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Trotz verschiedener Interessen und unterschiedlicher Lebenssituationen entsteht zwischen Eva Brandner und Adam Klein eine freundschaftliche Neugierde, die an Dynamik gewinnt, als sich eine erotische Komponente in ihre Beziehung mischt und ihre Macht zu entfalten beginnt. Eine Geschichte voller Verlangen und einem unerwarteten Ende.
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Seitenzahl: 193
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For a dreamer lives forever
And a toiler dies in a day
John Boyle O'Reilly,
"The Cry oft he Dreamer"
Adam Klein kommt hier nicht weg. Jedenfalls nicht so, wie es bisher schon so oft möglich war. Frau Brandner, Evas Mutter, ist müde geworden und will nach Hause gebracht werden. Sein Angebot, dies zu tun, wird von ihr, im Gegensatz zu den vergangenen Zusammenkünften, dankend abgelehnt, da heute David, Evas Ehemann, dafür zuständig sei. Auch Eva hält Adam dieses Mal am Arm zurück. Er soll ihr beim Aufräumen helfen. Diesmal ist keine Flucht möglich.
"Du warst bisher immer so schnell weg, heute bleibst Du da", sagt sie, als er versucht den allgemeinen Aufbruch zu nützen, um sich ebenfalls zu verabschieden.
Maria, ihre Tochter, ist der Anlass für die Zusammenkunft. Sie, die nur Ria genannte werden will, feiert heute ihren vierten Geburtstag, zu dem auch Adam eingeladen wurde. Sie drängt sich im Getümmel des Abschieds zwischen die Erwachsenen und will unbedingt mit der Großmutter und dem Vater mitfahren.
"Morgen ist Sonntag", stellt Ria mit Nachdruck fest, als sie auf den fortgeschrittenen Abend hingewiesen wird, "da kann ich ausschlafen, weil ich nicht in den Kindergarten gehen muss, und außerdem bin ich noch gar nicht müde."
Da steht sie in ihren roten Stiefeln und der in vielen Neonfarben leuchtenden Jacke. Sie erhält die gewünschte Erlaubnis. Adam jedoch wird am Unterarm zurückgehalten. Er muss bleiben.
Nach der Abfahrt sind sie für zumindest eine Stunde allein, welche die Hin- und Rückfahrt dauern wird, so Vater und Tochter nicht noch von Evas Mutter aufgehalten und in die Wohnung hineingebeten werden, um sich etwas Neues oder Wichtiges anzusehen. Das war bisher immer so und dem entkommt man nur selten.
Eva beginnt die gebrauchten Teller und Gläser zusammenzustellen, um sie anschließend in die Küche zu tragen, während Adam in der Küche den Geschirrspüler ausräumt, der die erste Fuhre bereits gereinigt hat. Er findet sich schnell zurecht und kann das saubere Geschirr am dafür vorgesehenen Ort unterbringen. Die Küche ist praktisch organisiert und gleichzeitig auch ein gut ausgestatteter Kräutergarten für die Küche und zur Linderung kleinerer alltäglicher Leiden. An den beiden großen Fenstern stehen zusätzlich blühende Pflanzen. Eva hat ihre wachstumsfreundliche Hand nicht verloren.
Adam spült eine Pfanne, als ihn Eva dazu auffordert den Lauf des Wassers abzustellen und sich mit ihr ins Wohnzimmer zu setzen.
Sie blickt ihn an.
"Danke, dass Du geblieben bist."
Adam sieht zum Fenster.
"Es fiel mir nicht leicht, Deinem Wunsch nachzukommen und nicht mit den Anderen zu gehen."
Langsam hebt er seinen Blick. Lange Zeit hatte er es unterlassen, sie so genau zu betrachten. Nach dem Sommerurlaub mit der Familie in Griechenland ist ihre Haut bronzen getönt, das dunkelbraune Haar an einigen Stellen blond geworden und, wie er es seit vielen Jahren kennt, halblang geschnitten und hinten zu einem Dutt gebunden. Eva ist gereift und eine schöne, erwachsene Frau geworden. Er sieht ein ausdrucksstarkes Gesicht, in welches das Leben noch wenige Kerben geschlagen hat. Ihrem Körper ist die Geburt eines Kindes nicht anzusehen. Kann es sein, dass sie sogar noch Zeit für regelmäßiges, sportliches Training findet?
Viele Jahre vermied Adam erfolgreich derartige Situationen und flüchtete nach Familienzusammenkünften bei der frühesten sich bietenden Gelegenheit, mit den ersten aufbrechenden Besuchern. Bis dahin hatte er die Familientreffen ausnahmslos gemieden. Mit der Geburt des Kindes wäre es auffällig gewesen, ständig eine Ausrede für seine Abwesenheit zu erfinden. Gleichzeitig ist er auch neugierig geworden, mit eigenen Augen zu sehen, wie diese Familie ihr Leben gestaltet und wie sich Evas und Davids Kind entwickelt, ein Mädchen, das ebenso attraktiv zu werden verspricht, wie es Eva ist. Anna, seine Schwester, hatte ihm wiederholt von den neuesten Entwicklungen berichtet, doch war ihm das zu wenig geworden.
Mit David, Evas Mann, hatte Adam in früheren Jahren ein sehr gutes, persönliches Verhältnis gehabt. In den Monaten, die er damals, nach dem Tod seiner Frau, bei der Familie seiner Schwester wohnte, unternahmen sie viel miteinander und Adam hatte manches Mal den Vater ergänzt, der in dieser Zeit um das wirtschaftliche Überleben seiner Firma kämpfen musste. Adam waren die Zoobesuche und Aufenthalte auf Kinderspielplätzen eine willkommene Ablenkung von seinen trüben Gedanken gewesen. Als Adam wieder in der eigenen Wohnung lebte, hatte sich der Kontakt sogar intensiviert. Immer wieder blieb David über Nacht, sie besuchten Museen und führten während seines Heranwachsens lange nächtliche Gespräche über das Leben, die Welt und Gott. David war ihm eine Art Wahl-Sohn geworden. Als er älter wurde, seinen Freundeskreis gefunden hatte und zu studieren begann, lockerte sich das Verhältnis und sie trafen sich nur noch anlässlich der Familientreffen.
Nachdem Eva und David Eltern geworden waren, machten Adam die kurzen Besuche in Evas Familie allmählich Freude und der Einblick in ihr Familienleben nahm ihm die Sorgen, die er sich anfangs, aufgrund seiner eigenen Geschichte mit Eva, gemacht hatte. Das erleichterte es ihm nachzugeben, als ihn Eva heute darum bat, länger zu bleiben und ihr beim Aufräumen der Küche zu helfen.
"Dein Zögern habe ich schon wahrgenommen, als ich Dich zum Bleiben aufforderte, aber Du musst keine Scheu mehr davor haben, mit mir allein zu sein."
Adam wendet sich um und sieht, dass sie zwei Gläser und eine schon geöffnete Flasche Weißwein in der Hand hat. Er fühlt sich wieder unbehaglich und will nichts wie weg.
"Bist Du Dir da sicher?", fragt er zögernd.
Sie schenkt die Gläser zu einem Drittel ein. Adam will das angebotene Glas zurückweisen, aber Eva hebt schon ihres, um anzustoßen.
"Ja. Ganz sicher. Du darfst auf alle Fälle noch ein Glas trinken, um fahrtüchtig zu sein. Wir haben in drei Stunden zu viert eine Flasche Sekt getrunken. Das war nicht viel."
Adams Unsicherheit bezog sich zwar auf ein anderes Thema, doch unterlässt er eine weitere Nachfrage. Jeder trinkt einen Schluck, ehe Eva bemerkt:
"Ich suche schon länger eine Gelegenheit, um mit Dir allein zu sprechen. Jetzt ist sie endlich da."
Vergeblich versucht Adam seine verkrampfte Sitzposition zu ändern.
Eva setzt fort: "Du kannst Dir vorstellen, dass ich damals nicht wusste was ich tun soll, als ich bemerkte in welche Situation ich geraten war. Mein neuer Freund war Dein Neffe. Das war zum Davonlaufen! Deine Zurückhaltung war sehr hilfreich. Anfangs wusste ich gar nicht wie ich, nein, wie wir damit zurechtkommen können, ohne bei einem von uns dreien große Schmerzen zu verursachen."
Adam beugt sich vor als er sagt: "Ich habe Euch beide sehr gerne und wollte Eurer Beziehung in keiner Weise im Wege stehen."
Eva lächelt.
"Das war damals nicht der Fall und das tust Du auch heute nicht. David und ich haben eine gute und vertrauensvolle Ehe. Ich habe ihm schon früh von unserer Freundschaft erzählt, die damals beendet schien. Du bist mir ausgewichen und mir war dies ganz recht. Ich hätte nicht gewusst, wie ich über meine Gefühle hätte sprechen können. Mir war klar geworden, dass ich mit Dir nicht dorthin kommen konnte, wo ich hinwollte. Ich habe erst später von Eurer Verwandtschaft erfahren."
"Damals habe ich in der Stadt zufällig gesehen, wie Ihr Euch zur Begrüßung umarmt und geküsst habt. Ihr wart so zärtlich zueinander. Da wusste ich, dass es an der Zeit war, mich ganz zurückzuziehen."
Adam hatte seiner Schwester Anna kein Wort von der gemeinsamen Geschichte mit Eva erzählt. Durch seine Kontakte mit ihr und sein für sie nachvollziehbares Interesse an Davids Leben, war er über die Entwicklungen gut informiert gewesen, ohne seine Neugierde erklären zu müssen. Auf diese Weise hatte er auch erfahren, dass Eva zunächst ihren Schulabschluss und damit die Berechtigung zum Studium an der Universität nachgeholt hatte. Anschließend begann sie das Studium der Botanik und steht nun kurz vor dem Abschluss.
"Ich habe gehört, dass Du Dein Studium abschließen wirst. Darüber freue ich mich sehr."
"Du hattest mir damals diese Idee in den Kopf gesetzt, deren Verwirklichung mir dann leichter fiel, als ich gedacht hatte."
Adam erinnert sich an das Gespräch.
"Du bist klüger, als Du es Dir damals zutrautest. Es ist schön, dass es Dir gelungen ist und Du kannst auf diese Leistung stolz sein."
Eva lächelt und schüttelt den Kopf.
"Es ist noch nicht ganz geschafft. Bitte wecke keine bösen Geister, indem Du ein noch nicht eingetretenes Ereignis lobst. Auf Wunsch meines Professors muss ich meine Abschlussarbeit nochmals überarbeiten und in einer korrigierten, oder besser gesagt, ergänzten Fassung abgeben. Dann folgen die Schlussprüfungen, die ich auch erst bestehen muss. Gut, die schriftliche Arbeit ist schon durch. Der Professor hat bei der Besprechung nur angemerkt, dass ich, so ich eine sehr gute Beurteilung wolle, noch einen bestimmten Aspekt in meiner Argumentation detailreicher ausführen müsse. Ehrgeizig, wie ich inzwischen geworden bin, erfülle ich ihm, und auch mir, diesen Wunsch."
"Diese viele Arbeit neben dem Kind, das ist schon eine große Leistung."
Eva wiegt zweifelnd den Kopf.
"Nicht nur meine. Ria ist ein sehr umgängliches Kind. Sie kommt mit anderen Kindern gut zurecht, so können sich mehrere Mütter, die wie ich kleine Kinder haben, die Tagesbetreuung der Kleinen aufteilen. Und dann ist da natürlich David, der mich sehr unterstützt und das Geld erarbeitet, das wir zum Leben brauchen. Ich musste nach der Karenz nicht mehr in die Arbeit zurückkehren. Anders wäre es sicherlich nicht möglich gewesen."
Adam sammelt allen seinen Mut und stellt eine Frage, die ihn schon lange Zeit beschäftigt: "Hast Du David von uns erzählt?" und als sie nickt, "was sagte er dazu?"
"Er war erst erstaunt, fragte dann aber nur danach, ob wir miteinander geschlafen haben und ich habe die Wahrheit gesagt. Das war ihm genug."
Nach einer Pause bemerkt Eva nachdenklich: "Wir haben uns nie verabschiedet."
"Möglicherweise war es nur eine Unterbrechung, kein Abschied," antwortet Adam.
"Bedeutet das, dass wir uns in Hinkunft öfter sehen, als zuletzt?"
"Das werden wir, wenn Ihr das wollt."
Damals war das Frühjahr viel zu spät gekommen. Noch Anfang April war der Schnee in großen Mengen gefallen und die ersten warmen Tage des Jahres waren allzu plötzlich über das Land hereingebrochen. Adam Klein wusste, dass er den Eindruck alljährlich hatte, dass das Frühjahr später begänne, als dies in den vorangegangenen Jahren der Fall gewesen war. Dieses Gefühl täuschte ihn diesmal nicht. Noch im Februar waren höhere Temperaturen verzeichnet worden als im April. Ihm dauerte diese Phase zu lange, in der die Zeit des Dunkels erst schnell immer länger geworden war, um nun viel zu langsam kürzer zu werden. Dann, durch die Umstellung der Uhren, wurden dem Tageslicht endlich auch die Abende zurückzugeben. Nach endlos scheinenden grauen, kalten Tagen knallte dann plötzlich die Sonne, durch die Hilfe des Südwindes verstärkt, die ersten Sommertage aufs Land. Diese plötzliche Veränderung führte bei Adam ebenso, wie bei vielen seiner Mitmenschen, zu Abgeschlagenheit und fehlendem Antrieb, was gar nicht zur, ob des Frühjahres erwarteten Lebensfreude passen wollte.
An diesem Morgen überwand Adam endlich seine Trägheit und brachte sein Fahrrad in Schwung. Die Reifen aufgepumpt, die Funktion der Lichter überprüft und die Antriebskette geschmiert, fuhr er die lange Allee vor die Stadt hinaus, zum Park des Lustschlosses das sich ein Landesfürst vor dreihundert Jahren am Stadtrand erbauen ließ.
Im vorangegangenen Jahr hatte Adam die Arbeitszeit in der Bank, für die er arbeitete, reduziert und musste sich seither nur noch zweieinhalb Tage die Woche um die Vermehrung des Vermögens seiner Kunden sorgen. Infolge des Besuches vieler Fortbildungskurse und der Freude an seinem Beruf, hatte er sich große Kompetenz und einen fixen Stock an Kunden erarbeitet, die seine bedachte und zurückhaltende Art, sich um ihr Geld zu kümmern, schätzten. Viele seiner Kollegen hatten das Geld ihrer Kunden und ihr Arbeitsverhältnis mit der Bank in den Sand gesetzt, als sie ihrer und der Anleger Gier nichts entgegensetzten und deren Investitionen auf ebendiesen Untergrund bauten. Ihre Einkommen waren erst mit den Börsennotierungen gestiegen und kurz danach noch viel schneller wieder gefallen. Adam hatte diese Entwicklung nicht mitgemacht, verlor in der Phase des Aufschwunges der Kurse manchen Kunden und wurde aufgrund seiner Vorsicht so manches Mal von seinen Vorgesetzten getadelt. Es waren jedoch genug Anleger geblieben, die seine sichere Gestaltung ihrer Geldpakete schätzten. Dieser Umstand erhielt ihm, im Chaos einer Krise der Finanzmärkte, seinen Arbeitsplatz, während manch anderer verloren ging. Im Rahmen eines darauffolgenden Eigentümerwechsels und der, auf diesen folgenden Umstrukturierungen hatte er seine Arbeitszeit reduziert. Dafür hatte er auch noch eine größere Summe als Abfertigungszahlung und vermehrt Freizeit bekommen.
Adam betrachtete die neue Situation als eine Art Probelauf für die sich nähernde Zeit der Pension. Zeit seines Lebens hatte er gerne Zeitungen, Zeitschriften und Bücher mit literarischem, politischem und historischem Inhalt gelesen und dabei begonnen, von vielen Artikeln und Sachbüchern Exzerpte anzulegen. Sein Stichwortkatalog hatte inzwischen ein beachtliches Ausmaß angenommen. Bisher hatte ihn noch keine Minute seines neuen Lebens die Langeweile geplagt.
Während des Sommerhalbjahres las er bei schönem Wetter gerne in freier Natur. Nachdem er den Botanischen Garten der Universität für sich entdeckt hatte, hielt er sich zumeist hier auf. Touristengruppen und Hundebesitzer, die den benachbarten Schlosspark heimsuchten, waren hier durch eine Gartenordnung ausgeschlossen. Wenn er die Kurszeiten der Studenten und die, im Vorhinein angekündigten Veranstaltungen der Universität mied, konnte er das Gefühl gewinnen, hier allein zu sein. Gelegentlich eintretende andere Besucher verliefen sich im weitläufigen Gelände. Die manchmal erkennbaren, gärtnernden Arbeitskräfte könnten auch seine Angestellten sein und für ihn arbeiten, so heimisch fühlte er sich hier.
Ein kleiner Rucksack war mit der Routine des Vorjahres schnell gepackt. Eine Flasche mit Trinkwasser, das Magazin einer deutschen Wochenzeitung, eine amerikanische Bücherzeitung, ein nicht zu dickes Buch, das aktuelle Notizbuch, Schreibzeug und eine Sitzunterlage waren der Inhalt. Nach wenigen Minuten der Fahrt mit dem Fahrrad war sein Ziel erreicht. Am frühen Nachmittag war im Schlosspark viel Publikum, aber nach dessen Querung betrat er, durch eine unscheinbare Türe im lebenden Zaun, den ruhigen Botanischen Garten. Dies war der Hintereingang, der Haupteingang befand sich an den Gebäuden der naturwissenschaftlichen Universität, die an diesem Ort vor zwanzig Jahren neu errichtet worden war. Hier befand sich auch die Abteilung für Botanik, die für den Garten zuständig war. Der Park, die dazu gehörenden Sportanlagen und Kinderspielplätze, auch der kleine Tierpark wurden von der zur Stadtgemeinde gehörenden Schlossverwaltung betrieben.
In der Sonne war es während der letzten Stunden sehr warm geworden. Adam entschied sich für einen Platz, den er im Vorjahr während der Sommerhitze gerne aufgesucht hatte und der ihm für die heutige Wetterlage geeignet erschien. Diese Sitzbank war unbesetzt, er richtete sich ein und legte die Unterlage zum Sitzen auf die Bank. Diese hatte sich insbesondere im Frühjahr bewährt, da diese bunte Flecken vom Blütenstaub auf der Hose verhinderte. Die Blätter der Bäume, die ihn im Sommer beschatteten, waren noch nicht in ihrer vollen Größe ausgebildet und es entstand dadurch ein Halbschatten, nicht zu viel Sonne, nicht zu viel Schatten, der gut auszuhalten war. Er hatte seinen Ort für den Vormittag gefunden.
'Was war das für ein Scheißtag. Und was war das für ein Scheißwochenende ... und ausgerechnet heute musste es auch noch so heiß werden … und da muss ich auch noch für den Kakteengarten eingeteilt werden. Kein Schatten und mein Schädel brummte ohnehin schon, bevor ihm die Sonne draufbrannte. Wenn ich hier hoffentlich bald fertig bin, dann muss ich noch im Bereich der ehemaligen Nutzpflanzen gießen. Nur noch eine Stunde lang, den Rest mache ich dann morgen ... und dann endlich nach Hause, unter die Dusche … und nur noch ins Bett. Aber zuvor immer noch eine Stunde in der Sonne.'
Kathi hatte am Samstag Geburtstag gehabt und das war ausgiebig gefeiert worden. Kathi war seit Jahren Eva Brandners beste Freundin und sie war auch einer der Gründe für Evas Schulabbruch gewesen. Nicht der einzige, aber ein wichtiger. Eva musste die sechste Klasse des Gymnasiums wiederholen. Sie hatte zu viele negative Noten bekommen, und Kathi war in die siebte aufgestiegen. Eva wollte diese sinnlosen Inhalte nicht mehr lernen, die Tage mit dem schönsten Wetter in diesen miefigen Räumen verbringen und das auch noch ohne ihre langjährige Freundin als Sitznachbarin.
Im Rahmen des Schulunterrichts in der Wiederholungsklasse hatte sie eine Berufsinformationsmesse besucht, auf der unter anderem für den Beruf der Gartenfacharbeiterin geworben worden war. Sie hatte sich für diese Ausbildung zu interessieren begonnen, Informationsmaterial mit nach Hause genommen und daraufhin einen heftigen Krach mit ihrer Mutter erlebt. Es war nicht der erste gewesen, aber der bisher heftigste. "Jugendliche Dummheit und Undankbarkeit" waren die höflichen Ausdrücke von vielen anderen gewesen, mit denen sie beschimpft worden war, als sie angedeutet hatte, sich den Ausstieg aus der Schule zu überlegen. Sie hatte im laufenden Schuljahr keine besseren Schulnoten erreicht, als im vergangenen, wenig Aussicht weiterzukommen und bei der Messe für sich endlich eine neue Perspektive gefunden.
In der Stadtgärtnerei und der öffentlichen Arbeitsvermittlung hatte sich Eva vergeblich nach freien Lehrstellen erkundigt, fand aber dann, mit der Hilfe einer wohlgesonnenen Lehrkraft, die offene Ausbildungsstelle im Botanischen Garten der Universität. In ihrer Familie begann ein heftiger Kleinkrieg, der sogar dem ohnehin nur selten anwesenden Vater letztendlich etwas Einsatz abverlangt hatte. Eva sollte "ihre Gärtnerei" lernen, war seine Entscheidung. Wenn sie dann eingesehen habe, dass die Arbeitswelt "kein Zuckerschlecken" sei, könne sie nach diesem "Läuterungsprozess" immer noch das Gymnasium abschließen und "etwas Gescheites" studieren.
Nach dem erfolgreichen Abschluss des ersten Lehrjahres durfte Eva in eine Garconniere ziehen, die ihr bis zum Lehrabschluss von den Eltern bezahlt wurde. Ihren Lebensunterhalt musste sie selbst bestreiten. Nach Evas Übersiedlung und dem allmählich einkehrenden Frieden mit der Mutter, konnte sie, die durch ihre Arbeit in einem Steuerberatungsbüro ein eigenes Einkommen hatte, sich dazu durchringen, einen finanziellen Beitrag zu Evas Unterhalt zu leisten.
Eva machte ihre Arbeit gerne und sie könnte glücklich sein, doch das vergangene Wochenende hatte ihr nun zum wiederholten Mal gezeigt, dass mit ihrem Leben etwas nicht stimmte. Immer wieder zu viel Alkohol, schon wieder ein Drogenexperiment und viel zu oft diese Fickerei. Nie nüchtern, nie liebevoll und wenn bei ihr der Spaß begann, war die Sache schon wieder zu Ende. Viel zu viele Montage waren dann so wie der heute. Dazu kam noch Kathi, angeblich ihre beste Freundin. Hatte sie ihr doch am Samstag spät in der Nacht noch eingeredet, diese Pille zu nehmen. "So was von geil! Da schläfst Du super davon und träumst die schönsten Sachen." Ja, Scheiße. Bewusstlos war sie gewesen und geträumt hat sie gar nichts. Und am Sonntagabend ist sie dann neben Thomas, diesem eitlen Widerling, aufgewacht und musste davon ausgehen, dass er sie gefickt hatte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin.
'Danke liebe Kathi, für sowas hat man eine beste Freundin. Und morgen weiß es die ganze Welt. Dieser Angeber muss es sicher herumposaunen. Ständig berichtet er von der Ergänzung seiner Trophäensammlung. Alle habe er schon gehabt, alle. Bisher konnte ich immer stolz darauf hinweisen: mich nicht! Wenn sich dies geändert haben sollte, wird er es alle wissen lassen. Einfach Scheiße.'
Wieder einmal nahm sich Eva vor, diese Clique zu meiden, da liefen die arbeitsfreien Tage immer gleich ab. Jetzt hatte Kathi auch noch den gemeinsam geplanten Urlaub auf Ibiza abgesagt, der doch ihre Idee gewesen war. Sie hat sich mit ihrem vorletzten Freund wieder versöhnt. Allein wollte Eva nicht wegfahren.
'Jetzt noch die Zeile mit den Rübenpflanzen vom Unkraut befreien und dann nichts wie weg', war ihr Gedanke, als sie sich durchstreckte, um ihren Rücken zu entlasten. Sie sah den alten Mann auf der Bank sitzen. Immer wieder saß er im Garten und grüßte freundlich. Als er von seinem Buch aufsah, nickte er und Eva hob die Hand zur Antwort. 'Wenigstens der ist ganz nett', dachte sie, und nahm diese freundliche Geste gerne als Ausklang ihres Arbeitstages mit nach Hause.
Wiederholt tauchte dieser Haarschopf aus den immer noch durchsichtigen Sträuchern auf. Die Natur traute den Frühlingstemperaturen noch nicht und ließ sich in ihrem Wachstum Zeit. Eva war im Knien damit beschäftigt, die am gestrigen Tag von einer Kollegin eingeweichten, in roten und grünen Farben ihrer Frühlingsrinde leuchtenden Gerten zwischen den kleinen Holzpflöcken zu verankern, womit sie die Beete im Rosengarten begrenzten. Sie richtete sich auf, um sich durchzustrecken. Als sie Adam auf der Bank sitzen sah winkte sie ihm, um zu grüßen. Adam erwiderte die Geste, stand auf und ging die paar Schritte auf sie zu. Sie erhob sich und da sah er erstmals die unförmigen Gummischützer, die sie an ihren Knien trug. Er lachte und sie blickte ihn überrascht an.
"Diese Dinger erinnern mich an die Gelenke von Kamelen, die an dieser Stelle verhornte Knorpel oder gar Knochen entwickelt haben, da sie diese beim Aufstehen und Niederknien stark abnützten," erklärte er, sich entschuldigend.
Nun lachte auch Eva.
"Ich bin diesen Dingern sehr dankbar, denn Anfangs meiner Lehrzeit habe ich aus Eitelkeit darauf verzichtet, musste dies jedoch mit wunden Knien und zerrissenen Hosen bezahlen."
"Habe ich richtig gehört, Sie machen hier eine Lehre, Sie sind keine Studentin?"
"Ich bin derzeit im zweiten Lehrjahr. Nein, ich bin keine Studentin."
Adam blickte sie erstaunt an und fragt: "Entschuldigen Sie bitte, aber wie alt sind Sie? Ich habe offensichtlich Ihr Alter falsch geschätzt und hätte Sie nicht im Lehrlingsalter vermutet."
"Ich bin 18 Jahre alt und werde im Mai 19."
"Wahrscheinlich sage ich Ihnen nichts Neues, aber Sie sehen älter aus."
Die junge Frau wirkte stolz, als sie sagte: "Ja, das sagen mir die Leute immer wieder. Daran habe ich mich gewöhnt, aber ich bin nicht nach der Pflichtschule in die Lehre gekommen. Ich war zuvor im Gymnasium, musste dann die sechste Klasse wiederholen und wollte dort nicht mehr länger bleiben."
Adam schüttelte den Kopf.
"Das ist aber schade, denn eine gute Ausbildung ist Voraussetzung dafür, dass man erfolgreich durchs Leben kommt."
Eva sah Adam spöttisch an.
"Sie sind wahrscheinlich auch so ein Akademiker. Die glauben immer, dass es keine andere, bessere Ausbildung geben kann, als ewig in der Schule zu sitzen. Ich mache meine Arbeit gerne, erlerne einen interessanten Beruf und verbringe viel Zeit in der Natur."
"Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen."
"Sie haben mich nicht beleidigt, denn ich bin stolz auf meine Arbeit."
Eva kniete sich wieder hin und begann die noch tropfenden Gerten zurechtzubiegen.
"Jetzt wird mir bewusst, warum diese Äste gestern bei den Fröschen lagen. Sie wurden eingeweicht, damit sie heute biegsam sind und nicht brechen, wenn sie eingepasst werden. Ich dachte das hätten ein paar Lausbuben getan."
Eva lachte, als sie bemerkte: "Nein, diesmal sind nicht böse Buben schuldig, das sind sie oft genug. Die Äste mancher Sträucher sind, wenn sie weich sind, gut als natürliche Begrenzung der Beete des Rosengartens zu verwenden."
Eva blickte in Richtung der Gewächshäuser.
"Ich muss jetzt weitermachen. Die Chefin ist heute schlecht drauf und schaut schon grantig herüber. Ich muss wieder arbeiten."
"Ich will nicht, dass Sie Schwierigkeiten bekommen. Was machen Sie mittags? Ich möchte gerne mit Ihnen weitertratschen. Treffen wir uns um zwölf im Institutskaffe?"
Eva überlegte kurz, ehe sie zustimmte.
"Ok, das können wir machen."
Diesem Kaffeebesuch folgten weitere. Die Dauer ihrer Zusammentreffen war immer knapp bemessen, denn die Pause durfte niemals die dreißig Minuten überschreiten. Bald lud Adam sie dazu ein, ihn mit dem Vornamen und einem vertrauten Du anzusprechen. Eva nahm diese Einladung an, doch wechselte sie manches Mal zum Sie. Sie hatte Probleme mit dem Respekt, den ihr der Altersunterschied zu gebieten schien, aber mit einigen Scherzen und von Adam mit Augenzwinkern angedrohten negativen Konsequenzen, gewöhnte sie sich daran.