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Ausgemotzt E-Book

Carla Naumburg

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Beschreibung

<p><strong>Kein Austicken mehr! </strong><br /><strong>Ihr Weg zur glücklichen, ausgeglichenen Mama</strong></p> <p>Niemand kann uns so zur Weißglut treiben wie unsere Kinder. Wir lieben sie über alles, trotzdem explodieren wir manchmal. Und nachdem man lautstark geschimpft und gebrüllt hat, folgen Scham und Reue. Doch Sie sind keine schlechte Mutter, nur weil sie mal austicken, Sie machen einen großartigen Job! Aber vielleicht geht es Ihnen selbst nicht gut damit und Sie suchen nach anderen Lösungen.</p> <p>Die promovierte Sozialarbeiterin Dr. Carla Naumburg zeigt Ihnen einfache Schritte, um die Ruhe zu bewahren:</p> <ul> <li>Welches sind Ihre Trigger, die Sie zum Austicken bringen, und wie können Sie mit ihnen umgehen?</li> <li>Lernen Sie die besten „Abkühl-Methoden“ kennen, z.B. Singletasking, Mitgefühl für sich selbst entwickeln, Stille suchen oder auch mal eine Dehnübung...</li> <li>Wenn es doch passiert ist: Wie bringen Sie die Welt nach einem Ausraster wieder ins Lot?</li> </ul> <p>Schritt für Schritt zu mehr Gelassenheit - für entspannte Eltern und zufriedene Kinder.</p> <p> </p>

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ausgemotzt

Wie Sie es schaffen, Ihr Kind ohne Schimpfen & Schreien zu erziehen

Dr. Carla Naumburg

1. Auflage 2021

10 Abbildungen

Widmung

Für meine Töchter, ohne die ich nicht aus der Haut gefahren wäre.

Für meinen Mann, der so gut wie nie die Nerven verliert und mich immer noch liebt, ganz gleich, wie oft ich überkoche.

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Widmung

Höchste Zeit für mehr Gelassenheit

Sechs Fakten zum Thema Ausrasten

Warum Sie’s bislang nicht hinkriegen

Schritt 1: Verstehen, wie es zu Ausrastern kommt

Schritt 2: Zu den eigenen Triggern stehen

Schritt 3: Zusammenhänge verstehen

Schritt 4: Cool bleiben

Schritt 5: Was tun nach einem Ausraster?

Warum rasten Sie aus?

Die typischen Kennzeichen eines Ausrasters

Was bedeutet es, nicht zu explodieren?

Warum Ausrasten schlecht ist

Warum ist es so schwer?

Warum ist Kindererziehung so verdammt schwer?

Warum wir ausrasten, wenn es hart auf hart kommt

Was Ihr Nervensystem mit dem Ausrasten zu tun hat

Eine kleine Zwischenbilanz

Mein Weg zu mehr Gelassenheit

Meine persönlichen Gründe fürs Ausrasten

Wie ich die Kurve gekriegt habe

Wo stehe ich heute?

Zu den eigenen Triggern stehen

Was Sie über Ihre Trigger und Knöpfe wissen müssen

Woran Sie erkennen, dass Sie gerade getriggert werden

Die häufigsten Trigger

Jetzt bin ich so schlau wie zuvor. Und nun?

Weniger tun hilft, die Nerven zu behalten

Wie Sie die Abkühlmethoden clever umsetzen

Wie mein Mann mich lehrte, den Abwasch zu ignorieren

Das Märchen vom Multitasking

Das Multitasking sein lassen

Singletasking leicht gemacht

Legen Sie das verdammte Handy weg

Darum kommen Sie nicht herum

Schlaf brauchen Sie dringender, als Sie denken

Sich helfen lassen: Allein schaffen Sie das nicht!

Ihr Expertenstab – nutzen Sie Fachwissen

Ihre Peergroup – lassen Sie sich den Rücken stärken

Ihre Vertrauten

Und was ist mit der Familie?

Wie Sie all diese Leute finden

Selbstmitgefühl

Gelassener werden: Dinge, die helfen

Entrümpeln: Das Leben einfacher machen

Macht Sie das Durcheinander um Sie herum anfälliger?

Eine große Auswahl von Optionen ist nicht immer hilfreich

Wenn Ihnen Aufgaben und Verpflichtungen über den Kopf wachsen

Sie müssen nicht immer alle Neuigkeiten mitbekommen

Zu viele Gedanken: Ihr Kopf braucht Erholungspausen

Sich dehnen: Ihr Körper braucht Bewegung!

Die Stille suchen: Der Lärm zehrt an Ihnen

Machen Sie langsam: Sie sind gar nicht so spät dran

Danke sagen: wertvoller als Sie vielleicht denken

Atmen: Ihre Geheimwaffe

Freiräume schaffen, um nicht auszurasten

Wirklich Pause von den Kindern machen

Den Kopf auch mit den Kindern freibekommen

Nicht ausrasten: Wie geht das jetzt?

Bewusst wahrnehmen

Wie Sie rechtzeitig merken, dass Sie kurz vorm Ausrasten sind

Wie Sie besser im bewussten Wahrnehmen werden

Was Sie wahrnehmen können, wenn Sie sich unsicher sind

Innehalten

Etwas ganz anderes tun

Ja, gut – aber was genau soll ich jetzt also tun?

Wenn der Sturm sich legt

Wenn der Sturm sich nun also legt

Selbstmitgefühl: Freundlichkeit kann sehr viel ausrichten

Neugier: Nicht nur etwas für Kinder

Wie Sie die Beziehung zum Kind wieder stärken können

Glückwunsch! Sie haben es bis zum Ende geschafft!

Zugabe: Den Überblick behalten

Die Schlüsselpunkte und ihre Umsetzung

Die wichtigsten Punkte

Die Punkte umsetzen

Eine absurd lange Liste möglicher Trigger

Persönliche Grundbedürfnisse:

Sinnesreize und Situationen, auf die Sie sensibel reagieren:

Stress und Überforderung:

Stress durch soziale Medien:

Familiäre Konflikte, Beziehungsprobleme:

Erziehungsprobleme

Wichtige Ereignisse

Zeitliche Abläufe und Rhythmen:

Mangelsituationen:

Berufsbezogener Stress:

Psychische Störungen/Sucht:

Körperliche Probleme:

Diskriminierung, gesellschaftliche und soziale Stressfaktoren:

Krisen und Traumata:

Danksagung

Autorenvorstellung

Impressum

Höchste Zeit für mehr Gelassenheit

Hier kommt sie, die ungeschminkte Wahrheit über Eltern, die die Nerven verlieren. Die gute Nachricht: Sie können nichts dafür und Sie kriegen das hin.

Die Kinder bringen Sie also manchmal zur Weißglut, und Sie fahren sie an, Sie werden laut, Sie kriegen einen Schreianfall. Öfter, als Sie gerne zugeben möchten, reagieren Sie gereizt und entnervt. Sie haben ein klares Bild davon, wie Sie als Eltern sein möchten, nämlich gelassener und abgeklärter. Aber sosehr Sie sich auch anstrengen: Immer wieder rasten Sie aus.

Ich kenne ja weder Sie noch Ihre Familie und weiß auch nicht, wie das typischerweise aussieht, wenn Sie die Fassung verlieren. Trotzdem kann ich Ihnen sechs Tatsachen nennen, die Ihnen helfen werden, sich dafür nicht so zu schämen und mit Ihrem Groll und Ihren Aggressionen besser zurechtzukommen.

Sechs Fakten zum Thema Ausrasten

Eltern zu sein ist eine schwere Aufgabe. Das gilt für alle Eltern – und ich meine wirklich alle, also auch diese schrecklich perfekten Eltern mit ihrem fettarmen Soja Latte und ihrem picobello aufgeräumten Minivan. Dass es so schwer ist, hat viele Gründe. Manche haben mit uns selbst zu tun, manche mit unseren Kindern. Und auf manche haben wir anscheinend genauso wenig Einfluss wie auf die Ziehung der Lottozahlen.

Wir rasten alle manchmal aus. Manchen passiert es öfter als anderen, und manchmal werden sie dabei so laut, dass alle um sie herum es mitbekommen. Aber niemand von uns ist immun dagegen. Das heißt, Sie sind damit definitiv nicht allein – daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Vor einigen Jahren hieß es in der New York Times: Schreien ist das neue Prügeln – wir sind die Generation, die rumschreit.

Nein, Sie haben Ihrem Kind nicht sein Leben verpfuscht, auch wenn es Ihnen gerade so vorkommt. Verstehen Sie mich nicht falsch – Ausraster tun niemandem gut, weder Ihrem Kind noch Ihnen selbst noch irgendjemand anderem. Aber das wissen Sie ja längst. Was Ihnen aber vielleicht noch nicht so klar ist: Wir Menschen können mehr verkraften, als wir uns selbst zutrauen. Viele von uns hatten Eltern, die ständig die Beherrschung verloren haben, und sind dennoch zu tüchtigen, produktiven Mitgliedern der Gesellschaft herangewachsen, auch wenn wir vielleicht mehr oder weniger versessen auf Süßes sind oder uns andere kleine Neurosen leisten. Die Scham, die Schuldgefühle und die Selbstzweifel, mit denen Sie sich herumplagen, können Sie sich also getrost sparen, und Sie müssen vermutlich auch kein Geld für die künftige psychotherapeutische Behandlung Ihrer Kinder zurücklegen.

Ausrasten ist trotzdem ätzend. Es kostet Kraft und ist schlimm für alle Beteiligten. Es setzt das Kind unter Stress, belastet Ihre Beziehung zu ihm und lässt Sie an sich selbst und Ihrer Eignung als Eltern zweifeln. Die Ausraster fressen wertvolle Zeit und Energie auf, ohne die Situation wirklich zu klären und ohne dafür zu sorgen, dass sie nicht erneut auftritt. Sie machen es uns schwerer, die Eltern zu sein, die wir eigentlich sein möchten. Vielleicht am ärgerlichsten ist dabei, dass wir den Kindern etwas vorführen, das wir ihnen eigentlich auf keinen Fall beibringen möchten.

Mit Willenskraft kommen Sie nicht weiter. Viele Eltern denken, sie müssten sich einfach fest vornehmen, an sich zu halten, die Zähne zusammenzubeißen und schwierige Situationen durchzustehen, ohne die Geduld zu verlieren. Manchen gelingt das auch eine Weile, aber leider ist Willensstärke nicht so berechenbar oder verlässlich, wie wir uns das wünschen würden. Wenn Sie sich also nicht stark genug fühlen, Gleichmut zu bewahren, dann sollten Sie sich vor Augen halten, dass es nicht um Willensstärke geht. Entscheidend ist, die Gründe für das Ausrasten zu erkennen und die richtigen Gegenstrategien zu entwickeln.

Sie können lernen, seltener die Nerven zu verlieren und sich schneller zu fangen, wenn es doch mal wieder passiert ist. Das werden Sie nicht im Handumdrehen schaffen, und Sie werden sich ziemlich anstrengen müssen. Doch leider gibt es die besten Dinge im Leben eben nicht umsonst und Ihre Kinder werden vermutlich Ihre Bemühungen erschweren. Es kann nicht darum gehen, einen Idealzustand zu erreichen, sondern nur darum, die Situation zum Positiven zu verändern.

Dies dürfte ein guter Zeitpunkt sein, Sie vorsorglich auf Folgendes hinzuweisen. Ich kann Ihnen keine hundertprozentige Geld-zurück-Garantie geben, dass Sie nie mehr ausrasten werden, nachdem Sie dieses Buch gelesen haben. Das ist leider nicht drin. Doch erfreulicherweise müssen Sie, ich und alle unvollkommenen Eltern, die wir unsere Kinder so zu erziehen versuchen, dass sie ein klein wenig besser geraten als wir selbst, nicht gleich zur Dalai-Mama oder zum Dalai-Papa werden, damit wir nicht ständig austicken und besonnener vorgehen. Denn jedes Mal, wenn Sie es schaffen, die Ruhe zu bewahren, gewinnen Sie damit einen Freiraum, in dem Sie überlegt vorgehen und die Elternrolle so ausfüllen können, wie Sie sich das wünschen und vorstellen.

Um das zu erreichen, müssen Sie zum Glück Ihr Leben nicht komplett auf den Kopf stellen, Sie müssen keine Supernanny engagieren, und Sie müssen auch keinen absurd teuren 27-Schritte-Elternkurs buchen, der Sie dann schon bei Schritt 3 vollkommen überfordert. Ich werde Ihnen in gut verständlicher Sprache erklären, was Sie tun müssen, um gelassener zu werden. Die Regeln und Strategien, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen werde, helfen Ihnen nicht nur, gegenüber den Kindern entspannter und geduldiger zu sein, sondern auch in Ihrem Leben insgesamt zu mehr Zufriedenheit, Produktivität und Gestaltungsfreiheit zu finden.

Vielleicht haben Sie schon Hinweise zur Wutkontrolle gelesen: wie Sie ruhig bleiben können, wenn Ihre Knöpfe gedrückt werden. Ich vermute mal, die Tipps haben nicht so richtig gewirkt – sonst würden Sie nicht gerade das hier lesen. Ich habe selbst die ganzen Zeitschriftenartikel und die Listen mit den »zehn besten Tipps« gelesen, und zwar keineswegs nur, weil ich für mein Buch recherchieren musste. Meine erste Suche nach hilfreichen Tipps startete ich vor einigen Jahren, als ich meine zwei Haustyranninnen vor der Zeichentrickserie Der kleine Tiger Daniel geparkt hatte. Dadurch gewann ich etwa zweiundzwanzig Minuten Zeit, um »Will mein Kind nicht mehr anschreien« zu googeln. Ich fand die Situation einigermaßen demütigend, denn immerhin bin ich in Klinischer Sozialarbeit promoviert. Wenn Sie also einfach nicht mehr weiterwissen, ist das ganz sicher kein Alleinstellungsmerkmal.

Warum Sie’s bislang nicht hinkriegen

Aus meiner persönlichen und beruflichen Erfahrung weiß ich, dass es mehrere Gründe haben kann, wenn gängige Ratschläge den meisten Eltern nicht weiterhelfen.

Viele Bücher zum Thema Erziehung sind zu dick, und den meisten Eltern fehlen Zeit, Energie und Lust, das alles zu lesen. Ich verspreche Ihnen, dass ich mich aufs Wesentliche beschränke.

Erziehungsratgeber stellen oft unrealistisch hohe Erwartungen an Eltern und beschreiben Vorgehensweisen, die in der Theorie gut klingen, aber nicht für den Alltag taugen. Wenn solche Vorschläge für Sie dann nicht funktionieren, haben Sie das Gefühl, Sie hätten versagt, und geben auf. Ich bin eine berufstätige Mutter von zwei Töchtern, die beim Schreiben dieses Buches acht und zehn Jahre alt sind, und ich werde Ihnen hier keine Tipps auftischen, die in meiner eigenen Familie nicht umsetzbar waren. Das ist auch ein guter Moment, um Ihnen noch einmal zu versichern:

Um gute Eltern zu sein, müssen wir keine perfekten Eltern sein.

Je mehr wir uns unter Perfektionsdruck setzen, desto größer ist die Gefahr, dass wir wieder ausrasten. Das ist zwar total ironisch, aber nicht auf die coole Hipster-Art.

Übliche Ratschläge legen den Fokus meistens auf den Moment des Austickens und darauf, was Sie besser tun sollten, anstatt die Nerven zu verlieren. Ich nenne das die »Hätte, hätte, Fahrradkette«-Tipps: Hinterher weiß ich dann natürlich, dass ich besser zehn Liegestütze oder vierzehn tiefe Atemzüge hätte machen sollen, anstatt loszuschreien, und wenn ich das hinbekommen hätte, dann hätte ich’s auch getan. Ich werde Ihnen etwas anderes vorschlagen.

Manche Ratschläge passen einfach nicht zu Ihnen und Ihrer Situation. Ein Beispiel: Ich habe mal gelesen, ich solle, anstatt meine Kinder anzubrüllen, in die Kloschüssel schreien. Bei der Mutter, die das schrieb, hat die Strategie wahrscheinlich funktioniert, aber zu der Zeit trug meine jüngere Tochter noch Windeln, und die ältere hatte beim Töpfchentraining gerade eine sehr schwierige Phase. Die Toilette war der allerletzte Ort, an dem ich noch mehr Zeit verbringen wollte als ohnehin schon. Ich werde also darauf achten, dass meine Empfehlungen sich in jeder Familie umsetzen und leicht an Ihren eigenen Stil und an Ihre Vorlieben anpassen lassen.

Schließlich habe ich nur wenige Ratschläge dazu gefunden, was Eltern denn nach ihrem nächsten Ausraster tun sollten (er wird kommen). Nach einem Ausraster haben Sie Optionen, die eindeutig schlechter sind, und Optionen, die eindeutig besser sind. Die sinnvolleren Strategien sind diejenigen, die Ihnen helfen, sich rasch wieder zu fangen, und die dafür sorgen, dass Sie nicht so bald wieder an die Decke gehen. Darauf werde ich also den Schwerpunkt legen.

Wichtig ist: Wenn trotz aller guten Vorsätze wieder die Nerven mit Ihnen durchgehen, heißt das nicht, dass Sie unfähig sind oder mit Ihnen irgendetwas nicht stimmt. Das ist ein zentraler Punkt, und deshalb bekräftige ich ihn in Großbuchstaben: NEIN, SIE MACHEN IHRE SACHE ALS ELTERN NICHT SCHLECHT! Elternsein ist anstrengend, und Ausraster sind etwas zutiefst Menschliches. Es ist so, dass Sie bislang noch nicht die richtige Mischung aus geeigneten Ratschlägen und Unterstützung gefunden haben. Sie kriegen das hin, ich versprech’s.

Warum es nichts bringt, sich für unfähige Eltern zu halten

Vielleicht denken Sie jetzt, dass es doch auch wirklich schlechte Eltern gibt – Eltern, die sich furchtbar aufführen, die ihre Kinder schlagen, ihnen immer wieder drohen, sie beschämen oder vernachlässigen. Vielleicht denken Sie sogar, dass Sie selbst zu dieser Gruppe gehören, und vielleicht haben Sie ja recht damit. Ich weigere mich dennoch, den Begriff »schlechte Eltern« zu verwenden. Er bringt uns einfach nicht weiter. Wenn Sie einmal ein solches Etikett verpasst bekommen haben, stecken Sie in der Sackgasse, ohne Aussicht auf irgendeine positive Veränderung. Anstatt Eltern »schlecht« zu nennen, reden wir besser von Eltern, die es wirklich schwer haben und denen es an Informationen, Ressourcen und Unterstützung fehlt. Wenn wir eine solche mitfühlende Perspektive einnehmen, können wir anfangen, uns Gedanken darüber zu machen, was die nächsten sinnvollen Schritte sind.

Schritt 1: Verstehen, wie es zu Ausrastern kommt

Zunächst müssen wir klären, was im Einzelnen passiert, wenn Sie ausrasten, und warum es immer wieder passiert. Die Kurzfassung ist: Sie rasten aus, weil Ihre Knöpfe gedrückt werden. Die Langversion dreht sich darum, warum es bei Ihnen so viele Knöpfe gibt, die sich drücken lassen, warum Sie in der Elternrolle so ungeheuer dünnhäutig sind und was eigentlich genau passiert, wenn Sie an die Decke gehen.

Um zu begreifen, was da vor sich geht, müssen wir uns etwas genauer anschauen, was in Ihrem Kopf und in Ihrem ganzen Körper abläuft. Sobald Sie durchschaut haben, auf welche Trigger Ihr Nervensystem anspringt, wird Ihnen auch klar, dass es dabei nicht um etwas wie moralisches Versagen Ihrerseits oder um eine persönliche Schwäche geht. Dahinter stehen vielmehr ganz normale angeborene Muster, die uns auf bestimmte Reize mit Kampfbereitschaft, Flucht, Erstarrung oder Austicken reagieren lassen, und zwar auch in Situationen, in denen uns solches Verhalten definitiv nicht weiterbringt. Wenn Sie aber nicht nur begreifen, was da geschieht, sondern auch, warum es geschieht, schämen Sie sich nicht mehr so dafür. Sie fühlen sich dann nicht mehr ausgeliefert und besser dafür gerüstet, die Möglichkeiten Ihres manchmal unberechenbaren Gehirns sinnvoll zu nutzen, anstatt jedes Mal überrumpelt zu werden, wenn es von einer Situation überfordert ist.

Schritt 2: Zu den eigenen Triggern stehen

Lassen Sie uns von den Knöpfen reden, die Ihr Kind bei Ihnen zu drücken weiß. Wir können uns das menschliche Nervensystem so vorstellen, dass es aus sensiblen Stellen besteht, die über unseren ganzen Körper verteilt sind. Sobald ein Trigger, also eine bestimmte Situation oder ein anderer auslösender Reiz, Ihr Nervensystem auf Hochtouren laufen lässt, werden diese Knöpfe empfindlicher, größer und auffälliger und sind für unsere Kinder leichter zu finden.

Und es kann nicht ausbleiben, dass sie diese Knöpfe dann auch drücken. Kinder sind durch Evolution und Gene und in ihren physiologischen, psychischen, interaktiven und emotionalen Mustern geradezu darauf programmiert, mit ihren kleinen, süßen Händchen auf unseren Knöpfen herumzupatschen, wenn sich die Chance dazu bietet. Manche Kinder drücken entschlossener und schneller darauf als andere, aber keines wird sich die Gelegenheit entgehen lassen. Das bedeutet nicht, dass unsere Kinder uns fertigmachen wollen. Es kommt einfach daher, dass es unsere Kinder sind.

Viele Elternratgeber legen den Schwerpunkt darauf, wie wir Kinder dazu bringen können, das Knöpfedrücken endlich sein zu lassen. Zwar gehört es zu unseren Aufgaben als Eltern, ihnen beizubringen, dass sie nicht gleich alles anfassen sollen, doch wenn es um unsere Ausraster geht, ist dieser »pädagogische« Ansatz nicht zu empfehlen. Denn wollen Sie Ihr seelisches Gleichgewicht wirklich von der Selbstbeherrschung eines Dreikäsehochs abhängig machen, der mit der Zunge den Geschmack von Tapeten testet oder beim Anblick einer Scheibe Toast vor Entzücken völlig außer sich gerät, weil ihm die eckige Form so gut gefällt? Wohl eher nicht.

Ich empfehle Ihnen ein anderes Vorgehen. Lernen Sie die Knöpfe kennen, die es bei Ihnen zu drücken gibt. Wir werden erkunden, welche Trigger bei Ihnen die Knöpfe sozusagen aufleuchten lassen, sodass sie für Ihr Kind noch einladender werden, und wie Sie diese Signalwirkung abdämpfen können. Zum Glück ist das alles nicht sonderlich kompliziert, und wenn Sie die Zusammenhänge verstehen, hilft Ihnen das nicht nur bei der Kindererziehung, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Allerdings ist die praktische Anwendung oft auch anstrengend, vor allem wenn Sie in Ihrem Alltag viel um die Ohren haben und deshalb die meiste Zeit leicht zu triggern sind. Andererseits trifft es sich gut, dass Sie als Eltern ja schon jede Menge Erfahrung darin haben, mit schwierigen und anstrengenden Situationen klarzukommen.

Warum Kinder unsere Knöpfe drücken

Es gibt viele verschiedene Gründe dafür, dass Kinder ständig unsere Knöpfe drücken. Sie tun das zum Beispiel, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder um etwas von uns zu bekommen, was sie haben möchten. Sie können auch gar nicht anders, denn sie sind noch nicht reif genug, ihre Impulse zu kontrollieren. Manchmal machen sie auch einfach, was Kinder eben so machen, und das kann laut, lästig und nervenaufreibend sein. Außerdem gibt es Situationen, in denen ein Kind auf seine eigenen Trigger reagiert und deshalb auf Ihren Knöpfen herumpatscht, etwa wenn es müde, hungrig, durcheinander, aufgeregt oder ängstlich ist oder von anderen großen Gefühlen überrollt wird. Die beste Strategie in solchen Momenten ist, es dadurch zu unterstützen, dass Sie seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, ihm etwas zu essen geben oder es trösten. Damit führen Sie ihm immer wieder vor, wie es auf sinnvolle Weise mit seinen Triggern umgehen kann. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, das Kind dazu zu bringen, Sie in Ruhe zu lassen. Vielmehr geht es darum, es geduldig dabei anzuleiten, die eigenen Trigger wahrzunehmen und geschickt darauf zu reagieren (also genau das zu tun, was ich in diesem Buch Ihnen nahebringen möchte). Außerdem sollten Sie daran arbeiten, dass Ihre Knöpfe nicht mehr ganz so reaktionsfreudig sind.

Schritt 3: Zusammenhänge verstehen

Bei manchen Eltern kommt bereits vieles in Bewegung, wenn sie die Zusammenhänge zwischen ihren Triggern und ihren Ausrastern ein wenig besser verstehen. Sobald sie sehen können, wie bestimmte Situationen oder Erfahrungen ihr Nervensystem aufstacheln, lassen die Triggereffekte bereits merklich nach. Allerdings hilft diese Einsicht allein den meisten Eltern nicht weiter. Sie müssen auch lernen, wie genau sie ihre Knöpfe so klein und reaktionsträge wie möglich machen können. Wir können das Selbstfürsorge nennen. Weil manche Eltern allergisch auf dieses Wort reagieren, werde ich es möglichst vermeiden und lieber von Dingen sprechen, um die Sie nicht herumkommen, wenn Sie nicht immer wieder ausrasten wollen. Zum Glück sind diese Schritte nicht allzu kompliziert, und Sie müssen es auch nicht die ganze Zeit perfekt hinbekommen. Sie trainieren nicht für einen Marathon. Wir arbeiten hier lediglich darauf hin, dass bei Ihnen keine Schnappatmung einsetzt, wenn die kleine Prinzessin wieder einmal, zwanzig Minuten nachdem sie bei Tisch »keinen Hunger« hatte, um etwas zu essen bettelt.

Schritt 4: Cool bleiben

Sobald Sie besser mit Ihren Triggern klarkommen und es schaffen, die Empfindlichkeit Ihrer Knöpfe herunterzuregeln, steigen die Chancen, dass die Kinder Sie nicht mehr so leicht aus dem Gleichgewicht bringen.

Aber – es gibt immer ein Aber – da sind immer noch Knöpfe, auf die Kinder drücken können. Ich weiß das, Sie wissen es, und vor allem wissen das die Kinder. Mit unseren Knöpfen kennen sie sich sogar noch besser aus als mit der Bedienung eines Touchscreens. Und sobald sie einmal die Lust verlieren, auf einem Bildschirm herumzutippen, werden sie umso eifriger nach Knöpfen Ausschau halten, die sie bei uns Erwachsenen ausprobieren können. Wir haben dann zwei Optionen: Entweder wir rasten aus oder wir machen etwas ganz anderes.

Wenn Sie niemals mitbekommen, dass Sie kurz vorm Explodieren sind, haben Sie auch keine Chance, einen Schritt zurückzutreten und sich abzuregen.

Ich vermute, Sie würden gern wissen, was sich hinter Option zwei verbirgt – denn sonst würden Sie wohl nicht dieses Buch lesen. Das Geheimnis der Gelassenheit ist eine gute Selbstbeobachtung: Sie nehmen bewusst wahr, dass Sie gleich in die Luft gehen werden, und geben sich selbst die Chance, sich zu beruhigen. Sich selbst bewusst wahrzunehmen ist der Trumpf, den Sie in der Hand haben. Erst wenn Sie schon früh registrieren, dass Ihre Schultern sich verspannen und Sie einen heißen Kopf bekommen (»das Kind soll jetzt aber verdammt nochmal endlich die Schuhe anziehen«), werden Sie den Ausraster diesmal abbiegen können.

Sobald Ihnen bewusst wird, dass Sie gerade die Beherrschung verlieren oder knapp davor stehen, können Sie innehalten und in den Etwas-ganz-anderes-tun-Modus umschalten. Dazu müssen Sie sich klarmachen, dass a) bewusstes Wahrnehmen eine ausbaufähige Fertigkeit ist und dass Sie b) jederzeit innehalten, sich die Situation anschauen und eine andere Richtung einschlagen können, selbst wenn Sie bereits zu schimpfen anfangen. Das alles ist möglich, ohne dass Ihre Autorität leidet, ohne dass Sie klein beigeben müssen, ohne dass Sie sich vor den Kindern lächerlich machen und ohne dass irgendetwas anderes passiert, das Ihnen Kopfzerbrechen bereitet.

Ich weiß, Sie können das schaffen. Ich werde Ihnen zeigen, wie es geht, und mit etwas Übung (Ihre Kinder geben Ihnen genügend Gelegenheiten zum Üben, keine Sorge) werden Sie dann immer besser darin.

Schritt 5: Was tun nach einem Ausraster?

Ich habe Ihnen gerade versprochen, dass Sie Fortschritte machen werden, aber nicht, dass Sie dann perfekt sind. (Das ist vielleicht ein guter Moment, um Sie mit Ihrem neuen Mantra bekanntzumachen: Perfektion kann ganz schön ätzend sein.) Auch in Zukunft wird Ihnen manchmal noch der Geduldsfaden reißen. Die Versuchung ist dann vielleicht groß, so zu tun, als wäre nichts passiert, aber ich würde Ihnen das nicht empfehlen. Dinge nicht klar zu benennen ist für Sie selbst und Ihr Kind verwirrend und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass bald der nächste Ausraster folgt.

Wenn es doch mal wieder passiert ist, gibt es glücklicherweise einige Optionen, die Ihnen helfen können, den Kopf freizubekommen, die Beziehung zu Ihrem Kind wieder einzurenken und das nächste Mal, wenn Ihre Knöpfe gedrückt werden, nicht gleich wieder aus der Haut zu fahren. Ich möchte Ihnen zwei dieser Optionen nennen. Je schneller Sie es schaffen, eine davon in Ihr Repertoire aufzunehmen, desto schneller wird die Gewitterwolke, die über Ihnen hängt, sich verziehen.

Sie können entweder ein wenig Mitgefühl mit sich selbst zeigen oder Sie können voller Neugier erforschen, was da eigentlich geschehen ist. Dies sind die zwei besten Optionen, die Sie haben. Natürlich können Sie sich auch selbst fertigmachen, indem Sie sich zum Beispiel die ganzen schrecklichen Fehler vorhalten, die Ihnen bei der Erziehung unterlaufen und die Ihr Kind womöglich für immer traumatisieren werden. Eine andere Möglichkeit der Selbstbestrafung wäre, Vergleiche mit anderen Eltern zu ziehen, bei denen Sie sehr schlecht abschneiden. Falls Ihnen gerade kein Vergleich einfällt, wird ein kurzer Blick auf die Selbstdarstellungen von Supereltern in den sozialen Medien Sie zuverlässig herunterziehen.

Leider bringt es gewisse Nachteile mit sich, wenn Sie derart mit sich selbst ins Gericht gehen: 1. Sie fühlen sich schrecklich dabei. 2. Die Wahrscheinlichkeit neuer Ausraster steigt, was genau das Gegenteil dessen ist, was Sie erreichen wollen. Dagegen hilft Ihnen Mitgefühl mit sich selbst nicht nur, sich von einem Ausraster zu erholen, sondern es ist auch eine exzellente Vorbeugungsstrategie. Auf das Thema Selbstmitgefühl werde ich in ▶ Kapitel 5 »Darum kommen Sie nicht herum« näher eingehen. In ▶ Kapitel 9 »Wenn der Sturm sich legt« werden wir uns dann genauer anschauen, wie Selbstmitgefühl und Neugier Ihren Blick auf die Dinge und Ihre Stimmung schlagartig verändern, sodass Sie sich schnell von einem Ausraster erholen können.

Ich hoffe, Sie haben eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie dieses Buch Ihnen helfen kann. Vielleicht würden Sie am liebsten gleich zu ▶ Kapitel 8 »Nicht ausrasten: Wie geht das jetzt?« springen und sich das ganze Zeug mit den Triggern und Knöpfen sparen. Bitte tun Sie’s nicht. Gelassen zu bleiben ist unmöglich, wenn Sie drei Tage lang kaum ein Auge zugemacht haben, wenn Ihre Mutter ständig anruft oder wenn Sie nicht wissen, wie Sie diesen Monat über die Runden kommen sollen. Sobald Sie aber ein bisschen besser durchschauen, was die Situation mit den Kindern denn eigentlich so schwierig für Sie macht, wird es Ihnen leichter fallen, in Krisenmomenten ruhig zu bleiben. Wenn Sie sich außerdem über die Anzeichen klar werden, die einen Ausraster ankündigen, sind Sie besser in der Lage, ihn abzufangen oder zumindest abzumildern.

Denken Sie, und das ist das Wichtigste, immer daran, dass Sie nicht allein sind. Alle Eltern tun sich mit diesen Dingen schwer, und Sie können es schaffen. Ich werde Ihnen dabei helfen.

Warum rasten Sie aus?

Hier geht es um die typischen Merkmale explodierender Eltern, warum Ausrasten nicht gut und warum es so schwer ist, sich zusammenzureißen. Außerdem werfen wir einen kurzen Blick auf die Hirnforschung.

Zunächst einmal sollten wir klären, was unter dem Ausrasten eines erwachsenen Menschen zu verstehen ist. Es gibt da viele individuelle Muster, ähnlich wie bei unseren erotischen Vorlieben. Manchmal ist es gar nicht so einfach, Ausraster zu definieren, aber wir erkennen sie sofort, wenn wir sie sehen.

Die typischen Kennzeichen eines Ausrasters

Es gibt einige Merkmale, die den meisten Ausrastern gemeinsam sind. Fest steht: Sie sind nicht allein damit, dass Sie manchmal aus der Haut fahren. Ausraster sind ein zwar unschöner, aber völlig normaler Teil des Menschseins. Es passiert uns allen (auch wenn manche so tun, als wäre das bei ihnen anders). Wir können bestimmte Dinge in unserem Leben verändern, um dieses Problem abzumildern, aber ganz verschwinden wird es nicht. Das Gute daran ist: Wenn Sie einen Ausraster kommen sehen, können Sie etwas dafür tun, seine Auswirkungen abzufedern. Ich werde daher jede Gelegenheit nutzen, Sie daran zu erinnern, dass Elternsein eine viel zu ernste Sache ist, als dass Sie Ihren Humor verlieren dürfen.

Schauen wir uns die Merkmale im Folgenden einmal genauer an.

Hochemotional. Ein Ausraster wird meistens durch starke Gefühle mit ausgelöst, und zwar nicht unbedingt nur durch Ärger oder Groll. Fast jeder intensive emotionale Zustand kann dabei im Spiel sein: Angst, Traurigkeit, Verwirrung, Hilflosigkeit, Überforderung, Verbitterung, Anspannung, Scham, Schuldgefühle. Manchmal sind unsere starken Emotionen Reaktionen auf die Eskapaden unserer Kinder, manchmal aber auch nicht. Manchmal sind uns die eigenen Empfindungen alle bewusst, manchmal nicht. Machen Sie sich jedenfalls klar, dass a) ein Ausraster keine durchdachte Handlung, sondern eine Gefühlsreaktion ist und dass b) wir nicht annähernd so viel Kontrolle über unser Gefühlsleben haben, wie wir das gern glauben würden. Wir können uns nicht zwingen, bestimmte Gefühle zu haben oder nicht zu haben, sondern nur aufmerksam registrieren, was in uns vor sich geht, um dann zu entscheiden, wie wir darauf reagieren sollen.

Selbst positive Emotionen können zum Trigger für einen Ausraster werden, so wie bei einem Kind, das sich in einen Lachkrampf hineinsteigert und schließlich in Tränen ausbricht

Automatisch. Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass einem Ausraster in der Regel keine bewusste Entscheidung vorausgeht. Wenn wir nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommen, denken wir ja nicht: »Ich kann nicht mehr! Ich glaube, das wäre ein guter Abend, um mal so richtig wild zu werden, wenn mir die Kinder auf die Nerven gehen.« Meistens entsteht ein Ausraster in einem unbewussten Prozess, den Sie nicht unter Kontrolle haben und der oft etwas mit Ihrer eigenen Kindheit zu tun hat und damit, wie Ihre Eltern damals explodiert sind. Deshalb können Sie das Ausrasten auch nicht einfach durch gute Vorsätze hinter sich lassen. Ihre Explosionen kommen nicht durch vernunftgeleitete Entscheidungen zustande, sind aber durchaus nachvollziehbare Folgewirkungen von Prozessen in Ihrem Körper und Ihrem Gehirn.

Situationsabhängig. Situationsabhängiges Verhalten hat zwei Aspekte. Erstens ist das, was wir sagen und tun, immer eine Reaktion auf etwas. Ein Ausraster kommt also nicht aus heiterem Himmel, sondern es muss etwas geschehen sein, das das Fass zum Überlaufen bringt. Manchmal ist der Anlass offenkundig, und wir können den Weg vom Trigger bis zum Ausraster ohne Weiteres nachvollziehen. In anderen Situationen haben wir keinen blassen Schimmer, was uns auf die Palme gebracht hat. Vielleicht liegt der Grund für unsere Gereiztheit fünf Minuten, fünf Stunden oder gar fünf Jahre in der Vergangenheit und hat nicht das Geringste mit den Kindern zu tun. Entscheidend ist, sich darüber klarzuwerden, worauf Sie reagieren, was immer es auch sein mag und wann immer es auch passiert ist. Wenn Sie sich nie bewusstmachen, dass der Mai für Sie ein schrecklicher Monat ist, weil Sie in einem Mai eine Fehlgeburt hatten, dann können Sie sich auch nicht vornehmen, im Mai besonders gut auf sich achtzugeben. Wenn Sie sich nicht eingestehen, dass Ihre Zahnschmerzen wohl nicht auf wundersame Weise von allein verschwinden werden, dann werden Sie sich auch nicht aufraffen, zum Zahnarzt zu gehen.

Der zweite Aspekt situationsabhängigen Verhaltens ist unsere Fähigkeit, schnell zu reagieren, sobald wir eine Gefahr wahrnehmen. Die Evolution hat unser Gehirn darauf optimiert, uns vor körperlichen Bedrohungen zu schützen. Leider ist bei ihm aber noch nicht angekommen, dass die meisten Stressfaktoren, mit denen wir heutzutage zu tun haben, nicht lebensbedrohlich, sondern nur emotional oder psychisch belastend sind. Deshalb leitet das Gehirn auch in Situationen, in denen das gar nicht erforderlich wäre, unverzüglich massive Maßnahmen ein. Außerdem ist es nicht besonders gut darin, zwischen wirklich ernsten und eher unbedeutenden Problemen zu unterscheiden, und deshalb stehen wir oft auch in Situationen unter Dampf, in denen eine solche Reaktion überflüssig ist.

Toxisch. Erinnern Sie sich daran, wie Ihr Kind einmal, ohne nach rechts und links zu schauen, über die Straße wollte oder wie es beinahe die Treppe hinunterfiel? Da regten sich bei Ihnen wahrscheinlich starke Gefühle, und Sie reagierten automatisch und ohne zu überlegen, etwa indem Sie einen Warnschrei ausstießen oder das Kind schnell am Arm packten. Auch wenn der Schrei sehr laut war oder Sie ziemlich fest zupackten, würde ich hier nicht von einem Ausraster sprechen. Dies sind vielmehr Beispiele dafür, wie Ihr Nervensystem angesichts einer Gefahr angemessen reagiert. Es ist kein »toxischer Moment« entstanden, das heißt, Sie haben nicht unnötig schroff agiert, und die Beziehung zu Ihrem Kind hat nicht gelitten. Eine starke Reaktion ist also nicht unbedingt eine Entgleisung.

Besonders schädliche Ausraster und was dagegen hilft

Es gibt viele Arten von Ausrastern, aber manche sind schädlicher als andere. Besonders destruktiv wirken Beschimpfungen und Drohungen sowie körperliche Gewalt jeder Art, etwa wenn Eltern ihre Kinder ohrfeigen, verprügeln oder Dinge nach ihnen werfen. Vielleicht ist das in dem Umfeld, in dem Sie aufgewachsen sind oder wo Sie jetzt selbst Kinder haben, gang und gäbe, vielleicht ist diese Art der Aggression aber auch neu für Sie. Klar ist jedenfalls: Wenn so etwas in Ihrer Familie geschieht, muss das aufhören. Hören Sie vor allem auf, sich Vorwürfe zu machen. Ja, die Situation ist ernst, aber je eher es Ihnen gelingt, ein wenig nachsichtiger mit sich umzugehen, desto eher sind Sie auch in der Lage, sich Unterstützung zu sichern und einige wichtige Dinge zu verändern. Wenn Sie Ihr Kind einmal geschlagen haben, sind Sie damit keine Ausnahme, aber das heißt nicht, dass Schlagen in Ordnung ist. Sie werden einen anderen Weg finden, das verspreche ich Ihnen. Vielleicht bekommen Sie es nicht allein hin, aber das heißt dann nicht, dass Sie als Mutter oder Vater versagt haben. Es heißt nur, dass Ihnen die Situation über den Kopf gewachsen ist. Der erste Schritt ist, mit einer Person zu sprechen, der Sie vertrauen. Das kann eine Freundin sein, jemand in der Familie, Ihre Hausärztin, der Kinderarzt, eine Psychotherapeutin oder ein Geistlicher. Es wird kein einfaches oder angenehmes Gespräch sein, aber es ist notwendig. Sie kriegen das hin.

Toxische Ausraster sind unerwartete und verstörende Reaktionen, die übers Ziel hinausschießen: Wir lassen Dampf ab, mit Worten oder auch körperlich, wir attackieren unser Gegenüber, beschämen es und machen ihm Vorwürfe. Wir haben uns in diesem Moment nicht unter Kontrolle. Toxische Ausraster werden durch Trigger ausgelöst und führen dann wiederum zu heftigen Reaktionen bei allen Beteiligten. Beispiele sind, dass Sie Ihr Kind anschreien, weil es seine Müslischale umgeworfen hat, dass Sie aus der Haut fahren, weil es beim Schuheanziehen herumtrödelt, oder dass Sie es ausschimpfen, weil es seine Hausaufgaben vergessen hat. Derartige Ausraster schwächen und untergraben die gute Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind.

Außerdem setzen häufige Stress- und Spannungssituationen dem Nervensystem zu und erhöhen das Risiko, dass Sie bald von neuem ausrasten. Deshalb ist es sehr wichtig, sich klarzumachen, was Sie tun können, um nicht mehr so oft die Beherrschung verlieren, und wie Sie, wenn es dann doch wieder passiert ist, die Beziehung zu Ihrem Kind stärken können.

Fassen wir zusammen: Wenn wir ausrasten, sind starke Gefühle im Spiel, wir springen automatisch auf bestimmte Trigger an, und unsere Reaktionen haben toxische Effekte. Ich bin übrigens aus gutem Grund nicht näher darauf eingegangen, ob ein typischer Ausraster bei Ihnen nun so aussieht, dass Sie Ihr Kind anblaffen oder anschreien, dass Sie türenknallend davonstampfen oder dass Sie sich schmollend und eine sarkastische Bemerkung murmelnd zurückziehen. Wir rasten alle auf unsere eigene Art und mit unterschiedlicher Heftigkeit aus. Deshalb ist es sinnvoll, sich nicht auf die Form dieses Verhaltens, sondern auf seine Wirkung zu konzentrieren. Ich habe stumme bohrende Blicke erlebt, die einem Kind genauso weh tun, als würde jemand eine Fernbedienung nach ihm werfen, und finstere Drohungen, wie sie eine Clint-Eastwood-Figur an einem sehr schlechten Tag ausstoßen würde.

Die meisten von uns reagieren immer wieder ähnlich, wenn es ihnen zu viel wird (zum Beispiel mit Schimpfen, Kreischen oder Türenschlagen). Es ist äußerst wichtig, dass Sie ein genaues Bild davon haben, was Sie bei einem Ausraster tun, denn Ihr Verhalten ist der einzige Faktor, auf den Sie Einfluss nehmen können.

Ich hoffe nun, ich habe mit diesem letzten Satz ein wenig Verwunderung bei Ihnen ausgelöst. Falls nicht, waren Sie beim Lesen wohl nicht ganz bei der Sache. Denn ich hatte Ihnen ja erzählt, dass Sie über Ihre Gefühle keine Kontrolle ausüben können und dass Ihre Ausraster automatische Reaktionen auf einen Trigger sind – und jetzt behaupte ich plötzlich, Sie könnten etwas an Ihrem Verhalten während eines Ausrasters ändern. Wie soll das gehen, wenn ein Ausraster völlig automatisch abläuft?

Um genau diese Frage dreht sich mein Buch. Keine Sorge, ich werde Ihnen nicht erzählen, Sie sollen einfach cool bleiben, statt auf die Palme zu gehen. Wenn das so einfach wäre, dann würden Sie’s einfach so machen, und ich genauso, und wir würden nicht in Büchern nach Ratschlägen suchen, sondern lieber einen heißen Tee schlürfen oder uns mit einer Netflixserie vergnügen. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie die Wahrscheinlichkeit des nächsten Ausrasters verringern, indem Sie sich klarmachen, welche Knöpfe andere bei Ihnen drücken können und woran Sie erkennen, dass Sie kurz vorm Explodieren sind. Dann können Sie sich rechtzeitig abbremsen, noch bevor Ihr Kind Ihren Zorn abbekommt. Und schließlich werde ich Ihnen zeigen, wie Sie festen Boden unter die Füße bekommen, nachdem Sie doch wieder einmal ausgerastet sind – damit das nicht gleich ein weiteres Mal passiert.

Ist das so weit klar? Gut. Wir haben geklärt, was unter einem Ausraster zu verstehen ist, und müssen uns nun anschauen, was denn eigentlich passiert, wenn es nicht so weit kommt.

Was bedeutet es, nicht zu explodieren?

Manche denken, das Gegenteil von Ausrasten sei, die ganze Zeit ruhig und gelassen zu bleiben und mit unseren Kindern nie aneinanderzugeraten. Wir müssten es doch eigentlich hinbekommen, so stellen sie sich vor, in jedem Moment zufrieden, geduldig und hellwach zu sein und mit einem Lied auf den Lippen und einem Lächeln auf dem Gesicht für unsere Kinder da zu sein, ganz gleich, wie viel Energie sie uns abverlangen und wie sehr sie unser Nervenkostüm strapazieren. Dieses perfektionistische Denken funktioniert aber weder bei mir noch bei Ihnen noch bei irgendwelchen anderen Eltern auf diesem Planeten.

Spannungen, Reibereien, Frustration und andere starke Gefühle: Das sind im menschlichen Miteinander völlig normale, angemessene und zumutbare Phänomene, und sie bedeuten nicht, dass wir irgendetwas falsch machen. Denn auch wenn wir die Menschen, mit denen wir zusammenleben, innig lieben, muss uns nicht alles gefallen, was sie tun. Besonders anstrengend kann es aber werden, wenn wir unter Dauerstress stehen und es mit kleinen Menschen zu tun haben, deren Gehirn erst noch reifen muss. Als klinische Sozialarbeiterin mache ich mir eher Sorgen um konfliktscheue Zeitgenossen als um diejenigen, die akzeptieren können, dass es in ihrer Familie nicht immer harmonisch zugeht, und sich der Situation stellen.

Es ist durchaus möglich, von starken Emotionen überflutet zu werden und trotzdem nicht auszuticken. Auch wenn Sie stinksauer oder erschrocken, traurig oder durcheinander sind, muss das nicht dazu führen, dass die Situation eskaliert. Sie können Ihren Kindern zeigen, dass Sie mit starken Emotionen zu kämpfen haben, ohne dass die Sache aus dem Ruder läuft.