Aus Licht und Schatten - Julia Schyma - E-Book

Aus Licht und Schatten E-Book

Julia Schyma

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Beschreibung

Prudence hat sich in der sterblichen Welt immer wie eine Fremde gefühlt. Doch ihr eintöniges Leben ändert sich schlagartig, als der geheimnisvolle und gut aussehende Schurke Adrian auftaucht und sie in die Parallelwelt Magicis entführt. Dort entdeckt Prudence nicht nur die magischen Geheimnisse ihrer Herkunft, sondern auch, dass ihr Vater niemand Geringerer als König Lucian Holloway ist. Während sie sich langsam in der Welt von Magicis einlebt und die verborgenen Facetten ihrer eigenen Kräfte entdeckt, wächst auch ihre Faszination für Adrian. Die Anziehungskraft zwischen ihnen wird immer stärker, und Prudence beginnt zu glauben, dass sie endlich ihren Platz gefunden hat. Doch als sie sich gerade sicher und angekommen fühlt, wird ihr plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Intrigen und Verrat drohen alles zu zerstören, was ihr lieb und teuer ist. Kann Prudence den Herausforderungen trotzen und ihren rechtmäßigen Platz an der Seite ihres Vaters einnehmen? Und welche Rolle wird Adrian in ihrem Schicksal spielen? "Aus Licht und Schatten" ist der erste Band einer fesselnden Trilogie, die Liebe, Magie und Abenteuer meisterhaft miteinander verwebt. Begleitet Prudence auf ihrer Reise durch eine Welt voller Wunder und Gefahren.

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Julia Schyma wurde 1996 in Augsburg geboren. Mit vierzehn Jahren begann sie Fanfictions zu ihren Lieblingsserien zu schreiben und liebte es vom ersten Moment an. Wenn sie gerade nicht schreibt, verbringt sie am liebsten ihre Zeit mit ihrem Mann und ihrer Katze, liest gerne, spielt Videospiele oder schaut Serien.

»Das Schicksal hat seine eigenen Pläne.«

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Danksagungen

PROLOG

Vierundzwanzig Jahre. Vor Vierundzwanzig Jahren hatte ich alles verloren. Alles, was mich ausgemacht hatte und was mir etwas bedeutete. Was mein Leben war. Und all das für was? Weil das Schicksal manchmal Scherze mit uns treibt. Und doch war es das Wunderbarste, was mir in meinem unsterblichen Leben passiert war. Selbst wenn ich deswegen seit vierundzwanzig Jahren in einer nie endenden Pein lebte. Die Entscheidung, die ich damals treffen musste, war das Schwerste, was ich in meinem ganzen Leben machen musste. Und doch würde ich es wieder tun. Auch wenn ich wüsste, was es bedeuten würde. Selbst wenn ich dadurch wieder alles verlieren würde, ich würde es erneut tun. Denn selbst, wenn es das Schwerste war, war es trotzdem das Richtige – sie wegzugeben. Mein ein und alles. Nur damit sie sicher war. Doch nun war es an der Zeit sie wieder zurückzuholen. In ihr richtiges Zuhause. Dahin, wo sie hingehörte. Ich saß in meinem Arbeitszimmer, ein Glas Whisky in der Hand und schwenkte den Inhalt hin und her. Mit diesem Gedanken spielte ich schon seit einigen Tagen, doch nun war meine Entscheidung gefallen. War es das Richtige? Das wusste ich nicht, und diese Frage könnte mir auch niemand beantworten, doch es war an der Zeit. Sie musste wieder Nachhause. Ich musste sie wiedersehen. Nein, ich wollte sie wiedersehen. Sie noch einmal in den Armen halten können. Mir sie ansehen. Ihr alles erklären können.

Mit diesem Entschluss stellte ich mein Glas ab und begab mich zu dem Mann, dem ich am meisten vertraute. Zu dem Mann, von dem ich wusste, er würde sie mir wieder zurückbringen. Ich verließ mein Arbeitszimmer und ging den langen hellen Flur zur Eingangshalle. So wie ich ihn kannte war er im Garten und trainierte. Ich verließ den Palast und machte mich auf den Weg. Es war ein herrlicher warmer Tag. Als ich zur Sonne aufblickte, lächelte ich. Es war das Richtige. Schon aus der Ferne hörte ich die Kampfgeräusche. Er hatte ein Sparring mit einem seiner Lehrlinge. Er wich gerade einem Angriff aus, als er mein Kommen bemerkte. Als er mich sah, nickte er mir zu. Ich erwiderte sein Nicken und verschränkte meine Hände ineinander.

»Braucht Ihr Hilfe, Eure Hoheit?«, fragte er.

Er ließ sein Übungsschwert an der Seite nieder. Wenn ich ihm gleich den Auftrag geben würde, gab es kein Zurück mehr. Ich holte tief Luft, schloss die Augen und nach einem kurzen Augenblick öffnete ich sie wieder und sah den Mann vor mir mit einem festen Blick an. Es war das Richtige, sagte ich mir erneut.

»Es ist soweit, sie muss wieder zurück Nachhause.«, teilte ich ihm mit.

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. Er wusste, wen ich mit

›Sie‹ meinte.

»Seid Ihr Euch da sicher?«

Ich nickte. »Das bin ich.«

Er sah mich noch eine Zeit lang prüfend an, dann nickte er langsam.

»Ich werde alles in die Wege leiten. Es wird einige Tage dauern.«, erklärte er.

Erneut nickte ich. Es war mir egal, wie lange es dauern könnte, Hauptsache, sie war wieder bei mir. Hauptsache, sie war wieder Zuhause und ich konnte ihr alles erklären.

KAPITEL 1

Das Piepsen der Kassen und die Gespräche der Leute lenkten mich etwas ab. Ich mochte meine Arbeit nicht besonders, doch heute war es schön hier zu sein. Natürlich würde ich das niemals zugeben, es grenzte schon an ein Wunder, dass ich es mir selbst zugestand. Doch es war so. Meine Laune war seit einigen Tagen nicht die Beste und auch heute nicht wirklich, doch die Arbeit tat meinem Körper und meinem Geist gut. Ich faltete eine blaue Bluse ordentlich zusammen und legte sie auf den Stapel. Die Boutique, in der ich arbeitete, gehörte Lola Silva. Sie war eine eingebildete Frau in den mittleren Jahren, doch sie wusste es, ein Geschäft zu führen. Ich mochte sie nicht besonders, doch sie bezahlte mich gut und ich bekam siebzig Prozent auf die Kleidung, da konnte ich ihre miese Laune schon ertragen, auch wenn ich ihr manchmal gerne den Hals umdrehen würde. Ja, mag sein, dass es brutal klang, doch an manchen Tagen behandelte sie uns wie Dreck. Sie schrie uns an, beleidigte uns oder sah uns nicht einmal mit dem Arsch an, – was mir dann am liebsten war. Ich griff nach einer neuen Bluse, eine weiße mit Blümchen drauf, – was für meinen Geschmack einfach schrecklich aussah, faltete sie und legte sie auf den Stapel. In der Boutique war heute nicht viel los. Ein paar Damen waren hier, sahen sich um und nur die wenigsten kauften etwas. Ich sah auf die Uhr, die an der Wand befestigt war. Noch zwei Stunden und dann hatte ich Feierabend. Als ich nach der nächsten Bluse griff, klingelte mein Handy. Schnell nahm ich es aus meiner Hosentasche, bevor es Lola bemerkte. Denn sie sah es nicht gerne, wenn wir am Arbeitsplatz unser Handy nutzten. Mike. Natürlich, er schon wieder. Mit zusammengepressten Lippen drückte ich auf ablehnen. Dieses Arschloch wollte und konnte mich einfach nicht in Ruhe lassen. War ja nicht so, dass er für meine schlechte Laune verantwortlich war. Und mit den Anrufen wurde es nicht besser. Ich steckte mein Handy in die Hosentasche und machte mich wieder an die Arbeit.

»Entschuldigen Sie?«, hörte ich eine Frauenstimme neben mir. Sofort setzte ich mein Verkäuferlächeln auf, – welches ich seit Jahren perfektioniert hatte und drehte mich zu der Dame um.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich und schob meine Wut gegenüber Mike beiseite.

Die blonde Frau stand mit einer hellgrauen Hose in ihren Händen da.

»Hätten Sie diese Hose vielleicht eine Nummer größer?«, fragte sie und reichte sie mir.

Ich nahm ihr die Hose aus der Hand. »Ich sehe bei uns im Lager nach.«

Ich drehte mich um und ging auf die weiße Tür zu, auf der ›Nur für Personal‹ stand. Ich hielt meine ID-Karte ans Lesegerät, machte die Tür auf und ging zum Regal mit den Hosen. Lola war es wichtig, dass ihre Ware immer sicher war und sie scheute sich nicht, dafür eine Menge Geld auszugeben, wie zum Beispiel für die Tür. Ich ging zum Metallregal, in dem die Hosen lagen und suchte die graue Hose eine Nummer größer. Als ich sie fand, nahm ich sie und ging wieder zurück. Die Frau stand immer noch da, wie ich sie verlassen hatte.

»Bitte schön, eine Nummer größer«, sagte ich lächelnd und reichte sie ihr.

Dankend nahm sie die Hose entgegen. »Soll ich sie gleich abrechnen?«, fragte ich.

Die Frau nickte und wir gingen zusammen zur Kasse. Nachdem sie bezahlt hatte, packte ich die Hose in eine Tüte und reichte sie ihr lächelnd. In diesem Moment klingelte wieder mein Handy. Ich brauchte nicht auf mein Display zu schauen, um zu wissen, wer es war. Innerlich fluchend nahm ich es aus meiner Hosentasche. Mike natürlich. Sofort drückte ich auf ablehnen. Vorher würde die Hölle zufrieren, bevor ich auch nur ein Wort mit ihm wechseln würde.

»Green!«, rief Lola.

Seufzend schloss ich die Augen und drehte mich in die Richtung, aus der sie mich rief.

»Kein Handy am Arbeitsplatz!«, ermahnte sie mich.

Sie stemmte ihre Hände in ihre üppigen Hüften und presste ihren Mund, – der mit pinkem Lippenstift bemalt war – aufeinander. Ihre hellblonden Haare waren wie immer toupiert und ich fragte mich wieder, was wohl passieren würde, wenn man mit einem Streichholz in ihrer Nähe stand, da ihre Haare gefühlt nur aus Haarspray bestanden. Die Vorstellung amüsierte mich jedes Mal aufs Neue. Ich unterdrückte ein Lächeln, entschuldigte mich bei Lola und ging wieder zu den Regalen, um Ordnung zu schaffen.

Nach der Arbeit war ich mit Kate, meiner besten Freundin verabredet. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, doch sie hatte mich regelrecht dazu genötigt. Mit ihr zu diskutieren war, wie mit einer Wand zu diskutieren, obwohl man da vermutlich eher Chancen hätte zu gewinnen. So stand ich vor dem Hazel Cafè und wartete. Am liebsten wäre ich Nachhause gegangen, hätte mir bequeme Klamotten angezogen, mich auf mein Sofa geschmissen und irgendeine Serie auf Netflix angeschaut. Aber Kate meinte es nur gut, sie wollte mich ablenken, deswegen konnte ich ihr nicht böse sein. Ich konnte ihr nie böse sein, denn mit ihrem Charme machte sie alles wett. Selbst wenn ich sie in diesem Moment verteufelte, freute ich mich sie zu sehen. In letzter Zeit hatte sie viel wegen der Uni zu tun, weswegen wir uns selten sahen. Da kam sie auch schon. Ihre hellbraunen Haare waren heute zu einem hohen Zopf gebunden, der bei jedem Schritt hin und her wippte. Strahlend kam sie auf mich zu und bei ihrem Anblick musste ich auch lächeln. Kate hatte eine Ausstrahlung an sich, bei der man sofort gute Laune bekam, selbst ich. Zur Begrüßung umarmten wir uns.

»Wie oft hast du mich heute verflucht?«, fragte sie, als wir ins Cafè hineingingen.

Sie kannte mich. Sie wusste ganz genau, dass ich am liebsten in diesem Moment Zuhause wäre, vor allem mit meiner Laune in den letzten Tagen.

»Schon einige Male.«, gab ich lachend zu.

»Dann schauen wir mal, ob ich morgen einen Furunkel im Gesicht habe.«, entgegnete sie ebenfalls lachend.

Wir betraten das Cafè und sahen uns nach einem freien Plätzchen um. Wir fanden noch eines in einer gemütlichen Ecke. Das Hazel Cafè war beliebt, was man an der Menge der Leute nicht übersehen konnte. Im Hintergrund spielte leise Pop Musik und der Geruch von Kaffee war Balsam für meine Seele. Das Cafè an sich war im rustikalen Stil eingerichtet. Ziegelsteine zierten die Wände, der Boden war aus Beton oder sollte jedenfalls den Anschein machen. Die Tische waren aus einem dunklen unbearbeiteten Holz und dazu standen passende Stühle, auf denen graue Kissen lagen. Ich nahm mein Kissen und stellte es so auf, dass ich mich anlehnen konnte. Kate zog ihre Jeansjacke aus und legte sie über ihre Stuhllehne, dann drehte sie sich zu mir, stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und legte ihr stolzes Kinn auf ihre Hände.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie und lächelte breit.

Ich zuckte mit den Schultern. »Habe grässliche Blusen zusammengefaltet.«

»Hört sich sehr aufregend an.«, entgegnete sie.

»Ja, fast so aufregend wie die Reise nach Mordor.«

Sie lachte, doch ihre Aufmerksamkeit schwenkte zum Kellner, der zu unserem Tisch kam. Kate lehnte sich zurück und scannte ihn von oben bis unten ab. Der Kellner war groß, gut gebaut und seine blonden Haare waren nach hinten gekämmt. Er holte ein Handy aus seiner Tasche und seine wohlgeformten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

»Was kann ich euch bringen?«, er sah von mir zu Kate, die ihr zuckersüßes Lächeln aufsetzte und mit den Wimpern klimperte.

»Ich hätte gerne einen Cappuccino.«

Der Kellner tippte auf dem Handy und wandte sich dann mir zu.

»Einen Caramel Latte macchiato bitte.”

Erneut tippte er in das Handy und verabschiedete sich lächelnd.

Kate sah ihm noch eine Zeit lang hinterher.

»Pass mit dem Sabber auf Kate, sonst muss man hier gleich noch aufwischen.«

Ihre Aufmerksamkeit galt wieder mir. »Sag jetzt nicht, dass du ihn nicht heiß fandest!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Er war ganz okay.«

Ihr Mund öffnete sich vor Empörung. »Wie kannst du nur so etwas sagen?«

Als ich antworten wollte, klingelte wie auf Kommando mein Handy. Seufzend nahm ich es hervor, Mike schon wieder.

»Ist er es wieder?«, fragte Kate und lehnte sich etwas vor.

Ich nickte und sah auf das Display.

»Pru.«, hörte ich Kate sanft sagen. Ich drückte auf ablehnen und sah zu ihr auf.

»Er ist es nicht wert.«, meinte sie.

»Ich weiß.«, gab ich zu und sah auf meine Hände.

Auch wenn er es nicht wert war, konnte ich meine Gefühle nicht einfach abstellen. Selbst wenn ich es mir wünschte.

»Dieser Mistkerl hat dich zwei Jahre lang belogen! Er ist es nicht wert, dass du ihm nachtrauerst!«

Kate hatte Recht, doch es tat trotzdem weh. Zwei Jahre war ich mit ihm zusammen und musste erst letzte Woche herausfinden, was für ein elendes Arschloch er eigentlich war.

»Und wenn er dich nochmal anrufen wird, werde ich zu ihm fahren und ihn ordentlich verprügeln.«, meinte sie und beugte sich vor.

Ihre Miene war ernst und das Feuer in ihren Augen verriet, dass sie es ernst meinte.

Ich lächelte leicht. »Nicht nötig Kate.«

Sie schnaufte. »Wie oft hat er dich heute schon angerufen?«

»Ein paar Mal.«, gab ich zu.

Der Kellner kam mit unseren Getränken. Nachdem er sie vor uns abgestellt hatte, warf Kate ihm nochmal ihr umwerfendes Lächeln zu, bevor er ging. Ich nahm einen Schluck von meinem Caramel Latte macchiato. Ich liebte diesen Geschmack.

»Das grenzt schon fast an Stalking Pru.«, meinte sie und trank etwas von ihrem Cappuccino.

Ich umkreiste mit meinem Zeigefinger den Glasrand. »Es ist kein Stalking.«, meinte ich, hörte mich aber nicht ganz sicher an.

Seit wir uns getrennt hatten, rief er mich jeden Tag ungefähr zwanzig Mal an.

»Wie war dein Tag heute?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

Ich hatte keine Lust über Mike zu reden. Jedes Mal von ihm zu sprechen oder daran erinnert zu werden, was er getan hatte, kratzte die heilende Wunde in meinem Herzen erneut auf. Kate zog eine Augenbraue hoch. Sie wusste, was ich tat.

»Hör auf, das Thema zu wechseln!«

»Mache ich doch gar nicht! Ich möchte wirklich wissen wie dein Tag war.«, entgegnete ich und trank etwas.

Kate sah mich noch etwas prüfend an, dann seufzte sie und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

»Er war ganz in Ordnung. Ein paar Vorlesungen hier und ein paar Vorlesungen dort.«

Sie trank von ihrem Cappuccino und hatte durch den Milchschaum einen Milchbart bekommen. Ich grinste sie an. Sie legte die Stirn in Falten und sah mich fragend an. Ich deutete auf meine Oberlippe. Hastig wischte sie sich mit der Serviette den Mund ab.

»Weißt du Pru, normale Menschen sagen einfach, dass man da was hat und grinsen einen nicht blöd an.«, meinte sie genervt.

Nun war ich es, die eine Augenbraue hob. »Wann war ich denn je normal?«

Damit entlockte ich ihr ein Lächeln. Wenn man es so betrachtete, war ich noch nie normal gewesen.

»Wir sollten heute feiern gehen!«, rief sie auf einmal.

Sofort verschwand mein Lächeln und ich zog meine Augenbrauen hoch. Kate grinste mich an und ihre rehbraunen Augen glitzerten. Wie kommt sie auf einmal auf so eine idiotische Idee? Manchmal hatte ich das Gefühl, in ihrem Kopf hätten einige Synapsen einen Kurzschluss und dann kamen ihr diese Einfälle. So wie das letzte Mal, wollte sie Skydiving machen, war ja nicht so, dass ich Höhenangst hatte.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst.«, entgegnete ich.

»Doch, ist es.«

Lächelnd trank sie von ihrem Cappuccino. »Kate, du weißt, dass ich Clubs nicht ausstehen kann.«

Ich war überhaupt kein Club Mensch. Für mich war es das Beste, Zuhause auf meinem Sofa zu liegen, eine Serie anzuschauen und meinen Kater zu streicheln. Mehr brauchte ich nicht.

»Dein Pech.«, antwortete sie achselzuckend.

Ich öffnete meinen Mund, um ihr zu antworten, doch sie kam mir zuvor. »Ich möchte keine Widerrede hören Prudence! Wir gehen heute ins Nox! Punkt. Aus. Ende!«

Seufzend nahm ich einen Schluck von meinem Latte, legte meine Arme auf den Tisch und meinen Kopf darauf. Könnte nicht einfach ein Loch unter meinen Füßen aufgehen, welches mich verschluckt und von diesem Elend erlöst? Der Kellner kam wieder zu uns. »Ist bei euch alles in Ordnung?«

Ich sah auf. »Ich hätte gerne noch drei Espresso bitte.«, antwortete ich.

Denn es wird heute ein sehr langer Abend.

Wir gingen zu meiner Wohnung und innerlich verfluchte ich Kate die ganze Zeit. Warum mussten wir unbedingt feiern gehen? Sie wusste, wie sehr ich es hasste. Aber mit ihr zu diskutieren war zwecklos. Ich öffnete meine Wohnungstür und wir wurden sofort von Blacky, meinem Kater, begrüßt. Miauend stand er vor der Tür. Sofort besserte sich meine Laune bei seinem Anblick. Ich beugte mich vor, um ihn unter dem Kinn zu kraulen. Er streckte sein schwarzes Köpfchen hoch und schloss genussvoll die Augen.

»Das gefällt dir was?«, fragte ich lächelnd. »Hast du Hunger?«

»Er hat doch immer Hunger.«, hörte ich Kate hinter mir.

Ich richtete mich auf und der Kater ging zu Kate, schnüffelte an ihr und schlang sich um ihre Beine. Auch sie konnte ihm nicht widerstehen, beugte sich hinunter und streichelte ihn. Ich befreite mich aus meiner schwarzen Lederjacke, hing sie an meine weiße Garderobe auf und ging ins Wohnzimmer. Meine Wohnung war nicht groß, aber sie genügte mir. Da ich nun alleine hier wohnte, war sie mehr als genug. Das Wohnzimmer war mein Lieblingsort. Vor allem liebte ich mein schönes dunkelgraues Sofa. Wenn ich darauf lag, hatte ich das Gefühl auf den Wolken zu liegen. Sehnsüchtig sah ich es an. Ich seufzte. So nah und doch so fern. Blacky sprang auf das Sofa und sah mich erwartungsvoll an.

»Ich weiß Kumpel, doch heute wird es leider nichts, denn die da hinten«, ich deutete mit dem Daumen auf Kate, »möchte feiern gehen.«

»Die da hinten, möchte dich ablenken.«, entgegnete sie und kam zu mir.

Ich gab ein ›hmpf‹ von mir und ging in die Küche, um Blacky Essen zu geben. Natürlich wusste ich, dass sie mich nur ablenken wollte, doch sie konnte nicht erwarten, dass ich bei so was in Jubeln ausbrechen würde. Zudem hätte ihr auch etwas anderes einfallen können. Wie zum Beispiel Essen gehen oder spazieren. Nein, es muss unbedingt das Nox sein. Ich war schon ein paar Mal feiern mit ihr und es hatte mir genügt. Sie kam zu der Durchreiche, setzte sich auf einen Barhocker und sah mich an.

»Ich kann dein Fluchen bis hierher hören.«, sagte sie grinsend.

Ich warf ihr von der Seite einen Blick zu, während ich das Essen in Blackys Napf tat.

»Gut so.«, entgegnete ich.

Als ich den Napf hinstellte, kam er sofort angerannt und verschlang das Futter. Erneut klingelte meine Handy. Fluchend nahm ich es hervor. Bevor ich reagieren konnte, riss es mir Kate aus der Hand, drückte drauf und legte es sich an ihr Ohr. Mit geweiteten Augen sah ich ihr zu.

»Hör zu du Arschloch, wenn du sie nochmal anrufst, werde ich vorbeikommen und dir so in deinen verlogenen Arsch treten, dass du dein ganzes Leben nicht mehr auf ihm sitzen wirst.«

Sie legte auf und reichte mir das Handy. Wie benommen nahm ich es ihr aus der Hand und steckte es wieder ein.

»Was sollte das?«, fragte ich empört.

Sie zuckte mit den Schultern. »War mal nötig.«

Mir fehlten einfach nur die Worte. Ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte oder sie eher dafür umarmen.

»Wir sollten uns langsam fertig machen.«, meinte sie und stand vom Barhocker auf.

Und somit hatte sie den Moment zerstört. Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken. »Kate«, sagte ich flehend.

»Nichts Kate, hopp hopp mit dir ins Bad.«

So, das war‹s, ich gab mich geschlagen. Ich konnte so viel protestieren und diskutieren, wie ich wollte, sie würde mich trotzdem an den Haaren in diesen scheiß Club schleifen. Vielleicht würde es mir doch etwas besser gehen, wenn ich mich schick machte, auch wenn ich keine Lust hatte. Doch bevor ich ins Bad ging, schlenderte ich in mein Schlafzimmer, um mir ein Outfit auszusuchen. Kate würde sich wieder etwas von mir ausleihen. Genau aus diesem Grund wollte ich keine WG mit ihr. Als ich von meinen Adoptiveltern auszog, schlug sie vor, dass wir uns zusammen eine Wohnung nehmen sollten, doch ich war nicht so ein Mensch. Mir reichte mein Kater. Außerdem würden wir uns bestimmt nur streiten. Ich öffnete meinen weißen Kleiderschrank und begutachtete den Inhalt darin. Kate betrat das Zimmer und stellte sich neben mich. Schweigend sahen wir uns zusammen meine Kleidung an. Nach ungefähr dreißig Minuten, war mein Bett voller Kleidung und ich hatte mich dann doch für das kleine Schwarze entschieden und Kate sich für kurze schwarze Shorts und ein blaues Croptop. Danach gingen wir ins Bad, – den Kleiderhaufen würde ich morgen aufräumen, schon der Gedanke daran nervte mich. Hätte Kate nicht diesen blöden Einfall, müsste mein Bett nicht aus einem Kleiderhaufen bestehen. Im Bad schminkten wir uns. Ich trug etwas Concealer auf, einen Eyeliner, Wimperntusche und einen dunklen beerigen Lippenstift.

»Ich beneide dich einfach um deine Augenfarbe.«, sagte Kate seufzend.

Dass durfte ich mir mindestens einmal in der Woche anhören. Immer wieder schwärmte sie von meiner Augenfarbe, weil sie so ungewöhnlich war. Grauviolett. Je nach Lichteinfall, sah man entweder das Grau oder das Violett mehr. Kate meinte, die Kombination meiner pechschwarzen Haare und meiner Augenfarbe, sei einfach nur perfekt. Da war ich anderer Meinung. In der Schule damals bekam ich komische Blicke und wurde oft ›Freak‹ genannt. Kate meinte zwar immer, sie seien nur neidisch, aber irgendwie konnte ich es ihnen auch nicht verübeln. Ich hatte nicht wirklich viele Freunde außer Kate, und so war ich mehr ein Einzelgänger. Ich band mir die Haare zu einem hohen Zopf und warf nochmal einen prüfenden Blick in den Spiegel. Ich sah zu Kate. Sie hatte sich für einen blauen Glitzerlidschatten entschieden und dazu einen nudefarbenen Lippenstift. Ihre Haare trug sie offen. Sie fielen ihr sanft über ihre Schultern und reichten ihr bis zur Taille. Nachdem wir fertig waren, verließen wir das Bad und ich sah zum Sofa, wo Blacky eingerollt schlief. Ich beneidete den Kater. Danach holte ich meine schwarzen Highheels mit rotem Absatz und verfluchte sie jetzt schon für meine späteren Fußschmerzen.

»Bereit?«, fragte Kate lächelnd.

Nein, ich war alles andere als bereit, doch ich nickte.

KAPITEL 2

Beim Nox angekommen hatte ich schon keine Lust mehr. Zu sehen, wie lang die Schlange war, ließ mich innerlich verzweifeln. Warum musste ich auch nachgeben? Hätte ich nicht irgendeine Ausrede finden können? Nein, stattdessen waren wir hier, es stank nach Erbrochenem und Urin, meine Füße dankten mir jetzt schon für die Schuhe und ich hatte das hier gegen mein gemütliches Sofa eingetauscht. Wie dumm konnte man eigentlich sein? Wir gingen auf die Schlange zu und je näher wir kamen, desto mehr ver-abschiedete sich meine Laune.

»Warte hier.«, meinte Kate plötzlich und ging.

Na toll, nun ließ sie mich hier auch noch alleine. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und wartete. Das nächste Mal werde ich mich mit allem wehren, was ich habe, bevor ich wieder hier stehen darf. Ungeduldig tippte ich mit meinen Zehen auf den Asphalt. Strahlend kam Kate auf mich zu.

»Komm du schlecht gelauntes Etwas, wir können rein.«

Fragend sah ich sie an. »Ich habe den Türsteher etwas bestochen.«, flüsterte sie und grinste schelmisch.

»Kate Clarke, wie gerissen du doch bist.«, stellte ich begeistert fest.

Sie warf theatralisch ihre Haare nach hinten. »Nicht jeder kann so einfallsreich sein.«

Ich lachte, hakte mich unter ihrem Arm ein und wir gingen hinein. Schon draußen konnte ich die Vibrationen des Basses hören, doch wenn man in den Club reinging, spürte ich es in meinem ganzen Körper. Die Tanzfläche wurde von den Scheinwerfern in die verschiedensten Lichter getaucht. Die Menschenmenge auf der Tanzfläche schrie, lachte und knutschte oder besser gesagt, verschlang sich regelrecht. Mein Blick wanderte zum DJ, der die Menge anfeuerte, Knöpfe drückte und teilweise mittanzte. Techno und House waren nicht mein Lieblingsgenre, aber es war erträglich.

»Wir brauchen erst einen Drink«, meinte Kate und zog mich mit zur Bar.

Gegen einen Drink hatte ich nichts. Die Bar war in ein blaues Licht getaucht, die Front der Theke leuchtete Violett. Hinter ihr befanden sich Regale, die ebenfalls leuchteten und auf denen Flaschen und Gläser standen. Kate stützte sich auf dem schwarzen Tresen ab und lehnte sich etwas vor. Sie klopfte mit ihrer Hand zum Rhythmus der Musik und wippte leicht mit dem Kopf. Bei dem Anblick unterdrückte ich mir ein Lachen. Schön, dass wenigstens einer gut gelaunt war. Der Barkeeper entdeckte uns, warf sein Tuch über seine Schulter und kam lächelnd zu uns.

»Was darf ich euch Hübschen bringen?«, fragte er und lächelte schief.

Ich hätte mich glatt übergeben können. Er dachte auch, er wäre der schönste Typ auf dieser Erde. Sein Hemd war bis zu seiner Brust geöffnet, seine dunklen Haare nach hinten gegelt und sein Blick war der eines Typen, der dachte, er würde jede ins Bett bekommen. Ich warf ihm einen gleichgültigen Blick zu.

»Rum mit Cola.«, sagte ich und sah wieder auf die Tanzfläche. Ich lehnte mich mit dem Rücken an den Tresen und stützte mich mit meinen Ellenbogen darauf ab. Hoffentlich gab ihm das zu verstehen, dass er es bei mir gar nicht erst versuchen sollte.

»Für mich das Gleiche.«, entgegnete Kate.

»Kommt sofort.«, hörte ich ihn sagen.

Kate rückte etwas zu mir. »Er denkt auch, er wäre etwas Besonderes.«

Ich lachte. Es überraschte mich immer wieder, wie gleich wir doch dachten. Die Musik wurde etwas langsamer und die Menschen auf der Tanzfläche tanzten nun fest umschlungen. Bei einigen dachte ich, sie würden gleich ineinander verschmelzen. Kurze Zeit später kamen unsere Getränke. Wir nahmen sie und stießen an.

»Auf einen schönen Abend.«, sagte Kate strahlend.

Ich nickte und nahm einen Schluck. Irgendwie bezweifelte ich, dass es ein schöner Abend werden würde. Schon als wir den Club betreten hatten, überkam mich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

Seit ein paar Monaten hatte ich dieses Gefühl, besser gesagt, eine ausgeprägte Intuition. Und das Gefühl stimmte bis jetzt immer. Auch bei Mike hatte ich dieses Gefühl, doch ich hatte es einfach ignoriert.

»Was denkst du?«, riss mich die melodische Stimme von Kate aus meinen Gedanken.

Ihr hatte ich davon nichts erzählt. Nicht, dass ich ihr nicht vertraute, ihr würde ich mein Leben anvertrauen, nur wollte ich sie nicht beunruhigen, selbst ich wusste nicht damit umzugehen. Zwar hatte ich es akzeptiert und diese Intuition ist mittlerweile ein Teil von mir, doch es weckte immer ein unbehagliches Gefühl. Erst wenn ich mir sicher war, was es denn überhaupt war, würde ich es ihr sagen. Die Frage war nur, ob ich jemals herausfinden würde, was es denn genau war. Und wie sollte ich es überhaupt herausfinden? Es war ja nicht so, dass es ein Handbuch dafür gab. Ich lächelte Kate an.

»Nichts wichtiges.«, antwortete ich und führte mein Glas zum Mund.

Nun wippte auch mein Kopf zum Rhythmus der Musik. Ich ließ meinen Blick durch die Menge schweifen. All diese Leute hatten Spaß, während ich am liebsten sofort gehen würde. Als ich weiter die Menge beobachtete, stellten sich meine Nackenhaare auf. Ich sah zu meiner rechten und mein Blick traf auf smaragdgrüne Augen. In einer Ecke stand ein Typ und sah mich an. Das Gefühl, was mich überkam, war komisch. Es war gleichzeitig unnatürlich aber dann auch wieder nicht. Er lehnte an einer Säule, hatte einen Drink in der Hand und sah mich einfach nur an. Eigentlich sollte ich es unheimlich finden, Kate packen und irgendwo hingehen, wo er uns nicht sieht. Doch ich konnte den Blickkontakt nicht abbrechen. Es war, als würde er mich festhalten. Irgendwie schaffte ich es doch, meinen Blick abzuwenden und wieder die tanzende Menge vor mir anzusehen. Mein Atem beschleunigte sich und mein Herz drohte, aus meiner Brust zu springen. Was verflucht nochmal war das?

»Pru, alles in Ordnung?«, fragte Kate und legte ihre Hand auf meine Schulter.

Ich sah zu ihr und zwang mir ein beruhigendes Lächeln auf.

»Ja, alles in Ordnung.«, log ich.

Sie hob eine Augenbraue und sah mich prüfend an.

»Komm, lass uns tanzen gehen.«, sagte ich und stellte mein Getränk auf dem Tresen ab.

Nun sah sie mich noch skeptischer an. »Das ist mein Ernst Kate, lass uns tanzen.«

Ich nahm sie bei der Hand und zog sie mit auf die Tanzfläche. Da angekommen, bewegten wir uns zum Rhythmus der Musik. Auf einmal fühlte ich mich frei. Die laute Musik, das Lachen und das Tanzen, befreiten meinen Kopf von all den Gedanken, die ich hatte. Kate wirbelte mich lachend herum und plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie sah etwas hinter mir. Erstaunt blieb ich stehen, folgte ihrer Blickrichtung und erstarrte. Das konnte doch nicht wahr sein! Warum ausgerechnet hier und heute? Dieses sanfte ovale Gesicht und die leuchtend blauen Augen würde ich überall erkennen. Mike stand da und sah mich an. Wäre ich doch nur Zuhause geblieben! Ich sah erneut zu Kate, die genauso fassungslos dastand wie ich, doch ihr Gesicht wurde auf einmal härter. Wieder sah ich zu ihm und er kam auf mich zu. Nein, das wollte ich nicht. Ich konnte nicht mit ihm sprechen, geschweige denn, ihn ansehen.

»Lass uns gehen.«, sagte ich an Kate gewandt.

»Pru!«, hörte ich ihn rufen.

Scheiße. Langsam drehte ich mich um und er stand vor mir. Verdammt, verdammt, verdammt! Das konnte ich gar nicht gebrauchen.

»Pru, bitte lass uns reden.«, bat er und kam mir einen Schritt näher.

Instinktiv ging ich einen Schritt zurück. »Es gibt nichts zu bereden Mike.«, entgegnete ich.

Seine blauen Augen sahen mich flehend an und es fehlte nicht viel, da würde ich nachgeben. Mag sein, dass ich schwach war, doch ich war mit diesem Mann zwei Jahre zusammen gewesen, diese Gefühle würden nicht von heute auf morgen einfach verschwinden. Nun wusste ich, warum ich die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl hatte und wieder einmal hatte es mich nicht getäuscht. Kate neben mir versteifte sich und sah ihn finster an. Um uns herum tanzten die Menschen weiter und manchmal musste ich einigen ausweichen.

»Lass es mich bitte wenigstens erklären!«

Ich schnaufte. »Was willst du mir erklären? Dass all diese Frauen ein Versehen waren?«

Wut packte mich bei diesem Gedanken. All die Jahre hatte er mir einfach ins Gesicht gelogen. Mir immer gesagt, wie sehr er mich doch liebte, dass ich die einzige für ihn wäre und dabei hatte er immer wieder eine andere im Bett. Wäre eine von ihnen nicht so verrückt gewesen und hätte mir nicht die Bilder von ihm und ihr geschickt, – weil sie eben mehr sein wollte als nur eine Bettaffäre, hätte ich vermutlich bis heute nichts davon mitbekommen. Und genau das machte mich auch wütend auf mich. Ich war so blind vor Liebe, hatte ihm vertraut und hatte nie hinterfragt, warum er an manchen Wochenenden kaum erreichbar war oder warum er immer irgendwelche Ausreden hatte. Das zu erfahren, war wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Das Schlimme war: Er war der einzige Mensch, mit dem ich zusammenleben wollte, mit dem ich eine Zukunft wollte und er hatte mit mir nur gespielt, mich belächelt und insgeheim gedacht, wie dumm und naiv ich doch eigentlich war. An dem Tag, als ich es erfahren hatte, hatte ich ihn aus der Wohnung geschmissen und das Schloss auswechseln lassen.

»Sie haben mir doch nie etwas bedeutet!«, verteidigte er sich. Ich legte theatralisch meine Hände auf die Brust.

»Oh Mike, das ändert aber auch alles.« Ich ließ meine Hände sinken und meine Augen verengten sich. »Es ändert einen Scheiß! Es ist mir egal, ob sie dir etwas bedeutet haben oder nicht! Du hast mit ihnen geschlafen!«

Erschrocken sah er mich an. Dachte er wirklich, dass diese Aussage meine Meinung ändern würde? Dann war er dümmer als ich dachte. Bei seinem Anblick breitete sich meine Wut heiß in meinem Körper aus. Zu gerne hätte ich ihm eine geschmiert.

»Gehen wir.«, sagte ich zu Kate, drehte mich um und wollte gehen, als mich jemand an meinem Arm festhielt.

»Lass mich los!«, forderte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien.

»Bitte Pru, lass uns reden.«, bat er.

Sein Griff wurde fester und langsam tat es weh. »Du tust mir weh!«

»Lass sie sofort los, du elender Mistkerl!« Kate kam hinzu und versuchte, seine Hand von meinem Arm zu befreien. Er schubste sie weg.

»Misch dich nicht ein Clarke!«

Immer noch versuchte ich mich von ihm zu befreien. Ohne nachzudenken holte ich mit der Hand aus, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Sein Kopf schwang zur Seite durch den Schlag. Meine Handfläche brannte und er ließ mich zwar nicht los, doch es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl. Diese Ohrfeige war für all den Schmerz, den er in mir verursacht hatte und, weil er Kate geschubst hatte.

»Wenn du sie auch nur einmal anfasst, wird es mehr als nur eine Ohrfeige geben.«, zischte ich und sah ihm fest in die Augen.

Seine Augen funkelten mich finster an und sein schmaler Mund verzog sich zu einer Linie. Mike ließ mich immer noch nicht los. Plötzlich legte sich eine Hand auf seinen Arm. Ich folgte der Hand, um zu sehen, wer es war. Es war der Unbekannte mit den smaragdgrünen Augen.

»Ich glaube, die Damen haben sich klar genug ausgedrückt.«, sagte er mit seiner tiefen Stimme.

Mein Herz machte einen Satz und ich sah zu Mike. Sein Gesicht war wutentbrannt.

»Verpiss dich!«, zischte Mike.

Der Unbekannte zog eine geschwungene schwarze Augenbraue in die Höhe. »Falsche Antwort.«, meinte er.

Als Mike etwas erwidern wollte, kam der Unbekannte ihm näher und sah ihm fest in die Augen.

»Lass sie los.« Er betonte jedes einzelne Wort und seine Stimme verwandelte sich in ein Knurren, was ich in Mark und Bein spürte.

Eine Gänsehaut durchzog mich. Mike sah gebannt in die Augen des Unbekannten, dann wanderte sein Blick zu mir und er ließ mich los. Ich massierte mir meinen Oberarm. Toll, morgen würde dort ein blauer Fleck erscheinen. Mike fuhr sich mit einer Hand durch seine blonden Haare und ging.

»Geht es dir gut?«, fragte ich Kate, die mit geweiteten Augen den Mann vor sich begutachtete.

Ich wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Bist du noch anwesend?«

Sie schüttelte kurz ihren Kopf und sah zu mir. »Ja, mir geht es gut.«

Ich warf nochmal einen prüfenden Blick auf sie, bevor ich mich zu dem Mann umdrehte.

»Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen.«, sagte ich.

Was redete ich eigentlich? Natürlich war es nötig gewesen! Er neigte den Kopf.

»Nicht?«, fragte er.

Verlegen senkte ich meine Lider und sah dann zu Kate. »Wir sollten gehen.«

Mir reichte es nun endgültig. Mich nervte die laute Musik, der ständige Bass, den ich in meinem Körper spürte, meine Füße schmerzten und ich wollte einfach nur auf mein Sofa. Kate nickte. Ich bedankte mich nochmal bei dem Unbekannten und dann verließen wir den Club.

»Das war nett von ihm, uns zu helfen.«, sagte Kate und zog die Decke bis zum Kinn hoch.

Wir waren bei mir Zuhause und das erste, was wir taten war, uns aus den Klamotten zu schälen, etwas Bequemes anzuziehen und uns aufs Sofa zu schmeißen.

»Ja, das war nett von ihm.«, bestätigte ich und streichelte Blacky, der schnurrend auf meinem Schoß lag.

Mein Blick wanderte zu Kate, die geistesabwesend mit ihren Haaren spielte.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich.

Abrupt sah sie zu mir, lächelte und nickte. Irgendwie glaubte ich es ihr nicht, doch ich war auch zu müde, sie näher diesbezüglich zu fragen.

»Outlander?«, fragte ich stattdessen und griff nach der Fernbedienung.

Sofort grinste sie und nickte. Wir sahen die Serie schweigend an. Doch ich bekam nicht viel davon mit, da ich immer wieder an die smaragdgrünen Augen und an das Gefühl in mir denken musste.

KAPITEL 3

In der Nacht träumte ich von ihm, von dem Unbekannten. Es war ein komischer Traum, einer von denen, die ich am liebsten gleich vergessen würde. Nein, das war eine glatte Lüge. Es war eher ein Traum, in dem ich am liebsten für immer geblieben wäre. Seine Augen verfolgten mich überall. Im Schlaf, beim Duschen, sogar beim Frühstücken. Und mit ihnen war dieses unergründliche Gefühl in mir. Mit einem Kopfschütteln tat ich es ab. »Es war nur ein Traum Prudence!«, ermahnte ich mich. Nur ein Traum, weiter nichts und vermutlich würde ich ihn nie wieder sehen. Enttäuschung machte sich bei diesem Gedanken in meinem Körper breit. Mein Leben war zurzeit ein reines Chaos. Erst kam diese Intuition in mir, dann die Sache mit Mike und nun der Unbekannte. Könnte mein Leben nicht einfach langweilig verlaufen? Ohne Drama? Ich seufzte, stützte meinen Kopf auf meiner Hand ab und schob mir einen Löffel Cornflakes in den Mund. Kate war gleich in der Früh gegangen, weil ihre Vorlesung heute früher anfing. Sie studierte Design und war echt gut darin. Während Kate eine Ahnung von ihrem Leben hatte, wusste ich mit meinem nichts anzufangen. Der Job in der Boutique sollte eigentlich eine Übergangslösung sein. Mittlerweile waren drei Jahre vergangen. Ich blieb nur in der Boutique wegen der Bezahlung. Irgendwie musste ich ja meine Miete bezahlen. Meine Adoptiveltern waren nicht besonders stolz auf mich. Sie hatten immer die Vorstellung, ich würde Ärztin oder Anwältin werden, gut verdienen und eine Familie gründen. Doch all das fühlte sich nicht richtig an. Wir hatten deswegen oft gestritten, was auch der Grund war, warum ich ausgezogen war. Das Verhältnis zwischen uns war nicht das Beste und Kontakt hatten wir auch nicht wirklich. Ich hatte sie enttäuscht. Um ehrlich zu sein, manchmal dachte ich, ich würde nicht hierher gehören, nicht in diese Welt. Wahrscheinlich klang es merkwürdig, selbst in meinen Ohren klang es komisch. Während die anderen Mitte-Zwanzig-Jährigen studierten, feierten, ihr Leben einfach lebten, war ich eher eine Außenseiterin, eine Einzelgängerin, die sich in ihrer Wohnung versteckte und nur bestimmte Leute an sich heranließ. Manchmal auchdie falschen, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Mike. Er war einer, der mich enttäuscht hatte. Nicht nur enttäuscht, sondern verletzt. Mit ihm dachte ich, endlich eine Ahnung von meinem Leben zu haben, wo ich sein möchte in meinem Leben, mit ihm. Er war mein Anker gewesen und mit ihm hatte ich die Hoffnung, normal zu werden. Dann kam dieser Tag und die Fotos. Es hatte mich meilenweit zurückgeschleudert in meinem Leben. Ich war orientierungslos, einfach verloren. Wie einfach eine Sache, ein ganzer Traum in Tausend Scherben zerbersten kann. Dank Mike verkroch ich mich wieder in meiner Schale und ließ niemandem mehr an mich ran, außer Kate. Sie und ich kannten uns seit der neunten Klasse. Damals kam sie neu zu uns und auf dem Pausenhof kam sie zu mir, um mit mir zu reden. Von diesem Tag an waren wir unzertrennlich.

Ich schlang die letzten Cornflakes hinunter und ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich spät dran war. Heute musste ich pünktlich in der Boutique sein, denn die neue Ware würde kommen. Schnell stellte ich die leere Schüssel in die Spüle, streichelte Blacky, zog mir meine Lederjacke über und verließ die Wohnung. Am liebsten lief ich zur Boutique. Sie war auch nicht weit entfernt und auf dem Weg dorthin konnte ich noch in Ruhe Musik hören. Die Klänge von Rock und Metal Musik beruhigten mich auf eine bizarre Art und Weise. Noch eine Bestätigung, dass ich ein Freak war. Doch mit der Musik konnte ich für den Moment alles vergessen und mich auf die aggressiven Töne konzentrieren die das wiedergaben, was ich fühlte. Besonders in letzter Zeit. Es war mild heute und es war nicht zu übersehen, dass der Frühling bevorstand. Die Bäume bekamen Knospen und manche blühten auch schon. Manchmal beobachtete ich auch die Menschen und überlegte, welches Päckchen sie wohl zu tragen hatten. Da war der Business Typ, der sein Handy die ganze Zeit am Ohr hatte und gestresst aussah, weil er wahrscheinlich seinen Termin nicht einhalten konnte. Deswegen wollte ich auch nie im Büro arbeiten. Ich hatte keine Lust, jemanden in meinem Nacken sitzen zu haben, der mich ständig anruft und anbrüllt. Dann war da die Mutter mit ihren zwei Kindern, die um sie herum hüpften und schrien. In meinem Leben hatte ich nie Kinder gesehen, bis Mike aufgetaucht war, doch nun war es auch wieder anders. Aus der Ferne sah ich schon die Boutique, meine Übergangsarbeit seit drei Jahren. Ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren, verstaute sie in meiner Tasche und machte mich für den heutigen Tag bereit. An der Boutique angekommen, öffnete ich die Glastür mit der Aufschrift La boutiquede Lola. Lola hatte nichts mit Französisch am Hut, doch sie meinte, es höre sich viel anspruchsvoller an. Nun, wenn sie meint. Vielleicht sollte ich überlegen, auch so einen Laden zu eröffnen. Mittlerweile hatte ich Erfahrung im Verkauf und konnte Lola bei der Arbeit beobachten. Diesen Gedanken speicherte ich für später ab und betrat den Laden. Die besagte Inhaberin stand hinter der Kasse und gestikulierte stark, während sie telefonierte.

»Ich habe aber zehn Hosen mehr bestellt als geliefert wurden!«, schrie sie in das Handy.

Die Person am anderen Ende des Telefons tat mir jetzt schon leid. Lola war wie ein Raubtier, sie beschützte ihre Ware. Die Boutique war ihr Leben, dass sie nicht in diesem Laden wohnte war ein Wunder. Doch sie hatte auch nur ihre Arbeit. Sie hatte weder Mann noch Kinder. Wenn man es so betrachtete, war es etwas traurig. Wer imGlashaus sitzt, Prudence, ermahnte mich eine kleine Stimme in meinem Kopf. Ich winkte ihr knapp zu, was sie erwiderte und ging in Richtung Personaltür. Im Personalzimmer hängte ich meine Jacke auf die Garderobe und verstaute meine Tasche in meinem Spind. Losgeht’s Prudence, ermutigte ich mich.

Den Morgen verbrachte ich damit, die neue Ware in die Regale einzusortieren und in das System einzutragen. Eine wirklich langweilige monotone Arbeit, doch das positive daran war, dass ich alleine war. Ich konnte den ganzen Vormittag im Lager verbringen und musste kein einziges Mal mein Verkäuferlächeln aufsetzen. Doch wie sagt man? Wenn es am schönsten ist, sollte man aufhören. Lola kam irgendwann ins Lager und meinte, ich soll nach vorne gehen, um ihr zu helfen. Auf meine Frage hin, wo denn Fiona war, zuckte sie nur mit den Schultern und ging wieder in den Verkaufsbereich. Fiona war einfach unmöglich. Ständig fehlte sie und ich verstand nicht, warum Lola sie nicht schon längst gekündigt hatte. Ich straffte meine Schultern und ging ebenfalls in den Verkaufsbereich. Jeder wusste, dass heute neue Waren eingetroffen waren. Dementsprechend, waren auch sehr viele Menschen hier. Ich rannte von einem Regal zum nächsten, von einem Kunden zum nächsten. Lola stand an der Kasse und kassierte ab, während ich mich um die Kunden kümmerte. Als ich mich umdrehte stockte mir der Atem. War das Wirklichkeit oder träumte ich wieder? Ich dachte daran mich zu kneifen, doch es würde vermutlich komisch rüberkommen.

»Hast du dich verlaufen oder suchst du etwas für deine Freundin?«, fragte ich und versuchte lässig zu klingen, was mir überraschenderweise auch gut gelang.

Seine Mundwinkel zuckten. »Weder noch.«, entgegnete er.

Seine smaragdgrünen Augen scannten mich von oben bis unten und irgendwie schaffte es sein Blick, mir eine Gänsehaut zu verschaffen.

»Ich bin zufällig hier vorbei gelaufen und dachte, ich schau mal rein.«, ergänzte er.

Ich hob eine Augenbraue. »In ein Damengeschäft?«

Er lächelte. Bei diesem Anblick wurden meine Knie weich. Reiß dich zusammen Prudence!

»Ich habe dich durch das Fenster gesehen und ich dachte mir, ich komme mal rein und frage, ob dich der Typ nochmal belästigt hat.«, erklärte er.

Das war eine nette Geste, das musste ich schon zugeben. Doch andererseits wusste ich nicht so richtig, was ich davon halten sollte. Noch so einen Stalker konnte ich in meinem Leben im Moment nicht gebrauchen.

»Nein, hat er nicht.«, antwortete ich.

Außer, dass er mich heute wieder angerufen hatte. Ich nutzte die Stille zwischen uns, um ihn mir genauer anzusehen. Er war groß, locker zwei Köpfe größer als ich. Durch sein eng anliegendes schwarzes T-Shirt konnte ich erkennen, dass er eine schöne und vermutlich durchtrainierte Figur hatte. Mitunter verrieten es auch seine breiten Schultern. Seine Haare waren schwarz, so wie meine und so wie ich es erkennen konnte, waren die Seiten kurz und oben waren sie länger. Sein Gesicht war markant aber gleichzeitig auch sanft. Er hätte irgend so ein Model auf einem Cover sein können. Sein voller wohlgeformter Mund verzog sich zu einem Lächeln.

»Dann hatte das im Club doch eine Wirkung auf ihn, sehr gut. Ich möchte dich bei deiner Arbeit dann nicht weiter stören, vielleicht sieht man sich ja wieder.«, meinte er, lächelte charmant, drehte sich um und ging.

Ich sah ihm noch eine Weile nach und versuchte zu verstehen, was hier eigentlich gerade passiert war. Irgendwie war es unheimlich. War das nur ein Zufall? Vermutlich ja und ich bildete mir einfach etwas ein. Ich schob den Gedanken beiseite und machte mich wieder an die Arbeit.

Nach meinem Feierabend ging ich zur Universität von Kate. Sie stand schon vor dem Eingang als ich ankam. Wir gingen zu einem Verkaufsstand und holten uns beide einen Hotdog, setzten uns auf eine Bank und aßen.

»Du wirst nicht glauben, wer heute in der Boutique war.«, sagte ich, nachdem ich den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

»Wer?«, fragte Kate, während sie noch kaute.

»Der Typ von gestern.«

Sie hielt beim Kauen inne und wandte sich mit geweiteten Augen zu mir. »Nicht dein Ernst!«

Ich nickte. »Er war anscheinend zufällig da und hat mich durch das Fenster gesehen.«

»Was wollte er?«, fragte sie und biss von ihrem Hotdog ab.

»Er wollte sich vergewissern, ob mich Mike nochmal belästigt hat.«, antwortete ich.

»Das ist nett von ihm.«, meinte sie.

»Ja, oder einfach nur gruselig.«

Mein Vertrauen war seit Mike nicht unbedingt das Beste. Seitdem sah ich nur das Schlechteste in den Menschen und misstraute jedem.

»Pru.«, hörte ich Kate sanft sagen. »Nicht jeder möchte nur das schlechte.«

Ich schnaufte. Sie hatte leicht reden. Nicht sie war es, die ihr Herz an jemanden verschenkt hatte und Jahre lang betrogen wurde.

»Mag sein, doch es ist nicht leicht, es zu glauben, wenn man Jahre lang belogen und betrogen wurde.«, entgegnete ich etwas schärfer als beabsichtigt.

Sie sank ihre Lider für einen kurzen Moment und sah danach gerade aus. Ich folgte ihrem Blick. Es war Feierabendzeit. Wir saßen auf einer Bank an der Straße und konnten das ganze Chaos beobachten. Autos hupten, Menschenmengen gingen über die Straße, einige erledigten noch ihren Einkauf, für viele ein ganz normaler Alltag.

»Vermutlich würde ich genauso denken wie du«, meinte sie plötzlich und sah mich an. »Doch irgendwann muss man weiter machen und los lassen.«

Ja, irgendwann, nur nicht jetzt. Ich hatte nicht die Kraft dazu. Vielleicht wollte ich es aber auch nicht, vielleicht fühlte ich mich in meiner Schale wohl. Denn ich war sicher, keiner konnte mich verletzen und ich hatte nur die, denen ich auch wirklich vertraute. Vermutlich klang es für andere lächerlich, für manch andere wäre ich zu melodramatisch, eine, die vor Liebeskummer verzweifelt. Aber es war nicht nur Liebeskummer, für mich war es Hoffnung gewesen, eine Hoffnung auf ein normales Leben. Ich hatte nie irgendwo dazu gehört, war immer ein Freak, doch Mike hatte mir das Gefühl gegeben normal zu sein. Tja, er war ein guter Schauspieler, das musste man ihm lassen und ich war eine Närrin. Eine dumme, naive Närrin! Wir aßen unsere Hotdogs stillschweigend zu Ende.

»Hast du manchmal das Gefühl, nicht hierher zu gehören?«, fragte Kate, während sie sich die Finger ableckte.

Perplex über die Frage drehte ich mich zu ihr um. »Was?«

Ihr Herzförmiges Gesicht drehte sich zu mir. »Hast du manchmal das Gefühl, nicht hierher zu gehören?«, wiederholte sie die Frage.

Was sollte denn nun diese Frage? »Wieso fragst du das?«, wollte ich wissen.

Sie zuckte lässig mit den Schultern. »Weiß nicht, jeder hat doch bestimmt so ein Gefühl.«

Ich hatte mit Kate noch nie darüber geredet, dass ich tatsächlich dieses Gefühl in mir trug. Dieses Gefühl hatte ich nicht erst seit gestern, sondern seit meiner Kindheit. Ich sah hinunter auf meine zusammengeknüllte Serviette, worin noch vor kurzem mein Hotdog eingepackt war.

»Ja das habe ich.«, antwortete ich. »Ich habe oft das Gefühl, nicht hierher zu gehören.«, gestand ich und sah in Kates Gesicht.

Ihre rehbraunen Augen musterten mich. Kate gehörte eigentlich nicht zu den Menschen, die tiefgründig nachdachten, sie war eher jemand, die im Hier und Jetzt lebte. Mir war es immer schleierhaft, wie sie das anstellte, denn ich war das komplette Gegenteil von ihr.

»Was würdest du machen, wenn du morgen die Chance hättest, in eine andere Welt zu gehen?«, wollte sie wissen.

»Kate, was sollen denn all diese Fragen?«

Langsam machte es mir Angst. Sie interessierte sich nicht für so etwas und glaubte auch nicht an ›andere Welten‹. Was war mit ihr los?

»Beantworte doch einfach die Frage.«, drängte sie.

Ich beäugte sie skeptisch, dann dachte ich über die Frage nach. Was würde ich machen, wenn ich morgen in eine andere Welt könnte?

»Ich würde dorthin reisen.« Ich lehnte mich zurück und sah auf die Straße. »Vielleicht wäre es eine friedliche Welt, ohne diesen ganzen Tumult und Lärm.«

Vielleicht wäre ich dort auch kein Freak, dachte ich mir. Ein Windstoß kam und wehte mir meine Haare zur Seite. Ich strich sie mir wieder hinter das Ohr und sah zu Kate, die gedankenverloren mit ihrer Halskette spielte. Sie nahm diese nie ab. Es war eine dünne goldene Kette mit einem runden, aquamarinblauen Amulett daran. Sie hatte mir einmal erzählt, dass sie die Kette von ihrer Oma bekommen hatte und deswegen so sehr an ihr hing.

»Was würdest du machen?«, wollte ich wissen.

Sie drehte sich langsam zu mir um. »Das gleiche wie du.«

Das überraschte mich. Kate liebte das Leben, sie war einer von den Menschen, die ihr Leben lebte. Was ist mit ihr heute Nacht passiert?

»Wer bist du und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?«

Sie lachte und stupste mich mit ihrer Schulter an. »Nichts, es ist nur«, sie seufzte und ließ ihre Kette los. »Ich habe auch manchmal dieses Gefühl.«

Die Information überforderte mich für einen kurzen Moment. Nein, nicht überforderte, sondern sie überrumpelte mich eher. Denn das hier war Kate! Kate! Die im Hier und Jetzt lebte und sich keine Sorgen oder Gedanken über irgendetwas machte. Sie sah zu mir.

»Schau mich nicht so an Pru!«

»Wie denn?«

»So als ob ich verrückt geworden wäre.«, entgegnete sie.

Ich blinzelte ein paar Mal. »Das denke ich doch gar nicht! Ich hätte nur nicht gedacht, dass es dir so gehen würde.«, erklärte ich.

Wieder peitschte mir der Wind die Strähnen ins Gesicht, die ich mir wieder hinter das Ohr strich. Kate zuckte mit den Schultern und sah auf die Straße.

»Tja, so ist es aber.«

Danach saßen wir schweigend auf der Bank, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Etwas später verabschiedeten wir uns. Zuerst wollte ich Nachhause gehen, doch irgendwie war mir nicht danach. Dieses Gespräch über die andere Welt hatte etwas in mir geweckt. Ich entschied mich, in den Park zu gehen und etwas zu spazieren, um meine Gedanken zu ordnen. Die Abendsonne hing tief am Himmel und erstrahlte in einem warmen Orangeton. Ich sah hinauf in den Himmel, schloss die Augen und genoss die Wärme auf meiner Haut, die mich warm umschloss wie eine Decke. Eine andere Welt. War das ein Zufall, dieses Gespräch? In den letzten Nächten hatte ich immer wieder diese Träume. Träume von einer anderen Welt. Eine Welt, die ganz anders war als die unsere. Diese Träume waren immer so real. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, vermisste ich es wieder. Ich vermisste es, dort zu sein. Denn in diesem Traum gehörte ich dahin, das war mein Zuhause. Auf der Wiese spielten Kinder kreischend und lachend Fangen. War mein Wunsch, dieser Welt zu entgehen etwa so groß, dass mein Unterbewusstsein sich eine andere aufgebaut hatte? Aber dass es Kate genauso ging, hätte ich niemals gedacht. Sie schien immer so zufrieden und glücklich, dass sie das Leben hier genießen würde. Ich seufzte. Mike fiel mir wieder ein. Die Sache mit ihm nagte noch an mir , wollte ich vielleicht deswegen weg? Denn ich hatte mich ihm komplett anvertraut, hatte mich von meiner verletzlichsten Seite gezeigt, doch ich war ihm einfach egal. Wieder packte mich die Wut. Wie oft wünschte ich mir seit unserer Trennung, ihn so richtig zu verprügeln, ihn das spüren zu lassen, was ich spürte. Diesen ganzen Schmerz, die Verzweiflung. Nur wegen ihm hatte ich mich zurückgezogen. Ich lief weiter und die Sonne ging immer weiter unter. Vielleicht war es an der Zeit für eine Veränderung. Ein Windstoß wehte, bei dem die Blätter raschelten und die Vögel daraus vertrieb. Ich sah hinauf und beobachtete sie. Sie hatten es leicht, sie konnten dahin fliegen, wohin sie wollten. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich nahm es aus meiner Hosentasche und es wunderte mich nicht, Mikes Namen auf dem Display zu lesen. Ich nahm mein Handy fester in die Hand. Ich musste etwas verändern. Ich drückte auf ablehnen und ging Nachhause.

Es wurde schon langsam dunkel als ich in der Nähe von meiner Wohnung war. Seit ich mich auf den Weg Nachhause machte, hatte ich wieder dieses Gefühl in mir, dass irgendetwas passieren würde oder könnte. Die ganze Zeit versuchte ich es zu ignorieren, doch es war immer noch da und je mehr ich mich meiner Wohnung näherte, desto stärker wurde das Gefühl. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Schlüsseln, als ich plötzlich mit jemandem zusammenstieß. Als ich mich entschuldigen wollte, sah ich, wer es war und Wut packte mich.

»Was machst du hier Mike?«, zischte ich und ballte meine Hände zu Fäusten.

Er sah mich zärtlich an und machte Anstalten, mich anzufassen. Ich wich ihm aus und presste meine Lippen aufeinander.

»Pru ich will doch nur reden.«

»Und deswegen stalkst du mich?«

Nun presste er seine Lippen aufeinander. »Du reagierst auf meine Anrufe nicht.«

»Das sollte eigentlich für dich ein eindeutiges Zeichen sein, dass ich von dir nichts mehr wissen will.«, sagte ich mit einer lauteren Stimme.

Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, ging ich an ihm vorbei. Es war nicht mehr weit bis zu meiner Wohnung. Ich hörte Schritte hinter mir. Sofort beschleunigte ich mein Tempo und hoffte inständig, dass er einfach gehen würde. Warum konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Gefiel es ihm, mich zu quälen? Endlich erreichte ich die Tür. Als ich aufmachen wollte, packte mich jemand am Arm, drehte mich um und presste mich mit dem Rücken gegen die Eingangstür.

»Bist du verrückt geworden?«, rief ich und wehrte mich gegen seinen Griff.

Sein schlanker, aber dennoch kräftiger Körper presste sich gegen den meinen.

»Ich liebe dich Prudence.«, hauchte er.

Ich wand mich und versuchte ihn an den Schienbeinen zu treten, doch es war alles vergebens. Er schob ein Bein zwischen meine Beine und verhinderte somit, dass ich mich noch mehr wehren konnte.

»Wie vielen hast es noch gesagt?«, zischte ich, während ich versuchte ihn von mir zu schubsen.

Mike presste sich immer noch weiter an mich. »Sie haben mir nie etwas bedeutet.«

»Und ich habe dir gesagt, dass es einen Scheiß ändert!«, konterte ich.

Ich konnte seine Nähe nicht ertragen. Alleine schon, dass er mich anfasste, ekelte mich an. Aber egal, wie sehr ich mich auch wehrte, er ließ nicht los. Sein Gesicht kam mir immer näher und auf einmal, presste er seine Lippen auf die meinen. Es war ein harter Kuss und keiner in der Liebe steckte. Mit einem Mal schmeckte ich bittere Galle. Allein der Gedanke, wo dieser Mund überall war, verdrehte mir den Magen. Ich versuchte zu schreien, versuchte wieder ihn von mir zu schubsen, doch es ging nicht. Plötzlich ließ er von mir ab. Nein, jemand zerrte ihn von mir weg, denn er schrie und fluchte. Als ich meine Augen öffnete, hielt jemand Mike am Hals fest. Dieser keuchte und versuchte die Hand, die ihn festhielt von seinem Hals zu befreien.

»Du kannst ein ›Nein‹ von einer Frau wohl nicht akzeptieren was?«, sagte eine tiefe raue Stimme, die mir bekannt vorkam.

»Hatte ich mich im Club etwa nicht klar genug ausgedrückt?«

»Im Club?« Mike keuchte und wehrte sich immer noch und es machte den Anschein, als ob seine Füße ein paar Zentimeter über dem Boden schweben würden.

»Du sollst sie in Ruhe lassen!«, zischte der andere Mann.

Dann schubste er Mike von sich. Dieser taumelte rückwärts, fiel und stand aber schnell wieder auf und rannte davon. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich stieß sie aus und begann zu zittern. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und ich versuchte erst einmal, das Geschehene zu verarbeiten.

»Alles in Ordnung?«, hörte ich die tiefe Stimme fragen.

Ich starrte immer noch in die Richtung, in die Mike gerannt war. Langsam wandte ich meinen Blick dem Mann zu und traf auf smaragdgrüne Augen. Erneut überkam mich dieses unergründliche Gefühl, wie auch in dem Club.

»Ja, danke.«, keuchte ich und versuchte zu lächeln, was mir nicht wirklich gelang.

Er kam mir etwas näher, so dass die Straßenlaterne sein Gesicht erleuchtete. Es wirkte hart, doch es entspannte sich auch wieder.

»Ich glaube, jetzt wäre es an der Zeit dich zu fragen, wie du heißt.«, meinte ich.

Mir war es in diesem Moment egal, warum er hier war, ob er mich stalkt oder nicht. Ich war einfach nur dankbar, dass er in diesem Moment da war.

Er warf nochmal einen prüfenden Blick auf mich. »Mein Name ist Adrian Moore.«

»Nun, Adrian, danke, dass du mich wieder vor Mike gerettet hast.«, entgegnete ich etwas zittrig.

Sein Mundwinkel zuckte kurz. »Nichts zu danken. Darf ich auch deinen Namen erfahren?«

»Prudence Green.«, antwortete ich.

Seine Augen fuhren mein ganzes Gesicht ab und in ihnen lag ein gewisser Ausdruck, der mich unruhig werden ließ. Ich räusperte mich.

»Warst du wieder zufällig hier in der Gegend?«, fragte ich und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.

»Ja das war ich.«, entgegnete er, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm das glauben sollte. Einerseits war es schon etwas seltsam, dass er zwei Mal an einem Tag, ganz zufällig genau da war, wo auch ich war aber andererseits war ich auch erleichtert, dass er in der Nähe war. Denn wenn er vorhin nicht eingegriffen hätte, wusste ich nicht, wie weit Mike gegangen wäre und genau das machte mir eine scheiß Angst.

»Ich sollte dann besser hoch gehen. Gute Nacht Adrian.«, verabschiedete ich mich von ihm.

»Gute Nacht.«, erwiderte er.

Ich drehte mich um, schloss die Tür auf und verschwand im Treppenhaus. Ich ging die alten Treppen hoch, die bei jedem Schritt knarzten. Im zweiten Stock angekommen, öffnete ich meine Wohnungstür und wurde wie immer von meinem schwarzen Kater begrüßt. Ich schaltete das Licht ein und anstatt so wie immer, meine Schlüssel in die Schale zu werfen, verschloss ich meine Wohnungstür und ließ den Schlüssel stecken. Sicher ist sicher. Dann beugte ich mich zu Blacky vor und begrüßte ihn. Er rieb sein Köpfchen an meiner Hand und es ging mir gleich wieder etwas besser. Als ich mich wieder aufrichtete, fühlten sich meine Muskeln und Knochen mit einem Mal so schwer an. Was war das nur für ein Tag gewesen? Erst würde ich Blacky was zum Essen geben und mich danach auf mein Sofa legen. Somit begab ich mich in meine kleine, aber dennoch gemütliche Küche, nahm den Napf, säuberte ihn und gab frisches Futter hinein. Der Napf war noch nicht Mal richtig auf dem Boden, da kam der Kater auch schon angerannt und begann zu schlingen. Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche, um Kate eine Nachricht zu schreiben.

›Bin jetzt Zuhause. Du wirst es nicht fassen, aber Mike war vor meiner Tür und hat mich geküsst. Gott sei Dank war der Typ vom Club wieder in der Nähe und hat den Mistkerl von mir gerissen.‹