Autismus im Kleinkindalter - Prithvi Perepa - E-Book

Autismus im Kleinkindalter E-Book

Prithvi Perepa

3,8
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wird beim eigenen Kind Autismus diagnostiziert, ist das für viele Eltern zunächst ein Schock. Die Ausprägung und das genaue Erscheinungsbild der Diagnose hängen zwar von der Einordnung innerhalb des Autismus-Spektrums ab, doch Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen sowie im flexiblen Denken sind immer zu erwarten. Wichtig ist daher, dass den Familien professionell und empathisch zur Seite gestanden wird. In diesem Buch erklärt der Autor, wie Pädagogen in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern die betroffenen Kinder als auch deren Familien bestmöglich und individuell unterstützen können. Anhand von Beispielen aus der Praxis und unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse werden die charakteristischen Denk- und Verhaltensweisen autistischer Kinder verständlich dargestellt und Übungen zur Förderung angeleitet. Auch Eltern oder Geschwister bekommen durch dieses Buch eine fundierte und gut verständliche Einführung in die Welt des autistischen Kindes.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 229

Bewertungen
3,8 (16 Bewertungen)
4
8
1
3
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prithvi PerepaAutismus im KleinkindalterGrundlagenwissen für professionelle Helfer und Eltern

Über dieses Buch

Wird beim eigenen Kind Autismus diagnostiziert, ist das für viele Eltern zunächst ein Schock. Die Ausprägung und das genaue Erscheinungsbild der Diagnose hängen zwar von der Einordnung innerhalb des Autismus-Spektrums ab, doch Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen sowie im flexiblen Denken sind immer zu erwarten. Wichtig ist daher, dass den Familien professionell und empathisch zur Seite gestanden wird. 

In diesem Buch erklärt der Autor, wie Pädagogen in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern sowohl die betroffenen Kinder als auch deren Familien bestmöglich und individuell unterstützen können. Anhand von Beispielen aus der Praxis und unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse werden die charakteristischen Denk- und Verhaltensweisen autistischer Kinder verständlich dargestellt und Übungen zur Förderung angeleitet. 

 Auch Eltern oder Geschwister erhalten eine fundierte und gut verständliche Einführung in die Welt des autistischen Kindes.

Prithvi Perepa arbeitet und forscht seit über 20 Jahren auf dem Gebiet des Autismus. Er ist Dozent an der Universität in Northampton.

Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2016

Copyright © der Originalausgabe: Prithvi Perepa, 2013

Open International Publishing Limited. All rights reserved. German language edition of Understandning Autism in the Early Years published by McGraw-Hill Education / Open University Press UK.

Übersetzung: Guido Plata

Coverfoto: © Sunny studio – www.fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2016

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-502-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-519-9 (EPUB), 978-3-95571-521-2 (PDF), 978-3-95571-520-5 (MOBI).

In diesem Buch sind Internet-Adressen von externen Websites für die weiterführende Recherche aufgelistet. Diese Websites unterliegen der Haftung der jeweiligen Betreiber. Sie wurden mit größtmöglicher Sorgfalt daraufhin überprüft, ob etwaige Rechtsverstöße bestehen. Zu dem Zeitpunkt waren keine Rechtsverstöße ersichtlich.Der Junfermann Verlag hat keinerlei Einfluss auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung und auf die Inhalte der Seiten.

Für meine Mum und meinen Dad

1. Einführung in das Autismusspektrum

Ob Sie nun bereits seit langer Zeit mit Kindern arbeiten oder neu auf diesem Gebiet sind, Sie haben mit Sicherheit schon von den Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gehört. Dies ist unter anderem dem Interesse der Medien an diesem Thema zu verdanken, das allerdings leider auch zu Missverständnissen und der Verbreitung unzutreffender Informationen geführt hat. In diesem Kapitel soll daher zunächst eine Einführung in die Thematik anhand einiger grundlegender Fakten geboten werden.

Der Begriff Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) bezeichnet eine Reihe von Problemen in zwei zentralen Bereichen der menschlichen Entwicklung, nämlich:

soziale Kommunikation und Interaktion sowie

Vorstellungsvermögen und flexibles Denken.

1

Bis vor Kurzem betrachtete man die Beeinträchtigungen in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion noch als getrennt voneinander und sprach daher in Verbindung mit dem dritten Symptombereich (repetitive und stereotype Verhaltensmuster) entsprechend einem Vorschlag von Wing (1981) von einer „Triade der Beeinträchtigung“. In der 2013 erschienenen fünften Revision des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5), dem Klassifikationssystem der US-amerikanischen American Psychiatric Association (APA), wurden die ersten beiden Symptombereiche jedoch zusammengefasst. Demgegenüber ist die klassische Symptomtriade in der ICD-10 noch vorhanden.

Autismus-Spektrum-Störungen zählen zu den Entwicklungsstörungen, das bedeutet, sie betreffen das Individuum bereits in der Kindheit. Oft sind die Symptome auch schon in dieser frühen Entwicklungsphase sichtbar, weshalb man in älteren Versionen des DSM nur dann den sogenannten frühkindlichen Autismus diagnostizierte, wenn sich die Störung vor dem dritten Lebensjahr manifestierte. (In der noch bis 2017 gültigen und jährlich aktualisierten ICD-10-GM, der speziellen deutschen Fassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme /International Classification of Diseases and Related Health Problems, welche vom deutschen DIMDI, dem Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information, herausgegeben wird, ist dieses Kriterium ebenfalls noch enthalten. Voraussichtlich werden die diagnostischen Klassifikationen und Kriterien allerdings mit dem Erscheinen der ICD-11 im Jahre 2018 an das aktuelle DSM angeglichen.) Leider ist es nicht immer möglich, bei Kindern in einem so frühen Lebensabschnitt eine eindeutige Diagnose zu stellen; insbesondere dann nicht, wenn entweder sehr schwerwiegende Lernstörungen oder aber überhaupt keine Lernstörungen vorliegen. Betrachten wir dazu zwei Fallstudien, die veranschaulichen, welche Auswirkungen eine Autismus-Spektrum-Störung haben kann.

Fallstudie 1

Bereits als Säugling wollte Mohammed nicht gern geknuddelt werden, weshalb seine Mutter schon damals besorgt war, dass irgendetwas mit ihrem Sohn nicht stimmen könne. Später hatte er im Alter von drei Jahren noch nicht zu sprechen begonnen, und auch heute, mit fünf Jahren, spricht er kaum. Manchmal sagt er sinnlose Wörter, aber nicht, um Bitten zu äußern. Mohammed mag es nicht, wenn irgendetwas von seiner täglichen Routine abweicht, beispielsweise wenn ein anderer Weg zum Supermarkt genommen wird oder Freunde und Familie zu Besuch kommen. Bei solchen Gelegenheiten regt er sich sehr auf, beginnt zu weinen und versucht, die Gäste hinauszuschieben.

Fallstudie 2

Im Alter von nur fünf Jahren spielt Ben schon so gut Klavier wie ein professioneller Musiker. Seine Eltern können sich darüber nur wundern, da sie beide keine Musiker sind. Ben begann zu spielen, als die Familie bei Verwandten zu Besuch war. Die Verwandten besaßen ein Klavier, und Ben hörte sie spielen. Beobachtet man ihn beim Klavierspielen, glaubt man nicht, dass er irgendwelche Probleme oder Einschränkungen hat. Dies beginnt man erst dann zu vermuten, wenn man Ben sagt, dass er mit dem Klavierspielen aufhören soll, bevor er sich selber entschieden hat, dass er nun damit fertig ist; oder wenn er in der Kirche oder im Haus anderer Leute auf einem dort stehenden Klavier zu spielen beginnt und man ihn auffordert, es zu unterlassen. Bei solchen Gelegenheiten regt Ben sich sehr auf und zeigt dies, indem er zu weinen beginnt und sich in der Regel auch auf den Boden wirft. Bens Eltern sind nicht sicher, ob dies darauf zurückzuführen ist, dass Ben ein Einzelkind ist und sie vielleicht nicht streng genug mit ihm sind.

Auf den ersten Blick scheint es, als ob diese Kinder über sehr unterschiedliche geistige Fähigkeiten verfügen, aber bei beiden wurde diagnostiziert, dass sie sich auf dem Autismusspektrum befinden. Der Grund für die Verwendung des Wortes „Spektrum“ in diesem Zusammenhang ist, dass sich Autismus-Spektrum-Störungen individuell auf sehr unterschiedliche Weise auswirken.

1.1 Die Entdeckung des Autismusspektrums

Die Vorstellung von Autismus als Erkrankung kam in den 1930er- und 1940er-Jahren in unterschiedlichen Teilen der Welt auf. Bereits 1911 prägte der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler den Begriff „Autismus“, allerdings als Bezeichnung für den Rückzug in sich selbst bei Schizophrenie. Im Jahre 1938 verwendete der österreichische Kinderarzt Hans Asperger denselben Begriff zur Beschreibung auffälliger Kinder, die die typischen Merkmale des später nach ihm benannten Asperger-Syndroms aufwiesen. Der aus Österreich emigrierte, US-amerikanische Kinderpsychiater Leo Kanner prägte unabhängig davon fast zeitgleich im Jahre 1943 den Begriff Autismus für eine entsprechende Störung im frühen Kindesalter (early infantile autism), nachdem er eine Gruppe von elf Kindern mit entsprechender Symptomatik intensiv untersucht hatte, weshalb man den frühkindlichen Autismus auch heute teilweise noch als Kanner-Syndrom bezeichnet. Obwohl Asperger 1944 seine ein Jahr zuvor eingereichte Habilitationsschrift mit dem Titel „Die ‚Autistischen Psychopathen‘ im Kindesalter“ veröffentlichte, die eine detaillierte Beschreibung der charakteristischen Symptome enthielt, blieb seine Arbeit in der englischsprachigen Fachwelt lange unbekannt, bis sie 1981 von Wing in einem Fachartikel erwähnt und später von Frith (1991) ins Englische übersetzt wurde. Erst danach fand das Asperger-Syndrom als eigene Unterkategorie von Autismus weltweit Anerkennung. Die beiden Unterkategorien von Autismus, der frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom, sind in der ICD-10-GM noch gebräuchlich (daneben existiert in diesem System noch der sogenannte atypische Autismus), im DSM-5 wurden frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom innerhalb der Autismus-Spektrum-Störungen zusammengefasst.

Dass bis in die 1940er-Jahre keine diagnostischen Klassifikationen existierten, bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keinen Autismus gegeben hätte. Tatsächlich gibt es viele Hinweise darauf und teils auch Belege dafür, dass viele Menschen sich auch in früheren Zeiten auf dem Autismusspektrum befunden haben (Frith, 2003). Jedoch wurde ein Kind, das in den charakteristischen Bereichen Schwierigkeiten hatte, damals nicht als autistisch diagnostiziert.

Kanner und Asperger waren überzeugt, dass die Kinder, mit denen sie arbeiteten, überdurchschnittlich intelligent waren. Als man Autismus besser zu verstehen begann, zeigte sich jedoch, dass dies nicht immer der Fall ist. Wenn Kinder mit diagnostiziertem Autismus normal oder überdurchschnittlich intelligent sind, beschreibt man ihren Zustand oft mit dem Begriff des „hochfunktionalen Autismus“ (HFA), was jedoch keine offizielle Diagnose darstellt. Ebenso können Kinder mit dem Asperger-Syndrom oder atypischem Autismus durchaus normal intelligent sein. Man darf nicht vergessen, dass Kinder auf dem Autismusspektrum ebenso wie alle anderen Kinder weitere Probleme haben können, etwa Lernstörungen, Epilepsie, Seh- oder Hörstörungen und natürlich auch psychische Störungen. Das Vorliegen mehrerer Erkrankungen zur selben Zeit wird auch als „Komorbidität“ bezeichnet, bei einer großen Zahl von Erkrankungen spricht man von „Multimorbidität“.

1.2 Wie ähnlich sind frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom?

Kinder, bei denen frühkindlicher Autismus oder das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, haben Schwierigkeiten in beiden oben genannten Bereichen (soziale Interaktion und Kommunikation sowie Vorstellungsvermögen und flexibles Denken). Der Hauptunterschied zwischen frühkindlichem Autismus und dem Asperger-Syndrom ist laut ICD-10 das Fehlen von Verzögerungen der allgemeinen, sprachlichen oder kognitiven Entwicklung, die sich bei frühkindlichem Autismus vor dem Erreichen des dritten Lebensjahres manifestieren müssen. Allerdings führte die Anwendung dieses Kriteriums in der Vergangenheit zu Überschneidungen mit dem atypischen Autismus und anderen Zustandsbildern, weshalb man das Asperger-Syndrom im DSM-5 mit den anderen Autismus-Diagnosen ICD-10 / ICD-10-GM zu den Autismus-Spektrum-Störungen zusammenfasste. In der ICD-10 / ICD-10-GM ist die Trennung zwischen den Diagnosen dementsprechend noch enthalten.

Die Konzepte und Informationen in diesem Buch sind auf jedes Kind anwendbar, das eine Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung oder von frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder des Asperger-Syndroms erhalten hat. Ebenso sind sie hilfreich für das Verständnis von Kindern, die sich auf dem Autismusspektrum befinden, jedoch andere ICD-Diagnosen wie die einer „anderen desintegrativen Störung des Kindesalters“ oder einer „nicht näher bezeichneten tief greifenden Entwickungsstörung“ erhalten haben. Kinder mit all diesen Diagnosen haben in ähnlichen Bereichen Schwierigkeiten, und wenn Sie beruflich mit Kleinkindern arbeiten, können Sie die Informationen in diesem Buch dazu nutzen, den betroffenen Kindern und ihren Familien zu helfen. In jüngerer Zeit sind neuere Bezeichnungen für die Zustandsbilder auf dem Autismusspektrum populär geworden, etwa „Auties“ für Menschen mit eher typischen Formen des Autismus oder „Aspies“ für Menschen mit Asperger-Syndrom; im englischen Sprachraum auch Autism Spectrum Conditions (ASC), übersetzt „Autismus-Spektrum-Zustandsbild“, für alle Menschen auf dem Autismusspektrum. Der Grund hierfür ist, dass insbesondere viele Betroffene ab dem Jugendalter nicht der Ansicht sind, an etwas zu leiden, was den Begriff „Störung“ oder „Syndrom“ verdient. Einige andere jedoch schätzen es, ihren Zustand als Autismus-Spektrum-Störung zu beschreiben. Infolge der hohen emotionalen Besetzung der unterschiedlichen Fachbegriffe ist es wichtig, dass Sie immer diejenigen Bezeichnungen verwenden, die den Betroffenen selbst und ihren Familien angenehm sind. Ich verzichte in diesem Buch auf inoffizielle Begriffe und verwende durchgängig „Autismus“ oder „Autismus-Spektrum-Störungen“, um leichte Lesbarkeit zu gewährleisten und Verwirrung zu vermeiden.

1.3 Soziale Kommunikation und Interaktion

Das Wort „Autismus“ basiert auf dem griechischen „autós“, was „Selbst“ bedeutet. Es wurde zur Bezeichnung autistischer Störungen gewählt, da man früher davon ausging, dass autistische Kinder am liebsten allein seien. Heute weiß man, dass dies zwar in einigen Fällen zutrifft, Autismus jedoch nicht immer mit einem Wunsch nach Alleinsein einhergeht. Manche Kinder auf dem Autismus-Spektrum möchten vielleicht mit anderen interagieren, verfügen jedoch nicht über die erforderlichen Fertigkeiten oder verstehen nicht, wie man eine Interaktion beginnt.

Soziale Interaktion erfordert ein Verständnis der sozialen Normen, der Interessen anderer Menschen und angemessene Kommunikationsfertigkeiten. Es ist bekannt, dass es Kindern auf dem Autismusspektrum große Schwierigkeiten bereitet, andere Menschen zu verstehen und ihr Verhalten vorauszuahnen. Eine Theorie zur Erklärung dieser Schwierigkeiten ist, dass es den betroffenen Kindern an „Theory of Mind“ mangelt (Baron-Cohen et al., 1985), die wir später noch genauer behandeln werden.

Wenn ein Kind die Absichten und Emotionen anderer Menschen nicht versteht, kann sich dies auf seine Fähigkeiten zum Spielen und Interagieren mit anderen Kindern ebenso auswirken wie auf seine Fähigkeiten zum Verstehen unausgesprochener sozialer Regeln. Daher wirken Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung oft grob oder ungezogen und werden dann unfairerweise auch entsprechend verurteilt. Es ist wichtig, dass man diesen Kindern dabei hilft, angemessene soziale Fertigkeiten zu entwickeln, damit sie so viel oder so wenig sie möchten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

Der zweite wichtige soziale Bereich ist die Kommunikation. Diese beschränkt sich nicht nur auf unsere Fähigkeit, zu sprechen, sondern auch auf den Einsatz von Gesten, Mimik oder schriftlichen Äußerungen, um sich selbst gegenüber anderen Menschen zu artikulieren und andere Menschen zu verstehen. Unter den Kindern mit diagnostiziertem Autismus schwanken die Kommunikationsfertigkeiten sehr stark. Manche, wie Mohammed, sprechen wenig oder gar nicht, andere hingegen sprechen sehr gut. Die Fähigkeit zum Sprechen allein sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob ein Kind auch kommunizieren kann. Es gibt autistische Kinder mit gut entwickelter Sprache, die Schwierigkeiten mit dem Verständnis einfacher Gesten haben; etwa einem Kopfschütteln als Zeichen der Verneinung. Genauso bereitet es ihnen trotz der entwickelten Sprache große Schwierigkeiten, ein Gespräch zu beginnen oder um etwas zu bitten. Man sollte also stets im Gedächtnis behalten, dass die Entwicklung von Sprache bei Kindern auf dem Autismusspektrum nicht notwendigerweise auch zur Entwicklung von Kommunikationsfertigkeiten führt. Ein weiteres Muster, das man bei Kindern auf dem Autismusspektrum oft beobachtet, ist die Wiederholung dessen, was ihnen zuvor gesagt wurde. Manche Kinder haben Schwierigkeiten, die richtigen Pronomen zu gebrauchen oder indirekte Aussagen wie „Kannst du etwas malen?“ als Aufforderung zu verstehen. Autistische Kinder verstehen derartige Sätze oft als einfache geschlossene Frage und antworten mit Ja oder Nein.

Weiterhin ist bekannt, dass Kinder auf dem Autismusspektrum Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeitsausrichtung in der Interaktion haben und daher nicht erfassen können, worauf jemand anderes mit dem Finger oder dem Blick deutet. Manche Kinder haben auch Probleme damit, in Spielen, anderen gemeinsamen Aktivitäten oder Gesprächen abzuwarten, bis sie dran sind, etwas zu tun oder zu sagen. Auch hier gilt, dass man autistischen Kindern mit den richtigen Strategien einige der benötigten Fertigkeiten in vollem Umfang beibringen oder sie lehren kann, alternative Verhaltensweisen einzusetzen.

1.4 Vorstellungsvermögen und flexibles Denken

Wenn Sie beruflich mit Kleinkindern arbeiten, werden Sie oft damit konfrontiert werden, dass Kinder auf dem Autismusspektrum anders spielen. Diese Kinder können nur schwer in Fantasiespielen „so tun als ob“ oder etwas spielen, das eine Interaktion mit anderen Kindern beinhaltet. Der Grund liegt zumeist in ihren Problemen mit sozialer Kommunikation und Interaktion. In der Folge entscheiden die Kinder sich oft, allein zu spielen, oder sie versuchen, andere Kinder auf sehr ungewöhnliche Weise zu einem gemeinsamen Spiel aufzufordern. Beispielsweise könnte ein autistisches Kind den von einem anderen Kind aus Bauklötzen gebauten Turm umstoßen, um ein gemeinsames Spiel zu beginnen. Solche Verhaltensweisen sind zwar bei anderen Kindern ebenfalls anzutreffen, aber Kinder auf dem Autismusspektrum können nicht einschätzen, ob ihr eigenes Verhalten bei dem anderen Kind Leid verursacht.

Manche autistischen Kinder nutzen Spielsachen auf unkonventionelle Weise. Ein autistisches Kind beispielsweise könnte ein Spielzeugauto, anstatt es durch die Gegend zu schieben, einfach nur in der Hand halten und am Lenkrad drehen. Oder es könnte die Utensilien in einem Kochset für Kinder nach der Farbe sortieren, anstatt sich in die Rolle einer kochenden Mutter zu versetzen. Das bedeutet keineswegs, dass Kinder auf dem Autismusspektrum niemals „so tun als ob“; manche können durchaus an entsprechenden Fantasiespielen teilnehmen, auch wenn dies dann größtenteils darin besteht, dass sie ihnen bekannte Geschichten imitieren.

Schwierigkeiten in Bezug auf das Vorstellungsvermögen und die Unfähigkeit zu flexiblem Denken können dazu führen, dass Kinder auf dem Autismusspektrum eher reale statt in der Fantasie stattfindende Aktivitäten bevorzugen und lieber greifbare Gegenstände für das Spielen benutzen. Aus diesem Grund haben manche dieser Kinder Probleme damit, sich beispielsweise in einer Gruppe gegenseitig Fantasiegeschichten zu erzählen. Auch kommen sie nur schwer damit zurecht, wenn sie wegen schlechten Wetters drinnen spielen müssen oder aufgrund von Bauarbeiten einen anderen Weg in den Park nehmen müssen.

Natürlich ist ein Kind mit Autismus genauso einzigartig wie jedes andere, und daher zeigen auch Kinder auf dem Autismusspektrum niemals exakt dieselben Merkmale. Im nächsten Kapitel werden wir die diagnostischen Kriterien eingehender behandeln.

1.5 Prävalenz und Ursachen

Derzeit geht man davon aus, dass ähnliche Prävalenzraten für Autismus-Spektrum-Störungen in allen ethnischen und kulturellen Gruppen vorliegen. Allerdings wurden in einigen Studien Unterschiede in den Prävalenzraten zwischen einzelnen Ländern und ethnischen Gruppen gefunden (Goodman & Richards, 1995; Croen et al., 2002), sodass in dieser Hinsicht weitere Forschungen erforderlich sind. In der ersten Prävalenzstudie von Lotter (1966) wurde geschätzt, dass in jeder Gruppe von 10.000 Personen jeweils vier Fälle von Autismus vorliegen. Die Zahlen haben sich seither verändert, und nachdem viele unterschiedliche Schätzungen der Prävalenz kursierten, wird aktuell geschätzt, dass sich von jeweils 100 Kindern eines auf dem Autismusspektrum befindet (Baird et al., 2006; Baron-Cohen et al., 2009).

Die Forscher sind sich nicht sicher, ob die Veränderung in den Prävalenzraten auf eine Zunahme der Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen zurückzuführen ist oder lediglich auf eine größere Bewusstheit der Existenz dieser Störungen und bessere diagnostische Verfahren. Wing (1996) und Kielinen (2000) etwa gehen davon aus, dass die Zunahme der Diagnose Autismus auf eine breitere Auffassung der diagnostischen Kriterien zurückzuführen ist, die dazu geführt habe, dass bei mehr Kindern das Asperger-Syndrom und atypischer Autismus diagnostiziert wurden. Wing (1996) und Bishop et al. (2008) schlagen vor, dass infolge verbesserter diagnostischer Werkzeuge und einer breiter gefassten Definition mehr Fachleute eher das diagnostische Etikett einer Autismus-Spektrum-Störung verwenden würden als das eines anderen Zustandsbilds wie einer globalen Lernstörung. Andere Forscher teilen diese Auffassung jedoch nicht, und so untersucht man auch Umwelteinflüsse als mögliche Ursachen einer echten Zunahme der Autismus-Spektrum-Störungen.

Man geht davon aus, dass mehr Männer als Frauen von Autismus-Spektrum-Störungen betroffen sind. Die entsprechenden Zahlen reichen von einem Verhältnis von einer Frau pro vier Männer bis zu einer Frau pro zehn Männer (MRC 2001). Dieser geschlechtsspezifische Unterschied wurde oft der genetisch bedingten Natur der Störungen zugeschrieben. Attwood et al. (2006) schlagen jedoch stattdessen vor, dass der Unterschied darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Störungen sich bei Frauen anders darstellten und daher schwieriger zu identifizieren seien. Beispielsweise führen die Autoren aus, dass Frauen über mehr Empathie verfügen und andere Arten von störungsbezogenen Obsessionen zeigen würden, die sich mit den gegenwärtig vorhandenen diagnostischen Werkzeugen nicht als Folge von Autismus erkennen ließen. Es gibt ein zunehmendes Forschungsinteresse an Mädchen mit Autismus, und es finden Studien statt, um die diagnostischen Werkzeuge so zu modifizieren, dass sie eine höhere Geschlechtssensitivität aufweisen.

Auch wenn Autismus bereits seit fast 70 Jahren als eigenständiges Zustandsbild anerkannt ist, liegt die genaue Ursache dieser Störungen noch im Dunkeln. In der Vergangenheit haben oft Fachleute wie beispielsweise Bettelheim (1967) die Eltern für den Autismus der Kinder verantwortlich gemacht. Diese Annahme wurde jedoch widerlegt, und wir wissen heute, dass schlechte elterliche Fürsorge keine Ursache von Autismus ist. Aktuelle Forschungen deuten auf eine neurobiologisch begründete Entstehung der Autismus-Spektrum-Störungen hin, der möglicherweise genetische und auf die Gehirnentwicklung bezogene Faktoren zugrunde liegen (MRC, 2001). Die zentralen Studien zu genetischen Faktoren basieren auf der Untersuchung eineiiger Zwillinge, bei denen man herausgefunden hat, dass, wenn einer davon an Autismus leidet, der andere dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls tut (Bailey et al., 1995). Da eineiige Zwillinge identische Erbanlagen haben, nimmt man eine genetische Grundlage von Autismus-Spektrum-Störungen an. Andere Zwillings- und Familienstudien (Gillberg, 1991; Piven et al., 1997) scheinen ebenfalls darauf hinzudeuten, dass Autismus in manchen Familien gehäuft auftritt. Tatsächlich schreibt Rutter (2005) sogar, dass Autismus zu den Erkrankungen zu zählen sei, bei denen Vererbung die größte Rolle spiele. Pennington (2009) stimmt dieser Sichtweise in Bezug auf mögliche Erblichkeit autistischer Störungen zu, mahnt jedoch an, dass diese nicht auf den Einfluss eines einzelnen Gens zurückzuführen sein könnten. Dies tritt insofern zu, als dass wir bislang noch nicht einmal ansatzweise geschafft haben, ein einzelnes „Autismusgen“ zu identifizieren. Andere Forscher wie Abraham und Geschwind (2008) stellen die genetische Theorie insgesamt infrage und argumentieren, dass genetische Faktoren nur in einer Minderheit aller Fälle eine ursächliche Erklärung liefern könnten und andere Ursachen erforscht werden müssten.

Eine Reihe von Studien befasste sich mit der Gehirnentwicklung bei Menschen mit Autismus. Courchesne (2004) beispielsweise fand heraus, dass Kinder mit Autismus ein größeres Gehirnvolumen, ein größeres Gehirngewicht und einen größeren Kopfumfang haben als sich normal entwickelnde Kinder. Elder et al. (2008) fanden heraus, dass dieser Unterschied sich typischerweise im Alter von etwa einem Jahr zeigte und sich ein langsameres Gehirnwachstum anschloss, wodurch bis zum Abschluss der Gehirnentwicklung eine Gehirngröße erreicht wurde, die in etwa der von nicht autistischen Kindern entsprach. Einige Forscher argumentierten, dass diese rasche Entwicklung die Bildung von neuronalen Verbindungen im Gehirn beeinflussen und sich auch auf bestimmte Bereiche wie Sprache und Verständnis von Emotionen auswirken könnte. Allerdings führen Unterschiede in Bezug auf das Gehirn nicht immer zu Defiziten. Eine Studie von Ashwin et al. (2007) ergab beispielsweise, dass bei Menschen mit Autismus andere Gehirnareale aktiv waren als in der Kontrollgruppe, um das Fehlen des Verständnisses von Emotionen zu kompensieren. Daher ist es nicht einfach, alle Besonderheiten von Menschen auf dem Autismusspektrum auf die Gehirnentwicklung oder eine abnorme Gehirnstruktur zurückzuführen.

Darüber hinaus werden weitere umweltbezogene Faktoren als mögliche Ursachen von Autismus untersucht. Frith (2008) schlägt vor, dass manche Viren das zentrale Nervensystem schädigen und so Autismus auslösen könnten. Sie führt weiter aus, dass Komplikationen während der Schwangerschaft und Kontakt mit Viren wie dem Erreger der Röteln in einigen Fällen zu Autismus führen könnten. Eine der jüngeren Theorien in Bezug auf die Rolle von Impfungen hat ihren Ursprung in einem Artikel von Wakefield et al. (1998), in dem die MMR-Impfung („Masern-Mumps-Röteln“) als mögliche Ursache von Autismus genannt wurde. Allerdings haben die meisten der ursprünglichen Autoren sich mittlerweile von dieser Hypothese distanziert. Auch deuten neuere Forschungsbefunde (MRC 2001; Honda et al., 2005) darauf hin, dass der MMR-Impfstoff nicht die Ursache von Autismus-Spektrum-Störungen ist.

Wie man an der gerade beschriebenen Diskussion sieht, handelt es sich bei den Autismus-Spektrum-Störungen um ein sehr komplexes Feld, auf dem aktuell eine Reihe neuere Entwicklungen stattfinden. Allerdings gibt es in keinem Fall wirklich solide Hinweise auf die genaue Ursache der Störungen. Gerade aufgrund dieser Unklarheit in Bezug auf die Ursache haben Familienangehörige von Betroffenen oft große Schwierigkeiten damit, die Störung ihres Verwandten als Störung zu akzeptieren. Für Sie ist es im Rahmen Ihrer beruflichen Tätigkeit daher sehr wichtig, dass Sie den Sorgen dieser Menschen Gehör schenken und ihnen den Kontakt mit Institutionen, von denen sie angemessene Unterstützung erhalten, ermöglichen.

Zusammenfassung

Der Begriff „Autismusspektrum“ ist ein breit gefasstes Etikett zur Beschreibung von Kindern, die Probleme in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie Vorstellungsvermögen und flexiblem Denken haben.Autismus-Spektrum-Störungen wirken sich individuell auf sehr unterschiedliche Weise aus; daher wird auch der Begriff „Spektrum“ zur Bezeichnung dieser Störungen verwendet.Autismus-Spektrum-Störungen sind eine der häufigsten Formen von Behinderung, aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung betroffen ist.Die genaue Ursache von Autismus ist nach wie vor unbekannt, auch wenn die Forschung auf eine neurobiologisch begründete Entstehung der Autismus-Spektrum-Störungen hindeutet, der möglicherweise genetische und auf die Gehirnentwicklung bezogene Faktoren zugrunde liegen.

Werden Sie aktiv!

Bevor Sie mit dem nächsten Kapitel beginnen, lesen Sie noch einmal die Fallstudien von Ben und Mohammed in diesem Kapitel. Versuchen Sie zu benennen, welche der Verhaltensweisen dieser Kinder sie für die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung qualifizieren würden.Wenn Sie Zugang zu einer Betreuungseinrichtung haben, in der sich auch Kinder mit Autismus befinden, beobachten Sie einmal eines dieser Kinder. Machen Sie sich Notizen und vergleichen Sie das Verhalten dieses Kindes mit dem eines Kindes, bei dem kein Autismus diagnostiziert wurde. Ordnen Sie die Ihrer Ansicht nach charakteristischen Merkmale in die Kategorien der sozialen Kommunikation und Interaktion sowie Vorstellungsvermögen und flexibles Denken ein. Wenn möglich, beobachten Sie ein weiteres Kind mit diagnostiziertem Autismus und ordnen Sie auch seine Ihrer Ansicht nach charakteristischen Merkmale in die oben genannten Kategorien ein. Vergleichen Sie anschließend, wie ähnlich oder unähnlich sich diese beiden Kinder sind.

1   Diese beiden Punkte stellen keine Auflistung der zentralen Symptome aus den internationalen Klassifikationssystemen dar. ICD-10 und DSM-5 nennen Beeinträchtigungen in sozialer Kommunikation und Interaktion sowie eingeschränkte und repetitive Muster in Verhalten, Interessen oder Aktivitäten als zentrale Merkmale (evtl. verbunden mit Entwicklungsverzögerungen oder Intelligenzminderung). Der Autor konzentriert sich hier auf die Bereiche, die besonders wichtige Ansatzpunkte für Interventionen sind. [Anmerkung des Übersetzers]

2. Identifikation und Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung

Wenn Sie mit Kleinkindern arbeiten, dann werden Sie wahrscheinlich eine der ersten Fachkräfte sein, die Kontakt mit den betroffenen Kindern und ihren Familien haben, auch wenn noch keine Diagnose vorliegt. Aufgrund Ihrer Kenntnisse über die kindliche Entwicklung könnten Sie bemerken, dass an einem Kind etwas ungewöhnlich ist. Oder Familienangehörige des Kindes suchen Ihren Rat, weil sie wegen dessen Verhalten oder seiner Entwicklung besorgt sind. Dieses Kapitel liefert detailliertere Informationen über einige der Merkmale von Autismus-Spektrum-Störungen, die Sie auf die Möglichkeit aufmerksam machen könnten, dass ein Kind betroffen ist. Es stellt darüber hinaus das diagnostische Verfahren dar, das im Allgemeinen angewendet wird, und erklärt, wie Sie die Familie und das Kind über den gesamten Verlauf dieses Prozesses hinweg unterstützen können.

Anders als bei anderen Formen der Behinderung werden Autismus-Spektrum-Störungen nicht anhand einer medizinischen Untersuchung diagnostiziert, sondern aufgrund von Verhaltensbeobachtungen. Diese müssen von speziell ausgebildeten Ärzten vorgenommen werden, um eine Diagnose zu stellen und andere Zustandsbilder als Ursache auszuschließen. Für eine erste Einschätzung gibt es jedoch auch speziell entwickelte Tests und Untersuchungsverfahren, die von Gesundheitsberatern und anderen Fachkräften bei Hausbesuchen eingesetzt werden können. Eines davon, die im englischsprachigen Raum gebräuchliche Checklist for Autism in Toddlers (CHAT) – die „Autismus-Checkliste für Kleinkinder“ –, wurde entwickelt, um bei Kindern im Alter von 18 Monaten die Möglichkeit einer Autismus-Spektrum-Störung abzuklären. Die Liste besteht aus neun Fragen, die die zentralen Problembereiche betreffen und von den Eltern beantwortet werden müssen, sowie fünf weiteren Fragen, die vom untersuchenden Arzt beantwortet werden sollen. Allerdings ist die Genauigkeit dieses diagnostischen Werkzeugs nicht zufriedenstellend; Baron-Cohen et al. (1996) führten eine Follow-up-Studie an Kindern durch, die zuvor mit der CHAT untersucht worden waren. Sie fanden heraus, dass bei der Mehrheit der Kinder, die laut der Checkliste ein hohes Autismus-Risiko aufwiesen, auch die Diagnose Autismus gefolgt war. Allerdings gab es auch eine Anzahl von Kindern, bei denen laut der CHAT kein hohes Autismus-Risiko bestanden hatte und die in späteren Jahren dennoch als autistisch diagnostiziert wurden. Dies zeigt, dass ein Test für das diagnostische Screening zwar bis zu einem gewissen Grad hilfreich ist, aber nicht die einzige Methode für die Identifikation einer Autismus-Spektrum-Störung sein kann.

Das Forscherteam im „Autism Reseach Centre“ an der Cambridge University hat mittlerweile ein aktualisiertes diagnostisches Werkzeug für das Screening entwickelt, das den Titel Quantitative Checklist for Autism in Toddlers (Q-CHAT) trägt (übersetzt „Quantitative Checkliste für Autismus bei Kleinkindern“) und auf der Internetseite des Instituts heruntergeladen werden kann. Auch haben Robins et al. (1999) die ursprüngliche CHAT-Liste zur M-CHAT weiterentwickelt, die ebenfalls online zur Verfügung steht unter https://www.m-chat.org/. Eine neuere Studie von Nguyen et al. (2012) nutzte für die Untersuchung sowohl die M-CHAT als auch Beobachtungen und ergab, dass diese Kombination eine zuverlässigere Erkennung von Autismus ermöglicht – jedoch betonen die Autoren, dass sogar die modifizierten Versionen für sich allein nicht ausreichend für eine abgesicherte Diagnose sind. Aktuell werden weitere diagnostische Werkzeuge zum Screening bei Kindern im Alter von nur einem Jahr entwickelt. Wenn Sie beruflich mit Kleinkindern arbeiten, haben Sie vielleicht Zugang zu diesen Screening-Tests. Davon unabhängig sind Sie jedoch eine der Fachkräfte, die die Kinder über einen langen Zeitraum in unterschiedlichen Umgebungen beobachten. Aus diesem Grund können grundlegende Kenntnisse der wichtigsten Anzeichen von Autismus-Spektrum-Störungen es Ihnen ermöglichen, dem Kind und seiner Familie zu helfen. Die nachfolgende Liste enthält einige der zentralen Merkmale. Wenn Sie mehrere davon bemerken, ist es möglich, dass sich das Kind auf dem Autismus-Spektrum befindet.

Fertigkeiten in der sozialen Kommunikation

Das Kind zeigt nicht auf Gegenstände, um auf diese Weise zu kommunizieren.

Das Kind folgt Fingerzeigen oder Blicken von Ihnen nicht.

Das Kind zeigt unangemessenen Augenkontakt (es schaut Sie überhaupt nicht an oder starrt unaufhörlich).

Es sind kaum mimische Regungen oder Lächeln im sozialen Umgang zu beobachten.

Das Kind hat unter Umständen noch nicht gesprochen oder bereits entwickelte Sprache „verloren“.