Begierde gegen jede Vernunft - Kat Cantrell - E-Book

Begierde gegen jede Vernunft E-Book

Kat Cantrell

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Beschreibung

Gefühle am Arbeitsplatz sind tabu! Nachdem sie schlechte Erfahrungen gemacht hat, hält Sabrina absolut nichts davon, Liebe und Job zu vermischen. Aber ihrem neuen Boss kann sie einfach nicht widerstehen. Valentino LeBlanc ist überaus attraktiv, und er fühlt sich genauso zu ihr hingezogen wie sie sich zu ihm. In seinen Armen schwebt Sabrina auf Wolke sieben. Nach heißen Küssen und atemlosen Stunden mit ihm ist sie überzeugt: Valentino ist der Mann ihres Lebens. Doch plötzlich kommt ihr ein schrecklicher Verdacht …

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Kat Cantrell Originaltitel: „Wrong Brother, Right Man“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2059 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Ute Augstein

Abbildungen: Harlequin Books S.A. / brandon⌐ballenphotography.com, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724504

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Seelenlos – das war wohl die treffendste Beschreibung für das Büro der Führungsetage von LeBlanc Jewelers, das im sogenannten Diamond District in der Innenstadt von Chicago lag. Seit Vals letztem Besuch hatte sich nichts verändert.

Obwohl er denselben Nachnamen wie der Mann hinter dem Schreibtisch trug, gab es keinen Ort, an dem Val LeBlanc zurzeit weniger gern gewesen wäre. Was wiederum äußerst bedauerlich war, denn für die nächsten sechs Monate würde er hier arbeiten.

Vals Bruder Xavier lehnte sich im Sessel zurück und sah seinen Zwilling fragend an. „Bereit zur Übernahme?“

„Wohl oder übel“, erwiderte dieser und nahm auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch Platz. Val verspürte keinerlei Verlangen nach dem Chefposten des Millionenunternehmens. Seiner Meinung nach war sein Bruder bestens für diesen Posten geeignet. „Je eher wir diesen Albtraum hinter uns bringen, desto besser.“

Es gab kaum etwas auf der Welt, das Val mehr missfiel als die Juweliergeschäftskette, die seinen Namen trug – vielleicht noch das schlechte Verhältnis zu seinem Vater, doch der war vor zwei Monaten gestorben. Zuvor hatte er allerdings dafür gesorgt, dass Val sechs Monate lang den Platz mit seinem Zwillingsbruder tauschen und somit durch die Hölle gehen musste.

LeBlanc Jewelers handelte mit Diamanten, die, wie Val fand, zu den nutzlosesten Dingen auf der Welt zählten. Erst wurden Männer dazu gebracht, Tausende von Dollars für einen Stein auszugeben, der in Wirklichkeit nur ein Viertel des Kaufpreises wert war, um ihn Frauen zu schenken, von denen sie sich später ohnehin wieder scheiden ließen.

„Du stellst dich vielleicht an“, erwiderte Xavier. „Was soll ich denn sagen?“

„Also bitte. Du hast doch wohl den leichten Part“, widersprach Val und spürte bereits das Pochen sich ankündigender Kopfschmerzen. „Ich soll den Umsatz eines Unternehmens steigern, mit dem ich bisher so gut wie gar nichts zu tun hatte. Wenn es so leicht wäre, den Jahresumsatz auf über eine Milliarde Dollar zu erhöhen, dann hättest du das doch bestimmt schon getan, oder?“

Die unbewegte Miene seines Bruders ließ keine Rückschlüsse darauf zu, was er empfand. Das überraschte Val nicht, schließlich kam sein Zwilling ganz nach ihrem kaltherzigen Vater, für den Gefühle stets Nebensache gewesen waren. Kaum verwunderlich also, dass Xavier Daddys Liebling gewesen war.

„Leicht wird es ganz bestimmt nicht.“ Xavier verschränkte die Finger, durch und durch der Vollblutgeschäftsmann, zu dem sein Vater ihn erzogen hatte. „Aber auf jeden Fall machbar – wenn ich mich darum kümmern würde. Doch ich muss mich ja mit LBC rumschlagen.“

Die Verachtung in der Stimme seines Bruders entging Val nicht. LBC stand für LeBlanc Charities und war der Name der Wohltätigkeitsorganisation, die Val leitete. Nachdem seine Mutter ihn im Alter von vierzehn Jahren zum ersten Mal dorthin mitgenommen hatte, hatte Val sich der von ihr ins Leben gerufenen Non-Profit-Organisation mit Haut und Haaren verschrieben.

„Du tust ja beinahe so, als wäre das eine Strafe“, stieß Val verärgert hervor. „LeBlanc Charities ist wunderbar und lebt von begeisterten Menschen, die im Team arbeiten, um die Welt zu verändern. Dir tut es bestimmt mal gut, hier rauszukommen und dir frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Du wirst schon sehen – du kommst als besserer Mensch zurück.“

Was Val hingegen erwartete, war sicherlich nicht so erfreulich. Die Ungerechtigkeiten, die sein Vater ihm zeit seines Lebens zugefügt hatte, schmerzten ihn auch nach dessen Tod noch. Selbst nach seinem Ableben hatte Edward LeBlanc klarstellen müssen, wer sein Lieblingssohn war. Die beiden Brüder waren trotz äußerlicher Ähnlichkeit vom Charakter völlig unterschiedlich.

Dennoch biss Val die Zähne zusammen, denn er brauchte sein Erbe, um die zurückgehenden Spendengelder für die Stiftung auszugleichen. Menschen starben auf den Straßen Chicagos, und Val setzte alles daran, sie zu retten. Diese Menschen verdienten eine bessere Zukunft, und er würde sie nie im Stich lassen. Deshalb benötigte er das Geld – eine halbe Milliarde Dollar. Ihm wurde schwindelig, wenn er sich vorstellte, was er alles damit anfangen konnte. Bislang hatte er einen großen Teil seines eigenen Vermögens in die Stiftung einfließen lassen, aber LeBlanc Charities war eine große Organisation mit einem ständig wachsenden Bedarf an finanziellen Mitteln.

„Zumindest hast du eine Chance, deinen Test zu bestehen“, stieß Xavier hervor. „Natürlich habe ich bereits daran gearbeitet, innerhalb der nächsten sechs Monate die Milliardenmarke zu überschreiten. Man braucht nur einen kleinen Anstoß wie bei einem Dominospiel, und alles läuft wie von selbst. Aber jetzt muss ich ja Spenden sammeln und habe keine Gelegenheit, meinen verdienten Sieg zu genießen“, fügte er verächtlich hinzu.

Manchmal fragte Val sich, ob er und sein Bruder wirklich verwandt waren. Xavier hatte ja keine Ahnung, was es bedeutete, sich selbstlos für andere Menschen einzusetzen und tagein, tagaus dafür zu sorgen, dass jemand anderes ein besseres Leben führte. „Für jemanden mit deinen Kontakten sollte das ja wohl eine Kleinigkeit sein.“ Er schnipste mit den Fingern. „Dafür brauchst du lediglich zehn Millionen in sechs Monaten. Allerdings musst du dir immer im Klaren darüber sein, was für eine hohe Verantwortung du trägst. Wenn du versagst, geht die Organisation den Bach runter – und die Menschen in Not sind auf LBC angewiesen, um zu überleben.“

Nachdenklich klopfte Xavier mit einem teuer aussehenden Kugelschreiber auf den Laptop. „Ich verstehe nicht, warum Dad mir nicht einfach erlaubt hat, einen Scheck auszufüllen und das Geld zu spenden. Aber nein, er hat in seinem Testament ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich die Spendengelder selbst organisieren muss. Soll wohl so eine Art Test zur Stärkung des Charakters sein. Das ist einfach lächerlich.“

Obwohl Val ausnahmsweise einmal mit seinem Bruder einer Meinung war, kam er nicht dazu, es auszusprechen, denn in diesem Moment sah Mrs. Bryce durch die geöffnete Bürotür in den Raum hinein. „Ihr Dreizehn-Uhr-Termin ist hier, Mr. LeBlanc.“

„Danke“, sagten Val und Xavier gleichzeitig.

„Du hast also einen Dreizehn-Uhr-Termin?“, erkundigte Xavier sich belustigt. „Möchtest du vielleicht auch meinen Anzug?“

„Nein, vielen Dank“, entgegnete Val, der formaler Kleidung nicht viel abgewinnen konnte, denn die war für seinen Geschmack viel zu unpraktisch. „Dein Stuhl genügt mir fürs Erste. Wenn ich bitten darf – ich habe jetzt ein Vorstellungsgespräch.“ Insgeheim freute er sich bereits auf die bevorstehende Begegnung, von der sein Bruder keine Ahnung hatte.

Dementsprechend entsetzt blickte dieser auch im nächsten Moment zur Tür, als die Besucherin eintraf, die Val erwartete.

Mit einer Selbstverständlichkeit, als ob all das hier ihr gehören würde, betrat Sabrina Corbin den Raum, und die Temperatur schien plötzlich unter den Gefrierpunkt zu sinken. Fasziniert beobachtete Val sie und fragte sich, ob seine Idee strategisch klug gewesen war. Er hatte ganz vergessen, wie schön diese Frau war und was für eine faszinierend kühle Ausstrahlung sie besaß. Insgeheim hoffte er, dass sein Bruder genügend Anstand besaß und möglichst schnell das Büro verließ.

„Ich glaube, ihr beide kennt euch bereits?“, fragte Val und deutete auf Xaviers Exfreundin, während er in dem frei gewordenen Chefsessel Platz nahm. Dabei sah er der Frau in die Augen, der er zwar erst einmal begegnet war, nach der er sich aber dennoch vor Verlangen verzehrte.

Sabrina hatte tiefe Einblicke in die Gedanken des Chefs von LeBlanc Jewelers erhalten. Wer also konnte Val besser bei seiner schwierigen Aufgabe assistieren als der verführerische Coach für Führungskräfte, mit dem sein Bruder liiert gewesen war?

Zu gern hätte er gewusst, was zwischen ihnen vorgefallen war – und wie er sich geschickter anstellte, als sein Bruder es offensichtlich getan hatte.

„Sabrina.“ Plötzlich wirkte Xavier nahezu entspannt. „Wie schön, dich zu sehen. Ich wollte ohnehin gerade gehen.“

Nachdem sein Bruder das Büro verlassen hatte, blieb die Atmosphäre entgegen Vals Erwartungen allerdings angespannt. Als Sabrina ihn ansah, beschlich ihn ein seltsames Gefühl, so als ob er der Eiskönigin höchstpersönlich gegenüberstünde.

„Soll ich Sie Valentino oder Mr. LeBlanc nennen?“, fragte sie, bevor sie sich graziös setzte und die langen schlanken Beine übereinanderschlug, die perfekt von ihrem eleganten Rock betont wurden.

Alles an ihr strahlte beherrschte Kühle aus – selbst ihre Stilettos schienen geradewegs aus der Kühltruhe zu kommen. Was es wohl brauchte, um Sabrina Corbin aufzuwärmen, überlegte Val und bemerkte, wie sein Körper prompt auf diesen anregenden Gedanken reagierte. Mochte sie es langsam und romantisch? Oder heiß und leidenschaftlich? Möglicherweise beides, verteilt auf ein ausgedehntes gemeinsames Wochenende?

„Ich hätte absolut nichts dagegen, wenn Sie mich Valentino nennen würden“, entgegnete er und zwinkerte ihr zu. „Aber das doch besser unter anderen Umständen.“

Sabrina zog eine Augenbraue hoch. „Dann also Mr. LeBlanc.“

Aua, dachte er und musste unwillkürlich noch mehr lächeln. Das war in der Tat eine interessante Herausforderung. Es gefiel ihm, seinen Bruder zu übertrumpfen, was der eigentliche Grund dafür gewesen war, Sabrina hierherzubestellen. „Vielen Dank, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten, den Termin wahrzunehmen. Hätten Sie Zeit für den Auftrag?“

„Meine letzte Klientin hat ihre Ziele bereits drei Monate vor der vereinbarten Deadline erreicht. Wenn Ihr Scheck gedeckt ist, stehe ich Ihnen zur Verfügung.“

Nun, das hörte sich doch schon recht vielversprechend an. „Wie ich Ihnen bereits in der E-Mail geschrieben habe, muss ich dieses Unternehmen sechs Monate lang leiten. Mein Vater hat in seinem Testament festgelegt, dass ich im letzten Geschäftsquartal den Umsatz von 921 Millionen auf eine Milliarde Dollar steigern muss. Daher benötige ich Sie sozusagen als Ass im Ärmel.“

Sabrina blinzelte nicht einmal, als er die hohen Summen nannte. „Sie sollen also den Profit in sechs Monaten um acht Prozent steigern?“

„Haben Sie das etwa gerade im Kopf ausgerechnet?“

Seine Frage belustigte sie offenbar. „Das kann jeder im Kopf ausrechnen“, erwiderte sie amüsiert. „Eine der einfachsten Matheaufgaben der Welt …“

Er konnte eine Menge mit seinem Kopf anstellen, aber in den vergangenen fünf Minuten hatte er sich hauptsächlich mit sinnlichen Überlegungen beschäftigt. Beispielsweise hatte er sich vorgestellt, wie Sabrina wohl aussehen mochte, wenn sie vor ihm auf dem Schreibtisch lag, ihr Gesicht vom zimtfarbenen Haar umhüllt, während er sie lustvoll verwöhnte. Diesen Gedanken wurde er partout nicht mehr los.

Sicherlich war sie im Liebesspiel einfach umwerfend – daran bestand kein Zweifel. Xavier hatte sich noch nie mit Zweitklassigem begnügt.

„Sie sind eingestellt“, sagte er.

Clevere Frauen fand er ohnehin sexy, doch wenn sie – wie in diesem Fall – außerdem noch schön waren, fiel es ihm äußerst schwer, die Finger von ihnen zu lassen. Aber was Sabrina Corbin anging, hatte er das auch gar nicht vor.

„Wir haben doch noch gar nicht über den Vertrag gesprochen“, gab sie zu bedenken. „Ich erwarte hundertprozentiges Engagement und äußerste Konzentration von meinen Klienten, ansonsten ist eine Zusammenarbeit nicht möglich.“

Mit anderen Worten wollte sie also sagen: Flirte nicht mit mir.

„Ich garantiere Ihnen, dass ich mich ganz bestimmt konzentriere“, versicherte er ihr lächelnd. Und das war noch nicht einmal gelogen. Multitasking war für ihn ein Kinderspiel, und auf Sabrina würde er sich zweifelsohne hundertprozentig fokussieren. „Ich darf, nein, ich werde in dieser Angelegenheit nicht versagen.“

Überrascht stellte er fest, dass seine Stimme schwankte und er sich mit einem Mal sehr verletzlich fühlte. Ganz sicher hatte er nicht erwartet, dass der Letzte Wille seines Vaters derart hinterhältig wäre. Zeig, was in dir steckt, Val, hatte seine Mutter gesagt, als er sich bei ihr über die irrsinnige Idee ausgeweint hatte.

Doch musste er wirklich etwas beweisen? Schließlich hatte er schon immer Stroh zu Gold machen können, wenn es darum ging, armen Menschen zu helfen. Unternehmenspolitik fand er sterbenslangweilig, und Edward LeBlanc hatte es nie sonderlich geschätzt, dass Val nach seiner Mutter kam und nicht nach ihm.

„Oh, Sie werden ganz bestimmt nicht versagen – nicht mit meiner Hilfe“, erklärte Sabrina, und ihre haselnussbraunen Augen zogen ihn in den Bann. Mit einem Mal wirkte sie richtig heißblütig, was Val nie bei ihr erwartet hätte. „Wenn andere aufgeben, komme ich erst so richtig in Fahrt“, erklärte sie. „Man könnte auch sagen, dass ich meinen Job sehr persönlich nehme.“

War das ein Seitenhieb auf Xavier? Val musste es unbedingt herausfinden. „Haben Sie mit Xavier etwa noch eine Rechnung offen?“

Sie ließ sich nicht anmerken, was sie von seiner Bemerkung hielt. Stattdessen veränderte sie lediglich geringfügig ihre Sitzposition, bevor sie weitersprach. „Xavier spielt in diesem Gespräch keine Rolle. Glauben Sie mir, ich nehme meine Arbeit sehr ernst. Ich muss mich auf niemanden verlassen, und das gefällt mir außerordentlich gut. Meine Consultingfirma besteht nur aus einer Person, und zwar aus mir, und so soll es auch bleiben.“

Ah, so eine ist sie also, dachte Val. Mrs. Unabhängigkeit, die keinen Mann braucht. „Deswegen haben Sie ihm also den Laufpass gegeben?“

„Wollen Sie eigentlich ständig zwischen den Zeilen lesen, wenn ich etwas sage?“

„Nur wenn Sie mir keine andere Wahl lassen.“

Einen Augenblick lang starrten sie einander wortlos an, bevor Sabrina Corbin schließlich nickte. „Ich verstehe, dass diese Information für unsere zukünftige Zusammenarbeit offenbar wichtig ist. Also … Ich habe mit Xavier Schluss gemacht, wenn man es so sagen kann. Wir waren nicht lange zusammen, und es ist uns auch nicht sehr ernst gewesen.“

Zumindest waren sie für Xavier lang genug zusammen gewesen, um Sabrina seinem Bruder vorzustellen. Val war den beiden im Frühsommer eher zufällig in Harlow House begegnet, wo er selbst eine Verabredung gehabt hatte. Ganz genau erinnerte er sich nicht mehr an die Umstände ihrer ersten Begegnung, da seine damalige Freundin Miranda im Bett eine Art Magierin gewesen war, die ihn erheblich abgelenkt hatte.

„Dann sind Sie dieses Mal auf der Suche nach einem richtigen Mann?“, erkundigte er sich und bereute seine Bemerkung augenblicklich.

„Falls Sie beabsichtigen, mit mir zu flirten, können Sie sofort damit aufhören“, stellte sie klar. Sah sie eigentlich nie in den Spiegel? Wusste sie nicht, wie verführerisch sie aussah und wie sehr ein Mann sich danach sehnte, ihren schlanken Körper zu berühren und …

Auch wenn er es gewollt hätte, Val konnte nichts dagegen tun. Diese Frau führte ihn in Versuchung, und der zu widerstehen war ebenso unmöglich, wie den Lauf der Sonne zu beeinflussen.

„Ich entschuldige mich vielmals für meine ungebührliche Bemerkung“, erklärte er. „Und ich versuche, wieder charmant zu sein – fürs Erste.“

„Das nennen Sie charmant?“ Fragend sah sie ihn an.

Unwillkürlich musste er lachen. Sabrina war wirklich eine große Herausforderung, und allmählich begriff er, weswegen es zwischen ihr und Xavier nicht so gut gelaufen war. Doch Val war nicht wie sein Bruder, der sein Leben allein dem finanziellen Erfolg verschrieben hatte. „Touché. Ich arbeite noch daran.“

„Sie sollten viel lieber an Ihrem Outfit als Chef dieses Unternehmens arbeiten. Den Romeo dürfen Sie dann später spielen – wenn wir Ihnen das Erbe gesichert haben.“

Was das Geschäftliche anging, hatte Sabrina Corbin zweifellos etwas von einem Pitbull – eine Eigenschaft, die Val bei einer Frau, die er dafür bezahlte, dass sie ihm half, sehr schätzte. Und möglicherweise auch bei einer, die er zu verführen beabsichtigte. Das letzte Wort war in dieser Sache noch nicht gesprochen.

„Denken Sie denn, dass ich mein Erbe mit Ihnen teile?“, erkundigte er sich neugierig.

„Überhaupt nicht – es geht mir nur ums Gewinnen.“

Diese Information genügte ihm völlig. „Großartig. Wann legen wir los?“

Der Blick, mit dem sie ihn musterte, erregte ihn ungemein, und trotz der Kälte, die Sabrina ausstrahlte, wurde ihm plötzlich sehr warm. Er bedauerte sehr, dass der Schreibtisch zwischen ihnen stand und Sabrina nicht sehen konnte, welch erregende Wirkung sie auf seinen Körper hatte.

„Fürs Erste brauchen Sie eine gründliche Veränderung“, kündigte sie an.

Verwundert sah er auf die hochgerollten Ärmel seines legeren Hemdes – ein äußerst praktisches Kleidungsstück, wenn es darum ging, Kisten mit Makkaroni und Käse aus dem Lager in die Küche zu tragen. „Was stimmt denn nicht mit meiner Kleidung?“

„Kleider machen Leute“, erklärte sie. „Das macht schon mal fünfzig Prozent des Erfolgs aus. Wenn Sie Ihre Rolle gut spielen, sind Sie bereits bei neunzig.“

Das klang verdächtig nach einem Handbuch für Business-Coaches – also etwas, ohne das er vorzüglich auskam. Val zog es vor, niemandem etwas vorzuspielen. „Und die restlichen zehn Prozent?“

„Sich sehen lassen.“

„Verstehe. Ich gebe mein Bestes.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück – Xaviers Stuhl, erinnerte er sich. LeBlanc Jewelers würde und sollte auch nie ein Zuhause für ihn sein. „Aber ich gebe nicht nur das, sondern noch mehr. Gehen Sie heute Abend mit mir essen und finden Sie heraus, was das sein könnte.“

2. KAPITEL

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit Sabrina, denn beinahe hätte sie Ja gesagt. Glücklicherweise tat sie es nicht. „Wir arbeiten zusammen, Mr. LeBlanc. Möglicherweise werden wir gemeinsam eine Mahlzeit einnehmen, weil Nahrung nun einmal überlebenswichtig ist, aber es wird kein Date sein und auch kein Flirt.“

Jahrelange Praxis in Sachen Selbstbeherrschung half ihr dabei, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Männer wie Val neigten dazu, eine Frau erst dann als Geschäftspartnerin ernst zu nehmen, wenn sie sich als immun gegen jeden Flirtversuch erwies – was ein Leichtes für sie war. Valentino LeBlanc hatte früher als erwartet versucht, ihre Stärke auf die Probe zu stellen, doch sie hatte den Test bestanden.

Langsam drehte er den Sessel herum, während er sie betrachtete. Seine dunkelblauen Augen wirkten wärmer als die von Xavier. Vage erinnerte sie sich daran, Val vor einigen Monaten schon einmal begegnet zu sein. Bevor sie dieses Büro betreten hatte, hätte sie gewettet, dass er der langweilige Bruder war, den man sofort wieder vergaß.

Doch sie hatte sich getäuscht. Schockierende Empfindungen hatten sich in ihr geregt, als sie ihn wiedergesehen hatte.

Doch weswegen? Weil er jetzt hinter dem Schreibtisch saß? Es war kein Geheimnis, dass sie sich von mächtigen Männern angezogen fühlte. Xavier war ganz dieser Typ gewesen – ein gut aussehender Mann, der allein durch seine Anwesenheit Autorität ausstrahlte. Man sah ihn an und wusste, dass er ein einflussreicher Firmenchef war. Für Erfolg ging er über Leichen und war perfekt für eine Frau wie sie, die Männer ohne Gefühle mochte.

Gefühle machten nämlich alles kaputt, besonders dann, wenn es ihre eigenen waren.

Daher war Xavier genau ihr Typ gewesen. Man konnte sich anregend mit ihm unterhalten, ohne dass einer von beiden auf falsche Gedanken kam. Zu Sex war es zwischen ihnen beiden jedoch nie gekommen, denn vorher hatte sie das Interesse an ihm verloren.

Valentino LeBlanc hingegen entsprach ganz und gar nicht ihren Vorstellungen. Er strahlte eine Sinnlichkeit aus, die sie normalerweise lieber mied – und die sie entgegen ihren Bemühungen, sie zu verdrängen, zutiefst berührte. Sein Haar war zu lang für ihren Geschmack, seine Lippen wirkten zu verführerisch, und seine Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele blicken zu können – ebenfalls eine Eigenschaft, die sie nicht besonders schätzte. Verletzlich waren nur Verlierer. Doch etwas an seiner Ausstrahlung verriet ihr, dass er über mehr Fähigkeiten als nur Empathie verfügte.

Als Val den Kopf neigte, fiel ihm eine Strähne seines schwarzen Haares ins Gesicht, und Sabrina verspürte das unbändige Verlangen, sie zurückzustreichen.

„Und Sie brauchen dringend einen neuen Haarschnitt“, sagte sie entschlossen. Endlich – sie war wieder sie selbst.

„Essen ist aber mehr als lediglich das Stillen eines elementaren Bedürfnisses“, bemerkte er, offenbar nicht gewillt, das Thema so schnell zu wechseln. „Ich weiß eine Menge über Essen. Wie es einen Menschen kontrollieren kann. Wie der Mangel an Essen dazu führt, dass man Dinge tut, die man unter normalen Umständen niemals machen würde. Doch im richtigen Ambiente ist Essen eine Art künstlerischen Ausdrucks. Lassen Sie mich für Sie kochen.“

Oh, keinesfalls, dachte sie. Bestimmt war er ein meisterhafter Koch, der eine verführerische Spaghettisoße zuzubereiten verstand – und ehe sie sich’s versah, lag sie halb entkleidet vor ihm auf der marmornen Arbeitsplatte und vergaß das Dinner bei seinem leidenschaftlichen Liebesspiel.

Das klang nicht im Geringsten erstrebenswert. Auf gar keinen Fall. Außer möglicherweise die Spaghettisoße, die Verführung und der schöne Mann zwischen ihren Schenkeln. Sie seufzte. Es war schon viel zu lange her seit ihrem letzten Date – definitiv zu lange. Doch selbst unter solchen Umständen war sie noch nie der Sex-in-der-Küche-Typ gewesen. Das war für ihren Geschmack im Grunde viel zu … leidenschaftlich.

Im Job setzte sie alles daran, dass Männer in ihrer Gegenwart an alles – nur nicht an Sex – dachten.

„Ich bin hier, um meine Arbeit zu machen, Mr. LeBlanc.“ Sie brauchte Klienten und keinen Lover, dem sie früher oder später ohnehin den Laufpass geben würde. Letztendlich waren sie alle Betrüger, und sie mochte Männer, um sich mit ihnen zu verabreden, aber nicht, um darauf zu warten, von ihnen betrogen zu werden. Mit seinen zahlreichen Affären, die ihre Mutter zutiefst verletzt hatten, war ihr Vater ihr Warnung genug gewesen. Das war auch der Grund, warum sie zu ihm so gut wie keinen Kontakt mehr hatte. Auch ihr Verhältnis zu ihrer Mom war nicht das beste, denn sie konnte ihr nicht verzeihen, dass sie sich klaglos in ihr Schicksal der betrogenen Ehefrau gefügt hatte.

Und dann war da ihr Ex, John … Nun, der war schließlich auch ein Mann, oder etwa nicht? Einen solchen Fehler würde sie nie wieder begehen, das stand jedenfalls fest.

„Essen ist mein Geschäft“, erklärte Val gerade und deutete auf das Büro. „Das alles hier ist nur vorübergehend – eine Möglichkeit, um an mein Erbe zu kommen.“

„Was Sie nicht bekommen werden, wenn wir die Sache nicht richtig angehen“, erinnerte sie ihn und erhob sich. „Vielleicht sollten Sie mich jetzt mal durchs Unternehmen führen, damit wir ein paar Mitarbeiter kennenlernen.“

Bloß raus hier aus diesem Büro, dachte sie. Hier war es viel zu leicht, an Dinge zu denken, die nichts mit dem Job zu tun hatten.

Doch nichts wies darauf hin, dass Valentino LeBlanc ihrer Bitte entsprechen wollte. „Ich weiß, wo sich die Buchhaltung und das WC befinden. Für mich reicht das. Wenn wir zusammenarbeiten, sollte ich mehr über Sie erfahren, nicht über LeBlanc Jewelers. Den Bericht für die Aktienbesitzer kann ich auch später noch lesen.“

Nun gut, sollte er seinen Willen bekommen. Sie hatte sich selbst bereits so viele Male vorgestellt, dass sie es im Schlaf beherrschte.

„Seit fünf Jahren bin ich Coach für Führungskräfte, und davor habe ich als Trainerin für eines der fünfhundert umsatzstärksten Unternehmen gearbeitet. Ich stricke gern, und mein Onkel sammelt alte Autos, weswegen ich manchmal mit ihm am Wochenende auf Ausstellungen gehe.“

„Das ist witzig. Genau das steht nämlich auch in Ihrer Biografie auf Ihrer Website“, bemerkte Val lächelnd. „Ich habe eine Frage: Haben Sie Stricken erwähnt, weil es gerade in ist?“

Was wollte er damit sagen? Dass sie diese Informationen nur gegeben hatte, damit sie nicht zu sehr nach einem Workaholic klang? „Ich kann wirklich stricken. Ich mag es sogar.“ Wenn sie sich daran erinnerte, wohin sie die Stricknadeln gelegt hatte, und daran dachte, neues Garn zu kaufen. Für beides würde sie in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich keine Zeit haben.

„Niemand strickt gern. So etwas machen Großmütter, weil sie glauben, dass sie mehr Aufregung nicht vertragen. Ich denke, Sie können ein bisschen mehr ab – und sollten es mal versuchen.“

Darauf wollte sie lieber nicht näher eingehen. „Ich merke schon, dass Sie heute nicht bereit sind, mit unserem Coaching zu beginnen. Ich komme dann besser morgen wieder.“