Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Marilene Müller freut sich auf ein Wiedersehen mit ihrer Jugendfreundin Rosalie Jessen, doch die Kinderbuchautorin wird kurz davor erschossen. Sie ist nicht die einzige Tote. Es ist der heißeste Sommer seit Jahren, und plötzlich sterben Schriftsteller wie die Fliegen. Alle hatten eines gemeinsam: Sie haben Plagiate ihrer Arbeit entdeckt. Könnte das ein Mordmotiv sein? Auf dem Sommerfest eines Schriftstellerverbandes erfährt Marilene von Exposé-Angeboten im Internet. Und sie hört einen Namen: Ideefix. Sie kommt ihm bald näher - zu nahe …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 599
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Beate Sommer, geboren 1958 in Schleswig-Holstein, verbrachte ihre Kindheit auf Wanderschaft, darunter drei prägende Jahre in den USA. Nach dem Abitur zog sie der Liebe wegen nach Hessen, wo sie zunächst im Reiseverkehrswesen tätig war, bevor sie zusammen mit ihrem Mann eine Buchhandlung gründete. Die Leidenschaft für Kriminalromane führte zum Wechsel ans andere Ende der »Nahrungskette Buch«, und so lebt sie heute als freie Autorin in Leer. Im Emons Verlag erschien »Hättest du geschwiegen«.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Die Gedichtzeilen im 15.
©2016 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-96041-035-5 Originalausgabe
Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de
Meinen Eltern in Liebe
Ein Wort
Ein Wort, ein Satz–: Aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen,
und alles ballt sich zu ihm hin.
Ein Wort– ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich–
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
Prolog
Wo zum Teufel blieb der verdammte Postbote? Seit Tagen schon kam er ständig zu spät, und wenn es sich um einen jüngeren, ansehnlicheren Mann handelte, würde er möglicherweise annehmen, er wäre regelmäßig zu Gast im Bett einer der unausgelasteten Muttis, die diese Straße säumten. Aber der? Undenkbar. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Jahrelang, so schien es ihm, war er pünktlich genau dann aufgetaucht, wenn er gerade seine Morgenzeitung zusammenfaltete, allerspätestens, wenn er den Computer hochfuhr. Jetzt jedoch war es gleich elf, Sina käme jeden Augenblick zurück, und all seine Manöver, sie aus dem Haus zu haben, wären vergeblich. Herrgott noch mal! Konnte man sich denn auf gar nichts mehr verlassen?
Er brauchte den Umschlag. Heute. Jetzt sofort. Bevor Sina auftauchte und Fragen stellte, was sie unweigerlich tun würde. So leicht entging ihr nichts, und schließlich könnte er nicht gut behaupten, dass ein Einschreiben belanglose Werbung enthielte. Hatte sie Verdacht geschöpft, vorhin, als er, die leere Rasierwasserflasche schwenkend, zum Frühstück erschienen war, ob sie wohl so nett wäre…? Hatte sie den Pegel ebenso im Kopf wie die Frau eines Alkoholikers den Stand in einer Flasche Fusel? Sie hatte sich nichts anmerken lassen, aber das musste nichts bedeuten.
Und gestern die Briefmarken. Sie war so sicher gewesen, dass noch welche da waren, hatte eine hektische Suchaktion gestartet, doch schließlich klein beigeben müssen: Er hatte sie in der Nacht zuvor mit kindlichem Vergnügen verbrannt. Am Montag war es die Milch gewesen. Sie hatte verwundert festgestellt, dass sie am letzten Karton angelangt war, und für den Mittag eine Einkaufstour angekündigt, zu spät natürlich, und so hatte er ihn versehentlich umgestoßen, immerhin auch aufgewischt, Schweinerei, aber sie war tatsächlich sofort losgefahren, hasste Kaffee ohne Milch, Frühstück ohne Kaffee. Sauer war sie gewesen. Nicht misstrauisch.
Nein, sie hatte keine Ahnung, beruhigte er sich, er war zu gut im Täuschen. Zu geübt. Seit jeher hatte er am Knarzen der Dielen bemerkt, wenn sie an der Tür zu seinem Arbeitszimmer lauschte und sich davonschlich, sobald er auf der Tastatur herumhackte. Ein einziges Mal hatte er darauf verzichtet, so zu tun als ob, er wollte wissen, wie sie reagierte. Sie hatte sich vermeintlich unbemerkt entfernt, nur um mit Getöse wieder aufzukreuzen, ihm einen Kaffee und ein Gespräch anzubieten, was für ihn ungleich schlimmer war, als die Fassade aufrechtzuerhalten.
Er dachte lieber allein, aber Denken genügte ihr nicht. Es musste auch etwas dabei herauskommen. Nur was? Er hatte keinen Schimmer. Seine Gedanken kreisten den ganzen Tag, unablässig, ließen sich nicht einmal nachts abstellen, ob wachend oder schlafend, Worte schwirrten ihm durch den Kopf, und Sätze, die, kaum dass sie vollständig, schon wieder verflogen. Nie ein Thema, eine Handlung. Kein wirkliches Leben. Er war leer, ausgebrannt. Er brauchte den Umschlag, um dieses Tief zu überwinden, war sicher, dass danach alles gut werden würde, für eine Weile. Wie beim letzten Mal.
Er beugte sich vor, um besser sehen zu können, ja!, endlich watschelte dieser Gnom mit seinem Karren die Straße entlang. Mach hin, schneller, formte er stumm die Worte, die er eigentlich herausschreien wollte, aber er verteilte so gemächlich die Post, als gelte es, diese anspruchsvolle Tätigkeit so lange wie möglich auszudehnen, als zöge er irgendeine obskure Form von Befriedigung daraus, ihn warten zu lassen. Noch drei Häuser. Was, wenn er vorbeiginge, abermals nichts für ihn dabei war? Was, wenn dieser Umschlag nie käme? Noch zwei. Jetzt kam Sinas Wagen in Sicht, bog zu früh, zu flott in die Auffahrt, noch eines, das Tor der Garage öffnete sich, halte bloß kein Schwätzchen mehr, flehte er und hörte in dem Moment die Wagentür zuknallen, als es klingelte.
Er stürzte zur Tür und riss sie auf. Der Postbote starrte ihn verdutzt an, bevor er sich wieder fing, »Einschreiben« murmelte und umständlich den Schein hervorkramte. Seine Knie zuckten vor Ungeduld, bis er endlich unterschrieben hatte, den kostbaren Brief an sich drückte, dem Mann die Tür vor der Nase zuknallte und zurück in sein Zimmer sprintete. Keine Sekunde zu früh.
»Dein Rasierwasser, Schatz«, rief sie unerträglich fröhlich.
»Nicht jetzt!«, brüllte er, fetzte den Umschlag auf und begann zu lesen, während die Finger seiner rechten Hand sicherheitshalber auf der Tastatur herumspielten.
1
»Anwaltskanzlei Müller, guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Marilene sprach mit um eine Oktave hochgeschraubter Stimme. Das Telefon klingelte nicht eben häufig, und bisher hatte sie die zusätzlichen Ausgaben für eine Sekretärin gescheut. Vielleicht würde ja mit diesem Anruf alles anders, ein zahlungskräftiger Mandant, der regelmäßige Einnahmen versprach, käme wie gerufen.
»Guten Tag, ich hätte gern Frau Müller gesprochen.«
»Wen darf ich melden«, fragte Marilene, die Stimme der Anruferin kam ihr vage bekannt vor, ohne dass sie sie hätte zuordnen können.
»Mein Name ist Jessen.«
»Moment, bitte, ich verbinde Sie.« Marilene legte das Gespräch in ihr Büro und hastete zu ihrem Schreibtisch. Bevor sie den Hörer aufnahm, zündete sie sich eine Zigarette an, einzig, um zu ihrer normalen Stimme zurückzufinden, wie sie sich einredete, und legte Papier und Stift bereit. »Frau Jessen?«, der Name sagte ihr nichts, »Müller. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Marilene? Gut, dass ich dich erreiche. Ich bin’s, Rosalie, erinnerst du dich? Ehemals Wolff.«
»Na klar erinnere ich mich«, Marilene hasste die Rat-mal-wer-hier-ist-Spielchen und war erleichtert, dass sie dank der Namensnennung ihre Gesprächspartnerin augenblicklich vor sich sah. Jedenfalls die Version, um die es sich vor mehr als zwanzig Jahren gehandelt hatte, die Schulfreundin mit dunklem Haar, lebhaften braunen Augen, nicht ganz schlank, aber ein Ausbund an Energie und Einfallsreichtum und allseits beliebt, »wie könnte ich die einzigartige Rosalie vergessen?«
Rosalie kicherte, »genau, the one and only«, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Sag mal, warum haben wir uns eigentlich alle aus den Augen verloren? Oder hast du noch Kontakt zu den anderen? Ich frag mich das jetzt, seit ich mir vorgenommen habe, dich anzurufen.«
»Keine Ahnung.« Marilene zog nachdenklich an ihrer Zigarette. »Ich hab auch ewig nichts mehr von irgendjemandem gehört. Ich schätze, das ist normal, alles hat sich verändert, wir haben uns verändert mit dem Älterwerden, und wer hat heutzutage schon Zeit für Sentimentalitäten. Ich meine, wenn ich irgendwann eine Einladung zu einem Klassentreffen bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich sogar hingegangen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht gern an die alten Zeiten erinnere, aber ich bin nie auf die Idee gekommen, mich selber darum zu kümmern.«
»Weißt du«, Rosalie senkte die Stimme, als befürchtete sie, jemand könnte sie belauschen, »manchmal schaue ich mir die Bilder von damals an und grinse dabei vor mich hin. Wir waren so jung, so voller Energie, und dann klappe ich die Kiste ganz schnell wieder zu, weil das allein keinen Spaß macht, weil jemand für das Weißt-du-noch fehlt. Dann nehme ich mir jedes Mal vor, mich damit zu befassen, die anderen ausfindig zu machen, aber es kommt ständig was dazwischen. Eins der Kinder wird krank, oder ein Geschäftsessen oder einfach Schularbeiten, die ohne Mama danebengehen würden, irgendetwas hat immer dagegen gesprochen.«
»Du hast Kinder?« Marilene hätte Rosalie alles zugetraut, nur nicht, dass sie als Hausfrau und Mutter endete.
»Drei, Niklas ist siebzehn, Marie sechzehn und Arne elf. Jetzt bist du platt, was? Wenn es nach Simon gegangen wäre, dann wäre die Liste noch länger, aber leider«, und dabei klang ihre Stimme keineswegs bedauernd, »leider hat es nicht mehr geklappt.«
»Wow«, sagte Marilene nur.
»Ja, weißt du, ich bin damals ein paar Jahre herumgetingelt und wollte mich gerade einer weniger brotlosen Kunst widmen und mich für Theaterwissenschaften einschreiben, da habe ich Simon erspäht, oder er mich, und schon war ich schwanger. Ich habe die Uni nur ein einziges Mal von innen gesehen. So viel zu meiner akademischen Karriere.«
»Bedauerst du’s?«
»Nein. Ja, manchmal. Und du? Wie sieht’s bei dir aus?«
»Frei wie ein Vogel.« Marilene bemühte sich, Begeisterung in ihre Stimme zu legen.
»Und ich dachte immer, du würdest mit Jürgen zusammenbleiben. Ihr wart so unzertrennlich damals. Das perfekte Sandkastenpaar.«
»Nein«, Marilene ließ sich nur widerwillig auf die Erinnerung ein, »er ist zum Studium nach München gegangen, das hat nicht mehr lange gehalten.«
»Aber beruflich scheinst du ja eine große, allerdings zwielichtige Nummer zu sein, wenn du’s sogar in die Zeitung schaffst«, neckte Rosalie.
»Oh je, erinnere mich bloß nicht daran.« Marilene stöhnte.
»Der Artikel hatte immerhin ein positives Ergebnis, denn ich habe dadurch erfahren, dass du noch in Wiesbaden bist. Und du hast eine neue Klientin– wenn du willst.«
»Dich? Wofür brauchst du einen Anwalt?« Der Gedanke schien abwegig, bei einem scheinbar so geordneten Leben.
»Ich bin bestohlen worden.«
»Dafür brauchst du keinen Anwalt, sondern die Polizei.«
»Nicht bei dem, was mir gestohlen wurde, da sind die nicht zuständig, glaube ich.«
»Nun spann mich nicht auf die Folter, worum geht es?« Marilene war verwirrt, sie hatte Rosalie als jemanden in Erinnerung, der ohne Umschweife zur Sache kam.
»Also, ich mache da etwas nebenbei, morgens, wenn alle aus dem Haus sind, keiner weiß davon, und das soll auch so bleiben.«
Oh Gott, dachte Marilene, sie wird doch nicht…
»Nichts Unanständiges, Marilene«, zerstreute Rosalie scheltend ihre Befürchtung.
Als könnte sie Gedanken lesen, fand Marilene und erinnerte sich an die frühere Rosalie, deren Klarsichtigkeit sie manches Mal irritierend gefunden hatte. »Wenn niemand –wovon?– weiß, wie kann es dir da gestohlen werden?«, fragte sie, ihre Ungeduld unterdrückend.
»Es gibt ein paar Möglichkeiten, aber ich bin nicht sicher. Es könnte sich um eine Institution handeln, eine Firma wäre auch denkbar. Auf jeden Fall nicht leicht festzumachen, und vielleicht ist doch alles nur Zufall.«
»Rosalie, du sprichst in Rätseln. Wenn ich dir helfen soll, dann musst du Klartext reden.«
»Ja, bloß nicht am Telefon. Können wir uns treffen?«
»Klar, wie wär’s heute Abend, mit Fotos, Wein und Weißt-du-noch?«
»Abends geht’s nicht, warte mal, was ist– pass auf«, sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, »ich muss Schluss machen. Ich habe etwas Geld und schicke dir einen Scheck als Vorschuss, okay? Das macht man doch so? Ich melde mich wegen eines Termins, ja? Mach’s gut.«
»Ich brauche keinen Vorschuss von dir, ich weiß ja nicht mal, worum es sich handelt und ob ich dir helfen kann«, aber sie sprach längst ins Leere. Rosalie hatte aufgelegt.
Marilene öffnete die Tür zu ihrem winzigen Balkon, trat hinaus und streckte sich. Es war heiß. Die Mittagshitze stand wie unter einer riesigen Glocke gestaut über der Stadt, deren lärmende Geschäftigkeit hier wie ein gedämpftes Rauschen klang, gelegentlich unterbrochen von hupenden Fahrzeugen. Sie blickte nach oben. Das satte Grün der Blätter der Linde, ihrer Linde, wie sie sie zu nennen begonnen hatte, hob sich von einem blassblauen Himmel ab, vereinzelte Strahlen der sengenden Sonne zauberten grünlich gefilterte Lichtsprengsel auf ihre Haut, und ein einsamer unsichtbarer Vogel zwitscherte irgendwo unerwidert ein Mittagsständchen ins flirrende Licht. Marilene stützte sich aufs Geländer und schloss die Augen.
Es ging ihr nicht schlecht, wirklich nicht. Vor gut sechs Wochen war sie auf diese Büroräume in der Schönen Aussicht gestoßen, einer Straße oberhalb des Wiesbadener Kurparks, die geprägt war von hübschen Jugendstilvillen neben größeren Mehrfamilienhäusern, Stilbrüche eigentlich, erst recht dieses Haus, ein himmelblaues, gestaucht wirkendes Hexenhäuschen, das als Bürogebäude für ganze drei Parteien firmierte. Aber die Atmosphäre hatte gestimmt und der Preis, und so war sie kurzerhand aus der Anwaltssozietät, in der sie bis dahin gearbeitet hatte, ausgetreten. Bisher hielt sich das Arbeitspensum zwar in Grenzen, doch sie nahm an, das würde jetzt, nachdem die Ferien zu Ende waren, besser werden. Und sie hatte die Zeit gut genutzt, das Büro bis ins kleinste Detail fertig eingerichtet, Routinen entwickelt, die ihr kaum Spielraum für überflüssige Gedanken ließen, und dass sie, bis hin zum Einsortieren der Ergänzungslieferungen, noch alles allein machte, half auch.
Sie hatte überlebt. Eine Entführung. Den darauf folgenden kurzen Skandal in der Presse. Und den allzu langen, schmerzhaften Abschied von Felix.
Sie schüttelte sich. Dass ihr so merkwürdig zumute war, musste an dem Gespräch mit Rosalie liegen, an den Erinnerungsfetzen, die sich ungewollt einstellten, von früheren Sommern, die endlos schienen und verheißungsvoll, als das Leben noch aufregend und spannend war, die Zukunft ein Abenteuer, alles war möglich, sie hatten bloß zugreifen müssen.
Wer hätte damals gedacht, dass ausgerechnet Rosalie verheiratet und Mutter von drei Kindern sein würde? Und was trieb sie Geheimnisvolles, von dem niemand wissen durfte, nicht einmal ihre Familie? Sie würde es erfahren, hoffentlich bald, freute sich auf das Treffen, auch wenn es sich um ein geschäftliches handelte. Das private ließe sich nachholen, sobald Rosalie abends oder am Wochenende Zeit hätte. Vielleicht könnten sie ja gemeinsam die Energie aufbringen, ein Klassentreffen zu organisieren.
»Jemand zu Hause?«, rief eine Stimme von drinnen.
Marilene erschrak, fühlte sich zurückversetzt in ihr altes Büro, wo ihr Kollege Volker oft so plötzlich aufgetaucht war, Volker, der– nein, nicht daran rühren, eine offene Wunde, verschorft, aber nicht verheilt. Sie wandte sich um, wütend, doch da stand nur ein Junge, keine zwanzig, mit drei Eistüten in der Hand. »Ja bitte?«
»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte er, »ich bin der Mieter des Büros unter Ihnen, Gerrit Baron, frisch aus den Ferien, wie man sieht.« Er wies braun gebrannte Arme vor und streckte ihr grinsend das Eis entgegen. »Willkommen im House of the Blues. Keine Angst«, er setzte eine ernste Miene auf, »ist nicht ansteckend, bezieht sich nur auf die Farbe unseres Domizils.«
Der Mieter? Dieses Kind betrieb eine Firma für EDV-Beratung? »Marilene Müller«, stellte sie sich vor, »freut mich«, sie nahm ihm ein Eis ab. »Für wen ist das Dritte?«, fragte sie, während sie das Papier abriss.
»Sekretärin?«
»Gibt’s nicht.«
»Aber die Tasse«, er zeigte auf die halb volle Kaffeetasse auf dem Schreibtisch im Empfangsbereich, »und der Computer ist auch an.«
»Tarnung«, sagte Marilene und sah ihm belustigt zu, wie er ungeschickt versuchte, mit zwei Eistüten in Händen eine davon zu öffnen. »Kühlschrank«, erbarmte sie sich und deutete mit dem Finger auf das leise brummende, doch gut verborgene Gerät.
Er legte das überzählige Eis ins Gefrierfach. »Einweihungsfete?«, fragte er und begutachtete schamlos den Inhalt des Kühlschranks, »hm, lecker, bin ich eingeladen?«
Genau genommen handelte es sich um ihre Verpflegung für die nächsten Tage. Marilene hatte letzte Nacht, die zwar kurze, aber wenig verlockende Heimfahrt in ihrem von der Sonne gegarten Wagen meidend, auf einer Luftmatratze vor geöffneten Balkontüren kampiert, das erste Mal, seit es so heiß war, ausnehmend gut geschlafen und vorgehabt, das zu wiederholen, zumindest, bis es abkühlte. Auf der Suche nach einem Bäcker war sie heute früh auf ein Feinkostgeschäft nicht weit von hier gestoßen und hatte sich verschwenderisch mit allen möglichen Köstlichkeiten eingedeckt, die sie vermutlich im Leben nicht allein würde aufessen können. »Gut«, sagte sie also, »warum nicht. Gleich um sechs?«
»Cool.« Er strahlte unter buschigen dunklen Brauen hervor und schlenderte lässig in ihr Büro, ließ sich aufseufzend in einem der Sessel nieder und schleckte sein Eis.
Die Selbstsicherheit der Jugend, dachte Marilene und folgte ihm, lehnte sich gegen den Schreibtisch und musterte ihn, während er sich in dem Raum umsah. Fast schwarzes, kurz geschnittenes Haar, vorn etwas länger, sodass es ihm verwegen in die Stirn fiel, braune Augen unter diesen unglaublichen Brauen, feine helle Linien zeichneten sich um Augen und den schmallippigen breiten Mund ab, der sich im Augenblick zu einem anerkennenden Lächeln verzog und strahlend weiße Zähne preisgab.
»Nicht schlecht«, sagte er, »vor allem stinkt es hier nicht mehr so erbärmlich, und der Teppich passt fabelhaft zu Ihren Augen.«
Na, Klasse, stöhnte Marilene innerlich, ein jugendlicher Charmeur mit Mutterkomplex. »Sind Sie nicht ein bisschen jung für eine eigene Firma?«, fragte sie, die Schmeichelei ignorierend.
»Ich bin zwar schon volljährig, aber das sagen alle«, entgegnete er gelangweilt, »außer meiner Bank.«
»Seit wann?« Ihr skeptischer Blick sprach Bände.
Er schaute zur Decke, als müsse er nachrechnen. »Zwei Wochen?«
»Steinalt geradezu, herzlichen Glückwunsch nachträglich. Und wie lange existiert die Firma?«
»Zwei Jahre. Das Büro habe ich allerdings erst letztes Jahr gemietet, das war praktischer. Zu Hause wuseln meine Schwestern immer mein Zeug durcheinander.«
»Regelrecht alteingesessen«, murmelte Marilene.
»Und bevor Sie weiterfragen, das Abitur werde ich nächstes Frühjahr ablegen und danach ein Studium beginnen, jedenfalls wahrscheinlich, ganz sicher bin ich noch nicht, aber schnelles Geld ist nicht alles, eine solide Grundlage kann nichts schaden.«
»Ah ja.« Marilene hatte Mühe, ein Kopfschütteln zu unterdrücken.
»Und Sie? Kann es sein, dass Sie mehr Selbstbewusstsein entwickeln sollten? Kein Mensch, der Sie kennenlernt, würde glauben, was über Sie in der Zeitung gestanden hat, also vergessen Sie’s einfach.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, hob seine schlaksigen Einsachtzig aus dem Sessel und reichte ihr die Hand. »Sie können Gerrit zu mir sagen.«
»Marilene«, erwiderte sie reflexartig, zu mehr war sie nicht in der Lage.
»Ich weiß, passt zu dir«, er schaute ihr tief in die Augen, zwinkerte gar, »ich muss jetzt leider los, was arbeiten. Bis später dann, hat mich sehr gefreut.«
»Ja«, sagte sie nur, noch immer sprachlos, und blickte ihm hinterher, wie er betont langsam zur Tür ging. Wäre ich zwanzig Jahre jünger, dachte sie, ach was, zehn, ich wäre dahingeschmolzen.
Er blieb stehen, als sich die Tür von außen öffnete und Männle, der Notar aus dem Erdgeschoss und ihr Vermieter, eintrat.
»Ach, der Herr Notar«, Gerrit verbeugte sich zu einem Neunziggradwinkel, »da ist ein Eis im Kühlschrank, bedien dich, bis heute Abend«, und verschwand pfeifend die Treppe hinunter.
»Was ist heute Abend?«, fragte Männle verständnislos.
»Einweihung«, antwortete Marilene.
»Hier?«, er wartete ihr Nicken kaum ab, »prima. Zweifellos hat er sich selbst eingeladen und Sie zum Du überfahren, aber denken Sie sich nichts dabei, er ist immer so.« Er öffnete die Kühlschranktür, fand das angebotene Eis, inspizierte auch den übrigen Inhalt, wohlwollend nickend. »Ich komme gern, also bis später«, sagte er und folgte Gerrit hinaus.
***
»Mama? Mama, wo bist du? Mama, ich muss dir unbedingt was erzählen!« Krawumm, knallte die Haustür zu, ebenso flog der Schulranzen in die nächste Ecke, unmöglich, ihn auch nur einen Schritt weiter zu schleppen, geschweige denn ins eigene Zimmer. Arne mit seinem kindlichen Überschwang, der nahezu täglich aufregend Neues erlebte, was er unbedingt, derzeit sein Lieblingswort, sofort in alle Welt hinausposaunen musste.
»Gib Ruhe, Ratte, sie wird schon kommen«, maulte Marie.
Also war sie es gewesen, die vorhin pubertär grußlos ins Haus gekommen war, hätte sie sich denken können.
»Nenn mich nicht Ratte.«
»Ich nenn dich, wie ich will.«
»Ich sag ja auch nicht dumme Kuh zu dir.«
Hoppla, das war neu, bravo, mein Kleiner, Rosalie sah ihn vor sich, wie er, die Hände in die Hüften gestemmt, mit einem Ausdruck rechtschaffener Empörung im Gesicht versuchte, sich gegenüber der älteren Schwester zu behaupten.
»Das will ich dir auch nicht geraten haben, dumme Kühe schreiben nämlich keine Entschuldigungen für kleine Brüder, die keinen Bock auf Sport haben.«
Wie bitte? Marie fälschte ihre Unterschrift? Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Und seit wann sollte Arne etwas gegen Sport haben?
»Das ist gemein, du hast es aber versprochen.«
»Na und?«
»Dann sage ich Mama, dass du dich mit diesem Lackaffen rumgetrieben hast, anstatt auf mich aufzupassen.«
Verdammt, Rosalie erstarrte, Marie war doch erst sechzehn, sie musste etwas unternehmen. Nur was? Mit ihr zu reden würde gar nichts bringen, außer Häh, Öh und Äh gab sie seit geraumer Zeit keine nennenswerten Wortbeiträge mehr von sich, und wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie in der Schule ganz gut war, hätte sie schon angenommen, sie sei von einer geheimnisvollen Krankheit befallen, deren Hauptmerkmal eine Regression ins frühkindliche Stadium war. Unwahrscheinlich also, dass das funktionieren würde. Möglicherweise ließe sich aus Arne rauskriegen, wer der Junge überhaupt war.
»Na dann petz doch, wenn du meinst, aber du bist mit dran, glaub nicht, dass ich Mama nichts von deiner…«
»Gibt’s nichts zu essen?«, unterbrach Arne Marie, ungeschickt das Thema wechselnd.
Bevor sie was hatte aussprechen können? Rosalie wünschte, Niklas würde jetzt auch heimkommen, vielleicht erführe sie dann endlich die ganze Wahrheit über ihre Kinder. Und warum konnten sie nicht schon erwachsen sein, außerhalb ihrer Verantwortung?
»Siehst du hier was, was ich nicht sehe? Geh Mama suchen. Und wehe, du nennst Ecki noch einmal Lackaffe. Dann setzt es was.«
»Papa sagt das aber auch.«
»Der hat auch keine Ahnung.«
Und das möge so bleiben, dachte Rosalie, für seine Tochter war ihm keiner gut genug, und sicher glaubte er, eine abwertende Bemerkung wie »Lackaffe« würde ausreichen, um sie genau davon zu überzeugen. Er hatte wirklich keine Ahnung von pubertierenden Mädchen, verließ sich allein auf die ihm entgegengebrachte Bewunderung, die unmöglich teilbar sein konnte.
Die Küchentür flog mit einem Knall zu. Arne hatte aufgegeben und stapfte, »blöde Weiber« murmelnd, die Treppe hoch, »eines Tages werde ich mich fürchterlich rächen.«
Rosalie unterdrückte ein Auflachen. Wo hatte er nur so einen Satz her, die Worte als solche mutiger als der Klang seiner Stimme, als wüsste er bereits um die zeitliche Dimension von »eines Tages«. Sie schloss leise die Badezimmertür und drehte den Wasserhahn auf.
»Mama? Wo bist du?«
»Hier«, rief sie, und schon flog die Tür auf und knallte gegen den Rand der Wanne. »Arne«, mahnte sie, »mach halblang, die Tür kann nichts dafür, was immer es ist.«
»Mama«, Empörung in der Stimme, »rat mal, was! Alle in meiner Klasse haben jetzt ein Kickboard. Nur ich nicht!«
»Und alle bringen das Teil mit in die Schule, was?« Sie wuschelte ihm durchs Haar, diese ungebärdigen hellblonden Locken, die mal wieder einen Schnitt vertragen könnten, bevor Simon bemängeln würde, dass er aussähe wie ein Mädchen. Arne entzog sich ihr ungeduldig, als fände er, er sei zu alt für Zärtlichkeiten.
»Ja, alle. Na ja, ein paar von den Weibern nicht«, schränkte er ein, »aber das zählt nicht.«
»Natürlich nicht«, stimmte Rosalie ihm zu, »aber du fährst mit dem Bus zur Schule, und nachmittags fahre ich dich wohin auch immer, also was willst du mit so einem Ding? Mir ist das viel zu gefährlich, das kommt nicht in Frage.«
»Das ist nicht gerecht.« Er baute sich breitbeinig vor ihr auf und verschränkte die Arme, wie um zu demonstrieren, dass er nicht weichen würde, bis sie nachgäbe. Diesmal nicht.
»So ist das Leben«, Rosalie nahm ihren Jüngsten bei den mageren Schultern und drehte ihn Richtung Flur, »und jetzt wird gegessen.«
»Du hast doch noch gar nicht gekocht, was soll man da essen?«
»Ist alles fertig im Kühlschrank«, sagte Rosalie und wappnete sich gegen den zu erwartenden Protest.
»Bäh, schon wieder Hasenfutter«, maulte Arne auch prompt, »ich hasse das gesunde Zeug. Können wir nicht endlich mal wieder zu McDonald’s?«
***
»Danke, Mama, das war lecker«, Niklas klaubte die letzten Krümel eines Stückchens Baguette auf, »wundert mich bloß, dass nichts mehr übrig ist, die anderen streiken doch sonst bei Rohkost«, grinste er und schob den Teller von sich. »Oder hast du etwa für jeden extra was gemacht?«
»Nein«, Rosalie schüttelte den Kopf, »deine Schwester war selbst zum Meckern nicht gesprächig genug, und Arne hat vermutlich überlegt, wie er euren Vater dazu kriegen kann, ihm endlich so einen Halsbrecherroller zu kaufen. Ich habe nämlich abgelehnt, mal wieder, aber ich weiß nicht, wie viele dieser Diskussionen es braucht, bis ich doch nachgebe. Könnte nicht irgendetwas anderes in Mode kommen, etwas Ungefährlicheres?«
»So was wie Ratten, meinst du?«
»O Gott, erinnere mich nicht daran.« Rosalie lachte. Im vorigen Jahr war Marie eines Abends beim Essen und von ihr scheinbar unbemerkt dieses Tier aus der Jacke geschlüpft und hatte sich auf ihre Schulter gesetzt, wo es allerlei Kunststückchen vollführt hatte, zugegebenermaßen ganz possierlich. Sie und die Jungen hatten mit vor Überraschung offenen Mündern zugeschaut, unfähig, ein Wort zu sagen, aber Simon war schier ausgerastet. »Er oder ich«, hatte er gebrüllt, Maries freundliches »Er ist eine Sie« ignoriert und das Haus wutschnaubend verlassen. Wissend, dass die Provokation eigentlich ihr gegolten hatte, hatte Rosalie das Tier dann in die Hand genommen, es mit dem Finger angestupst und »Na, Kleines« gegurrt, »dass ein erwachsener Mann so eine Angst vor dir haben kann, wo verstecken wir dich denn bloß vor ihm?« Damit hatte sich das Problem erledigt. Marie hatte ihr die Ratte abgenommen und sie mit einem »Schon gut, Mama« fortgebracht, wohin auch immer. Zum Glück war sie nicht mit einer Vogelspinne aufgekreuzt. Die hätte sie nicht gestreichelt.
»Bleib auf jeden Fall hart, Mama«, sagte Niklas und holte sie in die Gegenwart zurück, »man muss eh dauernd aufpassen, dass einem die Pökse mit den Dingern nicht in die Hacken fahren, und wenn Arne das Teil genauso deponiert wie seinen Ranzen, dann sind Unfälle vorprogrammiert.«
»Ich tu mein Bestes, Großer.«
»Brauchst du mich noch?«
Rosalie schüttelte den Kopf. »Geh nur. Hast du viel zu tun?«
»Nö, das war heute ziemlich unorganisiert. Irgendwie muss das Ferienende für die meisten Lehrer total überraschend gekommen sein. Die wirkten völlig desorientiert. Bloß der Lindner hat ernsthaft versucht, seinen Unterricht durchzuziehen, aber die Klasse war weitgehend dagegen, ein Gequatsche, sag ich dir«, Niklas deutete mit den Fingern schnatternde Mäuler an, »als hätten die sich zehn Jahre nicht gesehen. Da ist er arg sauer geworden und hat uns aufgetragen, einen Text zu schreiben, Thema ›Ein Ferientag‹, wir sollen uns unterstehen, denselben Quatsch von uns zu geben, den wir in der zweiten Klasse verbrochen haben. Den Aufruhr, den das ausgelöst hat, kannst du dir nicht vorstellen. Die Clowns gaben einen Besuch im Zoo zum Besten, dabei ist ihnen vor allem der Affenkäfig gelungen, und ein paar von den Mädchen hörten gar nicht mehr auf zu kichern. Ich weiß ja nicht«, sein Gesicht verzog sich zu einer komisch-verständnislosen Grimasse, »ob ich deren Ergüsse würde lesen wollen. Gott, Mama, warst du auch so, als du jung warst?«
»Hältst du mich jetzt etwa für scheintot?« Sie boxte ihn spielerisch auf den Arm.
»Ich meine, als du in dem Alter warst, und nicht, na, du weißt, was ich sagen will…«
»Schon gut. Also lass mich nachdenken«, sie legte als Zeichen höchster Konzentration einen Finger auf den Mund, »natürlich ist das ewig her, und das Gedächtnis ist mittlerweile etwas ramponiert, das ist völlig normal für mein Alter…«
»Mama«, protestierte Niklas, »du bist die jüngste und coolste Mutter, die ich kenne, und das weißt du auch. Du hast doch selbst gesagt, dass die Ansammlung von vertrockneten, langweiligen Schnepfen und deren schmerbäuchigen…«
»Du hast gelauscht«, warf sie ihm vor, sie konnte sich nicht erinnern, was sie noch alles vom Stapel gelassen hatte, wollte es aber gewiss nicht aus dem Mund ihres Sohnes hören, wusste nur, dass das ihr letzter Elternabend gewesen war, zumindest was Niklas anbelangte. Die Eltern von Arnes Klassenkameraden waren leichter zu ertragen, und Marie hatte nach erstaunlich kurzer Diskussion Simon übernommen.
»Rein zufällig«, verteidigte Niklas sich, »du warst ja auch laut genug.«
»Stimmt«, gab Rosalie zu und grinste, »also wie lautete deine Frage doch gleich? Ist Kichern einer Siebzehnjährigen immanent? Eindeutig ja, aber das legt sich meistens wieder, mit kurzzeitigen Rückfällen. Geben die Ferienerlebnisse einer Siebzehnjährigen Anlass zum Kichern? Ganz sicher. Das liegt an der Natur der siebzehnjährigen Jungen, schätze ich. Würde ich diese Erlebnisse an deiner Stelle lesen wollen? Unbedingt. Das könnte sehr lehrreich sein, und es ist eine Lektion, die deine nicht sooo alte Mutter dir nicht erteilen wird.«
»Okay, ich geb’s auf, du hast gewonnen.«
»Ich hoffe, du wirst dich nicht daran erinnern, wenn ich mal senil bin, und dich fürchterlich rächen«, griff sie Arnes Formulierung auf.
»Niemals.« Niklas drückte sie kurz und ging hinaus, sprintete die Treppe hoch zu seinem Zimmer.
»Hey«, rief sie ihm hinterher, »darf ich’s lesen, wenn du fertig bist?«
Er war beinahe oben angelangt, wandte sich um und bückte sich, damit er sie sehen konnte. »Klar«, sagte er, »wer, wenn nicht du?«
Was für eine Liebeserklärung, dachte Rosalie. Allein seine Fürsorge machte sie manchmal sprachlos, so unangemessen schien sie für einen Jungen seines Alters. Und dann diese unglaubliche Höflichkeit. Schon mit zwei Jahren hatte er Sätze wie »Würdest du mir bitte das Salz reichen, Papa« von sich gegeben, sie und Simon hatten lauthals gelacht, dies begeistert seiner offenbaren Intelligenz zugeschrieben. Aber er hatte diesen Wesenszug nie abgelegt, jede Trotzphase schlicht übersprungen, das für diese Phasen charakteristische Nein höchstens mit einem »Ich möchte lieber nicht« umschrieben. Selbst in den Auseinandersetzungen mit seinem Vater, das einzige lehrbuchmäßige Entwicklungsstadium, das er tatsächlich durchmachte, wahrte er stets die Form, sodass sie fast den Eindruck hatte, er führte diese Streitgespräche nur um der Worte willen, um sich im Umgang mit Sprache zu schulen. Und er war gut darin, sie sonnte sich geradezu in dieser Gemeinsamkeit, von der bisher weder Niklas noch sonst jemand etwas wusste, ihr Stolz auf ihn kam ihr schon unanständig vor, das Glück herausfordernd. Aber das entschädigte sie auch für vieles.
Warum nur war Marie nicht ähnlich umgänglich, gab es nicht diese mühelose Nähe zwischen ihnen? Würde sich das später ändern, wenn sie erst erwachsen war, könnten sie dann unbefangen miteinander umgehen, das Mutter-Tochter-Verhältnis umwandeln in ein freundschaftliches? Sie wünschte es sich so sehr. Marie war schon als Kind nicht einfach gewesen, doch das war kein Vergleich zu heute, nichts hatte sie darauf vorbereitet, dass ausgerechnet ihre Tochter ihr so völlig fremd im Wesen war.
Und Arne, Arne war schlichtweg er selbst, eine unabhängige kleine Person mit ausgeprägtem Dickkopf wie auch einem für sein Alter erstaunlichen Sinn für Gerechtigkeit. Wie oft hatte er sich in Auseinandersetzungen eingeschaltet, mit einer knappen Selbstverständlichkeit die Dinge auf den Punkt gebracht, dass man nur offenen Mundes staunen konnte und ihm letztlich recht geben musste. Sogar Marie hörte gelegentlich auf ihn.
Oh, sie kam nicht umhin, sich ihretwegen etwas einfallen zu lassen, so ging das nicht weiter. Vielleicht sollte sie sie– nein, würgte sie den Gedanken ab, bevor er zu Ende gedacht war, das nicht, das wollte sie nicht riskieren, zunächst abwarten, was Marilene herausfand, ob sie ihr helfen konnte. Das erinnerte sie an den Scheck, den sie ihr schicken wollte, das würde sie heute Nachmittag erledigen. Und morgen würde sie mit ihr einen Termin ausmachen. Sie war nicht mehr allein mit ihrem Problem, es musste ja nicht einmal Konsequenzen für sie haben, dennoch wollte sie wenigstens genau wissen, was passiert war, wo die Lücke war, oder ob es sich einfach um einen merkwürdigen Zufall handelte. Und wenn das alles erst geklärt war, könnte sie immer noch überlegen, ob sie Marie einweihen sollte, als hoffentlich vertrauensbildende Maßnahme, denn ihr selbst fiele es sicher nicht leicht, eben dieses Vertrauen aufzubringen.
Einstweilen genügte vielleicht auch ein Kinobesuch oder ein Einkaufsbummel, die modische Tochter um Rat zu fragen, verrückte Fummel anzuprobieren und gemeinsam darüber zu lachen. Solange Marie nicht auf die Idee käme, von ihr zu verlangen, sich piercen zu lassen, müsste das Spaß machen. Obwohl, so ein Nasenstecker… ach nein, aber mit Klebstoff? Das wäre doch mal was.
Zufrieden vor sich hin summend stellte sie das Geschirr in die Spülmaschine, holte Würstchen und ein paar Steaks zum Auftauen aus dem Eisfach und setzte Kartoffeln und Eier für einen Kartoffelsalat auf, seit Jahren das Standardessen am Abend des ersten Schultages nach den großen Ferien. Sie erwog, Simon anzurufen, um ihn daran zu erinnern, dass er ausnahmsweise pünktlich heimkommen sollte, aber er war meist ungehalten, wenn sie ihn wegen Nichtigkeiten tagsüber anrief, vor allem, wenn es sich um bereits besprochene Nichtigkeiten handelte. Hatten sie gestern darüber gesprochen? Sie wusste es nicht mehr, war zu sehr mit ihrem Entschluss, Marilene zu kontaktieren, beschäftigt gewesen. Und er würde doch wohl wissen, was für ein Tag heute war, oder? Falls nicht, musste halt Niklas den Grill anwerfen.
Sie holte ihr Scheckheft aus einer der leeren Keksdosen oben im Küchenschrank. Unsicher, welche Summe sie einsetzen sollte, zögerte sie einen Moment, bevor sie sich schließlich für eintausendfünfhundert Euro entschied. Wäre das zu viel, könnte Marilene ihr den Rest später zurückgeben oder es anrechnen, sofern sie sich entschloss, sie auch mit der zweiten Angelegenheit zu betrauen, die ihr seit geraumer Zeit durch den Kopf spukte. Aber eins nach dem anderen, noch war sie nicht auf dieses Geld angewiesen.
***
Gerrit gab gerade einen Blondinenwitz zum Besten, und während Lothar, sie waren schon früh am Abend zum Vornamen übergegangen, laut herauslachte, verstand Marilene die Pointe nicht, hatte noch nie die angeblich vorhandene, verschlungene Logik eines Witzes begriffen, außer jemand erbarmte sich ihrer mit haarkleinen Erklärungen. Natürlich war danach kein Witz mehr komisch. Jetzt aber kicherte sie. Lag es an Gerrits ausdrucksloser Miene? Er schien komischer als jeder Witz, wie er so lässig weltmännisch versuchte, sie zu erheitern, zu beeindrucken auch, und ungleich durchschaubarer. Oder an Lothars hemmungslos glucksendem Gelächter, das schier ansteckend war und eigentlich so gar nicht zu ihm passte, eher bei einem wesentlich dickeren, behäbigeren Mann zu erwarten wäre, der, einmal in Bewegung versetzt, blubberte und überquoll vor Lachen und bis in die Falten seiner kleinen Zehen bebte, kräuselndes Gelächter, wie von einem ins Wasser gefallenen Stein.
Oder sie war betrunken, nun ja, nicht direkt betrunken, aber doch ziemlich beschickert. Lothar hatte zwei Flaschen Wein mitgebracht, inzwischen eine dritte aus seinem Büro geholt, und Gerrit war im Wesentlichen mit Cola abgefunden worden, hatte sich die Anspielung auf seine Jugend widerspruchslos gefallen lassen. Nur wurde er davon kein bisschen müde, im Gegensatz zu ihr, und immerhin war es schon zehn, wie sie mit einem verstohlenen Blick auf ihre Uhr feststellte. Momentan berichtete er von seiner neuesten Programmentwicklung, fachmännisch ausufernd, und ihr flogen die Bits und Bytes um die Ohren, dass ihr ganz schwindelig wurde. Den Themenwechsel hatte sie nicht bemerkt.
Lothar streckte seine ohnehin langen Beine aus, und Marilene betrachtete fasziniert, wie sie immer länger zu werden schienen, bis einer seiner Füße auf Gerrit traf, der, als hätte man einen Stecker gezogen, seinen Monolog abrupt unterbrach und aufsprang. »Vielen Dank für die nette Einladung«, sagte er und verbeugte sich.
Marilene kicherte erneut. »Du bist zu höflich für mich«, befand sie und wunderte sich, dass sie auf dem Fußboden saß, bevor sie sich aufrappelte. »Ich habe zu danken, für das freundliche Willkommen«, sie wies mit unbestimmter Geste auf den Blumenstrauß, gelbe Rosen und lila Freesien, woher hatte er das gewusst?, brach die Bewegung ab, als sie merkte, dass eine Drehung daraus zu werden drohte.
»Und tschüss«, Lothars Tonfall glich einem Befehl, »ich helfe noch beim Aufräumen.«
»Das ist doch nicht nötig«, wehrte Marilene ab.
Er würdigte sie keiner Antwort, drückte sie mit hochgezogenen Brauen in den Sessel und begann, nachdem sich die Tür hinter Gerrit geschlossen hatte, Teller und Gläser zusammenzustellen, spülte und trocknete sogar ab.
Nicht zu fassen, fand Marilene und fragte sich, warum sie es immer wieder zuließ, dass Männer sich in ihrer Küche breitmachten. Genau genommen handelte es sich natürlich nicht um ihre Küche, sondern um die Kochecke ihres Büros, also konnte das vielleicht akzeptiert werden. Ach egal, sie war ohnehin unfähig, sich zu rühren. Aber als er dann ihre Luftmatratze aus der Abstellkammer holte und vor den Balkon legte, sie auf ihre Festigkeit prüfte und für zu schlaff befand, daraufhin die Luftkammern öffnete, um prustend hartes Liegen zu ermöglichen, was ihm einigermaßen schwerzufallen schien, kam es von der Anstrengung des Pustens oder vom Lachen, das ihn abermals zu übermannen drohte, dass sein Rücken so bebte?, da wurde es ihr doch zu viel.
»Danke«, murmelte sie und stemmte sich mühsam aus dem Sessel hoch, »den Rest kann ich dann alleine.«
»Davon war ich ausgegangen«, Männle drückte die Stutzen in die Matratze, begutachtete sein Werk mit schräg geneigtem Kopf, bevor er sich umwandte. »Schlafen Sie gut«, sagte er und ging, sorgsam die Tür hinter sich schließend.
Marilene stand da und lauschte, ob sie noch einmal dieses unbändige Lachen hörte, ob er sie auslachte, aber alles, was zu vernehmen war, war ein Hüsteln, und das durchschaute sie natürlich.
Sie schnappte sich die Wolldecke, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihr später kalt würde, löschte die Kerzen, die sie, um keine Mücken anzulocken, angezündet hatten, ein weiterer Beitrag Männles zu diesem denkwürdigen Abend, und legte sich, so wie sie war, auf die Matratze. Nur einen Moment ausruhen, bevor sie vielleicht doch ihre Zähne putzte. Vielleicht auch nicht. Sie schloss die Augen. Das letzte Mal, als sie getrunken hatte –nein, nur das nicht, nicht daran denken, es ging ihr gut, wirklich, jedenfalls besser als vor ein paar Wochen, sie würde das schon hinkriegen, sich abfinden mit ihrem neuen Leben– und es irgendwann auch wieder genießen. Sie schlug die Augen noch einmal auf, blickte ins unvollkommene Dunkel. Wo kamen nur all die Sternschnuppen her, drei Wünsche, dachte sie, aber nein, sicher waren es die Blätter der Linde, die den Eindruck vermittelten, die Sterne vollführten, einer Achterbahnfahrt gleich, einen merkwürdigen Tanz.
***
Simon reckte sich. »Ich schau mir noch die Tagesthemen an, dann bin ich weg.« Er war kaum zu verstehen, ein Gähnen verwischte seine Worte.
»Ich auch Mama, in Ordnung?« Niklas erhob sich ebenfalls.
»Nur zu, ich komm bald nach«, sagte Rosalie. Sie blickte ihnen hinterher, wie Vater und Sohn in seltener Eintracht ins Wohnzimmer gingen. In letzter Zeit kam es ihr so vor, als wären die Nachrichten ihre einzige Gemeinsamkeit, das Schauen, nicht die Interpretation. Simon hatte die Angewohnheit, kurze Kommentare abzugeben, nicht nur bei Informationssendungen, sondern auch bei Spielfilmen, von »Oje« über »Idiot« bis zu noch derberen Sprüchen die geistigen Fähigkeiten der jeweiligen Person betreffend. Niklas hingegen übte sich im Widerspruch, der einmal darin gegipfelt hatte, dass er seinem Vater vorwarf, nicht in der Lage zu sein, die Dinge zu hinterfragen. Ob er nicht wisse, dass man nicht alles glauben könne, was die Medien verbreiteten, dass es selbst im Fernsehen Manipulation gab, und sei es durch Auslassung. Simon waren im Verlauf der anschließenden Diskussion irgendwann die Worte ausgegangen, ein seltenes Phänomen, und war, etwas von Werteverfall murmelnd, verstimmt zu Bett gegangen, hatte später von ihr wissen wollen, seit wann Niklas so ein Skeptiker sei, sogar einen Schulwechsel in Betracht gezogen, unter Humanismus verstünde er anderes als das, was in der Diltheyschule gelehrt werde.
Merkten sie nicht, dass sie sich aufs Haar glichen, wie sie, das rechte über das linke Bein geschlagen, dort auf ihren angestammten Plätzen saßen, Simon in »seinem« Sessel und Niklas auf dem Sofa, wie sie beide den linken Arm auf die Rückenlehne gelegt hatten und den Kopf etwas schräg hielten? Ihre Silhouetten schimmerten bläulich im Schein des Fernsehgerätes, neue Unruhen in Nahost, sie wollte es nicht hören, nicht die hässliche Realität an sich heranlassen, und wünschte, sie könnte ihre Kinder davor bewahren. Sie wandte sich ab und stellte die restlichen Gläser aufs Tablett. Marie hatte, stumm zwar, vorhin abgeräumt und sogar die Spülmaschine angestellt, bevor sie ins Bett gegangen war oder vorgab, das zu tun. Arne schlief schon längst, und nun, aller Pflichten ledig, schenkte sie sich ein halbes Glas Wein ein für ihren abendlichen Rundgang durch den Garten.
Zwölf Jahre wohnten sie jetzt in der Freudenbergstraße, und sie konnte sich kaum noch vorstellen, wie das Leben zuvor in der winzigen Dreizimmerwohnung gewesen war, mit zwei kleinen Kindern und ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit. Ihre dritte Schwangerschaft und Simons gerade beginnender beruflicher Aufstieg hatten den Ausschlag gegeben, sich nach einem Haus umzusehen, und bei diesem hatte alles gestimmt. Gut, es könnte größer sein, aber immerhin hatte jedes der Kinder ein eigenes Zimmer, und bei Bedarf, so Simon grinsend, hätten sie das Dachgeschoss mit Heizung versehen, eine ungefährlichere Treppe installiert und es so von einer Rumpelkammer zu einem zusätzlichen Kinderzimmer umfunktioniert. Was sie verhindert hatte, lange bevor die Rumpelkammer nicht mehr ausschließlich diesem Zweck diente, und zwar ein für alle Mal.
Hätte Simon gewusst, wie weit er in seiner Firma aufsteigen würde, er hätte sicherlich auf einem repräsentativeren Haus bestanden, in einer moderneren Umgebung und nicht so nah an der A66 mit ihrem unaufhörlichen Rauschen. So aber hatte er sich der Begeisterung, die sie und die Kinder angesichts des riesigen Gartens empfanden, nach anfänglichem Sträuben, denk nur an die viele Arbeit, gebeugt. Ihre Arbeit, natürlich. Hatte er nur so getan, als sträubte er sich, war er insgeheim froh um jede Aufgabe, die sie ans Haus band? Und sie, die es früher gehasst hatte, sich die Finger schmutzig zu machen, hatte sich mit Feuereifer in diese Arbeit gestürzt, manches belassen, was den verwunschenen Charakter des Gartens ausmachte, die Bäume und Sträucher, Obst- und Zierpflanzen bunt durcheinander, aber ebenso viel erneuert. Zahlreiche Stauden waren Rosen gewichen, die, nach und nach und beinahe unbemerkt, immer mehr Raum einnahmen.
Angefangen hatte diese Leidenschaft in ihrem ersten Sommer hier, als sie eines Abends ziellos durch den Garten gewandert war, überlegend, ob die wuchernde Vielfalt womöglich Pflege erforderte, was ihr bis dahin völlig abwegig erschienen war. Sie war zu der halbkugelförmigen, mit Kletterrosen bewachsenen Drahtlaube gekommen und hatte diesen Duft eingeatmet, ein betörender Duft nach Kindheit und süßen Träumen. Warum rochen Rosen abends so viel intensiver? Sie war geradezu trunken gewesen und konnte seither beim Gärtner an keiner ihr unbekannten Sorte vorbeigehen, ohne sie zu kaufen, ein Platz fand sich immer.
Einmal hatte sie, noch auf der Terrasse, Marie nach ihr fragen hören, und Niklas hatte geantwortet, sie lustwandele. Schwachkopf, war Maries Entgegnung gewesen, aber genau das tat sie hier allabendlich. Jetzt steuerte sie auf die Laube zu, unter der sie eine grün gestrichene hölzerne Bank aufgestellt hatte, setzte sich, stellte das Weinglas neben sich ab und zündete sich die einzige Zigarette des Tages an. Sie inhalierte genüsslich den Rauch und fragte sich wieder einmal, warum sie nie ganz aufgehört hatte, auch während ihrer Schwangerschaften nicht, es war nicht so, dass sie es nicht gekonnt hätte. Mittlerweile akzeptierte selbst Simon diese eine, es müsse am Marlboro-Mann liegen, hatte er damals gescherzt, und vielleicht hatte er recht. Das letzte Glimmen der Kohlen im Grill war allerdings ein schwacher Ersatz für ein Lagerfeuer.
Ein Plätschern im Teich auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens schreckte sie aus ihren Gedanken. Die Nachbarskatze auf der Suche nach ihrem Nachtmahl? Nein, eher ein Vogel, vermeinte sie zu erkennen, kein Grund, schon aufzustehen. Einst hatte dort der Sandkasten gestanden, bis Arne fand, dass Mamas Puddings besser schmeckten als seine, und sich fortan geweigert hatte, darin zu spielen. Allein die Goldfische rangierten in der Beliebtheitsskala der Haustiere weiter unten, als sie geglaubt hatte, denn alle drei Kinder ignorierten sie geflissentlich, und sie erwog allmählich, den Restbestand auch noch der Katze zu überlassen. Ein Hund wäre nett, aber da war bei Simon nichts zu machen. Allergisch, behauptete er und nieste bei Gelegenheit durchaus überzeugend, jedenfalls wenn die Kinder in der Nähe waren.
Rosalie rieb sich ihr rechtes Bein. Es schmerzte, seit sie vor ein paar Wochen in dieses Auto hineingelaufen war. Wenigstens war das die Version der Polizei, wegen der Bremsspuren, sie sei unachtsam gewesen, und wer sollte einer Hausfrau und Mutter etwas antun wollen? Sie hatte ihnen widerwillig zustimmen müssen und nicht weiter insistiert. Sie trat die Kippe aus, deponierte sie, um sie nicht zu vergessen, wenn sie reinginge, neben dem Weinglas und trank den letzten Schluck.
Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Wie schön, die Sternputzer mussten heute besonders eifrig am Werk gewesen sein. Oder es gab einen Stromausfall in der Stadt, mutmaßte sie, schon prosaischer, bevor sie den Gedanken an Unendlichkeit zuließ, im Bewusstsein, dass sie nur ein winziges Staubkorn war, und dennoch, sie suchte und fand den großen Bären, andere Konstellationen, deren Namen sie längst vergessen hatte, entdeckte mehr und mehr Sterne, wo sie erst nur Dunkelheit geglaubt, Sternenstaub, dachte sie, lass Gold und Silber regnen, ihr schwindelte, und sie setzte sich auf. Es war an der Zeit, reinzugehen.
2
Es klopfte. Jens Hartmann war gerade dabei gewesen, Girlanden für den morgigen vierzehnten Geburtstag seines Sohnes aufzuhängen, nicht übermäßig geschickt, wie er selbst zugeben musste, das Zeug verhedderte sich schneller, als es sich entwirren ließ, und jetzt fiel ihm vor Schreck das lose Ende aus der Hand und zog sich mit einem Wusch abermals zu einem nutzlosen Knäuel Papier zusammen. Er schlich auf Zehenspitzen zur Wohnungstür und öffnete sie.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!