Jugendleben und Wanderbilder - Johanna Schopenhauer - E-Book

Jugendleben und Wanderbilder E-Book

Johanna Schopenhauer

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In "Jugendleben und Wanderbilder" findet sich der gesammelte Nachlaß der Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, 1839 veröffentlicht von ihrer Tochter Adele.

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Jugendleben und Wanderbilder

Johanna Schopenhauer

Inhalt:

Johanna Schopenhauer – Biografie und Bibliografie

Jugendleben und Wanderbilder

Erster Band

Einleitung

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Sechszehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Sechsunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel

Achtunddreißigstes Kapitel

Neununddreißigstes Kapitel

Vierzigstes Kapitel

Zweiter Band

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Notizen zum zweiten und dritten Band

Jugendleben und Wanderbilder, J. Schopenhauer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849635633

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Johanna Schopenhauer – Biografie und Bibliografie

Romanschriftstellerin, geb. 9. Juli 1766 in Danzig, gest. 16. April 1838 in Jena, Tochter des Senators Trosiener, wurde früh an den 20 Jahre älteren Bankier S. verheiratet und unternahm mit ihm mehrere Reisen durch einen großen Teil Europas. Nach dem Tode ihres Gemahls wandte sie sich 1806 nach Weimar, wo sich bald ein geselliger Kreis um sie bildete, in dem auch Goethe vielfach verkehrte. Durch Fernow (s. d.), dessen Leben sie beschrieb, wurde ihr Interesse auf kunstgeschichtliche Studien hingelenkt. Ihr Verhältnis zu ihrem berühmten Sohne gestaltete sich durch ihre eigne Schuld sehr unerfreulich und endigte mit einem vollständigen Bruch. Von 1832–37 lebte sie in Bonn, dann in Jena. Sie lieferte Reisebeschreibungen, Romane und Charakteristiken, die durch seine Beobachtung und anziehende Darstellung den Beifall der Lesewelt fanden. Ihre »Sämtlichen Schriften« erschienen in 24 Bänden (Leipz. u. Frankf. 1830–31), ihr literarischer Nachlaß u. d. T.: »Jugendleben und Wanderbilder« (Braunschw. 1839, 2 Bde.; neu hrsg. von Cosack, Danz. 1884). Vgl. Düntzer, Goethes erste Beziehungen zu Johanna S. (im 1. Bd. der »Abhandlungen zu Goethes Leben«, Leipz. 1885); Laura Frost, Johanna S. (Berl. 1905). – Ihre Tochter Adele S., geb. 2. Juni 1797 in Hamburg, gest. 25. Aug. 1849 in Bonn, erwies sich in »Haus-, Wald- und Feldmärchen« (Leipz. 1844) und in den Romanen »Anna« (das. 1845), »Eine dänische Geschichte« (Braunschw. 1848) als gewandte Erzählerin.

Jugendleben und Wanderbilder

Erster Band

Einleitung

Où vont tous ces voyageurs?

Ils vont où va toute chôse,

 Où va la feuille de rose

 Où va la feuille de laurier!

Schon unzählige Male, in Versen wie in Prosa, ist bis zum Ueberdruß der Menschen Leben einer Reise verglichen worden; die zwischen beiden obwaltende Aehnlichkeit drängt sich unwiderstehlich Jedem entgegen, und auch ich weiß dieses Vergleichs mich nicht zu erwehren, obgleich ich, eben seiner Vortrefflichkeit wegen, mich seiner schäme.

Da stehe ich nun, zwar etwas reisemüde, aber übrigens doch mit frischem Sinn und voll innerer Lebenskraft auf der Höhe der letzten Station vor dem Ziele. Ich blicke noch einmal hinab auf den zurückgelegten langen Weg, auf die lieblichen Thäler, die ich durchwandelte, auf die steilen dornigen Felsenpfade durch die ich mich winden mußte; zwar will ein wunderbar weiches, aus Freude und Leid zusammengesetztes Gefühl bei diesem Rückblicke sich meiner bemächtigen, doch bin ich im Ganzen wohl zufrieden, so weit gelangt zu sein.

Als vor sechzig bis siebenzig Jahren von Eisenbahnen und Chausseen noch gar nicht die Rede war, und Klopstock seiner um ihn bangenden Cidli aus der Ferne die tröstenden Worte zusang:

»Cidli, Du weinest, und ich schlumm're sicher,

Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht –«

Damals freilich schlich auch das Leben so langsam gemächlich mit dem Menschen dahin, wie Klopstocks Wagen im Sande; einige kleine, unterwegs nicht zu vermeidende Püffe abgerechnet, kam man, halb im Traume, ehe man sich dessen versah, an das uns Allen gesetzte Ziel, dem noch Keiner jemals ausgewichen ist.

Im wirklichen wie im figürlichen Sinne, wie ist doch das Alles in dieser letzten Zeit, in welche die bei weitem größere Hälfte meines Daseins gefallen ist, so ganz anders geworden! Mit verdreifachter und vervierfachter Schnelle gehen Leben und Reisen, in Eilwägen und auf Dampfschiffen vorwärts, sogar die Stunden galopiren. Was aus Armen und Beinen, besonders aber aus den Köpfen werden wird, wenn erst die Eisenbahnen die ganze Erde wie ein Netz umziehen, und vollends Herr Green den Plan ausführt, in Zeit von drei Tagen mit seinem Luftballon nach Amerika überzusetzen und im Verlauf einer Woche die Welt zu umkreisen, das freilich ist eine Schwindel erregende Frage, deren Lösung nur die Zeit gewähren kann. Ob die Reisenden bei ihrer Heimkehr von ihren Erfahrungen soviel werden zu erzählen wissen, als ihre langsamer fortschreitenden Vorgänger, ist ebenfalls sehr zu bezweifeln, doch steht zu hoffen, daß sie in keinem Falle minder unterrichtet zurückkommen werden, als der größte Theil der englischen sogenannten Touristen, welche jetzt schaarenweise in der Welt umherziehen.

Erzählen! Des Alters liebste Unterhaltung; und warum sollte sie es nicht sein? »Daß jeder Narr jetzt seine eigne Geschichte hat, das eben ist keine der geringsten Plagen der jetzigen bösen Zeit,« seufzte freilich einst Goethe, als einige, übrigens ganz vortreffliche Personen, wenige Tage nach der Schlacht bei Jena, in etwas ungehöriger Breite von ihrem während derselben und den ihr unmittelbar folgenden drei Plünderungstagen erlittenen Drangsale uns unterhalten hatten; auch ich habe manches aus meinen früheren Erlebnissen, das ich gern mittheilen möchte, doch Goethe's Ausspruch klingt abschreckend genug, um wenigstens einiges Bedenken dabei zu erregen.

Ein in Unmuth ausgestoßenes Wort macht indessen doch noch kein Gesetz, auch kann man ein Buch, das nicht unterhält, leichter zuschlagen, als langweilige Schwätzer zur Thür hinausführen!

Nach der dem siebenjährigen Kriege nun folgenden dumpfen Ruhe fiel mein Leben in eine sehr ereignißreiche Zeit, und von dem ersten im Jahre siebenzehnhundert und fünf und siebenzig in Philadelphia erfolgten Aufstande der Amerikaner bis auf den heutigen zwei und zwanzigsten Januar des Jahres achtzehnhundert und sieben und dreißig, an welchem der unerwartete Ausspruch der Straßburger Jury über die Empörer, zu Gunsten des Prinzen Louis Napoleon, die vielbesprochene Tagesneuigkeit ist, hatte ich Zeit und Gelegenheit zum Ueberfluß, um manches zu sehen, zu erleben, zu bemerken, was nicht allein meiner eignen Erinnerung, sondern auch der Mittheilung nicht ganz unwürdig sein dürfte.

So sei es denn gewagt! Vielleicht gelingt es diesen meinen Erinnerungen aus meiner langen Lebensreise, sich eine nicht minder günstige Aufnahme zu erwerben, als sie meinen früheren, auf kürzeren Reisen gesammelten Erfahrungen geworden ist. Auch liegt gewissermaßen in dieser Art von Wiedererleben des längst Vergangenen ein eigner anziehender Genuß, dem Schmerzlichen darunter hat die Zeit den verwundenden Stachel abgestumpft, und welcher Seefahrer gedächte nicht gern früherer überstandener Stürme! Die glücklicheren Tage hingegen, besonders die der Kindheit, erscheinen uns im verklärenden, Alles verschönenden Schimmer der sonnigsten Ferne.

Auch muß ich gestehen, ich wünsche durch diese meine Selbstbekenntnisse jenen oberflächlichen Biographien zu entgehen, die, bei seinem Erlöschen, jedem nur einigermaßen bekannten Schriftstellerleben drohen, und mit Hülfe einiger von indiscreten Freunden und Bekannten leicht zu erhaltenden Briefen, Notizen und Anekdoten sich schnell zusammen bringen lassen, wenn gleich die Verfasser derselben während der Lebenszeit des Gegenstandes ihrer Bemühungen, in keine Art von Berührung mit demselben jemals gestanden. Wahrscheinlich beabsichtigen sie nur zur Verewigung seines Namens beizutragen, mir aber erscheinen diese Herren wie Leichenfrauen, welche in Ausübung ihres Amtes den Todten, dessen Wiederbelebung nicht in ihrer Macht steht, wenigstens zum letztenmal mit traurigem Flitterstaat aufputzen, ehe er völlig dem Dunkel des Grabes anheimfällt. Und wer, so lange Sonne und Mond ihm noch leuchten, möchte nicht Alles anwenden, um, wenn seine Zeit vorüber ist, solchen Händen sich zu entziehen?

Und so will ich denn versuchen, mit leichten aber sichern Zügen ein Sittengemälde meiner Zeit, in ihrem Fortschreiten mit mir, zu entwerfen; jener alten ehrlichen Zeit, deren Gebräuche und Lebensweise uns jetzt so fern zu liegen scheinen, als wären sie durch Jahrhunderte von uns getrennt, obgleich seit ihrem völligen Erlöschen kaum funfzig Jahre vorüber gezogen sind. Uebrigens bitte ich nicht zu viel von mir zu erwarten, aber auch nicht zu viel von mir zu befürchten, denn ich verspreche mein Möglichstes zu versuchen, um die gefährlichste aller Klippen, die der Langweiligkeit, zu vermeiden.

Wahrheit will ich geben, reine, unverfälschte Wahrheit, ohne jede Beimischung von Dichtung, aber mit Auswahl, ohne auf eine ausführliche Darstellung aller Ereignisse meines Lebens einzugehen, die doch nur für die Wenigen einiges Interesse haben können, welche persönlichen Antheil an mir nehmen. Mit meinen Herzensangelegenheiten aber will ich die Welt ganz verschonen; behaupten, ich habe deren nie gehabt, wäre eben so nutzlos als albern, denn wer würde es mir auf mein Wort glauben?

Es war damit eben wie gewöhnlich das alte Lied:

»Ä bißerl Liäb un ä bißerl Treu,

Un ä bißerl Falschheit war och mit dabei.«

Um indessen meine Leser so viel möglich auf den Gesichtspunkt zu stellen, von welchem aus ich wünsche, daß sie meine skizzenhaften Darstellungen betrachten mögen, erlaube ich mir noch einige Worte über das, was ich bin und nicht bin, oder vielmehr über das, was ich zu sein und nicht zu sein glaube; denn wer wäre noch jemals zur völligen Erkenntniß seines eignen räthselhaften Selbst gelangt?

Für's erste bin ich keine mit philosophischem Blick und männlichem Muth in alle Verhältnisse des Lebens, des eignen wie des fremden, tief eindringende und tief eingreifende Rahel; aber auch kein excentrischpoetisirendes Kind, dessen übermächtige Phantasie Wahrheit und Dichtung dermaßen in einander wirrt, daß es selbst am Ende beide nicht mehr von einander zu sondern vermag.

Auch lief ich nicht als sechsjähriges Mädchen, wie meine berühmte Vorgängerin, schreibe seligen Andenkens, Frau von Genlis von sich selbst erzählt, in der Tracht eines Cupidon du siècle de Louis quinze, mit einem schön beflitterten Flügelpaar auf den Schultern in meinem elterlichen Hause umher. Ihrer eigenen Versicherung zufolge war Frau von Genlis in dieser Tracht so überschwenglich allerliebst, daß sie viele Monate hindurch sie gar nicht ablegen durfte, sondern Sonntags und Werkeltags ein französirter Amorino blieb, was mitunter wunderlich sich ausgenommen haben mag. Ich war im nämlichen Alter, im kattunenen Kleidchen, mit einer feinen weißleinenen Schürze und einer kleinen Flor-Dormeuse auf dem Kopfe, unter welchem ein gepudertes Toupée hervorsah, herrlich geputzt, und nahm mich ungefähr aus, wie das kleine Louischen auf Chodowiesky's Kupfern zur ersten Ausgabe des Weissischen Kinderfreundes, diesen treuesten Modebildern damaliger Zeit.

Soviel von dem was ich weder war noch bin; viel von dem, was ich zu sein glaube, zu sprechen, steht mir nicht zu, auch werden meine Leser im Verlauf dieser Blätter es selbst wohl einsehen. Nur so viel noch nach dem Zeugniß derer, die mich persönlich näher kennen, bin ich eine heitre, anspruchlose alte Frau, der man im geselligen Umgange die Schriftstellerin gar nicht anmerkt.

Und darauf bilde ich mir etwas ein.

Erstes Kapitel

  Der ist am glücklichsten, er sei

  Ein König oder ein Geringer, dem

  In seinem Hause wohlbereitet ist.

Goethe.

Am fernen Strande der Ostsee, in der alt-ehrwürdigen damals noch freien Reichsstadt Danzig, erblickte ich am neunten Juli des Jahrs siebenzehn hundert sechs und sechzig das Licht der Sonne zum ersten Mal. Ich kam an einem Posttage, deren es damals nur zwei, und nicht wie jetzt, sieben in der Woche gab, zur Welt, deshalb wollten Einige behaupten, meine Ankunft sei an diesem Tage meinem Vater nicht ganz bequem gewesen, weil sie in seinen Geschäften ihn störte; demohnerachtet erregte sie große Freude, um so mehr, da sie meinen Eltern für den Verlust ihres Erstgebornen, eines Knaben, wenigstens einigen Ersatz bot.

Ich erhielt in der Taufe den Namen Johanna Henriette, denn meine Mutter hatte auf ihrer großen und einzigen Reise von zwei und zwanzig Meilen, von der sie immer gern erzählte, in Königsberg ein kleines allerliebstes Mädchen gesehen, das Johanna hieß und Hänschen genannt wurde. Und so hieß denn auch ich ein paar Jahre hindurch Hänschen, bis man es für anständiger hielt, mich in eine französische Jeannette zu übersetzen.

Zu meinem sehr großen Glücke blieb ich nicht lange das einzige Kind; während des Verlaufs von sieben Jahren wurden mir noch drei Schwestern geboren, von denen zwei mir schon in die Ewigkeit vorangegangen sind, die jüngste aber noch in Danzig lebt.

Christian Heinrich Trosiener, mein Vater, zählte sich zwar nicht zu den reichsten, aber doch zu den angesehenen und wohlhabenden Kaufleuten der großen Handelsstadt. Der in Rußland wurzelnde, damals sehr blühende Zweig seines Geschäftes, der jetzt ganz verdorrt ist, ließ keine Art von Sorge in ihm aufkommen. Auch war er fröhlicher und lebhafter Gemüthsart, dabei verständig, von unbestechlicher Redlichkeit und unbeugsam republikanischem Sinne. Angebornes Talent und wohlbenutzte Lebenserfahrungen ließen den fast gänzlichen Mangel gelehrter Schulkenntnisse bei ihm wenig gewahren; als Mann des Volks stand er bei seinen Mitbürgern aus dem Mittelstande in Ehren und Ansehen, denn wann hätte wohl jemals eine Republik, selbst die kleinste, ohne Oppositionspartei bestehen können?

In seinem Aeußern hatte er etwas Imposantes, seine Amtskleidung auf dem Rathhause, der faltenreiche, mit Sammet breit aufgeschlagene Mantel, von schwerer schwarzer Seide, die lockenreiche, weißgepuderte Alongeperücke, die bis auf den Rücken herabreichte, gaben dem großen wohlgewachsenen Manne ein recht stattliches Ansehen. Für die damalige Zeit hatte er bedeutende Reisen gemacht, war in Warschau, Petersburg und Moskau gewesen, hatte in Frankreich, besonders in Lyon, mehrere Jahre zugebracht, und nicht nur die Sprachen dieser verschiedenen Länder, sondern auch eine gewisse geistige und körperliche Gewandtheit sich angeeignet, durch die er auch in seiner äußern Erscheinung sich vortheilhaft auszeichnete.

Ueber alle diese lobenswerthen Eigenschaften warf indessen eine nicht zu zähmende Heftigkeit des Charakters zuweilen ihren sie verdunkelnden Schatten, welche denen, die ihn nicht genau kannten, den Umgang mit ihm verleidete. Gerade wenn man es am wenigsten erwartet hatte, konnte die unbedeutendste Veranlassung zu wildesten, freilich sich schnell wieder legenden Zorn ihn aufbringen. Dann erbebte vor seiner Donnerstimme das ganze Haus; wir Kinder waren ohnehin gewöhnt, uns still zu verhalten, wenn es hieß: »der Vater kommt,« doch alle andere Hausgenossen, bis auf Hund und Katze, liefen ihm dann voll Angst aus dem Wege.

Nur meine liebe sanfte Mutter ließ durch ein solches häusliches Ungewitter sich nicht aus der Fassung bringen; sie wartete in großer Gelassenheit, bis ihr Alter ausgetobt hatte. Sie predigte ihm nicht, sie schmeichelte ihm nicht, sie redete sogar ihm nicht zu; aber sie verstand es, ihn ganz unmerklich zu besänftigen und ihren grimmigen Löwen dahin zu bringen, daß er fromm wie ein Lamm seiner Uebereilung sich innerlich schämte. Uns, jung wie wir waren, entging dies nicht, und wir hatten ihn deshalb nur um so lieber, denn ein Kindergemüth weiß jedes rein menschliche Gefühl gleich anzuerkennen.

Eine gewisse altfränkische Galanterie gegen unser Geschlecht hielt übrigens meinen Vater stets ab, sich gegen unsre Mutter merklich zu vergessen. Während seines langen Aufenthalts in Frankreich hatte er sie sich wahrscheinlich angeeignet, und sie war zur zweiten Natur ihm geworden, ohne jedoch in's Lächerliche zu fallen. Jetzt ist diese alte Sitte dermaßen aus der Mode gekommen, daß meine Leser kaum verstehen werden, was damit eigentlich gemeint ist; sogar uns Töchtern kam diese mildere Sitte zu Gute. In einer ruhigen Stimmung konnten wir als ganz kleine Mädchen vom Vater alles erhalten, was wir wünschten; sobald wir nur nicht zudringlich ungeschickt oder in unserm Verlangen gar zu unverständig uns bezeigten.

Mit wenigen Strichen ist das Bild meiner Mutter, Elisabeth, geborne Lehmann, recht getreu und charakteristisch darzustellen. Ein kleines zierliches Figürchen mit den niedlichsten Händchen und Füßchen, ein Paar große sehr lichtblaue Augen, eine sehr weiße feine Haut und schönes langes lichtbraunes Haar, so war sie in der äußern Gestalt.

Hübsch angezogen sein war ihre Freude, auch mein Vater sah seine kleine Frau gern geputzt und nahm, ohne daß sie ihn dazu aufzufordern nöthig hatte, jede Gelegenheit wahr, welche seine Geschäftsverbindungen ihm boten, um aus Lyon mit Kleidern, Blonden und Hauben, aus Italien mit den schönen Blumen sie zu beglücken, die damals in jenem Lande aus Eierhäutchen und Seidenwürmer-Kokons der Natur täuschend nachgebildet wurden.

Zur rührigen Hausfrau, in dem Sinne der damaligen Zeit, eignete meine Mutter ihrer Natur nach sich wenig, auch war mein Vater keineswegs gesinnt, dieses von ihr zu verlangen; er war völlig damit zufrieden, daß sie die Oberaufsicht über ihr Hauswesen recht verständig zu führen verstand. Uebrigens war sie an ihrem Nähtisch vom Morgen bis zum Abend für sich und die Ihrigen beschäftigt; das alte Sprichwort: was ihre Augen sehen, wissen ihre Hände zu machen, galt im vollsten Maaße von ihr.

In Hinsicht auf das, was in unsern Tagen von Frauen und Mädchen gefordert wird, war freilich die Erziehung meiner Mutter nicht minder vernachlässigt worden, als die der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen. Ein Paar Polonaisen, ein Paar Murkis auf dem Klavier, ein Paar Lieder, bei denen sie selbst sich zu accompagniren wußte, Lesen und Schreiben für den Hausbedarf, das war so ziemlich Alles was man sie gelehrt hatte. Doch Mutterwitz, natürlicher Verstand und jene rege, den meisten Frauen eigne Auffassungsgabe entschädigten sie für diesen Mangel an erworbenen Kenntnissen.

Bis zur Erscheinung von Sophiens Reise von Memel nach Sachsen, hatte sie außer Gellerts Schriften blutwenig gelesen. Romane standen in jener Zeit in sehr schlechtem Kredit, doch bei diesem machte meine Mutter eine Ausnahme, weil er zum Theil in Danzig spielte, und Hermes, der Verfasser desselben, eine Zeitlang in unserer Vaterstadt gelebt hatte. Außer Gellerts schwedischer Gräfin, höchst langweiligen Andenkens, hatte sie noch nie ein Buch dieser Art gelesen, und sie eröffnete durch diese Lektüre sich eine ihr bis dahin ganz unbekannt gebliebene Quelle von Genuß, deren Unversiegbarkeit weiterhin noch ihr spätestes Alter erheiterte.

Und nun! Adam! ehrlicher vieljähriger Diener Deines Herrn; Kasche! Du treue, sorgsame Pflegerin meiner hülflosen Kindheit, Du, die ich so herzlich lieb hatte, und doch im Verein mit meinen Schwestern täglich neue Ungezogenheiten zu Deiner Plage ersann; gute redliche Seelen, möge man es mir nicht verargen, daß ich im Hintergrunde dieses Gemäldes meiner Familie Euren bescheidenen Gestalten ein Plätzchen anweise, wie ihr es im Leben in derselben nicht unrühmlich ausfülltet.

Beide vermischen sich mit meinen frühesten Erinnerungen; gleich bei meiner Geburt nahm Kasche mich in ihre treuen Arme und theilte sich in der Sorge für mich mit meiner Mutter, die im Widerspruch mit dem Hausarzt und dem damals allgemeinen Gebrauch, fest darauf bestand, mich keiner Amme anzuvertrauen.

Kasche war meine erste Lehrerin; von ihr lernte ich, noch früher als meine Muttersprache, polnisch sprechen; so wollte es mein Vater, in der Ueberzeugung, daß durch die sehr schwere Aussprache dieser Sprache, die jeder andern, welche man späterhin erlernt, sehr erleichtert werde. Der Erfolg hat wenigstens bei mir diesen Grundsatz durch Erfahrung bestätigt; polnisch Lesen habe ich indessen nie gelernt, weil Kasche selbst nicht lesen konnte, und da diese Sprache in unserm Hause bald völlig außer Gebrauch kam, indem meine Mutter sie nicht verstand, so habe ich sie sehr schnell gänzlich vergessen. Abends beim Schlafengehen nahm Kasche, als ich noch kaum sprechen konnte, mich auf den Schooß, als ich größer wurde, stellte sie mit gefalteten Händen mich vor den Tisch hin und ließ mich beten:

»Des Walte Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist. Amen!«

Das war mein ganzes Abendgebet, was es eigentlich sagen wollte, wußte ich nicht, kümmerte mich auch gar nicht darum, mochte aber nicht ohne dasselbe in's Bette. Während ich einschlief, sang Kasche mit heller tremulirender Stimme: Nun ruhen alle Wälder, abwechselnd mit: Nun sich der Tag geendet hat; ich hörte aufmerksam zu, bis der Schlaf mich übermannte, und weder die ruhenden »Vieh, Menschen, Städt' und Felder,« im ersten, noch die »schwarzen Nachtgespenster« im zweiten Liede, haben jemals den mindesten übeln Eindruck auf meine Phantasie gemacht.

Uebrigens war Kasche eine Wittwe in mittleren Jahren, aus der Gegend um Thoren herum, wo in jener Zeit in den niedern Ständen die polnische Sprache noch die herrschende war. Jungen Mädchen seine Kinder anzuvertrauen war damals ein Unerhörtes, und der wichtige Posten einer Kinderfrau wurde nur von erfahrenen Personen ausgefüllt, die nachmals, wie unsere Kasche eben auch, als Glieder der Familie, der sie treu gedient hatten, bis an ihr Ende in Ehren gehalten wurden.

Adam war ein vielseitigeres Genie, gleich Molière's Maîtres Jaques im Geizigen bekleidete er in unserm Hause die Stellen eines Kammerdieners, Hausknechts, Lakaien, Kellermeisters, sogar die eines Haushofmeisters, und zwar mit eben so viel Redlichkeit als Geschick. Er nahm meiner Mutter alle jene Details des Hauswesens ab, die selbst zu verwalten ihr zu beschwerlich fiel, und besorgte zugleich alle bedeutenderen Einkäufe, sogar bis auf den des fetten Mastochsens, den mein Vater nach dem damaligen allgemeinen Gebrauch im Herbste zum Wintervorrath einschlachten ließ.

Adam war der einzige im Hause, der meinem Vater alles recht zu machen verstand, was selbst meiner Mutter nicht immer gelingen wollte; dafür nahm er freilich zuweilen es sich heraus, ein Wörtchen mit darein zu sprechen, doch wurde er nicht leicht unbescheiden, und ließ sich schnell wieder in seine Schranken zurückweisen. Höchst selten brach eines jener oben erwähnten häuslichen Donnerwetter über seinem Haupte aus, und fast nie ein recht schweres.

»Unser Herr ist auch ein rechter Narr!« monologisirte Adam einst für sich allein, indem er gleich nach einem solchen Gewitter, das er schweigend über sich hatte ergehen lassen müssen, den Theeapparat herein trug.

»Meinst Du Adam?« erwiederte ihm unerwartet mein Vater, indem er im Sopha hinter dem Theetisch sich aufrichtete, wo Adam ihn nicht bemerkt hatte. Adam sank vor Schrecken fast in die Kniee; doch fiel darüber kein Wort zwischen Herrn und Diener; Beide thaten, als wäre nichts geschehen, und die Sache war zu ihrer Ehre abgethan und vergessen.

Zweites Kapitel

  »Es muß auch solche Käuze geben!«

Goethe.

Ich kann es mir nicht versagen, diesem vielleicht etwas zu sehr Ifflandisirenden Familiengemälde eine jener ergötzlichen Karrikaturen als lustiges Nachspiel anzuhängen, deren Originale in der neueren Zeit, selbst in Krähwinkel, völlig ausgegangen sind. Uebrigens gehört Herr Christophorus Moser, als Buchhalter meines Vaters und unser täglicher Tischgenosse, ebenfalls zu meinen frühesten Erinnerungen und verdient schon für die Mühe, welche er sich gab, mich in der edlen Schreibekunst zu unterrichten, daß ich sein Andenken der Vergessenheit zu entreißen suche.

Herr Moser war ein klein-kleines Männchen, mit einer langen, rothen, spitzigen Nase, neben der ein Paar schwarze Aeuglein unter einer schön frisirten Perrücke hervorleuchteten, an welcher ein großer majestätischer Haarbeutel befestigt war, der ihm fast den halben Rücken bedeckte.

Diese außerordentliche Haarbeutelpracht verdankte der zartesten, keuschesten und treuesten Liebe ihr Dasein; denn schon seit undenklichen Jahren war Herr Moser verlobter Bräutigam der berühmtesten Haarbeutel-Fabrikantin der Stadt Danzig, der Jungfer Nesselmann, mit welcher er ohne Nachtheil für beider guten Ruf wie für ihre Tugend im nämlichen Hause wohnte.

»Die kleine Familie kostet zu viel!« erwiederte er ärgerlich, warf den Kopf auf und drehete dem Ueberlästigen den Rücken zu, der zu fragen sich erkühnte, ob der Hochzeitstag schon angesetzt sei?

Sein Stolz und seine Freude war: »ein Nürnperger Pürger« zu sein; so sprach er in seiner harten fränkischen Mundart es aus, die bei seinem steten Verwechseln des B mit P, des G mit K, des D mit T, uns unaufhörlich zum Lachen reizte. Besonders setzte ich, »Jungfer Scharnetta,« wie er mündlich und schriftlich mich nannte, ihn dadurch oft in Verzweiflung, und bedachte, oder vielmehr bemerkte in meinem kindischen Uebermuthe nicht, daß der damalige gedehnte singende Danziger Dialekt, der aber jetzt mit jedem Jahre mehr verschwindet, doch auch nicht der lobenswertheste sei.

Mittags, wenn mein Vater zuweilen länger als gewöhnlich an der Börse verweilte, nahm Herr Moser gern die Gelegenheit wahr, sich ein halbes Stündchen vor Tisch in unserem Wohnzimmer einzustellen, um mit meiner Mutter zu politisiren, die ihrerseits ebenfalls froh war, von Krieg und Frieden, und wie es zufolge des Hamburger Korrespondenten überhaupt in der Welt stehe, etwas zu erfahren.

Doch auch Gegenstände anderer Art kamen zuweilen zur Sprache; Herr Moser wußte Geschichten zu erzählen, für deren Wahrheit er sich hoch und theuer verbürgte, und bei denen uns Allen, die Mutter mit eingeschlossen, sogar am hellen Mittag kaltes Grausen überkam, die wir aber allesammt doch gar zu gern anhören mochten.

Zum Beispiel von Faust's Höllenzwang, den er mit eigenen Augen in der Bibliothek zu Nürnberg mit schweren eisernen Ketten an den Tisch angeschmiedet gesehen, und nicht für die halbe Welt nur mit einem Finger das Buch habe berühren mögen. Einer seiner Jugendfreunde aber war so vorwitzig, sich in die Bibliothek einzuschleichen, sich dort einschließen zu lassen, und wollte nun darüber her, die Beschwörungen aus dem Höllenzwange zu kopiren. Doch was geschah! Ueber Nacht entstand ein gewaltiger Sturm, der das Dach der Bibliothek abzudecken drohte, und am Morgen fand man den jungen Frevler bewußtlos unter dem Tische liegen; er wurde zwar wieder zu sich selbst gebracht, blieb aber von Stund' an tiefsinnig sein Lebenlang, und wollte Niemandem entdecken, was in jener Nacht ihm widerfahren sei.

Auch vom Nativitätstellen wußte Herr Moser viel zu sagen, und wie es damit doch sein eignes Bewandniß habe, und gar nicht »mit Ohne« sei. Er selbst hatte einen jungen Nürnberger Patrizier gekannt, dem seine Eltern bei der Geburt die Nativität hatten stellen lassen, und dem aus den Sternen geweissagt worden war, daß er in einem bestimmten Jahre, an einem bestimmten Tage, durch einen schneeweißen Schimmel ums Leben kommen werde. Nichts war wohl natürlicher, als daß die gnädige Mama ihn an dem Tage nicht aus dem Zimmer ließ, und siehe da, von der nach damaliger Art mit Hautreliefs von Stuckatur geschmückten Decke lösete ein schweres weißes Pferd von Gyps sich ab, und erschlug den, nach dem Beschluß der Sterne frühe dem Tode Geweihten.

Die schönste von allen seinen Geschichten, bei deren oft von uns erbetenen Wiederholung mein kleines republikanisches Herzchen jedesmal in freudige Bewegung gerieth, war die Beschreibung eines alten Gebrauchs, der, wie Herr Moser behauptete, damals noch alljährlich in Nürnberg stattfand. An einem dazu bestimmten Tage hielt ein über und über geharnischter Reiter vor dem Thore und verlangte in die Stadt gelassen zu werden; die Nürnberger fragten, in wessen Namen er Einlaß begehre.

Im Namen Seiner Majestät des Königs von Preußen, erwiederte der Geharnischte, und nannte der Reihe nach die übrigen Titel des Monarchen, welche alle auch Herr Moser mit bewundernswürdiger Zungenfertigkeit ableierte, zuletzt kam auch

Burg-Graf von Nürnberg!

Mit Nichten! riefen die tapfern Nürnberger, warfen, bautz! ihr Thor ihm vor der Nase zu, und der Geharnischte ritt wieder hin woher er gekommen, um im nächsten Jahre wieder zu kehren.

Mir schien es wirklich, als ob das etwas ungeheuer Großes sei!

Doch wie wurden alle diese Geistesgaben durch die seltne Pracht in Schatten gestellt, in welcher Herr Moser an heitern sonnenhellen Festtagen der staunenden Welt sich zeigte! Unter dem Arme das kleine schwarzseidene Dreieck, damals Chapeau-bas genannt, ebenfalls ein Meisterwerk seiner kunstfertigen Braut, dann der prächtige postillon d'amour, ein sehr breites schwarzes Band, das, vom Haarbeutel ausgehend, locker und leise seine Wangen umspielend, auf seiner Brust im breiten Jabot sich verlor.

Und nun noch das grasgrüne, überall, sogar rings um die zahllosen Knopflöcher mit Gold besetzte Kleid! An hohen Festen, zu Ostern und Pfingsten, war dies Kleid sogar scharlachroth, dann vermochte kein sterbliches Auge den Glanz zu ertragen. Dazu noch die Kleinodien, die lang herabbaumelnde goldige Uhrkette, den Ring am kleinen Finger, groß wie ein recht großes Achtgroschenstück, aus unzähligen kleinen Rosetten und Tafelsteinen künstlich zusammengefügt, dann die den ganzen Fuß bedeckenden funkelnden Steinschnallen. Schon damals hatte die ganze große Stadt Danzig kaum eine zweite Figur dieser Art aufzuweisen; jetzt würde man wohl vergeblich die ganze Welt darnach durchstreifen.

An solchen Tagen fiel es Herrn Moser gar nicht ein, mit meiner Mutter die Geheimnisse der europäischen Kabinette ergründen zu wollen; kerzengerade stand er wenigstens anderthalb Stunden im brennendsten Sonnenschein auf den breiten Stufen vor unserm Hause, ließ Ring und Schnallen nach allen Seiten hin ihre Strahlen versenden, kratzte mit großem Geräusch zu einem zierlichen Tanzmeister Bückling aus, und schrie überlaut: »Kehorschamster Tiener, Herr so und so!« wenn ein bedeutender Mann auf der Straße sich zeigte.

Kurz vor Tische ging er gewöhnlich noch zur Abkühlung ein Viertelstündchen auf die Jagd; er begab sich nämlich in den schattigen Hausflur, fing Fliegen, riß ihnen einen Flügel aus und legte sie so verstümmelt unserm großen Zücher-Kater vor, der ruhig im Fenster sich sonnte; worüber ich dann jedesmal in heftigen Zorn gerieth.

Gewiß gab es an solchen festlichen Tagen kein glücklicheres Wesen auf Erden, als Herrn Moser, wenn nicht vielleicht seine Braut es war. Was mag ihr liebendes Gemüth empfunden haben, wenn der Bräutigam aus ihren ihn schmückenden Händen entlassen, in solcher Pracht die Straße herab stolzirte! Doch leider gedeiht unterm Monde kein dauerndes Glück! Einige Jahre später fingen die Zöpfe an die Haarbeutel zu verdrängen, Zopfperrücken sogar nahmen Ueberhand! Das gefühlvolle Herz der Jungfer Nesselmann erlag diesem Schmerz: sie starb!

Unglaublich ist es, aber doch wahr, kaum Jahr und Tag war vergangen, als der kleine Treulose mit ihrer Nachfolgerin in dem immer mehr sinkenden Geschäft sich wirklich vermählte.

Meine gute liebe Mutter stellte ihn darüber recht ernstlich zur Rede. »Ach!« seufzte lächelnd Herr Moser, »heißt sie doch gerade wie die seelige Jungfer, Adelgunda!«

Drittes Kapitel

  Nach Sevilla, nach Sevilla!

  – – wo sich Nachbarn freundlich grüßen,

  Mädchen aus den Fenstern sehen,

  Ihre Blumen zu begießen,

  Ach! da sehnt mein Herz sich hin!

Brentano.

Das Gepräge ehemaligen hohen Wohlstandes, und der aus diesem entspringenden soliden Prachtliebe ist meiner Vaterstadt so tief aufgedrückt und dermaßen mit ihrem ganzen Wesen verzweigt und verwachsen, daß es unmöglich wäre, sie zu modernisiren, ohne sie ganz zu zerstören und ein neues Danzig auf der Stelle des alten zu erbauen.

Wie in allen einst durch den alten Hanseatischen Bund vereinigten Städten, stehen auch in dieser alle Häuser mit der Giebelseite der Straße zugewendet, und erscheinen daher nicht nur, im Vergleich zu ihrer Breite, von unverhältnißmäßiger Höhe, sondern sind es auch wirklich; und müssen es sein, um den ihren Bewohnern nothwendigen Raum der Luft abzugewinnen, welchen der durch die Festungswerke beschränkte feste Boden zu karg ihnen gewährte.

Auch wühlten unsere Vorfahren zum nämlichen Zwecke sich tief in die Erde hinein; weitläufige Keller, oft zwei Stock über einander, ziehen unter den Häusern sich hin, deren Gewölbe einige Fuß über die Oberfläche sich erhebt und eine Art Souterrain bildet, das häufig zu ziemlich bequemen, weder feuchten noch sehr dunkeln Wohnungen eingerichtet ist, zu denen man von der Straße aus hinabsteigt, und die von Bürstenmachern, Korbflechtern, besonders aber von Obst-, Gemüse- und Milchverkäufern vorzugsweise gesucht werden.

Hierin scheint mir die erste Veranlassung der ganz eigenthümlichen Bauart zu liegen, durch welche meine Vaterstadt von allen andern ihr sonst so ähnlichen alten Städten sich unterscheidet. Die Hauptstraßen in Danzig sind weit breiter als in jenen; in dem Raum zwischen den beiden einander gegenüberliegenden Häuserreihen könnten zwei, ja drei Kutschen bequem neben einander hin fahren, und zu beiden Seiten bliebe noch Platz für einen mit Platten belegten Fußweg. Und dennoch ist die eigentliche fahr- und gangbare Straße durchweg so enge, daß ein recht gut eingefahrner Kutscher es nicht immer vermeiden kann, mit seinem ihm entgegenkommenden Kollegen in unangenehme Kollision zu gerathen. Die in solch einen Wirrwarr hineinkommenden Fußgänger aber haben genug zu thun, um nur ihre gesunden Gliedmaßen zu salviren.

Die Beischläge vor allen Häusern, von denen aber das, was man in Hamburg oder Lübeck mitunter so nennt, nicht den Schatten eines Schatten bietet, sind die alleinige Ursache dieser seltsamen Erscheinung. Doch womit soll ich sie vergleichen, um nur eine einigermaßen anschauliche Idee von diesen wunderlichen Propyläen zu geben, durch welche die alte nordische Stadt ein fast südliches Ansehen gewinnt, und in denen in meiner frühen Jugendzeit ein großer Theil des häuslichen Lebens mit jetzt unglaublicher Offenherzigkeit, fast so gut als auf freier Straße, betrieben wurde.

Balkone sind diese Beischläge nicht, eher möchte ich geräumige, ziemlich breite Terrassen sie nennen, die, mit großen Steinplatten belegt, längs der Fronte des Hauses sich hinziehen, zu denen einige breite bequeme Stufen hinaufführen und die straßenwärts mit steinernen Brustwehren versehen sind.

Zwischen den aneinanderstoßenden Beischlägen der zunächst benachbarten Häuser bilden vier bis fünf Fuß hohe Mauern die Grenze; blecherne Röhren führen der auf derselben ruhenden steinernen Rinne das Regenwasser von den Dächern zu, die diese durch den Rachen kolossaler, zuweilen recht kunstreich in Stein gehauener Wallfisch- oder Delphinköpfe wieder ausströmen läßt.

Die launigste aller Herrscherinnen, die Mode, nimmt seit einiger Zeit alles, was sonst als altfränkisch verschmäht wurde, unter dem Namen Rokoko in ihren mächtigen Schutz; möge es ihr gefallen, diesen auch den Danziger Beischlägen angedeihen zu lassen! Schwerlich giebt es ein grandioseres Rokoko, das dessen würdiger wäre.

Häuser von mehr als drei Fenstern in der Fronte gab es in meiner Jugend in Danzig nur wenige; und sie gehören wohl noch zu den Ausnahmen; weit häufiger sind die, welche nur zwei Fenster aufzuweisen haben, und wie kahl, wie jämmerlich vereinzelt müßten diese vier bis fünf Stock hohen Häuserstreifen ohne den sie dem Auge zu einem Ganzen verbindenden Vorhof der Beischläge dastehen.

Die unbeschadet der Vorliebe für Rokoko immer weiter um sich greifende Verschönerungs- oder vielmehr Modernisirungssucht unserer Tage droht aber schon seit geraumer Zeit ihnen den nahenden Untergang. Schon sind die alten herrlichen Kastanienbäume vor den Häusern verschwunden, deren weit sich ausbreitende Zweige Kühlung und Schatten gewährten, unter welchen der arbeitsmüde Bürger in der Mitte der Seinen oder im Gespräch mit dem zu ihm sich herüber beugenden Nachbar einer Art leidlichen Genusses sich erfreuete.

Denen, die durch ihre Verhältnisse die ganze Woche hindurch in der Stadt festgehalten wurden, brachten die aufbrechenden Knospen dieser schönen Bäume alljährlich Kunde von dem draußen eben angelangten Frühling, und seine Einladung, am nächsten Sonntage ihn vor dem Thore aufzusuchen, wo er in aller Pracht und Herrlichkeit sie erwarte.

Und welch' einen Spielplatz bot in meiner Jugend der Beischlag den Kindern! so sicher, so bequem! Dicht unter den Augen der oben am Fenster nähenden und strickenden Mutter, die zuweilen es nicht verschmähte, mitten unter ihnen des milden Abends zu genießen. Bei leidlichem Wetter brachten wir mit unsern Gespielen alle unsere Freistunden in diesem Asyl zu, das noch den unschätzbaren Vorzug besaß, daß wir unsers lärmenden Treibens wegen weniger gescholten wurden, weil es hier bei weitem nicht so lästig wurde, als im Hause selbst.

Mehrere Häuser, deren Giebel mit Statüen und andern architektonischen Verzierungen von Bildhauerarbeit geschmückt sind, zeugen noch heute sowohl von dem Reichthum als von der Kunstliebe unserer Vorfahren, welche bei deren Erbauung mit nicht unbedeutendem Geldaufwande diese Kunstwerke von guten Meistern in Italien verfertigen und nach Danzig kommen ließen. Andere, früheren Tagen angehörende Häusergiebel stehen noch in ihrer, fast noch aus der Zeit der Tempelherren stammenden Alterthümlichkeit da, doch neigen sich diese ganz ihrem Verfalle zu, und ihre Anzahl wird immer geringer.

Das schönste und merkwürdigste derselben, welches ehemals meinem Onkel Lehmann angehörte und auch von ihm bewohnt wurde, ist, wie ich höre, vor einigen Jahren auf Höchsten Befehl gekauft, sorgfältig abgebrochen und auf die Pfaueninsel bei Potsdam verpflanzt worden. Allerdings ist dies eine sehr ehrenvolle Bestimmung, doch fürchte ich, daß es dort bei weitem so gut sich nicht ausnimmt, als in seinen ehemaligen, ihm angemesseneren Umgebungen in der Brotbäcker-Gasse.

Viertes Kapitel

  Es ist das kleinste Vaterland der größten Liebe nicht zu klein:

  Je enger es Dich rings umschließt, je näher wird's dem Herzen sein.

Wilhelm Müller.

Daß das Land, daß die Stadt, in welcher wir geboren und erzogen wurden, auf die Bildung unseres Geistes, wie überhaupt auf die Entwickelung unseres ganzen Wesen den mächtigsten Einfluß üben, ist eine fast unbestrittene Thatsache. Bei mir aber tritt noch überdem der beinah unglaubliche Fall ein, daß Beides, ja ich möchte sagen, der Gang, den das Leben später mit mir genommen, von dem unbedeutenden Umstande abhing, daß das Haus meiner Eltern gerade an der Stelle und an keiner andern stand. Einige Häuser höher hinauf oder tiefer herunter, sogar in der nämlichen Straße, und wahrscheinlich wäre Alles anders gekommen, und ich selbst eine ganz Andere geworden.

An der Mittagsseite der heiligen Geist-Gasse liegt das Haus, in welchem ich geboren wurde, unfern dem nach der langen Brücke führenden Thor, über welchem damals die Räume sich befanden, in welchen die dortige naturforschende Gesellschaft ihre Zusammenkünfte hielt und ihre Sammlungen aufbewahrte.

Die lange Brücke aber ist gar keine Brücke, sondern ein hölzerner Kai, an der Landseite längs den Häusern mit Buden besetzt, in welchen Früchte, Blumen und sonst noch allerlei, was ein Kinderherz erfreuen kann, zum Verkauf ausgestellt wird. Zwischen diesem Kai und der gegenüberliegenden Speicherinsel fließt die hier ziemlich breite, mit Schiffen und Barken belebte Mottlau still und ruhig der nahen Weichsel, und im Verein mit dieser dem Meere zu.

Das Haus meiner Eltern gehörte zu der in Danzig gewöhnlichsten, drei Fenster breiten Mittelgattung, die man weder schön noch häßlich, weder groß noch klein nennen kann; auch wich die innere Einrichtung desselben von der dort gewöhnlichen durchaus nicht ab, und war für den Bedarf unserer Familie bequem und geräumig genug.

Keine besternte Lyra bezeichnete schon vor meiner Geburt unser Dach; die einzige Auszeichnung, deren es sich zu rühmen hatte und wohl noch hat, besteht darin, daß statt der Götter, Engel, Vasen, Adler, Pferde und andern Gethiers, das dort von der Höhe anderer Häuser auf die Straße hinab schaut, auf der höchsten Giebelspitze desselben eine große metallene Schildkröte auf dem Bauche liegt, und mit nach allen Weltgegenden ausgestreckten, stark vergoldeten Pfoten und Kopf beträchtlich nickt und zappelt, wenn der Wind heftig weht. Diese langmüthige Kreatur mochte vielleicht schon weit über hundert Jahre sich so abgemühet haben, ohne sonderlich beachtet zu werden, aber Herrn Mosers Scharfblick entging diese Bemerkung nicht; er machte mich darauf aufmerksam, und wir Beide waren die Einzigen im Hause, die dieses bewundernswerthe Kunstwerk gehörig zu würdigen verstanden.

Zur linken Seite stieß die englische Kirche, zur rechten ein Gasthof an unser Haus, doch bitte ich, daß dabei Niemand an das alte Sprichwort denken möge, nach welchem der Teufel sogleich neben jedem Gotteshause ein Kapellchen sich anbauet, denn jene englische Kirche ist eigentlich nichts anderes, als eine kleine, recht freundliche Hauskapelle, die nur höflicher Weise Kirche genannt wurde; an dem uralten rostigen Schiffergilden-Hause aber, das wenigstens viermal größer ist als die Kirche, konnte der Teufel auch keine Macht haben, obgleich es einem verwünschten Schlosse sehr ähnlich sah; denn die Bewohner desselben waren sehr brave ehrbare Leute.

Alle bürgerlichen Gewerbe waren damals noch in Zünfte und Gilden getheilt, deren jede ihr eignes Haus besaß, wo Meister und Gesellen zu besondern, auf ihre Privilegien, Gesetze und Gebräuche Bezug habenden Zwecken sich versammelten, besonders aber zur Fastnachtzeit zu Banketten, bei denen es hoch und wild herzugehen pflegte.

Schon der Name deutet an, daß das Schiffergilden-Haus das Eigenthum der damals sehr bedeutenden und geachteten Gilde der Danziger Schiffer war. Dort kamen sie, in den sich dazu vorbehaltenen Räumen zusammen, um sich über die Angelegenheit ihrer Corporation zu berathen, oder auch, um auf allgemeine Kosten und zum allgemeinen Besten es sich bei Tische wohl sein zu lassen. Bunte Wimpel und Flaggen neben einer weißen, mit dem Danziger Wappen bemalten Fahne, groß wie ein Segel, flatterten dann vom Beischlage herab und verkündeten der Nachbarschaft die Feier des Tages.

Die übrigen Räume des weitläufigen, winkligen Gebäudes blieben dem Gastwirth überlassen, der nicht nur für den geschicktesten Koch in Danzig galt, sondern sogar einer über-europäischen Berühmtheit sich erfreuete. Seine winzig kleinen eingemachten Glasgurken gingen unter der Flagge seiner Beschützer in alle Welt, und von seinen kolossalen Baumkuchen wurden sogar große Sendungen bis nach Amerika verladen.

Freundlicher, ewig heiserer Herr Nachbar Bergmann, leicht sei Dir die Erde; dankbar gedenke ich Deiner, denn in der glühenden Hitze Deines Küchenherdes, mitten in den wichtigsten Arbeiten, zur Besorgung einer hochzeitlichen Tafel, hast Du auch Deiner kleinen Nachbarin gedacht! Mit manchem Gläschen süßen Gelée, manchem Tellerchen köstlichen Backwerks, die Du durch Adam mir übersandtest, erfreuetest Du bei solchen Gelegenheiten mein kindliches Gemüth. Dafür sei denn in diesen Blättern Deinem Namen ein ewiges Denkmal gestiftet, so weit nämlich in unsern Tagen eine solche papierne Ewigkeit reichen kann.

Doch wenden wir uns jetzt der linken Seite des Hauses meiner Eltern zu.

In Folge eines, in früheren Zeiten abgeschlossenen Kontrakts, der bedeutende, sonst nur dem eingebornen Bürger zuständige Rechte ihnen zusicherte, hatte seit langen Jahren eine Gesellschaft englischer Kaufleute mit ihren Familien in Danzig sich niedergelassen, und im Verlaufe der Zeit dermaßen sich eingewohnt, daß es weder von ihrer noch von unserer Seite Jemandem mehr in den Sinn kam, sie als Fremde zu betrachten. An der Börse wurden ihre Häuser den ersten der Stadt gleichgestellt, in Sitten und Gebräuchen wichen sie von den übrigen Einwohnern so wenig als möglich ab. Sie sprachen Deutsch, machten die Nacht nicht zum Tage, aßen nach Landesgebrauch um ein Uhr zu Mittag, erzogen ihre Kinder, die größtentheils in unserer Mitte geboren worden waren, auf die bei uns übliche Weise, und betrugen sich im Ganzen wie vernünftige Leute thun, die nicht darauf ausgehen, durch thörichte Anmaßung und alberne Alfanzereien sich und Andern das Leben zu erschweren.

Das Haus meinem elterlichen zur Linken war das Eigenthum dieser englischen Kolonie; mit Aufopferung des besten Theils desselben, waren die belétage und die über derselben durchbrochen worden, und eine hohe, helle, ziemlich geräumige Kapelle entstanden, der es weder an einer Orgel, noch an einer Kanzel fehlte, noch an dem nach englischen Gebrauche unter dieser angebrachten Katheder für den das Morgengebet ablesenden Clerk oder Küster.

Der übrig gebliebene Raum des Hauses war zur Wohnung ihres Geistlichen eingerichtet, den sie selbst sich erwählte.

Fünftes Kapitel

  In truth, he was a strange and wayward wight,

  Fond of each gentle and each dreadful scene:

  In darkness and in storm he found delight,

  Nor less than when on Oceans wave serene

  The southern sun diffus'd his dazzling sheen.

  Even vicissitude amus'd his soul;

  And if a sigh would sometimes intervene,

  A sigh, a tear so sweet, he wish'd not to control.

The Minstrel.