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Mit knapper Not hat die engagierte Bundestagsabgeordnete Dr. Martina Wernicke ein Attentat überlebt. Nach ihrer Genesung erholt sie sich im Wochenendhaus einer Mitstreiterin von dem Schock und auch von dem intrigenreichen Spiel um Macht, das ihr Leben seit Jahren bestimmt. Sie genießt den Frühling in der märkischen Landschaft und versucht zugleich, die wachsenden Zweifel am Sinn ihrer Arbeit und die Sehnsucht nach ihrer Ex-Geliebten Eleni zu ergründen. Schon bald lernt sie Laura und Stefan Vogel kennen, das junge Paar von nebenan, das sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Als die beiden in Gefahr geraten, Martinas Zeit der Besinnung vorbei. Sie beginnt zu kämpfen - für ihre Nachbarn, für ihre Überzeugungen und für eine zweite Chance mit der Frau, die sie liebt. "Eine sehr glaubwürdige und lesenswerte Bilanz einer engagierten Idealistin, die mit den Realitäten des politischen Alltags hadert" - so Angela Schwarz in der österreichischen Rezensionszeitschrift WeiberDiwan.
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Seitenzahl: 300
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FRAUEN IM SINN
Verlag Krug & Schadenberg
Literatur deutschsprachiger und internationaler
Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,
historische Romane, Erzählungen)
Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen
rund um das lesbische Leben
Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.
Claudia Breitsprecher
Auszeit
Roman
K+S digital
Für Anja
»Das Glück
kommt in der Beobachtung.
Dazu müssen wir sehen können.
Und zum Sehen braucht es Licht.
Außen und innen.«
Miriam Meckel
1
Wie es aussieht, ist mir niemand gefolgt. Ich parke den Wagen direkt vor dem Haus und sehe ein letztes Mal in den Rückspiegel, um ganz sicherzugehen, dann hole ich die Schlüssel aus dem Rucksack; Eingangstür, Briefkasten, Keller. Ein Sicherheitsschloss gibt es nicht, aber Frauke hat gesagt, das sei auch nicht nötig. Ich muss ihr glauben, auch wenn mir nicht ganz wohl dabei ist.
Es ist bereits Mittag. Ich steige aus dem Wagen und nehme mir Zeit, das Grundstück zu mustern, das in den kommenden Wochen meine Zuflucht sein soll. Die Fassade des Hauses reflektiert das Licht der Frühjahrssonne, der Rasen wirkt verwildert, die Blüten der Obstbäume sind auf die Erde geschneit. Ein Rotkehlchen blickt von der Dachrinne herunter. Sein Gesang ertönt im Wechsel mit einem Hämmern, das aus dem Schuppen der Nachbarn zu kommen scheint. Die Gartenpforte quietscht metallisch, als ich sie öffne. Nirgends ist jemand zu sehen.
Ich bin es nicht gewohnt, allein zu sein, ohne Menschen in den Bankreihen um mich herum, ohne Stimmen auf dem Anrufbeantworter und Nachrichten per Mail, ohne Interviews, Streit und Stellungnahmen. Die Sehnsucht nach Ruhe nimmt mich an die Hand und führt mich in die Abgeschiedenheit. Es ist unwirklich. Es ist beängstigend. Und doch ist es der Himmel auf Erden in diesem Moment.
Mein erster Besuch im Dorf liegt vierzehn Jahre zurück. An einem schwülen Nachmittag im August saß ich mit Frauke und Carsten im Schatten des Apfelbaumes. Während er die Klausuren seines Leistungskurses korrigierte, malte Frauke mir das Leben als Bundestagsabgeordnete in den buntesten Farben aus, um mich dafür zu begeistern. Groß und vollbusig saß sie mir am Tisch gegenüber, das graumelierte Haar fiel offen auf ihre Schultern, und zahlreiche Buttons auf der Leinenbluse schmückten ihre Brust wie Orden die eines Generals. Wir aßen Kirschkuchen und tranken Eiskaffee. Sie sprach von meiner Dissertation, die ich gerade veröffentlicht hatte, von meinen Erfahrungen mit dem Arbeits- und Sozialrecht und davon, wie dringend die Partei mich brauche. Wir redeten über Gleichstellungspolitik, die unser beider Steckenpferd war. Sie teilte meine Ansichten, wollte mich an ihrer Seite sehen und tat dafür, was sie am besten konnte: sie argumentierte, debattierte, lockte mich. Fasziniert bemerkte ich den Kampfgeist im Blick ihrer haselnussbraunen Augen, die vor Aufregung geröteten Wangen und den Nachdruck in den Gesten ihrer Hände.
Was sie sagte, klang reizvoll. Ein Bundestagsmandat bot die Chance, mitzuwirken an Veränderungen, die das ganze Land betrafen. Es war eine Möglichkeit, die Zukunft zu beeinflussen. Ideen zu entwickeln. Meinen nimmermüden Kopf durchzusetzen gegen die anderen Fraktionen und gegen den Alarm, den mein Herz zu schlagen begann, denn ich fühlte mich wohl im Ruhrgebiet. Die Arbeit im Rat der Stadt Herne war eine perfekte Ergänzung zu meinem Beruf als Anwältin. Vormittags vertrat ich Verkäuferinnen bei Kündigungsschutzklagen, nachmittags beriet ich in der Kanzlei arme Teufel, denen das Sozialamt das Bekleidungsgeld gekürzt hatte, und abends verteidigte ich die Haltung der Partei in irgendeinem Ausschuss, dessen Mitglieder nach dem Ende einer jeden Sitzung gemeinsam im Ratskeller ein Bier trinken gingen. Mein Leben war ausgefüllt, ich war zufrieden. Aber Fraukes Worte fütterten meinen Ehrgeiz, der auf den Geschmack gekommen war. Gesetze nicht nur auslegen, sondern erarbeiten. Reformieren. Gestalten. Als die Sonne sich in die Kronen der Bäume senkte, hatte sie mich überzeugt. Ich fühlte mich bereit für diesen neuen Schritt, kandidierte für einen aussichtsreichen Listenplatz und eroberte ihn. Die Wahlen kamen, die Stimmen wurden ausgezählt. Und plötzlich war ich Dr.Martina Wernicke, MdB.
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