Basisbildung aktuell. Verbindlichkeiten, Abgrenzungen, Gemeinsamkeiten -  - E-Book

Basisbildung aktuell. Verbindlichkeiten, Abgrenzungen, Gemeinsamkeiten E-Book

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Beschreibung

Was ist Basisbildung? Eine Ein- und Abgrenzung von Basisbildung wäre sowohl für die berufliche Identität der Lehrenden als auch für die Wahrung der Qualität der Angebote wichtig. Andererseits stehen in der Basisbildung die individuellen Lernbedürfnisse der TeilnehmerInnen im Vordergrund, denen eine enge und starre Definition von Basisbildung nicht Rechnung tragen kann. Die vorliegende Ausgabe des "Magazin erwachsenenbildung.at" versammelt vor diesem Spannungsbogen aktuelle Positionen zu Basisbildung. Die einzelnen Beiträge leisten eine kritische Diskussion unterschiedlicher Konzepte von Basisbildung und der Bilder über die Lernenden, die diesen Konzepten zugrunde liegen. Sie setzen sich auch mit den BasisbildnerInnen auseinander - wie sie mit eigenen Werten umgehen und mit ihren oftmals prekären Arbeitsbedingungen. Und sie ziehen ein Zwischenresümee über das seit 2012 bestehende Förderprogramm für Basisbildung, die "Initiative Erwachsenenbildung" (IEB). Anschauliche Beiträge aus der Praxis von BasisbildnerInnen zeigen auf, wie Basisbildungskurse konkret gestaltet werden können und wie - entgegen dem vorherrschenden Deutsch-Lern-Imperativ -Mehrsprachigkeit als Ressource in der Basisbildung nutzbar gemacht werden kann.

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Da alle Artikel sowohl einzeln als auch in der Gesamtausgabe erhältlich sind, wurde jeder Beitrag mit laufender Nummer (01, 02 ...) versehen. Die Seitennummerierung beginnt jeweils bei 1.

Englischsprachige bzw. bei englischsprachigen Artikeln deutschsprachige Abstracts finden sich im Anschluss an die Artikel (ausgenommen die Rezension).

Inhaltsverzeichnis

Aus der Redaktion

01

Editorial

Julia Schindler und Sonja Muckenhuber

Thema

02

Alphabetisierung als Teil von Basisbildung. Basisbildung ist mehr als eine Anpassungsleistung

Angelika Hrubesch

03

Wer unterrichtet hier eigentlich? Zum Umgang von Basisbildner_innen mit eigenen und auferlegten „Werten“

Lisbeth Kovačič

04

Mehrsprachigkeit in der Basisbildung. Prinzipien, Anregungen, Perspektiven

Verena Hofstätter

05

Basisbildung als Beruf: Perspektiven einer Paradoxie

Birgit Aschemann

06

Auf der Suche nach den „Analphabeten”. ... und wenn wir keine finden, dann machen wir uns welche!

Thomas Fritz

07

Sechs Jahre Basisbildung im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung. Wirksamkeit und Gelingensfaktoren

Franz Jenewein

08

Gemeinsam zum Lernen forschen – ein Brückenschlag der Perspektiven

Alfred Berndl, Irene Cennamo, Monika Kastner, Astrid Klopf-Kellerer, Ricarda Motschilnig, Gloria Sagmeister

09

Finanzen, Politik und Gesundheit als notwendige Inhalte der Grund-/Basisbildung. Stand, Bedarfe und Herausforderungen

Ewelina Mania, Monika Tröster

Praxis

10

Mehrsprachigkeit im Basisbildungsunterricht mit MigrantInnen – eine Ressource und keine Komplikation!

Martin Wurzenrainer, Thomas Laimer

11

Keine zwei gleichen Kurse und doch alles Basisbildung. Ein Plädoyer für eine offene, inhomogene und vielfältige Basisbildungslandschaft am Beispiel der ISOP-Basisbildungspraxis

Christine Weiss, Barbara Andree, Alfred Berndl, Melanie Wiedner

12

Basisbildung als Herausforderung. Begriffliche Abgrenzung und methodische Gestaltung der Basisbildungspraxis bei „Frauen aus allen Ländern“

Kathrin Fleckl, Verena Sperk

Rezension

13

Handbuch zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Cordula Löffler und Jens Korfkamp (Hrsg.)

Angelika Atzinger

Aus der Redaktion

01 Editorial

Julia Schindler und Sonja Muckenhuber

Schindler, Julia/Muckenhuber, Sonja (2018): Editorial.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs.

Ausgabe 33, 2018. Wien.

Online im Internet: https://erwachsenenbildung.at/magazin/18-33/meb18-33.pdf.

Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Basisbildung, Grundbildung, Abgrenzung, Eingrenzung, Vielfalt, Dialog, Diskurs

Kurzzusammenfassung

Was ist Basisbildung? Sollen wir das überhaupt wissen wollen? Und wem würde eine endgültige Definition von Basisbildung nutzen? Eine Ein- und Abgrenzung von Basisbildung wäre sowohl für die berufliche Identität der Lehrenden als auch für die Wahrung der Qualität der Angebote wichtig. Andererseits stehen in der Basisbildung die individuellen Lernbedürfnisse der TeilnehmerInnen im Vordergrund, denen eine enge und starre Definition von Basisbildung nicht Rechnung tragen kann. Die vorliegende Ausgabe des „Magazin erwachsenenbildung.at“ versammelt vor diesem Spannungsbogen aktuelle Positionen zu Basisbildung. Die einzelnen Beiträge leisten eine kritische Diskussion unterschiedlicher Konzepte von Basisbildung und der Bilder über die Lernenden, die diesen Konzepten zugrunde liegen. Sie setzen sich auch mit den BasisbildnerInnen auseinander – wie sie mit eigenen Werten umgehen und mit ihren oftmals prekären Arbeitsbedingungen. Und sie ziehen ein Zwischenresümee über das seit 2012 bestehende Förderprogramm für Basisbildung, die „Initiative Erwachsenenbildung“ (IEB). Anschauliche Beiträge aus der Praxis von BasisbildnerInnen zeigen auf, wie Basisbildungskurse konkret gestaltet werden können und wie – entgegen dem vorherrschenden Deutsch-Lern-Imperativ – Mehrsprachigkeit als Ressource in der Basisbildung nutzbar gemacht werden kann. (Red.)

Editorial

Julia Schindler und Sonja Muckenhuber

„Früher war der Schmied des Dorfes X ja nicht einfach irgendein Typ. Er war der Schmied des Dorfes X! Das war seine Identität. Wenn er gefragt wurde, wer er sei, konnte er antworten: ‚ich bin der Schmied des Dorfes X!‘“

Marc-Uwe Kling, QualityLand (2017)

„Was ist Basisbildung?“, fragten wir im Call for Papers zur Ausgabe 33 des Magazin erwachsenenbildung.at (Meb). Aber auch: „Sollen wir das wirklich wissen wollen und wem würde eine endgültige Definition von Basisbildung nutzen?“ Viele der vorliegenden Beiträge kreisen um diese Fragen – und zeichnen in dieser Ausgabe ein facettenreiches Bild von dem, was Basisbildung sein kann.

Vom Tunnelblick einer „ordentlichen“ Ein- und Abgrenzung…

Auf den ersten Blick sieht eine „ordentliche“ Ein- und Abgrenzung von Basisbildung ja wirklich vielversprechend aus: „Wider die inflationäre Verwendung des Begriffs!“ „Für Qualitätswahrung und Professionalisierung!“ – „Sonst kann sich heutzutage ja jeder Kurs den Titel ‚Basisbildung‘ umhängen…. gäbe es doch eine Kriterienliste, anhand derer sich ableiten ließe: Ja, das ist Basisbildung und das sicher nicht!“

Aber gibt es nicht schon ausreichend Abgrenzung? Reicht es möglicherweise, sich darauf zu berufen, dass Basisbildung alles umfasst, was sich Erwachsene an Kompetenzen erwerben wollen und was sie in außerhalb der Basisbildung bestehenden Bildungsangeboten nicht können, weil in diesen Wissen und Fähigkeiten vorausgesetzt werden, die sie nicht haben? Natürlich, das ist kein Kriteriensatz und keine Checkliste, sondern eine Grundhaltung, die wiederum einem der Basisbildung inhärenten Mechanismus geschuldet ist: der Lerner_innenzentriertheit. Denn: Die individuellen Lernbedürfnisse und die jeweiligen Kontexte und Rahmenbedingungen, in denen Adressat_innen von Basisbildungsangeboten stehen, sind sehr divers – eine knappe und konkrete Beschreibung von Basisbildung kann dem nicht gerecht werden. Zudem: Auch eine über Lerninhalte definierte Auffassung von Basisbildung hat durchaus Klärungspotential. Sie greift nämlich zu kurz – schließt sie doch weltanschauliche oder ethische Aspekte nicht mit ein, also alle Bereiche, die nach dem „warum?“ und „wozu?“ von Basisbildungsangeboten fragen, aber auch nach dem „auf welche Art und Weise?“ und „mit welcher inneren Haltung?“. Dass hierzu sehr verschiedene Ansichten unter jenen zu finden sind, die sich zu Basisbildung äußern, wurde während der Arbeit an dieser Ausgabe sehr evident.

Hin zu einem Kaleidoskop an Verschiedenheiten und Unklarheiten…

Diese Verschiedenheiten und damit verbundenen Unklarheiten aushalten zu müssen, ist möglicherweise der Preis, den der Facettenreichtum von Basisbildung fordert. Nicht wenige Akteur_innen der Basisbildung bewegen sich in diesem Spannungsfeld aus Bekenntnis zur Vielfältigkeit der Basisbildung und dem Wunsch, der allgemeinen Verwirrung, die dieser Begriff zu stiften vermag, zu entkommen. Klarheit und Eindeutigkeit fordern regelmäßig mit durchaus unterschiedlicher Eindringlichkeit und Überzeugung nicht nur Anbieter_innen, die durch unmissverständliche Informationen über ihre Kurse die Adressat_innen möglichst zielgerichtet informieren wollen, sondern vor allem auch Basisbildner_innen selbst.

Manche beklagen, „Basisbildner_in“ sei nicht ausreichend fassbar, schaffe kein Berufsbild, keine Gruppenidentität. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass auch Basisbildner_innen leibliche und leidenschaftliche Wesen sind, sind solche sozialen Mechanismen durchaus relevante Faktoren. Schließlich wollen Menschen auf die Frage: „Und, was machst du?” auch ohne langen Erklärtext antworten können: „Ich bin Basisbildner_in”. So fehlt es also den Akteur_innen der Basisbildung oft an Möglichkeiten, ihre Arbeit zu kommunizieren – und das nicht nur Außenstehenden, sondern in gleichem Maße auch den Adressat_innen von Basisbildungsangeboten oder anderen systeminternen Gegenübern wie Vernetzungspartner_innen, öffentlichen Institutionen oder Fördergeber_innen (Geldgeber_innen). Wenn sogar Expert_innen im Feld diese Klarheit vermissen, wie wenig selbsterklärend muss für die Adressat_innen der Basisbildungsangebote der Begriff sein? Kann das gewünschte Bild des Angebotes kommuniziert werden?

Für mehr Weitblick auf und für die Adressat_innen…

Wie können Menschen über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Basisbildung informiert werden, die erst durch diese Information auf die Idee kommen könnten, ein bestimmtes Angebot in Anspruch zu nehmen? Braucht es wirklich ein Mehr an „ordentlicher“ Ein- und Abrenzung eines Begriffs oder einfach nur einer kompetenteren Kommunikation? Hier ist besondere Sensibilität gefragt. Möglicherweise ist es nötig, auf Anbieterebene detailliert Angebote zu beschreiben und gleichzeitig klar zu machen, dass das beschriebene Angebot nur ein Aspekt von Basisbildung ist. Der Begriff „Basisbildung“ eignet sich unseres Erachtens für den theoretischen Diskurs, für eine Kommunikation auf der Metaebene, während die Information über konkrete Angebote eine sehr viel spezifischere sein muss.

Damit der Dialog über unterschiedliche Ideen von Basisbildung gelingen kann…

Dass es so viele Interpretationen des Basisbildungsbegriffs gibt, weil jede/r etwas anderes meinen darf, wenn über Basisbildung gesprochen wird, ist einerseits inspirierend, erschwert aber gleichzeitig gegenseitiges Verstehen. Nicht nur aber auch deshalb braucht es eine ständige Reflexion der eigenen Bildungspraxis. Und vor allem: Offenheit! Alle Akteurinnen und Akteure sind gefordert, ihre eigene Bildungspraxis laufend zu reflektieren, und zwar persönlich, systematisch und gemeinsam mit anderen.

In Österreich ist es das weite Dach der „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“, die Grundlage aller durch die Initiative Erwachsenenbildung (IEB) geförderten Angebote sind und die das Potential haben, die Basisbildung auf einer gemeinsamen Basis zu sammeln. Die in den Prinzipien und Richtlinien enthaltenen Beschreibungen, wie Basisbildung sein soll, und die Anregungen zur Gestaltung von Basisbildungsangeboten geben Orientierung beim Erstellen der Angebotskonzepte. Aber: Ist eine derartige Beschreibung dafür geeignet, ein gleichwertiger Ersatz für eine eindeutige Definition zu sein? Oder: Steht diese Beschreibung einer eindeutigen Definition sogar entgegen?

Raus aus der Bubble!

Zielführender, als vorderhand eine verbindliche Definition oder einen Kriterienkatalog anzustreben, scheint es derzeit, einen Dialog über unterschiedliche Ideen von Basisbildung zu führen. Denn: Wie in so vielen kontemporären Diskursen auch verbleibt jede Denkschule sich immer selbst bestätigend in ihrer Echokammer, echte Diskussionen von Vertreter_innen abweichender Meinungen passieren selten. Wir wissen: Nur im – manchmal mühsamen – Abgleich mit Andersdenkenden kann wirkliche Weiterentwicklung einer Idee stattfinden. Deshalb sollte es für die Basisbildung(en) heißen: Raus aus der Bubble! Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung außerhalb der Komfortzone auf Augenhöhe könnte im Idealfall eine Einigung auf Gemeinsamkeiten, eine Annäherung unterschiedlicher Interpretationen und Wertigkeiten von zentralen Prinzipien wie Freiwilligkeit, Ressourcenorientierung, Wissenskritik und Teilnehmer_innenorientierung sein. Oder es wird sichtbar, dass die Vorstellungen von Basisbildung so unterschiedlich sind, dass sie auch unterschiedlich benannt werden müssen. In jedem Fall würde ein solcher Austausch der Sache – dem Bildungsgedanken – dienen.

Zu den einzelnen Beiträgen

In der vorliegenden Ausgabe öffnen die Autorinnen und Autoren ihre Echokammern und beschreiben aus ihrer jeweiligen Perspektive Entwicklungen, Vorstellungen und aktuelle Diskurse, sowohl auf theoretischer Ebene in Rückblicken, Bestandsaufnahmen und kritischer Hinterfragung als auch mit konkreten Beispielen aus der Praxis. Mit dem Nebeneinander der unterschiedlichen Stimmen wollen wir den geforderten Diskurs eröffnen.

Angelika Hrubesch wurde vom Fachbeirat des Meb eingeladen, ein kurzes Schlaglicht auf den Begriff „Basisbildung“ respektive „Alphabetisierung“ im Rahmen jüngster staatlicher Integrationsgesetzgebungen in Deutschland und Österreich zu werfen und die Bestrebungen der Reduzierung des sog. „funktionalen Analphabetismus“ im Kontext der nationalen Dekade für Alphabetisierung in Deutschland mit den österreichischen „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“ zu kontrastieren. Fazit der Autorin: Statt mit „Alphabetisierungsarbeit“ scheinbare „Defizite auszugleichen“, sollte Basisbildung als permanente gesellschaftspolitische Entwicklungsaufgabe gesehen werden.

Ist Basisbildung nur (mehr) eine Voraussetzung für Employability oder doch mehr? Welches Menschenbild verbirgt sich hinter begrifflichen Konstruktionen wie dem sog. „funktionalen Analphabetismus“? Ist Bildungsverweigerung zu einem kriminellen Delikt geworden oder essenziell? – Diesen und weiteren Fragen widmet sich Thomas Fritz in seinem kritischen Beitrag und stellt ein Modell der Basisbildung vor, das sich der gegenwärtigen Ökonomisierung und Funktionalisierung von Basisbildung entzieht: Critical Literacy. Versöhnlicher Ausblick des Autors: Wir sind in der österreichischen Basisbildung in der Lage, uns nicht an vorgegebenen Kompetenzniveaus, sondern an realen Menschen und ihren Wünschen und Notwendigkeiten orientieren zu können.

Ewelina Mania und Monika Tröster tasten in ihrem Überblicksbeitrag die aktuelle Basisbildungslandschaft in Deutschland mit Bezugnahme auf Österreich hinsichtlich der dominanten Inhalte ihrer konkreten Angebote ab und zeigen die Relevanz dreier weiterer Inhaltsbereiche auf: Finanzen, Politik und Gesundheit. Hierführ führen sie bereits vorhandene didaktische Konzepte, einzelne Projekte und Angebote zusammen, klären Begrifflichkeiten und liefern einen umfassenden Überblick über relevante Literatur. Abschließend plädieren sie für die Weiterentwicklung der Inhaltsbereiche der Grundbildung/Basisbildung.

Bezugnehmend auf die für drittstaatsangehörende Migrant_innen und Flüchtlinge verpflichtende „Werte-Prüfung“ fragt Lisbeth Kovačič in ihrem Beitrag, wie Basisbildner_innen, die mit jungen Geflüchteten arbeiten, mit ihren eigenen Werten umgehen respektive mit der gesellschaftlichen Erwartung an die Lernenden, sich den Wertvorstellungen und Normen einer „konstruierten Aufnahmegesellschaft“ anzupassen. Hierfür setzt sich Kovačič nicht nur kritisch mit den inhaltlichen Fassungen von „Werten“ und „Normen“ auseinander, sondern auch mit den Lehrmaterialien als Instrumente der Normen-Indoktrination und lässt zwei Basisbildner_innen zu Wort kommen.

Birgit Aschemann spricht in ihrem Beitrag über das, was zumeist ausgeblendet bzw. wenn dann nur „hinter vorgehaltener Hand“ diskutiert wird: die oft prekären Arbeitsbedingungen von Basisbildner_innen. Die von ihr aufgezeigten Missverhältnisse ließen sich in einem ersten Schritt u.a. mit der Gründung einer Fachvertretung lösen: Denn Aktivwerden, Mitbestimmen und Verhandeln, das über appellative Forderungskataloge hinausgeht, können nur gelingen, wenn sich eine große Zahl an BasisbildnerInnen organisiert.

Während Deutsch zum sozialen Ausschlusskriterium instrumentalisiert wird, von dessen Beherrschung der Zugang zu Arbeit, Bildung oder gar die Chance auf ein Leben in Österreich abhängt, wird im wissenschaftlichen Diskurs der positive Einfluss von Mehrsprachigkeit auf den Lernprozess immer stärker betont. Verena Hofstätter fragt in ihrem Beitrag, welche Bedeutung der Mehrsprachigkeit in der österreichischen Basisbildung tatsächlich zukommt und geht hierfür auf eine Spurensuche in den “Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote”. Hofstätter stellt die „Mehrsprachigkeitsbildung“ vor, deren leitende Prämisse das Wissen um die Macht von Sprache und Mehrsprachigkeit ist, mit dem Ziel, den Lernenden Wege zu ermöglichen, in ihre eigene Sprachlichkeit – und damit ihre individuelle sprachliche Handlungsmacht – zu investieren.

Wie aber kann der Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Basisbildungsunterricht als Ressource konkret erfolgen? Welche Ziele können dabei verfolgt und wie können dadurch neue Ressourcen geschaffen werden? Antwort auf diese Fragen geben auf Einladung des Fachbeirates Martin Wurzenrainer und Thomas Laimer. Sie berichten exemplarisch von konkreten Unterrichtsaktivitäten im Rahmen der Entwicklungspartnerschaft MEVIEL (mehrsprachig – vielfältig). Ihr Fazit: Es bleibt ein Auftrag der Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft, sich der Herausforderung migrationsbedingter sprachlicher Heterogenität in Bildungs- und Beratungsprozessen anzunehmen und den Einbezug der Mehrsprachigkeit in den Unterricht zu forcieren.

Christine Weiss, Barbara Andree, Alfred Berndl und Melanie Wiedner plädieren in ihrem Praxisbeitrag wider einem zu eng gesetzten Begriff von Basisbildung für Vielfalt in der Basisbildungslandschaft, für soziales Lernen, für offene Lernformate und inhomogene Teilnehmendengruppen. Sie geben hierfür einen tiefen Einblick in die konkrete Basisbildungspraxis von ISOP – Innovative Sozialprojekte GmbH und zeigen ganz praktisch, wie eine alltagsorientierte Basisbildungsarbeit mit und für eine inhomogene Teilnehmendengruppe ausssehen kann, ohne zu verschweigen, welchen Herausforderungen und Grenzen sich den Trainer_innen und Teilnehmer_innen stellen. Abschließend bringen sie eine wichtige aktuelle Entwicklung auf den Punkt: Wie lange wird es in Österreich noch Basisbildung mit freiem Zugang, unbestimmter Kursdauer, Alltagsverwertbarkeit, kleiner Gruppengröße, vielfältigen, inhomogenen Gruppen geben? Kann und will sich unsere Gesellschaft dieses Nischenangebot weiterhin leisten?

Ebenfalls aus der Praxis beschreiben Kathrin Fleckl und Verena Sperk die methodische Gestaltung und die damit verbundenen Herausforderungen der Basisbildungspraxis bei „Frauen aus allen Ländern“ (FAAL), einer Bildungs- und Beratungseinrichtung für Frauen und Mädchen mit Migrationsgeschichte und/oder Fluchterfahrung in Innsbruck. Damit Basisbildung in der breiten Öffentlichkeit mehr Anerkennung findet, gilt es ihnen zufolge, sich von starren Definitionen von Basisbildung zu verabschieden und braucht es für fachfremde Personen mehr Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit sowie Schulungsangebote u.a. für Sozialpädagog_innen zu den Inhalten und den Lerner_innen von Basisbildungskursen. Geschieht das nicht, sind die Teilnehmer_innen immer wieder mit Missverständnissen und falschen (Selbst-)Erwartungen konfrontiert.

Franz Jenewein trägt nach einem Blick auf die Anbieter und Angebote der Initiative Erwachsenenbildung (IEB), aussagekräftige Zahlen aus dem österreichweiten Monitoring der ersten beiden Programmperioden der IEB zusammen, die ihren Erfolg belegen helfen. Er beschreibt, wie die Bildungsangebote im Rahmen der IEB aussehen und wie das politische Bekenntnis zur IEB gewachsen ist, nicht ohne immer wieder mit dem Blick nach vorne künftige Herausforderungen und Aufgaben zu benennen. Abschließend formuliert er Gelingensbedingungen für Basisbildungsangebote und bekräftigt, dass die Bildungsangebote im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung in ihrer Einzigartigkeit nicht nur ein Erfolgsmodell und eine bildungspolitische Notwendigkeit sind, sondern eine menschliche Verpflichtung.

Alfred Berndl, Irene Cennamo, Monika Kastner, Astrid Klopf-Kellerer, Ricarda Motschilnig und Gloria Sagmeister erprobten gemeinsam mit (ehemaligen) Basisbildungskursteilnehmer_innen und weiteren Projektbetreiber_innen im Bereich Basisbildung einen partizipativen Forschungszugang, um über das Lernen in der Basisbildung auf Augenhöhe sprechen zu lernen. Die verschiedenen Perspektiven der beteiligten Forscher_innen, ihre Erfahrungen und so manches Aha-Erlebnis werden im vorliegenden Beitrag „vielstimmig” und eindrücklich beschrieben. Den theoretischen Hintergrund bildet die „Transformative Learning Theory“ nach Jack Mezirow. Fazit der Autor_innen: Die Stimmen der Lernenden, der Bildungsteilnehmenden, aber auch die Stimmen der Nicht-/Noch-nicht-/Nie-Teilnehmenden würden das Bild der sozialen Wirklichkeit und gerade die Definition von Basisbildung vermutlich erweitern, korrigieren und letztlich verändern.

Den Schlusspunkt der Ausgabe bildet Angelika Atzingers Rezension des 2016 erschienenen umfangreichen Sammelbandes „Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“.

Aus der Redaktion

Die auf diese Magazinausgabe folgende Ausgabe 34, die im Juni 2018 erscheint, setzt sich mit Bildungszugängen und Bildungsaufstiegen in Österreich auseinander. Was ermöglicht oder behindert den Zugang zu Bildung? Was bedeutet und beeinflusst Aufstieg durchBildung?

Ausgabe 35 fragt nach den Lern- und Bildungsräumen in der Erwachsenenbildung. Wie gestaltet sich das Spannungsfeld zwischen der räumlichen, zeitlichen und örtlichen Entgrenzung des Lernens und dem gleichzeitigen Bedarf einer Verortung von Bildung, um „wirken“ zu können? Welche örtlichen und räumlichen Dimensionen eröffnen sich für Lern- und Bildungsräume? Beiträge können noch bis 1. Juni 2018 eingereicht werden, die Ausgabe erscheint im Oktober 2018.

Den Call zur Ausgabe sowie weitere Informationen dazu finden Sie unter:https://erwachsenenbildung.at/magazin/calls.php.

Mag.a Julia Schindler

[email protected]

http://www.frauenausallenlaendern.org

+43 (0)512 564778

Julia Schindler ist seit ihrem Studienabschluss in Angewandter Linguistik (Innsbruck und Jyväskylä) bei „Frauen aus allen Ländern” tätig: Anfangs als Trainerin, seit 2010 auch als Leiterin des Bildungsbereichs. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit dem Themenkomplex Bildung in der Migrationsgesellschaft und mit den Möglichkeiten, die sich durch IKT in der Basisbildung eröffnen. Weiters ist sie als Vortragende in der Aus- und Weiterbildung für BasisbildnerInnen (IKT) sowie als Lehrende an der Universität Innsbruck (DaZ) tätig. Im Zweitberuf ist sie Informatikerin und wird – laut eigener Aussage – auch ihr Informatikstudium irgendwann abschließen.

Mag.a Sonja Muckenhuber

Sonja Muckenhuber studierte an der Johannes Kepler Universität Linz. Sie ist zertifizierte Basisbildnerin, Leiterin der österreichweit agierenden zentralen Beratungsstelle für Basisbildung sowie Gründerin und Leiterin von B!LL – Institut für Bildungsentwicklung Linz. Darüber hinaus ist sie Referentin in Aus- und Weiterbildungen für BasisbildnerInnen und für TrainerInnen im Pflichtschulabschluss für Erwachsene, gehört zum Lehrgangsteam „Basisbildung und Alphabetisierung“ am bifeb und ist Mitglied der Fachgruppe Basisbildung. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Entwicklung von Angeboten zur Kompetenzfeststellung, von Validierungsformen im erwachsenengerechten Pflichtschulabschluss (ePSA) sowie die Entwicklung und Umsetzung von Professionalisierungsangeboten im Bereich Basisbildung und Pflichtschulabschluss für Erwachsene. 2015 wurde sie mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung – Kategorie ErwachsenenbildnerIn 2015 – ausgezeichnet.

Editorial

Abstract

What is basic education? Should we be interested in this at all? And who would benefit from a conclusive definition of basic education? A limitation and delineation of basic education would be important for the professional identity of trainers as well as for the preservation of the quality of course offerings. On the other hand, the individual learning needs of the participants are the focus of basic education; they are not reflected in a narrow and fixed definition of basic education. Agaist this backdrop, this issue of The Austrian Open Access Journal on Adult Education (Magazin erwachsenenbildung.at) gathers together current positions on basic education. The individual articles provide a critical discussion of different basic education concepts and the image of learners upon which they are based. They also discuss basic education instructors – how they deal with their own values and with their often precarious working conditions. In addition, they come to a provisional conclusion about the Adult Education Initiative (Initiative Erwachsenenbildung – IEB in German), a funding programme for basic education that started in 2012. Articles illustrating the practice of basic education instructors demonstrate how basic education courses can be specifically structured and how plurilingualism can be expoited as a resource in basic education. (Ed.)

Thema

02 Alphabetisierung als Teil von Basisbildung

Basisbildung ist mehr als eine Anpassungsleistung

Angelika Hrubesch

Hrubesch, Angelika (2018): Alphabetisierung als Teil von Basisbildung. Basisbildung ist mehr als eine Anpassungsleistung.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 33, 2018. Wien.

Online im Internet: https://erwachsenenbildung.at/magazin/18-33/meb18-33.pdf. Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Alphabetisierung, Basisbildung, Integrationsvereinbarung, Buchstabenlernen, Handlungsorientierung, Teilhabe

Kurzzusammenfassung

Die Autorin des vorliegenden Beitrags plädiert im Sinne der österreichischen „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“ dafür, statt mit einer Alphabetisierungsarbeit „Defizite auszugleichen“, Basisbildung wieder als permanente gesellschaftspolitische Entwicklungsaufgabe zu sehen. Anstelle eines autoritären Verständnisses von Alphabetisierung im Sinne von Lesen, Schreiben oder Rechnen können (müssen), fokussiert sie auf soziale, demokratische, teilhabende, selbstkritische und kritisch-handlungsorientierte Dimensionen des Lernens. Defizitorientiert sind, wie die Autorin ausführt, jene Bestrebungen, in denen es darum geht, den „funktionalen Analphabetismus“ zu verringern, um in der Gesellschaft „funktionieren“ zu können wie auch das österreichische Integrationsgesetz, in dem es ausschließlich darum geht, die deutsche Sprache (und Werte) zu erlernen. Der Begriff der „Alphabetisierung“ wird dabei rein „mechanisch“, im Sinne des Buchstabenlernens verwendet. (Red.)

Alphabetisierung als Teil von Basisbildung

Basisbildung ist mehr als eine Anpassungsleistung

Angelika Hrubesch

Basisbildung in Österreich grenzt sich „von einem autoritären Verständnis von Alphabetisierung im Sinne von lesen, schreiben oder rechnen lernen ab und fokussiert auf soziale, demokratische, teilhabende, selbstkritische und kritisch handlungsorientierte Dimensionen des Lebens. […] Basisbildung ist die permanente gesellschaftspolitische Entwicklungsaufgabe, durch Bildung immer wieder die aktive und selbstermächtigende Gestaltung der eigenen Zukunft zu ermöglichen. Basisbildungsbedarf benennt daher keine individuellen Defizite.“

Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote 2017, S. 3

Bis zum Ende der 2000er Jahre wurden Lernangebote und die Diskussion über Basisbildung in Österreich weitgehend getrennt für Menschen „mit Deutsch als Erstsprache“ und „mit Deutsch als Zweitsprache“ geführt. Im Kontext einer Auseinandersetzung mit den Realitäten der Migrationsgesellschaft und einer Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit löste sich diese Abgrenzung aber zunehmend auf – heute werden zwar Angebote oder Recherchen dort differenziert, wo unterschiedliche Lernbedürfnisse vorherrschen, um diesen gerecht zu werden, doch die ehemalige „Trennlinie“ Österreicher_innen vs. Migrant_innen bildet sich so stark nicht mehr ab. Besonders deutlich wird dies ab 2010 in der Begründung der „Initiative Erwachsenenbildung“ (IEB), mit der ein Bildungsprogramm initiiert wurde, das bundesweit Basisbildung und das Nachholen des Pflichtschulabschlusses kostenlos ermöglichen sollte. Bemerkenswert ist diese Initiative auch insofern, als dort als Adressat_innen „in Österreich wohnhafte Erwachsene mit Basisbildungsbedarf, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Erstsprache und eventuell vorliegender Schulabschlüsse“ zählen.1

Alphabetisierung im Rahmen staatlicher Integrationsgesetzgebung ist nur…

In Deutschland werden Lernangebote für Alphabetisierung/Grundbildung bundesweit unterschiedlich organisiert und finanziert. Die „Dekade für Alphabetisierung“ – von Bund und Ländern gemeinsam verantwortet – dürfte sich in ihren Angeboten und Entwicklungen auf Personen mit sehr guten Deutschkenntnissen bzw. Deutsch als Erstsprache konzentrieren, während der „Alphabetisierungskurs“ für Migrant_innen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge fällt, wo auch ein einheitliches Konzept/Curriculum für Kurse dieser Art vorliegt. In diesem „Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs“ wird ausführlich auf die Rahmenbedingungen und das Lesen und Schreiben lernen in der Zweitsprache Deutsch eingegangen und das im Rahmen der Integrationsvereinbarung in Deutschland vorgegebene Kursmodell (im Ausmaß von 900 bzw. 1200 Stunden) detailliert (inklusive Beratung etc.) beschrieben.

Auch in Österreich gibt es solche Kurse für Zugewanderte, die im Rahmen der Zuwanderungs-/ Integrationsgesetzgebung vorgeschrieben bzw. geregelt sind. Von 2006 bis 2011 umfasste die „Integrationsvereinbarung“ für Drittstaatsangehörige in Österreich ein „Modul 1 – Alphabetisierung“ im Ausmaß von 75 Unterrichtsstunden. Dieses Modul gibt es seit 2011 nicht mehr – vermutlich im Zusammenhang mit der damaligen Einführung eines verpflichtenden Nachweises von Deutschkenntnissen auf A1-Niveau für Drittstaatsangehörige und der damit verbundenen Vorstellung, es gäbe dadurch keinen Alphabetisierungsbedarf dieser Zuwander_innen mehr in Österreich. Seit 2017 taucht der Begriff der „Alphabetisierung“ im neu beschlossenen Integrationsgesetz wieder auf – interessanterweise ausschließlich im ersten Hauptstück bei den verpflichtenden Kursbesuchen für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte. Nur für diese hat der Bund „Deutschkurse zu fördern, die – wenn erforderlich – die Alphabetisierung in lateinischer Schrift und das Erreichen eines Sprachniveaus zumindest von A2 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen ermöglichen.“2 Die Abwicklung dieser Kurse und die Erstellung der Curricula dafür erfolgt durch den Österreichischen Integrationsfonds.

Es fällt auf, dass ein großer Unterschied zum vorliegenden Konzept in Deutschland besteht. Die zu diesen Kursen gehörigen Curricula lieferten bzw. liefern keine ausführliche Grundlage für die Kursgestaltung, sondern sie umfassen nur jeweils 1-2 Seiten, in deren Mittelpunkt das Erlernen von Buchstaben vor dem Besuch eines Deutschkurses steht. Es wird in beiden Ländern in diesem Kontext der Begriff der Alphabetisierung (statt Grund-/Basisbildung) verwendet, und in den österreichischen Curricula dürfte diesem Begriff ein rein „mechanisches“ Verständnis des Buchstabenlernens zugrunde liegen. Die Frage nach Kontexten, Themen oder den Zielen im Sinne des Sprachhandelns wird gar nicht gestellt, ebenso wenig wie Modelle der zweisprachigen Alphabetisierung in diesem Zusammenhang in Österreich genannt oder diskutiert werden.

Basisbildung ist mehr….

Anders in den „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“, die die Grundlage für die Planung und Gestaltung von Lernangeboten im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung darstellen (siehe Fachgruppe Basisbildung 2014): Hier steht die Handlung im Zentrum und bestimmt das, was in den Lernfeldern (Sprachen, IKT und Mathematik) behandelt wird. Das Lernfeld „Sprachen“ – dem das Lesen- und Schreiben lernen natürlich zuzuordnen ist – wird beschrieben als eines, in dem kommunikative Sprachkompetenz entwickelt werden soll, wobei dies für Lernende – ungeachtet dessen, ob sie Deutsch als Erst- oder Zweitsprache haben – bedeutet, dass „Alphabetisierung“ nur ein Teil dessen ist, Sprache verstehend und reflektierend zu verwenden und damit auch gehört und gelesen zu werden. Explizit erwähnt wird hier auch die Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit und sprachlichen Normen, deren Anerkennung bzw. Aneignung (z.B. im Sinne einer korrekten Rechtschreibung) nicht automatisch das übergeordnete Ziel von Basisbildung sein muss.

Den „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“ liegt ein nicht defizitorientierter Zugang und die Auseinandersetzung mit critical literacy zugrunde3, in deren Tradition diese Prinzipien zu verorten sind.

Während im Kontext der nationalen Dekade für Alphabetisierung in Deutschland von der „Optimierung und Erweiterung von Lernangeboten für Grundbildung“ die Rede ist, wobei Lerninhalte alltags- und praxisbezogen konzipiert sein müssen und es das deklarierte Ziel der Dekade ist, den sog. „funktionalen Analphabetismus“ in Deutschland zu verringern, beschränkt sich das österreichische Grundlagenpapier auf eine Betrachtung von Basisbildung als „permanente gesellschaftspolitische Entwicklungsaufgabe“. Im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung ist das Ziel, den sog. funktionalen Analphabetismus zu bekämpfen nicht explizit genannt, und es werden weder Themen noch Inhaltsbereiche für die Lernangebote festgelegt, was die Vorgaben und Vorstellung von Basisbildung von der in Deutschland im Rahmen der Dekade festgeschriebenen Beschreibung des Begriffs der Grundbildung als „Grunddimensionen kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe [...], darunter: Rechenfähigkeit (Numeracy), Grundfähigkeiten im IT-Bereich, Gesundheitsbildung, Finanzielle Grundbildung, Soziale Grundkompetenzen“ (BMBF/Kultusminister Konferenz o.J.) doch unterscheidet.

Basisbildung im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung möchte …

Freiwilligkeit als Grundprinzip der Erwachsenenbildung wird im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung vorausgesetzt: Basisbildung möchte Möglichkeiten aufzeigen und eröffnen, möglichst aber nicht „lenkend“ oder „belehrend“ sein und schon gar nicht sog. „funktionale Analphabet_innen“ aufspüren und/oder ihnen vorschreiben, was sie zu lernen hätten um – besser oder anders als bisher – zu „funktionieren“.

Basisbildung in Österreich „grenzt sich [...] von einem autoritären Verständnis von Alphabetisierung im Sinne von lesen, schreiben oder rechnen lernen ab und fokussiert auf soziale, demokratische, teilhabende, selbstkritische und kritisch handlungsorientierte Dimensionen des Lebens. [...] Basisbildung ist die permanente gesellschaftspolitische Entwicklungsaufgabe, durch Bildung immer wieder die aktive und selbstermächtigende Gestaltung der eigenen Zukunft zu ermöglichen. Basisbildungsbedarf benennt daher keine individuellen Defizite“ (siehe Fachgruppe Basisbildung 2017, S. 3).

Die Förderinitiative Erwachsenenbildung legt also mit den „Prinzipien und Richtlinien“ den Lernangeboten kein Curriculum im „herkömmlichen Sinn“ zugrunde, das Themen, Inhalte oder „learning outcomes“ vorgibt, sondern ein Dokument, das eine der Basisbildung zugrunde liegende Haltung festmacht. Die inhaltliche Rahmung der Lernangebote erfolgt – und genügt – durch die Beschreibung von „Lernfeldern“ und „Filtern“. Die Teilnehmer_innen bringen ihre thematischen bzw. inhaltlichen Interessen und Bedürfnisse in die Lernangebote ein, diese werden nicht vorgegeben. Gesundheitsfragen, der Umgang mit Institutionen (wie z.B. Kindergarten, Schule oder auch AMS) spielen da ebenso eine Rolle wie etwa die Beschäftigung mit mannigfaltigen Diskriminierungs- oder Alltagserfahrungen – jedes Lernangebot kann sich auf das konzentrieren und darf sich auf das beschränken, was von seinen Teilnehmenden gewünscht und als wichtig erachtet wird.

Politische Bildung wird in den Prinzipien und Richtlinien nicht (nur) als „Inhalt“ der Basisbildung beschrieben, sondern (vor allem) als Filter bzw. Querschnittsmaterie. Demnach wird „Alphabetisierung“ bzw. sprachliches Handeln auch immer verstanden als eines, mit dem politische Gegebenheiten, Verhältnisse und Missverhältnisse benannt werden und die eigene Position dargestellt bzw. andere Positionen verstanden werden können. Es geht weniger um Bildung im Sinne von Wissen über staatliche Institutionen, sondern besonders auch darum, sich selbst grundsätzlich als veränderndes und politisches Subjekt zu begreifen.

Dieser Beitrag entstand auf Anregung und Einladung des Fachbeirats, um für unsere LeserInnen ergänzende Inhalte und Hintergründe zur aktuellen Magazinausgabe aufzubereiten.

Literatur

BMBF/Kultusminister Konferenz (o.J.): Grundsatzpapier zur Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016-2026. Den funktionalen Analphabetismus in Deutschland verringern und das Grundbildungsniveau erhöhen. Online im Internet: https://www.alphadekade.de/files/01_Grundsatzpapier%20zur%20Nationalen%20Dekade%20Alphabetisierung%20und%20Grundbildung_final.pdf [Stand: 2018-01-25].

Fachgruppe Basisbildung (2017): Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote. Für Lernangebote im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung. Online im Internet: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/Prinzipien_und_Richtlinien_aktualisiert_8_2017.pdf [Stand: 2018-01-25].

Angelika Hrubesch

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https://www.vhs.at

Angelika Hrubesch studierte Germanistik und Französisch auf Lehramt mit Schwerpunkt Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Sie absolvierte den Universitätslehrgang Erwachsenenbildung/Weiterbildung und war von 1999 bis 2010 als Kursleiterin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Alphabetisierung an den Wiener Volkshochschulen und im Wiener Integrationshaus tätig. Seit 2011 ist sie Leiterin des AlfaZentrums für MigrantInnen der Volkshochschule Wien (lernraum.wien) und des dort ansässigen Ausbildungslehrgangs für Alphabetisierung/Basisbildung mit Erwachsenen. Darüber hinaus ist sie Vortragende in verschiedenen Lehrgängen und Workshops zum Thema, Mitglied der Fachgruppe Basisbildung im BMBWF. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Alphabetisierung und Basisbildung in der Migrationsgesellschaft (mit Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache).

Literacy as Part of Basic Education

Basic education is more than assimilation

Abstract

In the spirit of the Austrian Principles and Guidelines for Basic Education Offerings (Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote