Aus Indiens Glut - Rudyard Kipling - E-Book

Aus Indiens Glut E-Book

Rudyard Kipling

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Beschreibung

Das Werk "Aus Indiens Glut" ist eine Sammlung von sechs Kurzgeschichten, geschrieben von Rudyard Kipling. Die Sammlung enthält folgende Kurzgeschichten: Über die Grenze / Die Botschaft vom Jenseits / Das Thor der hundert Sorgen / In Soddhus Hause / Die Geschichte von Muhamad Din / Lispeth.

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Rudyard Kipling

Aus Indiens Glut

Über die Grenze.

Für die Liebe giebt es keine Kaste und für den Schlaf kein zerbrochenes Bett. Ich ging aus, die Liebe zu suchen, und verlor mich selbst.

Indisches Sprichwort.

Unter allen Umständen sollte jeder, was ihm auch begegne, zu seiner Kaste, Rasse und Art halten. Der Weiße halte sich zum Weißen und der Schwarze zum Schwarzen! Giebt's dann auch auf die eine oder andere Weise einen Anstoß, so verläuft doch alles innerhalb des Gewohnten; nichts Jähes, Unerhörtes, Ungedachtes stört unsere Kreise.

Hört die Geschichte eines Mannes, der eigenwillig die sicheren Grenzen und Wege der Alltagsgesellschaft überschritt und schwer dafür büßte.

Zum ersten wußte er zu viel, und dann sah er zu viel. Zu tief ging sein Interesse für das Leben der indischen Eingeborenen, aber nun ist er geheilt.

Ganz im Herzen der Stadt liegt Amir Nath's Gasse, die von einer nur durch ein einziges vergittertes Fenster durchbrochenen Mauer abgeschlossen wird. Am Anfang der Gasse steht ein großes Kuhhaus und weiterhin sind auf beiden Seiten die Mauern ohne Fenster. Weder Suchet Singh noch Gaur Chand, die Hausbesitzer rechts und links, halten es für gut, wenn ihre Frauen und Töchter in die Welt hineinblicken. Wäre Durga Charan derselben Meinung gewesen, er wäre heute ein zufriedener Mann, und die kleine Bisesa könnte sich ihr eigenes Brot kneten. Ihr Zimmer schaute durch das vergitterte Fenster in die enge dunkle Gasse hinaus, in die niemals die Sonne schien und wo sich die Kühe im bläulichen Kote wälzten. Sie war eine Witwe im Alter von etwa fünfzehn Jahren, und Tag und Nacht betete sie zu den Göttern, sie möchten ihr einen Geliebten senden, denn das einsame Dasein gefiel ihr nicht.

Eines Tages kam ein Mann – Trejago war sein Name – auf einer planlosen Wanderung in Amir Nath's Gasse, ging bei den Kühen vorbei und stolperte unversehens über einen großen Haufen Viehfutter.

Dann bemerkte er, daß er sich in einer Sackgasse befand, und hörte hinter dem Gitterfenster ein leises Lachen ertönen. Dieses Lachen klang so einladend, daß Trejago zum Fenster trat und, da er wußte, daß die alten Gesänge aus »Tausend und eine Nacht« in solchen Fällen die besten Führer zum Ziele sind, in flüsterndem Tone jenen Vers aus »Har Dyals Liebessang« sprach, der anhebt:

Vermag ein Mann aufrecht zu stehen im Angesicht der wolkenlosen Sonne oder ein Verliebter vor dem Antlitz seiner Geliebten?

Wenn meine Füße straucheln, o Herz meines Herzens, kannst du mich tadeln, daß mich der Strahlenglanz deiner Schönheit blendet?

Hierauf ließ sich hinter dem Gitter ein schwaches Tschink von den Armbändern einer Frau hören, und eine leise Stimme setzte den Sang mit dem fünften Verse fort:

Ach, ach! Kann der Mond zur Lotosblume von seiner Liebe reden, wenn des Himmels Thor verschlossen ist und die Wolken sich sammeln zum Regenschauer? Meine Geliebte haben sie von mir genommen und mit den Lasttieren weggetrieben nach Norden. Eisenketten beschweren die Füße, die auf meinem Herzen ruhten. Ruf auf die Bogenschützen, daß sie sich rüsten...

Plötzlich brach die Stimme ab, worauf Trejago langsam Amir Nath's Gasse verließ, indem er sich fragte, wer in aller Welt Har Dyals Liebeslied so hübsch im Wechselgesange fortsetzen konnte. Als er am nächsten Morgen zu seinem Amte fuhr, warf ihm ein altes Weib in seinen Wagen ein Paket. Darin befand sich die Hälfte eines zerbrochenen Ohrrings, eine blutrote Dhakblume, ein wenig bhusa, d. h. Viehfutter, und elf Kardamomkerne. Das Ganze war offenbar ein Brief, kein grobes, kompromittierendes Schreibwerk, sondern eine unschuldige, nichts verratende Liebesepistel.

Trejago verstand, wie gesagt, viel zu viel von diesen Dingen. Eigentlich ist kein Engländer im stande, Sinnbildbriefe zu übersetzen. Aber als Trejago in seinem Amtszimmer den ganzen Inhalt des Pakets vor sich ausgebreitet hatte, gelang es ihm nach und nach, das Rätsel zu lösen.

Ein zerbrochenes Ohrgehänge bedeutet überall in Indien eine Witwe, weil beim Tode des Gatten die Armbänder der Frau an ihrem Handgelenk zerbrochen werden. Trejago verstand also, was das kleine Stück Glas besagen wollte. Die Dhakblume ist je nach den andern Beithaten verschieden zu deuten, entweder als »wünschen« oder »kommen«, »schreiben« oder »Gefahr«. Ein Kardamom bedeutet Eifersucht; findet sich aber irgend ein Gegenstand mehrfach in einem solchen symbolischen Briefe, so verliert er seine sinnbildliche Bedeutung und giebt nur eine Zahl zur Bezeichnung der Zeit oder, wenn Weihrauch, Lab oder Saffran beiliegt, des Ortes an. Die Botschaft lautete daher: Eine Witwe – Dhakblume und bhusa, – um elf Uhr. Das Stückchen bhusa, brachte Trejago auf die Spur. Er begriff – diese Art von Briefen überläßt viel instinktiver Erkenntnis –, daß die bhusa, sich auf den Haufen Viehfutter bezog, über den er in Amir Nath's Gasse gefallen war, und daß die Botschaft von der Person hinter dem Gitter ausging, die er sich also als Witwe zu denken hatte. Demnach lautete die Botschaft vollständig: Eine Witwe von der Gasse, wo der Haufe Viehfutter liegt, wünscht, daß du um 11 Uhr kommst.

Trejago warf das ganze Zeug beiseite und lachte. Er wußte, daß man im Orient nicht um elf Uhr vormittags unter den Fenstern der Geliebten zu hofieren pflegt, und daß Frauen dort nicht »auf weite Sicht« zum Stelldichein einladen. So ging er am selben Abend um elf Uhr, in eine burka[1] gekleidet, die einem Manne so gut wie einer Frau zur Umhüllung dienen kann, in Amir Nath's Gasse. Kaum verkündeten die Gongs der Stadt die bestimmte Stunde, so hob die leise Stimme hinter dem Gitter Hal Dyals Liebessang an bei dem Verse, in dem Har Dyals Geliebte seine Rückkehr ersehnt. Das Lied ist in der Ursprache wirklich ergreifend; bei der Übertragung geht das Klagende verloren. Es lautet etwa folgendermaßen:

Vom Söller send' ich einsam meinen Blick, Nach Norden spähend, schau' des Blitzes Strahl, Nur Abglanz deiner Spur und Siegesmal. Ich sterb', Geliebter, kommst du nicht zurück!

Still liegt zu meinen Füßen der Bazar; Dort ruht der Reitkamele müde Schar, Dort Kriegsgefang'ne, jammernd um ihr Glück. Ich sterb', Geliebter, kommst du nicht zurück!

Rauh ist des Vaters Weib; ich kann's nicht wehren. O komm', Geliebter, eh' das Herz mir bricht! Mein Brot ist Kummer, und mein Trank sind Zähren. Ich sterbe bald; Geliebter, kommst du nicht?

Als das Lied zu Ende war, trat Trejago unter das Gitter und flüsterte: Ich bin da.

Bisesa war schön anzuschauen.