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Chaos in der Stadt, Chaos im Herzen. Kati Hirschel ist gestresst. Nach einem Streit mit ihrem Liebsten stürzt sie sich in die Suche nach einer neuen Wohnung. Kein einfaches Unterfangen in der Millionenstadt Istanbul. Doch Kati erhält ein umwerfendes Angebot: eine Wohnung mit Blick auf den Bosporus. Nur dumm, dass es Zoff mit dem Bewohner gibt.
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Seitenzahl: 382
Esmahan Aykol
Bakschisch
Ein Fall fürKati Hirschel
Roman
Aus dem Türkischen vonAntje Bauer
Die Originalausgabe
erschien 2003 unter dem Titel ›Kelepir Ev‹
bei Everest Yayınları, Istanbul
Copyright ©2003 by Esmahan Aykol
Die deutsche Erstausgabe
erschien 2004 im Diogenes Verlag
Die ersten beiden Kapitel des Buches
wurden von der Autorin für die
deutsche Ausgabe leicht abgeändert
Umschlagfoto von Grant Faint (Ausschnitt)
Copyright ©Grant Faint/
The Image Bank/Getty Images
Wieder für Ö.
All rights reserved
Alle Rechte vorbehalten
Copyright ©2015
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 23520 3 (3. Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60651 5
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5]1
Wir saßen im Auto, die Lichter von Esentepe zogen an uns vorüber. Selim schwieg.
»Komische Leute. Über was für Sachen die reden…« sagte ich. Ich meinte damit Selims Freunde, die Anwälte, und ihre blondierten Frauen. Wir kamen gerade von einem schrecklichen Essen in einem Luxusitaliener. Die Anwälte und ihre Frauen hatten mich allesamt gehaßt, und ich sie. Und Selim hatte fast den ganzen Abend schweigend dagesessen und mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand auf den Tisch getrommelt. Auch seit wir ins Auto gestiegen waren, hatte er kein Wort von sich gegeben.
»Ernsthafte Themen sind für diese Leute tabu«, sagte ich.
Selim schwieg.
»Und so viel Geld für so einen schlechten Chianti«, sagte ich.
Selim schwieg. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln an. Er hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet und lenkte den Wagen mit ausdruckslosem Gesicht. Mit einem Mal drangen mir alle Gerüche im Auto penetrant in die Nase: die Lederbezüge der Sitze, sein Aftershave, mein Parfum, der leichte Tabakgeruch an meinen Händen… Mir wurde übel. Von den Gerüchen. Oder vom Lauf, den unsere Beziehung [6]nahm. Von allem, was nicht gesagt werden durfte. Worüber wir nicht reden konnten. Worüber wir uns nicht streiten konnten. Übel von allem, wovon wir dachten, daß der andere es von allein verstehen müßte. Von der Sprache der Orientalen, die auf Anspielungen, Mimik und Gesten beruht.
Selim schwieg noch immer.
Das machte mich rasend. Ich wäre ihm am liebsten mit den Krallen ins Gesicht gefahren. Hätte mit einem Tritt die Windschutzscheibe zertrümmert. Ihm die Kippen aus dem Aschenbecher in den Mund gestopft.
Mann! Ich ging mir selber auf die Nerven. Aber er noch mehr.
»Halt an, ich will aussteigen«, sagte ich.
Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da hielt der Trottel doch tatsächlich an! Also so was! Eine Szene wie in einem Kitschfilm: Die jungen Liebenden streiten sich. Die junge Frau springt aus dem Auto und schlägt die Wagentür zu. Dann fährt sie per Anhalter weiter und wird vergewaltigt. Oder was weiß ich, es stößt ihr irgend etwas anderes zu.
Am liebsten hätte ich eine furchtbare Schimpfkanonade von mir gegeben. Zweisprachig: auf deutsch und auf türkisch.
Aber ich ließ das natürlich bleiben. Ich würde nicht fluchen.
In meinem Magen lag ein Seebarsch für ’zig Millionen türkischer Lira. Seebarsch im Soundso-Mantel, an diesem und jenem Jus, so großspurig war er auf der Speisekarte dahergekommen. Bezahlt hatte ihn mein Freund, der Handelsanwalt und dieses Jahr Inhaber des Ehrentitels ›Bester [7]Steuerzahler von Istanbul‹. Ich holte ein Bündel Geldscheine aus meiner Handtasche – die türkische Lira ist nur im Bündel etwas wert – und legte es beim Aussteigen auf den Autositz. Nein, ich würde die Tür jetzt nicht zuschlagen. Es war schon alles dramatisch und schrecklich und schmerzhaft genug.
Bevor ich die Tür schließen konnte, lehnte er sich über den Beifahrersitz, packte mich am Arm und flüsterte: »Jetzt tu nicht so saublöd!«
Der Satz traf mich wie eine Ohrfeige. Er klatschte mir wie ein heftiger Schlag mitten ins Gesicht.
Er hätte ja auch sagen können: »Mach dich nicht lächerlich«, oder: »Bist du verrückt geworden?« Aber nein.
Ich machte die Wagentür hinter mir zu.
Wie doch in solchen Momenten alle anderen Probleme auf einmal unwichtig werden. Die Wohnungssuche. Die Gebühren für die Müllabfuhr, die ich seit Jahren zu bezahlen vergesse. Die komischen, unglaublich hohen Absätze, die zur Zeit Mode sind. Und was es noch so alles gibt.
»Würdest du bitte wieder einsteigen«, sagte er. Er stand nun neben mir. Er hatte die Wagentür, die ich eben erst geschlossen hatte, wieder aufgemacht und wartete darauf, daß ich wieder einstieg. Das Geld lag noch immer auf dem Beifahrersitz. Wenn ich einstieg, mußte ich das Geld wieder an mich nehmen und in meiner Handtasche verstauen.
Nur deshalb, nur um das Geld nicht wieder vom Sitz aufnehmen und in meine Handtasche stecken zu müssen, winkte ich ein Taxi heran, das gerade vorbeikam.
[8]Kaum war ich zu Hause, begann ich mir das Hirn zu zermartern. War ich an diesem Streit schuld? Hatte ich einen Sturm im Wasserglas ausgelöst, weil ich so genervt war?
Ich muß zugeben, daß ich mich ziemlich verändert habe, seit Sie mich das letzte Mal gesehen haben. Ich habe jetzt ein Doppelkinn, orangefarbenes Haar, ein Mobiltelefon (wenn auch ein altes Modell) und einen Freundeskreis aus Frauen, die Antidepressiva nehmen. Ich bin ständig gereizt, ohne zu wissen, wieso. Vielleicht wegen der Wohnungssuche.
Ach, die Wohnungssuche! Vielleicht wissen Sie, daß ich im Lieblingsviertel der Istanbuler Intellektuellen, in Cihangir, eine riesige, wunderbare Wohnung habe. Oder nein, ich muß dafür jetzt die Vergangenheitsform benutzen: hatte. Ich hatte sie, bis Anfang letzten Monats die Wohnungseigentümerin von mir eine Mieterhöhung von 150Euro verlangte. Wenn Sie zu den Lesern gehören, die an dieser Stelle sagen: »Wieso denn Euro, wohnen Sie denn nicht in der Türkei?«, dann muß ich Ihnen leider sagen, daß Sie von Istanbul keine Ahnung haben.
Seit 14Jahren lebe ich nun in Istanbul, in dieser Stadt, die sich auf zwei Kontinente erstreckt, nach offiziellen Zahlen acht, in Wahrheit vermutlich 13Millionen Einwohner hat, ihre eigenen Regeln aufstellt, und deren Wohnungseigentümer, um sich vor der Inflation zu schützen, Mieter suchen, die in Dollar oder Euro bezahlen.
So wie die Sache aussieht, heißt es: Vogel friß oder stirb. Bezahl 150Euro mehr oder such dir eine neue Wohnung.
Ich werde also umziehen. Vorausgesetzt, ich finde eine [9]neue Wohnung. Bis zum Streit am heutigen Abend wäre natürlich auch nicht auszuschließen gewesen, daß ich zu Selim ziehe und dadurch die Wohnungseigentümer aus meinem Leben streiche. Wäre, wäre, wäre gewesen. Wie Sie sehen, benutze ich erneut die Vergangenheitsform. Und den Konjunktiv noch dazu.
Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fiel mir als erstes Selims fieser Satz ein, nicht die Tatsache, daß ich wieder anfangen mußte, eine Wohnung zu suchen. Wenn Sie’s genau wissen wollen, dann fand ich das überhaupt kein gutes Zeichen. Schließlich war ich eine Frau mit Verpflichtungen und einer Arbeit, und kein junges Mädchen, das sich selbst mit ihren Liebesabenteuern den Boden unter den Füßen wegzog. Ich schlüpfte also in das Paar Schuhe mit den höchsten Absätzen und verließ das Haus, um die Wohnungssuche wieder aufzunehmen.
Es war schon vorher nicht einfach, auf den holprigen Gassen von Istanbul vorwärtszukommen – auf diesen Absätzen geriet das Laufen regelrecht zur Folter. Dabei mußte ich nicht mal weit gehen, denn die Rüstem-Immobilien-Agentur liegt bei mir gleich um die Ecke, in der Akarsu-Straße Nr.26.
Inzwischen sehe ich schon rot, wenn ich das Wort »Immobilie« oder »Immobilienmakler« nur höre. Seit zwei Wochen klappere ich von früh bis spät Wohnungen ab, als würde ich dafür bezahlt. Daß ich trotzdem noch Zeit gefunden habe, mir die Haare färben zu lassen, bestätigt nur den alten Spruch, daß eine Frau, die eine Krise durchmacht, ihre Haarfarbe oder den Haarschnitt ändert. Und rümpfen [10]Sie jetzt nur nicht die Nase über solche Klischees. Wenn ich so etwas sage, dann muß etwas dran sein. Schließlich bin ich ja sonst immer die erste, die sich über die Vorurteile der Türken bezüglich der Deutschen beklagt. Im übrigen kann mir niemand ausreden, daß Klischees aus dem Leben gegriffene Weisheiten sind. Zum Beispiel weiß niemand besser als ich, wie geizig, freudlos, pedantisch und obrigkeitshörig die Deutschen sind und wie sehr sie alle hassen, die anders sind als sie.
Kaum hatte ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt, schnellte Rüstem, der Immobilienmakler, schon aus seinem Sessel. Kein Wunder: Schließlich bekommt er 12Prozent der Jahresmiete als Kommission, wenn ich eines seiner heruntergekommenen Appartements nehme.
Ich verließ die Agentur zusammen mit Rüstems Gehilfen, der mir eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Özoğul-Straße zeigen sollte.
»Die Wohnung hat eine wunderbare Aussicht«, sagte er. »Sie muß nur ein bißchen renoviert werden.«
Ich nickte.
Die Vorstellung, die Wohnung renovieren zu müssen, schreckte mich nicht. Zwar bin ich inzwischen eine halbe Türkin geworden. Aber ich bin doch immer noch Deutsche genug, daß ich die Wände lieber selber streiche, um billiger davonzukommen. Auch daß die Wohnung, die ich besichtigen sollte, viel kleiner war als meine bisherige, störte mich nicht weiter. Ich würde mich eben einiger Sachen entledigen, basta.
Was mir hingegen angst machte, das war der Ruf, den [11]diese Straße im Cihangir-Viertel hat. Die Özoğul-Straße ist eine Sackgasse mit Meerblick. Lange Treppen führen von dort hinunter bis zur Fındıklı-Straße. Berühmt ist sie allerdings nicht wegen ihrer schönen Aussicht, sondern wegen der Taschendiebe, die hier ihr Unwesen treiben. Es kursieren Geschichten von Frauen, die sich an ihrer Tasche festgekrallt haben und von den Dieben über das Pflaster geschleift wurden. Frauen, die hier wohnen, können nachts nicht allein nach Hause gehen, und selbst die Taxifahrer weigern sich, in diese Sackgasse hineinzufahren.
Wenn ich mein Leben in einem dieser schrecklichen kleinbürgerlichen Neubauviertel auf der asiatischen Seite des Bosporus verbracht hätte, in einem dieser Betonklötze, wo man beim Aufrechtstehen an die Decke stößt, dann wäre ich wahrscheinlich beim Anblick der Özoğul-Straße in Begeisterung ausgebrochen. Nein, nicht wahrscheinlich, ganz bestimmt. Statt dessen stellte ich mir, seit wir in die Straße eingebogen waren, andauernd vor, wie sich die Taschendiebe über die Treppen in Richtung Fındıklı-Straße davonmachten. Daß ich Cihangir so gut kannte wie meine Westentasche, war mir bei der Wohnungssuche nicht eben dienlich, wie man sieht, im Gegenteil.
Nachdenklich machte ich mich auf den Weg nach Kuledibi, zu meinem geliebten Laden. Selim (Seliiim!!) und meine Freunde versuchen seit geraumer Zeit, mich davon zu überzeugen, daß es in Istanbul auch noch andere Stadtviertel gibt, in denen man wohnen kann, und daß ich diesbezüglich mal meinen Horizont erweitern müßte. Nur bin ich leider in punkto Wohnviertel geradezu manisch [12]konservativ. Das betrifft nicht nur Istanbul. Wenn ich zum Beispiel in Berlin leben würde, dann sicher nicht im noblen, grünen Zehlendorf oder im Prenzlauer Berg, wo die Intellektuellen alle hinziehen. Ich würde ergeben in Kreuzberg wohnen bleiben, trotz aller Türken mit ihren buschigen Augenbrauen, die auf den Boden spucken und in ihren neuen Autos reifenquietschend um die Ecken rasen.
Das heißt, in Cihangir lebe ich nicht etwa deshalb, weil mich das Viertel so begeistern würde. Ich wüßte auch gar nicht, was mich dort begeistern sollte. Vielleicht die türkische Intelligenzija von Cihangir, die sich damit brüstet, Bach zu hören?
In Cihangir lebe ich eigentlich nur aus Mangel an Alternativen. Sollte ich vielleicht in Nişantaşı wohnen, wo die Frauen zwischen Friseur und Einkaufszentrum hin- und herpendeln? Oder in Moda, das vom nächsten großen Erdbeben vermutlich als erstes plattgemacht wird? Die Stadtviertel am Bosporus sind so teuer, daß ich davon noch nicht mal zu träumen wage. Außerdem ist es mir wichtig, daß meine Wohnung nicht zu weit von meinem Laden entfernt liegt. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste, und es ist gesünder, morgens zu Fuß zum Laden zu gehen, als mit dem Auto zu fahren. Noch dazu, wo die Wissenschaftler sagen, daß ein Spaziergang frühmorgens auf nüchternen Magen die Verbrennung der freien Fettmoleküle beschleunigt.
Auf meinem Rückweg nach Kuledibi hing ich trüben Gedanken nach, denn die Aussichten, eine vernünftige Wohnung zu finden, schienen mir äußerst gering. Als ich im Buchladen eintraf, saß meine Mitarbeiterin Pelin wie üblich [13]bedrückt hinter dem Tresen. Seit sie sich vor drei Tagen mit ihrem Freund gefetzt hatte, blies sie nur noch Trübsal, und ich hatte mir vorgenommen, auch in der allergrößten Wut nichts zu sagen, was sie verletzen könnte. Nur fiel mir jetzt leider nichts ein, was ich hätte sagen können, ohne sie zu verletzen, und deshalb schwieg auch ich. Im übrigen war ich auch gar nicht in der Lage, Pelin gute Ratschläge zu erteilen. Ratschläge hätte ich selber gebrauchen können.
Ich machte uns beiden einen Kräutertee, der genauso unangenehm roch, wie er aussah, aber was soll’s, Hauptsache gesund. Dann setzte ich mich mit einer Tasse Tee in meinen Schaukelstuhl, schaukelte und fixierte dabei mit den Augen einen Punkt über dem Schaufenster. Ich schaukelte und trank Tee. Pelin saß am Tresen und rührte ihren Tee nicht an.
So sah es im Laden aus, als eine Frau in der Tür erschien: meine Freundin Candan. Sie trug eine schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt sowie sehr elegante Schuhe mit dicken Absätzen. Schuhe, die diesen Sommer nicht Mode waren und denen man schon von weitem ansah, wie gut es sich in ihnen lief. Auf der Rückseite ihres T-Shirts stand young at heart, wie ich später sah, als sie uns den Rücken zukehrte.
»Was verschafft uns die Ehre?« fragte ich. Die Ironie war berechtigt, denn seit dem Einweihungscocktail vor vier Jahren hatte sie den Fuß nicht mehr in meinen Laden gesetzt.
»Ich suche ein Buch von Barbara Vine«, sagte sie. »Ich dachte, vielleicht hast du es.«
Ich lachte. Candan gehört eine große Buchhandlung in Beyoğlu, in der sie früher, nebenbei gesagt, auch Pelin beschäftigt hat. Die Vorstellung, daß Candan andere [14]Buchläden abklapperte, um einen bestimmten Band zu finden, war völlig absurd.
»Sie wissen ja, daß Barbara Vine das Pseudonym von Ruth Rendell ist, nicht?«
Nein, dieser grandiose Einwurf kam nicht von mir, sondern von der neunmalklugen Pelin. Ich brachte sie mit einem eiskalten Blick zum Schweigen.
Candan lächelte nur und fragte uns beide höflich nach unserem Befinden. Ich bin doch immer wieder fasziniert von der Selbstbeherrschung der echten Geschäftsfrauen.
Wir ließen die vorlaute Pelin allein und gingen ins Café Ceneviz, einen schönen Teegarten etwas unterhalb des Kuledibi-Platzes, wo der Tee deutlich besser ist als der, den ich mache. Wir redeten über Gott und die Welt, und irgendwie gelang es mir, kein Wort über Selim und unseren Streit von gestern abend zu verlieren. Aus irgendeinem Grund wollte ich über dieses Thema noch nicht sprechen. Schließlich begann ich mich über die Mühen der Wohnungssuche zu beklagen. Es ist nicht eben einfach, einer reichen Freundin zu vermitteln, daß man wegen läppischer 150Euro monatlich umziehen muß. Erst hörte sie mir schweigend zu, wahrscheinlich, um nichts Falsches zu sagen. Irgendwann konnte sie dann aber nicht mehr an sich halten und platzte heraus: »Kauf dir doch eine Wohnung.«
Ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen. »Was? Mit welchem Geld denn? Ich muß umziehen, weil ich keine höhere Miete bezahlen kann. Willst du dich über mich lustig machen?« hätte ich ihr am liebsten entgegnet. Solange es um Romane, Schriftsteller, Menschen oder Politiker geht, sind wir beide ein Herz und eine Seele. Aber was [15]Geldangelegenheiten betrifft, leben wir in zwei völlig verschiedenen Welten. Die 150Euro, wegen derer ich umziehen muß, drückt sie mal eben so dem Friseur als Bakschisch in die Hand.
»Besorg dir halt eine billige Wohnung«, fügte Candan schnell hinzu, als sie meinen Gesichtsausdruck sah, und ich verzichtete auf meine Vorhaltungen und sagte statt dessen: »Ich will aber nicht aus diesem Viertel weg. Und ich möchte nicht, daß die Wohnung zu weit vom Laden entfernt ist.«
»Das meine ich ja: daß du dir hier in der Gegend eine billige Wohnung besorgen sollst. Du weißt doch, daß das Haus in Cihangir, in dem ich wohne, einer Minderheitenstiftung angehört. Sowohl in Kuledibi als auch in Cihangir gibt es eine ganze Reihe solcher Gebäude und Appartments. Sie werden entweder vermietet oder verkauft. Ein Bekannter von mir, der in der Stiftungsbehörde arbeitet, hat mir gesagt, daß es hier in der Gegend eine Reihe Objekte gibt, die die Behörde vermieten will. Ich bin heute hierhergekommen, um mir eins dieser Gebäude anzusehen.« Sie packte meinen Arm und lachte. »Vielleicht eröffne ich in Kuledibi einen Buchladen und mache dir Konkurrenz.«
Ich reagierte nicht auf ihre letzte Bemerkung. »Du meinst, die Stiftungsbehörde hat ein paar Wohnungen, die sie verkaufen will?«
»Ja, genauer gesagt: Es gibt eine Reihe von Gebäuden, die das Stiftungsamt vermietet hat, und eine Reihe von Wohnungen, die das Finanzministerium verkauft.«
»Moment mal«, sagte ich. »Erzähl bitte so, daß ich auch nachkomme.«
Candan berichtete nun folgendes: Es gibt in der Türkei [16]eine Reihe von Immobilien, die früher den Angehörigen von ethnischen Minderheiten gehörten, welche das Land verlassen haben. Irgendwann stellt ein Gericht fest, daß der Eigentümer einer bestimmten Immobilie nicht mehr aufzufinden ist, daraufhin wird das Gebäude dem Schatzamt zugewiesen. Das Schatzamt kann diese Immobilie entweder vermieten oder verkaufen. Meistens entscheidet es sich für letzteres. Die Immobilie wird weit unter Wert versteigert, und der Erlös fällt ans Schatzamt. Um an eine solche Wohnung zu kommen, mußte man eigentlich nur herausfinden, wo es ein solches Objekt gab und an welchem Tag es versteigert würde. Das erreichte man dadurch, daß man beim »Nationalen Immobilienamt« jemanden auftat. Jemanden ›aufzutun‹ hinwiederum bestand darin, daß man einem Angestellten der Behörde eine bestimmte Summe Geld in die Hand drückte, wobei auch Candan nicht genau wußte, wieviel. Candan versprach mit anderen Worten, daß sie im »Nationalen Immobilienamt« jemanden »auftun« würde, so daß ich an die zum Verkauf stehenden Appartements herankommen könnte.
Obwohl ich eigentlich an jenem Abend Grund genug gehabt hätte, zum ersten Mal seit Wochen wieder gut zu schlafen, drehte ich mich erneut ruhelos von einer Seite auf die andere – diesmal, weil mir Selim nicht aus dem Kopf ging. Wann würde er bloß anrufen, um sich bei mir zu entschuldigen?
Das folgende Wochenende schien mir kein Ende zu nehmen. Ich genoß weder das samstägliche Treffen mit meinem [17]
[18]2
Als ich am Montagvormittag zu meinem Buchladen ging, taxierte ich die auf dem Weg liegenden Häuser mit dem kritischen Blick eines Käufers. Ich muß zugeben, daß ich mich noch nie sonderlich dafür interessiert hatte, wann all diese großartigen Gebäude entstanden waren und wer überhaupt früher in dem kosmopolitischen Kuledibi gelebt hatte. Was ich weiß, ist schnell gesagt:
Kuledibi war bis in die fünfziger Jahre das Viertel der kleinbürgerlichen Juden. Nach der Gründung des Staates Israel verließen die meisten von ihnen die Türkei, in ihren Wohnungen bezogen Bauern aus Anatolien Quartier. Daraufhin setzten sich auch die noch verbliebenen Juden von Kuledibi in andere Stadtteile Istanbuls ab.
Nur wenig erinnert heute noch an die ehemaligen jüdischen Einwohner des Viertels: Neve Schalom steht hier, die größte Synagoge Istanbuls, eine weitere Synagoge, die kleiner, aber feiner ist, dann gibt es noch eine Metzgerei, die koscheres Fleisch verkauft. Und eben die »herrenlosen« Wohnungen und Läden, von deren Existenz ich erst drei Tage zuvor erfahren hatte.
Heute wohnen vor allem arme anatolische Migrantenfamilien mit vielen Kindern im Viertel. Tagsüber kommen noch die vielen Lampen- und Elektrogroßhändler dazu. [19]Seit einigen Jahren ist in Kuledibi allerdings ein Wandel zu beobachten. Ein paar Leute haben begonnen, hier Häuser zu kaufen und wieder herzurichten, dadurch verändert sich nach und nach der Charakter des Viertels. Früher war mein Buchladen das einzige Geschäft von Kuledibi, in dem etwas anderes als Lampen verkauft wurde. In letzter Zeit haben hingegen immer mehr Bars, Kneipen, Restaurants und selbst Luxushotels aufgemacht. Mittlerweile gibt es sogar eine – von einer Spanierin betriebene – Tapas-Bar, in der man einmal im Monat Paella bekommt, und für die Intellektuellen einen Jazzclub.
Gegen Mittag rief ich Candan an, in der Hoffnung, sie habe inzwischen die notwendigen Informationen eingeholt. Pelin war noch immer nicht zur Arbeit gekommen, und ich widerstand nur mit Mühe der Versuchung, sie anzurufen. Das ist der Nachteil, wenn man mit jungen Leuten zusammenarbeitet: Man erlebt jedes Auf und Ab in ihrem Leben mit. Wohingegen ich inzwischen eine so reife Frau war, daß ich sogar nach einem Streit mit meinem Liebhaber weiterleben konnte, als sei nichts geschehen.
Candan war wie immer großartig: Sie hatte für mich einen Namen und die dazugehörige Mobilfunknummer herausgefunden. Kasım Arslan, 0538318 44 54. Varol Kara von der Generaldirektion für Stiftungen ließ ihm Grüße ausrichten.
Während ich wählte, schlug mir das Herz bis zum Hals.
Wir sprachen nur kurz über das Wesentliche. Über diese Art von Themen läßt man sich ohnehin besser nicht am Telefon aus. Wir verabredeten, daß ich Herrn Arslan abends nach Dienstschluß im Sultanahmet-Viertel treffen würde, im [20]Teegarten Duvardibi. Als mir einfiel, daß wir nicht ausgemacht hatten, wie wir uns erkennen würden, war es schon zu spät: Da hatte ich bereits aufgelegt. Ich fragte mich, ob ich wohl fähig war, einen bestechlichen Beamten allein an seinem Äußeren zu erkennen. Es würde ein guter Test sein, um zu sehen, wie gut ich die Türken kannte.
Ob Sie es glauben oder nicht: Nach kurzem Zögern fand ich unter einem guten Dutzend Tischen den von Kasım Arslan heraus. Das Testergebnis bewies ganz klar, daß ich inzwischen zu einer Türkei-Kennerin geworden war. Ich muß allerdings zugeben, daß mir einige äußere Faktoren dabei zu Hilfe gekommen waren. Im Teegarten war nämlich ein großer Teil der Tische mit jungen Paaren besetzt, deren Vorstellung von einem romantischen Abend ganz offensichtlich darin bestand, sich in einem Teegarten lautstark mit einer Art Katzenmusik beschallen zu lassen, die man hier »Arabesk« nennt.
An einigen anderen Tischen saßen türkische Familien, bestehend aus je zwei Erwachsenen und mindestens vier Kindern, die im Rahmen ihres Abendspazierganges hier Rast machten.
Ein paar nordeuropäische Touristen hatten sich an Tischen fern vom Schatten breitgemacht, hatten ihre Hosenbeine und die Ärmel ihrer T-Shirts hochgekrempelt, um auch die letzten müden Sonnenstrahlen noch auszunutzen, und betrachteten mit unendlichem Erstaunen den Kaffeesatz in ihren Tassen. Ich hätte wetten können, daß die Deutschen unter ihnen gleich vom Kellner einen Löffel verlangen und den Kaffeesatz aufessen würden, denn die Deutschen sind [21]das einzige Volk, das noch im Erwachsenenalter den Krümeln nachtrauert, die sie als Kind auf dem Teller zurückgelassen haben.
Und dann gab es noch die vier Tische, an denen je ein Mann alleine saß. Der junge, durchaus gutaussehende Mann, der konzentriert in einem Buch las, konnte Arslan nicht sein. So viel Glück ist mir im Leben noch nie beschieden gewesen.
Der Mann am zweiten Tisch hatte das Pensionsalter schon längst überschritten.
Der Mann am dritten Tisch konnte Arslan sein.
Oder der am vierten.
Ich warte ja immer noch darauf, daß die Frauenmagazine ihre beliebte Frage an die Leserinnen »Wohin schauen Sie als erstes bei einem Mann?« auch mir einmal stellen. Also, bei den Männern am dritten und vierten Tisch schaute ich als erstes… O nein, da kennen Sie mich aber schlecht. Ich schaute auf ihre Schuhe.
Arslan, das war der mit den weißen Socken in den braunen Sandalen.
Er trug ein messerscharf gebügeltes, dunkelblaues Hemd.
Daß er widerlich nach Schweiß roch, bemerkte ich erst, als ich ihm gegenüberstand.
Er stand auf, und wir schüttelten uns die Hand.
Als ich am Dienstagmorgen aufwachte, waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Vier lange Tage waren nun seit unserem Streit vergangen, und Selim hatte noch immer nicht angerufen. Ich setzte mich im Bett auf und massierte mir selbst die Schultern.
[22]Dann stellte ich mich vor den Spiegel und schmierte mir eine Creme auf die Augen, die abschwellend wirken sollte. Aber meine Bemühungen zeigten keinen Erfolg. Also setzte ich meine schwarze Jackie O.-Sonnenbrille auf und beschloß, meine Zellulitis zu ignorieren und gleich an der Ecke, im Café Firuzağa, einen Mokka ohne Zucker zu trinken. Und noch etwas gönnte ich mir: Ich pfiff auf den fettverbrennenden Morgenspaziergang und nahm ein Taxi zum Laden.
Der Taxifahrer fuhr extrem schnell und bot mir dadurch einen willkommenen Anlaß, mit ihm einen Streit anzufangen. Die Türken fahren alle wie die Irren. Sie müssen immer ganz dringend irgendwohin, haben immer etwas überaus Wichtiges vor, und deshalb dürfen sie nie auch nur eine einzige Sekunde verlieren. Als ob sie durch diese Hast die Kluft, die sie von der zivilisierten Welt trennt, überbrücken könnten. Inzwischen sind hier sogar Digitalanzeigen an den Ampeln installiert worden, an denen man ablesen kann, wie viele Sekunden es noch dauert, bis die Ampel umspringt. Die Anzeige zählt absteigend: 20, 19, 18… 9, 8, 7… Wir leben in einem Land, in dem die Sekunden von lebenswichtiger Bedeutung sind! Grauenhaft. Immer wenn all die dicken Hausfrauen und bärtigen alten Männer mitbekommen, daß sie nur noch sieben Sekunden haben, bis die Fußgängerampel auf Rot schaltet, dann fangen sie an zu rennen, nur um nicht warten zu müssen, bis es wieder Grün wird. Ich frage mich, was sie mit den 51Sekunden anfangen, die sie durch das Hasten gewonnen haben.
Mein Taxifahrer war noch schlimmer als diese Fußgänger. Die Taxifahrer spinnen sowieso alle. Manche sind vielleicht noch halbwegs normal, wenn sie mit dem Taxifahren [23]beginnen. Aber nach einem Jahr Autofahren in Istanbul flippt der normalste Mensch aus.
Dennoch war es gut, daß ich heute morgen nicht mit dem Auto, sondern mit dem Taxi gefahren war. Streitereien mit Taxifahrern wirken auf mich beruhigend. Wie eine Shiatsu-Massage. Oder wie Aromatherapie. Erst tröpfelt man ein paar unterschiedliche Öle ins Jacuzzi, dann bleibt man eine Viertelstunde im lauwarmen Wasser liegen, danach reibt man die Muskeln mit denselben Ölen ein. Hinterher riecht man wunderbar und ist völlig entspannt.
Ganz entgegen meiner Gewohnheit gab ich dem Taxifahrer ein Trinkgeld.
So ab zwei Uhr nachmittags begann die Creme, die ich mir auf die Augen aufgetragen hatte, ein bißchen Wirkung zu zeigen, und ich sah wieder wie ein Mensch aus. Ich saß mit Pelin zusammen im Laden. Wir rauchten eine Zigarette nach der anderen und schwiegen uns an. Es war nichts los an diesem Tag. Drei magere Bücher hatten wir verkauft. Ich beschloß, Lale anzurufen, falls in der nächsten halben Stunde nicht ein Wunder in meinem Leben geschehen würde. Meine rechte Schädelseite war vor Kopfschmerzen wie betäubt. Kurz zuvor hatte ich zwei Aspirin geschluckt. Da ich seit gestern abend nichts mehr gegessen hatte, fing jetzt auch mein Magen an weh zu tun.
In diesem Moment beneidete ich all die Frauen wahnsinnig, deren Hauptsorge darin besteht, daß sie ihre fünfjährige Tochter unbedingt im Kindergarten einer guten Schule unterbringen wollen, beim Deutschen Gymnasium zum Beispiel, und die hektisch in der Gegend [24]herumtelefonieren, um sich eine Empfehlung zu besorgen. Diese Art von Sorgen hätte ich auch gern gehabt. Altersgemäße Sorgen.
Ich wünschte mir blondierte Freundinnen, die in Wohnblöcken mit Swimmingpool wohnten, sich über ihre schnarchenden Männer beklagten, silberne Ballerinas trugen und die Sozialdemokraten wählten.
Ich wünschte mir, Ziele im Leben zu haben wie etwa ein Kilo, ein einziges Kilo abzunehmen. Ich hätte in diesem Moment gerne lange, dünne Frauenzigaretten mit Blümchenfilter geraucht und Danielle Steel gelesen. Ich hätte mich gerne bei meinen Freundinnen über mangelnden Sex in meiner Ehe beklagt. Ich hätte gerne Mariah Carey gehört und dabei geweint.
Mein Mobiltelefon klingelte. Ein einziges Mal. Dann war es wieder still.
Aufgeregt wie ein Schatzsucher… lächerlich aufgeregt… mit vor Aufregung zitternden Händen ging ich ins Menü meines Mobiltelefons, zu den unbeantworteten Anrufen. Da stand eine Nummer. Aber nicht die von Selim. Es war nicht Selims Geheimnummer, die auf dem Display unterdrückt wird. Es war eine ganz normale Nummer.
Ich wählte und klapperte dabei vor Aufregung mit den Zähnen.
Und wer war es, der mich angerufen hatte? Arslan, der bestechliche Beamte des Nationalen Katasteramts.
Ob es einem paßt oder nicht: Das Telefon bindet den Menschen ans Leben. Nachdem ich mit Arslan gesprochen hatte, ging es mir besser. Er habe eine gute Nachricht für mich, wir sollten uns am Abend treffen, am selben Ort und [25]zur selben Zeit, ich hatte also ein Rendezvous mit jemandem, und schon ging es mir besser. Ich aß einen doppelten Käsetoast, trank einen Tee und ging in die Apotheke und kaufte mir Migränetabletten. Und ich rief Lale nicht an. Sie war dieser Tage schon depressiv genug, da brauchte ich nicht auch noch meine Sorgen bei ihr abzuladen. Das hatte ich nicht mehr nötig. Ich liebte meine Freunde wieder. Ich freute mich, daß ich nicht die Mutter einer fünfjährigen Tochter war und nicht ständig teure Kosmetika irgendwo auf meinem Körper applizierte. Ich war froh, keinen Ehemann zu haben und für niemandes Sexualleben verantwortlich zu sein.
Ich ging zu Fuß die ganze Strecke von Kuledibi bis hinüber nach Sultanahmet, durch Straßen, die nach dem sintflutartigen Regen von vor ein paar Tagen ein bißchen Kühle verströmten. Sultanahmet und die Yerebatan-Zisterne sind meine Lieblingsorte. In einer Zeit, in der ich sehr bedrückt war, noch bedrückter als jetzt, ging ich häufig dorthin. Ich fand, es war ungeheuer beruhigend, wenn sich Tropfen von der Decke lösten und auf meinem Kopf landeten. Dabei ist das doch eine Foltermethode, oder? Heißt das vielleicht, daß alles zur Folter werden kann? Also auch etwas, was normalerweise Vergnügen bereitet?
Kasım Arslan und ich tranken zusammen Tee und unterhielten uns über die bevorstehenden Wahlen. Ich versuchte zu erraten, welcher Partei er wohl seine Stimme geben würde, aber ich fragte ihn nicht danach. Die Türken reden über diese Dinge ganz ungeniert, sie erzählen sich sogar gegenseitig, wieviel sie verdienen. Arslan beklagte sich [26]unaufhörlich über die hohen Lebenshaltungskosten und die niedrigen Beamtengehälter. Damit wollte er offensichtlich zur Bestechung überleiten. Schließlich nannte er eine Summe. Er sagte, das Geld sei nicht für ihn allein. Am Gelingen dieser Angelegenheit seien noch andere Leute beteiligt. Mit denen müsse er es sich teilen. Aus irgendeinem Grund rechnete ich den Betrag, den er mir genannt hatte, im Kopf in Euro um. Ach ja, ich weiß, warum: Ich verglich den Betrag mit der monatlichen Mieterhöhung, die die Wohnungseigentümerin forderte. Es war doppelt soviel. Um die 300Euro. So wenig. So billig. Ich hätte sowieso alles bezahlt, was er verlangte, schließlich bekam ich dadurch die Möglichkeit, eine Wohnung zu kaufen und die Vermieter für immer loszuwerden. Wenn dann doch nichts daraus wurde, hatte ich eben Pech gehabt.
Ich ging zum Automaten, um Geld zu ziehen. Arslan wartete unterdessen im Teegarten auf mich. Er hatte eine Liste mit den Adressen von vier Wohnungen in Kuledibi und Umgebung dabei, die dem Schatzamt überschrieben werden sollten.
»Die Verfahren bezüglich dieser Wohnungen laufen noch. Wenn sie abgeschlossen sind, werden sie zum Verkauf ausgeschrieben«, sagte er. »Schauen Sie sich die mal an. Wenn Ihnen eine zusagt, werden wir uns darauf konzentrieren.«
Auf dem Nachhauseweg schaute ich im Café Kaktüs vorbei. Schließlich wartete ja niemand zu Hause auf mich, mit dem ich meine Freude über den Ausgang der Verhandlungen mit Kasım Arslan hätte teilen können. Ich klemmte mich auf den Barhocker, der dem Ausgang am nächsten [27]stand und aß mutterseelenallein einen »Mittelmeersalat«, den man vor mich auf die Theke stellte. Es ist mein Lieblingssalat. Er wirkt wie eine Art Beruhigungsmittel.
Es war nur leider nicht von Dauer, das Mittelmeersalatglück. Es war so kurz wie jedes kleine Glück.
Solange ich alleine gewesen war, solange Selim noch nicht Einzug in mein Leben gehalten hatte, war es mir besser gegangen. Denn ich hatte gehofft. Gehofft auf eine Beziehung, die bis zum Ende meines Lebens halten würde. Und dann hatte ich hier und da kleine Flirts. Ich fühlte mich nicht so wie jetzt: so zerrissen. Ich litt nicht so, wie ein verletztes Tier.
Ich drückte mit der Hand auf meinen Brustkorb. Irgendwie litt meine Seele auch physisch. Könnte es nicht sein, daß Herzschmerz eigentlich ein körperliches Leiden ist? In der langen beziehungslosen Zeit hatte ich diese Art Schmerz offenbar vergessen. Vergessen, wie einem ein einziges falsches Wort nicht mehr aus dem Kopf geht, wie man es sich immer und immer vorsagt, als wäre es eine alte Schallplatte mit einem Sprung. Ich öffnete meinen Mund so weit wie möglich und stieß einen lautlosen Schrei aus. So, wie ich es als Kind immer gemacht habe. In meinem Zimmer, unter der Bettdecke.
Warum nur war dieser Streit so schlimm? Noch dazu ein Streit, der gar keiner war.
Nein, ich werde Ihnen jetzt nicht lang und breit erzählen, wie ich jenen Abend hinter mich gebracht habe. Mir ist beigebracht worden, daß der Mensch die schlimmsten Momente alleine durchstehen muß. Daß niemand sehen darf, [28]wenn er zusammenbricht. So habe ich das gelernt. Eine beschissene, kleinbürgerliche Denkweise. Beschissen, aber es ist ein Teil von mir. Vielleicht ist es ja genetisch festgelegt, ein Kleinbürger zu sein. Vielleicht ist es ja nichts, was man erlernt.
Zu meiner eigenen Überraschung ging es mir am nächsten Morgen schon wesentlich besser. Da können Sie mal wieder sehen. So ist das Leben! Wenn man schlafen geht, hat man keine Ahnung, in welcher Stimmung man wieder aufwacht. Ist das nicht erstaunlich? Ich fühlte mich, als hätte ich jahrelang bei kahlköpfigen Mönchen in einem buddhistischen Tempel gelebt – ganz federleicht. Ich hatte mich wieder aufgerappelt, hatte mein zersprungenes Ich wieder zusammengefügt, zum großen Teil jedenfalls.
Ich zog mich auffällig an. Eine hellblaue Bluse, die ein bißchen zu knapp war für meinen Busen, einen sandfarbenen Rock mit Schlitzen und rote Pantoletten mit unmöglichen Absätzen. Ich war ja sozusagen wieder auf Freiersfüßen. Und dann noch mit orangenen Haaren. Ich hatte viel größere Chancen als früher, den Mann fürs Leben zu finden.
Ich stieg ins Auto und gab Gas. Ich hatte vier Adressen, die ich aufsuchen mußte. Ich mußte mich auf meine Angelegenheiten, auf die Wohnungen konzentrieren. Vielleicht fand ich unter einer dieser Adressen, die mir Arslan gestern gegeben hatte, wirklich meine zukünftige Wohnung. Und auch wenn mir von denen keine gefiel, war das Geld ja noch nicht verloren. Dann würde er in einem anderen Viertel [29]andere Wohnungen für mich ausfindig machen, so lange, bis mir eine gefiel.
»Wir legen niemanden rein«, hatte er zu mir gesagt. So richtig mit Überzeugung. Die Frage war: Sollte ich einem bestechlichen Beamten glauben? Ich war mir offen gestanden nicht ganz sicher. Ich besteche schließlich nicht alle naselang Beamte. Ich habe sonst nicht mit Dingen zu tun, für die man bestechen müßte. Weshalb sollte die Inhaberin eines winzigen Buchladens schon jemanden bestechen müssen?
Entgegen meiner Erwartung hatte sich mir der Magen nicht herumgedreht, als ich ihn bestochen hatte. Ich hatte ihm das Bündel Geld gereicht und gar nicht so eklig gefunden, was ich da tat. Vielleicht, weil ich in meinem Umfeld so viele Leute kenne, die bestechen.
Jetzt schauen Sie sich das an. Hatte ich noch vor ein paar Tagen auch nur im mindesten daran gedacht, mir eine Wohnung zu kaufen? Hatte ich nicht etwa nach einer Mietwohnung gesucht? Unglaublich, wie schnell ich mich doch für den Gedanken erwärmt hatte, eine Wohnung zu kaufen, mich bis über beide Ohren zu verschulden und in dieser Stadt Wurzeln zu schlagen.
Ich war nicht in der Stimmung, stundenlang nach einem Parkplatz zu suchen. Dann mußte ich eben Geld dafür ausgeben. Ich stellte das Auto auf einem Parkplatz direkt neben meinem Lieblingscafé in Kuledibi ab. Ich würde zu Fuß die verschiedenen Adressen aufsuchen. Die ersten beiden Gebäude fand ich schon vom Äußeren her sehr enttäuschend. Dabei war das erste noch besser als das zweite. Es war ein einzelnstehendes Haus mit schmaler Vorderfront, und, wie mir schien, einem Garten an der Rückseite. Es [30]war ein richtiges Haus, keine Wohnung. Darinnen wohnte eine Familie mit so vielen Kindern, daß ein Teil von ihnen auf die Straße überschwappte. Das hieß, wenn ich dieses Haus kaufte, würde ich dafür sorgen müssen, diese Leute vor die Tür zu setzen.
Die dritte Adresse lag direkt dahinter, in der Papağan-Straße, einer der Straßen, die auf den Kule-Platz führen. Dutzende Male war ich daran vorbeigegangen. Nicht nur an der Straße, sondern auch an dem Gebäude. Jedesmal hatte mich dieses Gebäude begeistert, jedesmal hatte ich mich daran nicht satt sehen können. Wie hatte ich nur übersehen können, daß eine von Arslans Adressen zu diesem Haus gehörte? Vor dem Haus angelangt, hatte ich das Bedürfnis, laut zu schluchzen.
Das Leben ist voller Überraschungen!
Als ich zehn Minuten später wieder vor dem Gebäude stand, hatte ich zwar meine (eigene!) zukünftige Wohnung nicht besichtigen können, weil man mir nicht aufgemacht hatte, wohl aber die gleiche Wohnung im Stockwerk darunter. Ich hatte dem Mann, der die Tür geöffnet hatte, in glaubwürdigem Ton eine haarsträubende Geschichte erzählt – ich wolle hier in der Umgebung eine Wohnung kaufen, ob er vielleicht von einer freien Wohnung hier im Haus wisse?
Der Mann hatte mongolische Gesichtszüge und war offenbar ein Tatar. Er fand mein dummes Gerede wohl weniger albern als ich, jedenfalls antwortete er mit ernster Miene: »Sie sind leider zu spät dran, meine Dame. Diese Wohnung ist vor einem Monat verkauft worden.«
»Sie machen wohl Witze?« fragte ich.
[31]»Wieso sollte ich Witze machen, meine Dame. Diese Wohnung stand zum Verkauf. Für 32.000Dollar ist sie weggegangen. Die neuen Eigentümer haben mir drei Monate Zeit gelassen, meine Werkstatt hier zu räumen. Ich weiß nicht, wofür sie die Räumlichkeiten nutzen werden. Ich glaube, zum Wohnen. In letzter Zeit interessieren sich ziemlich viele Leute für dieses Viertel, aber das wissen Sie vermutlich selbst, nachdem Sie hier auch etwas suchen.«
»Dürfte ich mich mal umsehen?« fragte ich. »Ich würde mir gerne eine Vorstellung von den Preisen machen.«
Der Mann öffnete die Tür sperrangelweit. Noch bevor ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, sagte er, irgendwie komme ihm mein Gesicht bekannt vor.
»Wir sind gewissermaßen Nachbarn. Der Buchladen in der Lokumstraße gehört mir«, sagte ich.
»Wo ist noch mal die Lokumstraße?« fragte der Mann. So sind die Türken eben: Sie kennen noch nicht mal die Straßen, die einen Steinwurf von ihnen entfernt liegen. Noch dazu eine Straße mit einem so schönen Namen. Das ist auch der Grund, warum man die Straßen immer durch anliegende Moscheen, Apotheken, Kramläden, Schulen und Krankenhäuser beschreiben muß.
»Es ist die Straße, die zum Österreichischen Gymnasium führt«, sagte ich.
»Ach so«, gab er zurück. »Und da gibt es einen Buchladen? Ist mir noch nie aufgefallen. Komisch. Dabei lese ich eigentlich gerne Bücher. Viel Zeit habe ich natürlich nicht dafür. Arbeit und so. Das kennen Sie ja.«
Das Haus lag in der Straße wie ein schwerer Wagen in einer scharfen Kurve. Von allen Fenstern der Rückfront [32]konnte man den Bosporus sehen. Wie Sie sich sicher denken können, ist so etwas eine Seltenheit. In dem vierstöckigen Gebäude hatte man vom zweiten Stock aus einen wunderbaren Blick. Selbst von der Toilette aus hatte man einen wunderbaren Blick: In gerader Linie lag hinter dem Bosporus der Sarayburnu-Hügel mit dem Topkapı-Palast. Wenn man den Kopf nach rechts wendete und den Hals ein bißchen reckte, konnte man jenseits des Bosporus das blaßgelbe Gebäude des historischen Sirkeci-Bahnhofs erkennen, früher einmal die Endstation des Orient-Express, sowie die Spitzen der Minarette, die aus der byzantinischen Kirche Hagya Sofia eine Moschee machen. Ferner waren im Bild: eine Autofähre, die am Ufer angelegt hatte, eine Personenfähre, die sich eilig der Anlegestelle Karaköy näherte, ein rabenschwarzes Tankschiff und dazwischen wie winzige Punkte die Fischerboote. Linker Hand konnte man in der Ferne die Bosporusbrücke sehen und darauf das Ameisengewimmel der Autos… Die ganze Schönheit Istanbuls lag hier vor mir.
Der Blick aus der Wohnung, die bald zum Verkauf stehen würde, war wahrscheinlich noch schöner, da sie höher lag. Es waren Wohnungen mit 220Quadratmetern. Ja, wirklich: Ganze 220Quadratmeter. Sechs Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Ohne Bad natürlich, schließlich war das Haus mindestens 150
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Sobald ich wieder im Laden war, rief ich Arslan an. Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, die Angelegenheit sei so gut wie geregelt. Er würde weitere Informationen einziehen, den Anwalt seiner Behörde konsultieren und mich in kürzester Zeit zurückrufen.
»Die eigentliche Wohnung habe ich mir nicht anschauen können, weil mir niemand aufgemacht hat«, sagte ich. »Könnten Sie das nicht für mich arrangieren?«
»Haben Sie ein bißchen Geduld«, sagte er. »Nur nichts übereilen. Gut Ding will Weile haben.«
Ich bin aber kein geduldiger Mensch. War ich noch nie. Ich wollte meine neue Wohnung gleich sehen, und wenn nicht gleich, dann allerspätestens morgen. Ich war total zappelig. Ich wollte mir die Wohnung ansehen und mir dann schon mal überlegen, was ich wohin stellen würde. Und in welcher Farbe ich die Wände streichen würde. Und welchen Raum ich für ein Badezimmer opfern würde.
In den letzten zwei Jahren hatte ich ausgiebig Gelegenheit gehabt festzustellen, daß es wenig brachte, im Laden zu sitzen und zu beten, daß die unter der Wirtschaftskrise ächzenden Türken doch ihr letztes Kleingeld in Bücher investieren mögen.
Ich stürmte aus dem Laden.
[34]Heute wünschte ich, ich hätte das nicht getan. Ich wünschte, ich hätte diesen schrecklichen Streit mit Selim nicht angefangen und hätte mich nicht in diese Wohnungssuche gestürzt, um darüber den Streit zu vergessen. Ich wünschte, ich wäre ruhig und geduldig gewesen und hätte abgewartet, daß Arslan mich anrief.
Aber es hat nicht sein sollen.
Das Unheil hat sich nicht angekündigt.
Es kam einfach so, ohne Vorwarnung.
Zuerst ging ich einmal ganz um das Gebäude herum. Meine Güte, was war es beeindruckend! Man bekam Herzklopfen allein schon vom Anblick. Ich schritt die Vorderfront ab, wobei ich mich bemühte, dabei kein Aufsehen zu erregen. Das Haus war offenbar mehr als 39Meter lang. Unglaublich.
Dann ging ich hinein und stieg die Marmortreppe hinauf, um meine künftige Wohnung zu besichtigen. Die Wohnungstür war auch diesmal zu. Wenn eine Wohnung herrenlos ist, muß das natürlich noch lange nicht heißen, daß sie sperrangelweit offensteht. In dieser Hinsicht habe ich ein bißchen Erfahrung. Immerhin haben Sie es bei mir mit einer Frau zu tun, die als Studentin in Berlin in mehreren besetzten Häusern gewohnt hat. Deshalb schien es mir naheliegend zu vermuten, daß auch in dieser Wohnung Besetzer wohnten. Wahrscheinlich eine Familie mit sieben, acht Kindern. Mit größerer Entschlossenheit als beim ersten Mal hämmerte ich gegen die Tür.
Ich legte ein Ohr an die Tür und erwartete, die müden, schleppenden Schritte einer kopftuchtragenden Mutter von [35]sieben Kindern zu hören. Dann machte ich einen Schritt zurück, schlug noch einmal gegen die Tür und sah mich nach einem Klingelknopf um. Hätte ich doch bloß den Mann im Stockwerk drunter vorhin gefragt, wer in dieser Wohnung wohnte! Ich versuchte es noch mal, und zwar gleich mit beiden Fäusten.
»Heh, du Ochse«, schrie jemand von drinnen. »Kannst du’s nicht abwarten?«
Auf einen Schlag öffnete sich die Tür, und ein Mann trat heraus. Wir starrten uns schweigend an. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Warum hatte ich eigentlich an die Tür gepocht? Auch der Mann wußte offensichtlich nicht, was er mit mir anfangen sollte. Er musterte mich von oben bis unten, beginnend mit dem Kragen meiner blauen Bluse, dann reckte er den Hals ein bißchen, um zu sehen, was es unter dem Stoff noch alles gab. Der Mann hatte eine Kartoffelnase und eine sehr dunkle, fast auberginefarbene Haut. Auf seine Art hatte er durchaus Charme.
»Guten Tag«, sagte ich. »Ich habe gehört, hier im Haus sei eine Wohnung zu verkaufen. Ist es vielleicht diese hier?«
»Nein. Diese Wohnung ist es nicht.« Er machte Anstalten, die Türe zu schließen.
»Gehört diese Wohnung Ihnen?«
»Jawohl«, antwortete er, und es hörte sich an wie: Los, hau ab, verschwinde!
Ich legte die Hand auf die Tür, um ihn aufzuhalten.
»Darf ich mal reinschauen?«
Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, um mir klarzumachen, daß ich wohl nicht ganz dicht war.
»Ich habe dir doch schon gesagt, daß die Wohnung nicht [36]zu verkaufen ist. Wieso willst du sie dir denn dann ansehen?«
Wenn ich mich von solchen Typen einschüchtern ließe, würde ich jetzt zu Hause sitzen und Tagesdecken häkeln.
»Osman! Ich habe es eilig!« rief eine Männerstimme von drinnen.
»Ich komme«, antwortete Osman mit samtweicher Stimme. So samtweich, wie die Stimme eines Ochsen eben sein kann. Er bewegte die Tür auf meine Nase zu.
Ich mache kein Bodybuilding und gehöre auch nicht zu den Leuten, die 20Ziegelsteine mit einem Handkantenschlag zertrümmern. Das heißt, ich konnte ihn nicht daran hindern, die Tür zu schließen. Meine einzige Chance bestand darin, auf die Schwelle zu treten und meinen Körper zwischen Tür und Türrahmen zu bugsieren. Das tat ich.
»Was ist hier eigentlich los?« Von der Sanftheit, die eben in seiner Stimme gelegen hatte, war nichts mehr zu merken. »Was willst du überhaupt?«
Er war sauer geworden. Ich auch. Ich hatte sowieso Lust, mich mit jemandem zu prügeln.
»Warte mal, he, dich kenne ich doch.«
Ich sagte nichts. Ich war dabei zu überlegen, was ich tun sollte. Ich wußte selber, daß ich mich völlig danebenbenahm.
»Ich will diese Wohnung besichtigen«, sagte ich. Für meinen Nervenzustand hörte sich meine Stimme ziemlich fest an.
»Suchst du Ärger, du blöde Tussi?«
Er zog mich am Arm und versuchte mich hinauszuwerfen.
[37]Der Kerl, der drinnen wartete, hatte sich bislang nicht bemüht, nachzusehen, was los war.
»Ich möchte mir mal diese Wohnung ansehen«, wiederholte ich.
»Ich habe gesagt, sie ist nicht zu verkaufen.« Mit seinem Zeigefinger stieß er gegen sein Ohr. »Bist du taub?«
»Nein«, sagte ich. »Woher willst du gottverdammter Ochse eigentlich wissen, ob die zu verkaufen ist?«
»Was hast du da gesagt?«
»Ochse habe ich gesagt. Gottverdammter Ochse.«
Der Kerl fuhr mir an die Kehle und fing an, mir die Gurgel zuzudrücken. Nicht so richtig ernsthaft. Das heißt, er wollte mich nicht umbringen. Doch sowie er meine Gurgel losgelassen hatte, fing ich trotzdem an, lauthals zu schreien.
»Polizei!!! Polizei!! Hilfe!!!«
Wir müssen ziemlich komisch ausgesehen haben, denn gleichzeitig hob der Mann beide Hände an den Kopf und brüllte: »Ruhe! Ruhe!«
Trotz allem Gebrüll und Durcheinander hatte der Mann drinnen noch immer nicht nachgesehen, was da los war. Selbst während ich aus Leibeskräften brüllte, kam mir dieser Umstand seltsam vor.
Als ich später darüber nachdachte, fand ich es noch seltsamer.
Der Mann von unten, der wie ein Tatar aussah, kam mir zu Hilfe. Auch die rumänischen Arbeiter, die im obersten Stockwerk zugange waren, kamen heruntergerannt, aber es war der Tatar, der mich rettete. Er bat mich in seine