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Dieses eBook: "Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Welch einen Anblick gewährte damals diese nämliche Straße, wie rasselten die Räder der vier- und sechsspännigen prachtvollen Equipagen zwischen alle den vielen Tausenden hin, die, von unwiderstehlicher Schaulust gefesselt, in steter Gefahr, von den vorübereilenden Wagen zerschmettert zu werden, vom Morgen bis zum Abend hier standen und zu den jetzt so spärlich bewohnten Häusern hinaufschauten, in der Hoffnung, irgend ein gekröntes oder sonst hochberühmtes Haupt, oder wohl gar den damaligen unumschränkten Gebieter der Welt an den Fenstern derselben zu erblicken" Johanna Schopenhauer (1766-1838) war eine deutsche Schriftstellerin und Salonnière.
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Seitenzahl: 261
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Mit verdoppelter Eile rauscht die Zeit im Alter an uns vorüber, Tage werden zu Wochen, zu Monaten, zu Jahren, ehe wir uns dessen versehen, während in der Kindheit die zwischen zwei Sonntagen liegenden Wochentage, die wir sehnsuchtsvoll zählen, sich uns zu einer kleinen Ewigkeit ausdehnen, bis endlich der erwünschte Freudentag wieder herankommt, an welchem wir geputzt und schulfrei uns in kindischem Wohlleben festlich ergötzen dürfen.
Aber auch in anderer Hinsicht verdoppelt im Alter sich uns das Leben; auf eine Weise, die gewissermaßen für den Verlust uns entschädigt, den wir durch die größere Eile, mit der die Zeit uns fortreißt, scheinbar erleiden; denn das längst Vergangene wird beim leichtesten Anlaß in Erinnerungen uns wieder wach, deren lebensreiche und mannichfaltige Gebilde die langweilige Oede der Gegenwart uns freundlich verhüllen.
Dieses fühlte ich recht lebhaft, als ich beim Antritt dieser Reise, von Weimar aus, in Erfurt einfuhr und auf dem holprigen Steinpflaster der schönsten und breitesten Straße dieser großen Stadt mich langsam hinschleppen lassen mußte. Was ich um mich her erblickte, eignete sich eben nicht dazu, mir das kleinste Interesse abzugewinnen; einige Bauerwagen, hin und wieder ein Paar Soldaten, Dienstmädchen, Bettler, bedächtigen Schrittes ihren Geschäften nachgehende Bürger, die vereinzelt in der sehr breiten Straße, der Anger genannt, sich dem Auge fast verloren, konnten höchstens nur beweisen, daß die weitläuftige Stadt nicht völlig verödet und unbewohnt dastehe, deren Bauart noch überall Spuren des regungsvollen, reichbewegten Lebens verräth, das in früheren Zeiten sie zu einer der ersten in Deutschland erhob.
Schon war ich im Begriff, über die unbarmherzigen Stöße recht ungeduldig zu werden, die ich in meinem sonst ganz bequemen Wagen auf dem unerlaubt schlechten Pflaster alle Augenblicke erhielt, als mir, ich weiß nicht mehr durch welchen äußern Anlaß, meine Phantasie zu Hülfe kam und mich um zwanzig Jahre zurück, in eine von uns schon mehr als halb vergessene Zeit versetzte, deren man aber, nun die auf ihr ruhende Schmach von uns abgewälzt ist, wohl gedenken mag; Bilder der Vergangenheit zogen an mir vorbei, über die ich jede gegenwärtige Unannehmlichkeit vergaß, und die mich noch viele Stunden weit über Erfurt hinaus begleiteten.
Gerade vor zwanzig Jahren, im Jahre 1808, welch ein buntes unermeßliches lebensreiches Gewühl drängte in diesem nämlichen, jetzt so verödeten Raum sich zusammen, als der damals allmächtige Wille jenes Wunderbaren, der nun auch schon seit Jahren auf der Felseninsel St. Helena vom seltsamsten Lebenstraume ausruht, Kaiser und Könige, und was jene ereignißreiche Zeit an großen bedeutenden Männern nur zählte, wie durch ein Zauberwort sich hier zu versammeln berief!
Welch einen Anblick gewährte damals diese nämliche Straße, wie rasselten die Räder der vier- und sechsspännigen prachtvollen Equipagen zwischen alle den vielen Tausenden hin, die, von unwiderstehlicher Schaulust gefesselt, in steter Gefahr, von den vorübereilenden Wagen zerschmettert zu werden, vom Morgen bis zum Abend hier standen und zu den jetzt so spärlich bewohnten Häusern hinaufschauten, in der Hoffnung, irgend ein gekröntes oder sonst hochberühmtes Haupt, oder wohl gar den damaligen unumschränkten Gebieter der Welt an den Fenstern derselben zu erblicken. Bürger und Bauern, Fremde aus allen Ländern, Hofherren in reichgestickten Galakleidern, deren bis dahin veraltete, jetzt wieder neu aufgefrischte Form der jüngeren Welt fast lächerlich auffiel, während sie die älteren Frauen an die schönen Tage ihrer Jugendzeit erinnerte, polnische Juden, vornehme Staatsmänner und Officiere, mit Orden und Sternen bedeckt, Bürgerfrauen, elegant geputzte Damen, Lastträger, Bauerweiber mit ihren Körben auf dem Rücken wogten hier im wunderlichsten Gemisch durcheinander und wurden von dem zu Fuß und zu Pferde mit klingendem Spiel zum Exerciren ausziehenden französischen Militair ängstlich zusammengepreßt. Der ganze Anger, so lang und breit er auch ist, die Häuser, ja die große Stadt selbst waren viel zu enge, um alle die Tausende von Fremden bequem zu fassen, die in jenen Tagen aus der Nähe und Ferne in dem sonst so stillen Erfurt sich zusammendrängten. Die vornehmsten und angesehensten Einwohner der Stadt waren rücksichtslos aus Küche und Keller, sogar aus ihren eignen Zimmern in die ihrer Bedienten vertrieben, um dem Gefolge des französischen Kaisers Platz zu machen; die Besitzer kleinerer Häuser in abgelegneren Straßen freuten sich hingegen der goldenen Ernte, die ganz unerwartet ihnen zufiel, und hätten sich gern mit den lieben Ihrigen in ein Mausloch zusammengschmiegt, um nur recht viele Zimmer an die zahllosen Fremden zu vermiethen, die täglich von allen Seiten herbeiströmten. Alle Gasthöfe waren längst überfüllt und kein Unterkommen in denselben mehr zu finden.
Napoleon hatte die berühmtesten Schauspieler von Paris nach Erfurt entboten: Talma, die berühmte aber unschöne Duchesnois, die bezaubernde Mars, die schöne George, die reizende Bourgoing zeigten sich wöchentlich mehrere Male zur Unterhaltung der hohen Versammlung in ihren beliebtesten Rollen. Ein kleines, in einem ehemaligen Jesuiterkloster vorgefundenes Theater war in aller Geschwindigkeit mit französischer Behendigkeit und französischer Eleganz zu diesem Zwecke eingerichtet worden. Und so war denn der Anblick aller dieser gekrönten Häupter, dieser weltberühmten Männer, deren Namen man unzählige Male in allen Zeitungen gelesen, von denen in minder bewegten Zeiten jeder einzelne, wo er auch immer sich zeigte, die allgemeinste Aufmerksamkeit erregen mußte, dieser war es nicht allein, was alle diese Fremden nach Erfurt zog.
Billets zu den Seitenlogen wurden bei jeder Vorstellung an fremde und einheimische Damen vertheilt; aber zu dem Besitz eines solchen zu gelangen, war selbst für die in der Nähe wohnenden Damen von Weimar nicht leicht. Es gehörte dazu langes vielfältiges Correspondiren mit unsern im Gefolge des Großherzogs von Weimar in Erfurt anwesenden Freunden, viel Bemühungen von Seiten dieser, viel Protectionen, vom Kammerdiener an bis zu dem Herrn von Champagny hinauf, ehe ich und einige meiner Freundinnen so glücklich waren, die erfoderlichen Billets zu einer Vorstellung des Trauerspiels Oedipe zu erlangen, bei welcher Talma und die seit einem halben Jahrhundert als tragische Königin berühmte Raucourt in den Hauptrollen auftreten sollten.
In mehrere Wagen vertheilt, fuhren wir erwartungsvoll nach Erfurt, lauter Frauen; denn an männliche Begleitung war für uns in jener Zeit nicht zu denken: politisches Interesse, Schaulust, oder auch die mit ihrer Stellung im Dienste des Großherzogs von Weimar verbundene Pflicht hatte alle unsere männlichen Bekannten längst fortgezogen. Glücklich kamen wir an, legten wohlgezählt unsre Billets in dem uns auf einige Stunden abgetretenen Zimmer nieder und versuchten auszugehen; aber das furchtbare Gedränge in den Straßen trieb uns bald wieder zurück; in steter Gefahr, überritten oder überfahren zu werden, sahen wir gar nichts, weil es eben zu viel zu sehen gab.
Welch ein Schrecken ergriff uns, als wir nun unsre Billets zur Hand nahmen, um uns recht frühzeitig in das Theater zu begeben! in hinreichender Anzahl für uns alle hatten wir sie zurückgelassen, und jetzt, wir mochten sie überzählen, so oft wir wollten, immer waren deren zwei zu wenig. Starr vor Entsetzen blickten wir verstummend einander an; daß zwei von uns für ihre Freundinnen sich opfern und im einsamen Zimmer zurückbleiben mußten, war klar wie der Tag. Es war ein furchtbarer, großer Moment, die Zeit drängte, jede von uns fühlte in ihrem Herzen das Erhabene einer solchen unerhört edelmüthigen That; aber jede war auch geneigt, die Ehre der Ausführung derselben der geliebten Freundin zu überlassen. Vergebens wurde jeder Winkel des Zimmers durchsucht, die Billets waren und blieben verschwunden; vermuthlich hatte, mit Hülfe eines Hauptschlüssels, einer der Aufwärter im Hause sich ihrer bemächtigt, um sie unter der Hand zu verkaufen, denn es wurde damals ein bedeutender Handel mit solchen Billets getrieben, und Fremde, die ganz ohne alle Connexionen nach Erfurt kamen, bezahlten sie oft mit mehr als einem Louisdor.
»Hätten wir nur ein Paar Officiere!« seufzte endlich die jüngste unter uns, die während des Congresses schon einmal in Erfurt gewesen war: »ein Officier mit einem Orden ist hier im Theater eben so gut als ein Billet!« Ein hellleuchtender Hoffnungsstrahl drang mit diesen Worten in unsre sorgenerfüllten Gemüther; ein Paar Ritter, wie wir sie bedurften, um uns bedrängte Damen aus dieser Noth zu erlösen, waren unter unsern in Erfurt eben anwesenden Bekannten bald aufzufinden, und so zogen wir denn mit erleichtertem Herzen und fröhlichen Muthes, mit und ohne Billet, am Arm unserer Beschützer dem Theater zu, kamen ziemlich wohlbehalten durch das es umwogende Gedränge, wurden oben an der Treppe von grimmigaussehenden Gardisten empfangen und ohne Weiteres in mehrere Logen des noch fast ganz leeren Hauses vertheilt.
Mir und noch zweien von uns wurde die vordere Reihe einer Loge, ganz nahe an der Bühne, zu Theil, von der wir das Parquet deutlich übersehen konnten. Wir priesen dankbar unser seltenes Glück, indem wir recht bequem uns zurechtsetzten, aber unsre Freude währte nicht lange. Die Seitenlogen füllten sich nach und nach bis zum Uebermaaß, auch die Thüre der unsrigen wurde aufgerissen; »comment,« rief zürnend der über uns die Aufsicht führende Gardist oder Gendarme, ich weiß nicht recht, was er eigentlich war, aber grimmig und militairisch genug sah er aus: »comment, trois femmes sur trois chaises? il-y-a là bien de la place pour six,« und damit schob er noch zwei Damen zwischen uns ein, in denen wir zum Glück zwei Bekannte aus der Umgegend von Weimar fanden.
Alle Logen, und auch die unsrige, füllten sich immer mehr, wir wurden unbarmherzig zusammengepreßt, so daß wir uns kaum noch regen konnten, die Hitze war zum Ohnmächtigwerden, doch dazu hatte jetzt keine von uns Zeit; die hohe Bedeutsamkeit des großen Schauspiels, das allmälig im Parquete sich vor uns entwickelte, nahm Geist und Sinne dermaßen gefangen, daß wir darüber das Unbequeme unserer Stellung völlig vergaßen.
Nahe vor der Bühne waren im Parquet zwei Fauteuils für die beiden Kaiser, und neben diese zu beiden Seiten gewöhnliche Stühle für die Könige und regierenden Fürsten gestellt. Der Raum hinter denselben begann nun sich zu beleben. In Galakleidern, mit Orden und Sternen überdeckt, traten berühmte Staatsmänner und Generale, aus fast allen europäischen Ländern, in das Parquet, lauter Männer, deren damals auf allen Zungen schwebende Namen schon jetzt größtentheils der Geschichte anheimgefallen sind. Die von Gold starrenden Uniformen, der nicht zu verhehlende Uebermuth, welcher sowohl in jeder ihrer Bewegungen, als in ihren lebhaften, größtentheils sehr markierten Gesichtszügen sich deutlich aussprach, zeichnete die Franzosen vor den ernsteren prunklosen Deutschen merklich aus. Berthier, Soult, Caulincourt, Savary, Lannes, Duroc und noch viele Andere von gleicher Bedeutsamkeit standen da in dichten Reihen; der Abglanz der Herrlichkeit ihres Kaisers verklärte auf eine ganz eigenthümliche Weise das Gesicht eines jeden unter ihnen, und mitten unter diesen stand Göthe, mit dem vollen Ausdruck unerborgter stiller Hoheit und Würde in den edlen Zügen, und neben ihm Wieland's ehrwürdige Gestalt. Der Großherzog von Weimar, der, ihre Nähe ungern entbehrend, Beide zu sich nach Erfurt geladen, der geistreiche, von seiner Zeit zu wenig anerkannte Herzog von Gotha, mehrere deutsche Fürsten und königlichen Häusern nahverwandte Prinzen gesellten sich zu jenen Beiden und bildeten einen Kreis um sie her, wie ihn die Welt sobald nicht wiedersehen wird.
Draußen wurde die Trommel gerührt; der Kaiser kommt! ging es flüsternd durch die Reihen in dem übervollen Hause. »Bêtes que vous êtes, que faites vous, ce n'est qu'un roi,« donnerte die zürnende Stimme des commandirenden Officiers, und ein deutscher König trat ins Parquet, noch drei folgten ihm nach und nach, die Könige von Sachsen, von Baiern, von Würtemberg traten still und prunklos herein, der weit später ihnen folgende König von Westfalen überstrahlte sie alle im schimmernden Glanze der reichen Stickerei und der Juwelen. Auch Kaiser Alexander erschien in ernster hoher Majestät; die große Loge dem Theater gegenüber erglänzte im blendendsten Schimmer; in der Mitte derselben thronte die Königin von Westfalen, mit Diamanten übersäet, neben ihr leuchtete wie ein Stern die Großherzogin von Baden, die schöne Stephanie, durch Anmuth und Grazie den blendenden Glanz des reichen Schmuckes bei weitem überstrahlend, den sie trug. Einige zum Besuch gekommene deutsche Fürstinnen saßen jenen Beiden zur Seite, den Hintergrund der Loge füllten die zum Hofstaat gehörenden Damen und Herren. Das geblendete Auge vermochte kaum den von ihr ausgehenden Gold- und Juwelenschimmer zu ertragen.
Auch Talleyrand zeigte sich jetzt in der dem vordern Theil des Parquets dicht zur Seite angebrachten kleinen Parterreloge, die für ihn eingerichtet worden war, weil seine misgestalteten Füße ihm nicht erlaubten, lange zu stehen. Kaiser und Könige standen vor der Brüstung derselben, um sich mit dem ganz bequem Dasitzenden zu unterhalten. Alles war versammelt, nur er allein, der alle diese Großen und Hohen hiehergeladen, fehlte noch und ließ lange auf sich warten.
Endlich wirbelten draußen die Trommeln mit verdoppeltem Getose, Aller Augen wandten dem Eintritt sich zu, in stiller, fast ängstlicher Erwartung. Die wunderbarste, unbegreiflichste Erscheinung jener wunderbaren, unbegreiflichen Zeit zeigte sich endlich, Schmucklos wie immer, fast zu einfach, in seiner gewöhnlichen Kleidung, wie man in jedem Bilderladen ihn abgebildet sieht, begrüßte Napoleon ziemlich obenhin die anwesenden Monarchen, die so lange auf ihn hatten harren müssen, und nahm zur Rechten des russischen Kaisers seinen Armstuhl ein. Seine kurze, etwas unförmlich gewordene Figur contrastirte auffallend mit Kaiser Alexanders hoher, männlichschöner Heldengestalt. Auch dieses Götterbild ist nun dahin.
Die vier Könige vertheilten sich auf ihren nicht sehr bequem scheinenden Stühlen ohne Seitenlehne, und das Schauspiel begann. Doch vergebens bot Talma alle seine Kunst auf, Jokaste-Raucourt, deren Schönheit und Talent schon vor 50 Jahren den Baron Grimm in Paris entzückte, jammerte vergebens über das gröbliche Unheil, das ihre »foibles appas« angestiftet, wir hatten nur Augen und Sinn für das Parquet dicht vor uns. Die Gendarmes an unserer Logenthüre gaben sich indessen alle Mühe, unserer vernachlässigten Erziehung nachzuhelfen und uns während der Zwischenacte zu einem schicklichen Betragen in Gegenwart des Herrn der Welt anzuhalten; »à bas la Lorgnette, l'empereur ne le veut pas!« rief einer von ihnen, über alle hinter uns sitzende Damen sich hinbeugend, uns zu: »tenez vous droite, n'allongez pas le cou, l'empereur n'aime pas cela!« rief ein anderer. Es war viel, aber wir nahmen uns ein Beispiel an den Königen und Fürsten dicht vor uns und ertrugen geduldig die französische Impertinenz, weil wir eben für den Augenblick es nicht abändern konnten.
Gleich bei der Exposition der vielleicht hundertmal von ihm gesehenen Tragödie hatte Napoleon sich indessen in seinem Lehnstuhl recht bequem zurückgelehnt und war fest eingeschlafen. Daß dieses zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht von seinem bloßen Wollen abhing, ist bekannt; Augenzeugen versichern, daß er selbst mitten in einer entscheidenden Schlacht sich vorsätzlich auf eine oder ein Paar Stunden dem Schlaf ergab, um neue Kräfte zu sammeln, und immer zu der von ihm in voraus dazu bestimmten Zeit von selbst wiedererwachte. Heute aber hatte er beim Exerciren seiner Truppen sich viele Stunden lang im freien Felde ermüdet.
Den Furchtbaren, Gewaltigen so aufgelöst im sanftesten Schlummer, so ganz aller seiner, das Glück oder Unheil einer halben Welt bestimmenden Pläne vergessend zu sehen, machte auf uns einen ganz eignen ergreifenden Eindruck. Wir konnten nicht aufhören ihn mit scheuer Verwunderung zu betrachten; denn es liegt nun einmal in der menschlichen Natur, bei ausgezeichneten Menschen gerade durch das Allernatürlichste, wodurch sie Andern sich völlig gleichstellen, sich in Erstaunen versetzen zu lassen, als wäre dergleichen etwas ganz undenkbar Unerwartetes. Die dunkle Uniform des auf der andern Seite neben ihm sitzenden Kaisers von Rußland erhob auffallend Napoleons antik-schönes Profil, indem sie demselben zum Hintergrunde diente. Das tiefe, düsterglühende Auge war von den Augenliedern dicht verschleiert, die schmalen Lippen noch fester als gewöhnlich geschlossen; er lag augenscheinlich so harmlos, so wehrlos da, wie jeder andere Schlafende; und in solcher Umgebung!
Zwanzig Jahre sind seitdem an uns vorübergezogen; welch eine kurze Spanne Zeit, kaum daß sie den dritten Theil eines gewöhnlichen kurzen Menschenlebens umfaßt. Zwanzig Jahre! wie wenig scheinen sie, wenn sie durchlebt sind, und welchen gewaltigen Umschwung hat dennoch dieses Fünftel eines Seculums der Welt gegeben. Wie ist doch Alles so ganz anders in ihr geworden, als man es damals kaum zu träumen wagte. Wir Alle sollten nur recht oft den Blick rückwärts, der uns zunächstliegenden Vergangenheit zuwenden, um der Gegenwart ihr volles Recht angedeihen zu lassen und jeder Unzufriedenheit mit ihr vorzubeugen.
Aber wie furchtbar hat auch in jener Handvoll Jahren die Sichel der Zeit gemäht, und welche große Ernte ist ihr anheimgefallen!
Wo sind die Könige, die Gewaltigen, die Großen alle hin, die hier versammelt waren, wohin er selbst, der sie zusammenrief! Er schläft am meerumbrausten Felsen den langen Schlaf.
Kaiser Alexanders kurzes schönes Leben ist beendet, die Könige von Sachsen, von Baiern, von Würtemberg ruhen in ihren Marmorgräbern, nur der ehemalige König Hieronymus hat sie alle überlebt; doch wer gedenkt noch seiner? mit seinem bunten fantastischen Feenreich ist auch sein Andenken zerstoben wie ein Morgentraum.
Die Großherzogin von Baden, die schöne Stephanie, betrauert schon seit Jahren den in der Blüthe des Lebens ihr entrissenen Gemahl; der Herzog von Gotha, der nur keinen Fürstenhut hätte tragen sollen, um durch Geist, Gemüth und Talent die Welt zu entzücken, auch er ist dahin, sein Stamm erloschen; auch Karl August von Weimar, der Unvergeßliche, lebt nur noch im Angedenken der Seinen und in der Geschichte, die seinen Namen auf die späteste Nachwelt bringen wird. Und wie viel große, bedeutende, für alle Zeiten berühmte Namen von Männern, die damals noch in rüstiger Lebenskraft hier beisammenwaren, könnten diese Todesliste noch vermehren!
Talma, dessen bedeutendes Talent damals sie alle erfreute, auch er ist seitdem von der Bühne des Lebens abgetreten. Wieland's heiterlächelndes Auge ist geschlossen, er schläft neben seinen ihm vorangegangenen Lieben, unter dem grünen Hügel in Osmannstedt, den er sich selbst zur letzten Ruhestätte erkoren, und hat die große Zeit, nach der sein Herz sich sehnte, ohne an ihre Möglichkeit zu glauben, nicht mehr erlebt. Göthe lebt uns noch, in ungebeugter Kraft, und möge ein günstiges Geschick ihn uns noch lange so erhalten!
Im Frühlinge, zur schönen Zeit des fröhlichen Pfingstfestes, wenn die Nachtigall in Blüthenbäumen singt, und der Städter hinauszieht, um sich von dem Erwachen der Natur zu überzeugen, muß man diese altberühmte Stadt sehen, um ein recht lebendiges anschauliches Bild ihrer glücklichen Lage und des lebenslustigen Frohsinns, der Wohlhäbigkeit, des wohlerhaltenen, echt reichsstädtischen Geistes ihrer Bewohner mit sich zu Hause zu nehmen.
Die weite, von blauen Gebirgen umkränzte Ebene, in deren Mitte Frankfurt gleich einer Königin thront, ist schon an und für sich ein unabsehbar großer Garten; schattiges Gehölz, Obstbäume aller Art, deren weitsichausbreitende, hochemporstrebende Kronen der Bewohner des nördlichen Deutschlands mit Bewunderung anstaunt, Weingärten, Fruchtfelder wechseln in demselben auf das anmuthigste; die weißen mit Bäumen besetzen Chausseen, die durch ihn hin zu den vielen Städten, Flecken und Dörfern führen, welche ihn beleben, gleichen Spaziergängen, und mitten durch alle diese Herrlichkeit windet sich der schöne, still-ruhige Mainstrom mit den kleinen Schiffen und Nachen, die auf den bläulichen, silberhellen Fluthen dem vorgesetzten Ziele gefahrlos und sicher zuschweben.
Schon in ziemlicher Entfernung von der Stadt bilden die vielen Hunderte von Gärten, welche die zum Theil großen und prächtigen, immer aber netten und zierlichen Landhäuser der Bewohner von Frankfurt umgeben, einen die Stadt umschließenden Blüthenhain, der immer voller und dichter erscheint, jemehr man derselben sich nähert, bis endlich, dicht vor ihren Thoren, nur noch die Chaussee ihn von den köstlichen Anlagen trennt, die gleich einem riesengroßen, prächtig blühenden Blumenkranz Frankfurt umfrieden.
Fremde und einheimische Bäume und Gesträuche, in voller Blüthenpracht, von Nachtigallen und zahllosen Singvögeln belebt, alle Arten von Jasmin, Rosen, blühende Orangenbäume, die schönsten, zum Theil seltensten Blumen bilden diesen Kranz, umduften und umschatten die anmuthig geschlungenen Pfade, die mit sinniger Wahl angebrachten Gartenbänke, die kleinen dichtbegrünten Grasplätze, auf welchen muntere, gesunde und wohlgekleidete Kinder, unter der Aufsicht ihrer Wärterinnen, ungehindert ihr lustiges Spiel treiben. Alles, was hier wächst, erfreut durch das fröhlichste Gedeihen, kein verkümmerter Strauch, keine zwischen Leben und Sterben matt hinvegetirende Pflanze ist zu erblicken. In keinem fürstlichen Park können die reinlichen Kieswege, die teppichähnlichen Grasplätze, die netten weißangestrichenen Gartenbänke besser gehalten werden als hier. Ueberall bemerkt man das friedliche Walten des Ordnung und Reinlichkeit liebenden Bürgersinnes, der diese schöne Anpflanzung schuf und als sein Eigenthum schonend beschützt. Sie steht Allen offen, dennoch wird kein Baum beschädigt, keine Blume, kein Blättchen abgebrochen, und doch erblickt man nirgends Wächter, die dazu angestellt wären, sie vor frevelnden Händen zu bewahren.
Das Pfingstfest, wie es in Frankfurt gefeiert wird, ist das fröhlichste Volksfest, im echtesten Sinne des Wortes. Von außen wird nichts hinzugethan, weder von hoher Hand angeordnete Feten, noch ein Tanz, »par ordre de mufti«, auf öffentlichen Plätzen. Keine sauern Weine aussprudelnde Fontainen sind zu erblicken, kein »Arbre de cocagne«, mit Schinken und Würsten geziert, keine an hohen schlüpfrigen Mastbäumen aufgehängte, in Todesangst schreiende Gänse. Das Volk ist es, das sich selbst dieses Fest gibt, und zwar mit einer Herzensfreudigkeit, einem innigen Wohlbehagen, die kein Kaiser oder König mit dem größten Geldaufwande hervorzuzaubern vermag.
Kaum ist die liebe Weihnachtszeit vorüber, so fängt auch Jung und Alt schon an sich auf das Pfingstfest zu freuen; um Ostern herum werden schon die Wochen, endlich sogar die Tage gezählt, die bis zu demselben noch vergehen müssen. In der Woche vor Pfingsten hat kein Kind mehr einen andern Gedanken als an das nahe Fest, kein Mitglied des in Frankfurt vorzüglich glücklichen Mittelstandes, keine Hausfrau, kein Handwerker, sogar kein Schneider und keine Modistin zu irgend etwas Anderm Zeit, als zu Vorbereitungen auf die langersehnte Freude, die alljährlich wiederkehrt und alljährlich mit dem nämlichen Entzücken empfangen wird.
Und worin besteht denn eigentlich dieses Fest? Es ist das einfachste und in gewisser Hinsicht zugleich das rührendste, das man sich denken kann, die schönste Frühlingsfeier. Die Leute ziehen hinaus ins Freie, das ist es Alles; Mann und Frau, mit Allem, was zu ihnen gehört, sogar der Säugling in der Wiege wird, wo möglich, mitgenommen, um drei Tage lang, vom Morgen bis zum Abend im Grünen der Wiederkehr der lieben schönen Sommerzeit sich zu erfreuen. Wer ein neues Kleid, ein neues Halstuch, einen neuen Hut, oder auch nur ein Paar neue Schuhe besitzt, zieht in diesen drei Tagen stattlich damit einher, und nur Wenige sind so unglücklich, nichts von allen diesen Herrlichkeiten aufweisen zu können, denn schon lange vorher wird jedes neue Kleidungsstück für dieses Fest zurückgelegt.
Aber hinausziehen muß man diese geputzten Glücklichen sehen, die frohen, zufriedenen Gesichter, und wie sie hernach, im Grünen gelagert, die, größtentheils von Hause mitgebrachten, Gaben Gottes zu genießen wissen; denn was die Familien an Speise und Trank zu verzehren denken, wird gewöhnlich in Handkörben oder sonst zierlich eingepackt von ihnen mit hinausgetragen, und jedes Mitglied derselben nimmt gern einen Theil der freudebringenden Last auf sich. Alles dieses muß man sehen, um die hohe Freude dieses Festes zu begreifen und mitzuempfinden.
Gewöhnlich ist der milde Himmel dieses gemäßigten Klimas der Pfingstfreude günstig, aber sogar ein ziemlich derber Regenschauer vermag nicht leicht sie ganz zu Wasser zu machen. Verdorbene neue Hüte und Hauben bringen zwar für den Augenblick einiges Herzeleid, aber dieses Völkchen ist in sich zu fröhlichen Herzens und größtentheils auch zu wohlhabend, um sich auf die Dauer über solche kleine Unfälle zu betrüben, die sogar späterhin der Freude etwas Pikantes geben, wovon noch lange gesprochen wird. Mancher komische Umstand, der bei solchen Gelegenheiten nie ausbleibt, wird herzlich belacht, man findet, daß der erlittene Schaden doch nicht ganz unwiederherstellbar sei, und daß die Sache noch weit übler hätte ablaufen können. Kurz, es ist ganz Das, was die Franzosen »le bonheur allemand« nennen, indem sie behaupten, daß jeder von uns, der ein Bein bricht, hinterdrein spricht: »es ist doch ein Glück, daß ich nicht beide Beine oder gar den Hals gebrochen habe«.
Der erste Feiertag gehört zur Hälfte dem Gottesdienst, der, besonders an hohen Festen, nicht leicht versäumt wird, erst in den frühen Nachmittagsstunden zieht aus allen Thoren der Stadt die festlich geputzte fröhliche Schar hinaus, um sich in alle den zahlreichen Vergnügungsorten zu vertheilen, die in der Nähe sich ihr bieten. Alle Gärten, sowie die zu ihnen führenden Chausseen und Fußpfade wimmeln von Menschen. In den Gärten der zahlreichen Gasthöfe stößt ein Tisch an den andern, keine Bank, kein Stuhl, kein Grasplatz bleibt unbesetzt, und aus der Kleidung der Gäste leuchtet der höchste bürgerliche Wohlstand, aus ihren Gesichtern die behaglichste Zufriedenheit uns entgegen. Ueberall erschallt Musik; Geigen und Drehorgeln, Harfenmädchen und Flötenspieler klimpern und fiedeln und singen nach Herzenslust, die hin und her rennenden Kellner, die flinken Wirthshausmädchen, die Kuchenbäcker, die Obstverkäuferinnen wissen vor Geschäftigkeit nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, haben nicht Hände genug, um die nach Kaffee, Wein, Backwerk und Cyder verlangenden Gäste zu bedienen, nicht Beine genug, um überall hinzulaufen, wo ihre Gegenwart verlangt wird.
So vergehen die heiter genossenen Stunden; mit dem einbrechenden Abende wogt die fröhliche bunte Schar, noch dichter gedrängt als früher am Tage, den Stadtthoren wieder zu und gewährt einen unbeschreiblich erheiternden Anblick. Der frankfurter Bürger liebt Ordnung und läßt auch in der Freude sich nicht leicht zum störenden Uebermaße verlocken. Kein wüstes Geschrei beleidigt das Ohr, man sieht es hin und wieder den etwas höher gerötheten Gesichtern wohl an, daß sie es sich haben wohlsein lassen im Grünen, aber einen eigentlich Betrunkenen wird man nicht leicht unter ihnen erblicken. Jeder eilt zufrieden seiner Wohnung zu, denn jeder hat noch außer Speise und Trank gefunden, wonach sein Herz verlangte; der Hausvater gute Freunde, mit denen er Stadtangelegenheiten und politische Welthändel erwägen konnte, die Frauen gute Freundinnen, um sich über ihre und ihrer Nachbarn häusliche Angelegenheiten mit ihnen zu berathen, die Kinder haben zwischen alle den Tischen und Bänken sich müde gejauchzt und gejagt, die junge Welt fand Gelegenheit genug, zu sehen und gesehen zu werden, und nicht selten gewährte der freundliche Zufall, daß dem Liebenden begegne sein Glück.
Am Pfingstmontage zieht, wer es nur immer möglich machen kann, nach dem unfern Hanau belegenen Wilhelmsbad hinaus; für den nicht ganz rüstigen Fußgänger macht der weitere Weg schon einen Wagen oder einen, stromaufwärts freilich sehr langsam fahrenden, Nachen nothwendig, aber man richtet sich ein, die Alten und Maroden fahren, die Jungen und Behenden gehen, und die Freude erleidet dadurch keinen Abbruch. Die weitläuftigen Anlagen des schönen Parks, die Anstalten zu ländlichen Spielen, die Kegelbahnen, das Carrousel, die Schaukeln, die man in demselben findet, bieten einen neuen Wechsel von Vergnügungen, und bei günstiger Witterung strömen mehrere Tausend von Frankfurt aus ihnen zu.
Dem Umfange und der Häuserzahl nach darf Frankfurt keineswegs zu den großen, eigentlich nur zu den größern Mittelstädten in Deutschland gezählt werden, aber daß es zu den volksreichsten gehört, wird an diesem Tage vorzüglich bemerkbar.
Die sechs bis achttausend Einwohner, die an demselben in den weiten Schattengängen von Wilhelmsbad sich zusammendrängen, werden auf den Promenaden und in den Gärten rings um Frankfurt her gar nicht vermißt, überall erblickt man die nämliche bunte und zahlreiche Menge sich bewegen, wie am vorigen Tage, selbst die Straßen innerhalb der Stadt erscheinen nicht ganz so verödet und menschenleer, wie ich bei ähnlichen Gelegenheiten sie in Berlin gesehen habe, und Abends ist sogar das Theater mit Zuschauern angefüllt.
Der dritte Feiertag, der aber auch hier in kirchlicher Hinsicht keiner mehr ist, bildet zuletzt den höchsten Lichtpunkt des schönen Festes, an welchem die Freude ihren höchsten Gipfel erreicht. Er ist die eigentliche Frühlingsfeier, denn schon am Morgen ziehen Tausende hinaus, dem nicht weit entfernten, im frisch grünenden Kleide prangenden, Walde zu, in dessen Mitte das Forsthaus, eines der besten und besuchtesten Gasthäuser in der ganzen Umgegend, liegt. Die Tische und Bänke rings um dasselbe her, so groß ihre Anzahl auch ist, vermögen heute nicht alle die herbeiströmenden Gäste zu fassen, auch werden sie den später Nachmittags Folgenden willig überlassen, denn heute gilt es ganz im Grünen, ganz in der freien Natur sich für den Tag anzusiedeln. Viele Hundert mehr oder weniger wohlbesetzte Familienzirkel bilden sich, unter jedem dazu Raum gewährenden Baum, unter jedem schattigen Busch wird offene Tafel gehalten, jeder etwas erhöhte Rasen wird zum Tisch, über den die für die Ihrigen und ihre Gäste sorgende Hausmutter ihr feinstes weißestes Tischtuch ausbreitet, ihn in lockender Ordnung mit dem Besten, was Haus und Keller zu liefern vermochten, besetzt und ihn triumphirend betrachtet, wenn es ihr gelingt, dabei einen noch vortrefflicheren Braten, einen noch größern und schönern Kuchen, noch besseres Tischgeschirr aufweisen zu können, als die Frau Nachbarinnen, die, wenn sie mit ihren Anordnungen fertig sind, herumspazieren, um, mit scharfem Blick Alles prüfend und erwägend, die der übrigen Frauen zu betrachten. Endlich lagert sich Alles zu Freude und Wohlleben, und der Wald wird zum Lustlager, im eigentlichsten Sinne des Worts. Jede häusliche Sorge ist daheim geblieben, Gläserklang und Gesang, Scherz und Lachen füllen die Luft, Alles ist Leben und Freude, die Kinder jauchzen, die Vögel singen, Trompeten, Geigen und alle erdenklichen Instrumente schmettern und klingen im Gebüsch, bis jeder Rasenplatz zum Tanzplatz wird, auf welchem die Jugend im lustigen Walzer sich dreht.
In der Abendkühle kommt die vornehmere Welt in ihren, eine langsam sich fortbewegende lange Reihe bildenden, Equipagen angefahren, um die Volksfreude mit anzusehen, und sie hat Recht. Der Anblick der von zehn bis zwölftausend wohlgekleideten fröhlichen Menschen belebten, von der Abendsonne vergoldeten hohen Laubgewölbe ist wohl der Mühe werth, sich eine Stunde lang im langsamsten Schritt durch die den Wald durchkreuzenden Fahrwege hinschleppen zu lassen, und das Vergnügen, Bekannte zu sehen und von ihnen gesehen zu werden, genießt man noch obendrein. Aus jedem Gebüsch leuchten rosige Wangen, helle glänzende Augen, glückliche Gesichter hervor, die Tanzenden, die Ruhenden, die Gehenden bilden die malerischsten Gruppen von der Welt; heitere, lebendige, mitunter auch humoristische, wie man sie immer sich nur wünschen kann; jeder Genremaler, auch wohl Karikaturenzeichner, der mit seiner Mappe unterm Arm an diesem Tage hierher wandert, kann versichert sein, sie Abends mit den interessantesten Skizzen bereichert zurücktragen zu können, nur möchte ich ihm rathen, es so einzurichten, daß Niemand gewahr werde, was er eigentlich treibt.
Mit dem sinkenden Tage endet abermals die allgemeine Lust und überhaupt das ganze Fest; doch die Erinnerung an die genossenen Freuden wirkt noch zu lebhaft, um sogleich in das gewohnte Gleis der Lebensbahn wieder zurückkehren zu können; manche stillere Nachfeier wird noch gehalten, bis mit dem Eintritt der neuen Woche die gewohnte häusliche Ordnung in ihre vollen althergebrachten Rechte wieder eintritt.
Tages Arbeit, Abends Gäste, Saure Wochen, frohe Feste,
ist und bleibt das Losungswort dieser glücklichen Bürger.
Unglaublich ist es, wie durch neue Bauten das Innere der Stadt Frankfurt alljährlich sich verschönert; schon jetzt darf sie theilweise zu den schönsten Städten in Deutschland sich zählen, ohne dadurch die sie vorzüglich charakterisirende alterthümliche Würde ganz zu verlieren. Die im reichsstädtischen Sinn mit solider Pracht errichteten alten wohlerhaltenen Gebäude thun den neuern, größtentheils in gefälligem einfachen Styl erbauten, keinen Abbruch, und leiden auch keinen durch sie. Das Ganze gewinnt dadurch eine gewisse belebende Mannichfaltigkeit, die man in neuen, nach Maaß und Schnur regelrecht angelegten, Städten vermißt, und die gewiß Niemand durch die jetzt vorherrschende Modernität völlig verdrängt sehen möchte.
Der hier weit mehr, als man es von einer Handelsstadt erwarten sollte, verbreitete Sinn für die Kunst erfreut mich immer von Neuem, so oft ich Frankfurt wiedersehe. Auch außer dem Städel'schen Kunstinstitut besitzt diese Stadt einen in viele Hände verstreuten Schatz von Gemälden, werthvollen Kupferstichen, Handzeichnungen berühmter Meister, die, wenn sie alle auf einem Punkt zusammengebracht wären, eine Galerie bilden würden, wie, Berlin, Dresden und München ausgenommen, nur wenige Residenzen in Deutschland sie aufweisen können.