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Die ärztlichen Befunde sind eindeutig: Ich würde mein Kind kaum auf normalem Wege zur Welt bringen können. Ein Kaiserschnitt scheint die einzige Möglichkeit, uns beiden diese Tortur abzunehmen. Aber will ich das überhaupt? Ist es wirklich das Beste für mich und mein Kind? Tausende Fragen und Ängste führten mich auf eine innere Reise, die mich von einer Wunschkaiserschnitt-Kandidatin zur vierfachen Natürlich-Gebärenden machte. Für alle, die sich mit denselben Ängsten und Zweifeln konfronitert sehen, habe ich meine Erfahrungen und mein gesammeltes Wissen in diesem Buch niedergelegt. Ich möchte darin meine Geschichte erzählen, nackt und ehrlich. Und Mut machen für den natürlichen Weg.
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Seitenzahl: 617
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1. IN GUTER HOFFUNG
Aufbruch
Anfang Juni 2011
9 Tage später
Eine Woche später
Ich erinnere mich ... 1986 – Das erste Mal beim Frauenarzt
Ich denke nach ... Natürliche Verhütung & Neue Freiheit
13. Juni 2011
27. Juni 2011
Fassungslos
28. Juni 2011
Das Gefühl, früh-schwanger zu sein
Aber HALLO!
Lernprozesse – Vergangenes & Heutiges
Seelennarben
Reflexion
Erwachsen werden
FRAGEN – Frauen, Männer, Beziehungen
Ich denke nach ... Über die Natur
Wie sag ich’s meiner Mutter?
Eine Geschichte der guten Hoffnung – ISABELLA
Die Wahl
Ich denke nach ... Die neuen Mütter
30. Juni 2011
Verinnerlichen
Zurück zum Anfang – Ein kleiner Ausflug in die Biologie
2.
SARAH
Ich erinnere mich ... Das erste Mal schwanger – Druck
Geburtsabteilungs – Expedition
Geburtsplan
„Tante Heli“
Es ist soweit! Sarah kommt zur Welt
Brief „Mein Kind“
3. MARIA
2006
Sex in der Schwangerschaft – „sexual healing“
Die heilige Vagina
Dammschnitt
Dammschnitt oder Dammriss
Schmerz und Lust – die unbegrenzte Macht der Liebe
Der verlorene Penis und die ausgeleierte Vagina
Der Beckenboden
Vagina nach einer Geburt
Ich erinnere mich ... Hormonspirale
Erste Übungen für den Beckenboden
Dammmassage, ein schönes Ritual, das Sinn macht
Ich erinnere mich ... Geburtsvorbereitungskurs
Intimität, Vertrauen, Partnerschaft
Vorbereitungen
Geburtsort
Kontaktaufnahme mit der Hebamme
Vorbereitungen Tag X
Träume
Frauenarzt oder Frauenärztin?
Ich erinnere mich ... Gummibärchen, Umzug, Machtspielchen, Ödeme
Maria wird geboren
Von Wähen und Wehen
Ich hatte Angst zu sterben
Sterben bei der Geburt
Stillprobleme – mein Kind bekommt nicht genug Milch
4. SIMON
Oliven & Mandeln
Flohmarkt
Leben & Sterben – Kommen & Gehen
Ich erinnere mich ... Neue Verwirrungen – Oktober 2007
Dammballon
Ich erinnere mich ... Wassergeburt
Simon, der Sterngucker
Der Tag davor
Ich erinnere mich ... Zähe Bedenken und Prognosen
3. Jänner 2008
Das Wochenbett zuhause
Der erste Toilettengang
Der Wochenfluss
Das erste Bad
Harntröpfeln und Hämorrhoiden
Das Stillen
Vorwände nicht zu stillen
Langzeitstillen
5. JONATHAN
Alleingeburt? Ich erinnere mich ... Katze Anna bekommt Babys
Ich denke nach ... Moderne Kreißsaalgeschichten
Sicherheit im Krankenhaus
Kreißsaal
Schmerzen – wozu? PDA
Umgang mit dem Schmerz
Schulmedizinische Vorsorgemaßnahmen
24. September 2011
„Was wird es denn?“
12. Oktober 2011
Alltag einer werdenden Vierfachmutter
Plazentabeerdigung
26. Oktober 2011
Nennen wir das Kind doch endlich beim Namen!
Die Kommunikation mit dem Baby
„The worst case“
10. Februar 2012
Hochschwanger
14. Februar 2012
Pilzproblem
Fehlalarm
16. Februar 2012
Ein neuer Mann im Haus
21. Februar 2012
Geduldsprobe
1. März 2012
Endspurt
2. März 2012
Geburtstermin
3. März 2012
Nähen?
Ein letztes Mal im Wochenbett
6. HEUTE
Was ist nun „Eine gute Geburt“?
Von Staudämmen
Die sanfte Geburt – Vom Ankommen und Festhalten
Spontangeburt früher und heute
Ängste
Die gute Hebamme
Hebammen vor dem AUS?
Ja zur Hebammengeburt
Unterordnung oder Selbstbestimmung
Wunschkaiserschnitt – alte und neue Programmierungen
Warum KEIN WUNSCHKAISERSCHNITT?
Ich vergleiche die Schwangerschaften und Geburten meiner 4 Kinder
Was hilft? Mein Schatz
7. RÉSUMEÉ
Mut zum Gebären
Verantwortung & Entscheidung
Es ist Zeit – ABGESTILLT
DANKE!
QUELLEN
Kinder kriegen.
Ich kann das nicht einmal besonders gut, bin alles andere als eine Idealgebärende, und schon gar keine Supermama. Wenn ich so zurückblicke auf mein bisheriges Leben finde ich einige blinde Flecken, auf die ich nicht stolz bin. Dennoch habe ich vieles richtig gemacht und so manches begriffen.
Ich möchte nicht predigen, auch nicht mit dem Finger zeigen. Trotzdem empfinde ich in mir ein unstillbares Bedürfnis, meine Geschichte aufzuschreiben und zu teilen.
Denn sie strotzt vor Leben. Gefühlsachterbahn und normale Absurditäten wechseln sich ab. Sie ist sowohl spektakulär, als auch unperfekt , so wie das normale Leben auch.
Ich halte sie für abenteuerlich und auf eine wildromantische Art wunderschön. Denn dies ist meine Geschichte. Und sie handelt davon, wie ich Mutter und erwachsen wurde...
Für meine Kinder
„...aber eigentlich sollten wir darüber nachdenken!“
Unter Ächzen und Seufzen räkle ich mich auf dem schmalen Bett hin und her. Mein schmachtender Blick an meinen grübelnden Mann gerichtet. Wir haben diese Liegestatt in unserem Wohnzimmer aufbauen lassen. Mitten darin. Vor dem Kamin, wo züngelnde Flammen leise knisternd den kühlen Frühlingsabend warmzaubern. Ah, tut das gut! Einfach daliegen und genießen. Ruhe. Nichts tun müssen. Die Kinder schlafen. Es ist ein langer Tag gewesen. Aber jetzt herrscht Ruhe. Und hier habe ich auch keine Kreuzschmerzen. Der Alltag mit einer Pubertierenden und noch zwei kleinen Kindern kann schon ganz schön schlauchen. Kaum ein Versteck, worin man sich verkriechen kann. Am WC vielleicht noch.
Nun, da ich mich so entspannt auf der sündteuren Matratze einer orthopädischen Matratzenfirma ausstrecken kann, werden in meinem Kopf alte Gedanken wach, die ich schon lange nicht mehr wahrgenommen habe. Da war doch noch etwas, außerhalb der Welt mit den Kindern... Es ist irgendwie immer zu laut im Haus.
Tiefes Ein- und Ausatmen ist mir gerade möglich, jetzt, wo meine Küken schlafen. Wenn sie schlafen dann liegen sie wohlig behütet in ihren Nestern. Die Engel wachen über sie und die Eltern können ein wenig entspannen. Gott sei Dank schlafen alle die ganze Nacht durch.
Wie stolz ich auf sie bin. Auf meine drei Wunderwesen! Mit jedem Durchatmen spüre ich, wie ich leichter werde. So entspannt bin ich schon sehr lange nicht mehr gewesen.
„Was denkst du?“, stelle ich meine Frage in den Raum hinein. Es ist still. Ich hebe den Kopf, um zu sehen, was mein Mann da tut. Er sitzt beim Esstisch und schreibt etwas.
„Warte mal einen Moment!“, kommt seine Antwort. Ich werde neugierig.
Ganz konzentriert kritzelt er etwas auf einen Zettel. Es sieht so aus, als würde er rechnen. Er denkt darüber nach, ich weiß es. Doch eigentlich ist es eine Schnapsidee. Wir können uns keine größeren Anschaffungen leisten. Es geht einfach nicht.
Aber schön wäre es schon...
„Pass auf!“ Nun scheint er aus seiner Kontemplation erwacht zu sein: „Pass auf! Was wäre, wenn wir aufhören würden mit dem Rauchen? Eigentlich mögen wir es doch sowieso nicht, es passt auch nicht zu uns. Es stinkt, verpestet unsere Lungen, wir brauchen ganz schön viel Zeit, jedes Mal auf die Terrasse zu flüchten. Wir kommen zurück, sind genervter noch als sonst. Warum gehen wir nicht einfach so hinaus in die frische Luft zum Durchatmen? Lassen wir die Kippen sein und leisten uns um das Geld, das wir dabei einsparen stattdessen diese Matratze. Wir tun das doch für unsere Gesundheit! Auch die Kinder werden es uns danken. Das sollten wir so machen!“
Mein Mann hatte da einmal eine richtig grandiose Idee! Ganz in meinem Sinne!
Obwohl ich in meinem Leben immer wieder vergebliche Rauchentwöhnungsversuche unternommen habe, bin ich sofort überzeugt und dabei. Endlich ein richtig vernünftiger Grund, der sicher hilft, den Glimmstengel wegzulassen. In all meinen Schwangerschaften die Finger von jedweden Drogen zu lassen, war ja auch überhaupt kein Problem; warum gelang mir dieser Verzicht im „normalen Leben“ bisher nicht? Es herrscht diesmal überraschenderweise absolut kein Zweifel daran, dass wir erfolgreich sein werden. Was ist nur mit mir geschehen, warum gibt es diesmal keinerlei Vorwände, Ausflüchte, Entschuldigungen? Ich bin richtig stolz auf mich.
Wir rufen den Matratzenverkäufer zu uns herein, der einstweilen zum Telefonieren und rauchen auf die Terrasse gegangen ist, um uns in Ruhe überlegen zu lassen.
Er ist natürlich erfreut über unseren Entschluss. Immerhin kostet so ein Ding für ein Doppelbett € 2.800,-!!! Bei der Summe wird mir richtig schwindelig. Doch ich halte mich fest an diesem wundervoll geschmeidigen Testexemplar, damit ich nicht von der Pritsche falle. Am liebsten würde ich gar nicht mehr absteigen...
„Wie lange dauert die Lieferzeit?“ Unser Matratzenmann versichert uns die Lieferung innerhalb der nächsten zwei Wochen. „Mit der Lieferung wird sogleich auch die erste Ratenzahlung fällig. Ihr habt also zwei Wochen Schonfrist und könnt solange noch das Rauchen genießen.“
Wir beschließen jedoch, gleich morgen damit aufzuhören!
*
Die Matratze ist heute Vormittag geliefert worden. Sie riecht noch ziemlich übel nach Fabrik, ich habe sie erst einmal auf den Balkon zum Auslüften gestellt.
Ich freue mich jedenfalls sehr darüber. Jetzt ist hoffentlich bald Schluss mit Kreuzweh! Mit jedem Kind wurde es schlimmer bei mir. So eine Schwangerschaft ist kein Honiglecken, immerhin schleppt man ja viele Monate ein beachtliches Gewicht mit sich herum. Wenn das Kind dann geboren ist, trägt man es weiterhin Tag und Nacht durch die Gegend. Heißt so ein Baby ja auch Tragling, was viele nicht wissen. Zudem hatte ich mir obendrein noch außergewöhnliche „andere Umstände“ ausgesucht, wenn man davon ausgehen kann, dass man sich seine Prüfungen im Leben selbst wählt. Aber dazu später.
Was mich wirklich sehr wundert: Wir haben uns tatsächlich keine Schonfrist gegeben. Am Tag nach der Vereinbarung warfen wir alle Zigaretten, die noch im Haus waren, in den Müll. Und der Entzug hat keinen Tag weh getan. Wir sind sehr erstaunt darüber. Auch meine rauchenden Bandmitglieder können es kaum glauben, dass ich die Proben ohne Zigarette überstehe.
So schreiten wir zur Zeit ziemlich gesund und wesentlich munterer durch unser Leben. Der nette Matratzentyp ist so lieb und borgt uns für eine Woche eine Infrarotmatte fürs Bett. Diese soll sich durch Tiefenwirkung ganz besonders vorteilhaft auf die inneren Organe und den Knochenapparat auswirken. Mal sehen, was sich ändert...vielleicht kann dieses Ding ja mein armes Knochengerüst wieder heil machen. Wer weiß?
*
Es schläft sich gut auf der neuen Unterlage. Aber vielleicht fühlen wir uns auch wegen dieser Infrarotmatte nicht mehr so müde und schlapp. Die Matratze war jedenfalls eine gute Entscheidung. Die hätte ich schon in der kräftezehrenden Schwangerschaft bei Simon, meinem dritten und letzten Kind gebraucht.
Noch heute, nach vier Jahren, bin ich froh, kein Kind mehr kriegen zu müssen. Richtig anstrengend war es gewesen. Ich war ja auch gleich wieder schwanger geworden, nachdem ich mein zweites Kind mit zehn Monaten abgestillt hatte. Das war nicht einfach für meinen Körper, der ohnehin nicht unbedingt als gebärfreudig zu bezeichnen ist.
Ein zu androgynes Becken oder möglicherweise eine pathologische Sache, ein Geburtsfehler, wer weiß - ich habe es nie untersuchen lassen. Außerdem ein Beckenboden der so fest ist, dass eine hartgesottene Hebamme bei meinem ersten Kind während der Dammdehnung in der letzten Geburtsphase ächzen musste und leise zu fluchen begann: „Nein, so einen festen Damm hatte ich noch nie!“ Es war eine schwere Arbeit, die diese Frau gemeinsam mit mir zu verrichten hatte. Und auch Lucia hatte es schwer, die Hebamme, die mir bei meinen beiden Kleineren geholfen hat, damit sie zu Hause auf die Welt kommen konnten. Zum Glück hatte ich durchgehalten und mich für den natürlichen Weg entschieden. Es hätte alles ja auch ganz anders ausgehen können.
Meine Schwangerschaften und Geburten haben mich vieles gelehrt. Mehr als sonst irgendetwas in diesen 39 Jahren meines Lebens. Seitdem vergleiche ich immer wieder schwierige Situationen mit den Phasen einer Geburt.
Da gibt es so Sinnsprüche, die mir einfallen, wie „wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Licht daher!“ oder „Was dich nicht umbringt macht dich nur härter!“ Das klingt alles ziemlich abgedroschen, aber diese Sprüche definieren durch ihre Schlichtheit die erdige Wahrheit über Lebensprozesse im allgemeinen, wie ich finde.
Etwas sehr Wichtiges ist mir noch klargeworden in den letzten 14 Jahren: Dass man wirklich Fundamentales nicht planen kann! Wir alle haben in den jungen Jahren unseres Lebens meist sehr vieles vor. Wir planen, wie wir denn leben möchten, wann wir heiraten wollen und wann wir wie viele Kinder bekommen werden. Ruckzuck, das wird super! So stellen wir uns das vor mit 15, 18, 20, 23....doch das Leben präsentiert uns häufig nicht das, was wir wollten. Und nun lehne ich mich das erste Mal weit aus dem Fenster: Das Leben präsentiert uns das, was wir brauchen!
Ich hatte die Floskel schon in jungen Jahren immer wieder vernommen: „Es gibt keine Zufälle!“ Je länger ich hier in dieser Welt lebe, umso griffiger wird dieser Satz. Umso mehr kann ich damit anfangen und mit jedem Lebensjahr bestätigt er sich.
Da ist ein Gefühl, das ich nicht benennen kann. Ein uraltes Gefühl, so spürt es sich an, weil es so vertraut ist und ich mir dessen so sicher sein kann. Ein Gefühl, dass alles seinen Sinn hat. Dass wir nicht bloß hier sind, um es uns lustig zu machen, um Hindernissen aus dem Weg zu gehen. Jeder Baum, jeder Stein, jeder Felsen, ein jeder Berg, jeder Abgrund, jedes Wasser am Weg gehört dazu und bringt uns zum kurzen Innehalten, oftmals zum längeren Stillstand. Manchmal müssen wir verharren und uns umsehen, wo wir gelandet sind. Sind wir eigentlich noch auf unserem Weg?
Wir können vieles umgehen. Können in unsere überfüllten Taschen greifen und jemanden bezahlen, damit er uns Brücken und Lifte baut.
Doch jeder, der in seiner Kindheit erfahren durfte, was für ein erhebendes Erlebnis es ist, selbst Lösungen zu finden, sich selbst am Riemen zu reißen, einmal selbst dreckig zu werden, wenn man aus Lehm eine Hütte baut, einmal reinzubeißen, um beim Wandertag das Gipfelkreuz zu erreichen, und danach die wohlverdiente Ruhe und den Anblick zu genießen, weiß, da gibt es noch viel mehr.
Das Leben bietet Fülle! Wir haben es bekommen, um es zu leben, seinen Reichtum mit all unseren Sinnen wahrzunehmen.
Die prägendsten Erfahrungen waren nicht eingeplant, oder? Wir verlieben uns in den unpassendsten Momenten und werden ebenso zum vermeintlich falschen Zeitpunkt schwanger. So scheint es doch oft, oder?
Ganz besonders passt dies nicht in eine Gesellschaft, wie der heute Vorherrschenden.
Slogans dieser Zeit:
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
„Nur mit Disziplin erreichen wir eine Leistung.“
„Reich und schön, dann kriegst du alles, was du willst“
„Bildung ist alles.“
„Sex sells.“
Kaum jemand sagt dir: „Hör auf deine eigene Stimme!“
Und wenn doch, dann vernehmen wir häufig das Echo dessen, was man uns zuvor wieder und immer wieder über die Medien eingeflößt hat. Wir sind alle so derart manipuliert und außer uns, dass wir gar keine innere Stimme mehr vernehmen. Weil es da draußen so laut ist!
Hier wird tonnenweise konsumiert, alles! Sogar „Liebe machen“ ist ein Geschäft. Wissen wir eigentlich noch, wo es gesunde Nahrung gibt? Wir impfen uns zu Behinderten. Am liebsten würden wir alles versichern lassen. Unsere Kinder beschenken wir mit Plastikmüll, der eine Zeitlang sinnbefreit blinkt und kreischt. Die restliche Zeit setzen wir sie vor den Fernseher.
Das alles soll Freude in unser Leben bringen?
Wir heiraten und hintergehen Jahre später den liebsten Menschen, dem wir unser Leben anvertrauten. Es sollte nicht heißen, „bis dass der Tod uns scheidet“, sondern: „bis dass die Versuchung uns auseinanderreißt!“
Wir wollen Kinder bekommen, die wir lieben können, damit wir uns selbst wieder wertvoller erscheinen, wir erwarten uns eine gewisse Erfüllung. Wenn ich so manche Frau beobachte, lässt mich der Eindruck nicht los, dass sie in der Kindheit steckengeblieben ist. Sie will eine lebende Puppe, die sie schick anziehen und im stylischen Kinderwagen vor sich herschieben kann. Und genau zur Stunde dann das rosa Fläschchen mit den niedlichen Elefanten drauf. Doch nicht bevor wir das Kätzchen-Lätzchen sorgfältig angelegt haben.
Wir lesen in den wöchentlichen Zeitschriften, wie wir heute am besten unsere Kinder erziehen sollen, wann sie abgestillt werden müssen und wie lange sie Windeln haben dürfen. Das Individuum, die ganz besondere Persönlichkeit unseres kleinen Nachfahren scheint nicht wirklich von Bedeutung zu sein bei all diesen Normen, aus deren Reihe wir nicht tanzen wollen.
Und was am allerschlimmsten ist: Wir leben in einer Welt, in der wir tatsächlich meinen, dass wir als demokratische Staatsbürger die Freiheit haben, unseren eigenen Weg zu gehen. Wie ein Lemming laufen wir jedoch die Spur ab, die „alle anderen“ auch nehmen. Wir haben aufgehört, zu hinterfragen, ob dieser Weg auch der richtige für uns ist. Laufen wir so nicht ins Verderben? Es gruselt mich, wenn ich hier weiterdenke.
Würde sich jeder Mensch für einen Monat mit Wasser und Brot in eine stille Zelle begeben, dann wäre dies vermutlich ein Segen für die ganze Gesellschaft. Dann würden wir sie wieder vernehmen, die Stimme des Sinns und der Lebendigkeit. Vielleicht zwischendrin auch die des Wahnsinns. Wir würden vielleicht hungern, einsam sein, die schrillen Ablenkungen vermissen, die sonst jeden Tag auf uns einströmen. Doch recht bald schon würden wir merken, was los ist. Es wäre eine Chance, geläutert hervorzugehen und sich selbst wieder näher zu kommen. Und ich bin sicher, kaum einer würde weiter den Lemmingpfad wählen.
Das glaube ich fest.
Doch eigentlich bin ich jetzt ziemlich vom Thema abgeschweift, denn im Grunde wollte ich mich selbst daran erinnern, wie unendlich dankbar ich sein kann, meinen Weg gefunden zu haben, trotz all des Dickichts rund um mich herum...
Ich dachte nicht immer so „selbstbestimmt“...
Das fing nämlich so an...
*
Sehr gut erinnere ich mich an den ersten Gynäkologenbesuch. Mit 13 Jahren bekam ich meine erste Regel. Ich hatte damals enorme Menstruationsschmerzen mit Fieber und Krämpfen bis zu den Zehen runter. Meine Mutter und meine Schwester hatten beschlossen, dass da etwas zu geschehen hat.
Es war irgendwann Ende Oktober gewesen, abends, es war schon dunkel geworden. Im Wartezimmer harrte ich ängstlich der Dinge, die da auf mich zukommen würden. Ich hatte mich sorgfältigst gebadet, bevor meine Mutter und ich von zu Hause zu diesem Termin aufbrachen. Was mich zusätzlich völlig verunsicherte, war dieses Brodeln im Bauch. Scheiße! Es fühlte sich an wie Durchfall. Aber ich konnte doch jetzt nicht noch aufs Klo gehen? Was würde denn der Arzt denken? Ich zwickte zusammen, mir war schlecht. Im Nebenraum befand sich der Bereich der Sprechstundendamen. Man konnte immer wieder das Telefon läuten hören, Stimmen sprachen gedämpft und diskret. Das Warten schien mir ewig. Als sich die Tür der Praxis öffnete kam eine der Assistentinnen mit einem stählernen Wagen heraus, worauf sich lauter furchterregende, lange Werkzeuge befanden. Sie ging damit ins Nebenzimmer und man konnte lautes Klirren und Scheppern hören. Sie würde wohl jetzt diese Folterinstrumente sterilisieren. Würden mir diese Dinger gleich hineingesteckt werden? Mein Herz klopfte bis zum Hals und in meinem Kopf wummerte es. Am liebsten wäre ich davon gelaufen.
Die Praxistür ging auf, ein großer freundlicher Herr im weißen Mantel erschien und bat uns höflich hinein. Meine Mutter kannte ihn und schwärmte stets in den höchsten Tönen von seinen behutsamen Händen. Von allen Frauenärzten, die sie kannte war er der Liebste und der Beste. Er verstand es in der Tat, selbst mich zu beruhigen und ich war beeindruckt, wie er mir die Angst nahm und trotz meiner enormen Skepsis glaubte ich ihm, als er erklärte, er würde nichts machen, was mir Schmerz bereiten würde.
Und eigentlich war es dann auch so. Dieser berühmte Gynäkologenstuhl, vor dem sich junge Mädchen so scheuen, ich durfte nun da hinaufklettern. Oh, die Beine mussten wirklich da in DIESE Halterung rein? Ich verkrampfte mich.
Der nette routinierte Doktor untersuchte mich das erste Mal rektal, also von hinten. Was ich ganz merkwürdig fand. Das mit dem Spekulum1 ging nicht wirklich, er kam nicht mal mit dem kleinsten in mich hinein, ohne dass es wehtat. Durch den Hintereingang war es zwar unerwartet aber ich dankte ihm sehr, dass er mich da vorne verschont hatte.
Die Diagnose lautete, ich hätte extrem kleine Geschlechtsorgane, eine kaum entwickelte Gebärmutter und Eierstöcke wie ein ganz kleines Mädchen. OK, das war wohl auch der Grund, warum es mir einfach nicht möglich war, einen Tampon zu benutzen. Alle Mädchen in meiner Klasse benutzten die im Schwimmunterricht, bei einigen sah ich das blaue Bändchen im Schritt heraus gucken. Wie immer wollte ich auch dazu gehören, also schummelte ich ein wenig. Am Klo zerfledderte ich einen „o.b.“ und formte aus einem kleinen Teil ein Kügelchen, welches ich mir zwischen die Schamlippen klemmte. Das Bändchen ließ ich bewusst aus dem Schritt lugen.
„Upps, wie peinlich! das ist mir jetzt passiert!“
Was mich ein bisschen geärgert hatte war, dass niemand davon Notiz zu nehmen schien. Doch im Grunde hatte ich damit meine Fraulichkeit unter Beweis gestellt. Zumindest redete ich mir das ein.
Mit der Watte, die ich mir in das Skiny-Oberteil gestopft hatte, klappte es nicht so erfolgreich. Es kränkte mich zutiefst, dass alle Mädchen bereits Brüste hatten und ich immer nur für mein „Bügelbrett mit Erbsen“ verspottet wurde.
Meine Erz-Schulfeindin entlarvte meinen falschen Busen und stellte mich vor allen in der Garderobe bloß. Auch die Buben haben es dann gleich erfahren. Meine Schulzeit war wirklich unglaublich. Voller Frust und Spannung, aber sicherlich auch lehrreich, durfte ich doch früh erleben, wie gnadenlos der Konkurrenzkrieg zwischen jungen Stuten sein konnte.
Nun, auch der Busen sollte ein wenig wachsen, denn der Herr Doktor verschrieb mir eine extrem starke Pille, eine Dreiphasenpille. Später erfuhr ich zufällig, dass dasselbe Präparat eine Tante von mir nahm, welche bereits 40 war und zwei Kinder geboren hatte.
Aber die Therapie half, die Schmerzen nahmen ab. Außerdem konnte ich mit meinen vierzehn Jahren nun wenigstens schon mit einem Frauenarzttermin und der Pille prahlen. Und ich dachte damals bei mir: So schnell kann es gehen von der kleinen Unterentwickelten zur „richtigen Frau“!
Mein Ego zumindest war gewachsen.
Zeitgleich bahnten sich auch die ersten, kühnen, sexuellen Experimente mit meinem ersten, wirklichen Freund an. Ich bin nicht sicher, ob dies nicht der eigentliche Grund war für die Besserung meiner Unterleibsgeschichten, denn zweifellos erfuhr ich durch ausgiebiges Petting und Schmusen wundersame Empfindungen, die meine Geschlechtsorgane, ja meinen ganzen Körper in einen lichtvollen seligen Zustand versetzen konnten. Alles begann, im wahrsten Sinne des Wortes, zu fließen und es schien, als wäre alles möglich. Trotzdem hielt ich den Höhepunkt zurück. Mein ehrgeiziger Geliebter sollte mich nicht völlig aufgelöst und ohne Kontrolle erleben. Lieber spielte ich ihm gekonnt Multiorgasmen vor.
Die Tatsache, dass sämtliche Unterleibsbeschwerden beinahe wie weg geblasen waren, als ich Jahre später meinen ersten richtigen Orgasmus beim Sex mit einem Mann zuließ, bestätigte meine Vermutung, dass es eine Verbindung zwischen meiner Gesundheit und meiner Sexualität geben muss.
Die Pille hatte ich zu diesem Zeitpunkt, ich war bereits 20, längst wieder abgesetzt. Da ich unter Colitis2 litt, hatte ich sehr häufig Durchfälle. Dieser Umstand machte die Pille nicht besonders sicher.
Ich ließ sie also weg und begann, meine Basaltemperatur3 zu messen, sowie tägliche Speichelproben mittels Fruchtbarkeitstester4 zu nehmen. Und was soll ich sagen? Ohne künstliche Hormone fühlte ich mich gleich nochmal so energiegeladen, was sich natürlich wiederum auf meine Libido auswirkte.
Was für merkwürdige Zusammenhänge!
Und ich glaube, es war zu diesem Zeitpunkt, als mir das erste Mal bewusst etwas auffiel: Natur und Erotik, eine Kombination, die es in sich hat!
*
1 SPEKULUM ist ein medizinisches Untersuchungsinstrument aus Metall in der Form eines Schnabels mit Zangengriff. Es dient zur Spreizung des zu untersuchenden Körperteiles. In der Gynäkologie wird das Vaginalspekulum verwendet.
Bis heute habe ich, mit zwei Ausnahmen fast nur mehr natürlich verhütet. Und es nie bereut.
Jetzt habe ich die absolute Revolution entdeckt. Seit einem dreiviertel Jahr leistet mir ein Verhütungscomputer tolle Dienste. Dieser berechnet mithilfe von vereinzelten Morgenharnproben die fruchtbaren Tage. Je länger frau ihn anwendet, umso besser „kennt“ er sie und ich habe schon davon gehört, dass er bei einer Bekannten den Eisprung auf exakt den einen richtigen Tag berechnet hatte. Voraussetzung ist allerdings ein regelmäßiger Zyklus von 25 – 32 Tagen. Da ich, solange ich denken kann, fast nur 27 – 28 Tage-Zyklen habe, passt das für mich sehr gut.
Und es ist wirklich ganz einfach. Jeden Morgen schaut frau auf diesen Computer, der am Klo bereit liegt. Der Computer sagt einem dann, ob er heute Harn braucht, indem er ein gelbes Licht blinken lässt, dies ist meistens erst ab dem 6. Zyklustag nötig. Zusätzlich erscheint auch ein grünes Licht für die unfruchtbare Zeit oder ein rotes für die empfängnisbereite Phase. In der roten greift man auf Kondome zurück oder lässt sich wieder einmal etwas anderes einfallen.
Heute morgen, ich befinde mich aktuell bei Tag 7 meines Zyklus, zeigte er mir vorsichtshalber das rote Licht, obwohl dies sonst erst bei Tag 12 beginnt. Wer weiß, vielleicht wirkt diese Infrarotunterlage mit hinein und versetzt meinen Körper in einen „scheinfruchtbaren“ Zustand. Dieser sensible Computer erkennt das anscheinend sofort, wenn etwas anders ist. Ein wenig erschrocken war ich heute Morgen schon, da wir gestern Nacht aus erotischen Gründen noch etwas länger wach waren als sonst...aber ich weiß, der Computer geht da wirklich nur auf Nummer sicher.
Ja, die Matratze ist wirklich sehr angenehm...auch wenn man nicht nur auf ihr schläft.
*
Ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Die letzten Jahre waren mühsam. Wirklich mühsam. Maria und Simon kamen so knapp hintereinander zur Welt, ich hatte mich noch gar nicht von der zweiten Schwangerschaft erholt, meldete sich schon No. 3 an. Auch in unserer Partnerschaft hatten wir zu kämpfen gehabt. Doch wir haben auch diese Hürde überwunden. Vor einem halben Jahr dann haben wir, nach elendslanger Suche, unser Traum-Blockhaus gefunden und es gekauft. Ganz schön mutig, hier in so ein Bauernkaff zu ziehen, wo wir doch auch niemanden kannten. Was mir ein gutes Gefühl gibt, ist, dass meine liebe Freundin und Hebamme Lucia in der Nähe wohnt. Luftlinie vielleicht 5km. Wir konnten uns vorher nicht so häufig sehen, da wir 35 km voneinander entfernt waren. Doch nun werden wir uns häufiger zum Kaffeeplausch treffen können. Als ich zu Weihnachten anrief, um „Frohe Weihnachten“ zu wünschen, konnte ich ihr auch von dem geglückten Umzug berichten. Ich plapperte fröhlich darauf los, so in Euphorie war ich... „Lucia, es ist wirklich so kuschelig hier! Endlich fühle ich mich zuhause! Du musst unbedingt in den nächsten Wochen vorbei kommen! Am liebsten würd ich noch einmal ein Kind in diesem Haus kriegen, so schön ist es!“ Aber ich nahm diesen Scherz sogleich zurück, denn auch Lucia weiß, was eine weitere Schwangerschaft für mich bedeuten würde.
Und wer glaubt, dass drei Kinder gut zu versorgen einfach ist, der kann gerne kommen und einen Tag bei uns verbringen.
Umso besser, dass nun langsam Ordnung einkehrt in unser Leben. Neues Haus, besserer Schlaf, mehr Harmonie. Nun werde ich für alles belohnt, was ich auf mich genommen habe, um meinen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Ich habe Simon 15 Monate mit meiner Milch gestillt und ihn getragen, bis er nicht mehr wollte. Ich habe es mit all der Hingabe einer liebenden Mutter getan, doch nun freue ich mich doch darauf, wieder ich selbst zu werden. Langsam gehöre ich wieder mir. Ich kann nun der Musik mehr Zeit widmen und freue mich auf den ersten Open-Air Auftritt morgen mit meiner eigenen Band. Mit fast 40 packt mich der Ehrgeiz, wer hätte das gedacht?
Auch ein lebendiges Liebesleben bahnt sich wieder an! Was will ich mehr?! Das Leben kann so schön sein!
Neue Freiheit, ich komme!!!
*
Der gestrige Auftritt war wundervoll gewesen. In einem herrlichen Park gelegen, die Bühne war eine Terrasse, aus deren Mitte sich großzügig die Arme einer wunderschönen alten Trauerweide, meinem Lieblingsbaum, ausbreitet. Viele Menschen waren gekommen und lauschten unserer Musik an diesem lauen Abend. Wir alle wurden getragen von dieser mystischen Atmosphäre. Ich empfand es so stimmig, was aus meinen Liedern geworden ist und konnte es gestern das erste Mal so richtig genießen und erleben. Wenn ich daran denke, wie und wann die meisten meiner Lieder entstanden sind, kann ich kaum glauben, wie sich das vereinbaren ließ. Nämlich zwischen Wickeln und Stillen und Tragen und Schlafen und Wickeln und Stillen und... Irgendwie war dies eine außerordentlich fruchtbare Phase meines Lebens gewesen, in der ich wahnsinnig kreativ sein konnte. Auch meine Jungs in der Band sind richtig aufgeblüht und vollmotiviert.
Und ich selbst habe mich wieder richtig wohlgefühlt in meinen engen Jeans. Endlich hat sich allmählich ganz von selbst der Großteil des üppigen Babyspecks aufgelöst, den ich mir in der letzten Schwangerschaft leider reichlich hinaufgefuttert hatte. Es schmeckte alles nochmal so lecker und ich wollte meinem Kind nichts verwehren. Wer weiß, vielleicht brauchte es ja gerade die Schokolade für sein Wohlbefinden? Kakao soll ja angeblich die Endorphinausschüttung begünstigen. Bewegung auch, ich weiß. In allen Schwangerschaften löste der kleinste Spaziergang bei mir einen harten Bauch aus. Wehen. Ein kontraproduktives Phänomen, denn Wehen sind erst gegen Ende der Schwangerschaft erwünscht. Das war es also mit dem Sport.
Auch wenn die Menschen in meinem näheren Umfeld, sprich, Mütter, Schwestern, deren Freundinnen und Tanten, „angeblich“ um meine schöne Figur getrauert hatten, machte ich mir keine Sorgen. Und auf gar keinen Fall wäre eine Diät in Betracht gekommen.
Nein, ich glaube daran, dass sich mit einer Lebensumstellung auch das Aussehen verändert. Klar wollte ich wieder meine alten Hosen und Topps anziehen, aber ich hatte deswegen keinen Stress. Ich lief während all meiner Stillzeiten mit einem „Babybauch“ herum, der sich danach wie von selbst ganz in Ruhe und stillschweigend wieder in Luft auflöste.
Bis dahin wurde ich häufig gefragt, ob ich denn schon wieder ein Kind kriegen würde. Das empfand ich jetzt nicht unbedingt als besonders schmeichelhaft. Eigentlich ärgerte mich das, aber ich lernte damit zu leben. Umso netter die Kommentare, die ich heute kriege: „Na sowas! DAS hätten wir nicht gedacht, dass du wieder so schlank wirst! Wieder so eine Sache, die ich nicht verstehe. Was spielt es denn bitte für eine Rolle, wie lange man mütterlich aussieht, wenn man gerade erst Mutter geworden ist?!
„Ich kam aus dem Krankenhaus raus und hatte wieder einen ganz flachen Bauch!“ Schön, wenn das so klappt! Bei mir war das anders. Aber jetzt habe ich ihn wieder, meinen schönen Bauch! Beinahe. Ein kleiner Streifen ist wohl geblieben. Doch den sieht man nur, wenn man ganz genau hinschaut. Was soll’s! Man sollte sich nicht so viele Gedanken um sein Aussehen machen. Viel wichtiger ist es im Grunde, wer man ist, als wie man aussieht!
Trotzdem freue ich mich riesig, nach langen Jahren meine zierliche Figur zurück zu haben und mich in meinen alten Bühnenklamotten wieder attraktiv zu fühlen.
*
Ich bin schwanger.
*
Ja, es stimmt. Ich kann es selbst kaum glauben, wie das möglich ist, ich bekomme noch ein Kind. Schon wieder!
Wie ist das möglich? Tja...
Nun, wir hatten ja vor zwei Wochen Sex, da ist es wohl passiert. An diesem roten Tag! Den ich nicht ernst genommen habe. Hätte ich sollen!
Aber wer kommt schon auf die Idee an eine Empfängnis vor dem 13. Tag zu glauben, wenn frau eigentlich einen 28 Tage Zyklus hat? Der Computer hat mir dann auch an Tag 22 angezeigt, dass ich nun die Regel bekommen müsste. Das hat mich stutzig gemacht. Aber noch nicht überzeugt. So habe ich denn auf Tag 28 gewartet und siehe da: Nichts passierte! „Na, dann werde ich vielleicht schon in eine Prämenopause kommen...hab ja schon drei Kinder, der Körper denkt sich vielleicht auch „Jetzt ist Schluss!“
An Tag 29 hab ich mir dann in aller Früh, nachdem ich meine beiden Sprösslinge in den Kindergarten gebracht hatte, einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke geholt. Der lag dann ein paar Stunden in der Küche. Mein Gott, es hatte ja Zeit. Warum aufregen, wo einfach nichts sein kann? Mein Mann hatte schon ein paarmal angerufen, um zu fragen, was für eine Neuigkeit es denn gäbe. „Nichts.“ Sage ich. „Weil ich den Test noch nicht gemacht habe!“ Martin ist aufgeregt, ich merke das. Aber er kann doch nicht tatsächlich glauben, dass..., nein, ausgeschlossen, so knapp nach der Menstruation, das gibt es nicht.
Ich gehe aufs Klo, pinkel auf den Streifen. Gehe Händewaschen, komme zurück und sehe, am Display des Digitalen Tests „schwanger“ stehen. Und glaub, mich trifft nun endgültig der Schlag.
Es ist ähnlich wie bei meiner ersten Schwangerschaft vor 13 Jahren. Ich laufe Furchen in den Schiffboden des gesamten Erdgeschoßes. Bete. Keuche. Hyperventiliere. Schreie. Weine: „Nein, lieber Gott, was tust du mir an?!“
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich das schaffen soll. Ich bin verzweifelt. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht.
Das Handy läutet. Wieder mein Mann.
Tonlos melde ich mich: „Hallo.“
Wie angewurzelt stehe ich da.
„Und?“, dröhnt es mit der Neugier eines Kindes aus dem Telefon.
„Hast du ihn schon gemacht?“
Mein Puls schnellt in die Höhe.
„Ja“
Am liebsten würde ich jetzt abhauen, alles abgeben können, ich möchte gar nicht antworten.
„Und? Sag schon! Komm schon, wenn du jetzt JA sagst, freu ich mich riesig!“
Als ich JA sage, ist es kurz völlig still in der Leitung.
Danach ein verschlucktes „Echt?“ und dann überschwänglich „Ok, wir bekommen also noch so ein Butzi! Schatz, ich weiß, es wird nicht einfach für dich, aber denke dir mal, wir bekommen noch ein Baby! Da möchte noch jemand zu uns!“
Ja, wie recht er hat. Trotzdem weiß ich einfach nicht woher ich die Kraft nehmen soll! Ich weiß es echt nicht... im Moment.
Noch einmal hochschwanger sein. Noch einmal gebären. ICH und vier Kinder!!! Meine Oma würde sich im Grab umdrehen.
Aber ich wollte doch gerade so viel... ich hatte soviel vor...
„Lieber Gott, wieso denn das jetzt?“
*
Auf einem sterilen Klo mit dem weißen Plastikbecher in der Hand. Auf den Mittelstrahl warten, dann hineinpinkeln. Danach abwischen, Hände waschen. Wie mechanisch sich dieses immer gleiche, unspektakuläre Ritual vollzieht. Die Sprechstundenhilfe fragt nach der letzten Regel und schon drückt sie mir den Becher in die Hand.
"Harn brauch ich auch." Sie blickt nicht mal auf, um mir ins Gesicht zu sehen. Vermutlich denkt sie:
„Ah, die schon wieder!“
23 Jahre kennen wir uns jetzt schon, diese Arzthelferin und ich. Seit 23 Jahren konsultiere ich diese Praxis schon, davon 13 Jahre als Mutter, das vierte Mal unter „anderen Umständen“. Es hat sich nichts verändert. Irgendwie gut, irgendwie schaurig. Ich stelle den vollen Becher auf die Anrichte gleich rechts hinter die Klotüre, wie jedes Mal, noch ehe die Sprechstundentante ihre Anweisung dazu geben muss. Sie war bereits dabei, ihre Hand zu heben. Was für eine Maschinerie....
Abwiegen.
Und ab ins Wartezimmer.
Ich starre auf die Tür zum Frauenarzt. Mein Mann schnappt sich eine Zeitung vom Stapel. Ich kann jetzt nicht lesen. Ich bin viel zu aufgeregt. Ärzte und Krankenhäuser machen mich immer furchtbar unruhig. Der Geruch allein schon. Ich höre wieder dieses Klirren der Instrumente. Gänsehaut.
Wie oft mach ich das hier schon? Das vierte Mal?
Mein Kopf beginnt sofort zu rechnen, mein Gefühl sagt: „Echt? Ich kann mich nicht mehr erinnern...doch ja, da war was...“
Plötzlich komme ich mir wieder wie ein junges Mädchen vor. Unbedarft und unerfahren, keineswegs eine dreifache Mutter.
Ich zittere.
Oh Gott, ich dachte, ich hätte diese Sachen endlich hinter mir. Ich hatte es abgeschlossen, aus meinem Bewusstsein verbannt. Für mich war das aufreibende Thema Kinderkriegen erledigt. Und diese Termine bei Ärzten und in Krankenhäusern, Tests mit Nadeln und Geräten. Jetzt geht sie wieder los diese ganze Tortur. Ich bemerke wie mir schlecht wird.
„Schatz, geht’s bei dir?“, fragt mein besorgter Mann, der selbst an einem beständigen Schwindelgefühl leidet, seit er Vater geworden ist. Die Achterbahnfahrt geht also weiter. Das Tempo wurde nur kurzfristig gedrosselt. Ab jetzt geht’s wieder frisch rauf und runter. Mit zwei Seekranken an Bord.
Die Türschnalle bewegt sich in Zeitlupe, die Türe öffnet sich, „Frau Strobl bitte“. Der Doc steht immer persönlich auf und lässt die Patientinnen ein, wie eh und je reicht er uns die Hand. Sein Wesen hat sich in den zig Jahren, die ich ihn kenne, nicht verändert. Doch heute fällt mir auf, er ist alt geworden. Ziemlich müde wirkt er. Ich bin eigentlich auch keine 15 mehr, aber ich fühle mich wieder so.
Dennoch hat sich sein Vorgehen nicht verändert. Routinierte Schritte und Handlungen, ebensolche Kommentare auf bestimmte gynäkologische Fragen. Immer nett und respektvoll, mit diesem kleinen Touch „Machen sie sich keine Sorgen, alles verläuft bestens“, Klappe, die 23.000ste... Am Ende ist es auch am Stuhl wie immer. Das Spekulum zu groß, er nimmt das kleinste, ich zucke trotzdem. Ich darf auf dem Ultraschall die Fruchtblase mit meinem kleinen Embryo sehen, dessen Herz schon kräftig schlägt. Und es passiert trotz der vielen Krampfgedanken auch diesmal wieder, was ich bereits viele Male erlebt habe: Ein Schauer Glücksgefühle überzieht meinen Körper vom Scheitel bis zur Sohle.
„Mein Baby!“
Ich freue mich gerade riesig! Und ja, kein Zweifel, es wird alles gut gehen.
Rauf und runter, immer munter. Bin ich nicht schon zu alt dafür?
Mein Gott, ist das verrückt!
*
2 COLITIS: chronische Entzündung der Darmschleimhaut
3 BASALTEMEPERATUR: Messer der Aufwachtemperatur, um den Eisprung fest zu stellen
4 FRUCHTBARKEITSTESTER: medizinisch diagnostisches Gerät zur Bestimmung der fruchtbaren Tage der Frau
ich hab mich ja noch gar nicht richtig vorgestellt. Bei der ganzen Aufregung vergesse ich doch glatt meine gute Kinderstube.
Mein Name ist Margo und ich bin Sängerin, Psychocoachin, Trainerin und Mutter. Im Oktober werde ich 52 Jahre alt. Diese Geschichte beginnt vor 12 Jahren, als mein viertes Kind unterwegs war. Mittlerweile bin ich bereits stolze Oma zweier selbstbestimmt geborener Enkelkinder.
Wie du sicherlich schon bemerkt hast, möchte ich dir etwas über das Kinderkriegen erzählen. Mehr noch, ich möchte gerne berichten, von meinen eigenen Erfahrungen, meinen Beobachtungen und meinen persönlichen Prozessen.
Ich hatte bis 2011, wo diese Geschichte beginnt, drei Kinder geboren. Eines im Krankenhaus, zwei zuhause. Alle auf die natürliche Art. Ich habe sie (mehr oder weniger geduldig) ausgetragen, bis sie soweit waren, auf die Welt zu kommen. Sie verließen meinen Körper auf dem Weg, durch den sie viele Monate zuvor hineingelangten. Jedes meiner drei Wunderwesen wurde rund ein Jahr zum größten Teil mit meiner Muttermilch genährt.
Nun war ich wieder schwanger.
Das sollte an sich nichts Besonderes sein.
Aber es ist durchaus besonders, wenn es einen persönlich betrifft.
Auf dem Weg zur Mehrfachmutter ist mir vieles begegnet. Schönes, Witziges, Überraschendes, aber auch Trauriges, Frustrierendes und Absurdes. Ich gelangte zu der Erkenntnis, dass es ganz und gar nicht einfach ist, in unserer Gesellschaft selbstbestimmt Kinder zu kriegen. Frau muss schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein haben, oder panische Angst, um die bisherigen Gebräuche und Konventionen zu hinterfragen. Bei mir war es wohl mehr Angst denn Selbstbewusstsein, sie hat mich sehr aufmerksam werden lassen. Das verlieh mir eine Art Adlerblick und mit diesem sah ich vieles überdeutlich.
So habe ich mir ein individuelles Bild gemacht und meine eigenen Entscheidungen getroffen. Ich kann also keinerlei medizinische, sowie Hebammen-adäquate Ausbildung vorweisen, sondern ausschließlich von meinen Erfahrungen berichten.
Ich wage es, zu behaupten, dass ich einen wertvollen Schatz gesammelt habe, reich an Erlebnissen und Erkenntnissen, die ich gerne teilen möchte.
Bereits in jungen Jahren hatte mich die Thematik des Kinderkriegens in ihren Bann gezogen. Ich empfand großen Respekt, sowie eine tiefgründige Furcht vor meinem künftigen Leben als Frau, noch mehr vor dem der schwangeren Frau, in Anbetracht der Geschichten und Informationen, die seit meiner Kindheit mehr oder weniger subtil auf mich eingewirkt hatten. Ich blickte auf ein Mysterium, einen unbekannten Planeten. Ihn zu erforschen reizte mich gleichermaßen, wie es mich erschreckte.
Mit meinem Eintritt in die Welt der Mutterschaft begann für mich die spektakulärste Reise meines Lebens. Wenn du dir ein paar Stunden Zeit nimmst, werde ich dir nun meine besondere Geschichte erzählen.
Ich hoffe, Du findest hier viele Antworten auf Deine Fragen.
Alles Liebe und Danke für Deine wertvolle Zeit!
Deine M.C.
Vergangenes und Heutiges
„Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, warum sich so viele vor ihr fürchten!“ George Bernhard Shaw
Von Ängsten durchgeschüttelt erlebte ich meine erste Schwangerschaft vor 14 Jahren. Ein „Wunschkaiserschnitt“, der heutzutage so beliebt ist, wäre damals wohl auch meine erste und einzige Wahl gewesen. Ich änderte jedoch meine Meinung. Ein Prozess kam in Gang und führte mich hierher...
Als ich das erste Mal ein Kind erwartete, taten sich für mich unzählige Fragen auf. Viele alte, vor sich hin brodelnde Ängste strömten an die Oberfläche und ließen sich nicht wieder verdrängen. Was Geburt anging, war ich ein Hasenfuß. Ich assoziierte damit nur Qualen, Ausgeliefert sein, Genitalverstümmelung, Gewalt, Vergewaltigung. Der Weg zum süßen Baby erschien mir zu dornig, um ihn bewältigen zu können.
Nachts holten mich schreckliche Albträume ein, in denen ich auf einem Seziertisch lag, die Arme weit von mir gestreckt, festgebunden, die Beine weit auseinandergespreizt. Mein Brustkorb war geöffnet und seine Rippen standen wie offene Schranktüren da. Da waren mehrere fremde Menschen, vor allem Männer, aber auch Frauen. Unzählige Augen, die in meine Eingeweide stierten und mit ihren Händen voller Blut darin herumkramten, mit Messern und Instrumenten fuhrwerkten. Ich spürte nichts, kein körperliches Leid, doch der Schmerz in meiner Seele war ungeheuerlich. Ich konnte nicht reden, mich nicht bewegen, nur zusehen..., dieses Gefühl, ich kannte es gut, konnte mich immer wieder in die Knie zwingen. Woher ich das Gefühl kannte? Warte noch ein wenig, ich werde es dir gleich erzählen.
Mit diesem Gefühl verband ich auch das Gebären.
Dem entgegen stand jedoch der innige Wunsch, mein eigenes Kind zu bekommen.
Ich wollte herausfinden, wie es mir gelingen könnte.
Diese Albträume waren doch nur Träume und zeigten mir bloß meine Ängste auf. Wenn ich schon wusste, was mich ängstigt, dann würde es auch eine Lösung geben. Ich wollte sie finden.
Wenn ich in den letzten Jahren etwas gelernt habe, dann, dass ich über das natürliche Recht verfüge, mein Leben selbst zu gestalten, dass niemand das Recht hat, über mich zu bestimmten, mich zu bevormunden oder zu verletzen. Dass ich Grenzen setzen durfte, meine eigenen, ganz persönlichen. Dass ich es sogar musste, um weiter leben zu können. Würde ich es nicht tun, dann müsste ich als Erwachsene auch die Verantwortung für die Konsequenzen tragen, die Auswüchse der Entscheidungen anderer über mein Leben.
Es war klar, dass es nicht leicht sein würde in einer Welt, wo so vieles der Normalität angehört, das automatisch vor sich hin getan und einfach nicht mehr hinterfragt wird. Es wurde Usus, man machte das eben so und nicht anders. Wer sich dagegen auflehnte, musste mit Widerstand rechnen, im schlimmsten Fall mit Ausgrenzung. Bestimmt jedoch rüttelte man an den fragwürdigen Festen dieser fragilen Bauten, welche früher oder später ohnehin einstürzen werden.
Ich wollte nicht mehr länger Teil dieser Pseudo-Schönwelt sein.
Und nun war es soweit, loszulassen.
Da war viel Angst, aber auch vieles, das mich faszinierte. Die Abenteurerin in mir freute sich.
Die Neugierde auf dieses wundervolle Ereignis wuchs immer mehr.
Auf so vieles war ich gespannt, wie es sein würde. Das Gefühl, wenn der Bauch wächst, wenn man sein Kind unter dem Herzen zu fühlen beginnt, erst als Schmetterlingsflügelschlag wahrnehmbar, dann am Ende sogar teils schmerzhafte Tritte in die Eingeweide. Auf diesen „Ausnahmezustand“ war ich gespannt, freute mich darauf, dass man mir im Bus wahrscheinlich den Platz anbieten würde, mir schwere Einkaufstaschen abnahm. Dass man wegen mir und meinem Kind das Rauchen auf draußen verlegen würde. Wie würde es sich anfühlen, wenn man selbst diejenige war, der neugierigen Frauen mit leuchtenden Augen diese Frage stellten: „Wann ist es denn soweit?“
Auf diese erste Endorphin-Welle im Jahr 1997, vier Wochen nach meinem positiven Schwangerschaftstest, auf dem Frauenarztstuhl, als er mir beim ersten Ultraschall diese Blase mit diesem winzigen klopfenden Herzen zeigte, war ich nicht gefasst. Mir blieb buchstäblich die Luft weg! Dass das möglich war?!
Ich bewegte mich, als hätte ich eine hauchdünne Glaskugel in meinem Inneren und es gab keine Minute, in der ich nicht daran dachte, nun schwanger zu sein. Es war sensationell und nahm auf jeden Bereich meines Lebens Einfluss. Sogar wie ich Auto fuhr veränderte sich, nachhaltig. Meine Freunde bezeichneten mich stets als „wilde Hummel“, weil ich gerne schnell und spritzig unterwegs war. Schlagartig hatte sich das geändert. Wer mich fortan vorbei gleiten sah, musste sich sehr wundern. Nein, ich war nicht krank. Ich hatte nur richtig guten Grund, besonders gut auf mein Leben aufzupassen. Vielleicht wurde mir das zu dieser Zeit zum ersten Mal so richtig bewusst. Mein Leben hatte einen Wert.
*
Ich hatte viele Jahre damit zugebracht Psychotherapien zu machen.
Da waren die vielen nicht verarbeitenden Konflikte mit meinem 4 Jahre zuvor verstorbenen Vater. Der Alkohol war der stille Herrscher über unser Familienband gewesen. Seelischer Missbrauch, obskure Kontrollspielchen und Co-Abhängigkeit5 waren für mich zu einer normalen Sache geworden.
Und als ob dies nicht schon genug gewesen wäre, gesellte sich auch noch die Erfahrung sexuellen Missbrauchs hinzu. Dieses „andere Leben“ wurde zu meinem „Unter-der-Woche Nachmittags-Programm“ und hielt vier Jahre an.
Ein pensionierter Nachbar war zu meinem Freund geworden. Jeden Nachmittag (ich war ja bis halb sechs Uhr allein zuhause, meine Eltern arbeiteten beide) kam er „auf einen Sprung“ vorbei. Da ich ohnehin nicht gerne allein war, freute ich mich in der ersten Zeit über den Besucher, der stets für meine vielen Gedanken und Sorgen ein offenes Ohr zeigte. Er hatte sich in die kecke 10-jährige, die ich damals war, scheinbar verliebt. So nutzte er meine fromme, manierliche Erziehung, beschenkte mich täglich mit Aufmerksamkeiten, Mehlspeisen und Kleidung. Strümpfe hier, Spitzenunterwäsche da, für ein Kind in der Präpubertät, das von seinen Eltern immer nur wie ein kleines unmündiges Kind behandelt wurde, waren diese mitunter wohltuende Gesten. Er brachte mir Dessous wie für eine richtige Frau mit, und ich fühlte mich dadurch tatsächlich eine Ebene höher gestellt, nämlich fast erwachsen. Mit zehn!
Und da ich nicht wusste, wie ich meine Dankbarkeit für diese Geschenke ausdrücken sollte, zeigte er mir eines Tages, wie...
So war ich knapp vier Jahre lang sein Nachmittagsvergnügen, von Montag bis Freitag, irgendwann in der Zeit von halb drei bis halb fünf seine Geliebte. Statt für die Schule zu lernen, stopfte ich mich mit den großzügigen Essens-Geschenken dieses Mannes, ausschließlich Mehlspeisen und Süßigkeiten, voll, um das „Stündchen“ danach in einem Zuckerrausch zu ertragen. Es begann mit harmlosen Umarmungen, Begrabschen, das immer inniger wurde, ging dann vom kameradschaftlichen Bussi zum schlatzigen Zungenkuss, allerlei Fummelei und Dreckssachen, die ich fast immer ohne Widerrede zuließ. Er ging weit, sehr weit.
Zuerst tat ich es schuldbewusst, da ich ja soviel von diesem Herrn angenommen hatte. Dann bald als Puppe, vermeintlich seelen- und willenlos, ein Objekt, unfähig zu widersprechen, sich zu wehren, gelähmt bis ins Innerste. Leider nicht wirklich gefühllos.
Wenn ich erst meinte, etwas auf gar keinen Fall tun oder aushalten zu können, wurde ich von ihm an seine große Liebe zu mir erinnert: „Wer ist denn immer da für dich? Wer hört dir denn zu? Warum glaubst du, gebe ich für dich mein ganzes Geld aus? Du weißt doch, was du mir bedeutest...?! Alles, alles tu ich nur für dich!!! Dann kannst du mir doch auch ein paar kleine Gefallen tun. Na komm schon!“
Meine Mutter musste geschützt werden. Sie war schon damals eine Flüchtende, die sich von einer Krankheit in die nächste zurückog, um dem Alltag mit meinem Vater zu entgehen. Hätte sie davon erfahren, dann hätte sie der Schlag getroffen. Sie war meine Mutter und mein einziger Halt gewesen. Was, wenn ihr etwas zugestoßen wäre? Ich tat mir immer sehr schwer mit Geheimnissen, aber dieses behielt ich konsequent bei mir. War ich doch überzeugt davon, dass alles meine Schuld und Verantwortung war.
Ich konnte mich sogar abspalten. Nun gab es ein zweites Ich, und keiner bemerkte etwas.
Die Hölle auf Erden, ein Gefühl ohne Namen war die Antwort auf die täglichen Demütigungen, die wenig körperlich gewaltsam, denn schleimig einheischend und subtil manipulativ wirkten. „Du weißt doch, wie es deiner Mama gesundheitlich geht. Wir wollen sie ja auf keinen Fall aufregen! Sie muss nicht alles wissen!“
Viele Jahre musste ich schweigen.
*
Mit 23 Jahren besuchte ich das erste Mal eine Selbsthilfegruppe für erwachsene Opfer von Kindesmissbrauch. Nun fügten sich alle Puzzleteile zusammen, ich erfuhr alles über die weitreichenden Folgen dieser „Störung“. Und heute weiß ich, dass Kinder eindeutige Verhaltensweisen an den Tag legen, an denen man sehr wohl erkennen kann, wenn es Opfer solcher Perversionen ist. Früher wurden diese Symptome kaum beachtet. Heute weiß man viel mehr darüber, dennoch bin ich überzeugt davon, dass immer noch zu viel weggeschaut wird.
Und zwar weil wir in einer Gesellschaft leben, die lieber wegschaut, sich nicht einmischen möchte, den Weg des geringsten Widerstandes geht. Menschen mit femininen Geschlechtsmerkmalen, sprich Frauen und Mädchen, werden nach wie vor als verfügbare Sexobjekte dargestellt. Immer noch verrichten die Frauen die meisten Arbeiten, die keiner sonst machen will. Wer uns weismachen möchte, dass wir heute gleichberechtigt sind, hat die Scheuklappen nicht abgenommen.
Sehr viele Männer fangen erst an darüber nachzudenken, wenn sie Vater werden. Ganz besonders, wenn sie Vater einer Tochter werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich dann schon einmal fragen, ob sie wollten, dass ihre eigenen Töchter zu Objekten von Männern gemacht werden würden... Vielleicht das erste Mal, dass so mancher die Würde einer Frau erst dann geistig erfassen kann.
Frau sein erlebte ich damals eindeutig als Fluch. Ich sah die Frauen in meinem Umfeld als unterdrückte, frigide, schauspielende, über jede Demütigung unterwürfig grinsende Dumpfbacken, die ihre Seelen an ihre Ehemännern verhökert hatten, der finanziellen Sicherheit wegen. Sie wirkten auf mich, als wären sie Nutten. Sie erzählten davon, dass es das größte Glück für die Frauen war, Kinder zu bekommen, ihrem Mann und Ernährer als Dank ein nettes, ordentliches Zuhause zu schaffen, gute Putzfrauen und Köchinnen zu werden. Eine ganz besondere Frau konnte alles unter einen Hut bringen, ohne zu klagen, nach Schweiß zu riechen oder fett zu werden.
Der absolute Glücksgriff: Ein Engel in der Familie, eine Dame in Gesellschaft und eine Hure im Bett, alles in einer Frau vereint.
Nun ja, das Kinderkriegen war eines dieser besonderen Opfer, die eine „richtige Frau“ ihrem Manne bringen musste. Da musste sie einfach durch.
Unter all den „anderen Umständen“ sollte auch noch weiterhin der Haushalt klappen, auf gar keinen Fall durfte der Mann etwas von weiblichen Unpässlichkeiten mitbekommen, es galt, die Zähne zusammen zu beißen. Auch bei den Wehen. Es wundert mich nicht, dass damals die Mediziner die Geburten übernehmen mussten. Erstens, weil eine Zähne zusammenbeißende Frau es schwer hat, ihren Beckenboden weich zu bekommen. Und zweitens, weil sie es ja nicht gewohnt war, sich gehen zu lassen, selbst die Initiative zu ergreifen. Hätte denn sie, die kaum nach ihrer Meinung gefragt wurde, damals eine Antwort auf die Frage gewusst: „Wie wäre es Ihnen denn recht?“
Den Mann ließ man in diesen Dingen einfach außen vor. DA brauchte er nicht dabei sein! Er würde das nicht so gut vertragen!
Wie würde er künftig sein Weibchen betrachten, wenn er sie so sehen würde, so blutend und jammernd? So aufgespreizt, ausgedehnt, fremde Hände, die an ihr herumwerkten.
Nein, im Kreißsaal hatte ein Mann nichts zu suchen.
Im Übrigen erschloss sich für mich mit jedem Lebensjahr mehr der Eindruck, ein Frauenleben bekommt erst Sinn durch einen Mann, dem sie gefällt, der mit ihr zufrieden ist. Und wenn dies alles so klappte, dann würde er sie auch weiter behalten und „unterhalten“. Eigentlich müsste es heißen „aushalten“.
Es bereitete mir Unbehagen, eine Frau zu sein in dieser Welt. Ich hatte unendlich viele Fragen:
Warum tut es manchmal weh, wenn frau die Regel hat?
Warum muss das Jungfernhäutchen denn sein?
Wieso ist es selbstverständlich, dass Frauen den Haushalt im Griff haben und kochen, putzen und bügeln können müssen?
Wieso steht das Essen auf dem Tisch, wenn der Vater kommt? Jeden Tag? Warum wäscht er nicht auch ab, putzt das Klo, welches er anpinkelt, weil er unbedingt dabei stehen muss?
Sind Frauen wirklich dazu da, den Männern zu dienen, und wenn ja, warum?
Warum schminken sich nur die Mädchen, wenn sie weggehen? Damit sie eher die Jungs kennenlernen, die ihnen gefallen?
Wieso kommen Männer immer zum Orgasmus und Frauen nicht? Brauchen sie das denn nicht? Warum?
Ich habe all diese Dinge streng hinterfragt und dabei herausgefunden, dass ich eine Wahl habe.
Ich wusste viel zu lange gar nicht, dass es mehrere Möglichkeiten gibt.
Aber warum sagt einem das denn niemand?
Dass das Kinderkriegen ganz offensichtlich mit Höllenschmerzen verbunden sein muss, war für mich schon in der Vorstellung eine unzumutbare Strafe, ein Fluch, mit dem ich mich nicht einfach abfinden konnte.
Der Sinn meines Lebens schien mir damals, mit 21 Jahren, beängstigend und völlig unklar. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass ich in Depressionen schlitterte. Nach zwei vergeblichen Versuchen, diese Welt zu verlassen, erschien es mir unmöglich mein Leben zu achten und sorgsam damit umzugehen. Verantwortung zu übernehmen war zu Beginn der Therapien für mich bloß eine schale Floskel. Ich konnte nichts damit anfangen.
Das änderte sich nach und nach während der Aufarbeitung meiner Geschichte. Ich hatte begonnen, ein Tagebuch zu führen, und dies als sehr hilfreich auf der Reise in mein eigenes Bewusstsein erlebt.
Kaum ein Stein meines alten (inneren) Hauses blieb auf dem anderen, ich hatte begonnen, es neu aufzubauen. Was Leben wirklich bedeutet, was Verantwortung überhaupt ist, sollte mir dann im Grunde erst später als Schwangere klar werden. Die Therapien verhalfen mir also zu einem Grundschatz, einem theoretischen Gerüst, welches mit Substanz gefüllt werden musste, um ein Ganzes, um griffig zu werden. Dieses Ganze nenne ich Leben.
Der Drang ins Leben begann einige Jahre vor der Zeugung meines ersten Kindes. Ich denke oft daran, dass diese Jahre unweigerlich zu dieser „mysteriösen Zeugung“ führen mussten.
Da war stets der innige Wunsch in mir, Kinder zu haben. Für mich war immer klar, dass ich Mutter werden wollte. Doch ich wollte es irgendwie anders, mein Alltag war so unbewusst, ich sah so viel Irrsinn um mich herum, auch in meinen eigenen Wänden. War die Basis bereits geschaffen, war der Zeitpunkt ideal? Ich war ganz gut verheiratet gewesen, auch mein Mann wollte Kinder, doch irgendwie wollte es nicht klappen, dass ich schwanger wurde. Außerdem erinnerte mich mein Mann im Laufe der Therapien immer mehr an meinen Vater, zu dem ich eine angstbesetzte Liebe empfunden hatte.
Es stimmt offensichtlich, was ich in der Tiefenpsychologie gelernt hatte: Man wählt den ersten Ehemann stets nach dem Vorbild des eigenen Vaters. Wollte ich das denn wirklich?
*
„Sie haben kaum einen Eisprung!
Es wird schwierig werden mit dem Schwanger werden! Wenn überhaupt, dann wird es nur mit Hormonkur klappen!“ meinte mein Frauenarzt.
Ein Jahr zuvor hatte ich die Pille abgesetzt. Es beunruhigte mich ein wenig, dass ich trotz häufigem Geschlechtsverkehr noch nicht schwanger geworden war. So richtig stark war der Kinderwunsch zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht gewesen. Ich fühlte mich mit 22 Jahren auch noch zu jung. Das Leben dauerte noch so lange, wer weiß, was sich ergeben würde?
Immerhin war ich ja beschäftigt mit meinem Musik-Engagement in Deutschland. Die Phasen zwischen den Studioterminen nutzte ich, um für eine lokale Wochenzeitung Artikel zu schreiben und als außerordentliche Hörerin Psychologievorlesungen auf der Uni zu besuchen. Ich wollte lernen. Nun war ich ja erwachsen. Niemand konnte mir mehr vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen hatte. Niemand konnte mich von meinen Plänen abbringen, mich mit altbekannten „Das schaffst du sowieso nicht!“-Attitüden kleinhalten.
Mit Zwergenschritten begab ich mich also ins Erwachsenendasein. Erwachsen fühlen tat ich mich aber nicht. „Handeln als ob“6 war eine gute Strategie, die mein Therapeutin vorgeschlagen hatte. So zu tun, als hätte ich gesunde Grenzen. So zu tun, als hätte ich keine Sorgen. Tun als wüsste ich, wohin ich gehen will. Das kann auf lange Sicht wirklich zum Erfolg führen.
Ich tat nun also so, als wäre ich erwachsen.
Doch keine Frage: Diese Entscheidung irritierte mein altes Umfeld. Plötzlich stand meine Mutter da und erklärte, sie würde sich Sorgen machen.
Ich hatte mit 19 einen netten Mann geheiratet. Meine Sippe hatte Hoffnung, ich schien mich in eine entsprechend angepasste Richtung zu entwickeln. Jetzt putzte ich und bügelte, ja, ich kochte sogar gelegentlich!
Allerdings legte mein Mann kaum Wert darauf. Lieber kochte er. Er wollte auf keinen Fall ein „Hausmütterchen“ haben. Die Frauen in meiner Familie fanden das seltsam:
„Warte erst mal, wenn die Liebe weg ist, dann wird er auch wollen, dass du ihn bedienst, denn sonst rennt er dir davon und sucht sich eine, die mütterlicher ist und einen weiblicheren Vorbau hat als du!“. Ich war es ja mittlerweile gewöhnt, kritisiert, belächelt und nicht für voll genommen zu werden.
Ich hatte immer schon merkwürdige Ansichten. Meine Leute sagten, ich sei anders. Vor allem hatte ich Probleme mit unsinnigen Mustern und Lebensweisen.
Jetzt als „Erwachsene“ durfte ich für meine Meinung einstehen und auch mal „Nein“ sagen!
Während meines Psychologiestudiums wuchs ich schon mal über mich hinaus, ich traute mir nun wohl zu, aufs hohe Ross zu springen. All die Jahre, wo ich mich unterschätzt, verkannt und unterdrückt gefühlt hatte, mussten jetzt kompensiert werden.
Mit erhobenem Zeigefinger ging ich los und erklärte eine schreiende genervte Mutter für eine Kindesmisshandlerin, jede Frau, die bei ihrem ausbeuterischen Mann blieb für eine feige, devote Pute.
Das kam gar nicht gut an.
„Krieg erst mal selbst Kinder!“, war eine berechtigte Reaktion darauf.
Ich wollte auf jeden Fall alles perfekt machen. Und ich war überzeugt, ich würde einmal die perfekte Mutter sein. Ich war auf dem besten Weg dahin...nur das mit dem Kinderkriegen gestaltete sich als problematisch. Wie konnte ich das lösen?
Jeden Tag bekommen unzählige Frauen auf der Welt Kinder. Das musste ich irgendwie auch schaffen können!
*
Ich fragte mich, was Frauen heutzutage überhaupt noch dazu bewegte, Kinder auf normalen Wege zu bekommen? Es gab doch schließlich Periduralanästhesie7 und Kaiserschnitte.
Was für eine Quälerei tut frau sich da an?
Wozu denn eigentlich?
Mir gruselte davor.
Waren denn die meisten Mütter Märtyrerinnen? Unterwarf sich „die normale Frau“ denn gerne?
In meiner Welt waren die Frauen bloß Opfer und Männer, die nicht potentielle Ausbeuter und Vergewaltiger waren, die große Ausnahme.
Es musste damit zu tun haben, dass sie vor ihren Männern die Heldinnen spielen wollten. So wie sie sich für sie zurecht brezelten, sie bedienten, bekochten, bebügelten, ihnen im Bett Orgasmen vorspielten... dann noch dieses natürliche Kinderkriegen. Angeblich zeigt sich jede Frau in den Wehen so, wie sie wirklich ist. Spätestens nach der ersten Geburtserfahrung müssten die Frauen schließlich bemerkt haben, dass sie dabei alles andere als sexy auf die Männer wirkten. Schließlich tut sich da eine Kluft zwischen der glatten, netten Gefährtin und der andererseits sehr erdigen Eva auf.
In den Stunden der Niederkunft erlebt ein Mann seine nackte, hilflose Heldin, schwitzend, tonnenschwer, alles raus lassend, röhrend, wimmernd, schreiend, wie ein Kind quengelnd, trotzig, zornig, brutal, grob, beleidigend, mit der Mimik einer Geistesgestörten, kackend, tollpatschig, anklagend, unsicher, verzweifelt, ungeschminkt, wild.
Ich beobachtete bereits seit Kindertagen Beziehungen. Vor allem Partnerschaften hatten es mir angetan.
Lag es möglicherweise daran, dass ich selbst einer merkwürdigen Verbindung entwuchs? Meine Eltern waren keine Liebenden. Ich bin nicht mal sicher, ob sie sich gemocht hatten. Ich weiß, dass mein Vater meine Mutter anschmachtete, stets wollte er ihren Wünschen gerecht werden. Das ist ja an sich nichts Negatives, doch beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit. Mein Vater war der zweite Ehemann meiner Mutter gewesen und leider gelang es ihm nicht wirklich, ihr Herz zu erobern.
Meine Mutter hatte aufgehört Männer zu lieben und zu begehren, nachdem ihr erster geliebter Mann sie mit einer Kollegin betrogen und verlassen hatte. Sie, die Königin unter den Frauen in dem kleinen Örtchen. Es stimmt, Mama war wirklich eine bemerkenswerte Erscheinung . Ich kann mir vorstellen, dass sie sich eher mit einer Hollywoodschauspielerin identifizierte, denn mit einer Frau aus Fleisch und Blut. Prüde, schamhaft, verklemmt und bei all dem immer lächelnd, so erlebte ich meine Mutter. Ich fand es verlogen, weil ich wusste, dass sie nur eine Rolle spielte, um zu gefallen. Und um mich herum entlarvte ich ganz viele Frauen, die diese Muster aufwiesen. Es konnte nicht wahr sein, dass die immer alles tolerierten und fähig waren, über den Dingen zu schweben. An meiner Mutter erkannte ich gut, wie diese Frauen wirklich tickten.
Und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie im Kreißsaal ihr Gesicht wahren wollten. Wie sollten sich die Männer dann erst verhalten angesichts der abbröckelnden Fassaden ihrer Traumfrauen?