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Das Buch 'Ausgewählte Geschichten, Romane und Dramen' von Ludwig Thoma bietet eine umfassende Sammlung der Werke dieses renommierten deutschen Autors. Thoma, bekannt für seinen scharfen Humor und seine kritische Beobachtungsgabe, präsentiert dem Leser eine Vielzahl von Geschichten, Romanen und Dramen, die die sozialen und kulturellen Themen seiner Zeit auf humorvolle und tiefgründige Weise reflektieren. Sein literarischer Stil zeichnet sich durch eine präzise Sprache und eine lebendige Darstellung der Charaktere aus, die es dem Leser ermöglichen, sich in die Welt von Thoma einzutauchen und seine satirische Sichtweise zu verstehen. Diese Sammlung bietet einen Einblick in die Vielseitigkeit und Brillanz von Ludwig Thomas Schreiben, das sowohl unterhaltsam als auch anspruchsvoll ist. Empfohlen für Leser, die an humorvoller Satire und literarischer Kritik interessiert sind, ist dieses Buch eine unverzichtbare Lektüre, um die Werke eines der bedeutendsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts zu entdecken.
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Seitenzahl: 3694
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Books
Inhalt
Zum Scheckbauern ist im Sommer eine Familie gekommen. Die war sehr vornehm, und sie ist aus Preußen gewesen.
Wie ihr Gepäck gekommen ist, war ich auf der Bahn, und der Stationsdiener hat gesagt, es ist lauter Juchtenleder, die müssen viel Gerstl haben.
Und meine Mutter hat gesagt, es sind feine Leute, du mußt sie immer grüßen, Ludwig.
Er hat einen weißen Bart gehabt, und seine Stiefel haben laut geknarrzt. Sie hat immer Handschuhe angehabt, und wenn es wo naß war auf dem Boden, hat sie huh! geschrien und hat ihr Kleid aufgehoben.
Wie sie den ersten Tag da waren, sind sie im Dorf herumgegangen. Er hat die Häuser angeschaut und ist stehengeblieben. Da habe ich gehört, wie er gesagt hat: “Ich möchte nur wissen, von was diese Leute leben.”
Bei uns sind sie am Abend vorbei, wie wir gerade gegessen haben. Meine Mutter hat gegrüßt, und Ännchen auch. Da ist er her gekommen mit seiner Frau und hat gefragt: “Was essen Sie da?” Wir haben Lunge mit Knödel gegessen, und meine Mutter hat es ihm gesagt. Da hat er gefragt, ob wir immer Knödel essen, und seine Frau hat uns durch einen Zwicker angeschaut. Es war aber kein rechter Zwicker, sondern er war an einer kleinen Stange, und sie hat ihn auf-und zugemacht.
Meine Mutter sagte zu mir: “Steh auf, Ludwig, und mache den Herrschaften dein Kompliment, und ich habe es gemacht.
Da hat er zu mir gesagt, was ich bin, und ich habe gesagt, ich bin ein Lateinschüler. Und meine Mutter sagte: “Er war in der ersten Klasse und darf aufsteigen. Im Lateinischen hat er die Note zwei gekriegt.”
Er hat mich auf den Kopf getätschelt und hat gesagt: “Ein gescheiter Junge; du kannst einmal zu uns kommen und mit meinem Arthur spielen. Er ist so alt wie du.”
Dann hat er meine Mutter gefragt, wieviel sie Geld kriegt im Monat, und sie ist ganz rot geworden und hat gesagt, daß sie hundert zehn Mark kriegt.
Er hat zu seiner Frau hinübergeschaut und hat gesagt: “Emilie, noch nicht vierzig Taler.”
Und sie hat wieder ihren Zwicker vor die Augen gehalten.
Dann sind sie gegangen, und er hat gesagt, daß man es noch gehört hat: “Ich möchte bloß wissen, von was diese Leute leben.”
Am andern Tag habe ich den Arthur gesehen. Er war aber nicht so groß wie ich und hat lange Haare gehabt bis auf die Schultern und ganz dünne Füße. Das habe ich gesehen, weil er eine Pumphose anhatte. Es war noch ein Mann dabei mit einer Brille auf der Nase. Das war sein Instruktor. Sie sind beim Rafenauer gestanden, wo die Leute Heu gerecht haben.
Der Arthur hat hingedeutet und hat gefragt: “Was tun die da machen?” Und der Instruktor hat gesagt: “Sie fassen das Heu auf. Wenn es genügend gedörrt ist, werden die Tiere damit gefüttert.”
Der Scheck Lorenz war bei mir, und wir haben uns versteckt, weil wir so gelacht haben.
Beim Essen hat meine Mutter gesagt: “Der Herr ist wieder dagewesen und hat gesagt, du sollst nachmittag seinen Sohn besuchen.” Ich sagte, daß ich lieber mit dem Lenz zum Fischen gehe, aber Anna hat mich gleich angefahren, daß ich nur mit Bauernlümmeln herum laufen will, und meine Mutter sagte: “Es ist gut für dich, wenn du mit feinen Leuten zusammen bist. Du kannst Manieren lernen.”
Da hab ich müssen, aber es hat mich nicht gefreut. Ich habe die Hände gewaschen und den schönen Rock angezogen, und dann bin ich hin gegangen. Sie waren gerade beim Kaffee, wie ich gekommen bin. Der Herr war da und die Frau und ein Mädchen; das war so alt wie unsere Anna, aber schöner angezogen und viel dicker. Der Instruktor war auch da mit dem Arthur.
“Das ist unser junger Freund, sagte der Herr. “Arthur, gib ihm die Hand!” Und dann fragte er mich: “Nun, habt ihr heute wieder Knödel gegessen?”
Ich sagte, daß wir keine gegessen haben, und ich habe mich hingesetzt und einen Kaffee gekriegt. Es ist furchtbar fad gewesen. Der Arthur hat nichts geredet und hat mich immer angeschaut, und der Instruktor ist auch ganz still da gesessen.
Da hat ihn der Herr gefragt, ob Arthur sein Pensum schon fertig hat, und er sagte, ja, es ist fertig; es sind noch einige Fehler darin, aber man merkt schon den Fortschritt.
Da sagte der Herr: “Das ist schön, und Sie können heute nachmittag allein spazierengehen, weil der junge Lateinschüler mit Arthur spielt.”
Der Instruktor ist aufgestanden, und der Herr hat ihm eine Zigarre gegeben und gesagt, er soll Obacht geben, weil sie so gut ist.
Wie er fort war, hat der Herr gesagt: “Es ist doch ein Glück für diesen jungen Menschen, daß wir ihn mitgenommen haben. Er sieht auf diese Weise sehr viel Schönes.”
Aber das dicke Mädchen sagte: “Ich finde ihn gräßlich; er macht Augen auf mich. Ich fürchte, daß er bald dichtet wie der letzte.”
Der Arthur und ich sind bald aufgestanden, und er hat gesagt, er will mir seine Spielsachen zeigen.
Er hat ein Dampfschiff gehabt. Das wenn man aufgezogen hat, sind die Räder herumgelaufen, und es ist schön geschwommen. Es waren auch viele Bleisoldaten und Matrosen darauf, und Arthur hat gesagt, es ist ein Kriegsschiff und heißt “Preußen”. Aber beim Scheck war kein großes Wasser, daß man sehen kann, wie weit es schwimmt, und ich habe gesagt, wir müssen zum Rafenauer hingehen, da ist ein Weiher, und wir haben viel Spaß dabei.
Es hat ihn gleich gefreut, und ich habe das Dampfschiff getragen.
Sein Papa hat gerufen: “Wo geht ihr denn hin, ihr Jungens ?” Da habe ich ihm gesagt, daß wir das Schiff im Rafenauer seinem Weiher schwimmen lassen.
Die Frau sagte: “Du darfst es aber nicht tragen, Arthur. Es ist zu schwer für dich.” Ich sagte, daß ich es trage, und sein Papa hat gelacht und hat gesagt: “Das ist ein starker Bayer; er ißt alle Tage Lunge und Knödel. Hahaha!”
Wir sind weitergegangen hinter dem Scheck, über die große Wiese.
Der Arthur fragte mich: “Gelt, du bist stark?”
Ich sagte, daß ich ihn leicht hinschmeißen kann, wenn er es probieren will.
Aber er traute sich nicht und sagte, er wäre auch gerne so stark, daß er sich von seiner Schwester nichts mehr gefallen lassen muß.
Ich fragte, ob sie ihn haut.
Er sagte nein, aber sie macht sich so gescheit, und wenn er eine schlechte Note kriegt, redet sie darein, als ob es sie was angeht.
Ich sagte, das weiß ich schon; das tun alle Mädchen, aber man darf sich nichts gefallen lassen. Es ist ganz leicht, daß man es ihnen vertreibt, wenn man ihnen rechte Angst macht.
Er fragte, was man da tut, und ich sagte, man muß ihnen eine Blindschleiche in das Bett legen. Wenn sie daraufliegen, ist es kalt, und sie schreien furchtbar. Dann versprechen sie einem, daß sie nicht mehr so gescheit sein wollen.
Arthur sagte, er traut sich nicht, weil er vielleicht Schläge kriegt. Ich sagte aber, wenn man sich vor den Schlägen fürchten möchte, darf man nie keinen Spaß haben, und da hat er mir versprochen, daß er es tun will.
Ich habe mich furchtbar gefreut, weil mir das dicke Mädchen gar nicht gefallen hat, und ich dachte, sie wird ihre Augen noch viel stärker aufreißen, wenn sie eine Blindschleiche spürt. Er meinte, ob ich auch gewiß eine finde. Ich sagte, daß ich viele kriegen kann, weil ich in der Sägemühle ein Nest weiß.
Und es ist mir eingefallen, ob es nicht vielleicht gut ist, wenn er dem Instruktor auch eine hineinlegt.
Das hat ihm gefallen, und er sagte, er will es gewiß tun, weil sich der Instruktor so fürchtet, daß er vielleicht weggeht. Er fragte, ob ich keinen Instruktor habe, und ich sagte, daß meine Mutter nicht so viel Geld hat, daß sie einen zahlen kann.
Da hat er gesagt: “Das ist wahr. Sie kosten sehr viel, und man hat bloß Verdruß davon. Der letzte, den wir gehabt haben, hat immer Gedichte auf meine Schwester gemacht, und er hat sie unter ihre Kaffeetasse gelegt; da haben wir ihn fortgejagt.”
Ich fragte, warum er Gedichte gemacht hat und warum er keine hat machen dürfen.
Da sagte er: “Du bist aber dumm. Er war doch verliebt in meine Schwester, und sie hat es gleich gemerkt, weil er sie immer so angeschaut hat. Deswegen haben wir ihn fortjagen müssen.”
Ich dachte, wie dumm es ist, daß sich einer so plagen mag wegen dem dicken Mädchen, und ich möchte sie gewiß nicht anschauen und froh sein, wenn sie nicht dabei ist.
Dann sind wir an den Weiher beim Rafenauer gekommen, und wir haben das Dampfschiff hineingetan. Die Räder sind gut gegangen, und es ist ein Stück weit geschwommen.
Wir sind auch hineingewatet, und der Arthur hat immer geschrien: “Hurra! Gebt’s ihnen, Jungens! Klar zum Gefecht! Drauf und dran, Jungens, gebt ihnen noch eine Breitseite! Brav, Kinder!” Er hat furchtbar geschrien, daß er ganz rot geworden ist, und ich habe ihn gefragt, was das ist.
Er sagte, es ist eine Seeschlacht, und er ist ein preußischer Admiral. Sie spielen es immer in Köln; zuerst ist er bloß Kapitän gewesen, aber jetzt ist er Admiral, weil er viele Schlachten gewonnen hat.
Dann hat er wieder geschrien: “Beidrehen! Beidrehen! Hart an Backbord halten! Feuer! Sieg! Sieg!”
Ich sagte: “Das gefällt mir gar nicht; es ist eine Dummheit, weil sich nichts rührt. Wenn es eine Schlacht ist, muß es krachen. Wir sollen Pulver hineintun, dann ist es lustig.” Er sagte, daß er nicht mit Pulver spielen darf, weil es gefährlich ist. Alle Jungen in Köln machen es ohne Pulver.
Ich habe ihn aber ausgelacht, weil er doch kein Admiral ist, wenn er nicht schießt.
Und ich habe gesagt, ich tue es, wenn er sich nicht traut; ich mache den Kapitän, und er muß bloß kommandieren.
Da ist er ganz lustig gewesen und hat gesagt, das möchte er. Ich muß aber streng folgen, weil er mein Vorgesetzter ist, und Feuer geben, wenn er schreit.
Ich habe ein Paket Pulver bei mir gehabt. Das habe ich immer, weil ich so oft Speiteufel mache. Und ein Stück Zündschnur habe ich auch dabei gehabt.
Wir haben das Dampfschiff hergezogen. Es waren Kanonen darauf, aber sie haben kein Loch gehabt. Da habe ich probiert, ob man vielleicht anders schießen kann. Ich meinte, man soll das Verdeck aufheben und drunter das Pulver tun. Dann geht der Rauch bei den Luken heraus, und man glaubt auch, es sind Kanonen darin.
Das habe ich getan. Ich habe aber das ganze Paket Pulver hineingeschüttet, damit es stärker raucht. Dann habe ich das Verdeck wieder darauf getan und die Zündschnur durch ein Loch gesteckt.
Arthur fragte, ob es recht knallen wird, und ich sagte, ich glaube schon, daß es einen guten Schuß tut. Da ist er geschwind hinter einen Baum und hat gesagt, jetzt geht die Schlacht an.
Und er hat wieder geschrien: “Hurra! Gebt’s ihnen, tapferer Kapitän!”
Ich habe das Dampfschiff aufgedreht und gehalten, bis die Zündschnur gebrannt hat. Dann habe ich ihm einen Stoß gegeben, und die Räder sind gegangen, und die Zündschnur hat geraucht.
Es war lustig, und der Arthur hat sich auch furchtbar gefreut und hinter dem Baum immer kommandiert.
Er fragte, warum es nicht knallt. Ich sagte, es knallt schon, wenn die Zündschnur einmal bis zum Pulver hinbrennt.
Da hat er seinen Kopf vorgestreckt und hat geschrien: “Gebt Feuer auf dem Achterdeck!”
Auf einmal hat es einen furchtbaren Krach getan und hat gezischt, und ein dicker Rauch ist auf dem Wasser gewesen. Ich habe gemeint, es ist etwas bei mir vorbei geflogen, aber Arthur hat schon gräßlich geheult, und er hat seinen Kopf gehalten. Es war aber nicht arg. Er hat bloß ein bißchen geblutet an der Stirne, weil ihn etwas getroffen hat. Ich glaube, es war ein Bleisoldat.
Ich habe ihn abgewischt, und er hat gefragt, wo sein Dampfschiff ist. Es war aber nichts mehr da; bloß der vordere Teil war noch da und ist auf dem Wasser geschwommen. Das andere ist alles in die Luft geflogen. Er hat geweint, weil er geglaubt hat, daß sein Vater schimpft, wenn kein Schiff nicht mehr da ist. Aber ich habe gesagt, wir sagen, daß die Räder so gelaufen sind, und es ist fortgeschwommen, oder er sagt gar nichts und geht erst heim, wenn es dunkel ist. Dann weiß es niemand, und wenn ihn wer fragt, wo das Schiff ist, sagt er, es ist droben, aber er mag nicht damit spielen. Und wenn eine Woche vorbei ist, sagt er, es ist auf einmal nicht mehr da. Vielleicht ist es gestohlen worden.
Der Arthur sagte, er will es so machen und warten, bis es dunkel wird.
Wie wir das geredet haben, da hat es hinter uns Spektakel gemacht.
Ich habe geschwind umgeschaut, und da habe ich auf einmal gesehen, wie der Rafenauer hergelaufen ist. Er hat geschrien: “Hab ich enk, ihr Saububen, ihr miserabligen !”
Ich bin gleich davon, bis ich zum Heustadel gekommen bin. Da habe ich mich geschwind versteckt und hingeschaut. Der Arthur ist stehengeblieben, und der Rafenauer hat ihm die Ohrfeigen gegeben. Er ist furchtbar grob.
Und er hat immer geschrien: “De Saububen zünden noch mei Haus o. Und meine Äpfel stehlen s’, und meine Zwetschgen stehlen s’, und mei Haus sprengen s’ in d’ Luft!”
Er hat ihm jedesmal eine Watschen gegeben, daß es geknallt hat.
Ich habe schon gewußt, daß er einen Zorn auf uns hat, weil ich und der Lenz ihm so oft seine Äpfel stehlen, und er kann uns nicht erwischen.
Aber den Arthur hat er jetzt erwischt, und er hat alle Prügel gekriegt.
Wie der Rafenauer fertig war, ist er fortgegangen. Aber dann ist er stehengeblieben und hat gesagt: “Du Herrgottsakerament!” und ist wieder umgekehrt und hat ihm nochmal eine hineingehauen.
Der Arthur hat furchtbar geweint und hat immer geschrien: “Ich sage es meinem Papa!”
Es wäre gescheiter gewesen, wenn er fortgelaufen wäre; der Rafenauer kann nicht nachkommen, weil er so schnauft. Man muß immer um die Bäume herumlaufen, dann bleibt er gleich stehen und sagt: “Ich erwisch enk schon noch einmal.”
Ich und der Lenz wissen es; aber der Arthur hat es nicht gewußt.
Er hat mich gedauert, weil er so geweint hat, und wie der Rafenauer fort war, bin ich hingelaufen und habe gesagt, er soll sich nichts daraus machen. Aber er hat nicht aufgehört und hat immer geschrien: “Du bist schuld; ich sage es meinem Papa.”
Da habe ich mich aber geärgert und ich habe gesagt, daß ich nichts dafür kann, wenn er so dumm ist.
Da hat er gesagt, ich habe das Schiff kaputtgemacht, und ich habe so geknallt, daß der Bauer gekommen ist und er Schläge gekriegt hat.
Und er ist schnell fortgelaufen und hat geweint, daß man es weit gehört hat. Ich möchte mich schämen, wenn ich so heulen könnte wie ein Mädchen. Und er hat gesagt, er ist ein Admiral.
Ich dachte, es ist gut, wenn ich nicht gleich heimgehe, sondern ein bißchen warte.
Wie es dunkel war, bin ich heim gegangen, und ich bin beim Scheck ganz still vorbei, daß mich niemand gemerkt hat.
Der Herr war im Gartenhaus und die Frau und das dicke Mädchen. Der Scheck war auch dabei. Ich habe hineingeschaut, weil ein Licht gebrannt hat. Ich glaube, sie haben von mir geredet. Der Herr hat immer den Kopf geschüttelt und hat gesagt: “Wer hätte es gedacht! Ein solcher Lausejunge!” Und das dicke Mädchen hat gesagt: “Er will, daß mir Arthur Schlangen ins Bett legt. Hat man so was gehört?”
Ich bin nicht mehr eingeladen worden, aber wenn mich der Herr sieht, hebt er immer seinen Stock auf und ruft: “Wenn ich dich mal erwische!” Ich bin aber nicht so dumm wie sein Arthur, daß ich stehenbleibe.
Es ist die große Vakanz gewesen, und sie hat schon vier Wochen gedauert. Meine Mutter hat oft geseufzt, daß wir so lange frei haben, weil alle Tage etwas passiert, und meine Schwester hat gesagt, daß ich die Familie in einen schlechten Ruf bringe.
Da ist einmal der Lehrer Wagner zu uns auf Besuch gekommen. Er kommt öfter, weil meine Mutter soviel vom Obst versteht, und er kann sich mit ihr unterhalten.
Er hat erzählt, daß seine Pfirsiche schön werden und daß es ihm Freude macht. Und dann hat er auch gesagt, daß die Volksschule in zwei Tagen schon wieder angeht und seine Vakanz vorbei ist.
Meine Mutter hat gesagt, sie möchte froh sein, wenn das Gymnasium auch schon angeht, aber sie muß es noch drei Wochen aushalten.
Der Lehrer sagte: “Ja, ja, es ist nicht gut, wenn die Burschen so lange frei haben. Sie kommen auf alles mögliche.”
Und dann ist er gegangen. Zufällig habe ich an diesem Tage eine Forelle gestohlen gehabt, und der Fischer ist zornig zu uns gelaufen und hat geschrien, er zeigt es an, wenn er nicht drei Mark dafür kriegt.
Da bin ich furchtbar geschimpft worden, aber meine Schwester hat gesagt: “Was hilft es? Morgen fängt er etwas anderes an, und kein Mensch mag mehr mit uns verkehren. Gestern hat mich der Amtsrichter so kalt gegrüßt, wie er vorbeigegangen ist. Sonst bleibt er immer stehen und fragt, wie es uns geht.”
Meine Mutter hat gesagt, daß etwas geschehen muß, sie weiß noch nicht, was.
Auf einmal ist ihnen eingefallen, ob ich vielleicht in der Vakanz in die Volksschule gehen kann, der Herr Lehrer tut ihnen gewiß den Gefallen.
Ich habe gesagt, das geht nicht, weil ich schon in die zweite Klasse von der Lateinschule komme, und wenn es die anderen erfahren, ist es eine furchtbare Schande vor meinen Kommilitonen. Lieber will ich nichts mehr anfangen und sehr fleißig sein.
Meine liebe Mutter sagte zu meiner Schwester: “Du hörst es, daß er jetzt anders werden will, und wenn es für ihn doch so peinlich ist wegen der Kolimitonen, wollen wir noch einmal warten.”
Sie kann sich keine lateinischen Worte merken.
Ich war froh, daß es so vorbeigegangen ist, und ich habe mich recht zusammengenommen.
Einen Tag ist es gut gegangen, aber am Mittwoch habe ich es nicht mehr ausgehalten.
Neben uns wohnt der Geheimrat Bischof in der Sommerfrische. Seine Frau kann mich nicht leiden, und wenn ich bloß an den Zaun hinkomme, schreit sie zu ihrer Magd: “Elis, geben Sie acht, der Lausbube ist da.”
Sie haben eine Angorakatze; die darf immer dabeisitzen, wenn sie Kaffee trinken im Freien, und die Frau Geheimrat fragt: “Mag Miezchen ein bißchen Milch? Mag Miezchen vielleicht auch ein bißchen Honig?”
Als wenn sie ja sagen könnte oder ein kleines Kind wäre.
Am Mittwoch ist die Katze bei uns herüben gewesen, und unsere Magd hat sie gefüttert. Da habe ich sie genommen, wie es niemand gesehen hat, und habe sie eingesperrt im Stall, wo ich früher zwei Könighasen hatte.
Dann habe ich aufgepaßt, wie sie Kaffee getrunken haben. Die Frau Geheimrat war schon da und hat gerufen: “Miezi! Miezi! Elis, haben Sie Miezchen nicht gesehen ?”
Aber die Magd hat es nicht gewußt, und sie haben sich hingesetzt, und ich habe hinter dem Vorhang hinübergeschaut.
Dann hat die Frau Geheimrat zu ihrem Mann gesagt: “Eugen, hast du Miezchen nicht gesehen?”
Und er hat gesagt: “Vüloicht, ich woiß es nücht.” Und dann hat er wieder in der Zeitung gelesen.
Aber die Frau Geheimrat war ganz nachdenklich, und wie sie ein Butterbrot geschmiert hat, hat sie gesagt: “Ich kann mir nicht denken, wo Miezchen bleibt. Sie fängt doch keine Mäuse nicht?”
Indes bin ich geschwind in den Stall und habe die Katze genommen. Ich habe ihr an den Schweif einen Pulverfrosch gebunden und bin hinten an das Haus vom Geheimrat am Zaun und habe den Frosch angezündet. Dann habe ich die Katze freigelassen. Sie ist gleich durch den Zaun geschloffen und furchtbar gelaufen.
Die Magd hat geschrien: “Frau Geheimrat, Mieze kommt schon.” Und dann habe ich die Stimme von ihr gehört, wie sie gesagt hat: “Wo ist nur mein Kätzchen? Da bist du ja! Aber was hat das Tierchen am Schweif?” Dann hat es furchtbar gekracht und gezischt, und sie haben geschrien und die Tassen am Boden hingeschmissen, und wie es still war, hat der Geheimrat gesagt: “Das üst wüder düser ruchlose Lauspube gewösen.”
Ich habe mich im Zimmer von meiner Schwester versteckt; da kann man in unseren Garten hinunterschauen. Meine Mutter und Anna haben auch Kaffee getrunken, und meine liebe Mutter sagte gerade: “Siehst du, Ännchen, Ludwig ist nicht so schlimm; man muß ihn nur zu behandeln verstehen. Gestern hat er den ganzen Tag gelernt, und es ist gut, daß wir ihn nicht vor seinen Kolimitonen blamiert haben.”
Und Anna sagte: “Ich möchte bloß wissen, warum der Herr Amtsrichter nicht stehengeblieben ist.”
Jetzt ist auf einmal am Eingang von unserem Garten der Geheimrat und die Frau Geheimrat gewesen, und meine Mutter sagte: “Ännchen, sitzt meine Haube nicht schief? Ich glaube gar, Geheimrats machen uns Besuch.”
Und sie ist aufgestanden und ihnen entgegengegangen, und ich hörte, daß sie gesagt hat: “Nein, das ist lieb von Ihnen, daß Sie kommen.” Aber der Geheimrat hat ein Gesicht gemacht, als wenn er mit einer Leiche geht, und sie ist ganz rot gewesen und hat den abgebrannten Frosch in der Hand gehabt und hat erzählt, daß die Katze jetzt wahnsinnig ist und drei Tassen kaputt sind. Und daß es niemand anderer getan hat wie ich. Da sind meiner Mutter die Tränen heruntergelaufen, und der Geheimrat hat gesagt: “Woinen Sü nur, gute Frau! Woinen Sü über Ühren mißratenen Sohn!” Und dann haben sie verlangt, daß meine Mutter die Tassen bezahlt, und eine kostet zwei Mark, weil es so gutes Porzellan war.
Ich bin furchtbar zornig geworden, wie ich gesehen habe, daß meine alte Mutter den kleinen, alten Geldbeutel herausgetan hat, und ihre Hände waren ganz zittrig, wie sie das Geld aufgezählt hat.
Die Frau Geheimrat hat es geschwind eingesteckt und hat gesagt, das Schrecklichste ist, daß die arme Katze wahnsinnig geworden ist, aber sie wollen es nicht anzeigen aus Rücksicht auf meine Mutter. Dann sind sie gegangen, und er hat noch gesagt: “Der Hümmel prüft Sü hart mit Ührem Künde.”
Ich habe noch länger in den Garten hinuntergeschaut. Da ist meine Mutter am Tisch gesessen und hat sich mit ihrem Sacktuch die Tränen abgewischt, aber es sind immer neue gekommen, und bei Ännchen auch. Das Butterbrot ist auf dem Teller gewesen, und sie haben es nicht mehr essen mögen. Ich bin ganz traurig geworden, und ich bin fort, daß sie mich nicht gesehen haben.
Ich habe gedacht, wie es gemein ist von dem Geheimrat, daß er das Geld genommen hat, und wie ich ihm dafür etwas antun muß. Ich möchte die Katze kaputt machen, daß es niemand merkt, und ihr den Schweif abschneiden. Wenn sie dann ruft: “Wo ist denn nur unser Miezchen?”, schmeiße ich den Schweif über den Zaun hinüber. Aber ich muß mich noch besinnen, wie ich es mache, daß es niemand merkt. Da bin ich wieder lustig geworden, weil ich gedacht habe, was sie für ein Gesicht machen wird, wenn sie bloß mehr den Schweif sieht. Dann bin ich heim zum essen gegangen. Anna ist schon an der Tür gestanden und hat gesagt, daß ich allein essen muß in meinem Zimmer und daß ich morgen in die Schule gehen muß. Der Herr Lehrer Wagner hat es angenommen und hat versprochen, daß er mit mir streng ist.
Ich habe schimpfen gewollt, weil es doch eine Schande ist, wenn ein Lateinschüler mit den dummen Schulkindern zusammensitzt, aber ich habe gedacht, daß meine Mutter so geweint hat. Und da habe ich mir alles gefallen lassen.
Ich bin am andern Tag in die Schule gegangen. Es war bloß ein Zimmer, und da waren alle Klassen darin, und auf der einen Seite waren die Buben und auf der anderen die Mädchen.
Wie ich gekommen bin, hat mich der Lehrer in die erste Bank gesetzt. Dann hat er gesagt, daß sich die Kinder Mühe geben sollen, weil heute ein großer Gelehrter unter ihnen sitzt, der Lateinisch kann.
Das hat mich verdrossen, weil die Kinder gelacht haben. Aber ich habe es mir nicht merken lassen. Einer hat ein Lesestück vorlesen müssen. Es hat geheißen “Der Abend” und ist so angegangen: ” Die Sonne geht zur Ruhe, und am Himmel kommt der Abendstern. Die Vöglein verstummen mit ihrem lieblichen Gesange; nur die Grillen zirpen im Felde. Da geht der fleißige Bauersmann heim. Sein Hund bellt freudig, und die Kinder springen ihm entgegen.” So ist es weitergegangen. Es war furchtbar dumm, und ich habe gedacht, was es für eine Schande ist für einen Lateinschüler, daß er dabeisitzen muß.
Der Lehrer sagte, die Kinder von der siebenten Klasse müssen es nun aus dem Kopfe schreiben, und er ladet den Herrn Lateinschüler auch ein.
Er hat mir eine Tafel und einen Griffel gegeben, und dann sagte er, daß er eine halbe Stunde in die Kirche fort muß, und daß die Furtner Marie die Aufsicht hat. Sie war auch von der siebenten Klasse und die Tochter von einem Bauern, der nicht weit von uns ein Haus hat. Da bin ich noch zorniger geworden, daß ich einem Mädel folgen soll.
Wie der Lehrer draußen war, habe ich den Leitner, der neben mir gesessen ist, ganz ruhig gefragt, ob er heute nachmittag zum Fischen mitgehen will.
Da hat die Furtner Marie gerufen: “Ruhig! Wenn du noch einmal schwätzest, wirst du aufgeschrieben.” “Entschuldigen Sie, Fräulein Lehrerin”, habe ich gesagt, “ich will es nicht mehr tun.” Dann habe ich einen Schlüssel aus der Tasche gezogen und habe probiert, ob er noch pfeift.
Da ist die Furtner Marie zur Tafel hinaus und hat hingeschrieben: “Thoma hat gepfiffen.”
Ich bin aufgestanden und habe gesagt: “Entschuldigen Sie, Fräulein Lehrerin, was muß ich denn machen, daß Sie mich nicht aufschreiben?”
Sie sagte, daß ich den Aufsatz “Der Abend” schreiben muß.
Da habe ich geschwind etwas geschrieben, und dann bin ich wieder aufgestanden und habe gesagt: “Entschuldigen Sie, Fräulein Lehrerin, darf ich es nicht vorlesen, daß Sie mir sagen, ob es recht ist?”
Da ist die dumme Gans stolz gewesen, daß sie einem Lateinschüler etwas sagen muß, und sie hat gesagt:” Ja, du darfst es vorlesen.”
Da habe ich recht laut gelesen: “Die Sonne geht zur Ruhe. Der Abendstern ist auf dem Himmel. Vor dem Wirtshause ist es still. Auf einmal geht die Tür auf, und der Hausknecht wirft einen Bauersmann hinaus. Er ist betrunken. Es ist der Furtner Marie ihr Vater.”
Da haben alle Kinder gelacht, und die Furtner hat zu heulen angefangen. Sie ist wieder an die Tafel hin und hat geschrieben: “Thoma war ungezogen.” Das hat sie dreimal unterstrichen. Ich bin aus meiner Bank gegangen und habe den Schwamm genommen und habe ihre Schrift ausgewischt.
Und dann habe ich die Furtner Marie bei ihrem Zopf gepackt und habe sie gebeutelt, und zuletzt habe ich ihr eine Ohrfeige hineingehauen, damit sie weiß, daß man einen Lateinschüler nicht aufschreibt.
Jetzt ist der Lehrer gekommen, und er war zornig, wie er alles erfahren hat. Er sagte, daß er nur wegen meiner Mutter mich nicht gleich hinauswirft, aber daß er mich zwei Stunden nach der Schule einsperrt. Das hat er auch getan. Wie die Kinder fort waren, habe ich dableiben müssen, und der Lehrer hat die Tür mit dem Schlüssel zugesperrt. Es war schon elf Uhr, und ich habe furchtbar Hunger gehabt, und ich habe auch gedacht, was es für eine Schande ist, daß ich in einer Volksschule eingesperrt bin.
Da habe ich geschaut, ob ich nicht durchbrennen kann und vielleicht beim Fenster hinunterspringen. Aber es war im ersten Stock und zu hoch, und es waren Steine unten. Da schaute ich auf der andern Seite, wo der Garten war. Wenn man auf die Erde springt, tut es vielleicht nicht weh. Ich machte das Fenster auf und dachte, ob ich es probiere. Da habe ich auf einmal gesehen, daß an der Mauer die Latten für das Spalierobst sind, und ich habe gedacht, daß sie mich schon tragen.
Ich bin langsam hinausgestiegen und habe die Füße ganz vorsichtig auf die Latten gestellt. Sie haben mich gut getragen, und wie ich gesehen habe, daß es nicht gefährlich ist, da ist mir eingefallen, daß ich die Pfirsiche mitnehmen kann. Ich habe alle Taschen vollgesteckt und den Hut auch.
Dann bin ich erst heim und legte die Pfirsiche in meinen Kasten.
Am Nachmittag ist ein Brief vom Herrn Lehrer gekommen, daß ich die Schule nicht mehr betreten darf.
Da war ich froh.
Unser Religionslehrer heißt Falkenberg. Er ist klein und dick und hat eine goldene Brille auf.
Wenn er was Heiliges redet, zwickt er die Augen zu und macht seinen Mund spitzig.
Er faltet immer die Hände und ist recht sanft und sagt zu uns: “Ihr Kindlein.”
Deswegen haben wir ihn den Kindlein geheißen.
Er ist aber gar nicht so sanft. Wenn man ihn ärgert, macht er grüne Augen wie eine Katze und sperrt einen viel länger ein wie unser Klaßprofessor.
Der schimpft einen furchtbar und sagt “mistiger Lausbub”, und zu mir hat er einmal gesagt, er haut das größte Loch in die Wand mit meinem Kopf.
Meinen Vater hat er gut gekannt, weil er im Gebirg war und einmal mit ihm auf die Jagd gehen durfte. Ich glaube, er kann mich deswegen gut leiden und läßt es sich bloß nicht merken.
Wie mich der Merkel verschuftet hat, daß ich ihm eine hineingehaut habe, hat er mir zwei Stunden Arrest gegeben. Aber wie alle fort waren, ist er auf einmal in das Zimmer gekommen und hat zu mir gesagt: “Mach, daß du heimkommst, du Lauskerl, du grober! Sonst wird die Supp kalt.”
Er heißt Gruber.
Aber der Falkenberg schimpft gar nicht.
Ich habe ihm einmal seinen Rock von hinten mit Kreide angeschmiert. Da haben alle gelacht, und er hat gefragt: “Warum lacht ihr, Kindlein?”
Es hat aber keiner etwas gesagt; da ist er zum Merkel hingegangen und hat gesagt: “Du bist ein gottesfürchtiger Knabe, und ich glaube, daß du die Lüge verabscheust. Sprich offen, was hat es gegeben?”
Und der Merkel hat ihm gezeigt, daß er voll Kreide hinten ist und daß ich es war.
Der Falkenberg ist ganz weiß geworden im Gesicht und ist schnell auf mich hergegangen. Ich habe gemeint, jetzt krieg ich eine hinein, aber er hat sich vor mich hingestellt und hat die Augen zugezwickt.
Dann hat er gesagt: “Armer Verlorener! Ich habe immer Nachsicht gegen dich geübt, aber ein räudiges Schaf darf nicht die ganze Herde anstecken.”
Er ist zum Rektor gegangen, und ich habe sechs Stunden Karzer gekriegt. Der Pedell hat gesagt, ich wäre dimittiert geworden, wenn mir nicht der Gruber so geholfen hätte. Der Falkenberg hat darauf bestanden, daß ich dimittiert werde, weil ich das Priesterkleid beschmutzt habe. Aber der Gruber hat gesagt, es ist bloß Übermut und er will meiner Mutter schreiben, ob er mir nicht ein paar herunterhauen darf. Dann haben ihm die andern recht gegeben, und der Falkenberg war voll Zorn. Er hat es sich nicht ankennen lassen, sondern er hat das nächstemal in der Klasse zu mir gesagt: “Du hast gesündigt, aber es ist dir verziehen. Vielleicht wird dich Gott in seiner unbeschreiblichen Güte auf den rechten Weg führen.”
Die sechs Stunden habe ich brummen müssen, und der Falkenberg hat mich nicht mehr aufgerufen; er ist immer an mir vorbeigegangen und hat getan, als wenn er mich nicht sieht.
Den Fritz hat er auch nicht leiden können, weil er mein bester Freund ist und immer lacht, wenn er “Kindlein” sagt. Er hat ihn schon zweimal deswegen eingesperrt, und da haben wir gesagt, wir müssen dem Kindlein etwas antun. Der Fritz hat gemeint, wir müssen ihm einen Pulverfrosch in den Katheder legen; aber das geht nicht, weil man es sieht. Dann haben wir ihm Schusterpech auf den Sessel geschmiert. Er hat sich aber die ganze Stunde nicht daraufgesetzt, und dann ist der Schreiblehrer Bogner gekommen und ist hängengeblieben. Das war auch recht, aber für den Kindlein hätte es mich besser gefreut.
Der Fritz wohnt bei dem Malermeister Burkhard und hat ihm eine grüne Ölfarbe genommen, wie der Katheder ist. Die haben wir vor der Religionsstunde geschwind hingestrichen, wo er den Arm auflegt.
Da hat es auf einmal geheißen, der Falkenberg ist krank, und wir haben Geographie dafür. Da ist der Professor Ulrich eingegangen, weil er voll Farbe geworden ist, und er hat den Pedell furchtbar geschimpft, daß er nichts hinschreibt, wenn frisch gestrichen ist.
Der Kindlein ist uns immer ausgekommen, aber wir haben nicht ausgelassen.
Einmal ist er in die Klasse gekommen mit dem Rektor und hat sich auf den Katheder gestellt. Dann hat er gesagt: “Kindlein, freuet euch! Ich habe eine herrliche Botschaft für euch. Ich habe lange gespart, und jetzt habe ich für unsere geliebte Studienkirche die Statue des heiligen Aloysius gekauft, weil er das Vorbild der studierenden Jugend ist. Er wird von dem Postament zu euch hinunterschauen, und ihr werdet zu ihm hinaufschauen. Das wird euch stärken.”
Dann hat der Rektor gesagt, daß es unbeschreiblich schön ist von dem Falkenberg, daß er die Statue gekauft hat, und daß unser Gymnasium sich freuen muß. Am Samstag kommt der Heilige, und wir müssen ihn abholen, wo die Stadt anfangt, und am Sonntag ist Enthüllungsfeier.
Da sind sie hinausgegangen und haben es in den anderen Klaßzimmern gesagt. Und ich und der Fritz sind miteinander heimgegangen.
Da hat der Fritz gesagt, daß der Kindlein es mit Fleiß getan hat, daß wir den Aloysius am Samstagnachmittag holen müssen, weil er uns nicht gönnt, daß wir frei haben. Ich habe auch geschimpft und habe gesagt, ich möchte, daß der Wagen umschmeißt.
Dem Fritz sein Hausherr hat es schon gewußt, weil es in der Zeitung gestanden ist. Er kann uns gut leiden und redet oft mit uns und schenkt uns eine Zigarre. Auf den Falkenberg hat er einen Zorn, weil er glaubt, daß sein Pepi wegen dem Falkenberg die Prüfung in der Lateinschule nicht bestanden hat. Ich glaube aber, daß der Pepi zu dumm ist.
Der Hausherr hat gelacht, daß soviel in der Zeitung gestanden ist von dem Heiligen. Er hat gesagt, daß er von Gips ist und daß er ihn nicht geschenkt möchte. Er ist von Mühldorf. Da ist er schon lang gestanden, und niemand hat ihn mögen. Vielleicht hat ihn der Steinmetz hergeschenkt, aber der Falkenberg macht sich schön damit und tut, als wenn er viel gekostet hat. Das ist ein scheinheiliger Tropf, hat der Hausherr gesagt, und wir haben auch geschimpft über den Kindlein.
Dann ist der Samstag gekommen. Das ganze Gymnasium ist aufgestellt worden, und dann haben wir durch die Stadt gehen müssen. Vorne ist der Rektor mit dem Falkenberg gegangen, und dann sind die Professoren gekommen. Der Gruber war nicht dabei, weil er Protestant ist. Oben auf dem Berg ist ein Wirtshaus, wo die Straße von Mühldorf herkommt. Da haben wir gehalten und haben gewartet. Eine halbe Stunde haben wir stehen müssen, bis der Pedell dahergelaufen ist und hat geschrien:” Jetzt bringen sie ihn.”
Da ist ein Leiterwagen gekommen, da war eine große Kiste darauf. Der Falkenberg ist hingegangen und hat den Fuhrmann gefragt, ob er von Mühldorf ist und den heiligen Aloysius dabei hat. Der Fuhrmann hat gesagt ja, und er hat einen in der Kiste. Da hat sich der Kindlein geärgert, daß der Wagen so schlecht aussieht und keine Tannenbäume darauf sind.
Aber der Fuhrmann hat gesagt, das geht ihn nichts an, er tut bloß, was ihm sein Herr anschafft.
Da haben wir hinter dem Wagen hergehen müssen, und die Glocken von der Studienkirche haben geläutet, bis wir dort waren.
Vor der Kirche hat der Fuhrmann gehalten, und er hat die Kiste heruntertun wollen.
Aber der Falkenberg hat ihn nicht lassen. Die vier Größten von der Oberklasse mußten sie heruntertun und in die Sakristei tragen. Das war der Pointner und der Reichenberger, die andern zwei habe ich nicht gekannt.
Wir haben gehen dürfen, und das Läuten hat aufgehört. Bloß die vier Oberklaßler mußten dabei sein, wie der Heilige aufgestellt wurde; die anderen nicht, weil erst morgen die Einweihung war. Wir haben aber gewußt, wo er hingestellt wird. Bei dem dritten Fenster, weil dort das Postament war und Blumen herum. Der Fritz und ich sind heimgegangen; zuerst war der Friedmann Karl dabei. Da hat der Fritz gesagt, er muß noch viel büffeln auf den Montag, weil er die dritte Konjugation noch nicht gelernt hat.
“Die haben wir ja gar nicht auf”, hat der Friedmann gesagt. ” Freilich haben wir sie aufgekriegt. Der Gruber hat es ganz deutlich gesagt”, hat der Fritz gesagt. Da ist dem Friedmann angst geworden, weil er immer furchtsam ist, und er ist der Erste.
Er ist gleich von uns weggelaufen und der Fritz hat zu mir gesagt: “Jetzt haben wir unsere Ruhe vor ihm.”
Ich fragte, warum er ihn fortgeschickt hat, aber der Fritz wartete, bis niemand in der Nähe war. Dann sagte er, daß er jetzt weiß, wie wir den Kindlein daran kriegen, und daß wir auf den Aloysius einen Stein hineinschmeißen.
Ich glaubte zuerst, er macht Spaß, aber es war ihm Ernst, und er sagte, daß er es allein tut, wenn ich nicht mithelfe.
Da habe ich versprochen, daß ich mittue, aber ich habe mich gefürchtet, denn wenn es aufkommt, ist alles hin.
Aber der Fritz hat gesagt, dann muß man es so machen, daß kein Mensch nichts merkt, und so eine Gelegenheit kriegen wir nicht mehr, daß wir dem Kindlein etwas antun, was er sich merkt. Wir haben ausgemacht, daß wir uns um acht Uhr daß ich mit dem Fritz die dritte Konjugation lernen muß, und bin gleich nach dem Abendessen fort.
Es war schon dunkel, wie ich an die Kastanien hinkam, und ich war froh, daß mir niemand begegnet ist.
Der Fritz war schon da, und wir haben noch gewartet, bis es ganz dunkel war. Dann sind wir neben der Salzach gegangen; einmal haben wir Schritte gehört. Da sind wir hinter einen Busch gestanden und haben uns versteckt.
Es war der Notar; der geht immer spazieren und macht ein Gedicht in das Wochenblatt.
Er hat nichts gemerkt, und wir sind erst wieder vorgegangen, wie er schon weit weg war.
Das Gymnasium und die Studienkirche sind am Ende von der Stadt; es ist kein Mensch hinten, wenn es dunkel ist. Bloß der Pedell, aber er ist auch nicht hinten, sondern beim Sternbräu.
Wir sind hingekommen, und jeder hat einen Stein genommen.
Wir haben die Fenster noch gesehen. Das dritte war es. Der Fritz sagte zu mir: “Du mußt gut rechts schmeißen; wenn es an die Wand hingeht, prallt es schon hinein. Und du mußt halb so hoch schmeißen, wie das Fenster ist; ich probier es höher, dann erwischt ihn schon einer.” “Es ist schon recht”, sagte ich, und dann haben wir geschmissen. Es hat stark gescheppert, und wir haben gewußt, daß wir das Fenster getroffen haben. Gleich hinter dem Gymnasium sind Haselnußstauden; da haben wir uns versteckt und haben gehorcht. Es ist ganz still gewesen, und der Fritz sagte: “Das ist fein gegangen. Jetzt müssen wir achtgeben, daß uns niemand gehen sieht.”
Wir sind schnell gelaufen, aber wenn wir etwas gehört haben, sind wir stehengeblieben. Es ist uns niemand begegnet, und beim Fritz seinem Hausherrn sind wir hinten über den Gartenzaun gestiegen und ganz still die Stiege hinaufgegangen.
Der Fritz hat sein Licht brennen lassen, daß sie glaubten, er ist daheim. Wir setzten uns an den Tisch und haben uns abgewischt, weil wir so schwitzten.
Auf einmal ist wer über die Treppe gegangen und hat geklopft. Ich bin zum Fenster hingelaufen, weil ich noch ganz naß war, aber der Fritz hat seinen Kopf in die Hand gelegt und hat getan, als wenn er lernt.
Es war die Magd vom Expeditor Friedmann, und sie hat gesagt, einen schönen Gruß vom Friedmann Karl, und er glaubt nicht, daß wir die dritte Konjugation aufhaben, weil er den Raithel gefragt hat und den Kanzler, und keiner hat etwas gewußt.
Der Fritz hat seinen Kopf nicht aufheben mögen, weil er auch so geschwitzt hat. Er hat gesagt, daß er es deutlich gehört hat, und er lernt die dritte Konjugation.
Da ist die Magd gegangen, und wir haben gehört, wie sie drunten zu der Frau Burkhard gesagt hat, daß der Fritz so fleißig lernt und daß es grausam ist, wieviel man in der Schule lernen muß.
Am andern Tag ist Sonntag gewesen, und um acht Uhr war die Kirche und die Feier für den Aloysius. Aber sie ist nicht gewesen.
Wie ich hingekommen bin, war alles schwarz vor der Türe, so viele Leute sind herumgestanden.
Um den Pedell ist ein großer Kreis gewesen, der Rektor ist daneben gestanden und der Falkenberg auch.
Sie haben geredet und dann haben sie zu dem Fenster hinaufgezeigt. Da waren zwei Löcher darin. Ich habe den Raithel gefragt,was es gibt.
“Dem Aloysius is die Nase weggehaut”, hat er gesagt.
“Haben s’ ihn beim Aufstellen runterfallen lassen?” habe ich gefragt.
“Nein, es sind Steine hineingeflogen”, hat er gesagt.
Der Föckerer und der Friedmann und der Kanzler sind hergekommen. Der Föckerer macht sich immer gescheit, und er hat gesagt, daß er es zuerst gehört hat.
Er ist dabei gewesen, wie der Falkenberg gekommen ist, und der Pedell hat es ihm gezeigt. Da ist ein furchtbarer Spektakel gewesen, denn wie sie die Löcher in dem Fenster gesehen haben, sind sie hineingegangen, und da haben sie gesehen, daß von dem Aloysius seinem Kopf die Nase und der Mund weg waren, und unten ist alles voll Gips gewesen, und dann hat man zwei Steiner gefunden. Der Föckerer hat gesagt, wenn es aufkommt, wer es getan hat, glaubt er, daß man ihn köpft.
Der Pedell hat es gesagt. Ich habe mich nicht gerührt, und der Fritz auch nicht. Er hat nur zum Friedmann gesagt, daß er jetzt die dritte Konjugation kann.
Ich bin zu den Großen hingegangen, wo die Professoren gestanden sind. Der Pedell hat immer geredet.
Er erzählte alles immer wieder von vorne.
Er hat gesagt, daszlig; er daheim war und nachgedacht hat, ob er vielleicht eine Halbe Bier trinken soll. Auf einmal hat seine Frau gesagt, es hat gescheppert, als wenn eine Fensterscheibe hin ist. “Wo soll eine Fensterscheibe hin sein?” hat er gefragt. Dann haben sie gehorcht, und er hat die Haustüre aufgemacht. Da ist ihm gewesen, als wenn er einen Schritt hört, und er ist in sein Zimmer und hat sein Gewehr geholt. Dann ist er heraus und hat dreimal “Wer da?” gerufen. Denn beim Militär hat er es so gelernt, wo er doch ein Feldwebel war. Und im Krieg haben sie es so gemacht, da ist immer einer Posten gestanden, und wenn er etwas Verdächtiges gehört hat, hat er “Wer da?” rufen müssen. Es hat sich aber nichts mehr gerührt, und er ist im Hofe dreimal herumgegangen und hat nichts gesehen. Und dann ist er zum Sternbräu gegangen, weil er gedacht hat, daß er eine Halbe Bier trinken muß. Er hat gesagt, wenn er einen gesehen hätte, dann hätte er geschossen, denn wenn einer keine Antwort nicht gibt auf “Wer da?”, muß er erschossen werden.
Der Rektor hat ihn gefragt, ob er einen Verdacht hat.
Da hat der Pedell gesagt, daß er schon einen hat, aber er hat mit den Augen geblinzelt und hat gesagt, daß er es noch nicht sagen darf, weil er ihn sonst nicht erwischt. Wenn nicht gleich so viele Leute herumgestanden wären, hat der Pedell gesagt, dann hätte er ihn vielleicht schon, weil er die Fußspuren gemessen hätte, aber jetzt ist alles verwischt.
Da hat ihn der Rektor gefragt, ob er glaubt, daß er ihn noch kriegt. Da hat der Pedell wieder mit den Augen geblinzelt und hat gesagt, daß er ihn noch erwischt, weil alle Verbrecher zweimal kommen und den Ort anschauen. Und er paßt jetzt die ganze Nacht mit dem Gewehr und schreit bloß einmal “Wer da?” und er schießt gleich.
Der Falkenberg hat gesagt, er will beten, daß der Verbrecher aufkommt, aber heute ist keine Kirche nicht, weil man den Aloysius wegräumen muß, und wir müssen heimgehen und auch beten, daß es offenbar wird. Da sind alle gegangen, aber ich bin noch stehengeblieben mit dem Friedmann und dem Raithel, weil der Pedell zu uns hergegangen ist und alles wieder erzählt hat, daß es schepperte und daß seine Frau es zuerst gehört hat.
Und er sagte, daß er den Verbrecher erwischt, und bevor eine Woche ganz vorüber ist, erschießt er ihn, oder er schießt ihm vielleicht auf die Füße.
Ich bin zum Fritz gegangen und habe es erzählt. Da haben wir furchtbar lachen müssen.
Hernach ist eine große Untersuchung gewesen, und in jeder Klasse ist gefragt worden, ob keiner nichts weiß.
Und der Kindlein hat gesagt, daß er seinen Schülern keinen Aloysius nicht mehr schenkt, bevor es nicht aufgekommen ist, wer es getan hat.
Wir haben jetzt vor der Religionsstunde immer ein Gebet sagen müssen zur Entdeckung eines gräßlichen Frevels.
Es hat aber nichts geholfen, und niemand weiß etwas, bloß ich und der Fritz wissen es.
Ich war auf einmal furchtbar fromm. Drei Wochen lang hat uns der Religionslehrer Falkenberg vorbereitet auf die heilige Kommunion, und ich habe zum Fritz gesagt: “Wir müssen ein anderes Leben anfangen.”
Den Fritz hat es auch gepackt, weil der Falkenberg einmal so weinte und sagte, er kann es nicht verantworten, einen verdorbenen Knaben zum Tisch des Herrn zu schicken.
Weil neulich vor dem Kommunionsunterricht an die Türschnalle Senf hingeschmiert war und der Religionslehrer meinte, es ist etwas anderes.
Ich habe gewußt, daß es der Fritz getan hat, und ich habe mich schon gefreut, daß der Falkenberg eingegangen ist, aber er hat uns eine halbe Stunde lang beten lassen, daß die Feveltat vorübergeht. Und wie es vorbei war, sagte der Fritz zu mir, ob ich glaube, daß wir es weggebetet haben. Ich sagte, daß ich es glaube, weil der Falkenberg sonst nicht aufgehört hätte. Aber ich sagte: “Du mußt auch ein anderer werden, Fritz. Probier es nur, es geht ganz gut.” Er fragte, ob ich es fertiggebracht habe.
Ich sagte: “Ja, weil ich jetzt furchtbar fromm bin. Die Tante Fanny gibt immer Obacht, wenn ich im Gebetbuch lese, und sagt zu Onkel Pepi, daß mit mir eine Veränderung geschehen ist. Sie glaubt, daß ich in mich gegangen bin, und ich glaube es auch, weil ich jetzt schon eine Viertelstunde lang beten kann und nicht denke, wie ich der Tante etwas antue.”
Der Fritz sagte, er will morgen anfangen, aber heute muß er noch dem Schuster Rettenberger das Fenster einschmeißen, denn er hat ihn beim Pedell verschuftet, daß er ihn mit einer Zigarre gesehen hat.
Ich sagte, er soll warten bis nach der Kommunion, weil ich mittun möchte, aber Fritz sagte, daß er nicht beten kann, vor er das Fenster kaputtgeschmissen hat, weil er voll Zorn ist.
Der Rettenberger lacht immer, wenn er ihn sieht, und gestern hat er ihm nachgeschrien: “Gelt, ich hab dich schön erwischt, du Lausbub, du miserabliger!”
Da hab ich denn Fritz recht gegeben, weil es eine solche Gemeinheit ist, und ich hätte so gerne mitgetan.
Aber es ging nicht, denn ich habe mich schon acht Tage lang vorbereitet, und da hätte ich wieder von vorne anfangen müssen.
Das ist gar nicht leicht.
Die Tante Fanny hat Obacht gegeben, daß ich nicht auslasse. Sie hat mir recht wenig zum Essen gegeben, weil man sich täglich einmal abtöten muß, aber die Magd hat zu mir gesagt, daß sie ein Knack ist und sparen will.
Vor dem Bettgehen habe ich die Gewissenserforschung treiben müssen; da habe ich den Beichtspiegel vorgelesen, und der Onkel Pepi und die Tante haben alles erklärt. Der Onkel Pepi ist ganz heilig. Er ist Sekretär am Gericht, aber er sagt oft, daß er ein Pfarrer hat werden wollen, aber weil er kein Geld hatte, ist er mit dem Studieren nicht ganz fertig geworden.
Wie er einmal mit der Tante recht gestritten hat, da hat die Tante gesagt, daß er zu dumm war für das Gymnasium. Der Falkenberg mag ihn gerne, weil er alle Tage in die Kirche geht und ihm alles sagt, was die Leute im Wirtshaus reden.
Meine Mutter hat ihm geschrieben, daß er mich unterstützt und belehrt für die heilige Handlung, damit ich so fromm werde wie er.
Das hat ihn gefreut, und er ist alle Tage bis neun Uhr dageblieben und hat gepredigt. Dann ist er ins Wirtshaus gegangen. Einmal hat er aus einem Buche vorgelesen, daß man täglich sein Gewissen erforschen muß und es machen soll wie der heilige Ignatius.
Er hatte alle Sünden in ein Büchlein geschrieben und es unter sein Kopfkissen gesteckt.
Das habe ich auch getan; aber da habe ich es vergessen, und wie ich aus der Klasse heimkam, hat mich der Onkel Pepi gerufen und gesagt: “Du hast voriges Jahr aus meiner Hosentasche zwei Mark gestohlen.” Da habe ich gemerkt, daß er meine Gewissenserforschung gelesen hat, aber es waren bloß sechzig Pfennig.
Die Tante hat gesagt, weil es ein Beichtgeheimnis ist, darf man es meiner Mutter nicht schreiben.
Da war ich froh. Nach dem Essen hat der Onkel das Seelenbad vorgelesen, wo eine Geschichte darin stand vom heiligen Antonius. Zu dem ist ein Mann gekommen, der viele Sünden hatte, und hat beichten wollen. Der Heilige hat ihm angeschafft, daß er seine Sünden aufschreibt, und das tat der Mann.
Wie er dann seine Sünden gelesen hat, ist jedesmal eine Sünde ausgelöscht worden.
Der Onkel hat die Geschichte zweimal vorgelesen, und dann hat er zur Tante gesagt:
“Liebe Fanny, es ist auch für uns eine Lehre in diesem wunderbaren Vorfalle. Wenn Gott die Sünden verzeiht, müssen wir dem Beispiele folgen.”
“Aber seine Mutter muß es ersetzen”, sagte die Tante. “Natürlich”, sagte der Onkel, “das ist notwendig wegen der Gerechtigkeit.”
“Und du sollst nicht so viel Geld in den Hosensack stecken”, sagte die Tante. “Warum nimmst du so viel Geld in das Wirtshaus mit? Drei Glas Bier sind genug für dich, das macht sechsunddreißig Pfennig; aber natürlich, ihr müßt ja der Kellnerin ein Trinkgeld geben, als wenn du etwas zum Verschenken hättest mit deinem Gehalt.”
“Das gehört nicht hierher”, sagte der Onkel; “was soll der Bursche denken, wenn du seine Aufmerksamkeit ablenkst.”
“Er wird denken, daß er dir noch mehr stiehlt, wenn du so viel Geld in den Hosensack steckst”, sagte die Tante. “Wer weiß, wieviel er schon genommen hat. Du natürlich weißt es nicht, weil du ja nicht achtgibst, als hättest du das Gehalt von einem Präsidenten.”
“Ich habe bloß einmal die sechzig Pfennig genommen”, sagte ich.
“Es waren wenigstens zwei Mark”, sagte der Onkel, “aber ich verzeihe dir, wenn du es aufrichtig bereust und gegen diesen Fehler ankämpfen willst. Du mußt den heiligen Vorsatz fassen, daß du es nie mehr tust und die Versuchung meidest und meinen Hosensack nie mehr aussuchst.”
Ich war furchtbar zornig, aber ich durfte es nicht merken lassen. Ich dachte, wenn die Kommunion vorbei ist, dann will ich ihn schon ärgern, daß er blau wird. Vielleicht mache ich seine Goldfische kaputt oder etwas anderes.
Es waren bloß mehr fünf Tage.
Der Tante Frieda ihre Anna durfte heuer auch zum erstenmal zur Kommunion gehen, und sie haben ein ekelhaftes Getue mit ihr. Die Anna ist eine falsche Katze, und ich habe sie nie leiden mögen, aber jetzt bin ich noch giftiger auf sie, weil die Tante Frieda immer von ihr redet und sich so dick macht damit.
Die Tante Frieda ist die beste Freundin von der Tante Fanny, und sie sagen allemal etwas über meine Mutter, wenn sie beisammen sind.
Am Abend ist die Tante Frieda öfter gekommen, und wie sie einmal gehört hat, daß wir Andachtsübung machen, hat sie zum Onkel Pepi gesagt:
” Du tust ein gutes Werk an dem Burschen; ich fürchte bloß daß es nicht viel hilft.”
Und dann fragte sie mich, ob ich mich auf die heilige Handlung ordentlich vorbereite.
Ich sagte, daß ich mich schon zwei Wochen vorbereite.
“Vorbereiten und vorbereiten ist ein Unterschied. Ach Gott”, sagte sie, “ich weiß nicht, mein Ännchen flößt mir beinahe Angst ein. So durchgeistigt kommt sie mir vor und so angegriffen von dem Gedanken an ihre erste Kommunion. Und denkt euch nur, wie das Kind spricht! Am letzten Freitag wollte ich ihr ein bißchen Fleischsuppe geben, weil sie doch so schwächlich ist. Aber sie hat es um keinen Preis nicht genommen. Ich sagte, es ist doch eine Kleinigkeit. “Nein”, sagte sie, “liebe Mutter, kann das eine Kleinigkeit sein, was Gott beleidigt?” Und ihre Augen glänzten ganz dabei. Mir ist ganz anders geworden. Liebe Mutter, hat sie gesagt, kann das eine Kleinigkeit sein, was Gott beleidigt?”
Tante Fanny war erstaunt und nickte mit dem Kopfe auf und ab, und der Onkel Pepi machte große Augen auf mich und hatte Wasser darin. Er sagte zu mir: “Hörst du das?”
Ich sagte, daß ich es schon gelesen habe, weil es eine Heiligengeschichte ist, die wo in unserem Vorbereitungsbuche steht.
Tante Frieda ärgerte sich furchtbar, daß ich es wußte. Sie sagte, daß sie es nicht glaubt, weil ich immer lüge, aber wenn es wahr ist, dann macht es auch nichts, weil man sieht, daß Ännchen die Moral in sich aufgenommen hat.
Und sie erzählte, daß Anna gestern nicht geschlafen hat und weinend im Bett gesessen hat. “Was hast du, Kind?” hat sie gefragt. “Ich habe ein Stück Brotrinde gegessen”, hat Anna gesagt. “Warum sollst du keine Brotrinde nicht essen?” hat die Tante Frieda gefragt. “Weil das Essen schon vorbei war, und die Brotrinde war nicht mehr für mich bestimmt, das war ein Unrecht, und ich habe so fest vorgehabt, daß ich keine Sünde mehr begehe”, hat die Anna gesagt, und sie hat noch mehr geweint. “So ist das Kind”, sagte die Tante Frieda, ” sie kommt mir oft überirdisch vor, und ich kann sie nicht beruhigen.”
“Es gibt Kinder, welche zwei und drei Mark aus einem Hosensacke stehlen und keine Unruhe verspüren”, sagte Onkel Pepi.
Und Tante Frieda wußte es schon von der Tante Fanny und sagte: “Es ist der Fluch der milden Erziehung.”
Das habe ich alles hören müssen, und ich war froh, wie der Kommunionstag da war. Meine liebe Mutter hat mir einen schwarzen Anzug geschickt und eine große Kerze. Sie hat mir geschrieben, daß es ihr weh tut, weil sie nicht dabei sein kann, aber ich soll mir vornehmen, ein anderes Leben anzufangen und ihr bloß Freude zu machen.
Das habe ich mir auch vorgenommen.
Wir waren vierzehn Erstkommunikanten von der Lateinschule, und die Frau Pedell hat zu uns gesagt, daß sie weinen muß, weil wir so feierlich ausgesehen haben, wie lauter Engel. Der Fritz hat auch ein ernstes Gesicht gemacht, und ich habe ihn beinahe nicht gekannt, wie er langsam neben mir hergegangen ist.
Wir waren auf der einen Seite aufgestellt. Auf der anderen Seite waren die Mädel aufgestellt von der höheren Töchterschule. Da war die Anna dabei. Sie hat ein weißes Kleid angehabt und Locken gebrennt. Ich habe sie in der Sakristei angeredet, bevor wir in die Kirche hineinzogen.
Sie sagte, daß sie heute recht heiß und innig für meine Besserung beten will.
Ich habe mich nicht geärgert, weil ich so friedfertig war, und in der Kirche war ich nicht wie sonst. Ich habe gar nicht gemerkt, daß es lang gedauert hat, und ich habe nicht gedacht, was ich nachher tue. Ich habe gemeint, es ist jetzt alles anders.
Viele Eltern, die da waren, haben ihre Kinder geküßt, wie alles vorbei war, und ich bin zur Tante Fanny und zum Onkel Pepi hingegangen.
Da stand die Tante Frieda bei ihnen und sagte zu mir: “Du hast die dickste Kerze gehabt. Keiner hat eine so dicke Kerze gehabt wie du. Sie hat gewiß um zwei Mark mehr gekostet als die, welche ich meinem Ännchen gab. Aber deine Mutter will immer oben hinaus.”
Und die Tante Fanny sagte: “Natürlich, wenn man einen höheren Beamten geheiratet hat.”
Da habe ich gesehen, daß sie einen nicht fromm sein lassen, und ich habe mit dem Fritz was ausgemacht.
Er wohnt auch in der weiten Gasse und kann der Tante Frieda in die Wohnung sehen. Da steht ein Schrank mit einem Spiegel; und der Fritz hat eine Luft Pistole.
Aber jetzt hat der Spiegel auf einmal ein Loch gehabt.
Wie ich in die Ostervakanz gefahren bin, hat die Tante Fanny gesagt: “Vielleicht kommen wir zum Besuch zu deiner Mutter. Sie hat uns so dringend eingeladen, daß wir sie nicht beleidigen dürfen.”
Und Onkel Pepi sagte, er weiß es nicht, ob es geht, weil er soviel Arbeit hat, aber er sieht es ein, daß er den Besuch nicht mehr hinausschieben darf. Ich fragte ihn, ob er nicht lieber im Sommer kommen will, jetzt ist es noch so kalt, und man weiß nicht, ob es nicht auf einmal schneit. Aber die Tante sagte: “Nein, deine Mutter muß bös werden, wir haben es schon so oft versprochen.” Ich weiß aber schon, warum sie kommen wollen; weil wir auf Ostern das Geräucherte haben und Eier und Kaffeekuchen, und Onkel Pepi ißt so furchtbar viel. Daheim darf er nicht so, weil Tante Fanny gleich sagt, ob er nicht an sein Kind denkt.
Sie haben mich an den Postomnibus begleitet, und Onkel Pepi hat freundlich getan und hat gesagt, es ist auch gut für mich, wenn er kommt, daß er den Aufruhr beschwichtigen kann über mein Zeugnis.
Es ist wahr, daß es furchtbar schlecht gewesen ist, aber ich finde schon etwas zum Ausreden. Dazu brauche ich ihn nicht.
Ich habe mich geärgert, daß sie mich begleitet haben, weil ich mir Zigarren kaufen wollte für die Heimreise, und jetzt konnte ich nicht. Der Fritz war aber im Omnibus und hat zu mir gesagt, daß er genug hat, und wenn es nicht reicht, können wir im Bahnhof in Mühldorf noch Zigarren kaufen.
Im Omnibus haben wir nicht rauchen dürfen, weil der Oberamtsrichter Zirngiebl mit seinem Heinrich darin war, und wir haben gewußt, daß er ein Freund vom Rektor ist und ihm alles verschuftet.
Der Heinrich hat ihm gleich gesagt, wer wir sind. Er hat es ihm in das Ohr gewispert, und ich habe gehört, wie er bei meinem Namen gesagt hat: “Es ist der Letzte in unserer Klasse und hat in der Religion auch einen Vierer.”
Da hat mich der Oberamtsrichter angeschaut, als wenn ich aus einer Menagerie bin, und auf einmal hat er zu mir und zum Fritz gesagt:
“Nun, ihr Jungens, gebt mir einmal eure Zeugnisse, daß ich sie mit dem Heinrich dem seinigen vergleichen kann.”
Ich sagte, daß ich es im Koffer habe, und er liegt auf dem Dache vom Omnibus. Da hat er gelacht und hat gesagt, er kennt das schon. Ein gutes Zeugnis hat man immer in der Tasche. Alle Leute im Omnibus haben gelacht, und ich und der Fritz haben uns furchtbar geärgert, bis wir in Mühldorf ausgestiegen sind.
Der Fritz sagte, es reut ihn, daß er nicht gesagt hat, bloß die Handwerksburschen müssen dem Gendarm ihr Zeugnis hergeben. Aber es war schon zu spät. Wir haben im Bahnhof Bier getrunken, da sind wir wieder lustig geworden und sind in die Eisenbahn eingestiegen.
Wir haben vom Kondukteur ein Rauchcoupe verlangt und sind in eins gekommen, wo schon Leute darin waren. Ein dicker Mann ist am Fenster gesessen, und an seiner Uhrkette war ein großes silbernes Pferd.