Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Autor geht der Frage nach, was mit den Menschen geschieht, die in Deutschland dauerhaft als vermisst gelten. Er findet darauf eine verstörende Antwort, die niemanden kalt lassen wird. Er erzählt eine Geschichte, die tief in menschliche Abgründe führt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 265
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Es war still, absolut still. Kein Wind raschelte im Mais, der mannshoch links und rechts des Weges wuchs. Kein Flugzeug zog eine Schneise durch den intensiven blauen Himmel und zerschnitt ihn mit einem Kondensstreifen. Nichts, gar nichts.
Ann-Christin sah auf das Vorderrad ihres kleinen Fahrrades, dessen Reifen gerade mit einem lauten Knall geplatzt war. Seufzend sah sie sich um. Weit und breit war niemand zu sehen, sie stand mutterseelenallein mit ihrem Rad auf dem schnurgeraden Feldweg, der zwischen den Maisfeldern an mehreren Windrädern vorbeiführte. Dann aber sah sie eine Frau um die Ecke des Weges biegen, die eine Leine in der Hand hielt. Sofort hörte Ann-Christin die Stimme ihrer Mutter, die ihr eingeschärft hatte, nie mit einem Fremden mitzugehen und sich auch nicht anquatschen zu lassen. Sie hatte erst mit dem Fahrrad zur Oma losfahren dürfen, nachdem sie alles hoch und heilig versprochen hatte.
»Hast du meinen Hund gesehen?«
Sie sah in das freundliche Gesicht der Frau und lächelte scheu zurück.
Die Frau kam auf sie zu und hielt die Leine hoch, an deren Ende ein Halsband schaukelte. »Bist du ganz allein unterwegs?« Die Frau sah sich um.
»Ich habe ein Handy. Ich kann zu Hause anrufen, wenn mir etwas passiert.« Ann-Christin zeigte auf ihren Rucksack.
»Das ist sehr klug von deinen Eltern.« Die Frau sah sie beruhigend an. »Weißt du, mein Hund steckt in dem Feld fest«, die Frau wies über ihre Schulter in den Mais, »und ich brauche Hilfe, um ihn herauszubekommen. Vielleicht kannst du mir helfen?«
Das Mädchen sah die Frau zweifelnd an.
»Es ist noch ein sehr junger Hund, weißt du, ein Baby-Hund sozusagen.«
Ann-Christin schaute neugierig in den Mais.
»Hat einfach den Kopf aus dem Halsband gezogen, als er einen Hasen gesehen hat.« Die Frau verzog missbilligend den Mund. »Und jetzt steckt er da fest und ich kann ihn ohne Hilfe nicht befreien.«
Das Mädchen trat einen Schritt auf die Frau zu.
»Jetzt jault er wieder, hörst du ihn?« Die Frau sah Ann-Christin bittend an.
Das Mädchen legte den Kopf schief und lauschte, aber sie konnte keinen Laut vernehmen.
»Vielleicht musst du näherkommen, um ihn zu hören.«
Ann-Christin sah die Frau skeptisch an.
»Er ist da allein im Mais und weint. Ich muss zu ihm.« Die Frau machte eine kleine Bewegung. »Vielleicht finde ich noch jemanden, der meinem kleinen Hund helfen kann.« Sie steckte eine Hand in die Jackentasche und zuckte die Achseln.
Das Mädchen blickte den Feldweg hinunter. »Ich muss zu meiner Oma, ich darf nicht trödeln.«
»Klar, das verstehe ich. Ich hoffe nur nicht, dass er sich ernsthaft verletzt hat.« Sorgenvoll sah die Frau sich um.
»Vielleicht …« Ann-Christin machte einen weiteren Schritt auf die Frau zu.
»Mein Hund hat sich aus dem Halsband befreit und ist in das Feld gelaufen.« Die Frau zeigte in eines der Maisfelder. »Er ist noch ein Baby, weißt du. Ich habe Bella erst vier Tage.«
Ann-Christin überlegte. Dies war eine Frau – zwar eine Frau, die sie nicht kannte, aber Mama meinte bestimmt fremde Männer, mit denen sie nicht mitgehen sollte. Und diese Frau brauchte schließlich Hilfe, ihr kleiner Hund war weggelaufen.
»Er ist noch so klein und ich habe Angst, dass er nicht zurückfindet.« Die Frau entfernte sich einige Meter und blieb stehen. »Kannst du mir nicht vielleicht doch beim Suchen helfen? Es dauert auch bestimmt nicht lange.« Die Frau sah auf Ann-Christins Fahrrad. »Wenn du magst, kann ich dich anschließend nach Hause bringen, dann musst du dein Rad nicht schieben.« Sie lächelte.
»Ich weiß nicht«, sagte Ann-Christin leise.
»Du musst mir nicht helfen, ich verstehe schon.« Die Frau ließ die Schultern hängen, drehte sich um und rief nach ihrem Hund.
Ann-Christin seufzte. »Ein bisschen suchen kann ich ja. Wo ist er denn hingelaufen?« Sie legte ihr Fahrrad auf den Boden.
»Das ist aber lieb von dir!« Die Frau strahlte sie an. »Mein Auto steht da hinten um die Ecke, dort ist Bella auch in den Mais gelaufen.« Sie zeigte hinter sich. »Wir können dein Fahrrad ja schon mal ins Auto legen. Vielleicht ist Bella ja sogar schon am Wagen und wartet da.« Die Frau machte ein hoffnungsvolles Gesicht. »Sie ist eine süße kleine Maus, du wirst sie mögen.«
»Okay«, sagte Ann-Christin, hob ihr Rad wieder auf und schob es neben der Frau her. Diese rief immer wieder nach dem Hund und lauschte in den Mais.
Als sie um die Ecke bogen, sah Ann-Christin das Auto, das am Wegesrand geparkt war. Im Hintergrund zeigte eines der Windräder steil in den Himmel.
Die Frau öffnete den Kofferraum und schaute Ann-Christin einladend an. »Na, komm.« Dann trat sie näher. »Soll ich dir helfen?«
Ann-Christin dachte, dass sie ihr das Rad abnehmen würde. Aber stattdessen zog die Frau etwas hervor und drückte es Ann-Christin direkt ins Gesicht. Sie hörte von weit her die Stimme ihrer Mutter, die sie eindrücklich davor warnte, nicht mit Fremden mitzugehen. Dann wurde alles um sie herum schwarz.
Die Frau lächelte zufrieden. Dann nahm sie dem bewusstlosen Mädchen den Rucksack von Rücken und griff hinein. Sie zog das Handy heraus, entfernte den Akku und die SIM-Karte und steckte beides ein. Das Handygehäuse schleuderte sie mitsamt dem Rucksack weit ins Maisfeld hinein. Dann hob sie den Kinderkörper in den Kofferraum, sah sich um, legte die Leine dazu und ließ die Klappe langsam herunter. Das Fahrrad warf sie ebenfalls in den Mais, stieg in den Wagen und fuhr langsam los.
*
Die Dämmerung legte sich mit einem feinen Schleier aus Sprühregen über die Landschaft. Jenseits der Scheibe herrschte zunehmende Dunkelheit, Regentropfen zogen still ihre Bahn auf dem trüben Glas. Die Intensivstation lag im Dämmerlicht, die Stille des Zimmers wurde nur vom saugenden Geräusch des Beatmungsgeräts und dem Piepsen des Elektrokardiogramms regelmäßig unterbrochen.
Die Eltern standen am Bett ihrer Tochter, die aufgrund eines tragischen Verkehrsunfalls eine Leberquetschung erlitten hatte und daran sterben würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Die Siebenjährige erhielt gegen die Schmerzen eine hohe Dosis Morphium, dadurch fiel sie immer wieder in einen dumpfen Schlaf und war nicht ansprechbar.
Die Mutter hielt die kleine schlaffe Hand in ihrer und streichelte sie sanft. Tränen liefen ihr unablässig über das Gesicht und ruinierten das Make-up.
Der Vater stand am Fußende, er konnte kaum die Augen vom Geflacker der Geräte lösen. Das ständige Malmen seiner Kieferknochen zeichnete sich unter seinem Mundschutz deutlich ab, auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet.
Seine Frau sah ihn plötzlich mit einem wilden Blick an.
»So tu doch endlich etwas«, flüsterte sie heiser, »du kannst das Kind doch nicht so verrecken lassen!«
»Aber was soll ich denn machen?«, fragte er sie verzweifelt.
Seine Frau antwortete ihm nicht, sondern hatte ihre ganze Aufmerksamkeit wieder ihrer sterbenden Tochter zugewandt.
»Der Chefarzt erwartet Sie.« Die Intensivschwester war leise hereingekommen.
Der Vater zuckte zusammen und versuchte, seinen Blick auf die Schwester zu konzentrieren. »Ja, danke«, flüsterte er und räusperte sich. »Komm, Julia.«
Seine Frau schüttelte müde den Kopf. »Geh du allein. Ich will es nicht hören.« Sie sah ihn erschöpft an. »Ich lasse sie nicht mehr allein.«
Der Vater nickte und verließ das Krankenzimmer. Seinen Kittel, den Mundschutz und die Überzieher ließ er langsam in die dafür vorgesehene Wanne gleiten. Er sah durch die Scheibe seine Tochter in dem großen Bett liegen. Sie wirkte so klein und zart, so zerbrechlich und verloren. Er seufzte und versuchte, sich für das Gespräch zu wappnen.
Der Arzt hatte hinter seinem Schreibtisch gesessen und war sofort aufgestanden, als es klopfte. »Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.« Er wies auf eine Sesselgruppe.
»Wo ist Ihre Frau? Kommt sie noch?«
»Sie will bei unserer Tochter bleiben.«
»Ich verstehe.« Er war froh, dass die Mutter nicht mitgekommen war. Derartige Gespräche, wie nun eines folgen würde, führte er lieber unter Männern, das war für ihn einfacher. Die emotionalen Reaktionen von Frauen bereiteten ihm manchmal Schwierigkeiten. »Ich will Sie nicht hinhalten, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass wir für Ihre Tochter aus medizinischer Sicht nichts mehr tun können. Unsere Mittel sind ausgeschöpft.« Er schenkte Wasser in ein Glas und schob es über den kleinen Beistelltisch.
»Es muss aber doch eine Möglichkeit geben, sie ist doch erst sieben Jahre alt!« In die hilflos blickenden Augen des Vaters mischte sich Wut.
»Als sie angekündigt wurde, haben wir Ihre Tochter gleich auf die Warteliste von Eurotransplant setzen lassen.« Der Arzt holte Luft, um diesem Vater zum wiederholten Male zu sagen, was er so oder so ähnlich schon vielen Angehörigen mitgeteilt hatte. »Eurotransplant vergibt Spenderorgane nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht, wir haben keinen Einfluss auf die Vergabe.«
»Aber es ist doch dringlich, mein Kind stirbt doch sonst!« Der Vater stieß die Worte heftig hervor, Speicheltropfen sprühten auf die Tischplatte.
Die Erfolgsaussichten, das wusste der Arzt nur zu gut, lagen bei weniger als fünfzig Prozent, weil die Erkrankung des Kindes rasant voranschritt und der Allgemeinzustand instabil war. Eurotransplant würde unter diesen Umständen kein Organ vergeben, aber das wollte der Mediziner dem Vater nicht direkt sagen.
»Es muss doch irgendwo auf dieser beschissenen Welt ein passendes Spenderorgan geben! Sie ist unser einziges Kind, Doktor.« Der Vater umfasste das Handgelenk des Arztes wie eine Schraubzwinge. »Wir haben sehr lange gewartet, bis uns unsere Tochter geschenkt wurde. Ich lasse sie mir jetzt nicht so einfach wegnehmen …« Seine Stimme brach.
Der Chefarzt wand sich aus dem Griff des Vaters.
»Mir ist nichts zu teuer, hören Sie.«
Der Arzt blickte den Vater abwartend an.
»Ich scheue weder Kosten noch Mühen, verstehen Sie?«
Es entstand eine Pause, in der sich die Männer schweigend ansahen.
Schließlich stand der Mediziner auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er schrieb eine Telefonnummer auf einen kleinen Zettel. »Das ist eine Privatklinik. Sie ist nicht billig. Vielleicht ist dort ein … ein Bett für Ihre Tochter frei.« Er legte eine kurze Pause ein. »Eine Entscheidung müsste zeitnah fallen, denn Ihre Tochter ist nicht mehr lange transportfähig.«
»Ich verstehe. Ich rufe sofort an.« Der Vater verließ eilig das Zimmer.
Der Mediziner nahm ein Handy aus seiner Aktentasche. »Friedrich vom UKE hier. Gleich wird sich ein neuer Kunde melden.« Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, beendete das Telefonat und entnahm seinem Handy die SIM-Karte. Mit einer Schere zerschnitt er sie in winzig kleine Teilchen, die er mit einer raschen Geste vom Schreibtisch in den Mülleimer wischte. Dann griff er erneut in seine Aktentasche und zog die SIM-Karte eines türkischen Telefonanbieters heraus.
*
Eine dunkelblaue Limousine hielt vor der verdeckt liegenden Einfahrt zum Lieferanteneingang der Burg. Die Fahrerin tippte auf einem Nummernblock, der auf einer Säule in Höhe des Wagenfensters angebracht war, eine Zahlenkombination ein und kurz darauf öffnete sich das große schmiedeeiserne Tor geräuschlos. Der Wagen fuhr über einen gepflasterten Weg direkt in eine geräumige Doppelgarage, deren Tor sich bereits abgesenkt hatte, bevor die Fahrerin den Motor ausgestellt hatte. Die Garage war leer bis auf ein Fahrrad, das an einer Wand lehnte.
Die Frau öffnete den Kofferraum, hob das darin liegende Kind auf eine bereitstehende Liege und rollte zu einem Aufzug, dessen Tür offen stand. Sie drückte die Taste für das Kellergeschoss.
Als der Aufzug stoppte, folgte sie dem Lichtschein durch einen schummrigen Flur und öffnete schließlich die Tür zu einem hell beleuchteten, vollständig gefliesten Raum. In der Mitte stand ein Seziertisch, auf dem sie das Mädchen ablegte.
Ohne sich umzusehen, ging sie zurück zu ihrem Wagen. Dort nahm sie ihr Handy heraus. Als die Verbindung zustande gekommen war, holte sie Luft.
»Die Ware wurde geliefert.«
*
»Es wird Zeit für eine Party.« Die Gräfin reichte dem Mann einen zusammengefalteten Bogen. »Unsere Gästeliste. Alle haben schon eine schriftliche Einladung erhalten. Jetzt geht es um die Detailabsprachen am Telefon. Sie sollen mit kleinem Gepäck anreisen, schließlich brauchen sie nicht viel.« Sie lächelte bösartig. »Autoschlüssel, Wagen- und Ausweispapiere werden wie immer beim ersten Kontakt unaufgefordert abgegeben. Die Gäste werden im Freizeitlook hierher transportiert. Kontaktaufnahme wie gehabt. Neben der Arbeit soll das Vergnügen schließlich nicht zu kurz kommen.« Sie lachte auf. »Steh hier nicht rum und halte Maulaffen feil, mach dich lieber an die Arbeit.«
Der Mann hob den Blick erst, als er das Zimmer verlassen hatte. Er ging in ein kleines Büro, legte den aufgefalteten Bogen auf einen kleinen Tisch und wählte die Nummer hinter dem ersten Namen.
Der Teilnehmer hob sofort ab.
»Sie werden am Samstag zur Party von der Gräfin erwartet. Sie reisen mit Ihrem Wagen an und werden um 14 Uhr in das Parkhaus 4 des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt einfahren. Ihre Beifahrertür ist entriegelt und es wird jemand zusteigen. Alles Weitere erfahren Sie von Ihrer Kontaktperson. Wenn Sie die Uhrzeit nicht einhalten können, haben Sie keinen Anspruch auf Erstattung Ihrer Teilnahmegebühr. Sie werden außerdem nie wieder eine Einladung erhalten.«
Der Mann beendete das Gespräch und wählte die nächste Nummer. Er spürte ein sanftes Kribbeln in den Hoden und leckte sich über die Lippen. Endlich würde es wieder eine unvergessliche Party geben, deren Gäste nicht nur aus Deutschland anreisten. Keiner von ihnen würde diese Party überleben.
Er ging hinaus, um mit den Vorbereitungen zu beginnen, schließlich wollte er die Gräfin nicht enttäuschen. Seine Augen bekamen einen fiebrigen Glanz, und erwartungsvoll leckte er sich erneut über die Lippen.
*
Das Telefon drüben im Arbeitszimmer läutete. Dr. Friedrich legte Messer und Gabel hin und stand vom Tisch auf, auf dem seine Haushälterin das Abendessen angerichtet hatte. Im Display seines Telefons wurde eine Nummer mit maltesischer Vorwahl angezeigt und er meldete sich mit belegter Stimme. Er hörte zu, ohne ein Wort zu sagen.
Endlich hatte er die langersehnte Einladung erhalten. Doktor Friedrich legte den Hörer freudig erregt auf.
Seit er die Gräfin auf einer sehr exquisiten privaten Feier kennengelernt und sie ihm ihre Aufmerksamkeit zum ersten Mal geschenkt hatte, wollte er zu keiner anderen Domina mehr gehen. Die Gräfin erfüllte ihm Wünsche, die er sich selbst nicht auszusprechen wagte. Nach ihrer dritten gemeinsamen Sitzung hatte sie ihm von der russischen Nacht in ihren Privatgemächern erzählt. Nur sieben, von der Gräfin persönlich ausgewählte Gäste würden dort eine Nacht voll ekstatischer Wonnen erleben.
Seine DVDs, die er im Safe aufbewahrte, waren vermutlich Kinderkram gegen das, was er wohl am Samstag erleben durfte. Das Eintrittsgeld von 20.000 € war es ihm wert, einem anderen Menschen beim Sterben zuzusehen. Er spürte die Schweißperlen, die sich auf seiner Oberlippe gebildet hatten, und steckte seine Hand in die Hose. Er befingerte seine Erektion und dachte daran, wie es erst sein würde, wenn er all seine Fantasien hautnah erleben würde. Auflachend freute er sich auf den Link, den er nach der Party für die doppelte Summe bekommen sollte und der ihm den Zugang zu einer verschlüsselten Webseite im Darknet ermöglichte. Dann würde er sich wieder und wieder den Film von der Feier der Gräfin anschauen können.
Sein Herz klopfte wild. Nur noch zwei Tage! Er hatte nur noch zwei Tage Zeit, die Instruktionen, die er vor längerer Zeit im Falle einer Einladung erhalten hatte, umzusetzen. Er musste seinen Urlaub organisieren, seine Angestellten in Frankreich informieren, dass sie sein Haus in Salernes auf seine Ankunft vorbereiteten. Gott sei Dank war er alleinstehend und musste keinen Familienangehörigen irgendwelche Erklärungen abgeben.
Er kehrte an den gedeckten Tisch zurück. Seine Haushälterin erschien in der Tür.
»Ich verreise am Wochenende«, erklärte er ihr. »Ich ziehe mich zur Erholung einige Tage in die Provence zurück. Ich weiß noch nicht, ob ich länger wegbleibe. Ich werde Sie auf jeden Fall rechtzeitig über alles informieren.« Er lächelte seiner Haushälterin zu. »Vielleicht nutzen Sie die Zeit und fahren mal wieder zu Ihrer Schwester nach Bremen? Ich kann Sie ja jederzeit über das Handy erreichen.«
Seine Haushälterin lächelte erfreut, und er beugte sich zufrieden vor und nahm Messer und Gabel wieder auf.
*
Da war sie endlich – die heiß begehrte Einladung! In der letzten Zeit hatte sie ihr geradezu wie besessen entgegengefiebert. Nun hielt sie den unscheinbaren Umschlag und die Karte in ihren zitternden Händen. Ihre Augen saugten sich an den Buchstaben fest und sie spürte ihre Erregung wie eine heiße Flamme aufsteigen. Immer und immer wieder las sie die kurze Nachricht: »Die Gräfin gibt sich die Ehre. Sie werden am kommenden Freitag für ein gemeinsames Wochenende mit aufregenden Gästen erwartet. Sie werden am Bahnsteig im Terminal des Flughafens erwartet. Ihr persönlicher Guide wird sich um alles Weitere kümmern. Ihr Geschenk überbringen Sie persönlich. Die Gräfin kann es kaum erwarten, Sie kennenzulernen.«
Die Karte trug keine Unterschrift, auf dem Umschlag war kein Absender vermerkt.
Auf ihrem Schreibtisch lag bereits die Bahnfahrkarte für Freitag zum Flughafen nach Frankfurt am Main.
Sie atmete schwer, griff sich in die Hose, fasste sich in den Schritt und fühlte Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen. Sie, die Vorsitzende des örtlichen Golfklubs, langjähriges Mitglied des Kirchenchores ihrer Gemeinde und Vorsitzende Richterin des Landgerichts, war geil wie eine Kanalratte und klammerte sich an ihrem Schreibtisch fest, um der Erregung Herrin zu werden.
Es klopfte an der schweren Eichentür und sie zog rasch die Hand aus der Hose. »Herein!«
»Frau Doktor, es sind nun alle anwesend und Sie werden zur Eröffnung der Verhandlung erwartet.« Die Gerichtsdienerin reichte ihr die schwarze Robe. Hinter ihr steckte die beisitzende Richterin den Kopf herein.
»Agnes, bist du so weit?«
»Ja, ja, ich komme.« Sie richtete sich auf, strich sich kurz übers Haar, griff nach der Robe und legte sie sich um. »Ich bin bereit.«
*
Die eiserne Tür wurde mit Schwung geöffnet und ein vollkommen in Latex gekleideter Mann betrat mit gesenktem Kopf den Raum. Er blieb direkt neben der Tür stehen und begrüßte die sieben Wartenden mit leiser Stimme: »Die Gräfin heißt Sie herzlich willkommen.«
Eine schlanke, mittelgroße Frau, deren Alter schwer zu schätzen war, schritt auf schwarzen Lacklederpumps mit roten, sehr spitzen Pfennigabsätzen in einem hautengen schwarzen Lederminikleid herein. Ihr lockiges schwarzes Haar fiel ihr lässig über die Schultern, eine Strähne verlor sich in ihrem auffälligen Dekolleté. In einer Hand hielt sie lässig eine siebenschwänzige Katze mit goldenem Knauf. Ihre blauen Augen musterten die Anwesenden kühl, ihr knallroter Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln, was ihr ein gnadenloses Aussehen verlieh. Während sie sich langsam in einen großen, roten Ledersessel gleiten ließ, schloss der Mann in Latex leise die Tür und stellte sich mit gefalteten Händen neben sie.
Für einige Augenblicke herrschte Stille, in der das aufgeregte Atmen der Wartenden die Atmosphäre auflud.
Ohne den Mann in Latex anzusehen, schlug die Schwarzhaarige ihm mit einer fast unmerklichen Handbewegung mit ihrer Peitsche auf den Penis, der sich unter dem dünnen Latex deutlich abzeichnete. Der Mann zuckte zusammen und stöhnte leise auf.
Einige der Anwesenden stöhnten ebenfalls lustvoll.
»Die Gräfin freut sich, dass Sie ihrer Einladung gefolgt sind«, presste der Latexmann hervor.
Ein leises Murmeln war die Antwort der Gäste, das von der Gräfin durch einen eiskalten Blick beendet wurde.
Der Latexmann fuhr fort. »Sie gehören zu den wenigen exklusiven Menschen, die an den besonderen Spielen in diesem Haus teilnehmen dürfen. Um Ihre Anonymität zu wahren, werden Sie hier mit den Namen angesprochen, die Ihren Zimmern zugeordnet sind: Rosengarten, Windspiel, Bergsee, Alpenveilchen, Morgenröte, Waldgeist und Feenstaub. Ihnen wird aufgefallen sein, dass sich Motive Ihres Namens auf den Kimonos finden, die Sie tragen. Wie Sie weiter bereits festgestellt haben, werden Sie nicht nur mit exquisiten Speisen und Getränken verwöhnt, die Gräfin hat auch einige andere exotische Genüsse für Sie vorbereitet.« Der Mann machte eine kleine Pause, in der er sich leicht über die Lippen leckte. Dies führte dazu, dass die Peitsche wieder auf seinen Penis knallte. Als Reaktion darauf griffen sich zwei der männlichen Gäste unter ihre dünnen Seidenkimonos und entblößten dabei für einen kurzen Augenblick ihre erigierten Penisse. Die Gräfin zeigte mit der neunschwänzigen Katze auf einen der Männer.
»Nehmen Sie die Hand von Ihrem Schwanz!«, herrschte der Latexmann den Gast an, der erschrocken zusammenfuhr und augenblicklich dem Befehl gehorchte. »Die Gräfin mag es gar nicht, wenn Sie sich in Ihrer Gegenwart derartig gehen lassen«, fügte er leise, mit einem drohenden Unterton in der Stimme, hinzu. »Sie allein bestimmt, was Ihnen wann in diesen Räumen gestattet ist.«
Der Angesprochene räusperte sich und hob beide Hände, als wolle er um Verzeihung bitten. Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, herrschte ihn der Latexmann wieder an: »Halten Sie die Klappe. Wenn die Gräfin will, dass Sie etwas sagen, wird sie es Ihnen erlauben.«
Der Gescholtene schloss rasch den Mund, wobei seine Zähne leicht aufeinanderschlugen. Die Gräfin quittierte dies mit einem Blitzen in ihren Augen.
Der Latexmann blickte schweigend in die Runde und warf seiner Herrin einen kurzen fragenden Blick zu. Als sie leicht nickte, wandte er sich wieder an die Gäste: »Die Gräfin wird sich morgen persönlich um Ihr Wohlbefinden kümmern. Bis dahin haben Sie die Gelegenheit, sich gegenseitig in allen von Ihnen gewünschten Arten kennenzulernen. Sie dürfen dazu gern Ihre Schlafzimmer, aber auch die Themenzimmer nutzen. In die privaten Gemächer werden Sie zu gegebener Zeit eingeladen.« Er trat einen Schritt zurück und hob die Hände. »Lasst die Spiele beginnen!«
Die Gräfin verließ wortlos den Raum, ihr Sklave folgte ihr in gebührendem Abstand und schloss die Tür hinter sich.
*
»Welche Wahl soll ich treffen?« Er kniete mit gesenktem Kopf vor ihr und hielt den Blick gesenkt. Seine Augen hielten sich an ihren Schuhspitzen fest und er atmete schneller. Er wusste, dass er nicht wert war, in ihre Augen, in ihr Gesicht zu sehen. Schnell beugte er den Oberkörper tiefer und hoffte, dass seine Demut sie gnädig stimmen würde. Ein einziges Mal hatte er einen Fehler gemacht und sie hatte ihn sofort hart bestraft. Nun fehlte ihm der kleine Finger seiner linken Hand und er hatte sich vorgenommen, nie wieder einen Fehler zu machen.
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort und ein aufregender Schauer überzog seinen Körper. Er spürte unter seiner ledernen Henkersmaske, dass sich Schweißtröpfchen auf seiner Stirn bildeten.
Er hörte sie im Raum umhergehen. Das Klackern ihrer Pumps mit den zehn Zentimeter hohen, mörderischen Pfennigabsätzen steigerte seine Erregung und Schweiß bildete sich zwischen seinen Schulterblättern. Dann stand sie auf einmal neben ihm und legte ihm eine kalte Hand auf seinen nackten Rücken.
»Ich überlasse dir die Wahl. Du hast dir eine kleine Belohnung verdient. Vielleicht ist es ja zufällig Rosengarten, denn ihre Geschenke stehen ganz oben in der Gunst.« Sie gab ihrer herrischen Stimme einen milden Klang und er stellte sich vor, wie kalt ihre Augen ihn von oben herab ansahen.
»Danke.« Er ging tiefer auf die Knie und küsste ihre Schuhe.
»Mach dich ans Werk, vertrödele keine Zeit.« Ihre Füße verschwanden aus seinem Blickfeld und er hörte die Tür ins Schloss fallen.
Langsam richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und verließ ebenfalls den Raum. Er folgte dem gewundenen engen Gang und betrat eine geschickt ausgeleuchtete kleine Halle.
Er blickte in die Runde. Drei Frauen und vier Männer saßen nackt auf schemelartigen Hockern, die mit Rückenlehnen versehen waren, im Kreis. Einige von ihnen waren mit atmungsaktiven Ballknebeln versehen, die mit Lederriemen an den Hinterköpfen befestigt waren, blickten sie ihn erwartungsvoll an. Ihre Hände waren hinter ihren Rücken mit Handschellen an die Lehnen gekettet. Ihre Beine waren mit einer Deichsel gespreizt und ebenfalls so angekettet, dass ihnen keine Bewegung möglich war. Der Schemel bestand aus einem ledernen Ring, der an zwei Stahlbeinen befestigt war.
Er lächelte unter seiner Maske, und die enge schwarze Lederhose, die er zu den schweren schwarzen Polizeistiefeln trug, wurde noch etwas enger. Als er in den Kreis trat, ging ein Aufstöhnen durch die Runde.
»Du bist ja schon ganz schön angeturnt, alte Fotze.« Er stellte sich breitbeinig vor eine Frau mittleren Alters, die ihn lüstern unter ihrem schweißnass an der Stirn klebenden Haar hervor ansah. Die Macht genießend, die er wie eine Droge in seinen Adern fühlte, blickte er auf sie herab. »Du kannst es wohl nicht schnell genug bekommen?« Er ließ den Polizeischlagstock in seine Handfläche klatschen.
Die Frau zuckte zusammen und stöhnte auf. Ihre Brustwarzen waren hart und ihre Schenkel zitterten.
Er ließ den Schlagstock zwischen ihre Beine gleiten und besah ihn sich anschließend. »Das kannst du aber noch besser!«
Die anderen keuchten und er wandte sich von der Frau ab.
Die steifen Schwänze der Männer brachten ihn zum Lachen und er ließ den Knüppel auf einen von ihnen niedersausen. Sein Besitzer stöhnte auf und eine der Frauen stieß einen wollüstigen Schrei aus.
Sie blickte gebannt auf das malträtierte Geschlechtsteil und Speichel lief ihr übers Kinn.
»Du bist echt eine Vorwitzige. Ich sollte dir meine Aufmerksamkeit schenken.« Wenn er sich recht erinnerte, war sie die trinkende Managergattin aus Hannover. Er blickte in ihr von Geilheit und Geifer gezeichnetes Gesicht.
Er hob den Arm, und der Schemel, auf dem die Auserwählte hockte, fuhr auf einer Schiene zu einem Rondell in der Mitte des Raumes, das sich langsam drehte. »Ihr wollt doch alle euren Spaß.«
Der Schemel knickte nach hinten und alle konnten dabei zusehen, wie der Mann mit der Henkersmaske seinen Schlagstock einsetzte.
Das Gewölbe hallte wider von Schmerzensschreien und Anfeuerungsrufen, in die sich einzelne Ausrufe des Entsetzens mischten.
Als sich die Blase und der Darm der Gepeinigten entleerten, die wie eine achtlos hingeworfene Puppe alle Glieder von sich streckte, ließ der Mann mit der Henkersmaske von ihr ab und der Schemel, auf dem sie fixiert war, glitt auf der Schiene zurück.
»Und, was machen wir jetzt?« Er sah sich langsam um.
*
Der Oktober brachte einen wunderbaren Spätsommer mit sich. Nachts war es teilweise schon empfindlich kalt, der Raureif war morgens auf den Autoscheiben gefroren. Aber tagsüber ließ die herrliche Sonne den herannahenden Winter noch in weiter Ferne erscheinen.
Die Rübenkampagne hatte begonnen. Auf den Feldern um Erftstadt waren für die Ernte der Zuckerrüben Rübenroder unterwegs, die die Rüben in Mieten am Feldrand ablegten oder während des Rodens auf den Anhänger eines Treckers luden.
Zwischen den Windrädern war der Fahrer vom Sieber-Hof noch am frühen Abend auf dem Feld. In aller Herrgottsfrühe hatte er sich an die Arbeit gemacht, jetzt wurde es bald dunkel und es würde noch mindestens eine Stunde dauern, bis er von einem Kollegen abgelöst würde. Es galt, die Nacht durchzuarbeiten, denn der Chef hatte von der Zuckerfabrik die Nachricht erhalten, dass die Rüben morgen ab sieben Uhr früh geliefert werden sollten.
Die Mitarbeiter des Lohnunternehmens standen unter Zeitdruck, denn ihre Roder mussten noch weitere Felder anderer Landwirte abarbeiten. Der sechsreihige Zuckerrübenvollernter, den sie sich mit anderen Höfen teilten, arbeitete wie ein Uhrwerk. Nun steuerte der Fahrer die Miete auf dem Feldweg an, um die Rüben vom Transportband des Roders aus dem Vorratsbunker zu befördern. Die Rüben wurden aus dem metallenen Bauch regelrecht herausgespuckt und rollten in die Miete herunter, beleuchtet von riesigen Scheinwerfern auf dem Dach des Roders.
Der Fahrer blickte auf seine Armbanduhr. »Pinkelpause«, sagte er zu sich selbst. Er kletterte von seinem Arbeitsgerät herunter und stellte sich an die Miete.
Klock, klock, klock, klock …
Immer wieder machte sich eine Rübe selbstständig und rollte von der Miete zu Boden.
Klock, klock, klock.
Der Fahrer stutzte und kniff die Augen zusammen. Er sah angestrengt auf die Rüben hinunter. »Das ist doch …« Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, sein Mund öffnete sich erneut, doch kein Wort kam heraus.
Von der Spitze der Miete rollte eine große Rübe herunter und kullerte auf den Arbeiter zu.
»Ach du Scheiße!« Seine Augen weiteten sich entsetzt.
Ein menschlicher Schädel lag vor ihm auf dem Boden. In den leeren Augenhöhlen krabbelten Würmer.
*
»Hier herrscht ja extrem emsige Geschäftigkeit! Haben Sie nichts zu tun, Frau Leippold?«
Die Angesprochene hob den Kopf und sah missbilligend zu dem Mann hinüber, der sich auf den Schreibtischstuhl ihr gegenüber fallen ließ. »Und du? Keine Leichen mehr in deinem düsteren Seziersaal, an denen du munter herumschneiden kannst, um uns Unwissende mit den Erkenntnissen des einzigen und wahren Gerichtsmediziners zu beglücken?« Frieda Leippold sah Lars mit erhobenen Augenbrauen lächelnd an.
»Du wirst lachen, aber ich habe es sogar mit einer sehr interessanten Leiche zu tun. Einem Kind.«
»Ach Nein, bitte nicht, keine Horrorstorys vor dem Mittagessen.« Frieda schüttelte abwehrend den Kopf.
»Nicht?« Lars beugte sich vor. »Dann erfreut dich vielleicht dies: Ich glaube, ich habe gerade deine … ich meine: deinen Ex gesehen.« Mit einem triumphierenden Lächeln lehnte sich der Gerichtsmediziner zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Meinen Ex? Ich habe hier in Köln keinen Ex!« Nach einer kleinen Pause fügte Frieda hinzu: »Und dein dämliches Grinsen kannst du dir sparen.«
»Kein Grund, ärgerlich zu werden. Bei Ex dachte ich weniger an einen Liebhaber als vielmehr an einen Kollegen.« Lars sah sie erwartungsvoll an. »Na, klingelt’s?!«
»Max? Du hast Max gesehen?« Jetzt war es an Frieda, sich nach vorn zu beugen.
»Bingo, Liebste!«
»Wo?« Frieda sah sich um, als würde Max jeden Moment zur Tür hereinkommen.
»Vor einer guten Stunde. Er ging mit dem Oberguru durch die Lobby, als ich zu meinem Termin ins Präsidium kam.«
»Max, zusammen mit dem Polizeipräsidenten?« Frieda sah Lars skeptisch an.
»Genau.«
»Das wüsste ich.« Frieda verschränkte nun ihrerseits die Arme vor der Brust. Sie dachte daran, als Lara Fricke sich während der Arbeit an einem Mordfall in einem Kölner Klub als transident geoutet hatte und als Max Fricke in einer Nacht- und Nebelaktion Köln verließ.
»Seit wann hast du ihn nicht mehr gesehen? Oder von ihm gehört?« Lars machte eine kleine Pause. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann war das, als Max im Krankenhaus lag, nachdem er versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Nachdem du den Fall geklärt hast und Max rehabilitiert war, hat er sich in Luft aufgelöst. Futsch, weg. Wie lange ist das her? Fünf Jahre?«
Frieda nickte. Dann kniff sie die Augen zusammen. »Und wieso glaubst du nur, ihn gesehen zu haben, anstatt es zu wissen?« Sie sah Lars herausfordernd an.
»Er hat sich verändert, also optisch, meine ich.« Lars lächelte. »Er sieht eindeutig besser aus.« Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Die kurzen Haare stehen ihm, und der Bart auch.«
Das Telefon klingelte und Frieda griff zum Hörer. »Leippold.«
»Wir sollen zum Chef kommen. Dringend, also sofort. Ich hole Sie ab.«
Ihr Kommissariatsleiter Hauptkommissar Thomas Neuenschildt hatte aufgelegt, bevor Frieda antworten konnte.
»Lass uns das Gespräch heute Abend fortsetzen, Lars. Ich muss zum Oberguru, wie du immer sagst.« Sie sah ihn bedauernd an.
»Okay, ich bin zu Hause und halte meine berühmten, hemmungslos machenden Tagliatelle al Prosciutto warm.« Lars warf ihr eine Kusshand zu, stand auf und verließ den Raum.
Wenige Augenblicke später stand Thomas Neuenschildt in der Tür und sah sie ungeduldig an.
»Worum geht es denn?« Frieda sprang von ihrem Stuhl auf.
»Kommen Sie, die Teppich-Etage wartet nicht gern.« Er sah auf seine Armbanduhr.
»Sie machen es ganz schön spannend.« Frieda versuchte zu lächeln.
»Ehrlich gesagt weiß ich selber nicht, was Kriminalrat Grewen von uns will«, antwortete Neuenschildt auf dem Weg zum Aufzug.
*
Frieda war noch nicht oft in Grewens Büro gewesen, das mit imposanter Größe aufwarten konnte und einen herrlichen Blick über den Rhein zum Dom bot.
»Da sind Sie ja, Neuenschildt! Guten Tag, Frau Leippold.« Kriminalrat Grewen kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Kommen Sie, wir setzen uns zu den anderen.« Er wies auf einen riesigen Tisch, um den zehn Stühle standen, von denen vier besetzt waren. Einer der Anwesenden stand auf und kam auf Frieda zu.
»Max!« Sie starrte ihn ungläubig an.
»Hallo, Frieda.« Max lächelte und nahm sie herzlich in den Arm.
Frieda spürte, wie ihr eine Gänsehaut über die Arme und den Rücken fuhr.
»Setzen Sie sich, bitte.« Kriminalrat Grewen nahm am Kopf des Tisches Platz. »Vor Ihnen liegen Mappen mit den Informationen vom BKA zu dem Fall, zu dem ich Sie hergebeten habe. Sie alle«, Kriminalrat Grewen blickte langsam in die Runde, »bilden ein Sondereinsatzkommando. Sie sind dem Kommissariat von Kriminalhauptkommissar Neuenschildt zugeordnet, der sozusagen Ihr Supervisor sein wird. Geleitet wird die Soko von Kriminalhauptkommissarin Leippold.«
Alle Augen richteten sich auf Frieda, die auf ihrem Stuhl hin- und herrutschte.
»Des Weiteren gehören der Soko Kriminalkommissarin Fuchs sowie die Kriminalkommissare Sommer, Stein und Fricke an.« Grewen blickte jeden Einzelnen an. »Es fehlt noch Kriminaloberkommissar Wüst.«
Ein Raunen ging um den Tisch.
»Arno Wüst?« Neuenschildt sah den Kriminalrat erstaunt an.
»Ja. Ich möchte seinen Einsatz mit Ihnen besprechen.« Grewen blickte vor sich auf den Tisch. »Sie kennen alle den Kollegen Wüst?«