

»Ja«, sagte Martin, »aber du bist auch als Letzter hier angekommen. Du kannst dir selbst überlegen, was dir das bringt.«

Darüber dachte Roy nach und fuhr dann fort: »Ich war Ingenieur bei Lockheed. Die stellen Flugzeuge her.«

»Zu meiner Zeit hieß die Firma Lockheed Martin«, meinte Martin. »Die hat mich immer ein bisschen gereizt.«

»Das glaube ich sofort. Jedenfalls war ich in einer Abteilung namens Skunk Works.«

»Echt?«

»Ja. Wir haben, ähm, hauptsächlich das streng geheime Zeug für die Regierung gemacht.«

»Ich weiß!«

»Hochgeschwindigkeitszeug, sehr große Höhen und so.«

»Ich weiß!«

»Streng geheime Projekte.«

»Ich weiß!«

»Sag mal, Junge«, fuhr Roy ihn an, »soll ich dir die Geschichte erzählen oder weißt du schon alles?«

Martin hob die Hände. »Tut mir leid. Erzähl bitte weiter.«

»Also dann. Wir haben 1965 einen Computer bekommen. Einen IBM 360. Wir hatten keine Ahnung, was zum Teufel wir damit anfangen sollten, aber alle waren der Meinung, die Dinger seien die Zukunft. Also musste ich ran und lernen, wie das Teil funktioniert. Ich analysierte es und experimentierte eine Weile damit. In der Firma schwirrten auch in anderen Abteilungen noch Exemplare davon rum. Sämtliche Magnetbänder der Firma wurden in einem Raum gelagert. Eines Tages habe ich mir dann mal angeschaut, was die anderen Abteilungen so mit den Bändern machen. Ich lade also eines nach dem anderen bei uns rein und auf einem der Bänder ist eine Datei, die scheinbar größer ist, als das, was auf dem Band Platz hat. Da bin ich neugierig geworden.«

»Verständlich«, sagte Martin. »Wie viel Speicherplatz hatte so ein Band?«

»Einhundertsiebzig Megabyte«, antwortete Roy stolz. »Warum lachst du?«

Martin erwiderte: »Ach nichts. Erzähl weiter.«

»Okay, ich lade also die Datei rein und druck mir die ersten paar tausend Zeichen aus. Sah nach einer Datenbank aus.«

»Und irgendwann hast du dann begriffen, was du da vor dir hattest.«

»Ja«, sagte Roy, »den Beweis dafür, dass die Welt, mit jedem und allem darin, nur ein computergesteuertes Programm ist.«

»Und duhattest eine Datei, mit der du diesen Computer steuern konntest, der die Welt steuert.« Martin beugte sich vor, näher zu Roy. »Was hast du als Nächstes gemacht?«

»Erst wollte ich mir zu einer Menge Geld verhelfen, aber ich dachte, so würden sie mich sofort erwischen.«

Martin entschied, Roy niemals zu erzählen, wie man ihn erwischt hatte.

Roy fuhr fort: »Ich beschloss, die Datenbank zu nutzen, um auf der Arbeit zu glänzen. Meine Prototypen leistungsfähiger zu machen. Die Zahl der Triebwerksentwürfe meines Teams erhöhen. Ich erzählte allen, das Geheimnis sei die Verwendung fortschrittlicher Computermodellierung.«

»Clever. Hat's funktioniert?«

»Eine Zeit lang schon. Es gab ein Projekt, das es mir echt angetan hatte. Das A-12. Ein Spionageflugzeug. Es sollte sehr hoch fliegen können und sehr schnell sein. Später haben sie einen Sitz eingebaut und es SR-71 getauft.«

»Du hast am Blackbird mitgearbeitet?«, brach es unwillkürlich aus Martin heraus.

Roy lächelt. »Wird es so genannt?«

»Ja, irgendwann dann schon, könnte man sagen. Das hatte Mach 3 drauf, oder?«

»Offiziell ja. Es ging notfalls auch ein bisschen schneller.«

Martin ließ sich zurück ins Sofa fallen. »Wow. Das SR-71. Ich hatte ein Poster davon in meinem Zimmer. Ich habe mich immer gefragt, wie die so etwas in den Sechzigern bauen konnten.«

Es folgte eine lange, unangenehme Pause, in der Martins Lächeln nur langsam schwand.

Bis Roy die Stille durchbrach. »Jetzt weißt du's«, sagte er. »Die verdammten Russen wussten viel mehr über Titan als wir. Ich war der Meinung, dass die Beschaffung von Informationen zukünftige Kriege verhindern würde, also sorgte ich dafür, dass das Flugzeug funktionierte. Dann sorgte ich dafür, dass es besser wurde. Ich habe es wohl ein bisschen übertrieben.«

»Haben sie dich deswegen erwischt?«, wollte Martin wissen.

Roy verzog das Gesicht. »Ich kam in ein anderes Projekt und sie haben versucht, weitere SR-71 zu bauen. Es war streng geheim und da ich nicht mehr Teil des Teams war, hatte ich keine Ahnung, dass sie das vorhatten. Sie konnten die einzelnen Titanteile nicht miteinander verbinden. Irgendwann begann man, Fragen zu stellen.«

»Und du hattest Visionen von langen, langen Gesprächen mit der CIA und da bist du abgehauen.«

»Bingo. Ich hatte ein Buch gelesen, gerade erst erschienen. Die besten Jahre, um im mittelalterlichen England zu leben. Von einem Typen namens Cox. War ein Geschenk. Ist ja auch egal, ich schleich mich in den Kartenraum und hole mir Koordinaten für die Klippen von Dover, dann ein Abstecher in den Computerraum, Koordinaten eingeben, ein Datum wählen und schon war ich hier.«

Martin ließ sich das kurz durch den Kopf gehen und fragte dann: »Wo ist dein Computer jetzt?«

Roy kniff die Augen zusammen. »Ich besitze keinen Computer. Ich bin nur ein Kerl.«

»Was ist mit dem Computer, der dich hergebracht hat?«

Roys Augen blieben zusammengekniffen. »Der gehört Lockheed.«

»Wie auch immer«, sagte Martin. »Wo ist er?«

»Wo ich ihn gelassen habe, bei Skunk Works.«

Es fiel Martin sichtlich schwer, das Gehörte zu verarbeiten. »Du hast ihn nicht mitgenommen? Roy? Mann, das ist eine Reise ohne Wiederkehr für dich.«

»Wie gesagt, Junge, ich war ziemlich in Panik.«

»Wie wolltest du dich ohne Computer hier als Zauberer ausgeben?«

»Gar nicht«, sagte Roy kichernd. »Ich wollte mir hier mit meinem Ingenieurwissen meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich kam in die Bar, sie haben einen Blick auf mich geworfen und sind sofort davon ausgegangen, dass ich Zauberer bin.«

»Hmmm«, stimmte Martin zu. »Das glaube ich sofort.«

Martin verbrachte die nächste Stunde damit, Roy die Gesamtsituation darzulegen, ganz so wie Phillip es für ihn getan hatte. Er erklärte ihm, dass es in dieser Zeit in ganz Europa und anderswo Gemeinschaften von Zauberern gab, ebenso in anderen Epochen. Er erzählte ihm, dass alle Zauberer Leute wie er selbst waren. Sie waren in einer ihrer zahlreichen Gestalten über die Datei gestolpert, hatten sie benutzt, waren in Schwierigkeiten geraten und zurück in der Zeit gereist, um unterzutauchen.

Eine Zeit lang rätselten sie zusammen über den Umstand, dass Roy die Datei als Einziger auf Magnetbändern gespeichert entdeckt hatte und nicht, wie jeder andere, auf dem Zentralrechner eines Firmennetzwerks. Letztendlich nahmen sie es dann aber hin als eine der vielen Ungereimtheiten, die im Zusammenhang mit der Datei, so wie im Zusammenhang mit dem Universum ja auch, immer wieder auftauchten.

Martin erklärte weiter, dass alle Frauen, die die Datei gefunden hatten, nach Atlantis gingen, da zauberbegabte Frauen überall sonst wenig willkommen waren. Er wollte gerade das Phänomen der zeitlichen Verschmutzung erläutern und dass scheinbar keine ihrer Taten Auswirkungen auf die Zukunft hatte, als er von Roys Schnarchen unterbrochen wurde.

Martin weckte Roy noch mal auf, damit er zum Schlafen aufs Sofa umziehen konnte. Während Roy ein Kissen in den Bezug stopfte, fragte er: »Wann treffe ich den, der das Sagen hat?«

Der das Sagen hat, dachte Martin, das ist ein kleines bisschen heikel.

Martin überlegte kurz, ob er Roy erzählen sollte, dass der derzeitige Vorsitzende noch nicht lange im Amt war und wie sein Vorgänger seinen Namen von Jimmy in Merlin geändert hatte, um anschließend den Versuch zu unternehmen, das ganze Land seinen Launen entsprechend umzukrempeln, einschließlich des Vorhabens, alle anderen Zauberer umzubringen.

Nee, dachte Martin, das ist dann doch zu viel zu verdauen für den ersten Abend. Ich erkläre ihm das alles später, wenn wir über das Thema Verbannung sprechen.

Er antwortete: »Keine Ahnung, wann du den Vorsitzenden triffst. Früher oder später wirst du ihm schon begegnen. Schwer zu sagen wann genau, er ist ziemlich beschäftigt.«

Kapitel 4

Man könnte meinen, dass Phillip gern Vorsitzender war, obwohl er einen vollen Terminkalender hatte. Phillip würde einem aber erklären, dass er gerade wegen des vollen Terminkalenders so gern Vorsitzender war. Vielen Leuten fiel es schwer, das zu verstehen, aber nur, weil diese Leute den Terminkalender noch nie gesehen hatten.

Phillip wälzte sich aus dem Bett, das sich in seiner offiziellen Residenz befand, derselben Hütte, die er seit zehn Jahren bewohnte. Er streckte seinen Rücken durch und bereute zum tausendsten Mal, dass er die Fähigkeit, den Alterungsprozess anzuhalten, erst so spät erhalten hatte. Mit Mitte vierzig und einer, wie es für sein Alter zu erwarten war, gesteigerten Leibesfülle. Er zog irgendein Frühstück aus seinem Hut und aß verschlafen vor sich hin. Danach war er so gut wie wach und machte sich mit Stab, spitzem Hut und in hellblauer Robe auf den Weg zur Arbeit. An manchen Tagen hatte er Lust, großspurig vor aller Augen zur Arbeit zu fliegen, aber heute teleportierte er sich einfach hin. Er hatte ein umfangreiches Tagesprogramm und er wollte loslegen.

Er erschien vor seinem Gebäude, trat unverzüglich ein und ging durch den Verkaufsraum, der reine Schau war. Er ging durch den Séancenraum mit der falschen Kristallkugel zur Treppe im hinteren Teil des Gebäudes. Über die Treppe gelangte er an sein Ziel im zweiten Stock. Dieser war ausgestattet mit den feinsten Einrichtungsgegenständen und Unterhaltungsgeräten, die das Jahr 1984 zu bieten hatte.

Er drückte auf einen Knopf an der wuchtigen Sony-Stereoanlage und Klänge von The Alan Parsons Project erfüllten leise den Raum. Er ging hinüber zur Bar aus Chrom und weißem Kunststoff und warf einen Blick auf die offizielle Agenda.

Punkt 1: Aufstehen. Abgehakt!

Punkt 2: Frühstücken. Abgehakt!

Punkt 3: Fleißarbeit ausdenken und an anderen Zauberer delegieren, der viel Geschrei darum macht.

Phillip dachte einen Moment über die Fleißarbeit nach und darüber, an wen genau er sie delegieren sollte. Sein Blick schweifte durch den Raum, über seinen Commodore 64 Heimcomputer, über seinen neuwertigen Pontiac Fiero, den er hier wie ein Kunstwerk ausstellte. Als sein Blick auf den GORF Spielhallenautomaten fiel, einem echten Original, verweilte er. Phillip dachte daran, wie er den Automaten sorgfältig auseinandergenommen und Stück für Stück zurück durch die Zeit transportiert hatte. Er sah die Kratzer am Münzeinwurf und ihm fiel ein, wie Magnus, der jüngere der beiden Zauberer aus Norwegen, versucht hatte, ihn aufzubrechen.

Das beantwortete schon mal das Wer, blieb nur noch das Was.

Es dauerte nicht lange, dann rief er Magnus an. Dafür benutzte er das, was von Zauberern beschönigend als Handtelefon bezeichnet wird. Er hielt die rechte Hand so vor sein Gesicht, als wolle er einen Schauspieler imitieren, der gerade Shakespeares Monolog »Ach, armer Yorick« rezitiert. Phillip sagte: »Komuniki kun Magnus zwo.« Beinahe zeitgleich erschien in seiner Hand Magnus' Platzhalter-Icon, ein flackerndes, halbtransparentes Bild eines Teufels mit ausgestreckter Zunge. In seiner linken Hand hielt der Dämon den Hals einer V-förmigen Gitarre. Die andere Hand war zu Teufelshörnern geformt.

Wenn der Teufel Teufelshörner macht, dann ist das doppelt gemoppelt, dachte Phillip. Er könnte einfach auf seine Hörner zeigen, das hätte die gleiche Aussagekraft.

Schließlich erschien an Stelle des Teufelsbilds ein verschlafen dreinblickender Magnus. Phillip hatte ihn offensichtlich aus dem Bett geholt.

Das Bild von Magnus' Kopf sagte: »Hey, Phillip.«

»Guten Morgen, Magnus. Wie geht es Magnus?«, erwiderte Phillip.

Magnus' bester Freund war auch ein Zauberer aus Norwegen, der ebenfalls Magnus hieß.

»Er ist Magnus«, antwortete Magnus, »wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ich denke schon.«

»Was gibt's?«

»Geschäftliche Angelegenheit, fürchte ich. Wie du ja weißt, bin ich jetzt Vorsitzender der Zauberer.«

»Na ja, klar. Ich hab dich gewählt. Ist erst zwei Monate her.«

Phillip lächelte. »Stimmt. Tja, ich habe beschlossen, dass es Zeit für eine Volkszählung ist.«

»Eine Volkszählung«, sagte Magnus. Er war sicher, sich verhört zu haben.

»Ja. Wir müssen jeden einzelnen Zauberer in Europa zählen und erfassen«, erklärte Phillip ihm geduldig.

Magnus kniff die Augen zusammen. »Aber, Phil, du kennst doch jeden einzelnen Zauberer in Europa.«

»Tja, das ist genau der Punkt«, sagte Phillip. »Ich glaube, dass das so ist. Beide glauben wir, alle zu kennen, aber sicher können wir uns nicht sein. Gut möglich, dass David in Russland noch einen Zauberer kennt, den er nie erwähnt hat, weil er dachte, wir wüssten von ihm.«

»Ja, das könnte schon sein.« Magnus' Augen blieben zusammengekniffen. »Weshalb rufst du mich an?«

Jetzt kommt's, dachte Phillip. »Magnus, ich möchte, dass du eine Liste aller Zauberer in Europa zusammenstellst, die du kennst.«

Magnus nickte und meinte: »Okay, kein Problem.«

»Gut«, sagte Phillip. »Dann möchte ich, dass du jeden Zauberer auf dieser Liste anrufst, um ihn auch um genau so eine Liste zu bitten.«

Magnus' Augen weiteten sich. »Du willst, dass ich alle anrufe?«

»Ja«, sagte Phillip strahlend, »ich verlange ja nicht, dass du jeden persönlich aufsuchst.«

»Ja, ist auch wieder richtig«, stimmte Magnus widerwillig zu.

»Es sei denn, du hörst von Zauberern, die dir nichts sagen. Dann möchte ich, dass du sie aufspürst und ihre Angaben aufnimmst.«

»Was denn für Angaben?«

»Du weißt schon. Wer sie sind. Wo sie herkommen. Wo sie die Datei gefunden haben. Grundlegendes.«

»Bis wann brauchst du die Liste, Phillip?«

»Ach, ist nicht sonderlich dringend. In ein paar Tagen, sollte reichen.«

Magnus biss sich kurz auf die Zunge, dann sagte er: »Kein Problem, solange keine neuen Zauberer auftauchen. Falls ich wirklich jemanden aufstöbern muss, brauche ich mehr Zeit. Kriege ich eine Woche?«

Phillip sah enttäuscht aus. »Na klar, Magnus. Wenn du dafür so lange brauchst.«

Sie verabschiedeten sich voneinander, und Phillip widmete seine Aufmerksamkeit wieder seiner Liste.

Punkt 3: Fleißarbeit ausdenken und an anderen Zauberer delegieren, der viel Geschrei darum macht. Abgehakt für den Rest der Woche! Weiter zu Punkt 4.

Punkt 4: Den Rest des Tages machen, was man will.

Phillip spielte ein paar Runden GORF, dann ließ er sich in seinem bequemsten Sessel nieder, um in seiner, mit Eselsohren übersäten, Ausgabe von Catch-22 zu schmökern.

Er hatte eine knappe Stunde gelesen, als er ein Geräusch hörte. Es war an sich kein besonders beunruhigendes Geräusch gewesen. Es hatte geklungen, als hätte jemand am Fuß der Treppe ein Glasglöckchen geläutet.

Dieser Klang erschütterte Phillip bis ins Mark, da er kein Glasglöckchen besaß, und seine magischen Sicherheitsvorkehrungen hätten verhindern sollen, dass jemand anderes am Fuß seiner Treppe stand.

Phillip legte sein Buch weg, griff nach seinem Stab und schlich achtsam zur Treppe.

Sehr vorsichtig schielte er die Treppe hinunter und was er da sah, verwirrte ihn zutiefst.

Kapitel 5

Martin hatte keine Ahnung, wie sein nächster Zug aussehen würde, aber ihm war klar, dass er ihn in den nächsten fünf Sekunden machen musste. Er flog, so schnell wie er sich gerade noch traute, gut zwei Meter über dem Waldboden. Also hoch genug, um nicht im Unterholz hängen zu bleiben, aber niedrig genug, um sich nicht in den Baumkronen zu verheddern. Er hielt den Stab vor sich, parallel zum Körper. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, dass sich der Stab in einen Baumstamm rammte und ihn zu Boden schickte. Langsamer werden konnte er nicht, da einer seiner Verfolger direkt hinter ihm angeflogen kam. Martin war sich sicher, dass sein Vorsprung kleiner wurde. Kein Wunder, musste er sich doch einen Weg durch die Bäume hindurch suchen, während sein Angreifer ihm lediglich durch die martinförmigen Löcher folgen musste, die er hinterließ. Martin hätte einfach geradewegs nach oben fliegen können, das Blätterdach durchstoßend, hinaus in den strahlend blauen Himmel. Doch er wusste, dass da oben ein weiterer Verfolger lauerte. Der wartete nur darauf, dass Martin auftauchte und ihm ein leichtes Ziel bot.

Martin schaute kurz nach oben und erspähte über den Baumwipfeln den schnell fliegenden, schwarzen Umriss. Er senkte seinen Blick wieder, gerade noch rechtzeitig, um einen toten Ast zu sehen und ihm auch fast noch auszuweichen. Der hing vertrocknet zwischen den anderen Ästen. Martin versuchte, unter ihm durchzurauschen, war aber nicht schnell genug. Der Ast schrammte schmerzhaft seinen Rücken entlang und krachte dann zu Boden. In einem Anflug von Hoffnung blickte Martin zurück. Er fluchte, als er sah, wie der sich nähernde, lilafarbene Streifen einfach über den abgestürzten Ast hinwegzischte, ohne die Richtung zu ändern, geschweige denn abbremsen zu müssen.

Er wusste, dass er bald auf einen Fluss stoßen würde, der hier den Wald durchquerte. Dann würde er seine Deckung verlieren und wäre leichte Beute für das Schreckgespenst über den Bäumen. Sollte er dagegen langsamer werden, um vom Fluss wegzufliegen, dann würde der lila Farbstreifen an ihm vorbeiziehen und ihn aus der Luft holen. Zu allem Übel gab es noch einen dritten Angreifer, der zwar den Startschuss für diese Jagd etwas verschlafen hatte, aber sehr bald auch noch mitmischen würde.

Es war alles ganz allein Martins Schuld. Er war so damit beschäftigt gewesen, einen Lehrling zu haben. Darüber hatte er völlig vergessen, dass es Leute gab, die ihn bei jeder Gelegenheit angriffen.

***

Der Tag hatte so erfreulich angefangen. Als Martin erwachte, war Roy bereits aufgestanden. Martin machte Frühstück und beobachtete amüsiert, wie verstört Roy darüber war, aus dem Hut eines Zauberers essen zu müssen. Nicht minder verstört war er darüber, dass das Frühstück aus Speck-Eier-Käsecracker-Muffins und einer großen Portion Kartoffelrösti von McDonald's bestand.

Nach dem Frühstück begann Martin damit, Roy auf den neuesten Stand zu bringen.

Er führte ihm seinen Laptop vor, ein Spitzenklasse-Modell von 2012. Für Roy, der aus dem Jahr 1973 kam, war das Gerät mindestens so verblüffend, wie alle von Martin gezeigten Zaubertricks. Martin erklärte ihm, dass bis vor kurzem Zauberer, die weiter aus der Zukunft stammten, die neuere Technologie von früheren Zauberern ferngehalten hatten, um die Zeitachse nicht mehr als nötig durcheinanderzubringen. Jüngste Ereignisse hätten jedoch gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht nur die früheren Zauberer stark benachteiligte, sondern auch, dass der Zeitachse völlig Schnuppe zu sein schien, was sie taten.

Letzteres wollte Roy genauer erklärt haben und Martin erläuterte, dass die meisten Zauberer regelmäßig in ihre ursprüngliche Zeit zurückkehrten und keiner bislang auch nur die geringste Veränderung hatte feststellen können, ganz egal was die Zauberer in der Vergangenheit trieben. Er ging noch kurz auf die beiden gängigsten Theorien dazu ein: Sie existierten in einer separaten Zeitachse, erschaffen vom Programm, welches die Datei verwendete, oder, irgendwo in der Zukunft würde etwas geschehen, das all das Kuddelmuddel wieder in Ordnung bringen würde. Martin verstummte allmählich, als er Roys Desinteresse für die philosophischen Feinheiten des Ganzen bemerkte. Der wollte viel lieber mit Martins Computer herumspielen.

Vielleicht kommen wir doch miteinander klar, dachte Martin.

Nachdem Roy den Laptop lange genug inspiziert hatte, fuhr Martin fort und erklärte ihm das Shell-Programm. Phillip und der ehemalige Vorsitzende Jimmy hatten diese Benutzeroberfläche entwickelt, um einfacher auf die Datei zugreifen zu können, die sie alle hierhergebracht hatte. Er erläuterte Roy, welche Fähigkeiten derjenige erlangen konnte, der von der Existenz des Shell-Programms wusste und sich die Zeit nahm, sich damit vertraut zu machen. Er würde nie altern müssen. Er würde nicht frieren oder schwitzen müssen. Und das Allerwichtigste: Obgleich man weiterhin Nahrung, Wasser und Luft benötigte, war man unverwundbar.

Wenn Roy eine Robe tragen würde und einen spitzen Hut mit bestimmten Maßen, dann würde das Shell-Programm ihn als Zauberer betrachten, der fliegen und teleportieren und aus dem Nichts Essen, Geld und alles nur Erdenkliche erschaffen konnte.

Für den Fall, dass er die Abschlussprüfungen bestehen sollte, versprach Martin, ihm einen eigenen Laptop zu besorgen, mit dem er, so oft er wollte, in seine Zeit reisen konnte.

»Das heißt, wenn du bereit bist, die Ausbildung zu beginnen. Solltest du dich dagegen entscheiden, muss ich davon ausgehen, dass du nichts Gutes im Schilde führst. Dann schicke ich dich zurück und lasse die CIA dich einsammeln. Also, Roy, bist du bereit für die Ausbildung?«

Über ein Angebot in dieser Form musste Roy nicht lange nachdenken.

Martin ging kurz an den Computer, um Roy im Shell-Programm anzulegen, dann verkündete er, sie müssten gehen. Vor einiger Zeit hatte es ein paar unschöne Vorkommnisse gegeben, weshalb er und ein paar seiner Zaubererfreunde es sich zur Aufgabe gemacht hatten, einmal in der Woche ihre Erfahrungen auszutauschen und ihre neuen Shell-Skripte für Notfälle untereinander auszutauschen. Er nahm Roy mit, damit er die Jungs kennenlernte und sah, an was sie gearbeitet hatten. Für jemanden, der aus der Rüstungsindustrie kam, konnte das durchaus interessant sein.

Martin und Roy materialisierten mitten auf einer riesigen Lichtung, etwa fünf Meilen außerhalb von Leadchurch. Martins Freund Gary hatte sie ausgesucht, weil sie groß und eben war und auf allen Seiten von eng zusammenstehenden Bäumen umgeben. Die Zauberer hatte hier genug Platz, um neue Sprüche vorzuführen und zu testen, ohne befürchten zu müssen, dass sich einer der Einheimischen an sie heranpirschte. Selbst wenn sich jemand durch den Wald anschleichen sollte, er würde sich fürchterlich beeilen müssen, die Mitte der Lichtung zu erreichen, bevor die Zauberer Gegenmaßnahmen ergriffen.

Sie befanden sich allein mitten auf der Wiese. Martin, in silberner Robe und Hut, den Stab in der Hand und Roy, mit Trenchcoat, schmaler Krawatte und bequemen Schuhen. Martin fuhr herum. »Oh nein.«

Eine graue Gestalt näherte sich erstaunlich schnell vom Wald her. Zwei weitere Gestalten, eine lilafarben, eine schwarz, kamen aus unterschiedlichen Richtungen ebenfalls auf sie zu.

Martin fiel Garys Plan ein, der dafür sorgen sollte, dass sie alle stets auf Zack waren. Er nannte es das Kato Protokoll. Es war ganz einfach. Die Zauberer würden sich bei jeder Gelegenheit, ohne Vorwarnung, gegenseitig angreifen. So sollte sichergestellt werden, dass sie immer in Wettkampfform waren – und sollten somit gezwungen sein, stets auf ihre Umgebung zu achten. Zu guter Letzt, und für Gary war das der wichtigste Grund, war es ein Riesenspaß.

»Klingt gut«, hatte Martin dazu gemeint. »Wann geht's los?«

»Wir werden sehen«, war Garys Antwort gewesen.

Die farbigen Streifen hatten sie beinahe erreicht, da rief Martin: »Spielstopp!«

Die Streifen hielten mitten im Flug inne und schwebten jetzt in einem Dreieck um Martin und Roy in der Luft. Tylers lila Gewand hing an ihm herab und flatterte leicht im Wind. Die Rolls-Royce-Kühlerfigur, die seinen Stab krönte, reflektierte das Sonnenlicht. Jeff landete und verstaute seinen Stab in der Tasche seiner grauen Flanellrobe. Gary schwebte vor Martin und Roy hin und her. Seine zottligen, braunen Haare standen unter dem pechschwarzen Hut hervor. Unterhalb des Saums seiner Robe waren seine dürren Beine und schwarzen, halbhohen Leinen-Turnschuhe zu sehen, die zwei Meter über der Grasnarbe hingen. Er richtete die mit KISS-Actionfiguren verzierte Spitze seines Stabes auf Roy. »Hallo, Martin. Schön dich zu sehen. Wer ist der Neue?«