Augen zu und Kuss - Claire Singer - E-Book

Augen zu und Kuss E-Book

Claire Singer

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Beschreibung

Als Ferdinand von Blaustein als »der Neue« in die 8a des Galileo-Gymnasiums kommt, geht unter den Mädchen ein wilder Wettstreit um den hübschen Kerl los, der aussieht, als würde er die Prinzenrolle in einem Kitschfilm spielen. Nur Klara Klug versteht die Welt nicht mehr: Was finden ihre Klassenkameradinnen bloß an diesem geschniegelten Typen mit Sakko und Seidenschal so toll, der offensichtlich auch außerhalb der Schule recht beschäftigt zu sein scheint? Als Chefredakteurin der Schülerzeitung muss sie das neue Ferdinand-von-Blaustein-Phänomen genauer unter die Lupe nehmen und darf dabei einige Überraschungen – vor allem an sich selbst – feststellen …

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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

bloomoon, München 2017

© 2017 ars Edition GmbH, Friedrichstr. 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

© Text: Claire Singer

© Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung von Bildmaterial von Shutterstock und Thinkstock

© Vignetten im Innenteil von Thinkstock

eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-2190-0

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1899-3

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Netzwerk ohne Boden

Wenn Mädchen sich einig sind

Komödienstadel Teil 1

Affenstall

Komödienstadel Teil 2

Hoher Besuch

Mein Paps, der Guru

Richtige Fragen am richtigen Ort

Mehr Affen, bitte!

Komödienstadel Teil 3

Alles kein Kinderspiel

Mehr als ein Job

Hirn an, Hirn aus

Alles nicht nach Plan

Kühler Kopf war gestern

Alles Quark, oder was?

Salz auf unserer Haut

Die Welt gegen Klara Klug

Weitere Titel

Leseprobe zu "Meine schrecklich beste Freundin"

Netzwerk ohne Boden

»Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer …«

Gestatten, das sind meine Brüder, Ben und Olli, laut singend im Badezimmer und kurz bevor sie sich wie jeden Morgen um die Cornflakes-Schachteln balgen, von denen aus unerfindlichen Gründen immer die mit Schokogeschmack leer ist.

Das wäre nicht weiter erwähnenswert, also das mit den Brüdern, wenn sie nicht völlig gleich wären. Sie sagen das Gleiche, nur eben doppelt so laut. Sie denken das Gleiche und sprechen es gleichzeitig aus. Sie tun das Gleiche und meistens ist es doppelt falsch. Zwillinge eben! Hallo? Und dann Jungs! Doppelhallo? Und zweimal sieben Jahre alt! Help & Hilfe!

Und wer hat diese Gurkentruppe den ganzen Tag an der Backe, weil Mam für unser örtliches Käseblatt Leserbriefe beantwortet oder über Neueinweihungen von Spielplätzen schreibt?

Danke, ich natürlich, doppelt so alt wie Ben und Olli, in der Blüte meiner Jungmädchenjahre, wie ich es nenne. Oder voll in der Pubertät, wie Paps es nennt, der vor Jahren in der Blüte seiner Lebensmitte unsere kleine Kernfamilie um eine Freundin bereichert hat, nachdem er irgendwann mal weg war, um sich selbst zu finden.

Gefunden hatte er aber nur Anschi, die ungefähr halb so alt ist wie Mami, und damit doppelt so alt wie ich, und die mit ihm jetzt einen Katzensprung entfernt in einer kleinen Doppelhaushälfte wohnt.

Mam, die Gurkentruppe und ich dürfen ihn aber immer besuchen, wann wir wollen, und sogar zusammen mit Herrn Meier, der als vielfarbige Wollkrautmischung jede Hunderasse in sich vereint.

Mam macht von dem Angebot weniger Gebrauch, meine Brüder und Herr Meier hingegen doppelt so viel wie ich, was heißt, dass sie jede Woche mindestens zweimal dort vorbeischneien, um Anschis nie endende Eis- und Hundekeksvorräte zu plündern.

Wer jetzt nur die Hälfte von allem verstanden hat, wird sich später doppelt freuen, denn all die vorgestellten Personen sind ein wesentlicher Teil meines sozialen Netzwerkes, das seinem Namen alle Ehre macht: Man kann sich darin verfangen, verstricken und hindurchfallen.

Doch ich greife vor. Es soll nicht bereits auf der ersten Seite der Eindruck entstehen, ich, Klara Klug, 14 Jahre alt, hätte mein Leben nicht voll im Griff. Doch der entsteht spätestens dann, wenn ich die anderen Teile meines Netzes vorstelle … nämlich meine beste Freundin Amanda und meine Klasse.

Die 8a des Galileo-Gymnasiums zeichnet sich durch eine klare Zweiteilung aus: Ein Teil wäre besser in Island aufgehoben, um dort auf saftigen Weiden kleinen Ponys Zöpfe in die Stirnfransen zu flechten, und der andere Teil hätte gute Chancen, bei einem Casting für Heidi Klums Topmodelshow teilzunehmen.

Leider gibt es zwischen den beiden Gruppen einen winzigen Spalt, Niemandsland sozusagen, und dieser wird ausgerechnet von zwei ganz speziellen Personen bewohnt: nämlich von meiner allerbesten Freundin Amanda und meiner Wenigkeit. Wir machen uns nämlich weder was aus Pferden und diversen Gurt- und Sattelknoten noch aus Diäten und Schminktechniken.

Mal ganz abgesehen davon, dass wir auch figurtechnisch keiner der beiden Gruppen zugeordnet werden können, also weder der etwas Sitzfleisch-lastigeren Spezies der Ponydamen noch den Astralleibern der Catwalktruppe, denn Amanda und ich sind entwicklungstechnisch etwas zurück, also rein körperlich. Will sagen flach, flacher, am flachsten.

Kein Wunder, dass wir uns ein wenig in Isolationshaft befinden, denn der restliche Teil der Klasse besteht aus Jungs. Jungs, die zwischen albern, blöd, überdreht, angeberisch und frech alle Aggregatszustände einnehmen.

Leider wirkt von denen aber keiner auf mich besonders anziehend. Dabei zählen wir die größtmögliche Schönheit der Schule zu unserem Klassenverband: Marc.

Marc allerdings nimmt nur die Modeltruppe wahr, die Amazonen sind nicht nach seinem Geschmack. Und bei Amanda und mir würde er wohl ungläubig zweimal nachfragen, ob wir in seiner Klasse sind. Ja, man kann es so sagen: Wir sind einfach Luft für ihn.

Aber wie gesagt, alles nicht tragisch, denn Marc ist zwar mit seinen braunen Augen, schwarzen Locken und seinem römischen Profil wirklich eine Zierde seiner Art, aber leider ist bei ihm weder Humor noch Hirn vorhanden. Somit kommt er noch nicht einmal als Gesprächspartner infrage, geschweige denn als ernst zu nehmendes Himmelswesen, dem man Gefühle schenken könnte.

Allerdings gehen Flirtereien auch im Allgemeinen an Amanda und mir völlig vorbei, da wir ja im Geschlechtsnirwana zu Hause sind. Fast. Denn ich habe Amanda schon beim Tragen eines Push-ups erwischt, den ich ihr aber schleunigst wieder ausreden konnte, denn die Körbchen suchten vergeblich nach Halt unter Amandas Blümchenbluse.

Ich verzichte auf solche Neckereien völlig. Ein bedrucktes T-Shirt reicht modisch völlig aus, allerdings lege ich Wert auf intellektuelle Aufdrucke, weshalb ich Großkundin im Copyshop bei Paps um die Ecke bin. Man kann den Besuch dort super mit dem Abliefern der Gurkentruppe und Herrn Meier verbinden, Paps freut sich und zahlt meist auch den Aufdruck, den Anschi, seine Flamme, meist »total süß« oder »total abgefahren« findet. Klar, sie würde nicht mit dem Porträt von Albert Einstein und dem Spruch »Geist ist geil« auf der Brust rumrennen. Aber Hauptsache, Paps ist mit ihr glücklich.

Was man von meiner Mam lange nicht behaupten konnte. Irgendwie hatte sie diese Anschi schlechter verdaut als die Gurkentruppe und ich. Und das, obwohl Paps und Mam vor der Trennung Dialoge geführt haben, die man noch bei Klumkes im Erdgeschoss hören konnte. Wohlgemerkt: Wir wohnen im 5. Stock!

Ziemlich hübsch übrigens. Mit einem Schnuckelsüdbalkon, auf dem man prima abchillen kann. Wären da nicht der Doppelhasenstall mit den Kurz-ohrzwerglümmlern Fritz und Knolle (Zwillinge übrigens, die aus unerfindlichen Gründen aussehen wie meine beiden Brüder, nur sehr viel haariger), eine halbe Rennbahn, bei der Ben und Olli sich nicht einigen können, in welche Richtung sie gebaut werden soll, sowie Mams mediterrane Tomatenzucht in ausladenden Terrakottatöpfen, von der sie sich jedes Jahr mehr verspricht, als dann nach mühevollem Päppeln herauskommt. Ich sage nur: eine Quotentomate pro Mann und Nase.

Aber ich schweife ab: Mam hat es echt nicht leicht gehabt, nachdem Anschi, also Angela Schön (ja, so heißt sie tatsächlich, und ich stelle mir vor, wie sie erst heißen wird, nachdem sie meinen Vater geheiratet hat und dann einen Doppelnamen annimmt!), in unser Leben getreten war wie ein Fleisch gewordener Rauschgoldengel – Anschi eben! – und meinem Vater ein seliges Dauergrinsen ins Gesicht gezaubert hatte. Eines, das ich auch immer wieder an Marc, unserem Klassenschönling beobachten kann, wenn er in seinem Lieblingsfach Anpirschen unterwegs ist …

Vielleicht hat mich das rührend komische Vorbild meines Vaters einfach zu kritisch werden lassen? Kein Wunder, warum mich die Jungs in unserer Schule einfach kalt lassen. Luft. Nada. Nichts. Gar nicht vorhanden. Füllmasse zum Erreichen der Klassenstärke.

Amandas Einwürfe, dass wir vielleicht einfach noch nicht attraktiv genug wären, wische ich nicht nur mit einem Schulterzucken weg, sondern versuche auch immer wieder Amanda intellektuell davon zu überzeugen, dass es nicht an uns, sozusagen am Angebot liegt, sondern an der wirklich dürftigen Auswahl des Gegenübers. Immer wenn ich Amanda dann einen langen Vortrag über gescheite Frauen der Geschichte halte, schaut sie mich mit einer Mischung aus Bewunderung, Traurigkeit und – ich kann es nicht anders sagen – Mitleid an.

»Und die sind dann alle glücklich gewesen, so ohne Männer?« Jedes Mal fragt sie mich das. Was soll ich sagen, man schaut ja nicht rein in die historischen Gestalten, sondern sieht nur die geistigen Ergebnisse.

So wie bei meiner Mam. Da sehe ich auch nur die Artikel über die Grundsteinlegung eines neuen Affenhauses im Stadtzoo oder die Ehrung von Martha Huber zum 100. Wiegenfest. Aber wie es in ihr aussieht? In letzter Zeit vielleicht etwas besser. So wie sie die Haar wieder offen trägt, das kurze Kleid über der Röhrenjeans und diesen schillernd grünen Schal, scheint sie seelisch quasi im grünen Bereich zu sein.

Vorbei die Zeiten aufbrausender Ordnungsarien. Hektisches Wienern der ganzen Wohnung, in die sich vor Schreck eh schon kein Staubkorn mehr verirrt hatte. Kein Zusammenstauchen der Gurkentruppe wegen halber Rennbahn im Tomatendschungel, doppelter Portionen Eis bei Anschi oder hoher Ziffern im Notenspiegel des Halbjahreszeugnisses. Kein winselnder Herr Meier, der mal wieder eine Gardinenpredigt wegen geklauter Kekse erhalten hat.

Und ich kann mir auf meine T-Shirts drucken, was ich möchte – kein Kommentar, auch kein blöder. Selbst als ich letztens mit dem Aufdruck »Weg mit den Pralinen – Freiheit für den Muttertag« nach Hause kam. Total lässig, wie sie auf einmal den Alltag wuppt, will sagen, ein bisschen verlottern lässt – ich sage nur Südbalkon – und selig in ihre Redaktion rauscht.

»Das machst du schon, meine Große, dicker Schmatz«, mit diesen Worten fliegen allmorgendlich Schal, Haar und Mutter aus der Tür. Zurücklassend mich, Klara Klug – Neunmalklug, wie die Möchtegern-Topmodels in meiner Klasse gerne ablästern und sich meiner Ansicht nach dabei selbst verrechnet haben –, zurücklassend die Gurkentruppe, Herrn Meier, die Hasen und das seltsame Gefühl, etwas zu verpassen. Aber vielleicht wird das alles überbewertet. Die Sache mit den Jungs …

Wenn Mädchen sich einig sind 

Montagmorgen. Eine wohltuende Freistunde, weil ich als Chefredakteurin der Schülerzeitung den Kunstunterricht zum Layouten meines umwerfenden Blättchens verwenden und ungestört in meinem Büro arbeiten darf.

Eigentlich eine prima Sache, auch wenn ich lieber die Mathestunde dafür hergeben würde, weil unser Kunstlehrer Flöss ein entspannter Typ mit lässiger Gangart ist und damit genau das Gegenteil von Frau Palls, der Mathegranate, die vermutlich das einzige, aber umso innigere Verhältnis mit ihrem Taschenrechner hat.

Ich suche in meinem Rucksack noch verzweifelt nach meinem Schlüssel für das Schülerzeitungsbüro, als ich schon von Weitem eine giggelnde Meute sehe. Direkt vor der Tür, in die ich gleich reingehen will. Muss ein Irrtum sein, hab ich mich etwa im Stockwerk geirrt?

Leider nein, die wollen tatsächlich zu mir! Warum das denn? Außerdem beunruhigt mich noch etwas: Ein Teil der Mädels trägt Ballerinas und Miniröckchen – wir haben heute vier Grad plus und Nordwind –, und der andere Teil hängt in knuffigen Parkas und sehr langen selbst gestrickten Schals rum. Bei näherem Hinsehen – man muss ja nur mal die Brille aufziehen, Frau Klara Klug – kann ich einen guten Teil der Gackermasse als meine Klassenkameradinnen entziffern. Ein paar der Ballerinamäuse sind auch aus der Parallelklasse, so wie Julia Trag-die-Nase-hoch.

»Tach auch, was verschafft mir die Ehre?« Ich zwänge mich durch die beiden ungleichen Gruppen und setze ein sehr wichtiges Gesicht auf. Mit Brille eine meiner leichtesten Übungen. Meine Jeansjacke lass ich mal lieber zu, die würde den wichtigen Eindruck nur vermasseln, denn mein T-Shirt ziert heute der Aufdruck eines sehr stämmigen Ponys in Ballettschuhen mit dem Spruch: »Das Denken soll man den Pferden überlassen, sie haben die längeren Beine.«

Das könnte eventuell zum jetzigen Zeitpunkt meine Autorität untergraben, bevor ich erfahren habe, warum sich der komplette weibliche Teil der Klasse auf einmal dazu herablässt, mit mir zu plaudern. Nachdem ich die Bürotür endlich aufsperren konnte, ohne dass mich ein Miniröckchen oder ein müffelnder Parka zur Seite gedrängt hat, sprudelt der ganze Haufen hinter mir her.

Nun muss man dazu sagen, dass das Büro der Schülerzeitung, die im Übrigen »better than broadcast« heißt (leider nicht von mir, der Name, aber trotzdem gut), einem Arrestzellchen gleicht. Sehr schmal, aber umso höher, deswegen kann man durch ein Oberlicht gerade noch einen Quadratmeter Himmel entdecken. Rechts und links stapeln sich Papiere in diversen Ablagekörbchen, denn ich habe meine Hilfskräfte bis heute nicht dazu motivieren können, sie in eine sinnvolle Ordnung zu bringen.

Zwischen zerlesenen Büchern, einer rundlichen und damit sehr unhandlichen Digitalkamera, einem Kopierer von wahrlich beeindruckender Größe und sehr vielen Colaflaschen wartet ein altersschwacher Mac darauf, dass ich ihm Leben einhauche und auf ihm Layoutwunder vollbringe – meine Artikel schreibe ich selbstredend zu Hause, am liebsten auf meinem Südbalkon, wenn die Gurkentruppe, das Hasenduett oder die vier Tomaten mich in Ruhe lassen.

In diese redaktionelle Vorhölle drängen nun geschätzte 14 Weibchen mit immer höher werdenden Stimmen. Warum müssen Frauen bloß immer wie Piccoloflöten klingen, wenn sie sich aufregen? Ich muss da mal was drüber schreiben …

»Hast du schon gehört, Klara, sie wollen unsere Klasse teilen! Und das nur, weil ein neuer Schüler zu uns kommen soll. Damit haben wir dann Überzahl, und nun dürfen wir nicht mehr alle Fächer zusammen haben!«

Nach diesem Satz fängt das Mädchen zu schluchzen an, ich glaube, es ist Hanna, und hält sich an ihrer Freundin Jacky fest, die die gleichen blauen Ballerinas und den gleichen Minirock wie Hanna trägt, klugerweise aber mit Leggings drunter.

Ich habe Mühe, diesen hingequietschten Satz zu erfassen. Denn im gleichen Augenblick fangen die rustikale Andy und die stämmige Mira an, loszupoltern wie die Bierkutscher: »Ja, das geht gar nicht, wenn ich nicht mehr mit der Andy in Physik zusammen bin, dann ist die Hölle los, und sie ist doch im Alphabet in der ersten Hälfte!«

Ich verstehe gar nichts, merke aber, dass die Pferdecombo und die Casting-Queens ausnahmsweise mal derselben aufgeregten Meinung sind.

»Du musst was unternehmen, mach eine Extraausgabe des »better than broadcast«, bring Flugblätter raus, du hast doch die Maschinen dafür!« Maxi, eine von den ganz Schönen, flötet mich an und drückt mit einem sehr rot lackierten Finger auf meinem Kopiergiganten rum.

»Lass das, Maxi, der geht kaputt, wenn zu gepflegte Hände ihn berühren!« Muss ja auch mal gesagt werden, die können doch in meinem Büro nicht einfach machen, was sie wollen. Ich muss mir einen Überblick verschaffen, wenn das in dieser Lage überhaupt möglich ist.

»Also, was ist los? Ich habe nur verstanden, dass die Leute, die vorne im Alphabet sind, kein Physik mehr haben, das ist doch toll, da sind doch eh keine Naturwissenschaft-Cracks drunter, das kann euch doch nur recht sein!«

Ich finde, ich habe genau den richtigen Ton getroffen, um die Stimmung zu entschärfen, denn das Geschluchze hat nun weite Teile der Ballerinchen-Kathrinchen erfasst und sie hängen sich gegenseitig an den Hälsen und Schultern und müssen sich stützen. Ständig wuseln auch neue dazu, die mit Bussi rechts, Bussi links begrüßt werden. Ich muss hier durchgreifen.

»Kann mir jetzt einer verraten, was das Problem ist und warum sich auch Leute aus der Parallelklasse diesem Protest angeschlossen haben?« Meine Geduld lässt nach, ich merke es. Außerdem wird es verdammt warm in meinem Redaktionstunnel und ich muss doch meine Jacke ablegen. Zum Glück sind die Mädels zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den beißenden Spott auf meiner Brust zu entdecken.

Da tritt Julia aus der Menge. Julia Trag-die-Nase-hoch aus der Parallelklasse. Sie ist wirklich über alle Geschmacksfragen erhaben. Sie zählt weder zur Parkagemeinde noch zur Röckchenfraktion. In kupferfarbenen Wildlederstiefeln, einem psychedelisch gemusterten Hängerchen über der engen Samthose und mit perfekt frisierten, rot schimmernden Haaren, die sie nicht müde wird, aus der Stirn zu streichen, erhebt sie sich lässig und bittet mit einer ausladenden Armbewegung um Ruhe. Was für eine Geste! Wenn ich nicht alle Vorurteile dieser Welt gegen diese Ziege hätte, könnte man es fast gut finden.

»Also hör mal, Klara, so heißt du doch, oder?« Julia sieht mich fragend an. Das weiß diese Tussi doch ganz genau, dass ich so heiße. Steht doch jeden Monat dick und fett im Editorial des »better than broadcast«!

»Also«, fährt sie gnädig fort, »der Fall ist wirklich ernst, denn entweder wird eure a-Klasse oder unsere b-Klasse geteilt werden. Aber es ist ja eigentlich ganz klar, dass das nicht die b-Klasse sein wird, denn unser Klassenverband ist deutlich harmonischer als eurer!«

Da könnte sie sogar recht haben, denn in Julias Klasse gibt es einen Orientierungspunkt, und der heißt Julia. Julia gibt modisch vor, was getragen wird; Julia mag Pferde, aber auf eine aristokratische Weise; und Julia ist die Klassenbeste, weil sie für jeden Quark von ihren Stinkreicheltern Nachhilfe bekommt. Ja, Julias Klasse ist homogener, oder sagen wir einfach, es ist Julias Klasse.

»Und was soll ich da bitte schön machen?«, frage ich also ratlos in die Runde. »Denn bei allem Respekt vor der Schülerzeitung, in organisatorische Schulentscheide können wir hier nicht reinfunken!« Mein Ton ist perfekt. Freundlich im Klang, hart in der Sache.

»Aber du kannst doch auf diese Ungerechtigkeit hinweisen. Das ist die Aufgabe einer Zeitung, das musst du tun!« Kira mit den Stopsellocken und den Sommersprossen piepst hilflos hinter Manu hervor, die sie mit ihrem breiten Kreuz und den Camelboots unterm Overall fast ganz verdeckt.

Mir schwant Schreckliches. Ich soll benutzt werden! Das geht gar nicht − eine Schülerzeitung muss unabhängig sein. Außerdem muss ich recherchieren und mit der Schulleitung reden. Punkt, aus, basta. Und sofort raus aus meinem Büro.

So oder ähnlich muss ich geklungen haben, denn irgendwie habe ich es geschafft, die Meute wieder hinauszukomplimentieren. Einig wie nie trollen sie sich und meine schöne Freistunde ist futsch. Jetzt kann ich wieder schauen, dass ich in meiner Freizeit das Layout bastle.