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Clemens Brentanos "Aus der Chronika eines fahrenden Schülers" ist ein faszinierendes Werk, das die Erlebnisse und die innere Welt eines wandernden Schülers in einer Zeit des Umbruchs und der Suche nach Identität betrachtet. Brentano, ein Schlüsselvertreter der Romantik, verwebt in diesem Buch autobiographische Elemente mit einer poetischen und oft mystischen Sprache, die den Leser in die zeitlosen Fragen des Lebens und der menschlichen Erfahrung eintauchen lässt. Die spezielle Form der Chronik unterstreicht die Geduld und Mühe der Selbstfindung, die die Protagonisten in einer sich wandelnden Welt durchleben. Clemens Brentano, geboren 1778 in Frankfurt am Main, war ein herausragender Dichter, Schriftsteller und ein zentraler Akteur der deutschen Romantik. Seine Reisen und vielfältigen Begegnungen mit anderen Künstlern und Denkern haben ihn stark geprägt. Brentano war bekannt für seine tiefe Verbundenheit mit Natur, Volkstümlichkeit und Spiritualität, was sich in seinen Werken widerspiegelt. Seine Schriften zielen darauf ab, das Unsichtbare hinter der sichtbaren Welt zu ergründen und ein Gefühl für die transzendente Dimension des Lebens zu vermitteln. Dieses Buch ist nicht nur eine Einladung zur Reflexion über die eigene Lebensreise, sondern auch eine wertvolle Lektüre für alle Interessierten an der Romantik und der Entwicklungsgeschichte der deutschen Literatur. Brentanos einzigartiger Stil hat die Kraft, Leser zu fesseln, und seine Gedanken über Identität und die Suche nach Sinn bleiben zeitgemäß. Es lohnt sich, in die Chromatik dieser lebendigen Erzählung einzutauchen.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Vor funfzehn Jahren machte es mir Freude, die folgende einfache Geschichte niederzuschreiben. Sie sollte nur die Einfassung mehrerer schöner altdeutschen Erzählungen sein, die sie mit mancherlei Ereignissen aus dem Zusammenleben des alten Ritters Veltlin von Türlingen und seiner drei Töchter unterbricht, mit deren Versorgung und der Abreise des Erzählers sie schließt. So lieb ich das Gedicht hatte, blieb es doch unterbrochen; der Sinn der Leser schien dazu zu fehlen. Jetzt, da diese Erzählung mehr, ja selbst die altdeutschen Röcke vor sich hat, fiel sie mir wieder in die Hände, und ich versuche es, sie den Lesern vorzulegen mit der Erinnerung, daß sie zu pädagogischen Zwecken entworfen worden, als ich von der sogenannten Romantik noch wenig wußte, und daß sie daher neben den allerneuesten Ritterromandichtern in ihrer redseligen Einfalt um Schonung bittet. Sollte dem Leser, durch Eisenfresserei und Isländisches Moos verwöhnt, diese Geschichte wie unsre deutsche Kamillen--und Hollunderblüte nicht behagen, so bringe er sie einem kranken Freunde oder Mägdelein, denen sie Gott gesegnen möge!
Im Jahr, da man zählte nach Christi, unsers lieben Herrn, Geburt 1358, am zwanzigsten Tage des Maimonats, hörte ich, Johannes, der Schreiber, die Schwalbe in der Frühe an meinem Kammerfenster singen und ward innigst von dem Morgenlied des frommen Vögeleins erbauet, bedachte auch auf meinem Bettlein, wie die Schwalbe in daurender Freude lebet, gegen den Winter in ferne wärmere Länder ziehet und, der Heimat getreu, gegen den Frühling wiederkehrt; also nicht der Mensch, der arme fahrende Schüler, der wohl viel gegen Sturm und Wetter ziehen muß, ja der oft kein Feuer findet, die erstarrten Hände zu erwärmen, daß er sie falte zum Gebet; aber so er es ernstlich meinet, haucht er hinein.
Da ich in solchen Betrachtungen versunken war und das Schwälblein auch auf seine Weise fortphantasierte, wäre ich schier wieder eingeschlummert, aber der Wächter auf dem Münster blies: "In süßen Freuden geht die Zeit", welches ich hier noch nie gehöret; denn ich war zum ersten Male in Straßburg erwacht.
Nun richtete ich mich in meinem Bettlein auf, und schaute in meinem Gemache umher; das hatte aber Fenster rings herum und war in einem Sommerhäuslein des Gartens. Links stand der Mond noch blaß am Himmel, und rechts war der Himmel wie das lauterste Gold. Da fand ich mich zwischen Nacht und Tag und faltete die Hände, und es fiel mir freudig aufs Herz, daß heute mein zwanzigster Geburtstag sei, und wie mir es viel besser geworden als in dem letzten Jahre, da ich meinen lieben Geburtstag auf freiem Felde in einem zerrissenen Mäntelein empfangen und mit einem Bissen Almosenbrot bewirten mußte. O Freude und Ehre! dachte ich bei mir selbst und schaute zum Morgenlichte hin und sprach: "Du bist mein Licht, du wirst mein Tag!", glaubte auch schier in meiner Einfalt, der Himmel sei golden um meines Besten willen, die Schwalbe habe nur gesungen, mir Glück zu wünschen, und der Türmer habe allein so lieblich geblasen mir zur Feier; da der Himmel sich doch nur gerötet vor der Sonne, die der Herr gerufen, da die Schwalbe doch nur gesungen in Gottes Frühlingslust, und der Wächter nur geblasen zu Gottes Ehren, ja wohl gern noch ein Stündlein geschlafen hätte, so es ihm von den Münsterherren verstattet wäre. Also wird der Mensch leicht übermütig in der Freude, und glaubet, er sei recht der Mittelpunkt aller Dinge, und sei er mit allem gemeint. Da ließ ich die Augen fröhlich in der Kammer umherschweifen, und sah auf dem Schemel ein neues Gewand liegen, das mir mein gütiger Herr und Ritter Veltlin von Türlingen am Abend im Dunkeln hatte herauftragen lassen, und konnte ich meine Begierde nun nicht länger zurückhalten, sprang auf von meinem Lager, und legte diese Kleider nicht ohne Tränen des Dankes an. Es war dies aber ein feines blaues Wams, um die Lenden gefaltet und gestutzet, und rot und weißes Beinkleid von ländschem Tuch, auch stumpfe Schuh und eine schwarze Kogel mit einer blauen Feder, nicht zu vergessen ein Hemmet von weißem Hauslinnen, am Halse bunt genäht und gekrauset, dergleichen ich vorher nie getragen. Da ward es mir fast leicht und fröhlich zumute, und hätte ich wohl mögen einen Sprung tun, als hätte ich einen neuen Menschen angezogen mit dem neuen Kleide.
Aber meine Hoffart währte nicht lange; denn mein zerrissenes Mäntelein, welches ich als einen Vorhang vor das Fenster gehängt hatte, erleuchtete sich durch die aufgehende Sonne, und alle seine Löcher waren so viele Mäuler und alle seine Fetzen so viele Zungen, die mich meiner törichten Hoffart zeihten. Es war, als sage das Mäntelein zu mir: "O Johannes, bist du ein so eitler Kaufherr, daß du, angelanget in den Hafen, des zerrissenen Segels vergißt, das dich in denselben geführet? Johannes, bist du ein so stolzer Schiffbrüchiger, daß du das Brett, welches dich mit Gottes Hülfe an ein grünes Eiland getragen, mit dem Fuße undankbar in die Wellen zurückstößest? O Johannes, du undankbarer Freund, willst du, gerettet, mich nicht auf deinen Schultern in ein Gotteshaus tragen und aufstellen als ein Gedächtnis, daß sich Gott deiner erbarmet?"