Aurora entflammt - Amie Kaufman - E-Book
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Aurora entflammt E-Book

Amie Kaufman

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Beschreibung

Band 2 der »New York Times«-Bestseller-Trilogie   Tyler und sein Squad 312 sind zurück, und dieses Mal sind sie auf der Flucht vor so ziemlich jedem in der Galaxie. Nachdem sie in galaktisches Sperrgebiet eingedrungen sind, ist auf sie ein Kopfgeld ausgesetzt. Ihre Hauptaufgabe besteht aber nicht nur darin, sich selbst zu retten, sondern auch ihre blinde Passagierin Aurora.  Und die Zeit drängt. Denn wenn Aurora nicht lernt, ihre Kräfte als Trigger zu beherrschen, wird der Squad 312 und alle seine Bewunderer toter sein  als der große Ultrasaurier von Abraxis IV ...   Schockierende Enthüllungen, Banküberfälle, mysteriöse Geschenke, unangemessen enge Bodysuits und ein episches Feuergefecht werden über das Schicksal der unvergesslichsten Held*innen der Aurora-Legion entscheiden – und vielleicht auch über den Rest der Galaxie. Alle Bände der Aurora-Trilogie: Band 1: Aurora erwacht Band 2: Aurora entflammt Band 3: Aurora erleuchtet (in Vorbereitung)

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Seitenzahl: 629

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Amie Kaufman | Jay Kristoff

Aurora entflammt

Band 2

Aus dem amerikanischen Englisch von Barbara König

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]Teil 11 Tyler2 Auri3 Scarlett4 Zila5 Kal6 FinianTeil 27 Finian8 Auri9 Kal10 Finian11 Scarlett12 Zila13 Tyler14 Kal15 Tyler16 ScarlettTeil 317 Finian18 Auri19 Tyler20 Kal21 Tyler22 Das EchoAuroraKalAuroraKalAurora23 Tyler24 Das EchoKalAuroraKal25 Zila26 Auri27 Tyler28 ScarlettTeil 429 Kal30 Finian31 Tyler32 Kal33 Tyler34 Zila35 Auri36 Tyler37 Scarlett38 Kal39 Tyler40 Scarlett41 DREI EINS ZWEIAuroraTylerFinianZilaTylerScarlettAuroraZilaTylerFinianScarlettFinianScarlettTylerAuroraZilaSEID GEGRÜSST, KADETTEN!

Das hier ist für den Squad 312.

Für euch alle.

Das solltet ihr wissen
▶ Band 1: Aurora erwacht
▼ Besetzung

Aurora Jie-Lin O’Malley – das Mädchen aus einer anderen Zeit. Vor über zweihundert Jahren hat sich Aurora gemeinsam mit zehntausend anderen Kolonisten von Terra nach Octavia III aufgemacht. Ihr Raumschiff, die Hadfield, ist im interstellaren Raum verloren gegangen, in der sogenannten Raumfalte, um dann Jahrhunderte später von Tyler Jones, einem Kadetten der Aurora Legion, wiedergefunden zu werden.

Aurora war die einzige Überlebende.

Nachdem sie gerettet wurde, fing Auri an, prophetische Visionen zu haben und telekinetische Fähigkeiten zu entwickeln. Sie landete dann schließlich doch auf Octavia III, als sie zusammen mit den Außenseitern des Squad 312 auf der Flucht war. Aber der Planet, der eigentlich ihr Zuhause werden sollte, war in Wirklichkeit eine Brutstätte für das Ra’haam – ein uraltes Gebilde aus Millionen von angepassten Organismen, das unter der Oberfläche schlummerte.

Aurora erfuhr dann, dass sie ihre Kräfte den Eshvaren zu verdanken hat, einem geheimnisvollen Volk, das das Ra’haam vor Äonen besiegt hatte. Doch die Eshvaren wussten, dass ihr uralter Feind eines Tages wieder auferstehen und versuchen würde, die Galaxis zu verschlingen. So versteckten sie eine Waffe in der Raumfalte, die in der Lage ist, das Ra’haam zu zerstören. Und sorgten dafür, dass ein »Trigger« erschaffen wurde, um diese Waffe zu aktivieren.

Aurora musste erfahren, dass SIE dieser Trigger ist.

Auri ist klein, aber oho. Noch ringt sie um ihren Platz in dieser neuen Zeit und in dieser Galaxis, aber sie hält unerschütterlich zu den Legionären der Aurora Academy, die sie aufgenommen haben.

Sie hat einen Kurzhaarschnitt mit einer weißen Strähne im Pony und ist irisch-chinesischer Herkunft. Ihre rechte Iris ist weiß geworden und leuchtet, wenn sie ihre Kräfte einsetzt.

 

Tyler Jones – auch genannt Goldenboy. Nach dem Tod seines Vaters Jericho ist Tyler mit dreizehn Jahren in die Legion eingetreten. Er gehört zur Alpha-Division der Academy und hat sein Leben dem Frieden und der Ordnung in der Galaxis verschrieben. Aber nachdem er Aurora aus der Raumfalte gerettet hatte, fand er sich an der Spitze eines Teams von Außenseitern, Losern und Vorbestraften wieder: dem Squad 312 der Aurora Legion.

Seit Tyler und sein Squad von der Global Intelligence Agency auf der Sagan Station gefangen genommen wurden, sind sie auf der Flucht vor der terranischen Regierung. Als sie Octavia III besuchen – obwohl es eigentlich Sperrgebiet ist –, decken Tyler und sein Team eine uraltes Geheimnis auf, das alle Lebewesen in der Galaxis bedroht. Und die Loser vom Squad 312 scheinen die Einzigen zu sein, die es aufhalten können.

Ty ist der geborene Anführer und ein genialer Taktiker. Seine Schwester meint allerdings: »Der ist so spaßbefreit, dass es für ihn eine sehr ernste Angelegenheit wäre, wenn Spaß auf seinem Planeten einfallen würde.« So selbstbewusst, dass man es schon arrogant nennen könnte, liefert er in der Regel aber auch.

Er hat blaue Augen, blondes Wuschelhaar und Grübchen, die Eierstöcke aus zwanzig Meter Entfernung zum Explodieren bringen.

 

Kaliis Idraban Gilwraeth – der Außenseiter. Kaliis gehört zu den wenigen Syldrathi, die der Aurora Legion beigetreten sind, seit der Krieg zwischen Terra und Syldra vorbei ist. Der syldrathische Krieger aus der Kabale der Wildgeborenen gehört wegen seiner furchterregenden Kampfkünste der Division der Tanks an. Aber er ist immer ein Außenseiter geblieben, und so landete er im Squad 312. Als er Aurora kennenlernt, spürt er sofort den »Sog« – den ungeheuer mächtigen Paarungsinstinkt der Syldrathi. Da er Aurora nicht in eine Situation oder Beziehung zwingen will, die sie nicht verstehen kann, beschließt Kal, den Squad zu verlassen. Aber nachdem Aurora ihm ihre Gefühle gestanden hat, bleibt er doch, um seine Be’shmai (Liebste) zu beschützen.

Kal ringt immer wieder mit seinen kriegerischen Instinkten, und sein ständiger Kampf mit dem sogenannten Feind im Innern deutet auf ein dunkles Ereignis in seiner Vergangenheit hin, von dem wir noch nichts wissen.

Keiner kann so gründlich über alle und alles grübeln wie Kal. So gründlich, dass man ihn eigentlich schon als Profi bezeichnen muss.

Er hat verträumte violette Augen, olivfarbene, fast goldene Haut und langes silbernes Haar. Und von seinen Wangenknochen will ich gar nicht erst anfangen.

 

Scarlett Jones – die Herzensbrecherin. Tylers Zwillingsschwester (sie ist drei Minuten und 37,4 Sekunden älter als er) ist zusammen mit ihrem Bruder der Legion beigetreten – nicht weil sie sich Recht und Ordnung verpflichtet fühlt, sondern um auf Tyler aufzupassen. Sie ist Teil des diplomatischen Korps, und in der gesamten Geschichte der Academy hat sich keine Kadettin so wenig Mühe gegeben wie sie. Aber sie hat geradezu einen sechsten Sinn, was andere denken, und das macht sie zu einem brillanten Face.

Was Sarkasmus angeht, hat Scarlett den schwarzen Gürtel. Obwohl sie etwas ziellos durchs Leben geht, ist sie hochintelligent und kann sich in kürzester Zeit in jede Situation/Kultur/Lage einfühlen, um sich dann nahtlos einzufügen. Was übrigens dafür sorgt, dass sie die Königin aller Quizabende ist.

Scar ist blass, eine klassische Schönheit, und ihr asymmetrischer Bob ist flammend rot. Keine ihrer Beziehungen hat je länger als sieben Wochen gehalten, und die Spur von gebrochenen Herzen, die sie hinter sich lässt, wäre so lang wie mein Arm.

Also, wenn ich denn Arme hätte …

 

Finian de Karran de Seel – der Klugscheißer. Finian ist Betrasker und ein Technikgenie. Seine schroffe Art und seine alles andere als herausragende soziale Kompetenz haben dafür gesorgt, dass er in seinem Jahrgang der Aurora Academy von allen Gearheads bei der Auslese als Allerletzter ausgewählt wurde.

Als Kind hat sich Finian mit der Lysergia-Seuche infiziert, und obwohl die Seuche ihn nicht umgebracht hat, hat sie seine Bewegungsfähigkeit extrem eingeschränkt. Er wurde von Trask weggeschickt, um mit seinen dritten Großeltern auf einer Raumstation in der Schwerelosigkeit zu leben. Finian hat sich mit Hilfe seiner technischen Fähigkeiten einen High-Tech-Anzug konstruiert, den er immer trägt. Dieses Exoskelett erlaubt ihm, sich ohne Hilfe zu bewegen, und enthält eine Reihe von nützlichen Werkzeugen und Geräten.

Finian versteckt seine Unsicherheit hinter einem Schutzschild aus Zynismus. Wie alle Betrasker hat er bleiche Haut und Haare und trägt pechschwarze Kontaktlinsen, um seine Augen vor der UV-Strahlung zu schützen.

Und nein, er ist überhaupt nicht hoffnungslos in Scarlett Jones verliebt, danke der Nachfrage. Und die Gerüchte, dass ihr Bruder ein zufriedenstellender Ersatz wäre, gehen euch auch überhaupt nichts an.

 

Zila Madran – mit erschreckend hoher Intelligenz ausgestattet. Oder einfach erschreckend. Zila ist die Wissenschaftsoffizierin des Squad 312. Obwohl sie selten etwas sagt, sind ihre Erkenntnisse in der Regel absolut richtig. Sie begegnet dem Leben mit eiskalter Vernunft.

Zila hat wenig bis überhaupt keine soziale Kompetenz. Sie ist direkt, distanziert und tut sich schwer, Mitgefühl für andere zu zeigen. Sie hat angedeutet, dass ein Trauma in der Vergangenheit der Grund für ihr Verhalten ist, aber noch hat sie nichts Genaueres dazu erzählt. Sie ist klein, hat dunkelbraune Haut und lange schwarze Locken, die ihren eigenen Willen zu haben scheinen (was eine Menge erklären würde). Sie trägt immer goldene Ohrringe, und seltsamerweise haben die immer etwas mit dem zu tun, was sie gerade macht. Sie ist leise und höflich, schrecklich schlau und schießt etwas zu gerne mit ihrer Disruptorpistole in der Gegend herum.

 

Catherine Brannock – Heißsporn. Cat »Zero« Brannock war eine geniale Pilotin und Mitglied der Aurora Legion. Von Kindheit an war sie die beste Freundin von Ty und Scar Jones. Die Narbe in Tylers rechter Augenbraue hat Cat zu verantworten (sie hat ihm an ihrem ersten Tag im Kindergarten einen Stuhl auf den Kopf gedonnert).

In der Nacht vor ihrem Abschlussjahr als Kadetten haben Cat und Ty miteinander geschlafen. Obwohl Ty Cat davon überzeugt hat, dass eine ernsthafte Beziehung zwischen ihnen keine gute Idee wäre, war Cat weiter heimlich in ihn verliebt, und als er mit den Außenseitern vom Squad 312 zusammengeworfen wurde, ist sie an seiner Seite geblieben.

So zynisch und kampflustig, wie sie war, geriet sie öfter mit Aurora aneinander und hat versucht, den Squad auf dem rechten Weg zu halten. Tragischerweise wurde sie vom Schwarmbewusstsein des Ra’haam infiziert, als der Squad auf Octavia III war. Sie hat tapfer gegen das Gestaltwesen angekämpft, um ihrem Team genug Zeit zu geben, dem Planeten zu entkommen, und ist schließlich in dem Ganzen aufgegangen.

Ich weiß. Ich war auch traurig.

 

Die Eshvaren – Je nachdem, wen man fragt, sind die Eshvaren entweder ein altes Volk, das vor Millionen Jahren ausgestorben ist, oder eine Mär, die von Krämern und Hökern aufrechterhalten wird, um gefälschte Artefakte loszuwerden.

Doch nicht nur haben die Eshvaren tatsächlich existiert, sie haben sogar einen Krieg gegen das Ra’haam geführt, den sie schließlich gewonnen und so die gesamte Galaxis gerettet haben.

Sie wussten, dass ihr Erzfeind eines Tages wieder auftauchen könnte, sie dann aber wahrscheinlich nicht mehr existieren würden. Und so haben die Eshvaren etwas in der Raumfalte versteckt, das zur Entstehung des Triggers führte – ein Wesen von ungeheurer übernatürlicher Kraft. Angeblich haben sie dort draußen auch eine Waffe versteckt, die in der Lage ist, das Ra’haam zu zerstören.

Falls jemand weiß, wo sie ist, wäre das echt eine große Hilfe …

 

Das Ra’haam – ein einziges Wesen, das aus Millionen von Organismen besteht. Das Ra’haam hat schon einmal versucht, jedes Lebewesen in der Galaxis zu verschlingen, um zu einem allumfassenden Ganzen zu verschmelzen.

Nachdem es dann von den Eshvaren besiegt wurde, versank es in einen Dämmerschlaf auf zweiundzwanzig Brutstätten, die über die Milchstraße verteilt sind. Auf diesen Planeten – die sich alle in der Nähe von natürlich vorkommenden Toren in der Raumfalte befinden – schlummert es unter der Oberfläche und leckt sich seit Jahrmillionen die Wunden.

Bedauerlicherweise gehörte auch Octavia III dazu, ein Planet, der für die terranische Kolonisation ausgewählt worden war. Als sie das aufkeimende Ra’haam unter der Oberfläche entdeckten, wurden die Kolonisten verschlungen und darin aufgenommen. Auch Auroras Vater, Zhang Ji, gehörte dazu.

Was danach passiert ist, ist nicht ganz klar, aber anscheinend hat das Ra’haam diese infizierten Kolonisten zurück nach Terra geschickt und die Global Intelligence Agency unterwandert, um seine Ziele voranzubringen. Nun wartet es auf den zweiundzwanzig Planeten, sammelt seine Kräfte für die nächste Sprossung, um die Infektion durch die Raumfaltentore in der gesamten Galaxis zu verbreiten.

 

Magellan – Das bin ich! Hallo! Eure Knautschgesichter haben mir gefehlt!

 

Okay, seid ihr auf dem neusten Stand? Na, dann schnallt euch mal an, Leute. Denn jetzt geht es los.

Teil 1

Ganz unten in Emerald City

1Tyler

Der Strahl des Disruptors trifft die Betraskerin mitten in die Brust.

Sie kreischt auf, sackt sabbernd in sich zusammen, und die Ladung Elektrowerkzeug, die sie in den Armen gehalten hat, fliegt in alle Richtungen. Während sie fällt, setze ich mit einem Sprung über sie hinweg und ducke mich, als ein weiterer Schuss an meinem Ohr vorbeizischt. Der Basar ist gedrängt voll, und als hinter uns noch mehr Schüsse fallen, rennt die Menge vor mir panisch auseinander. Scarlett folgt mir direkt auf dem Fuß, das flammend rote Haar klebt ihr im schweißnassen Gesicht. Sie springt über die ohnmächtige Betraskerin und ihre verstreute Ware und bringt ihr Bedauern brüllend zum Ausdruck.

»Tschuldiguuuuuung!«

Ein weiterer Schuss ertönt. Die Gangster, die hinter uns her sind, brüllen die Menge an, damit sie auseinandergeht. Wir hüpfen über den Tresen eines Standes, der Larassian Semptar Single Malt verkauft, lassen den verblüfften Besitzer hinter uns und rennen durch die Hintertür in eine weitere brechend volle, schwüle Straße. Um uns herum hellgrüne Mauern, über uns roter Himmel, Hovercrafts und Rotorbots, Plasbeton unter unseren Füßen und vor uns Outfits und Hauttöne in allen Farben des Regenbogens.

»Links!«, brüllt Finian über Funk. »Nach links!«

Wir hechten nach links, in eine versiffte Gasse abseits der Hauptstraße. Halunken und Frevler starren uns an, als wir mit stampfenden Stiefeln durch den hochfliegenden Müll vorbeitrampeln. Die Mini-Gangster erreichen den Eingang der Gasse und füllen die Luft mit dem »BÄMM! BÄMM!« ihres Disruptorfeuers. Das Zischen geladener Teilchen rauscht an meinen Ohren vorbei. Wir schlittern hinter einen Müllcontainer voller Elektroschrott und versuchen, in Deckung zu gehen.

»Ich habe doch gesagt, dass das keine gute Idee ist«, keucht Scarlett.

»Und ich habe gesagt, das kann nicht sein, weil ich immer gute Ideen habe!«, rufe ich und trete eine Tür ein.

»Ach ja?«, sagt sie und lässt einen Schuss auf unsere Verfolger los.

»Ja!« Ich zerre sie rein. »Nur manchmal nicht ganz so geniale!«

* * *

Okay, spulen wir mal ein Stück zurück.

So vierzig Minuten etwa, als noch nicht ganz so viel geschossen wurde. Ich weiß, ich habe das schon mal gemacht, aber so ist es spannender. Vertraut mir, okay? Ich sag nur: Grübchen.

Also, vor vierzig Minuten sitze ich an einem gedrängt vollen Tisch in einer gedrängt vollen Bar, laut pumpende Musik in den Ohren. Ich trage ein enges schwarzes Hemd und eine noch engere Hose, beides sieht tadellos aus – jedenfalls gehe ich davon aus, da Scarlett das Outfit ausgesucht hat. Meine Schwester hat sich neben mich gequetscht und trägt auch Zivilkleidung: blutrot, eng anliegend und so weit ausgeschnitten, wie es ihr gefällt.

Uns gegenüber sitzt ein Dutzend Gremps.

Die Kaschemme, nichts als pulsierendes Licht und rauchgeschwängerte Luft, ist bis auf den letzten Platz besetzt. Mitten im Raum ist eine große Arena, bestimmt eine Art Kampfplatz, aber zum Glück fließt hier im Moment kein Blut. Um uns herum werden Drogen und Häute gehandelt – die kleinen Gauner der Station und ihr Alltagstrott. Und mitsamt dem Geruch von Rocksmoke und dem dröhnenden, tiefen Dub des Sprechers schwirrt mir nur eine einzige Frage durch den Kopf:

Wie im Namen des Schöpfers bin ich hier bloß gelandet?

Die Gremps sitzen uns dicht gedrängt gegenüber – ein Dutzend kleiner, pelziger Figuren. Ihre Schlitzaugen sind auf das Uniglass gerichtet, das Scarlett auf den Tisch zwischen uns gelegt hat. Das Gerät ist eine flache, handtellergroße Scheibe aus Hartglas, holographische Displays lassen es aufleuchten. Ein paar Zentimeter darüber dreht sich ein strahlendes Bild unserer Longbow. Das Raumschiff aus Hartmetall und Titan ist wie eine Pfeilspitze geformt. Auf seiner Flanke prangt das Siegel der Aurora Legion und unsere Squadbezeichnung, 312.

Technologie vom Feinsten. Wunderschön. Wir haben zusammen eine Menge durchgemacht.

Und nun müssen wir sie ziehen lassen.

Mit zitternden Schnurrhaaren nuscheln die Gremps untereinander in ihrer zischenden, schnurrenden Sprache. Die Anführerin ist etwas über ein Meter, für ihre Spezies ist das groß. Ihr Schildpattfell ist perfekt frisiert, und ihr perlweißer Anzug posaunt: Gangster-Chic. Ihre blassgrünen Augen sind mit dunklem Puder umrandet und glitzern arglistig. Als würde sie gerade überlegen, wen sie ihren Haustieren als Nächstes zum Fraß vorwirft.

»Ganz schön gewagt, Erdmädchen.« Ihre Stimme ist ein weiches Schnurren. »Ganz schön gewagt.«

»Man hat uns gesagt, dass Skeff Tannigut einem kleinen Wagnis nicht aus dem Weg geht«, Scarlett lächelt. »Du genießt ja einen ganz schönen Ruf.«

Die eben erwähnte Skeff Tannigut trommelt mit ihren Klauen auf der Tischplatte, blickt auf das Hologramm der Longbow und dann in die Augen meiner Schwester.

»Es gibt ein gewisses Wagnis, Erdmädchen, und dann gibt es das Wagnis, zwanzig Jahre in der Strafkolonie auf dem Mond zu verbringen. Der illegale Handel mit Maschinen der Aurora Legion ist nicht von Pappe.«

»Die Maschine auch nicht«, sage ich.

Zwölf geschlitzte Augenpaare wenden sich mir zu. Zwölf Kiefer klappen nach unten. Mit zuckenden Ohren schaut Skeff Tannigut meine Schwester entgeistert an.

»Ihr lasst eure Männchen in der Öffentlichkeit sprechen?«

»Er ist … sehr lebhaft.« Scarlett lächelt und wirft mir einen Halt-die-Klappe-Blick zu.

»Ich könnte dir ein Schmerzhalsband verkaufen?«, bietet die Gangsterin an. »Um ihn abzurichten?«

Ich hebe die Augenbrauen: »Danke, aber – urgs.«

Unterm Tisch greife ich an mein lädiertes Schienbein und werfe Scarlett einen wütenden Blick zu. Die lehnt sich nach vorne und schaut der Gangsterchefin direkt in die Augen. »Da du so großzügig drauf bist, können wir das Vorspiel auch gleich überspringen, oder?« Mit einer Geste zeigt sie auf unsere Longbow. »Für hunderttausend gehört sie dir. Der Code für die Waffen inklusive.«

Tannigut berät sich kurz mit ihren Kolleginnen. Da ich nicht scharf darauf bin, wieder einen vors Schienbein zu bekommen, halte ich den Mund und sehe mich um.

Flaschen voller Regenbogen säumen die Bar. Und an den Wänden leuchten holographische Displays: Jetballspiele und die neusten Wirtschaftsmeldungen aus der Zentrale und Nachrichten über Schiffe der Ungebrochenen, die sich durch die neutrale Zone bewegen. Diese Station ist wirklich mitten im Nichts, aber ich bin trotzdem überrascht, wie viele unterschiedliche Spezies hier vertreten sind. Seit wir vor zwei Stunden angedockt haben, sind mir mindestens zwanzig verschiedene begegnet – bleiche Betrasker, pelzige Gremps, bullige blaue Chellerianer. Dieser Ort ist wie ein dreckiger Querschnitt der gesamten Milchstraße, der in einen zwielichtigen suborbitalen Schmelztiegel geworfen wurde.

Der Planet, über dem wir schweben, ist ein Gasriese, etwas kleiner als Jupiter bei uns zu Hause. Die Station schwimmt in der Stratosphäre, direkt über einem Sturm, der vierhundert Jahre alt und zwanzigtausend Kilometer breit ist. Die Luft ist gefiltert, die ganze schwebende Stadt ist in einer durchsichtigen Kuppel versiegelt, voller ionisierter Teilchen, die leise über unseren Köpfen knistern. Aber ich habe trotzdem noch den Geschmack von Chlorgas auf der Zunge, das dem Sturm seine Farbe gibt und der Station ihren Namen.

Ich trinke einen Schluck Wasser. Werfe einen Blick auf den Untersetzer. Willkommen in Emerald City steht da. Nicht nach unten gucken!

Die Gremps sind mit ihrer Unterhaltung am Ende, und Tanniguts glitzernder Blick fällt wieder auf Scarlett. Die Gangsterin streicht sich mit einer Pfote über ihre Schnurrhaare, während sie spricht.

»Ich gebe dir dreißigtausend«, sagt sie. »Mein erstes und letztes Angebot.«

Scar hebt eine perfekt gepflegte Augenbraue. »Ich wusste gar nicht, dass Gremps auch Stand-up-Comedy machen.«

»Ich wusste gar nicht, dass Aurora Legionäre ihre Schiffe verkaufen.«

»Vielleicht haben wir das Ding ja gestohlen. Wie kommst du darauf, dass wir zur Legion gehören?«

Tannigut zeigt auf mich. »Sein Haarschnitt.«

»Was stimmt mit … UÄH!«

»Bei allem gebotenen Respekt, aber das Wie und Warum geht euch nichts an«, sagt Scarlett aalglatt. »Es gibt keine bessere Technik in der gesamten Galaxis als die der Aurora Legion. Einhunderttausend ist ein Schnäppchen, und das weißt du ganz genau.« Scarlett wirft sich den flammend roten Bob aus den Augen, und es gelingt ihr, nicht im Entferntesten so verzweifelt auszusehen, wie wir eigentlich sind. »Und deswegen, meine Gute, wünsche ich euch noch einen schönen Tag.«

Scar steht auf, um zu gehen, und Tannigut will sie gerade aufhalten, als es an der Bar unruhig wird. Ich wende mich dem Lärm zu, weil ich wissen will, was da los ist, und sehe, dass die diversen Jetballspiele und Börsenberichte auf den Displays von einer Eilmeldung unterbrochen werden.

Als ich die Meldung am unteren Rand des Bildschirms lese, wird mir schlecht.

Terroranschlag der Aurora Legion

Ein großer Terraner bittet den Barkeeper, den Ton lauter zu stellen. Ein noch größerer Chellerianer brüllt, dass er das Spiel weiter anschauen will. Als ein kleines Handgemenge entsteht, dreht der Barkeeper die Musik leiser, und die Nachrichten sind jetzt über die Lautsprecher zu hören.

»… über siebentausend syldrathische Flüchtlinge sind bei dem Anschlag umgekommen, sowohl die terranische als auch die betraskische Regierung haben ihre Abscheu über diesen Anschlag zum Ausdruck gebracht …«

Mein Herz rutscht mir in die Hose und schlägt mir gleichzeitig bis zum Hals, als ich die Bilder sehe. Sie zeigen die metallischen Kuppeln einer Förderanlage zur Erzgewinnung, die sich inmitten eines Meers von Sternen an einen riesigen Asteroiden schmiegt.

Ich erkenne das Gebäude sofort. Das ist die Sagan Station – die Förderanlage, zu der die Aurora Academy unser Squad auf seine erste Mission geschickt hat. Dort hat uns ein terranischer Zerstörer aufgegriffen, und wir wurden von der GIAgefangen genommen. Sie haben Sagan ausgelöscht, um alle Zeugen zum Schweigen zu bringen, die gesehen haben könnten, wie sie Auri in Haft genommen haben. Nun liegt die Station in Schutt und Asche.

Kaum zu glauben, dass das erst ein paar Tage her ist …

Während ich zusehe, stürzt ein Schiff herab und bombardiert die Station mit Raketen und zerstört sie. Als das Bild das angreifende Schiff einfängt, erkenne ich, dass das kein schwerfälliger, kompakter terranischer Zerstörer ist, der die tödlichen Schüsse abgibt. Das angreifende Schiff ist wie eine Pfeilspitze geformt, aus glänzendem Titan und Hartmetall, und auf seinen Flanken prangt das Siegel der Aurora Legion und die Squadbezeichnung: 312.

»Großer Schöpfer …«

Ich werfe Scarlett einen Blick zu.

Der Nachrichtensprecher übertönt das sich zuspitzende Handgemenge an der Bar.

»Die Verursacher des Sagan-Massakers werden auch im Zusammenhang mit dem Eindringen in galaktisches Sperrgebiet gesucht, während sie von terranischen Streitkräften verfolgt wurden. Der Kommandant der Aurora Legion, Admiral Seph Adams, hat vor wenigen Minuten folgende Stellungnahme abgegeben …«

Im Bild ist jetzt die vertraute Figur von Admiral Adams zu sehen, dem Oberbefehlshaber der Aurora Legion, in voller Galauniform. Dutzende von Medaillen glänzen auf seiner breiten Brust. Seine kybernetischen Arme sind verschränkt, seine Miene grimmig. Während er spricht, tippt er mit einem prothetischen Finger fortwährend auf seinen Unterarm, Metall klingt sanft auf Metall.

»Wir verurteilen«, sagt er, »das Vorgehen des Squad 312 der Aurora Legion auf der Sagan Station aufs schärfste. Wir wissen nichts über ihre Beweggründe, außer dass sie eindeutig auf eigene Faust gehandelt haben. Sie haben unser Vertrauen missbraucht. Sie haben gegen unseren Kodex verstoßen. Bei der Verfolgung dieser Mörder bietet das Kommando der Aurora Legion der terranischen Regierung jedwede Hilfe an, und unsere Gedanken und Gebete sind bei den Familien der getöteten Flüchtlinge.«

Fotos leuchten auf dem Bildschirm auf. Die Gesichter und die Namen meiner Crew.

Finian de Karran de Seel.

Zila Madran.

Catherine Brannock.

Kaliis Idraban Gilwraeth.

Scarlett Jones.

Tyler Jones.

Unter jedem unserer Namen steht noch etwas.

Fahndung. Belohnung: 100000 Creds.

Und das ist der Zeitpunkt, an dem ich mich übergeben will.

Ich sehe meine Schwester wortlos an. Wir müssen weg. Scar hat sich schon ihr Uniglass vom Tisch gegriffen, als Tannigut ihre Klauen in ihr Handgelenk gräbt.

»Wenn ich es mir recht überlege«, die Gremp lächelt mit spitzen Zähnen, »sind hunderttausend Creds doch ein Schnäppchen.«

Scarlett sieht mich an. Ich habe immer schon gesagt, dass es komisch ist, ein Zwilling zu sein. Manchmal habe ich das Gefühl, zu wissen, was meine Schwester sagen wird, bevor sie es sagt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie genau weiß, was ich denke, wenn sie mich ansieht. Und jetzt gerade denke ich, dass wir so schnell wie möglich aus dieser stinkenden Kaschemme und von dieser Station wegmüssen.

Nichts wie weg.

Scarlett schlägt ihren Handballen mitten auf Tanniguts Nase.

Sie wird mit einem lauten Knirschen, einem Schmerzensschrei und dunklem Purpurrot belohnt. Ich greife nach der blutigen Hand meiner Schwester, zerre sie vom Tisch weg, während die anderen Gremps jaulen und sich auf uns stürzen.

Das Handgemenge wegen der Fernbedienung am anderen Ende der Bar ist nun in vollem Gange, und ein bisschen mehr Chaos kann jetzt gar nicht schaden. Mit meinem Disruptor schieße ich einer Gremp ins Gesicht, mit meinem Stiefel trete ich einer anderen die Fangzähne aus und schiebe Scar Richtung Tür.

»Los! Los!«

Jemand schreit. Ein Säufer fliegt über meinen Kopf hinweg gegen die Wand. Drei Gremps springen auf mich drauf, kratzen und beißen mich. Ich trete um mich, sprenge sie von mir ab, rolle über den Fußboden und wieder auf die Füße und stürze hinter meiner Schwester durch die Tür hinaus und in das Straßenlabyrinth von Emerald City.

Die Station erstreckt sich über achtzig Ebenen, die Hunderte von Kilometern breit sind. Die unteren Ebenen bestehen aus einem umgedrehten Wald von Windrädern, die die gewaltigen Sturmwinde unter der Station in Energie umwandeln. Ein riesiges Gitterwerk aus durchsichtigen öffentlichen Verkehrsröhren vernetzt die Stadt, angetrieben durch eben diese Winde. Mit dem Gesicht zuerst springen meine Schwester und ich in genau so eine Transitröhre.

»Großer Basar!«, ruft Scarlett. »Ausgeführt«, piept der Computer, und bevor ich blinzeln kann, sausen wir auf einem Kissen aus ionisiertem Sauerstoff durch die Röhre.

»Fin? Hörst du mich?«, rufe ich über das Rauschen.

»Äh, ja«, kommt als Antwort. »Schon die neusten Nachrichten gehört, Goldenboy? Das Foto von mir war ja nicht gerade schmeichelhaft.«

»Ja, wir haben es gesehen. So wie etwa die Hälfte der Leute auf dieser Station, schätze ich mal. Unter anderem auch die Gangster, denen wir die Longbow verkaufen wollten.«

»Das lief wohl nicht, nehme ich an.«

Ich gucke mich um und sehe, dass ein Rudel Gremps direkt hinter uns ist, Disruptoren im Anschlag, um sofort loszuschießen, sobald wir aus der Röhre raus sind.

»Das kannst du laut sagen«, antworte ich. »Wir kommen durch den Basar zurück, du musst uns durchführen. Sag Kal und Zila, sie sollen sich zum Abflug bereit machen. Jeder Kopfgeldjäger, Wachmann und jeder brave Spießer wird jetzt hinter uns her sein.«

»Na, ich habe dir ja gesagt, dass das keine gute Idee war.«

»Und ich habe dir gesagt, das kann nicht sein, weil ich immer gute Ideen habe.«

»Nur manchmal nicht ganz so geniale?«

Draußen rauscht Emerald City an der Transitröhre vorbei, Dutzende von Ebenen, Tausende von Geheimnissen, Millionen von Lebewesen. Um uns herum wabern und wirbeln die Wolken in wunderschönen Mustern, wie Wasserfarben auf einer Leinwand. Die Mauern und Torbogen und schimmernden Turmspitzen unter der ionisierten Kuppel sind durch den Chlorgassturm hellgrün gefärbt, der Himmel darüber blutunterlaufen.

Zu einer Station zu fliegen, die so fernab gelegen ist wie diese, war wohl etwas zu viel des Guten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis bekannt wurde, dass wir untergetaucht sind, und mir war klar, dass die Global Intelligence Agency nach der Sache auf Octavia III hinter uns her sein würde. Aber ich hätte wissen sollen, dass sie uns nicht direkt angreifen würden. Uns das Massaker in die Schuhe zu schieben, das sie selber angerichtet haben, war schlau. Ich hätte so was auch gemacht. Wenn ich meinen Anstand in die Tonne getreten hätte. Dadurch, dass sie uns sowohl als Mörder unschuldiger Flüchtlinge als auch als Eindringlinge in galaktisches Sperrgebiet dargestellt haben, sind wir von der Aurora Academy, von jeder Hilfe abgeschnitten.

Dass er uns nicht zur Seite springt, kann ich Adams nicht verdenken. Doch er hat mich und Scar unter seine Fittiche genommen, als Dad gestorben ist – ich muss zugeben, es hat weh getan, als er uns Mörder genannt hat. Mir leuchtet ja ein, dass er sich von uns lossagen muss, nachdem wir wegen galaktischem Terrorismus angeklagt worden sind. Aber ein Teil von mir ist am Boden zerstört, dass er das überhaupt glaubt.

»Kopf hoch, Baby-Bro!«, ruft Scar.

»Nächster Halt: Großer Basar«, sagt der Computer.

»Bist du bereit?«, frage ich.

Meine Schwester sieht mich an und zwinkert mir zu. »Ich bin eine Jones.«

Ein Windstoß aus der anderen Richtung lässt uns exakt vor dem Ausgang anhalten. Wir steigen aus und verlieren uns in dem Meer von Ständen und dem Lärm, der den Großen Basar von Emerald City ausmacht. Hätte ich einen Augenblick Zeit, würde ich die Aussicht genießen.

Aber so wie die Lage ist, habe ich wohl nur noch einen Augenblick Zeit, bevor wir beide tot sind.

* * *

Von der Gasse aus krachen wir durch die Tür einer betraskischen Imbissbude, die nach süßem Luka-Nuss-Öl und frittierten Javi riecht. Der Küchenchef will uns gerade anbrüllen, da sieht er die Disruptorgewehre in unseren Händen. Wohlweislich beschließen er und seine Köche, eine Pause zu machen.

 

Die Gremps platzen hinter uns rein, und Scarlett und ich feuern unsere Disruptoren ab. Ich treffe vier (bei meiner Waffenprüfung lag meine Treffsicherheit bei 98 Prozent), und die anderen fliehen zurück in die Gasse. Bevor sie sich wieder sammeln können, rennen wir schon weiter, durch die volle Imbissbude auf die Straße hinaus.

Genau vor der Imbissbude hält ein jugendlicher Mensch mit seinem Hoverskiff und steigt ab. Als seine Füße den Boden berühren, fege ich ihm die Beine weg, fange seine Schlüsselkarte auf und springe auf sein Fahrzeug. Scar springt hinter mir drauf und entschuldigt sich brüllend, als wir losfahren.

»Tschuldiguuuuuung!«

Wir zischen los und biegen in die Hauptverkehrsstraße ein, Drohnen und bemannte Fahrzeuge schlingern und rasen um und über uns herum. Der Verkehr hier ist das absolute Chaos – ständiger Hochgeschwindigkeitsverkehr auf drei Ebenen –, und so habe ich die Hoffnung, dass wir unsere Verfolger in dem Gedränge abhängen können. Aber ein Disruptorstrahl in unserem Rücken sagt mir …

»Sie sind noch immer hinter uns!«, ruft Scarlett.

»Dann schieß sie ab!«

»Du weißt doch, wie schlecht ich schieße!« Sie klaubt sich die Haare aus dem Gesicht. »Bei meinem letzten Waffenkurs habe ich auf dem Schießplatz nur mit meinem Partner geflirtet!«

Ich schüttle den Kopf. »Warum bist du noch mal in meinem Squad?«

»Weil ich ja gesagt habe, Klugscheißer!«

Finian unterbricht uns über Funk. »Nimm die nächste Abzweigung, Goldenboy. Die führt direkt zu den Docks.«

»Hejjjj, Finian.«

»Ähm, hallo, Scarlett.«

»Was machst du gerade so?«

»Äh …« Mein Gearhead räuspert sich. »Also, ich, ähm …«

»Scar, hör auf damit!«, brülle ich und sause die Abzweigung runter, während hinter uns weitere Disruptorschüsse zu hören sind. »Fin, hat der Sicherheitsdienst der Station schon mitbekommen, dass wir hier sind?«

»Bisher wurde nichts gemeldet.«

»Sind die Triebwerke hochgefahren?«

»Sobald ihr zwei da seid, können wir los.« Fin räuspert sich wieder. »Na ja, ohne euch … dann haben wir keinen Piloten …«

Und einfach so kommt die Welt, die gerade mit hundertzwanzig Kilometern pro Stunde an mir vorbeigeflogen ist, zum Stillstand.

Scars Arme greifen etwas fester um meine Taille. Ich atme tief durch. Versuche, nicht an sie zu denken. Mich nicht an ihren Namen zu erinnern. Nicht auf den Schmerz in meiner Brust zu achten. Sondern uns einfach weiter in Bewegung zu halten, denn so tief, wie wir drinstecken, ist jetzt keine Zeit zu trauern. Aber dennoch …

Cat.

»In sechzig Sekunden sind wir da«, sage ich. »Haltet die Tore der Bucht offen, wir haben einen ganz schönen Zahn drauf.«

»Verstanden.«

Wir fahren so schnell auf die Ausfahrtrampe, dass wir fast wieder davon abprallen, verschwommen zischt der Verkehr an uns vorbei. Ich riskiere einen Blick über die Schulter, sehe, wie sich ein tiefliegender Hovercruiser durch die Fahrzeuge hinter uns drängelt. Mehr als ein Dutzend Gremps klammert sich daran fest. Keine Ahnung, wie ihr das so schnell gelungen ist, aber Tannigut hat Verstärkung bekommen, und die sehen so aus, als meinten sie es ernst.

Die Ausfahrt ist voller Lader und schwerer Fahrzeuge. Scar schießt ein Dutzend Mal wild in die Gegend, landet zufällig ein paar Treffer und leert dabei das Magazin ihres Disruptors. Aber sie schreit triumphierend auf, als ihr letzter Schuss eine Gremp an der Schulter trifft und die Gangsterin auf die Fahrbahn stürzt.

»Ich habe eine erwischt!«

Scar greift mich noch fester um die Taille und schüttelt mich dabei wie wild.

»Hast! Du! Das! Gesehen! Ich …«

Ich stelle meinen Disruptor auf Töten ein und ballere mitten in den Müllschlepper, der direkt auf der Fahrbahn über uns fährt. Der Strahl zerstört seine Stabilisatoren, und die Drohne stürzt in einer Rauchwolke ab. Ich weiche aus, als sie in unsere Fahrbahn kracht, sich überschlägt und hinter uns tonnenweise Müll über die Ausfahrt verteilt. Während wie wild gehupt und gebremst wird, kracht der Hovercruiser genau in die abgestürzte Drohne, und in einem Hagel aus verbranntem Fell und Schimpfwörtern fliegen die Gremps in hohem Bogen hinaus.

Die ganze Schar – mit einem einzigen Schuss erledigt.

Ich puste auf den Lauf meines Disruptors, lächle über die Schulter und stecke ihn zurück in mein Halfter.

»Weißt du«, sagt Scarlett schmollend. »Angeber mag keiner, Baby-Bro.«

»Ich hasse es, wenn du mich so nennst«, sage ich und grinse.

Wir erreichen die Docks, zischen durch die Fußgängermenge, Auto-Packer und Tieflader voller Frachtgut. Der Raumhafen von Emerald City liegt vor uns ausgebreitet, glitzernde Lichter und sirrende Himmel und schnittige Schiffe vor Anker. Ich sehe unsere Longbow genau vor uns, zwischen einem riesigen betraskischen Langstreckenfrachter und einem brandneuen rigelianischen Vergnügungsschiff aus den Werften von Talmarr.

Fin steht unten an der Laderampe und schaut sich mit besorgter Miene auf den Docks um. Seine blasse Haut leuchtet hell unter den Lichtern der Longbow, sein kurzes weißes Haar ist zu Spikes gestylt. Seine schmal geschnittene Zivilkleidung hebt sich dunkel von dem silberglänzenden Exoanzug ab, der seinen Körper umhüllt.

Er sieht uns und winkt wie verrückt.

»Ich sehe dich, Goldenboy. Beweg deinen fahrbaren Untersatz, wir müssen …«

»ACHTUNG, ACHTUNG«, tönt es aus den Hafenlautsprechern. »ALLE SCHIFFE, DIE GERADE IM HAFEN VON EMERALD CITY LIEGEN, BEFINDEN SICH BIS AUF WEITERES IM LOCKDOWN. ICH WIEDERHOLE: ACHTUNG, ACHTUNG.«

»Glaubst du, die meinen uns?«, schreit mir Scarlett ins Ohr.

Ich blicke nach oben und entdecke zwischen den Ladern und Hubstaplern eine Überwachungsdrohne.

»Ja«, seufze ich. »Die meinen uns.«

Der Boden unter uns erzittert, und riesige Andockklammern steigen von den Decks des Raumhafens empor. Sie sichern die Schiffe, die vor Anker liegen, und rufen bei den Besatzungsmitgliedern und Arbeitern um uns herum einen Schwall von Obszönitäten hervor. Ich trete aufs Gas, versuche verzweifelt, uns nach Hause zu bekommen, aber wir kommen genau in dem Moment schleudernd neben Fin zum Stehen, als unsere Longbow festgemacht wird.

Scar springt vom Hoverskiff. Während um uns herum weiter der Alarm ertönt, werfe ich mir die verschwitzten blonden Haare aus den Augen, stemme die Hände in die Hüften und betrachte die Klammern. Verstärktes Titan, ölig, elektromagnetisch. Und sie sind riesig.

»Nie im Leben haben wir genug Schubkraft, um die wegzusprengen«, sage ich.

Fin schüttelt den Kopf. »Das würde den Rumpf verhackstücken.«

»Kannst du dich ins System hacken?«, frage ich. »Die Dinger entriegeln?«

Mein Gearhead hat schon sein Uniglass rausgeholt, Dutzende holographische Displays leuchten auf, während er anfängt zu tippen. »Gib mir fünf Minuten.«

»Ich will ja niemandem Angst machen«, sagt Scar. »Aber wir haben keine fünf Minuten.«

Als ich in die Richtung blicke, in die mein Zwilling zeigt, sinkt mir das Herz in die Hose: Zwei gepanzerte Hoverskiffs rasen die Docks entlang. Ihr Blaulicht und Einsatzhorn treiben die Menge in alle Richtungen auseinander, und sie steuern direkt auf uns zu.

Auf der Ladefläche hinter den Kontrollkabinen kann ich zwei Dutzend wuchtige Kampfbots sehen, die mit Disruptorkanonen bewaffnet sind. Auf den Kühlerhauben und dem Brustharnisch der Bots prangen die Wörter Emerald City Sicherheitsdienst.

»Na?«, sagt Scarlett und sieht mich an. »Noch irgendwelche genialen Ideen?«

Galaktische Organisationen
▶ Friedliche
▼ Die Aurora Legion

Entstanden aus einem Bündnis zwischen Terra und Trask und vor kurzem erweitert durch die freien Syldrathi, fungiert die Aurora Legion seit über einem Jahrhundert als unabhängige Friedenstruppe in der Milchstraße. Die Legion vermittelt bei Grenzkonflikten, unterstützt Notstandsarbeiten und sorgt für Stabilität in der Galaxis, getreu dem Motto:

 

Wir die Legion

Wir das Licht

Das die Dunkelheit durchbricht

 

Aurora Legionäre spezialisieren sich auf eine von sechs Aufgaben:

Führung und Planung (Alphas)

Diplomatie und Verhandlungen (Faces)

Steuerung und Transport (Aces)

Reparaturen, Wartung und mechanische Arbeiten (Gearheads)

Taktische Gefechte und Kampfstrategie (Tanks)

Wissenschaftliche und medizinische Dienste (Brains)

2Auri

Als Fin schwer hinkend die Rampe hochstürmt, sind wir schon auf den Beinen.

»Holt eure Sachen«, blafft er. »Wir hauen ab.«

Tyler und Scarlett sind direkt hinter ihm, rennen zu ihren Schlafkabinen und Schließfächern.

»Zwanzig Sekunden!«, brüllt unser Squad Leader, als er an Kal und mir vorbeirennt. »Zwanzig Sekunden, und dann nichts wie weg!«

Außer meinem Uniglass, Magellan – das wie immer in meiner Tasche steckt –, und den Kleidern, die ich am Leib trage, besitze ich nichts. Also geselle ich mich schnell zu Fin, der hektisch das Werkzeug einpackt, das Zila und er benutzt haben, um seinen Anzug zu reparieren.

»Los«, sage ich ihm. »Hol dein Zeug. Ich mach das hier schon.«

Er wirft mir einen dankbaren Blick zu und eilt in den hinteren Teil des Schiffs. Ich habe keine Zeit, jedes kleine Werkzeug oder Gerät in die Schaumstoffeinlage einzupassen, also fege ich einfach alles in die Tasche.

»Zehn Sekunden!«, ruft Tyler irgendwo von hinten.

»Tragbares und Wertsachen«, erwidert Scarlett. »Leichtes Gepäck!«

Mit zitternden Hände nehme ich die Werkzeugtasche und sehe mich in der Kabine um, ob ich sonst noch was mitnehmen sollte.

Kal und ich haben die letzten Stunden im hinteren Teil des Schiffs verbracht. Er hat versucht, mir ein paar syldrathische Übungen beizubringen, die mir helfen sollen, meine Gedanken auf ein einziges Ziel zu richten. Die unbändige Kraft, die ich für kurze Zeit auf Octavia III unter Kontrolle hatte, schlummert noch in mir – ich kann fühlen, wie sie hinter meinem Brustkorb wallt und wirbelt –, aber ich habe sie nicht besonders gut im Griff. Wenn ich das Ventil öffne, das sie dort eingepfercht hat, habe ich keine Ahnung, was da zutage treten wird, aber schön wird das nicht. Kal hofft, dass ich sie kontrollieren kann, wenn ich trainiere und es mit Disziplin angehe.

Aber während ich versucht habe, mir eine flackernde violette Flamme vorzustellen, die Realität wegzuschieben, um mich auf mein sa-mei zu konzentrieren – ein syldrathisches Konzept, das ich noch nicht so wirklich verstehe –, war es schwer, ihn nicht durch meine Wimpern zu beobachten. Wenn er sich konzentriert, bekommt Kal so eine kleine Falte auf der Stirn – auf die kann ich ohne Probleme meine Gedanken richten und die Realität beiseiteschieben. Aber ich glaube, so zu trainieren, fände er vielleicht würdelos.

Ich nutze die letzten fünf Sekunden, um die Beutel mit Mahlzeiten einzusammeln, die über den Tisch verstreut liegen. Ich stopfe sie zu Fins Werkzeug und werfe mir die Tasche über die Schulter, als die anderen von hinten hinausdrängen.

»Los geht’s«, schnauzt Tyler. »Kal, du gehst voran. Zwei Hoverskiffs sind auf dem Weg zu uns und werden in etwa dreißig Sekunden hier sein. Wäre gut, wenn wir dann weg sind.«

»Jawohl, Sir«, sagt Kal einfach, schaut zu mir herüber, um zu sehen, wo ich bin, und geht dann die Rampe hinunter. Tyler ist genau hinter ihm, und ich folge als Nächstes. Und renne direkt in unseren Alpha rein, als er plötzlich stehen bleibt.

»He, pass auf …«

Ich lehne mich seitwärts an ihm vorbei, um zu sehen, was los ist, und merke, dass er stehen bleibt, weil Kal stehen bleibt. Und Kal bleibt stehen, weil …

»Ich glaube«, sagt unser Tank leise, »dreißig Sekunden war wohl etwas zu großzügig geschätzt.«

Auf der Laderampe der Longbow sind wir drei leichte Beute. Was nicht gut ist, da wir Gesellschaft bekommen haben. Zwei riesige Tieflader schweben vor unserem Schiff, ihre Blaulichter blinken hektisch. Und riesige, furchterregende Robotersoldatendinger, die aussehen wie Kakerlaken auf zwei Beinen, springen runter, die Knie gebeugt, um den Aufprall abzufedern. Sie tragen Waffen, die so groß sind wie ich, ihre glänzenden Uniformen reflektieren die blitzenden Lichter.

»Achtung, Verdächtige«, brüllt einer, ohne dass sich seine Lippen bewegen. »Ihr werdet zur Befragung festgenommen. Widerstand wird mit Gewalt geahndet. Hände hoch, um Eure Zustimmung auszudrücken.«

Einen Augenblick lang ist alles still. Sogar der Lärm der Station um uns herum wird leiser, und ich kann nur noch die tanzenden, blinkenden Blaulichter auf den Rüstungen der Kakerlaken-Robotersoldaten sehen. Kal verlagert unmerklich sein Gewicht, um mich mit seinem Körper zu schützen. Mein Nacken prickelt, Adrenalin flutet durch meine Adern. Ich spüre, wie … sich etwas wandelt, und einfach so ist mein Kopf voller Bilder.

Eine weitere Vision.

Es ist so, als könnte ich sehen, was in den nächsten Augenblicken geschehen wird, als würde ich es auf einem Videobildschirm angucken. Ich sehe die Pfade, die wir gehen könnten, jede Abzweigung, glasklar.

Ich sehe, wie sie uns Handschellen anlegen, uns einsammeln, uns an der langen Stange in der Mitte der Ladefläche festmachen. Ich sehe, wie Zilas Hände hinter ihrem Rücken verrenkt sind, wie Tyler frustriert den Kiefer zusammenbeißt angesichts dieser Niederlage.

Oder, auf einem anderen Pfad, sehe ich, wie Kal nach vorne stürmt und Ty zur Seite, und sehe mich selbst, wie ich dort stehe, zaudernd und unentschlossen, während die Soldaten das Feuer eröffnen, ihre Schüsse unsere Körper durchschneiden.

Oder ich sehe …

»Be’shmai«, sagt Kal sanft.

»Ja«, sage ich leise und hole langsam und tief Luft. Ich spüre, wie sich meine Lunge ausdehnt, fühle, wie mein Brustkorb durch den Druck anschwillt, wie das, was ich da zum Leben erweckt habe, aufgewühlt und bereit ist, Freiheit will, nein, verlangt. Ich hebe die Stimme ein wenig, damit alle vom Squad 312 mich auch hören können. »Squad, in volle Deckung bei drei …«

Hinter mir fragt jemand etwas, schon schwillt das Rauschen in mir an.

»Zwei …«

Ich hoffe, ihre Verwirrung hält den Squad nicht auf. Hoffe, dass sie mir vertrauen, auch wenn dieses Vertrauen neu und zerbrechlich ist, auf großem Kummer beruht.

»Eins.«

Tyler und Kal lassen sich zu Boden fallen, und ich werfe die Hände hoch und lasse alles los, jeden einzelnen Teil von mir. Mein Körper ist weg, zurück auf der Longbow, schwankt am Eingang hin und her. Und ich bin ein wildes Durcheinander mitternachtsblauer Geisteskraft, durchwebt von brutalen silbernen Fäden, und explodiere in alle Richtungen.

Für alle anderen bin ich unsichtbar oder dort, wo sich mein Körper befindet, oder vielleicht irgendwo dazwischen. Doch auf der Ebene, auf der ich existiere, bin ich eine aufgewühlte Sphäre, die sich in Lichtgeschwindigkeit ausdehnt, um die Soldaten vor mir einzuhüllen.

Es ist eine Welle, auf der ich gerade so reiten, die ich aber weder kontrollieren noch ihr eine Richtung vorgeben kann – ich kann den Tsunami von mir fernhalten, die schwachen, zerbrechlichen Körper von Kal und Tyler verschonen, den Squad hinter mir, doch innerhalb von einer Millisekunde bläht er sich auf, nach oben und über sie hinaus.

Die Kraftwelle explodiert um mich herum, und ich bekomme undeutlich mit, wie die Longbow gleichzeitig mit den Robotern in sich zusammenkracht. Wie meine silbernen Fäden sich mit tödlichem Griff um sie herumwickeln, und voller Entzücken drücke ich zu, zerquetsche sie, und ihre Rüstungen zerbrechen, und ihre Stromkreise flackern noch einmal auf und ersterben.

Alles ist still, und das Rauschen ist ohrenbetäubend, und ich bin Teil meiner mitternachtsblauen Wolke und erdrücke sie mit meinen silbernen Fäden, und dann schnelle ich zurück in meinen Körper, wie ein überdehntes Gummiband, und plötzlich …

… ist es vorbei.

Und wieder bin ich unglaublich verletzlich, stehe auf zwei zitternden Beinen, und um mich herum sind Schreie und Schrecken und vor mir die Trümmer der Hoverskiffs und der Robotersoldaten, und ich stehe inmitten der zerstörten Longbow, schwanke, meine Knie wollen nachgeben wie die der Roboter, als sie von den Tiefladern gesprungen sind, und auf meinen Lippen ist Blut, und ich bewege mich, falle und verliere den Boden unter den Füßen.

* * *

Als ich zu mir komme, lehnt Kal über mir, seine Hand liegt sanft auf meiner Wange. Seine großen violetten Augen sind wunderschön. Ein verschwommener Heiligenschein umrahmt sein langes silbernes Haar.

»Du siehst aus wie ein Engel«, sage ich leise.

»Was ist ein Engel?«, fragt er und nimmt meine Hand in seine.

Wie immer ist seine Miene ernst, aber ich kann die Besorgnis in seinen Augen sehen. Und ich spüre, wie sehr er sich zurückhält, um meine Hand nicht zu zerquetschen.

»Ein Staubkind mit Flügeln«, sagt Finian irgendwo hinter ihm.

Kal hebt die Augenbrauen. »Menschen haben keine Flügel.«

»Woher willst du das wissen?«, fragt Fin. »Schon mal einen nackt gesehen?«

Kals Augenbrauen wandern noch weiter nach oben, und seine Ohren werden rot, als Scarlett sich einmischt und ihn rettet. »Sei nett, Finian. Lebst du noch, Auri? Du hast es ja ganz schön knallen lassen.«

Hinter Kals Schultern tauchen Scarlett und Tyler auf, und mir wird klar, dass niemand einen Heiligenschein hat – wir sind einfach drinnen, und sie leuchten alle im Gegenlicht der Deckenlampe. Ich fühle mich wie eine gekochte Nudel in menschlicher Form, meine Glieder sind schwach und unkooperativ, doch allmählich kann ich wieder klar sehen. Zila schiebt Kal sanft zur Seite und lässt einen Med-Scanner über mich gleiten.

»Wo sind wir?«, versuche ich es.

»Ein Hotel am Bodensatz von Emerald City«, sagt Tyler. »Die billige Wir-stellen-keine-Fragen-Sorte. Ich habe es vor dem Treffen mit den Gremps reserviert, nur für den Fall, dass wirklich alles schiefgeht.«

»Schon komisch«, sagt seine Schwester und rempelt ihn mit der Schulter an. »Ich dachte ja, all deine Ideen wären genial. Was für ein Glück, dass du trotzdem einen Plan B hattest.«

»Fast so, als würde ich mich mit Taktik auskennen«, sagt er und rempelt zurück.

»Dir geht es gut«, erklärt Zila und sieht mich an. »Deine Gehirnaktivität ist noch etwas unregelmäßig, aber die Biomessungen normalisieren sich.«

»Was ist passiert?«, frage ich.

»Du hast das Bewusstsein verloren«, antwortet Kal.

»Nachdem du einen Haufen Roboterpolizisten in Altmetall verwandelt und ihre Hoverskiffs vom Himmel geholt hast«, ergänzt Fin. »Das war ziemlich heiß. Ein kleines bisschen könnten wir aber noch an deiner Treffsicherheit arbeiten. Wenn wir uns nicht geduckt hätten …«

»Aber wir haben uns geduckt«, sagt Scarlett. »Und Auris Kraft hat uns unsere wohlgeformten Hintern gerettet, also danke schön, Auri.«

Das Face unserer Truppe richtet mich gegen die hauchdünnen Kissen auf, und ich kann das schmuddelige Hotelzimmer besser überblicken. Die typische Klebriger-Fußboden-Ausstattung, die bei einem bestimmten Budget nie aus der Mode zu kommen scheint. An einer Wand ist ein Holobildschirm, und es gibt zwei Betten – ich belege das eine, und der Squad sitzt um mich herum. Fin ist auf dem anderen und arbeitet wieder an seinem Exoanzug, sein Werkzeug ist über die Matratze verteilt. Unter dem einzigen verschmierten Fenster stapelt sich unser ganzes Zeug.

Tyler antwortet ungefragt.

»Nachdem wir von den Docks abgehauen sind, habe ich allein eingecheckt«, erklärt er. »Die anderen habe ich durchs Fenster reingezogen. So fallen wir weniger auf. Eine Weile lang sind wir hier sicher. Ich habe mit unmarkierten Creds bezahlt.«

»Wir haben also ein wenig Zeit.« Scarlett sinkt auf meinem Bett zurück. »Wir können ein bisschen durchatmen.«

Sie blickt sich im Zimmer um, sieht uns alle an. Mir wird klar, dass ihre schwesterliche Fürsorge nicht mehr nur Tyler gilt, sondern uns allmählich alle miteinschließt. Zila hilft Fin wieder mit seinem Anzug. Jedes Mal, wenn sie sein Knie bewegt, zuckt er zusammen. Wie eine Statue steht Kal an meiner Seite, und Tyler ist in Gedanken versunken. Oder in Erinnerungen.

Ich weiß, dass er bei fast jedem Herzschlag an Cat denkt. So wie wir alle.

Diese Niederlage ist ein Sieg, hat sie zu mir gesagt, bevor sie für immer im Schwarmbewusstsein des Ra’haam verschwunden ist.

Aber so fühlt es sich gerade gar nicht an. Wir sind auf der Flucht vor der terranischen und vor der betraskischen Regierung – sogar die Legion, die meinen Namen trägt, ist nun gegen uns. Mit der Longbow haben wir das Wertvollste verloren, was wir besitzen, wir haben fast keine Waffen und noch weniger Geld und keine Ahnung, was wir als Nächstes tun sollen.

»Was machen wir jetzt?«, frage ich leise.

Tyler starrt auf den Fußboden und runzelt die vernarbte Augenbraue. Ich kann sehen, wie sehr er sich bemüht, uns zu führen. Jede Sekunde spüre ich seinen Schmerz. Aber manchmal fühlt es sich so an, als würden wir nur weitermachen, weil keiner von uns begriffen hat, dass wir längst tödlich getroffen worden sind. Weil wir noch nicht begriffen haben, dass wir aufgeben müssen.

»Essen«, sagt Scarlett, durchbricht das unbehagliche Schweigen, indem sie in die Hände klatscht. »Wenn du nicht weiterweißt, hast du noch nicht gespeist.«

»Deine Art zu denken gefällt mir.« Ich seufze.

Scarlett holt die Mahlzeiten raus, die ich eingepackt habe. Mit ziemlich gut gespielter Munterkeit wuselt sie herum, liest zweifelnd die Bezeichnungen auf den Beuteln vor und verteilt sie mit überschwänglicher Geste.

»Soll ich davon den Nährwert analysieren?«, fragt Magellans Stimme in meiner Tasche. »Denn in manchen Kulturen würde so eine Mahlzeit als Kriegshandlung betrachtet werden, insbesondere …«

»Ton aus!«, rufen wir alle gleichzeitig, und das reicht, um den Anflug eines Lächelns auf unsere Gesichter zu zaubern.

Fin schüttelt den Kopf. »Ich wusste ja, dass diese alten Modelle ein wenig fehlerhaft waren, aber das schlägt dem Fass den Boden aus.«

»Ja.« Tyler seufzt. »Es war nie mehr dasselbe, nachdem Scarlett bei DealNet diese Beta-›Persönlichkeit‹ runtergeladen hat.«

Kal blinzelt Scarlett an. »Du hast ein Upgrade für dein Uniglass von einem Shoppingkanal runtergeladen?«

»Nein«, sagt Tyler. »Sie hat ein Upgrade für mein Uniglass von einem Shoppingkanal runtergeladen.«

»Ich habe gratis eine Handtasche dazubekommen.« Scarlett zuckt mit den Schultern. »Und außerdem war es dein altes Gerät, du Baby.«

Tyler verdreht die Augen und wechselt das Thema. »Was macht dein Anzug, Fin?«

»Alles gut«, sagt er.

»Diese Aussage ist nicht korrekt«, sagt Zila sofort. »Fins Anzug hat auf Octavia III erheblichen Schaden genommen, und beträchtliche Reparaturen sind notwendig. Und Finian selbst muss außerdem Zeit in zumindest geringer Schwerelosigkeit verbringen, damit er sich ausruhen und erholen kann. Er hat seit Tagen seinen Körper über die Maßen beansprucht.«

Je länger sie redet, desto weiter steht Fins Mund offen, ohne dass er einen einzigen Ton rauskriegt. Mit zusammengebissenen Zähnen sagt er schließlich:

»Mir geht es gut. Ich krieg das hin. Und du solltest dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern.«

Wegen der schwarzen Kontaktlinsen, die er trägt, ist es manchmal schwierig, Fins Miene richtig zu deuten. Aber jetzt wirft er Zila eindeutig einen vernichtenden Blick zu. Einen langen Augenblick lang betrachtet unser Brain unseren Gearhead. Dann wendet sie sich, wie immer mit ausdrucksloser Miene, an Tyler. Aber irgendwas an der Art, wie sie blinzelt und an ihren Ohrringen zupft – heute sind es kleine Gremps –, macht deutlich, dass sie nicht mehr ganz so undurchdringlich ist wie sonst immer.

Das gilt wohl für uns alle. Aber Zila geht das bestimmt ganz schön an die Nerven.

»Ich bin in dieser Truppe für die wissenschaftlichen und medizinischen Dienste verantwortlich«, sagt sie und spricht Tyler direkt an. »Es ist meine Pflicht, meinen Alpha über den Zustand der Mitglieder zu informieren.«

»Alles okay«, sagt Tyler behutsam. »Danke schön, Zila.«

Dass Zila ihm Bettruhe verordnet hat, ignoriert Finian hingegen völlig. Er reißt ihr ein Werkzeug aus der Hand, schlürft einmal aus dem Beutel mit seiner Mahlzeit und macht sich wieder an seinen Anzug, ohne ein Wort zu sagen. Nach einem Blick zu Ty steht Scarlett neben mir auf und setzt sich zu Fin.

»Wenn du Just like real TacosTM in deine Stromkreise bekommst, kriegst du das Zeug nie wieder raus«, sagt sie sanft.

»Ich muss das hier reparieren«, sagt er mit vollem Mund.

»Lass dir einen Augenblick Zeit, Fin.« Scarlett legt ihre Hand auf seine. »Iss. Atme.«

Er wirft ihr einen kurzen Blick zu, schafft es irgendwie, gleichzeitig zu schmollen und zu kauen. Aber als er schluckt, weicht die Anspannung ein wenig aus seinen Schultern, als würde er sich eingestehen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, außer seinen Anzug durchzuschmoren.

»Ja, okay«, seufzt er.

Wir schweigen eine Weile und essen unsere Mahlzeiten auf. Ich konzentriere mich darauf, zu essen, und lehne mich dabei an Kals Schulter, der neben mir am Kopfende des Bettes sitzt. Obwohl mir alles wehtut, spüre ich jede seiner Bewegungen, jeden Atemzug. Als wir uns kennengelernt haben, hat er es vermieden, mich zu berühren, hat alles getan, um dem Sog zu widerstehen. Wenn er sich jetzt den Luxus erlaubt, ist es, als würden Funken in mir sprühen. Dass er mir das gibt, obwohl er bei allen anderen noch so zurückhaltend ist … Ich weiß, dass das nicht der Ort dafür ist.

Aber ich will mehr.

»Okay, Zeit für eine Bestandsaufnahme«, sagt Tyler, nachdem alle aufgegessen haben. »Kal, sieh nach, ob wir in den Nachrichten auftauchen. Wir müssen wissen, wie tief wir drinstecken. Zila, Scar, geht das Inventar durch. Fin, finde heraus, was mit der Longbow passiert ist.«

»Sie sah schon mal besser aus«, sagt Kal und wirft mir ein Blick zu, in dem Ehrfurcht mitschwingt. »Jedenfalls bevor Aurora mit ihr fertig war.«

»Ich weiß.« Tyler nickt. »Aber wenn wir sie nicht retten können, brauchen wir etwas anderes, um aus diesem Loch rauszukommen.«

Fin wischt sich die Hände ab, holt sein Uniglass raus und hackt sich ins Stationsnetz. Kal schaltet den Holobildschirm ein und klickt sich durch die Nachrichtensendungen, um zu sehen, ob wir irgendwo einen Gastauftritt haben. Zila und Scarlett arbeiten sich systematisch durch unser Gepäck und sortieren alles, was wir aus der Longbow mitgenommen haben, in drei Kategorien: persönliche Sachen, Gruppeneigentum und Zeug, das wir verkaufen können. Ich sehe, dass Zila die GIA-Uniformen mitgenommen hat, die wir an Bord der Sempiternity geklaut haben, und ich erhasche einen Blick auf mich selbst in den ausdruckslosen, spiegelnden Masken. Eine weiße Strähne im Pony, die weiße Iris in meinem rechten Auge. Das Mädchen, das mich aus dem Spiegel anguckt, ist mir manchmal noch immer fremd.

Als Scarlett Cats Drachen Kleeblatt aus Fins Tasche zieht, bekomme ich das sofort mit. Sie sieht über die Schulter zu Ty, Tränen in den Augen, und beugt sich dann zu ihm rüber, um ihm das Plüschtier zu geben. Er nimmt es vorsichtig in die Hände, als wäre es unendlich kostbar, und drückt es gegen seine Brust. Dann sieht er Fin an, der ihn beobachtet. Fin, der zum Pilotensitz geeilt sein muss, als er eigentlich die Longbow verlassen musste, um das letzte Stück von Cat mitzunehmen.

Der Betrasker nickt einfach und wendet sich wieder seinem Uniglass zu.

Obwohl dieser Squad einer Familie am nächsten kommt, fühle ich mich trotzdem noch fehl am Platz. In solchen Momenten wird mir klar, wie weit weg ich von zu Hause bin, wie weit ich aus der Zeit gefallen bin. Zweihundert Jahre sind in einem Augenblick vergangen, während ich im Kryoschlaf lag. Für mich sind erst ein paar Wochen vergangen, seit ich an Bord der Hadfield gegangen bin, um ein neues Leben auf Octavia zu beginnen. Aber nun ist alles, was ich gekannt habe, fort, und alle, die ich geliebt habe, sind es auch.

Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Aber als ich Cats Plüschtier ansehe, diese gesichtslosen grauen Uniformen, muss ich an unsere Begegnung mit dem Ra’haam auf Octavia III denken. An die Kolonisten, die es zusammen mit ihr in sein Schwarmbewusstsein aufgenommen hat. An das Gesicht meines Vaters unter der Maske eines GIA-Agenten, silberne Blumen in den Augen.

Jie-Lin, ich brauche dich.

Und obwohl ein Teil von mir sich beim Gedanken daran am liebsten zusammenkauern und schreien will, ist der größere Teil von mir einfach wütend. Es hat ihn verschlungen, benutzt, wie einen Anzug getragen. In meinen Fingerspitzen prickelt Mitternachtsblau. Das Geschenk, das mir die Eshvaren gemacht haben, knistert direkt unter meiner Haut. Der uralte Feind des Ra’haam ist in mir lebendig.

Ich kann lernen, es zu kontrollieren. Das weiß ich. Ich kann der Trigger sein, zu dem sie mich erschaffen haben.

Aber wie Tyler schon gesagt hat, als wir über Octavia schwebten: Noch müssen wir die Waffe finden.

»Okay, Goldenboy.« Mit gebeugtem Kopf sitzt Fin über seinem Uniglass. »Willst du erst die gute oder erst die schlechte Nachricht hören?«

»Die, die weniger dramatisch ist«, antwortet Tyler.

»Okay, die gute Nachricht ist, dass die Longbow sich schon in Einzelteilen auf einem Schrottplatz von Emerald City befindet. In sehr kleinen, sehr flachen, sehr teuren Einzelteilen.«

Tyler schließt die Augen. Obwohl wir alle wussten, dass es nicht sehr wahrscheinlich war, unser Schiff zurückzubekommen, ist es trotzdem ein schwerer Schlag, dass wir es nicht mehr verkaufen können.

»Wieso war das die gute Nachricht?«, fragt er.

»Na ja, im Gegensatz zur schlechten Nachricht?«

»Sag’s mir.«

Fin spricht weiter: »Die schlechte Nachricht ist, dass das einzige Schiff, was wir uns mit unseren flüssigen Mitteln leisten können, ein einhundertsiebzig Jahre alter chellerianischer Frachter ist. Er hat keinen Hauptantrieb, kein Navigationssystem, kein Lebenserhaltungssystem. Auf seiner letzten Fahrt hat er Hausmüll von Areturus IV abtransportiert.«

»Klingt entzückend«, sagt Scarlett trocken.

»Klingt dufte«, murmele ich.

»Klingt unbrauchbar«, sagt Tyler mit finsterer Miene. »Sonst gibt es nichts?«

Finian zuckt mit den Schultern und projiziert den Feed auf seinem Uniglass mit einem Fingerschnipsen auf das Wanddisplay. Ich kann einen komplizierten Netzknotenpunkt sehen, mit Tausenden verschiedenen Schiffen im Angebot, von riesigen Kreuzfahrtschiffen bis hin zu winzigen Schleppern. Alle sind so weit jenseits unserer Preisspanne, dass mir fast schlecht wird. Ich gucke mir den Namen des Unternehmens auf der Mastspitze an, ein leuchtendes Logo, das von einem Zahnrad aus Feuer umkränzt wird.

»Hephaistos GmbH«, sage ich leise.

»Sie sind der größte Betrieb mit einem Schrottplatz in Emerald City«, erklärt Finian. »Bei allen Bauteilen des Schöpfers, hätten wir die Creds, könnten wir uns das Streitschiff holen, das unserem Status als berüchtigte interstellare Kriminelle gerecht wird, aber …«

»Wir haben nicht genug Creds«, stellt Tyler grimmig fest.

»Bitte sag nicht, dass wir dieses Müllschiff in Betracht ziehen«, sagt Scarlett. »Ich habe dafür nichts Passendes anzuziehen.«

Kal wirft Scar einen Blick zu, hebt eine silberne Augenbraue: »Was wäre denn da passend?«

»Warte, warte eine Minute …«, flüstere ich mit zugeschnürter Kehle. »Fin, hör auf zu scrollen, geh zurück …«

Mein Ton lässt alle im Raum aufhorchen. Fin hebt seine Hände, wischt von rechts nach links wie ein Dirigent und scrollt langsam durch die Raumschiffe auf dem Schrottplatz.

»Da! Halt, da!« Alle Augen wenden sich mir zu, als ich langsam aufstehe und auf eins der Schiffe an der Wand zeige.

»Auri?«, sagt Tyler.

»Das ist die Hadfield«, sage ich.

Tyler geht näher ran und schaut mit zusammengekniffenen Augen auf das Display. Fin zoomt den Eintrag ran, und da ist sie. Direkt aus meiner Erinnerung in die wirkliche Welt.

Es sieht ein bisschen so aus wie ein Schlachtschiff von der alten Erde, lang und zigarrenförmig. Der Rumpf ist schwarz, an den Seiten sind tiefe Risse, und das Metall sieht an manchen Stellen so aus, als wäre es geschmolzen. Aber ich würde es überall wiedererkennen. Das Schiff, in das ich vor zwei Wochen und zweihundertzwanzig Jahren eingestiegen bin, um mich auf den Weg zu einem neuen Leben auf Octavia III zu machen. Ein Leben, das nun verschwunden ist, zusammen mit allem und allen anderen.

»Beim Schöpfer, du hast recht, Auri.« Tyler schüttelt den Kopf und starrt die Hadfield fast ehrfurchtsvoll an. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, wurde sie von einem Raumfaltensturm auseinandergerissen. Wie konnte sie jemand zu fassen kriegen?«

»Keine Ahnung. Vielleicht ist ein Hephaistos-Bergungsteam in der Raumfalte über sie gestolpert, nachdem du unsere blinde Passagierin gerettet hast. Die Daten sagen, dass sie in einem riesigen Konvoi auf dem Weg zur Versteigerung auf Picard VI ist.«

»Warum würde jemand diesen Schrotthaufen kaufen wollen?« Scar wirft mir einen Blick zu. »Ich meine, nimm’s mir nicht übel …«

»Tue ich nicht«, sage ich leise.

»Hier steht es.« Fin nickt. »›Das berühmteste Wrack aus dem Zeitalter der terranischen Expedition zu den Sternen. Ein authentisches Stück Geschichte!‹«

»Wir müssen zu ihr hin.« Die Wörter sind raus, bevor mir überhaupt klar wird, was ich da sage.

Tyler wendet sich vom Bildschirm ab und mir zu. »Warum?«

»Ich weiß es nicht. Ich … fühle es einfach.«

»Ist es deine Gabe, Be’shmai?«, fragt Kal.

»Vielleicht.« Als ich in die zweifelnden Gesichter um mich herum gucke, wird mir klar, dass die Legionäre vom Squad 312, so sehr sie auch langsam Vertrauen zu mir fassen, doch etwas mehr brauchen als nur Bauchgefühl. »Wir wissen, dass ich das Ra’haam davon abhalten soll zu sprießen, stimmt’s? Weil es sich sonst durch die Raumfalte verteilt und die Galaxis verschlingt. Aber über die Eshvaren wissen wir nichts. Und sie sind diejenigen, die das Ganze in Gang gesetzt haben, diejenigen, die mich … zu dem gemacht haben, was ich bin.«

Kal stellt sich bedächtig neben mich und starrt das Wrack der Hadfield an. Von allen Völkern in der Galaxis sind die Syldrathi die einzigen, die wirklich glauben, dass die Eshvaren einmal existiert haben. Das Licht der Projektion spiegelt sich in seinen violetten Augen, während er spricht.

»Und du glaubst, dass du an Bord mehr über das Alte Volk erfahren kannst?«